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Verträumt 4

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Aus der Reihe: Verträumt #4
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Verschieden

Ich hatte noch nie so das richtig gute Verhältnis zu meiner Schwester gehabt, wie es andere Geschwister vorweisen können. Wir wollten es aber auch beide nicht so recht. Zu verschieden waren unsere Charaktere. Mutter zog uns wohl mit unterschiedlicher Liebe auf. Dabei bin ich anscheinend zu kurz gekommen, denn meine Wenigkeit war schon immer etwas rebellischer und unerzogener. Ich dachte immer einen Schritt voraus und versuchte mir die unwichtigsten Dinge zu merken. Gebracht hat es fast nie was. Sie und ich wuchsen in einem Landhaus mit unseren Eltern auf. Möglichkeiten über das Dach in die wilden Klubs zu fliehen, nutzte ich regelmäßig. Meine Schwester konnte man höchstens mittags auf ein Eis überreden, für mehr wollte sich Frau Langeweile nicht begeistern lassen. Ich probierte es, auf Wunsch meines Vaters, auch nur einmal aus. Danach lebte ich meines und sie lebte ihr Leben.

Sie war jünger – zwei Jahre – also am Altersunterschied dürfte es nicht gelegen haben. Allerdings erlangte sie durch ihre Stubenhockerei einen gewissen Vorteil, weshalb sie mich wohl auch in der Schule mit den Noten überholte und schon als Erstes einen vorzeigbaren Mann, gefunden in irgendeinem Leistungskurs, nach Hause brachte. Sie war im Handumdrehen sesshaft und wollte schnell eine Familie. Oh Gott, hat sie immer genervt, wenn sie als Kind mit ihren Barbies Vater-Mutter-Kind spielen wollte. Ich hingegen zog ihnen gerne den Kopf ab und buddelte sie im Garten ein, setzte Blumentöpfe darauf und spielte lieber eine Beerdigung.

Ich glaube, der erste Kerl, den sie mal herangeschleppt hatte, war bis dahin ihr einziger gewesen – jedem das Seine. Nun, meine große Liebe fand ich selbstverständlich dann auch und ich liebte meinen Mann abgöttisch, auch wenn ich erst anfing ernsthaft einen zu suchen, als meine Schwester von zu Hause ausgezogen und bei ihrem Kerl eingezogen war. Ich beeilte mich mit allem, was ich tat. Eifersucht? Neid? Vielleicht ein bisschen. Vielleicht hatte ich das Gefühl, etwas zu verpassen – hinterherzuhinken. Aber sie war auch soo perfekt. Meine Güte fühlte sie sich in der Gegenwart ihres Mannes wichtig und angesehen. Die Welt lag ihr zu Füßen, an der sie in ihrem Leben bislang kein Interesse gezeigt hatte. Für mich hingegen war nun der Zeitpunkt gekommen, meine kleine innere Welt zu erforschen und das gemeinsam mit meinem Mann.

Dass es mit der Kinderplanung nicht so funktioniert hatte wie gedacht und dass wir uns dann für die Adoption entschieden, ist bekannt. Dass ich aber die Intelligenz besessen hatte und gleich zwei Kinder wollte, damit dürfte meine, ach so perfekte, Schwester wohl nicht gerechnet haben. Denn ein paar Jahre später wurde sie wieder schwanger und wir hatten Gleichstand.

Ein Jahr später allerdings musste meine Schwester mich natürlich übertrumpfen und bekam noch einen Sohn. Doch das Schicksal wollte es anders und der kleine Mann starb leider mit einem Jahr. Das Leben ist eben unberechenbar und nicht immer fair. Das musste meine Schwester nun am eigenen Leib erfahren.

»Sorge dafür, dass sich dein Kind in Zukunft nicht mehr im Ton vergreift, sonst vergesse ich mich«, droht Veronika ihrem Lebensgefährten mit eisernem Blick, nachdem sie das Kinderzimmer ihrer Stieftochter wieder verlassen hat.

Kopfschüttelnd läuft sie zu ihren Kindern in Richtung Küche, dabei wird sie vom warmen Licht der Abenddämmerung umschmeichelt, das durch das große und zugleich einzige Fenster fällt, um diesem tristen und verregneten Herbsttag doch noch eine gewisse Behaglichkeit zu entlocken.

»Und ihr, meine Lieben, schaut euch ja nichts von der kleinen Rotznase ab, sonst schmeiß ich euch im hohen Bogen die Tür raus«, droht Veronika, während sie sich zu ihren Kindern an den Tresen setzt.

Mit ihren 11 Jahren denken die Zwillinge aber noch nicht einmal daran gegen ihre Mutter zu rebellieren. Sie sehen ihr lieber mit großen Augen zu, wie sie eine riesige Schüssel Nudelsalat umrührt.

Brandon stellt derweil Salz und Pfeffer auf den gedeckten Tisch, um sich schließlich ebenfalls am Tresen zu platzieren.

»Clara, wir essen!«, ruft der Vater mit gesenktem Blick.

»Das Baguette, mein Lieber«, erinnert Veronika Brandon daran, dass der Korb mit dem Stangenweißbrot noch auf der Küchendiele steht.

Völlig verlegen springt er auf, um es zu holen. Dabei füllt Veronika fünf Teller, während sich Clara stillschweigend an ihren Platz in der Familienrunde gesellt.

Das diffuse Licht über ihnen erhellt die Umgebung um sie herum und Veronika beobachtet ihre Stieftochter, wie sie in Gedanken verloren ein paar Nudeln mit der Gabel aufspießt.

»Lasst es euch schmecken«, versucht Brandon die angespannte Stimmung zu lockern und greift dabei beherzt als Erster in den Brotkorb.

Während Median und Fabian ihr Essen bereits aus gutem Grund vor der Verköstigung nachwürzen, schiebt sich Clara angeödet ihre Gabel in den Mund. Kaum landet die Speise auf ihrer Zunge, verwandelt sich der gelangweilte Gesichtsausdruck in einen voller Ekel.

»Clara, wie lange leben wir nun schon unter einem Dach?«, erfragt Veronika, während das Fräulein, sichtlich angewidert, die Nudeln provokativ gemach wieder in den Teller spuckt.

»So langsam müsstest du es wissen, meine Liebe.«

»Wieso Papa, wieso kann man hier nicht, wie früher bei Mama, das Essen genießen, ohne nachwürzen zu müssen? Ich habe mir letztens mein Steak selbst braten müssen. Ist das normal?«

»Jeder will sein Essen anders haben«, antwortet Brandon, der auf Pfeffer und Salz gewartet hat, um ebenfalls seinen Nudelsalat zu verbessern.

»Die ist doch keine richtige Mutter!«, pfeift Clara plötzlich vor Wut.

Voller Zorn beugt sich Veronika herausfordernd über den Tresen, so nahe an Claras Gesicht, dass diese ihren unangenehmen Atem riechen kann.

»Vor allen Dingen nicht deine Mutter!«, versucht Veronika sich zu verteidigen.

»Zum Glück!«, kontert Clara spöttisch.

Dieser Tropfen bringt das Fass zum Überlaufen, weshalb, die nun erst richtig angefressene Stiefmutter, Claras Teller auf den Boden schmettert. Dies geschieht mit solch einer Wucht, dass er mit einem lauten Knall in tausend Stücke zerbricht, um sich dann mit dem Nudelsalat zu vereinen.

»Veronika Schatz«, kommen die Wörter nur ängstlich, stotternd aus Brandons Mund, während er dabei zusieht, wie Median und Fabian mit schnellen Schritten das Weite in ihrem Kinderzimmer suchen.

»Wenn dir das Essen nicht schmeckt, meine Liebe, und du zu verwöhnt bist, um es dir selbst nachzuwürzen, dann hast du auch keinen Hunger!«

Zitternd am ganzen Körper ist Clara sichtlich geschockt von der spöttischen Reaktion ihrer Stiefmutter. Diese wiederum geht, ohne mit der Wimper zu zucken, einfach zur Tagesordnung über. Sie lehnt sich nämlich nach ihrer sarkastischen Aussage nur boshaft grinsend, als wäre nichts gewesen, selbstgefällig an ihren Stuhl an, um in aller Ruhe Salz und Pfeffer über ihr Essen zu streuen.

»Okay Clara, geh in dein Zimmer, bitte«, befiehlt Brandon seiner Tochter, um weiteren unbequemen Diskussionen aus dem Weg zu gehen.

Doch die Worte überhört sie wutentbrannt, verdrückt dabei aus Zorn und Enttäuschung eine Träne, die sich langsam ihren Weg über die zitternde Wange sucht. Hierbei wirft sie einen verachtenden Blick zu Veronika, die teilnahmslos zu essen beginnt.

»Ich hasse dich!«, schreit Clara schlagartig, neben sich stehend und krallt sich blitzschnell Veronikas Teller, um ihn ebenfalls krachend auf den Boden zu pfeffern.

Daraufhin schnappt Brandon mit festem Griff seine wimmernde Tochter am Handgelenk und zerrt sie in ihr Zimmer.

Von Veronika hingegen ist kein Laut zu hören. Sie zieht währenddessen lieber die Teller ihrer Kinder zu sich, sticht mit der Gabel ein paar Nudeln auf, welche sie in ihren Mund befördert und verschwindet anschließend, verschmitzt, mit den Tellern in den Händen ins Zimmer ihrer Kinder.

»Papa, sie ist heimtückisch und total gemein«, verteidigt sich Clara auf ihrem Bett sitzend, tränenüberströmt.

Dabei wischt sie sich andauernd das Gesicht trocken.

»Du musst dich endlich mit ihr arrangieren, Clara. Du wolltest von Mama weg und wieder in deine alte Schule, weil du keinen Anschluss in der neuen gefunden hast. Jetzt musst du irgendwie versuchen Veronika zu akzeptieren und das mit all ihren Regeln.«

»Sie kann doch einfach die Mahlzeiten fertig machen, wie in jedem normalen Haushalt. Papa, wenn ich das machen muss, schmeckt mir mein Essen nicht.«

»Schatz, ich würde ja sagen, ich würze dir dein Essen, aber dann schmeckt es auch nicht besser«, versucht Brandon seine Tochter liebevoll zu beruhigen, streicht ihr dabei tröstend durch die Haare und wird dafür mit einem Lächeln belohnt.

»Sie ist doof, Papa. Really doof.«

»Sie ist einfach nur anders«, nimmt er seine Geliebte in Schutz.

Mit einem Kuss auf die Stirn, verabschiedet sich Brandon von Clara, um anschließend mit einem hoffnungsvollen Gesichtsausdruck das heimische Zimmer zu verlassen. Dieser ändert sich jedoch schlagartig, als er die Sauerei in der Küche sieht. Für einen Moment von dieser Situation überfordert, schickt er den Stress zusammen mit einem Stoßgebet gen Himmel. Dadurch von dieser Anspannung befreit, stellt er sich dann voller Tatendrang dieser Gegebenheit und beseitigt zuerst die Scherben. Danach zieht er noch Frischhaltefolie über die Schüssel mit Nudelsalat und stellt diese in den Kühlschrank. Doch bereits auf dem Rückweg zum Tresen kratzt er sich nachdenklich am Kopf, da ihm die Lust, weiter aufzuräumen, schon wieder vergangen ist. In diesem Augenblick kommt Veronika mit zwei leeren Tellern aus dem Kinderzimmer ihrer Zwillinge heraus und bemerkt noch immer die Essensreste auf dem Boden.

 

»Mein Lieber, zu mehr hast du es nicht geschafft?«

Arrogant marschiert Veronika zur Spülmaschine und stellt das Geschirr hinein. Sie wird dabei von Brandon kleinlaut auf den Streit angesprochen, aber sie lehnt jegliche Unterhaltung zu diesem Thema strikt ab.

Doch zu seiner Überraschung schmiegt sie sich viel lieber an seine harte Brust, als ein klärendes Gespräch zu führen und lässt ihn damit auf ganz andere Gedanken kommen.

»Das regelt sich von alleine. Richtig, Veronika Schatz?«, wünscht er sich eine Bestätigung, um sein Gewissen zu beruhigen.

»Was wäre ich für ein Mensch, wenn ich wollte, dass du dich zwischen deiner Tochter und mir entscheiden müsstest?«, hinterfragt sie voller Ironie, die er aber – da voller Harmonie – nicht bemerkt.

Ihrer Macht bewusst küsst Veronika mit ihren weichen Lippen einfach alle Bedenken weg. Sie fasst dabei zärtlich seine Hände an und möchte dort weitermachen, wo Brandon am Abend zuvor gedanklich bereits angekommen war.

Und so zieht Veronika auf der Loggia ihres Schlafzimmers die Trennwand zum anderen Balkon zu und lässt die Düsen des Whirlpools mit Höchstleistung brummen, damit der erzeugte Massagestrahl zur Entspannung beitragen kann.

Während an diesem kalten Abend der Wind die bräunlichen Blätter der Baumkronen, leise raschelnd, auf dem Industriegelände verteilt und der Mond bereits sein fahles Licht auf das Gebäude fallen lässt, darf dem Pärchen zugesehen werden, wie es nackt in den dampfenden Pool steigt.

Veronikas Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, bewegt sich, die vor Leidenschaft glühende Frau, lasziv auf Brandons Körpermitte in einem immer schneller werdenden Rhythmus auf und ab. Je fordernder die Bewegungen werden, desto intensiver wird das Stöhnen, das sie in völliger Ekstase, mit geschlossenen Augen gen Himmel schickt. Voller Wollust und restlos in Veronikas erotischen Rausch hineingezogen, fahren seine Hände ihren nassen, vor Verzückung bebenden, Rücken empor, um anschließend die Haare seiner Geliebten zu öffnen. Doch dieser Wunsch wird Brandon verwehrt, denn sofort platziert Veronika seine Hände an ihrer Hüfte, um mit einem hemmungslosen Aufschrei zum Höhepunkt ihres Liebesaktes zu kommen.

Zeuge dieses lustvollen Intermezzos war nur der verschwiegene Mond und für kurze Zeit Clara, die auf dem Balkon nebenan, trotz zugezogener Trennwand, diese widerlichen Geräusche nicht überhören konnte, bis sie sich angeekelt dafür entschied, ihr Fenster zu schließen.

Stunden später ist die große Wanduhr im Wohnbereich des Lofts zwölfmal schlagen zu hören und zu sehen ist in dieser Nachtstunde Veronika, die in ihrem Schlafanzug das Zimmer verlässt. Die Ruhe und die Nachtschatten sind eingekehrt. Nur kleine winzige Lichtquellen an den Wänden erhellen den Weg ins Bad, damit ohne zu stolpern die Toilette zu erreichen ist. Dort wiederum sind die Strahler so hell, dass es sich nicht verhindern lässt, die Augen im ersten Moment zuzukneifen, um nicht geblendet zu werden. Doch dieser Umstand hält einen nicht davon ab, sein Geschäft in diesem extravaganten Badezimmer, umgeben von der schönen Milchglaswand, zu verrichten.

Nachdem die 34-jährige Mutter alles erledigt hat und das Licht wieder über dem Badezimmer erloschen ist, entdeckt Veronika auf dem Weg zum Schlafgemach ein Buch vor der Tür ihrer Kinder liegen. Neugierig nimmt sie Medians Freundschaftsbuch hoch und stellt sich unter eine Wandlampe, um darin zu blättern. Findet dann auch Claras Seite und den Wunsch für Median, den sie darin geäußert hat.

›Ich wünsche mir für dich, dass deine Eltern, sowie meine Eltern wieder zusammenkommen.‹

Nach diesem Satz schlägt sie das Buch mit brennenden Augen zu, wird dabei von einem Blitz geblendet, dessen anschließender Donner für eine turbulente Nacht sorgt. Das Unwetter beschert ihnen die halbe Nacht einen unruhigen Schlaf, bis am frühen Morgen nur noch abgeknickte Äste daran erinnern.

Leise hallt in den frühen Morgenstunden die Musik eines TV-Senders durch Claras kleines Reich, die mit neuer Euphorie ihre Haare vor dem Spiegel frisiert. Fröhlich pfeifend genießt das junge Mädchen ihre frischen Gedanken, bis ihr Vater anklopft und sie ihn hereinbittet.

»Morgen Papa«, begrüßt sie ihn liebevoll, woraufhin Brandon die Lautstärke leiser regelt und im geschlossenen Kinderzimmer Clara mehrere Busfahrtickets in die Hand drückt.

»Die musst du einfach abstempeln lassen. Kein Bezahlen mehr vorne beim Busfahrer.«

»Hä? Was soll ich damit?«

»Das sind Stempelkarten für den Schulbus.«

»Really?«, stockt Clara der Atem und legt dabei ihre Haarbürste auf die Kommode.

»Dein Ernst, Papa?«

»Ja, mein Schatz, wir müssen jetzt ein bisschen taktischer vorgehen und Veronika mehr Luft zum Atmen lassen, bis sie sich wieder beruhigt hat.«

»Oh, … du, nein, … du kannst doch nicht zulassen, dass die Zwillinge in die Schule gefahren werden, während ich den gleichen Weg mit dem Bus nehmen muss.«

»Ich muss jetzt arbeiten, Clara. Um halb Acht fährt er vorne an der Ecke los. Sei lieb mein Schatz.«

Geschockt versteht Clara ihre kleine Welt nicht mehr, während der Vater der Situation entflieht, indem er sich aus dem Staub macht. Völlig perplex blickt Clara mit den Fahrkarten in der Hand auf die Tür, wünscht sich dabei den ersten April herbei und die Zuversicht, das wäre jetzt ein Scherz. Doch dieser Wunsch bleibt unerfüllt.

Gleichzeitig bekommt Veronika im Wohnbereich nebenan die Post von ihrem Sohn Fabian in die Hand gedrückt. Daraufhin verabschiedet sie sich von ihrem Lebensgefährten und reißt mit flinken Fingern einen, wohl langersehnten Brief, nicht gerade zimperlich auf.

»Ist es bald soweit, Mama?«, fragt Median vom Tresen aus und stopft sich einen Löffel Cornflakes in den Mund. Lächelnd liest Veronika den Brief auf der Couch, nickt dabei überaus glücklich und bejaht die Frage ihres Sohnes.

Plötzlich stürmt Clara aus ihrem Kinderzimmer und bleibt mit Rucksack und wärmender Kleidung versehen vor der Lifttür stehen. Dort wartet sie selbstbeherrscht und dabei innerlich vor Wut kochend. Sie spürt Veronikas bösen Blick förmlich in ihrem Rücken brennen. Diese schaut dann auch kurz auf die Wanduhr, um anschließend Clara höhnisch darauf hinzuweisen, dass sie noch reichlich Zeit hat.

»Lieber bin ich eine Stunde früher in der Schule, als noch länger in diesem Loft!«

»Wie du willst, meine Liebe.«

Gemächlich öffnet sich die Lifttür, woraufhin sie wütend und traurig zugleich verschwindet und alleine den Weg zur Schule einschlägt.

Mit erhobener Augenbraue knickt Veronika ihren Brief wieder zusammen, um daraufhin vom Morgen bis zum späten Nachmittag ihre Geschäfte mit einer gewissen Gelassenheit zu erledigen.

Und während die Mittagssonne hell über der Stadt erstrahlt und versucht das Land zu erwärmen, darf beobachtet werden, wie die Mutter und ihre Zwillinge in ein Altenpflegeheim einmarschieren.

Bereits von der Eingangshalle her, ist eine Ziehharmonika zu hören und mit ihr mehrere ältere Menschen, die lautstark miteinander grölen.

›Dämmerschoppe mit Regina – jeden Mittwoch 17:00 Uhr‹

Steht auf einem Banner geschrieben, das quer durch den hell durchfluteten Gemeinschaftsraum über den Köpfen hängt. Plastikfische sind in Netze eingewoben und hängen die Decken herunter. Und während die Menschen der älteren Generation beim Nachbarn eingeharkt im Takt mitschunkeln, genießt die Dame mit dem Spielinstrument die Begeisterung, welche ihr entgegenschlägt.

»Noch en Schoppe, Regina«, ruft ein älterer Mann angetrunken, aber dennoch sehr nett zur Pflegerin Regina, die hinter der Bar für Verköstigung sorgt.

»Kommt sofort«, hallt ihre Stimme freundlich durch den Saal, dabei ist ihre Liebe zu diesem Beruf unübersehbar.

Erkennbar sind auch plötzlich Veronika, Median und Fabian, die amüsiert am Eingang stehen und bereits mit den Hüften kreisen.

»Moi liebe Leit«, hustet auf einmal eine ältere Dame im Rollstuhl und fährt, in Schlangenlinien, aus der Menge heraus zu den Besuchern.

»Steht net do rum und begrüßt die olle Ulli.«

»Omache Ulli«, rufen die Zwillinge Ulrike zu und rennen ihr mit ausgebreiteten Armen entgegen.

Mit ihrer überaus großen und dicken Hornbrille auf der, vom Alkohol geröteten, Nase knutscht die beschwipste ältere Lady ihre Enkelkinder erst mal ab. Kann dabei aber immer noch die Zwillinge gut auseinander halten, trotz geschätzter zwei Promille im Blut.

»Wie geht’s eich? Schön eich zu sehen.«

»Danke Omache, gut«, antwortet Median und drückt sie nochmals aus tiefstem Herzen.

»Moi Guddie, kumm her. Schänie Haarfarb´. Gefällt mir«, schwingt die Schwiegermutter näher an Veronika heran, um auch ihr einen schönen, nassen Schmatzer zu verpassen.

»Regina! Zwä Schoppe, bitte«, schreit Ulrike zur Betreuerin.

»Ulli, ich trinke so etwas nicht, das weißt du doch.«

»Nichts weiß ich, du trinksch jetzt äner mit ma.«

»Ich muss noch Auto fahren.«

»Papperlapapp. Fabian fährt euch heim, nicht wahr moin Großer.«

»Klaro«, grinst Fabian mutig, woraufhin die zwei Jungs vom feiernden Volk gerufen werden.

Bereits mit dieser Situation vertraut, gesellen sich die Zwillinge voller Freude hinzu, während Regina, Ulrike und Veronika eine 0,5 l Weinschorle in die Hand drückt und sich mit einem zum Wohle wieder fröhlich verabschiedet.

»Proscht, Guddie. Schön, dass ihr mich nie vergessen habt.«

»Das sagst du jedes Mal. Es ist doch selbstverständlich und klar, dass wir immer an dich denken, meine Liebe.«

»Klar und selbstverständlich ist das schon mal gar ned. Und ich will mich immer dafür bedanken wollen, hoscht du des verstanden?«

»Ja Omache Ulli und jetzt mal Prost.«

Völlig entspannt lächelnd stoßen die zwei Generationen ihre Gläser aneinander und schaffen somit eine, für beide Seelen, wohltuende Sphäre. Dabei ist in den vor Glück strahlenden Augen der älteren Dame, die unendliche Dankbarkeit zu sehen. Es ist einfach ein harmonisch eingespieltes Team, das wohl schon des Öfteren wohlige Stunden zusammen verbracht hat.

»Loss uns ein bissel Spaß habe. Reginas Bar ist voll, selbst nach 18 Uhr, das haben wir schon rausgefunne. Nur, dass am nächsten Mittwoch immer was fehlt, hat sie noch ned rausgefunne«, offenbart Ulrike schelmisch.

»Ihr Gauner, ihr«, amüsiert sich Veronika über diese Aussage, um sich daraufhin mit Ulrike im Schlepptau zu den anderen Feiernden zu gesellen.

Und schwipps, ähm schwupps, genießt die Gemeinschaft einen sorgenfreien Nachmittag in Saus und Braus. Sie lachen, trinken und wippen, völlig unbekümmert, gemeinsam zur Musik, die so fröhlich in diesen vier Wänden erschallt.

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