Bin kaum da, muss schon fort

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Die Zeiten der Stille tun gut. Es kommt mir vor, als wenn Jesus mir Sätze sagt wie: »Komm zu mir mit deinem Schmerz; ich weiß darum; ich halte dich. Ich lasse dir Zeit. Lass dir selbst auch Zeit – mindestens so lange, wie deine Schwangerschaft dauerte! Ich gebe dir Anteil an meinem Leben, geliebte Tochter. Und: Deine Salome ist sicher und geborgen bei mir!«

Diese Erfahrungen sind für mich sehr tiefe Begegnungen mit Gott, und ich gebe sie an dieser Stelle nur weiter, weil ich hoffe, dass sie vielleicht Frauen in ähnlichen Situationen trösten und sie ermutigen, sich von Gott ansprechen und halten zu lassen.

Das Wissen darum, dass ich trauern darf, entlastet mich und heilt sogar einen Teil des Schmerzes. Ich erlebe einen kleinen Durchbruch: neue Lebensfreude, Hoffnung, Trost. Der Himmel über mir scheint eine ähnliche Veränderung zu erleben. Bisher hat es nur geregnet. Jetzt endlich bahnen sich die Sonnenstrahlen einen Weg durch die Wolken. Der Himmel bricht auf:

Die Sonne scheint

und wärmt, umarmt und blendet mich –

nach dem Gewitter, den Regenschauern – Himmelstränen.

Licht – für mich.

Trost – von Gott.

Ich gehe zurück in den Schmerz, zu dir, Kind,

halte dich in meinen Gedankenhänden,

schaue dich mit meinem inneren Auge an,

liebe dich, liebkose dich in meinem Herzen.

Dabei bin ich getröstet und gehalten.

Ein Stärkerer ist bei mir,

der »Ich-bin-da«,

der zu mir in die Tiefe kommt,

der meine Schwachheit und Ohnmacht teilt.

Gott, ich überlasse mich dir.

Ich lasse meine »Haltung« los,

um von dir gehalten zu werden;

verliere meine Fassung,

um von dir erfasst zu werden.

Bei meinem nächsten Gespräch mit der Leiterin dieser Stillewoche lade ich endlich meine Selbstanklage, mein schlechtes Gewissen und meine Schuldgefühle, dass das Kind vielleicht wegen mir gestorben ist, ab. Ich vergebe mir selbst und nehme Gottes Vergebung in Anspruch.

Und dann vergebe ich Gott. Das klingt vielleicht seltsam, aber ich gebe ihm mein Nicht-Verstehen, meine Klagen und die vielen Fragen, auf die ich keine Antwort habe. Warum hat er mir meine Tochter genommen, wenn er doch der Gott des Lebens ist? Ich spreche diese Frage aus und weine den Schmerz heraus, und es tut gut. Ich lasse meine Erwartungen, die Schuld, in der er bei mir – wie ich meinte – steht, meine Forderungen, mein angebliches »Recht« auf dieses Kind los.

Schnell geht die Woche im Tessin zu Ende. Mit einem vollen Rucksack, aber mit einem erleichterten Herzen fahre ich wieder nach Hause. Die Trauer nehme ich mit, aber ebenso Trost.

So lange, wie meine Schwangerschaft gedauert hat, so lange lasse ich mir Zeit zu trauern. Dann bin ich bereit, mein Kind loszulassen. Ich nehme in der Stille vor Gott von Salome Abschied. Sie ist nicht verloren, nicht irgendwo, sondern in den liebenden Armen Gottes. Was bei mir zurückbleibt, ist Friede über den Abschied von meinem Kind. Auch wenn noch oft die Tränen fließen und fließen dürfen, kann ich wieder lachen.

In der Gegenwart

Nach ein paar Monaten bin ich wieder schwanger. Wird es diesmal gut gehen? Ich will mich nicht zu sehr freuen, aus Angst, dass es vielleicht wieder ein jähes Ende haben könnte.

Die Schwangerschaft ist ein Geschenk! Ich weiß jetzt, dass es nicht selbstverständlich ist, überhaupt schwanger zu werden, ein Kind auszutragen und gesund auf die Welt zu bringen – es ist reine Gnade! Kein Mensch kann Kinder »machen«. Keine Frau hat ein Recht auf Kinder! Eine Schwangerschaft ist ein Geschenk des Himmels: Gott hat sich dieses Kind ausgedacht! Und jeder Tag, an dem eine Frau schwanger bleibt, ist Gnade. Jeder Tag, an dem das Kind leben, sich entfalten und wachsen darf, ist noch viel mehr!

Sabine Herold, Laupersdorf, CH

Dieser Artikel erschien in gekürzter Form zuerst in der Zeitschrift Lydia.

Besser ein großer Abstand als keiner!

Schon bevor wir heirateten, war uns klar, dass wir irgendwann Kinder haben wollten. Ich habe einen Beruf, der sich mit Kindern relativ gut vereinbaren lässt, und hatte ein Studium vorerst weit von mir geschoben, obwohl ich es zeitweise doch immer mal in Erwägung zog.

Bald nach unserer Hochzeit wurde ich überraschend schnell schwanger. Nach dem ersten Schreck darüber, dass sich unser Leben früher als geplant ändern würde, freuten wir uns auf unser erstes Kind. Unser Sohn Johannes war ein sehr liebes Baby, weinte wenig und war sehr pflegeleicht. Nach einem Jahr wurde der Wunsch nach einem zweiten Kind größer, und zu unserer Freude war ich bald wieder schwanger. Bei der ersten Ultraschalluntersuchung konnte man das kleine Herz noch nicht schlagen sehen. Als ich Sorgen äußerte, wurde ich auf die nächste Untersuchung vertröstet, alles befände sich noch »im Rahmen«. Eine Woche später war nichts mehr im Rahmen. Das Kind lebte offensichtlich nicht, und ich wurde in die Klinik zur Ausschabung überwiesen. Ich war untröstlich. Noch in der Nacht vor dem Eingriff hoffte ich, dass alles nur ein böser Traum war und mein Baby lebte. Konnte Gott wirklich so grausam sein und ein sehnlich erwartetes Kind wieder nehmen? Leider ja. Ich verstand die Welt nicht mehr und trauerte intensiv um mein Kind.

In dieser Zeit wurde ich darauf aufmerksam, dass es viele Frauen gab, die eine Fehlgeburt erlitten hatten. Das hatte ich bisher noch nie so wahrgenommen. Vielleicht, weil kaum jemand darüber sprach? Jedenfalls wusste ich nun, dass ich nicht die einzige Frau war, der so etwas passierte. Mein Mann konnte mich leider nicht wirklich unterstützen. Für ihn war das Kind ja noch nicht in irgendeiner Weise spürbar bzw. sichtbar gewesen. Richtig schlimm empfand ich damals aber diejenigen, die meinten, sie müssten meiner Trauer mit irgendwelchen dummen und auch frommen Phrasen begegnen. »Wer weiß, wozu es gut war?« (Ja, wozu eigentlich???) »Gott hat sich schon was dabei gedacht.« (Ich wüsste zu gerne, was.) »Ihr seid doch noch jung und könnt noch weitere Kinder bekommen.« (Ich wollte kein anderes, ich wollte dieses!) »Vielleicht war es ja behindert.« (Das war in dem Moment völlig egal, ich wollte, dass es lebte.) Diese und noch etliche andere wohlmeinende Ratschläge ließen mich zu dem Schluss kommen, dass es irgendwie nicht erlaubt sei, um eine Fehlgeburt zu trauern. Nur meine Freundin tat das einzig Richtige. Sie besuchte mich spontan, nahm mich einfach in den Arm und ließ mich so stehen mit all meinen Gefühlen. Und Gott? Er war so unendlich fern. Ich habe ihm meine Enttäuschung, meine Trauer und meine Wut entgegengeschleudert. Danach fühlte ich mich besser.

Ein Jahr später war ich zum dritten Mal schwanger. Ich ging etwas verhaltener an die »Sache« heran. Außer meinem Mann erzählte ich vorerst niemandem davon. Erst mal abwarten, nur nicht zu früh freuen. Dennoch war die Enttäuschung groß, als ich nach einer Blutung im dritten Monat das Baby verlor. Es gelang mir schneller als beim ersten Mal, mich abzulenken, schließlich hatte ich ja versucht, mich nicht zu sehr auf die Schwangerschaft einzulassen. In diesem Jahr wurde mir bewusst, welches Opfer Gott gebracht hatte, als er seinen Sohn am Kreuz sterben ließ. Es ist furchtbar, ein Kind zu verlieren. Wie muss er gelitten haben, als er das freiwillig tat – und zwar für mich!

Kurz nach Ostern bekam meine Freundin ihr zweites Kind. Ich konnte mich von ganzem Herzen mitfreuen und durfte die Patentante von Klein-Laura werden. Ein Geschenk war seitdem für mich, dass ich nie neidisch wurde auf andere, die ein Baby bekamen (und das waren einige). Ich hätte mir nur gewünscht, dass ich lieber gar nicht schwanger geworden wäre, als die Kinder wieder hergeben zu müssen.

Wir wollten nie ein Einzelkind, aber mittlerweile begann ich es zu genießen, unseren Sohn aufwachsen zu sehen und alle Entwicklungsstufen mitzubekommen. Er war ein fröhliches, aufgewecktes Kind. Als er dreieinhalb Jahre alt war, wurde er chronisch krank. Er bekam eine schwere Form von Epilepsie, und wir verbrachten etliche Wochen in der Kinderklinik. Auch das erste Jahr danach war sehr anstrengend, da die starken Medikamente wesensverändernd wirkten, die Konzentration und Wahrnehmung einschränkten. Wir waren sehr mit klinischen Kontrollen und irgendwelchen Therapien beschäftigt. Vielleicht war es gut, dass wir zu dem Zeitpunkt noch keine weiteren Kinder hatten? Wie schafften andere Leute das bloß?

In dieser Zeit starb unser fünf Monate alter Neffe am plötzlichen Kindstod. Das war ein weiterer Schock für die ganze Familie. Kurze Zeit darauf entschuldigte sich meine Schwägerin bei mir für die unbedachten Worte, die sie nach meinen Fehlgeburten geäußert hatte. Sie habe nun selbst schmerzhaft erfahren, wie es sei, ein Kind zu verlieren. Das hat mich sehr beeindruckt, zumal ich es schlimmer finde, je älter ein Kind ist und je mehr man es kennt und liebt, aber für sie machte das offenbar keinen Unterschied.

Die Jahre vergingen, und ich verlor noch weitere Kinder, allerdings so früh, dass ich gar nicht mehr deswegen zum Arzt ging (ich weiß, dass man das nicht tun sollte, da es zu nachhaltigen Schäden der Gebärmutter führen kann, wenn man keine Ausschabung vornehmen lässt). Mittlerweile war unser Sohn sieben Jahre alt, wir hatten ein Haus gekauft und irgendwie begonnen, mit dem Gedanken an weitere Kinder abzuschließen. Als wir von Freunden gefragt wurden, ob wir ihnen unseren Kinderwagen, den Autositz und die Stoffwindeln abtreten würden, haben wir bereitwillig zugesagt. Wozu hatte ich das ganze Zeug all die Jahre aufgehoben? Es war Zeit, Platz zu schaffen! Prompt wurde ich schwanger. Irgendwie konnte ich eine innere Freude nicht unterdrücken, dennoch fuhr ich leicht panisch zum Arzt. Auf dem Weg dorthin flehte ich inständig, dass dieses Kind lebte. Mein Gebet wurde erhört: Das kleine Herz schlug fröhlich vor sich hin! Ich war in der achten Woche schwanger. Drei Tage später folgte der erste Schreck: Ich bekam eine Blutung. Völlig aufgelöst machte ich mich auf den Weg in die Praxis. Selbstzweifel plagten mich. Hatte ich mich übernommen? Musste ich diesen letzten anstrengenden Nachtdienst wirklich machen, nur weil ich noch niemandem von meiner Schwangerschaft erzählen wollte? Hatte ich das Leben meines Kindes leichtfertig aufs Spiel gesetzt? Nach bangen Stunden blickte ich auf den Monitor und sah mein Baby, das fleißig mit den Armen ruderte, als würde es mir zuwinken. Dem Kind ging es gut. Gott sei Dank!

 

Genießen konnte ich die Zeit der Schwangerschaft nicht. Nach jedem Arztbesuch war ich nur kurze Zeit davon überzeugt, dass alles in Ordnung war. Es gab oft mehr Tiefen als Höhen. Im achten Monat wurde ein möglicher Herzfehler diagnostiziert. Die darauf folgende Woche des Wartens auf weitere Untersuchungen war hart. Sollte unser Kind vielleicht eine Behinderung haben, durch den Herzfehler nicht lebensfähig oder anderweitig eingeschränkt sein? Wieder konnte meine Freundin trösten und für uns beten. Das tat gut, und ich konnte der Untersuchung gelassener entgegensehen. Mein Mann war in dieser Woche auch eine große Hilfe und verbreitete Optimismus. Auch wenn wir uns natürlich ein gesundes Kind wünschten, würden wir lernen, mit einer Behinderung umzugehen. Auf diesem Gebiet sind wir schließlich erprobt, dachte ich manchmal zynisch.

Oft wurde ich gefragt, was »es« denn werden würde, und ich entgegnete jedes Mal, dass wir uns vom Geschlecht des Babys überraschen lassen wollten. Der nächste Spruch, der dann kam, war mit fast vorauszubestimmender Sicherheit: »Na ja, Hauptsache, es ist gesund!« Hauptsache gesund! Welch ein Hohn für alle behinderten und kranken Menschen. Manchmal wäre ich deshalb fast explodiert. Sollte ich die Leute schockieren und erwidern, dass unser Kind vielleicht behindert sein würde? Was ist denn dann die Hauptsache? Was war die Hauptsache für mein Kind? Dass es jetzt schon geliebt wurde und dass ich mich riesig darauf freute. Das war die Hauptsache! Im Herzzentrum stellte sich dann heraus, dass unser Kind kerngesund auf die Welt kommen würde. Alle Aufregung umsonst. Zum Glück!

Endlich konnten wir unser kleines Mädchen gesund und munter in den Armen halten. Katharina Elisa betrat die Welt mit großen offenen Augen. Elisa bedeutet: »Gott ist Vollkommenheit«, und wir sind dankbar für den kleinen vollkommenen Menschen. Als ich neulich erwähnte, dass der Abstand zwischen unseren Kindern doch ziemlich groß sei, entgegnete mir ein lieber Bekannter: »Besser ein großer Abstand als gar keiner!« Recht hat er!

Nadja Hadem, Marburg, D

Als »Bin kaum da, muss schon fort« erschien, war ich gerade wieder schwanger. Ich konnte damals nur ein paar Berichte quer lesen, da mich das Thema doch noch zu sehr aufwühlte. Etwas überrascht war ich schon davon, dachte ich doch, dass ich mit dem Verlust spätestens nach Schreiben des Artikels gut fertig geworden war.

Ein Exemplar des Buches konnte ich im gleichen Jahr an eine Bekannte weitergeben, die mit Zwillingen schwanger war und ein Kind verlor. Sie hat nur wenig über das Ereignis gesprochen, wollte aber das Buch gerne behalten.

Eine andere Reaktion kam von einer Freundin, die mir das Buch unter Tränen zurückgab. Die Trauer über ihren unerfüllten Kinderwunsch wurde erst durch das Lesen einiger Berichte konkret. Auch ein Thema, das der Aufarbeitung bedarf.

Trotz meiner Vorgeschichte konnte ich mich gut auf die neue Schwangerschaft einlassen und hatte wenig Ängste. Das empfand ich als große Entlastung. Unsere Magdalena erblickte 22 Monate nach ihrer Schwester nach einer schnellen, komplikationslosen Geburt im Geburtshaus das Licht der Welt – genau am Geburtstag ihres Papas. Was für ein Geschenk!

Johannes ist ein stolzer großer Bruder und liebt seine kleinen Schwestern (meistens) sehr. So herrscht in unserer Familie nun reger Trubel, aber das haben wir ja so gewollt!

Nadja Hadem (Dezember 2010)

Erst eins, dann zwei …

Ich hatte zwei Fehlgeburten. Die eine kam mir, wenn ich ehrlich bin, fast »gelegen«, denn meine beiden anderen Kinder waren noch recht klein, sodass ich nicht wusste, wie und ob ich es mit einem dritten Kind schaffen würde. Ich fühlte mich mit der Tatsache, wieder schwanger zu sein, ziemlich überfordert. Wie sollte das werden? Ich stand wie vor einem unüberwindbaren Berg.

Aus meiner Überforderung heraus hatte ich innerlich gehofft und auch gebetet, dass das Kind abgeht. Doch als es dann so weit war und ich das Kind tatsächlich verlor – ohne große Vorankündigung, ohne große Schmerzen –, war es dann doch schockierend für mich. Ich ging zum Ausschaben ins Krankenhaus.

Wieder daheim, schmerzte der Verlust des Kindes, und das schlechte Gewissen plagte mich wochenlang, vor allem, weil ich nicht Ja zu dem Kind gesagt hatte. So glaubte ich, es wäre meine Schuld, dass das Kind abgegangen war. Ich versuchte, die Fehlgeburt allein zu verarbeiten. Jahrelang verlor ich kein Wort darüber. Das erste Mal erzählte ich Jahre später meiner Schwester und einer Freundin davon.

Dann war zwei Jahre lang »Ruhe«, in denen ich nicht mehr schwanger wurde.

Bei der nächsten Schwangerschaft hatte ich von Anfang an starke Blutungen. Ich war mit Zwillingen schwanger, was mich sehr freute, mir zugleich aber noch mehr Angst machte, denn ich fürchtete nun nicht nur, ein Kind zu verlieren, sondern gleich zwei. Ich betete, dass die Kinder bei mir bleiben und ich sie austragen konnte. Doch die Blutungen wurden immer stärker. Ich sollte nur liegen. Das hatte der Arzt schriftlich verordnet.

In der 14. Schwangerschaftswoche verlor ich dann aber das erste Kind. Es kam durch eine Sturzgeburt heraus. Es war mitten in der Nacht, als ich auf die Toilette ging und das Kind auf einmal herausfiel. Ich war schockiert und rief meinen Mann. Das kleine Wesen zappelte in der Toilette. Ich konnte erkennen, dass es ein Mädchen war, was ich mir gewünscht hatte. Wir holten das Kind heraus und hielten es in den Händen. Es zappelte, hätte aber in diesem Alter keine Chance gehabt. Ich rief die Hebamme an und schilderte ihr, was passiert war. Sie sagte, dass man nichts machen könnte. Es würde zu lange dauern, bis der Krankenwagen käme. Das Kind sei zu klein, um zu überleben. Ihm fehlte zu viel. Es war noch nicht ganz ausgebildet. So starb unsere Tochter in unseren Händen. Wir packten sie ein und »entsorgten« sie. Wir wollten sie erst beerdigen, doch mein Mann meinte, dass es nicht so gut sei, weil die Tiere sie in der Nacht vielleicht wieder ausgraben könnten. Die Vorstellung war für ihn unerträglich. Er wollte das Kind als ganzes Wesen in Erinnerung behalten. Wir sind uns in diesem Punkt nie einig geworden. Schließlich akzeptierte ich, das Kind nicht zu beerdigen, obwohl ich es gerne getan hätte, damit ich auch immer wusste: Da ist es jetzt, bzw. da war es.

Nachdem ich das eine Kind verloren hatte, hörten die Wehen auf. Die Gynäkologin stellte fest, dass sich der Muttermund wieder geschlossen hatte. Bis dahin hatte ich gar nicht gewusst, dass es das gibt. Ich hoffte nun weiterhin, dass wenigstens das andere Kind noch bei mir bleiben würde, aber zwei Wochen später verlor ich auch dieses. Es starb im Mutterleib und wurde durch eine Ausschabung geholt.

Alles war so gefühllos und ging ohne Wärme vor sich. Von den Ärzten kam nur: »Das kann jedem passieren.« Erledigt. Ich hatte keine Schwester oder Hebamme, die zum Beispiel gesagt hätte, dass ich mir jemanden suchen sollte, um den Verlust zu verarbeiten.

Zwei Kinder auf einmal zu verlieren war für mich recht schwierig, nachdem ich vorher eines verloren hatte, das ich verlieren wollte.

Ich suchte Hilfe, raste von Ort zu Ort. Ich fand niemanden, mit dem ich über das reden konnte, was mich so plagte. Ich suchte eine andere Frau, die das Gleiche erlebt hatte. Doch ich musste erfahren, dass sich alle in Schweigen hüllten. Ich stieß eher auf Distanziertheit. Niemand wollte darüber sprechen. Das Thema schien tabu zu sein.

Endlich fand ich eine Frau, die mir erzählte, dass sie zum gleichen Zeitpunkt eine Fehlgeburt gehabt hatte. Bei ihr war das Kind von Anfang an zu klein geblieben und nicht richtig gewachsen. Wir konnten uns in unserem Erleben und in unseren Gefühlen gut verstehen, und wenn eine von uns niedergedrückt und depressiv war, versuchte die andere, sie wieder zu ermutigen.

Bei der ersten Fehlgeburt habe ich die Trauer nicht so rausgelassen, weil ich mir innerlich immer bewusst war, dass ich das ja so wollte. Bei den Zwillingen trauerte ich intensiver.

Da meine Mutter zu dieser Zeit im Krankenhaus lag und ein jämmerliches Bild abgab, wie sie so hilflos dalag, war mir erst recht zum Weinen zumute. Ihr Zustand war der fehlende Tropfen, der mein Tränenfass zum Überlaufen brachte und das Ventil öffnete, damit ich wirklich weinen konnte. Mein Mann glaubte, ich würde wegen meiner Mutter weinen, aber letztendlich war es die Trauer um meine Kinder, der ich Ausdruck gab.

Mein Mann verstand mich nicht und konnte auch nicht nachvollziehen, warum ich so traurig war. Es ging bei ihm nicht so tief. Für ihn war der Verlust der Kinder ein Zeichen, dass es einfach nicht sein sollte. »Denk an den Aufwand, wenn es Zwillinge sind. Da ist es besser, dass sie jetzt abgehen.« Ich erwiderte: »Das hätten wir geschafft, wenn wir sie schon bekommen!«

Meine beiden größeren Kinder halfen mir während der Zeit der Trauer, da ich wusste: Hier ist meine Aufgabe!

Nach dem Verlust der Zwillinge konnte ich am Anfang nicht mehr beten. Ich hatte innerlich immer das Gefühl: Gott hat mir die beiden auch genommen, weil ich ihn ja darum gebeten hatte, dass er mir das Kind davor nimmt. Ich zweifelte daran, dass Gott gerecht ist und dass er richtig macht, was er macht.

Inzwischen habe ich die Fehlgeburten verarbeitet, aber ich denke noch immer an die Kinder, auch an den Moment, als sie starben. Es ist so ein furchtbares Gefühl, wenn ich mich daran erinnere, wie mein Kind ins WC fiel und wie ich das kleine Wesen von ein paar Zentimetern sah und wusste, dass ich nicht helfen konnte. Ich stand ohnmächtig daneben.

Inzwischen ist Zeit verstrichen, und wenn ich das Erlebte heute betrachte, kann ich sagen: In unserer jetzigen Situation würde ich es mit drei Kindern mehr oder mit Zwillingen menschlich gesehen nicht schaffen. Die Aufgabe wäre zu groß.

Es stimmt schon, dass die Zeit Wunden heilt und dass ich mittlerweile auch besser darüber reden kann.

Ich bin allerdings inzwischen sehr vorsichtig geworden, wem ich von meinen Fehlgeburten erzähle. Ich frage zuerst, wie es der anderen geht, wie sie es erlebt hat und ob sie darüber reden will, statt dass ich alles von mir erzähle und dann kommt nichts zurück. Ich merke, dass das Thema bei vielen ein Tabu ist, da man sehr verletzlich ist oder auch schnell verletzen kann.

Anonym