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Verträumt 5

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Aus der Reihe: Verträumt #5
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Nach mehreren Zigarren und einigen Gläsern Cognac kamen zur späteren Stunde Transsexuelle die Schwenktür herein. Alle Augen der Gäste waren auf die pompösen Kleider gerichtet, während die Männer in Frauenkleidern spezifisch Ausschau nach ihrer Beute hielten. Keiner von uns wusste so Recht, was sie suchten, bis sie bei Bella, Hendrik und mir stehen blieben.

Mir war so, als ob ich in diesem Augenblick dem Alkohol dankbar war. Dankbar, weil er mich lockere für solch eine Situation machte. Sie fragten uns mit ihren übertrieben geschminkten Gesichtern, ob wir nicht Lust auf ein Experiment hätten. Hendrik sprang direkt auf und ich folgte kleinlaut. Bellas Lachen höre ich heute noch in meinen Ohren. Wir gingen mit ihnen hinter die Bühne, wo sie uns mit ihren dunklen Stimmen ihr Vorhaben erklärten. Tatsächlich sollten Hendrik und ich uns in Frauenkleider zwängen, uns schminken und bei ihrer Bühnenperformance mitmachen.

Wir willigten ein, ich eher abgeneigter als Hendrik, aber diese Zweisamkeit mit ihm ließ ich mir nicht entgehen. Zwei von fünf Männer gaben uns das perfekte Kleid und während uns Perücken aufgesetzt wurden, schminkte man uns gleichzeitig. Zugegeben, ich bin für alles offen, aber diese Situation schien mich nicht anzuregen. Wobei ich in Hendriks Augen die Faszination erblickte. Er strahlte über beide Ohren. So als wäre das sein Ich, das er versteckt hält. Im Moment der Ruhe fragte ich geradeaus – ich fragte Hendrik, ob er sich wohlfühle. Selbstverständlich brachte die Wirkung des Alkohols in ihm die Wahrheit heraus und er beichtete plötzlich in Tränen versunken, dass er sich gerne in Frauenkleidern sieht und dass er sich gerne hinter einer Maske verstecken würde, um feminin durch die Welt zu schlendern.

Mein Bild von ihm war erschüttert, aber meine Toleranz riesengroß. Ich begann nachzudenken. Ich verstand seinen Schmerz, den er innerlich zutage trug. Er wollte jemand sein, den er nicht ist und hatte nirgends die Chance dieses Bedürfnis auszuleben. Hendrik meinte, dass er gerne er ist, aber auch zu bestimmten Zeiten eine andere sein will.

Und dann kam mir wieder eine Idee – die Idee, unser zweites Hotel für Transsexuelle zu eröffnen. Sie sollten in Scharen kommen und sich wohlfühlen. Sie sollten sich in diesem Hotel ihrer wahren Bestimmung hingeben können und auch von normalen Gästen nicht spöttisch angesehen werden. Der Kreativität sollte keine Grenzen gesetzt werden.

Ich unterhielt mich mit Hendrik darüber und er schien mehr als begeistert. Ihm fiel so viel über dieses Thema ein, was er dort verwirklichen könnte. Und er erweiterte mein Denken. Denn es gibt auch Frauen, die gerne in Männerkleidung ihr Dasein fristen. Es gibt so viele Facetten und alle Facetten dieser Art werden herzlich willkommen sein.

Von da an war ich mir sicher, dass ich noch mehr Hotels errichten werde. Mehr für die verschiedensten Tabuthemen, für die verschiedensten Bedürfnisse, die dort ohne Konsequenzen befriedigt werden dürfen. Niemand sollte verurteilt werden.

Ich sah die Dankbarkeit in seinen Augen. Ich sah das Weltoffene, diese aufkeimende Freiheit. Wir legten auf der Bühne mit den anderen Transsexuellen eine hervorragende Performance hin und beschlossen, wieder in unserer eigenen Kleidung, die weiteren Stunden im Motelzimmer zu dritt ausklingen zu lassen.

Ich wusste, Hendriks Dank wird groß sein und dass, wenn ich ihn jetzt im Zimmer küsse, er sich mir ergeben wird.

So geschah es, und so lebte ich mit meiner Bella und Hendrik endlich meine Fantasie aus. Die Realität war gesponnen mit einem gewissen Nervenkitzel, mein Puls war kaum zu bremsen und meine Einfälle mit zwei verschiedenen Körpern unbegrenzt. Und sie gehörten mir.

Somit sind diese Gedanken hiermit verewigt!

6
Verewigt 133

Katrin schlägt das Verewigt-Buch Nr. 1 zu und stellt sich innerlich die Frage: Wenn diese Buchreihe mit Fabian und Isabella begann, wo ist dann Isabella gegen Ende? Wo ist sie und auch Hendrik während Fabian sich mit Ms. Sour duelliert?

Die Neugierde in ihr ist entflammt. Rasch geht sie von Deck, begibt sich in Fabians Büro und stellt das Buch an seinen Platz zurück. Mit ausgestrecktem Finger wandert sie die Buchrücken entlang und nimmt sich immer wieder wahllos eins aus dem Regal heraus. Sie liest an verschiedenen Stellen nur kurz hinein und ist auf der Suche nach Isabellas Namen. Ab wann und aus welchem Grund ist sie verschwunden?

Es gibt Abschnitte, in denen Fabian seine Isabella heiratet, neue Hotels eröffnet und neue Befriedigungen gestillt wurden. Dabei schien das Leben der zwei endlos glücklich zu sein. Die Karten spielten ihnen zu, was der heutige Erfolg zeigt. Zu dritt sogar bereisten sie die Welt – Fabian, Isabella und Hendrik. Das Team, das die Hotelkette gemeinsam erfolgreich ausbaute.

Doch Katrin findet auf Anhieb kein Ende mit Isabella, bis sie Buch Nr. 133 in die Hand nimmt. Denn da findet sie bereits auf den ersten Seiten heraus, dass sich die lebensfrohe Reise der drei dem Ende neigt.

Ein erneuter Bücheraustausch findet statt, sodass sie dieses Buch in aller Ruhe weiter in ihrem Zimmer lesen kann.

… Es ist die schwarze Nacht, die uns an diesem Abend überrascht. Ich sehe es heute noch vor mir, wie sich die Palmen im stürmischen Wind schütteln, sich dunkle Wolken über dem Ozean breitmachen, wie sich ihre Körper auf und ab bewegen und ich beim Anblick zu zittern beginne.

Aber nun alles der Reihe nach.

Zu dritt eröffneten wir unzählige Hotels – auf der ganzen Erde verteilt. Alle mit meiner Zentrale in der Nähe meines Heimatortes vernetzt, wo ich per Kamera stets ein Auge auf jedes einzelne werfen kann. Und was einst nur eine einfache Zentrale war, ist heute von viel größerer Bedeutung. Vorkehrungen ließ ich treffen, sodass ich mit bestimmten Knöpfen verschiedene Hotels in die Luft sprengen kann. Denn mit dem Wachstum der Hotelkette und den illegalen Themen kann auch mal schnell die Kontrolle verloren gehen. Es müsste mich nur ein Gutmensch anschwärzen und schon hätte ich ein dickes Problem. So aber kann ich dem entgegenwirken und mich schützen.

Ein roter Buzzer – und das Hotel ist beseitigt.

Doch bisher kam es noch nicht so weit, da Hendrik, Bella und ich das unschlagbare Team waren, das die gesamte Kette zusammenhielt. Jeder durfte seinen individuellen Bedürfnissen nachgehen. Jeder konnte sich ohne Konsequenzen fallen lassen. Es war eine Beziehung, die unglaublich war, einfach unvorstellbar. Das perfekte Trio – jahrelang im Business, so auch im Bett.

Hendrik aber musste uns einen Strich durch die Rechnung machen. Denn er wachte eines Tages einfach nicht mehr auf – der Fels in der Brandung, das kreative Köpfchen, der Mensch mit den vielen Facetten.

Bella fand ihn damals regungslos auf seinem Sessel. Er hielt jeden Mittag ein Schläfchen – es solle dadurch keine Augenränder geben. Jeden Tag wachte er auch immer nach einer Stunde wieder auf, sprang in die Luft und rief: 100 % aufgeladen, für jede Schandtat bereit!

Doch dieses Mal war es nicht einmal mehr 1 %. Unsere große heile Welt erstarrte kurz. Wir konnten doch jeden besiegen, wir konnten alles erleben, uns erbauen, erträumen. Doch mit einem haben wir nie gerechnet – mit dem Tod. Denn sich selbst etwas zufügen, daran dachten wir nie. Jedoch auch nicht daran, dass der Tod uns holen könnte.

So kams nun aber. Bella und ich hatten für einen Tag sein Lieblingshotel nur für Transsexuelle reserviert. Wir organisierten eine bunte Trauerfeier mit Glitzer- und Glamour. Aber zu kitschig durfte es auch nicht sein, denn Hendrik konnte nicht nur eine gute Frau performen, er konnte auch mein leibeigener Liebhaber sein.

Deshalb ließ ich ihn auch als Mann bestatten. Ich sah es nicht ein, ihn als Transe in die Erde zu schicken. Ich wollte ihn so sehen, wie er mich glücklich machte, auch wenn ich wusste, dass viele anders denken würden. Doch das war mir egal. Bella und ich waren ihm so viel näher, als es andere je hätten sein können. Und somit verschwand er an seiner Beerdigung aus unserem Leben.

Bella und ich mussten uns neu finden. Irgendwie wieder zueinander finden. Wir suchten in unserer Trauer gefangen nach dem dritten Glied. Doch wir bemerkten schnell auf unserer Reise, dass dieser Platz niemals ersetzt werden konnte. Spaß und die Abwechslung fanden wir allemal, aber niemanden mehr, der auch geschäftlich Hendrik das Wasser reichen konnte.

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich Bella den Vorschlag machte, ein neues Projekt auf die Beine zu stellen. Denn irgendwie werden wir schon noch einen neuen Hendrik finden. Aber die Suche sollten wir hiermit beenden. Ein neues Ziel musste her.

Wir kamen zum Entschluss in den tropischen Gebieten ein Resort zu eröffnen. Im Süden der Welt – im Herzen der Sonne. Dort darf jeder Mensch einchecken, der einfach mal die Seele baumeln lassen möchte. Und genau an diesen Ort reisten wir und mieteten uns ein Strandhaus. Während die Beauftragten nach Grundstücken für uns suchten, kümmerten wir uns um den Stil für das Hotel. Denn das machte uns am meisten Spaß: neue individuelle Räume gestalten. Farbenfrohe Wände, gespickt mit schwarzweißen Punkten. Regenbogenfarben so bunt wie das Leben, allerdings gefüllt mit Schatten und Licht. Die perfekte Kombination aus Liebe und Schmerz.

Natürlich arbeiteten wir in dieser idyllischen Strandlandschaft nicht nur, selbstverständlich lebten und genossen wir auch. Die Sonne, der Strand, all das machte uns wieder glücklich. Zu frohen Menschen, die an diesem Ort eine neue Bestimmung suchen. Wir flirteten gemeinsam, wir flirteten alleine.

Doch an jenem Karaoke-Abend sollte sich unser Leben zum zweiten Mal verändern. Tequilas liefen an diesem Abend besonders großzügig den Rachen hinunter, während bunte Lichterketten sich in den gläsernen Augen der Gäste spiegelten.

 

Meine Bella und ich kosteten den frühen Abend in vollen Zügen aus, schauten uns verliebt an und liebäugelten zugleich immer wieder mit anderen freudigen Gästen. Der Funke jedoch wollte nicht überspringen und wir planten bereits den ganzen Abend zu zweit zu verbringen. Diese Zweisamkeit genoss Bella sehr, denn in ihren Augen konnte ich ein Strahlen sehen. Es steckte mich förmlich an und weckte in mir Gefühle, die ich einst vor der Beziehung mit Hendrik mit ihr hatte. Bis ich auf die Idee kam, ein Lied für meine Liebste vorzutragen. Sie war erstaunt von meinem Verschwinden und schaute sich ungeduldig um, als ich ohne Worte und nur mit der Idee im Kopf unseren Platz verließ.

Ohne große Karaoke-Musik im Hintergrund betrat ich die Bühne und setzte mich mit einer Gitarre vor das Publikum und dem großen Meer. Ich sammelte mich kurz, begutachte meine Frau in der Mitte der Menge sitzend und schaute weiter in die dunkle Ferne. Umgeben von einem sanften Windhauch und Palmen, die zum Himmel ragten. Ich fühlte mich wieder wie 25. So sorglos und frei – wie angekommen, bei der Eröffnung meines ersten Hotels. Ich erwischte mich dabei, wie sich mein Horizont kurzzeitig schließt. Ich dachte nicht mehr an die vielseitigen Hotels, die alle mein Konto füllen und dennoch mein Nervenkostüm vibrieren lassen. Denn die Angst wohnte immer inne. Die Angst, jeden Tag aufzuwachen und auffliegen zu können. Dass die Geheimnisse der Hotels nicht mehr im Verborgenen liegen und ans Licht kommen.

Mir wurde bewusst, dass mir mit jeder Eröffnung eine halbe Stunde mehr Schlaf in der Nacht geraubt wird. Ebenso, dass ich mich nur mit einem vielseitigen Sexleben von diesem Gedanken ablenken kann.

Ich begann mit dem ersten Klang meiner Gitarre und spürte, wie mich jedermann anstarrt. Ich spürte erneut, diese Macht über ihnen zu stehen und wie sie mir unterlegen waren. Es war dasselbe Lied, dass ich Bella bereits damals vorsang. Die Nostalgie überschlug uns. Nichts schien sich in diesen Minuten geändert zu haben. Nur, dass ich der Bestimmung meines Lebens wieder nähergekommen war. Der Bestimmung, der Herrscher meiner Welt zu sein – nicht der, der einzig und allein Bella zugehörig sein sollte.

Ich sang und erntete den Applaus. Und während Bella die lauteste beim Klatschen war, saugte ich die Aufmerksamkeit von den anderen ein. Super, klasse, ich freue mich so, überhäufte mich meine Ehefrau mit leuchtenden Augen. Einen trockenen Kuss als Dankeschön überreichte sie mir. Sie fühle sich, wie an jenem Tag. Ich sagte ihr, dass ich mich genauso fühlte. In Wirklichkeit allerdings nur in den ersten Sekunden. Denn ich erinnerte mich an die Herrschaft, die mir großen Spaß bereitete, weshalb ich gerne im Anschluss Sex wollte, allerdings nicht nur zu zweit.

Ein kurzes Bedauern bringt Bella zum Ausdruck, doch sie wusste, mit wem sie zusammen ist. Deshalb habe ich mir eine Gruppe von jungen, hübschen Erwachsenen ausgesucht, die bestimmt nicht freiwillig mit uns Körperflüssigkeiten austauschen wollen. Doch für ein gewisses Honorar scheinen vielleicht nicht alle, aber zumindest ein paar viel offener für alles zu sein.

Ich begab mich mit Bella zu ihnen an den Tisch und bestellte als Begrüßung eine Flasche Cognac. Alkohol lockert bekanntlich die Zunge und lässt tief vergrabene Bedürfnisse zum Vorschein kommen. Und während die einen misstrauisch mir gegenüber gesinnt waren, waren die anderen neugierig. Bella und ich – ein eingefleischtes Team – gaben an, als Ehepaar an diesem wunderschönen Ort ein wenig Spaß zu haben. Wir würden unsere zweiten Flitterwochen verbringen und ein wenig gelangweilt sein. Herzlichst nahmen uns die Touristen auf und wir begannen einen vielversprechenden Abend zu genießen. Von guter Musik unterhalten, lernten wir uns schnell kennen. Und auch schnell wurde uns klar, welcher Typ einen anmacht und welche Kombination daraus entstehen könnte.

Meine Lust auf mehr köchelte, nachdem ich mich mit einer Studentin unterhalten hatte. Sie erzählte mir von ihrem Studium und ihren Geldnöten. Wie schlecht die Welt doch sei und die Förderungsmittel viel zu niedrig. Zugleich bekam ich, während ich mit dem einen Ohr ihr zuhörte, Bellas Gespräche mit zwei Männern mit. Sie setzten sie von den politischen Begebenheiten ihres Dorfes in Kenntnis. Bla, bla, bla. Ich schaltete ab und dachte nur an eine Kissenschlacht zu fünft. Die anderen Freunde hatten sich schon verabschiedet – wollten zu Bett. Doch wir schienen gefestigt zu sein. Und nachdem die zweite Flasche ausgetrunken war und der letzte Gast auf der Karaoke-Bühne sein Ständchen geträllert hatte, schlug ich vor, in unserem Strandhaus Sex zu haben.

Völlig entsetzt schauten die zwei Männer, sowie die Studentin Bella und mich an. Sex? Wie meinst du das? Fragten sie mich und ich brachte es mit einem Check, den ich ihnen vor die Nase legte, auf den Punkt. Angewidert blickte mich die Dame in der Runde an und wollte von einem der Herren zurück ins Hotel geführt werden. Sie wünschten uns wohl einen Tripper, solch einen verabscheuenden Blick besaßen sie. Der andere Kerl allerdings ließ sich von dem Check locken und verabschiedete sich nicht bei uns, sondern bei seinen Freunden. Während Bella ziemlich angetan von seinem gepflegten Vollbad war, musste ich gestehen, hätte ich lieber die glattrasierte Dame haben wollen.

Trotz allem kennen Bella und ich unsere Spielregeln. Deshalb durften sie unbedeutenden wilden Sex auf der Couch in unserem Strandhaus betreiben. Und irgendwie waren ja dieser behaarte Bär und meine Frau ein schöner Anblick, weshalb ich es mir neben ihnen gemütlich machte, um mich selbst bei diesem Live-Porno zu befriedigen.

In den nächsten Tagen stellte sich heraus: Es war mein Glück, nicht bei diesem Ritt mitgewirkt zu haben. Denn der Bär war infiziert von einer tropischen Krankheit, die er sich wohl an den Tagen zuvor bei einem anderen Stelldichein zugezogen hatte. Unser Leben kam somit noch mehr ins Wanken, da Bella letztendlich ebenfalls infiziert war.

Unser Projekt stand still. Unsere Sorgen galten nur noch ihr. Mehrere Ärzte suchten wir, auf der ganzen Welt, auf. Mehrere Meinungen holten wir ein, die allerdings alle zu ein und demselben Entschluss führten: Meine Frau muss sterben!

Ich wollte es nicht wahrhaben. Mich hat doch schon Hendrik verlassen. Muss mich jetzt auch noch meine Frau im Stich lassen? Egal wie oft und wie lange ich an irgendeinem Tag mal nicht gedanklich bei ihr war – unsere Körper waren stets immer vereint. Wir hatten unser Leben gelebt und geliebt, in vollen Zügen. Wir waren eine Gemeinschaft, ein Team – über ein Jahrzehnt lang. Und jetzt sollte ich alles auf einen Schlag verlieren?

Einige Ärzte sagten auch, dass ihr Tod schleichend kommen kann.

Bella und ich verbrachten einige Tage lang in meinem alten Bungalow am Hafen – eingeschlossen und getrennt von der Außenwelt. Wir erinnerten uns, wie wir bei unserem ersten Treffen tagelang über unsere Zukunft, unsere Ziele, unser Leben philosophierten, während wir nun tagelang darüber nachdenken mussten, wie das Sterben sein wird.

Das Virus bleibt immer übertragbar. Die Ansteckungsgefahr beim Geschlechtsverkehr ist somit zu hoch. Keinen Sex mehr – unvorstellbar. Dabei ist Sex doch genau das, was der große Bestandteil unseres Daseins ausmacht.

Es ist das Spiel, das mich am Leben teilhaben lässt.

Doch durch die Hand meiner Frau werde ich nach und nach das Ziel nicht mehr erreichen – aus meiner Bella wird Isabella.

Es ist die schwarze Nacht, die uns an diesem Abend überrascht. Ich sehe es heute noch vor mir, wie sich die Palmen im stürmischen Wind schütteln, sich dunkle Wolken über dem Ozean breitmachen, wie sich ihre Körper auf und ab bewegen und ich beim Anblick zu zittern beginne. …

Katrin beendet das Lesen und legt das Verewigt-Buch wieder unter ihr Kopfkissen. Nachdenklich betrachtet sie sich die Mittagssonne, die goldbraun in ihr Zimmer scheint. Ein Blick auf ihr Handy verrät mehrere verpasste Anrufe ihres Ehemannes. Doch den Drang ihn zurückzurufen verspürt sie keinesfalls.

Mit den Gedanken noch immer bei Fabians Geschichte bewegt sie sich ins Bad. Dort starrt sie sekundenlang in ihr Spiegelbild und grübelt mit klarem Verstand über ihr eigenes Leben. Näher an ihr Ziel käme sie auf jeden Fall durch Isabellas Tod, damit sie zeitnah in ein neues Leben mit ihrer Tochter starten kann. Denn eine Zukunft mit ihrem spielsüchtigen Ehemann kommt für sie nicht mehr infrage.

Plötzlich klopft es an der Zimmertür.

»Hallo Katrin, Zeit zum Reden?«, erkundigt sich Fabian, nachdem er die Tür geöffnet und ins Zimmer einmarschiert ist. Katrin kommt ihm derweil aus dem Bad entgegen.

»Ihr seid wieder zurück?«

»Na, wie man sieht. Hast du das Buch gelesen? Konnte es dich überzeugen, dass das Leben, das Isabella und ich gerade führen, in keinster Weise unserer Vergangenheit gleicht?«

Schwer atmend setzt sich Katrin auf ihr Bett und gibt nervös zu verstehen, dass beide wahrhaftig bessere Zeiten erlebt hatten. Doch wäre ihm mit dem Freitod Isabellas wirklich geholfen oder gibt es noch eine andere Option. Katrin hadert mit sich.

»Es geht nicht darum, ob mir damit geholfen ist, Katrin, sondern wie unglücklich Isabella im Moment ist. Denn laut den Ärzten wird es schlimmer, eh es besser wird.«

»Und ich würde viel Geld dafür erhalten?«

»Vielleicht nicht ganz so viel, um eure Schulden sofort begleichen zu können, aber mit ein paar weiteren Gefälligkeiten wird sich das sicher bald erfüllen.«

»Also würde ich trotzdem noch weiter bei dir angestellt bleiben. Gib mir noch ein paar Tage, ich lasse mir das Angebot durch den Kopf gehen.«

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