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Verträumt 5

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Aus der Reihe: Verträumt #5
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Verewigt 135

Zwei Wochen später …

Die Abenddämmerung ist am Hafen der Stadt eingebrochen. Der Wind pfeift, der Vollmond spiegelt sich auf der Wasseroberfläche. Eine beunruhigende Stille hat sich auf dem Steg breitgemacht, was eine gespenstische Stimmung erzeugt.

Auf dem Hausboot von Fabian scheint jedes Licht erloschen. Dort schläft Katrin tief und fest in ihrem Zimmer, während Fabians und Isabellas Bett unberührt ist. Und erst auf den zweiten Blick lässt sich erkennen, dass der Wohnbereich verändert wurde. Die Essgruppe vor den großen bodentiefen Fenstern ist verschwunden sowie die Couchlandschaft.

An dessen Stelle steht nun ein prachtvoller Sarg plus jede Menge Stühle. Dekoriert ist alles mit bunten Sträußen, die dank ihrer kraftvollen Farben der Dunkelheit trotzen. Der Mittelpunkt – weiterhin der gigantische Kronleuchter. Im Hintergrund – klassische leise Musik.

In tiefer Trauer setzt Fabian einen Schritt vor den anderen, bis er mit sanftem Atem vor dem Sarg stehen bleibt und seine Hände auf den Deckel legt. Zusätzlich hält er behutsam seine Ohren daran und murmelt mit leiser Stimme unverständliche Sätze heraus. Tränen erklimmen den Berg voll Trauer, die daraufhin stürzend im Holz versickern.

Ein Gefühl der Macht kommt bei dieser Situation in Fabian zum Vorschein – ein Gefühl, erhoben zu sein. Dies erregt ihn so sehr, sodass er an nichts anderes mehr denken kann, außer an die Befriedigung seiner Sehnsucht. Deshalb öffnet er schluchzend seinen Gürtel, nimmt sich ein Kondom aus der Hosentasche heraus und stülpt dieses über seinen steifen Penis. Wieder murmelt er Sätze vor sich hin, während er sich selbst befriedigt.

Am Tag danach findet die Beerdigung statt. Kälte kommt in dieser angebrochenen Stunde auf und die Möwen sind im Einklang mit der Natur lautstark zu hören. Sonnenstrahlen erhellen den Raum, in dem die ersten Gäste eintreffen, wovon einige bereits Platz auf den Stühlen finden. Am Eingangsbereich stehen großzügig Köstlichkeiten bereit, dazu Kaffee und Tee.

Fabian begrüßt mit einem Glas Cognac in der Hand seine Familie und Freunde, die sich allesamt in Trauerkleidung befinden. Und trotz dieser großen Gesellschaft scheint es sehr still um dem offenen Sarg von Isabella.

In ihrer natürlichen Schönheit liegt sie gebettet da, während anhand ihrer geschlossenen Augen zu entnehmen ist, dass ihre Seele bereits aus dem Körper entschwunden ist.

Auch Fabians 68-jährige Mutter Veronika erscheint unter den Gästen. Innig umarmt Fabian sie und atmet sekundenlang die Mutterliebe ein, die diese stolze Lady ihrem Sohn zu vergeben hat. Er begrüßt sie mit herzlichen Worten, woraufhin die Frau, der er ein Leben lang Achtung schenkt, aufmunternd entgegenkommt und ihrem Sohn einen Kuss auf die Wange gibt. Platz nimmt Veronika im Anschluss auf den vordersten Stühlen bei ihrem anderen Sohn Median und seiner Frau Sandy.

Ebenfalls blicken lässt sich der 41-jährige Luca – Fabians Cousin und Katrins Ehemann. In einem sportlichen, schwarzen Anzug umklammert Luca seinen Freund aus alter Zeit. Für ihn ist es selbstverständlich, am Tag der Beerdigung für Fabian da zu sein, von dem er auch schon zugleich ein Glas Cognac in die Hand gedrückt bekommt.

Auch Katrin begrüßt Luca mit einem kurzen, unromantischem Kuss auf den Mund und begründet ihren schmerzlichen Gesichtsausdruck mit einer Migräne.

»Sag mal, wann haste vor, wieder nach Hause zu kommen?«

»Luca, ist dir nicht aufgefallen, dass ich erst die Hälfte unserer Schulden begleichen konnte? Und wenn du ja nicht weiter im Casino zocken würdest, wären wir vielleicht schon schuldenfrei!«

»Wer sagt denn, dass ich noch zocke? Und wie lange geht dein soziales Engagement also?«

»Ach du meine Güte, als würde ich nicht wissen, was du treibst. Und Fabian bezahlt mich so lange weiter, bis er gedanklich wieder bei Sinnen ist. Ich unterstütze ihn eben bei all seinen Belangen.«

»Wie hab ich das zu verstehen?«

»Was ist dabei nicht zu verstehen?! Bisher habe ich mich um die Beerdigung gekümmert und dafür gesorgt, dass er sich nicht in seiner Trauer verliert. Sorry Luca, aber mir hämmert der Kopf, ich geh lieber auf mein Zimmer. Heute kannst du dich mal um deinen Kumpel kümmern.«

»Ist in Ordnung«, erschleicht es träge aus Luca.

Er setzt sich im Anschluss auf einen der vorderen Plätze, ohne nach rechts und nach links zu schauen.

»Guten Morgen, mein Lieber«, begrüßt Veronika ihren Neffen sarkastisch.

Kurz schockiert nickt Luca ihr nur zu und schenkt seine Aufmerksamkeit lieber seiner Schwester Sandy und dem Geschehen vor sich.

Die Eingangstür wird geschlossen, die Musik im Hintergrund verstummt und das Schluchzen und Weinen ist plötzlich präsent.

Durch die geschlossene Tür Katrins ist die ruhige Stimme des Bestatters wahrzunehmen, womit die Trauerfeier seinen weiteren Lauf nimmt.

Katrin sitzt währenddessen auf ihrem Bett und starrt aus dem kleinen Fenster in die Weite des Meeres. Sie bestraft sich selbst für ihre Tat, indem sie nicht anwesend ist. Denn welches Opfer hätte es je verdient, dass sein Mörder auf der Beerdigung beiwohnt und Trauer heuchelt.

Nach kurzer gedanklichen Abwesenheit rüttelt sich Katrin auf und kramt leicht zitternd ihr Sparbuch aus der Nachtschublade, um ihre zusätzliche Kalkulation darin einzusehen. Darauf ist festgehalten, wie viel Geld sie noch benötigt, damit sie schuldenfrei sein kann – wie viel Sonderleistungen für Fabian ihr noch fehlen.

Tief entschlossen verräumt Katrin das Sparbuch wieder an seinen Platz und lässt ihr Gesicht im Kopfkissen so lange versinken, bis die Beerdigung beendet und keine einzige Stimme außerhalb ihres Zimmers mehr wahrzunehmen ist.

Am späten Nachmittag erhebt sich Katrin nun wieder aus ihrem Bett. Sie öffnet leicht nervös ihre Zimmertür und bekommt einen menschenleeren Wohnbereich zu sehen. Der Sarg ist weg und an dessen Stelle wurde auf einem Tisch ein eingerahmtes Bild von Isabella platziert.

Katrin betätigt den Lichtschalter und schleicht durch den Wohnbereich. Förmlich spürt sie noch die Anwesenheit der vielen Gäste, die Stimme des Pfarrers und selbst den Geruch des Todes kann sie wahrnehmen, der noch verweilt. Sie bleibt an dem Barwagen stehen, nimmt sich eine Flasche Rotwein und erhebt zusätzlich eine Abdeckung eines Silbertabletts. Darunter versteckt sich das ein oder andere Suchtmittel, von denen sich Katrin eine Tablette gönnt.

Anschließend schlendert sie mit der Flasche Rotwein in der Hand und einem Rauschmittel im Bauch durch den Flur in Fabians Büro. Dort schaut sie sich die Buchrücken der Verewigt-Bücher an und streift über sämtliche Bänder, die sie bereits gelesen hat. Und nach einem kräftigen Schluck Rotwein zückt sie Buch Nr. 135 aus dem Regal.

Wie bei jedem Mal, verwendet Katrin das gleiche Prozedere: Ein Blankobuch wird mit derselben Nummer auf dem Buchrücken beschriftet und dort platziert, wo sie das Original entwendet. Sie schmunzelt kurz darüber, warum sie es eigentlich noch immer als so ein Geheimnis hegt. Fabian müsste doch allem Anschein nach mittlerweile bemerkt haben, dass sie seine Gedanken, im wahrsten Sinne des Wortes, liest. Dennoch tippelt sie mit schnellen Schritten wieder zurück in ihr Zimmer und stellt den Stuhl vor die Tür – sicher ist sicher. Sie stellt die Flasche Rotwein auf den Nachtisch, lässt sich aufs Bett fallen und bedeckt ihre Füße mit der Decke.

Schon kann die nächste Reise in Fabians Gedankenwelt beginnen. Und es scheint immer eine Überraschung zu sein, wo Katrin bei jedem Buch landen wird.

… Isabella liegt seit Tagen nur noch auf dem Bett. Jede Bewegung schmerzt und an das Leben klammert sie sich nur noch meinetwegen. Ich habe ihr das schönste Zimmer in einem unserer schönsten Hotels herrichten lassen. Denn wenn sie schon an das Leben im Bett gefesselt ist, dann soll sie wenigstens in einer Umgebung sein, in der sie sich wohlfühlen kann.

Es ist das Unterwasserhotel.

Wir haben es vor etlichen Jahren auf dem Grund eines Sees erbauen lassen. Die Farbe Babyblau ziert dabei die Korridore und der Blick aus den Fenstern lässt einem davonschwimmen. Hier in diesem Hotel ist nicht nur unser Personal angestellt, welches dafür sorgt, dass der Betrieb reibungslos verläuft, nein, hier haben wir auch Pfleger untergebracht. Sie begleiten einige Gäste auf dem Weg ins Jenseits. Hier in diesen geschützten Räumen soll todkranken Menschen geholfen werden Abschied vom Leben zu nehmen.

Denn wenn der Wunsch nach dem Tod sehnlichster ist als der Wunsch nach dem Leben, wieso sollte man dann dem Menschen dieses verwehren? Wieso sollte dieser Mensch an seinen Schmerzen leiden und wahrhaftig von innen heraus krepieren? Wenn es schon keine Möglichkeit der Genesung gibt, dann sollte es eine Möglichkeit geben mit Würde entscheiden zu können, wann man stirbt.

Isabella wehrte sich anfangs in dieses Hotel zu ziehen. Zu sehr liebte sie unser Leben. Ich konnte sie allerdings überreden, denn dieses Hotel ist das Einzige, das für solche Fälle wie sie, ausgestattet ist. Hier haben wir Aquafitness, geschultes Personal, barrierefreie Ebenen.

Aber um ganz ehrlich zu sein, eigentlich wollte ich sie hier haben, um sie zu ermorden! Mit ihrem erbärmlichen Dasein verschlechtert sie jeden Tag mehr mein Leben. Ich kann mit ihr nichts mehr anfangen, können keinen Sex haben, seid sie sich infiziert hat und in langsamen Schritten verliert sie die Kontrolle über ihren Körper. Sie ist zum Problem meiner Bedürfnisse geworden. Nichts konnte diese befriedigen. Zum Reden hatte ich einmal am Tag meine Mutter, zum Essen zwei meiner Hände und zum Schlafen mehrere Betten.

 

An Spaß mit ihr ist gar nicht zu denken. Doch sie selbst mit meinen eigenen Händen umzubringen, das bringe ich nicht übers Herz. Nein, ich bin doch kein Mensch, der seine Ehefrau eigenhändig ermorden kann. Doch sie vom Tod zu überzeugen, klappte nicht.

Sie wollte einfach nicht von uns gehen! Deshalb der Plan, sie in dieses Hotel zu bringen. Dort finde ich schon einen Angestellten, den ich so manipulieren kann, sodass er ihren Tod herbeiführt. Ich werde ihm die Flausen in den Kopf setzen, dass wenn Isabella vom Leben spricht, eigentlich den Tod meint. Jemand, der im Geld die Freiheit seiner Seele sieht – ja, das glaube ich hier zu finden.

Gefunden, habe ich allerdings jemanden, der dies sogar gerne macht. Der aus Leidenschaft eine Befriedigung verspürt anderen Menschen das Leben auszusaugen.

Mr. Plumburg – ein Pfleger und gelernter Büroangestellter. Die perfekte Wahl, mich von diesem Klotz am Bein befreien zu können. Und das beste, er verlangt dafür noch nicht einmal Geld. Er verlangt nur eine Stelle, bei der er Schalten und Walten kann, wie er will. Mein rechter Haken – einfach grandios.

Selbstverständlich darf ich nicht in dem Moment von Isabellas Tod im Hotel sein. Ich würde vielleicht noch von ihr verflucht werden und sie wünsche mir eventuell in ihrem letzten Atemzug ebenfalls den Tod. Nein, dieser Gedanke würde mich beleidigen. Aus diesem Grund darf Mr. Plumburg sie so hinrichten, wie er es gerne möchte. Doch ich dürfte niemals erfahren, wie er es angestellt hat. …

Völlig geschockt legt Katrin das Verewigt-Buch zur Seite. Hat sie das wirklich gerade gelesen – ist all das bereits in seiner Gedankenwelt geschehen? Und was, wenn dies auch die realen Gedanken von Fabian sind? Hat er sie also nur benutzt, um den Klotz am Bein auch in der Realität entfernen zu können? Wollte Isabella überhaupt sterben oder hat sie, als sie vom Leben sprach, wirklich auch das Leben gemeint und nicht den Tod? Fragen über Fragen.

Katrins Umwelt beginnt sich perplex zu drehen. Die Farben verändern sich von Blau zu Grau. Aus dem Schatten der Dunkelheit erheben sich Geschworene, die Katrin für ihre unmenschliche Tat auf schuldig plädieren. Das Herz springt ihr förmlich aus der Brust.

Mit zitternden Händen ergreift sie sich nochmal das Verewigt-Buch und hält es vor ihre, mit großen Pupillen gekennzeichneten, Augen. Sie besitzt die Hoffnung, auf den weiteren Seiten eventuell eine glückliche Aufklärung zu finden – ein Widerspruch, eine Andeutung. Irgendetwas in Bezug darauf, dass Fabians Gedanken im Buch nicht der seiner Realität gleichen.

Konnte sie so vom Geld besessen sein, dass sie die eigentliche Gefahr übersah, obwohl sie direkt vor Augen war?

Das, was sie nun auf den nächsten Seiten zu Gesicht bekommt, lässt in ihr eine Schockstarre auslösen:

… Sie liegt da, als ob sie nur schlafen würde. Wer hat sie nur so schön auf diesem Rosenbett platziert, sodass sie so aussieht, wie in den ersten Tagen als ich ihr begegnet bin. Keine Falte ziert ihr Gesicht, die Jugend scheint durch den Tod wieder zu ihr zurückgekehrt zu sein.

Ich bin ganz alleine in diesem kleinen Raum – ganz alleine, wieder mit meiner Bella, die unbeholfen und wehrlos vor mir liegt in einem Sarg voll Gold. Sie strahlt so wunderschön von innen heraus und hält dabei eine Haltung im Liegen ein, die mich schon gar provoziert. Ich dachte mir, es sei fast schon Absicht. Sie muss wohl von der anderen Seite aus dafür gesorgt haben, dass sie nun so anziehend aussieht.

Und dabei ist sie nicht mal mehr infiziert. Denn mit ihrem Ableben, sind auch die Zellen abgestorben, die sie zum Tode verurteilt haben.

Mich überkommt das Gefühl sie zu küssen. Und ich tue es auch – mehrmals. Und obwohl sie ihre Lippen nicht spitzt, spüre ich, dass es ihr gefällt. Ich spüre, dass ihr lebloser Körper vibriert und zittert. Dabei überkommt es mich – die Macht erhoben zu sein. Ich singe ihr unser Lied vor. Das Lied, das ich bereits zweimal in ihrem Leben für sie gesungen habe. Und dann geschieht es: Eine Beule in meiner Hose.

Weiter hauche ich ihr den Refrain ins Ohr und gleite mit der rechten Hand ihren Körper entlang. Ich öffne meinen Gürtel, lasse meine Hose herunterfallen und besteige meine Bella. …

8
Verewigt 151

Dunkle Ränder unter den Augen zieren Fabians Gesicht, während dieser in den frühen Morgenstunden den Wassersteg in Richtung seines Hausbootes entlang läuft. Ebenfalls fallen seine stark erweiterten Pupillen auf, sowie das Herumkauen auf den eigenen Lippen. Eine lange Nacht und eine emotionale Beerdigung liegt hinter ihm. Er flieht vor dem kalten Herbstwind und schließt schnell die Eingangstür. Demnach bekommt er auch schon Katrin sitzend unter dem Kronleuchter zu sehen, die mit ihrer goldschimmernden Pailettenjacke den gesamten Wohnbereich zum Glitzern bringt.

Ihr Gesicht ist gleicherweise von einer langen Nacht geprägt, woran mehrere leere Flaschen Rotwein schuld sein müssen, da sich eine angebrochene noch immer in Katrins Hand befindet. Anhand des offenliegenden Silbertabletts lässt sich zusätzlich vermuten, dass es nicht nur bei einer Pille geblieben ist.

»Lange habe ich auf dich gewartet, Fabian.«

»Es war eine anstrengende Nacht, Katrin. Lass uns später reden.«

»Ich habe deine Bücher gelesen!«

»Du hast was?«

»Deine Bücher gelesen!«

Ohne weitere Reaktion darauf nimmt Fabian Pfad zu seinem Zimmer auf, bis er allerdings davon abgehalten wird. Denn ein Blick in sein Büro verrät ein schreckliches Bücherchaos. Alle 150 Verewigt-Bücher befinden sich teilweise zerfetzt quer im ganzen Raum.

Von diesem Anblick geschockt, zwingt es ihn in die Knie. Etwas Schlimmeres hätte man ihm nicht antun können. All die Jahre, was er aufgeschrieben hat – einfach respektlos demoliert. Es schmerzt ihn unaufhaltsam, sodass die fürchterliche Wut, die in ihm köchelt, ihm wieder auf die Beine verhilft.

Währenddessen lauert Katrin ihm bereits auf.

»Du bist ein Scheusal, ein Widerling, Fabian!«

»Scher dich weg! Scher dich von meinem Boot!«

»Du hast mich wie eine Marionette in einem makaberen Spiel manipuliert und zu einer unmenschlichen Tat verführt. Niemals hätte ich einem Menschen zum Sterben verholfen, der gar nicht erst sterben will.«

»Halt deine Fresse und scher dich endlich weg, bevor es noch zu einem Unglück kommt!«

Von Fabian bedroht marschiert Katrin an der Eingangstür vorbei Richtung ihres Zimmers. Dabei kann sie es nicht lassen, ihm zu sagen, dass sie keine Angst vor ihm hätte und provoziert ihn mit Beleidigungen.

Im Zimmer angekommen befielt sie mit leiser Stimme dem virtuellen Assistenten Sid, die Polizei zu ordern.

Umgehend besteht Fabian darauf, auch ohne Koffer zu packen, seine Räumlichkeiten zu verlassen, was er mit dem Aufhalten der Eingangstür verdeutlicht.

Doch auch dies scheint sie provokativ zu ignorieren.

»Vorher redest du nun endlich mit mir über deine ekelhaften Vorlieben! Und vor allem darüber, wie du Menschen zu deinen Gunsten beeinflusst.«

»Es ist eine Schande, in fremden Tagebüchern zu lesen. Ich erlaubte eins, aber nicht mehr.«

»Wie blöd bist du eigentlich? Diese Bücher sind doch für jeden zugänglich. Denkst du, da hat noch nie jemand hineingeblickt? Stell lieber mal ein Fernseher auf, dann käme man auch nicht auf solche Ideen. Außerdem wusstest du doch eh, dass ich sie lese. Oder willst du etwa behaupten, das warst nicht du, der während ich schlief in mein Zimmer kam? Ich stellte einen Stuhl vor die Tür Fabian, ich habs bemerkt.«

»Hätte ich wirklich gewusst, dass du meine Bücher liest, wärst du nicht mehr hier.«

»Wie, mich töten? Das kannst du gar nicht, dafür benötigst du ja jemanden. Nicht mal ansehen kannst du es dir wohl. In deinen Büchern musste es ja Mr. Plumburg für dich erledigen. Und für ihn war es in Ordnung, dir nicht erzählen zu dürfen, wie er Isabella ermordet hat. Für mich ist es das nicht!«

»Dir ist schon bewusst, dass Mr. Plumburg meiner Fantasie entsprungen ist, oder gibt es auch etwa zwei Isabellas? Ich würde es an deiner Stelle nicht schlimmer machen als es ist und fordere dich ein letztes Mal auf, mein Zuhause zu verlassen.«

Katrin aber denkt gar nicht erst daran, provoziert erneut, indem sie die Eingangstür von innen schließt und ihm brühwarm erzählt, wie sie Isabella umgebracht hat. Plötzlich legt Fabian seine zitternden Hände um Katrins schlanken Hals und drückt kräftig zu. Erschrocken von dieser Reaktion blickt sie panisch in Fabians gläserne Augen und schlägt reflexartig die Rotweinflasche, die sich noch immer in ihrer Hand befindet, gegen seinen Kopf. Die Flasche zerbricht, der Inhalt läuft ihm übers Gesicht und vermischt sich mit seinem, aus der Platzwunde, austretendem Blut. Keuchend versucht Katrin weiter sich mit aller Gewalt zu befreien, indem sie probiert seine Augen einzudrücken. Doch vergebens. Verzweifelt nimmt sie nur noch Fabians hasserfüllten Blick wahr, bis sie einige Sekunden später ihr Dasein verliert.

Fabians Herz schlägt wild. Ruckartig lässt er sie zu Boden – zitternd am ganzen Körper – und wischt sich das Gemisch aus Schweiß, Blut und Wein von der Stirn. Um seiner Mundtrockenheit entgegenzuwirken, schenkt sich Fabian erstmal gedankenlos ein Glas mit Cognac ein und setzt sich vor Katrin auf einen Stuhl.

Neben sich stehend nimmt er sein Handy aus der Hosentasche, wählt die Kurzwahl und bekommt am anderen Ende der Leitung seine Mutter Veronika zu hören.

»Guten Morgen mein Lieber, so früh habe ich noch gar nicht mit dir gerechnet.«

»Ja Mutter, die Nacht war lang. Hindert mich aber nicht daran, dich wie jeden Tag anzurufen. Es war eine schöne Beerdigung, so hätte sich es Bella gewünscht.«

»Ja, davon gehe ich auch stark aus. …«

Und während seine Mutter ein anderes Thema beginnt, bemerkt Fabian plötzlich einen Atemzug von Katrin. Sofort beendet er ruckartig sein Telefonat und nähert sich der vermeintlichen Leiche, womit sich Katrins Atmung deutlich vertieft.

Überraschend schlägt sie ihre Augen auf und startet den Versuch, sich loszureißen. Fabian jedoch kommt ihr zuvor und legt blitzschnell seine Hände erneut um ihren Hals. Er drückt so fest zu, sodass seine Adern im Gesicht zum Vorschein kommen. Und er drückt so lange, bis Katrins letzter Gedanke verblasst und sie endgültig über die Schwelle tritt.

Im selben Moment macht sich die Polizei bemerkbar, indem sie an die Eingangstür hämmert und Eintritt verlangt. Von dem ganzen Geschehen überrumpelt, lässt er Katrins Kopf auf dem Boden aufschlagen, legt sich erschöpft daneben und schaut desorientiert zum funkelnden Kronleuchter.

Jeder Muskel in ihm erschlafft, jeder weitere Gedanke verblasst.

Eine Woche später …

»Guten Morgen mein Lieber. Ich habe dir heute etwas mitgebracht, es lag auf deinem Nachttisch. Und bevor es die Polizei in Beschlag nehmen konnte, dachte ich mir, nehme ich es an mich. Natürlich durfte ich dich nicht gleich besuchen, weshalb ich es dir erst jetzt geben kann. Hinterfragt hat von diesen Quacksalbern niemand dieses Geschenk. Nimm dein unfertiges Exemplar an dich und beende die Geschichte. Du weißt ja, wenn man seine Träume und Gedanken aufschreibt, entweichen sie aus dem Kopf. Also ziehe einen Schlussstrich, damit du nach deinem Prozess etwas Neues beginnen kannst. Ich hoffe, dich erfreut die Idee, mein Lieber. Schön, dich zu sehen.«

Während der Schatten von Gitterstäben durch die Sonne in Fabians Gesicht projiziert wird, bekommt dieser sein Verewigt-Buch Nr. 151 von seiner Mutter Veronika überreicht.

… Nachdem sich das Blatt von Ms. Sours Mordanschlag gewendet hat und Mr. Plumburg stattdessen der Tod aufgesucht hatte, eilte ich aus dem Hotel in den Nebel, um mir über einiges bewusst zu werden.

Ich wusste nun, Ms. Sour wird mit einer Patrouille all meine Hotels genaustens unter die Lupe nehmen. Sie wird nicht locker lassen und die Geheimnisse aufdecken. Die Schließung meiner Hotels wären gewiss, sowie meine Hinrichtung. Eine Schande – all das, was ich mir über ein Jahrzehnt aufgebaut habe, einem schlechten Ruf zu überlassen.

Also begebe ich mich schnellstmöglich in meine Hauptzentrale, um mich selbst darum zu kümmern. Denn, nicht umsonst ließ ich Vorkehrungen treffen, sodass ich mit bestimmten Knöpfen verschiedene Hotels in die Luft sprengen kann.

Und nun ist es so weit. Ich muss die Geheimnisse von der Erdoberfläche verschwinden lassen – mich von den Sorgen und Ängsten befreien und ruinieren.

 

Zuvor halte ich nochmal inne und verschaffe mir auf den Monitoren einen Überblick meiner Hotelanlagen. Es erinnert mich an gute sowie schlechte Zeiten, bis sich in mir das befreiende Gefühl ausbreitet, es augenblicklich zu vollziehen. Ich bin glücklich und traurig zugleich.

Ein roter Not-Buzzer – und die Hotels sind beseitigt.

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