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Verträumt 4

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Aus der Reihe: Verträumt #4
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Vergelten

Meine Zwillinge sagten mir, als ich aus dem Koma wieder erwachte, habe ich gelächelt und geweint. Mir flossen Tränen die Wangen hinunter.

An diesen wohl herbeigesehnten Moment meiner Kinder, kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich mich freier gefühlt hatte. Ich hatte das Gefühl vom Glücklichsein wieder gespürt, das ich einst verloren hatte. Als ob ich etwas aufgearbeitet habe und mir es endlich aus der Seele entnommen wurde. Und gleichzeitig habe ich auch eine in mir gefangene Seele freigelassen. Nämlich die meines Mannes. Der Mensch, für den ich alles getan hätte. Es fühlt sich nicht mehr schäbig an, ich fühle keine Wut mehr darüber, wenn ich mich in Momenten erwische, wo ich mal nicht an ihn gedacht habe. Im Gegenteil, mir zaubert es heute ein Lächeln ins Gesicht.

Er ist nun in mir frei und ich habe mich für unsere lebendigen Kinder entschieden, so wie er es eigentlich von Anfang an von mir wollte. Ich habe ihn endlich losgelassen.

In allen Ausbildungsjahren und Berufsgruppen wurde das Thema ›Soziales Engagement‹ durchgenommen. Ich lernte in meinen jungen Jahren Bürokauffrau und war eigentlich eher wenig interessiert an solch sozialen Dingen. Einem fremden Menschen nach dem Tod Organe spenden, mein Blut abzapfen lassen, freiwillig sich einer Operation stellen, damit jemand anderes Leben kann, all die Dinge interessierten eine 17-Jährige nicht. Und doch entschloss sich mein Vater, mir mein Taschengeld zu erhöhen, falls ich dieses Unterfangen mit meiner Schwester durchgehe. Sie soll sich doch nicht alleine in dieser großen weiten Welt Blut abnehmen und sich typisieren lassen. Dachte er sich und ich dachte mir, weg mit dem Blut, her mit dem Geld.

Warum auch nicht? Ich glaube heute noch, dass dieser Geschwistertag meiner Schwester gutgetan hatte. Sie schaute mich irgendwie danach ganz anders an, bis sie merkte, dass ich nicht mitgegangen bin, um irgendwann Leben retten zu können.

Und doch entschied sich das Schicksal dafür und ich erhielt 17 Jahre später zum richtigen Zeitpunkt Post von der Knochenmarkspenderdatei.

Einige Gewebemerkmale meines Blutbildes stimme mit denen eines Patienten überein. Aus diesem Grund lag bereits eine Spritze in dem Paket bei, die ich bei meinem Hausarzt zur weiteren Untersuchung mitbringen sollte. Allerdings sah ich es nicht ein, mich diesen Strapazen zu unterziehen. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits mit meinen Kindern bei Brandon eingezogen und vollends von seiner Tochter genervt gewesen. Und doch muss ich erläutern, dass mich ein sehr schöner Anruf dazu entschloss, mich doch dieser Möglichkeit zu stellen. Es war nun nicht wirklich ein armer Patient, er war gut betucht und wollte um jeden Preis leben. Das verriet mir der Anrufer am anderen Ende der Leitung. Ich merkte sofort, als ich bei meinem Hausarzt war, mir Blut entnommen lassen hatte und den Fragebogen ausfüllte, dass hinter dem Vorgang jemand an den Rädchen gedreht haben muss. Zu schnell kam wieder Post und zu schnell handelten alle Beteiligten.

Eine hervorragende Übereinstimmung der Gewebemerkmale. Deshalb weitere zwei Blutspritzen und der Termin für die Operation kam in Windeseile. Ich sehnte mich so sehr nach einem Neubeginn. Mittlerweile, um so heißer die Sache vorangeschritten ist, handelte ich auch gute Konditionen bei dem wohlhabenden Patienten aus. Weshalb ich wusste, wenn ich diese Knochenmarkspende vollzogen habe, werde ich diesen Brandon und seine Tochter mit meinen Kindern verlassen.

So kam der Tag X und ich lag unter dem Messer. Sehr zum Leid meiner Familie kamen einige Komplikationen auf und ich fiel in ein Koma. Das Knochenmark kam trotzdem heil bei dem Patienten an. Und das durfte ich nach meinem glücklichen Erwachen feiern. Ich sehe heute noch Brandons Gesicht vor mir, wie er mich ansah als er mir vorspielte, wie sehr er sich freue, dass ich wieder aufgewacht bin. Ich hatte von diesem Augenblick bereits geahnt, dieser Mann verheimlicht mir etwas, genauso wie ich ihm etwas verheimlicht habe.

Nach Tagen der Heilung und den vielen Gesprächen, teilte mir meine Mutter dann doch brühwarm mit, dass Brandon wieder mit seiner Frau zusammen sei. Ich lachte nur und wünschte ihnen die Pest an den Hals. Als hätte ich von Anfang an nicht gewusst, dass dieser Mann nur eine Babysitterin für seine Rotznase gebraucht hatte. Ich lag dem Polizisten wohl zu lange im Koma, alleine bändigen konnte er sie nicht, denke ich mir heute. Nun, gestört hat mich es allerdings kein bisschen und als ich das erste Mal im Krankenhaus mein Kontostand zu Gesicht bekommen hatte, tja, ab da an hatte ich ganz andere Gedanken gehegt.

Mein Traum vom Haus am Hafen der Stadt, das war von nun an kein Traum mehr. Ich holte allerdings nicht nur meine Zwillinge mit an Bord, nein, auch Omache Ulli sollte wieder die gesunde Meeresbrise schnuppern können. Meine Güte, sie freute sich herzlichst über diese Einladung mit uns ein Haus zu teilen, ein Domizil komplett an ihre Beeinträchtigung angepasst. Ach, in ihr sehe ich meinen Mann, immer noch. Und das macht mich glücklich, um so mehr, als wir schließlich ein bezugfertiges Küstenhaus gefunden haben und eingezogen sind. Es war traumhaft. Omache besorgte mir sogar einen sehr gut bezahlten Job. Irgendwie mussten ja die Unkosten trotz allem Geldüberfluss gehalten werden. Und meinen Laden ›Dreiviertel Mond‹ habe ich leider so sehr vernachlässigt, dass er absolut keinen Gewinn mehr abgeworfen hat.

Ach ja, was für einen Job sie mir besorgt hat? In ihrer alten Bank wurde der Posten einer Sekretärin frei. Omaches Ex-Mann kündigte seiner Geliebten den Schreibtischjob, weil sie ihn mit einem jüngeren Mann betrogen hatte. Welch Ironie des Schicksals. Und da der gute Mann einige eheliche Schulden bei seiner Ulrike hat, erhielt ich ein überbezahltes Gehalt. Ich möchte es ja nicht so laut sagen, aber die Arbeit ist kinderleicht. Es gibt unzählige Zeitschriften, die nur darauf warten von mir persönlich gelesen zu werden. Genau das Richtige für mich, nicht wahr?

Meine Altlasten nach und nach in den tiefsten Gruben begraben, musste nun auch mein Kindheitstraum, mein Laden, an die Schließung glauben. Anfangen konnte ich mit ihm leider nichts mehr, weshalb ich meine Ware verschenkte und die Möbel der alten Wohnung spendete.

Es war der Tag der Schlüsselübergabe. Daran erinnere ich mich noch sehr genau, an dem plötzlich diese Masseurin aus der ›Wohlfühloase‹ die Ladentür öffnete, die kleine Glocke von der Decke riss und zu mir sagte: „Eines Tages werde ich jemanden ausfindig machen, der die Glocke findet und sie wieder zurückbringt, sodass aus der Sumpfgrotte der Waldzauber wieder hervorscheinen kann.“

Und so überraschend wie sie hereinkam, verschwand sie auch wieder.

Dass mir diese Frau ziemlich vertraut vorkam, das spielte allerdings keine Rolle mehr. Denn vielmehr erinnerte ich mich auf meinen Tresen blickend an eine andere Person.

Kein Tag später fuhr ich mit dem Aufzug zum Loft in den vierten Stock hoch und wurde zu meinem Erstaunen auch freundlich von Brandons Frau begrüßt. Sie sollte einfach wieder in ihr Bad huschen, das nun mit Backsteinen ummauert wurde. Was ich mit ihrem Mann zu besprechen hatte, das ging sie nichts an. Denn eigentlich wollte ich auch nichts von ihm, sondern vom Polizisten, der in diesem Körper steckte.

Nun, ich wollte nicht allzu lange dort verweilen, weshalb ich sofort ohne Umschweife meine Forderrung an meinen Ex-Freund stellte. Ich brauchte den Aufenthaltsort eines Menschen und eine Pistole.

Uhh, dieser Schreck ließ sein Gesicht zu einer Grimasse erstarren, aber trotzdem argumentierte ich weiter und appellierte an seine schwache Persönlichkeit. Er verlangte ein paar Tage, die ich ihm auch gab. Zufrieden stieg ich wieder zurück in den Aufzug, doch kurz bevor die Türen sich gänzlich schlossen, musste sich die kleine Rotznase von Clara mit in den Lift zecken. Die ganze Fahrt nach unten schwieg ich sie an, während sie mir erzählte, dass sie am Anfang wirklich hoffte in mir eine gute Freundin finden zu können. Wobei ich mich immer noch frage, in welcher Traumwelt sie wohl lebte. Man war ich froh, als ich fliehen konnte. Sie stand zwar ziemlich betrübt und traurig da, weil ich ihr keine Hand gereicht hatte, aber wer früh lernt, dass nicht jedem Menschen zu trauen ist, der erspart sich einige Sorgen.

Lebe wohl, kleine Clara, dachte ich mir nun. Doch in den Arm hätte ich sie trotzdem nicht genommen. Womöglich hätte sie noch nach Zigarettenrauch gestunken. Igitt! Pfui!

Jetzt aber zu meinem Highlight. Tage später erhielt ich von Brandon ein Paket mit einer Anschrift und einer Pistole. Zugleich verabschiedete ich mich bei Omache Ulli, bei Fabian und Median. Ein Arbeitsseminar gaukelte ich ihnen vor. Ich mache eine Weiterbildung, bla, bla, bla. Natürlich meldete ich mich allerdings auf der Arbeit krank. Omache glaubte mir jedoch kein einziges Wort, trotzdem ließ sie mich ohne Weiteres fahren.

Ich fuhr gedankenlos aus der Stadt in einen Kiez und folgte zielsicher meinem Plan. Bis am Abend der Gauner, welcher am Anfang meiner Geschichte wie der König der Welt in meinen Laden hereinspaziert ist, den Schrecken seines Lebens erhielt. Er gewährte mir arglos Zutritt in sein verkümmertes, liebloses Reich. Sein Fehler, denn blitzschnell drückte ich ihm die geladene Pistole zwischen die weit aufgerissenen Augen. Zittrig fragte er sich, wohin er mich einzuordnen hat, doch ich gab ihm keine Antwort darauf. Ich setzte mich lieber auf einen Stuhl, um ein wenig über andere Dinge zu quasseln. Ihm ist der Angstschweiß die Stirn heruntergelaufen, bis er selbst darauf gekommen ist und mich meinem Laden zuordnen konnte.

 

„Aber, ich habe doch nichts getan, habe mich nur umgesehen“, sagte er mir. Das war gelogen, denn er wollte lediglich schauen, ob es sich lohnt dieses Geschäft zu überfallen. „Ich habe nie einem Menschen etwas angetan, also was willst du von mir und wie hast du mich gefunden?“, beteuerte er immer wieder. Geschockt schaute er vor lauter Angst lieber in den Lauf der Pistole, als in meine Augen. Ich wollte nicht so biestig sein und erklärte ihm, dass man nicht überall mit EC zahlen sollte, denn auf der steht dick und fett sein Name darauf. Und das mir einst Omache Ulli auf den Weg mitgeben hat, dass man sich Gesichter gut merken sollte, erwies sich in dieser Situation nun zu meinem Vorteil, zumindest habe ich ihn anhand seiner Stimme erkennen können. Ich sagte zu ihm, dass dies nicht stimme, er hat bereits mindestens einem Menschen Leid zugefügt. Zwar nicht im Moment des Überfalles, aber mit den daraus resultierenden Ereignissen. Und auch, selbst wenn es der Einzige gewesen sein soll, so sollte er wenigstens für diesen Menschen zahlen. Er konnte mir nicht folgen. Womöglich hat er bereits mehrere Raubüberfälle mit seinen Kumpanen begangen. Zu viele, um sich an meinen Mann und mich als wir damals im Restaurant waren, zu erinnern.

Plötzlich fing er an zu weinen, flehte um Gnade, um Erbarmen, er wolle sein Leben nicht verlieren. Dabei wusste er nicht mal, weshalb ich da bin, warum ich ihm die Pistole vors Gesicht halte.

Ich lachte gehässig über sein erbärmliches Erscheinungsbild. Dieser Mann hat indirekt meine Liebe auf dem Gewissen und er weiß es nicht einmal. Es wird ihn auch niemals interessieren. In diesem Moment dachte ich, wird diese Vergeltung meine Genugtuung sein oder haben mich meine Träume besänftigt?

Epilog

13 Jahre später

Hell strahlt die Sonne vom stahlblauen Firmament, während an diesem warmen Sommertag ein kühlendes Lüftchen durch die Stadt zieht. Strahlende Gesichter, euphorisierende Gespräche, spielende Kinder. Die wunderbaren Temperaturen locken viele Menschen nach draußen, wodurch auch der Spielplatz, an dem einst Clara ihre erste Zigarette geraucht hatte, voller pulsierendem Leben ist.

Hier suchen die Menschen in jeder Ecke ihren glücklichen Moment, sei es mit dem Partner auf einer Picknick-Decke oder gemütlich allein auf der Parkbank. Freude am Leben springt ausnahmslos auf jeden über und zaubert ihnen ein entspanntes Lächeln ins Gesicht.

So findet sich auch Veronika überraschenderweise auf dem Spielplatz wieder. Die mittlerweile 47-Jährige schaukelt, lebensfroh und über das ganze Gesicht strahlend, mit einem 3-jährigen Mädchen auf ihrem Schoß, welches sichtlich am Down-Syndrom erkrankt ist. Angestoßen werden sie von Median, der mit seinen 24 Jahren immer noch diese Unbeschwertheit der Jugend ausstrahlt. Das beeinträchtigte Mädchen scheint auf den Namen Evie zu hören.

Auf einmal ist auch eine bekannte Mädchenstimme zu vernehmen, die immer wieder ruft. Aus der Blase des Spielens gerissen, blickt Median in Richtung Zaun und entdeckt zu seiner Überraschung Clara dahinter. Sie winkt mit beiden Händen gen Himmel gestreckt erwartungsvoll ihrem ehemaligen Stiefbruder zu.

»Hey Fabian, komm doch mal her!«

»Ist nicht wahr«, beurteilt Median lächelnd die Situation, woraufhin er sofort das Anschubsen beendet und freudig zu Clara marschiert. Veronika schaut ihm derweil mit kritisch erhobener Augenbraue und sicherer Distanz argwöhnisch hinterher.

»Unglaublich, wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?«, fragt Median und umarmt Clara beherzt, wobei er sich über die brusthohe Absperrung beugt. Anschließend verrät er schelmisch, dass sie Median und nicht Fabian vorm Gesicht hat.

»Na bestimmt über 10 Jahre. Hey, das ist eine Überraschung. Ich habe eben meinen Bus zur Uni verpasst und dachte mir, hey laufe ich halt schon mal zur nächsten Haltestelle. Dabei schwelgte ich kurz beim Anblick von diesem Spielplatz in Erinnerungen und traute meinen Augen kaum, als ich euch sah. Ich verinnerlichte nochmal, dass Rauchen keine gute Sache ist.«

»In die Uni, aha, was studierst du denn?«

»Psychologie. Und was habt ihr gemacht, nachdem ihr zum Hafen gezogen seit?«

»Nach unserer Schullaufbahn haben Fabian und ich die Ausbildung zum Hotelfachmann absolviert. Mein Ding war es aber nicht so. Fabians wiederum schon und er eröffnete sogar sein eigenes Hotel.«

»Wirklich?«

»Er ist auch mit viel Herzblut dabei und es läuft gut für ihn. Anfangs habe ich ihm noch zur Seite gestanden, allerdings bin ich mittlerweile ausgestiegen. Jetzt mache ich etwas Schlichtes aber Solides, nämlich eine Ausbildung zum Schreiner. Hier um die Ecke habe ich eine gemütliche Altbauwohnung«, verkündet er voller Stolz.

»Das passt eher zu dir, das ist schön.«

»Mama unterstützt mich ein wenig, so ein Neuanfang mit einem Azubigehalt ist schwierig.«

»Ja, ich habe Veronika auf der Schaukel bereits entdeckt. Ist das deine Tochter?«, fragt Clara gespannt.

»Ah, Evie? Nein, aber ich habe sie trotzdem ins Herz geschlossen. Sie ist die Tochter meiner Cousine. Sie ist alleinerziehend und etwas überfordert. Ich greife ihr da gerne unter die Arme und Veronika hat sich auch bereits in Evie verguckt.«

»Ist aber auch eine Süße, wirklich. Und Veronika, so ungewöhnlich liebevoll? Denkst du, die würde auch mal an den Zaun kommen?«

»Ich frage mal.«

»Ach ´ne, doch lieber nicht, Median. Ist schon gut«, sagt sie mit angstvoller Stimme ab.

Median allerdings akzeptiert diesen Rückzieher nicht und kehrt Clara freudestrahlend den Rücken.

»Wer da, Medi?«, lispelt die kleine Evie zuckersüß auf dem Schoß von Veronika sitzend, während beide noch immer auf der Schaukel hin und her wippen.

»Mama, Lust mit Clara ein paar Worte zu wechseln?«, fragt Median verhalten.

Für einen kleinen Moment lebt die alte Arroganz und Ignoranz Clara gegenüber in Veronika wieder auf. Sie zeigt ihren hochmütigen ›von oben herab Blick“, ziert sich wider Erwarten allerdings trotzdem nicht und setzt Evie ab, um anschließend mit erhöhtem Puls das kleine Mädchen in der Obhut ihres Sohnes zu lassen.

»Sie studiert Psychologie«, erwähnt er noch schnell, völlig begeistert.

»Hallo Veronika«, erklingt es nervös und zittrig aus Claras Munde, dabei verliert sie sich in den abwertenden Augen ihrer ehemaligen Stiefmutter.

»Meine Liebe, ich habe keine Lust mich mit dir zu unterhalten, während zwischen uns ein Zaun ist. Komm, lass uns da vorne in die Eisdiele gehen.«

»Eben ist mir aber ein Stein vom Herzen gefallen, hast du ihn gehört?«, grinst Clara angenehm überrascht.

Median und Evie toben derweil, ausgelassen und sorgenfrei, als gäbe es kein Morgen mehr, auf dem Spielplatz weiter. Zwischendrin schenkt Median seiner Mutter einen zusprechenden und zufriedenen Blick.

Und während die Strahlen der Sonne weiter das Herz im Innern berühren, haben sich Veronika und Clara in der gegenüberliegenden Eisdiele einen Platz am Fenster ergattert. Die Sicht über die Straße zum Spielplatz ist dabei trotzdem gegeben. In diesem kleinen Moment der Stille, nachdem beide ihr Getränk erhalten haben, erkennt Clara in Veronika nicht mehr die Person wieder, die einst einen Groll gegen sie gehegt hatte.

»Wie geht es deinen Eltern?«, fragt Veronika lächelnd.

»Papa geht’s gut, wie immer. Er lässt ja nichts an sich ran. Mama hingegen starb zwei Jahre später, nachdem sie wieder bei uns eingezogen war.«

»Das tut mir leid, meine Liebe.«

»Gut, ich war 15 Jahre, ein Schlüsselkind eben. Aber irgendwie war ich es ja gewohnt.«

»Deine Mutter litt an Depressionen, nicht wahr? Deshalb studierst du bestimmt auch Psychologie, um die Beweggründe besser verstehen zu können?«

»Du weißt davon?«

»Natürlich wusste ich das. Diese Arbeitskollegin deines Vaters erzählte mir zwar, sie würden sich im Trennungsjahr befinden, weil deine Mutter nicht mit dem Job von Brandon klar kam. Aber mir macht man so schnell nichts vor. Dein Vater neigt dazu, Dinge zu verschönern, doch wem erzähle ich das.«

»Wir wären besser in dem Dörfchen geblieben. Soll ich ehrlich sein? Ich glaube, mein Vater hat Mama nur wieder zu sich geholt meinetwegen. Wäre sie bei Großmutter geblieben, wäre es ihr bestimmt besser ergangen. Aber trotzdem, ich habe das alles überlebt und habe wirklich zum Schluss nur an meine Zukunft gedacht.

Im Übrigen Veronika, und das meine ich wirklich im Ernst, du warst immer mein Vorbild. So eine taffe Frau, alleinerziehend und solch perfekte Söhne. Immer straight und knallhart. Du warst mein Idol, trotz deines unrühmlichen Abgangs. Ich bin direkt mit 18 in eine eigene WG gezogen, schnell raus aus dem Loft. Irgendwie musst du etwas dagelassen haben, ein Stück Stärke, das ich immer aufbewahrt habe, um mit dem Schicksal meiner Mutter und dem meinen klar zu kommen.

Mamas Geheul, nachts, wenn es still war, ihre Selbstmordandrohungen, wenn ihr plötzlich alles wieder zu viel wurde, all das schockierte mich lang vor deiner Zeit viel mehr.«

»Weißt du noch, meine Liebe, die letzte Situation im Aufzug, als ich dir keine Beachtung schenkte?«, fragt Veronika nippend aus ihrer Tasse Kaffee.

»Ja, als wäre es gestern gewesen.«

»Ich wusste das, was du mir gerade alles erzählst, schon damals und ich war mir sicher, dass das Bild von mir durch eine rührende Umarmung verfälscht worden wäre. Es hätte mich verweichlicht und dich ins Schludern gebracht. Clara, wir hätten uns nie verstanden. Egal, in welcher Konstellation, dafür sind wir uns zu ähnlich, meine Liebe.«

»Veronika, so sehr ich dich gehasst habe, so sehr habe ich dich vergöttert. Wirklich, ich finde es wirklich schön, dass du dich mit mir auf das Gespräch eingelassen hast.«

»Das finde ich auch schön, meine Liebe. Aber du bist dir dessen bewusst, dass es das letzte Gespräch zwischen uns sein wird. Denn mit Konkurrenz kann ich leider nicht so gut umgehen, das verstehst du sicherlich?«

Selig lächelnd bejaht Clara ihr vollstes Verständnis, um sich dann anschließend zu erheben. Wortlos und ohne sich noch einmal umzudrehen, verlässt sie mit einem glücklichen Gesichtsausdruck die Eisdiele.

Veronika blickt mit feuchten Augen durch das Fenster und schaut noch einen Moment ihrem Sohn, der mit der kleinen Evie spielt, zu, bis dann auch sie, voller Zufriedenheit, tief einatmet und ihre Geschichte hiermit beendet.

– Böse ist, wer Böses denkt.

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