Systemische Beratung der Gesellschaft

Text
Aus der Reihe: Systemische Horizonte
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

3.2Wege aus der Krise – ein Prozess

Ich habe die Krise der gegenwärtigen Gesellschaft in ihrer Dynamik, ihren Erscheinungsformen und Inhalten mithilfe der Literatur und aus großer Flughöhe skizziert. Die spannende Frage aber lautet: Wie kommen wir aus dieser Krise wieder heraus? Wie verhindern wir, dass wir darin stecken bleiben oder dass die Veränderung zerstörerisch explodiert? In der Vergangenheit wurden auf diese Fragen unterschiedliche Antworten gegeben:

 Die Aufklärung entwickelte ein Menschenbild, das auf Vernunft (im Unterschied zum Glauben) aufbaut:62 Der vernunftbegabte Mensch ist für sich und die Entwicklung der Gesellschaft verantwortlich. Der logisch denkende Mensch steht im Zentrum gesellschaftlicher Veränderung.

 Die marxistische und später die kommunistische Sicht auf Veränderungsprozesse sind vom Prinzip des Klassenkampfes bestimmt:63 Gesellschaftliche Veränderung könnte, so die Annahme, nur durch einen revolutionären Umsturz nach dem Vorbild der Französischen Revolution entstehen.

 Seit der industriellen Revolution wurden Veränderungsprozesse als machbar, gestaltbar, steuerbar und einer technisch-linearen Logik folgend konzipiert.64

Alle diese Vorstellungen sind unter den jeweiligen historischen Umständen entstanden. Unsere Veränderungsvorbilder stammen aus alten Zeiten mit alten Methoden und alten Zielen.

Was wäre also heute eine geeignete Vorstellung von Veränderungsprozessen, wenn Erklären, Verstehen und einfache lineare Modelle offenkundig nicht funktionieren und gewaltsamer Umsturz nicht akzeptabel ist?

Es ist eine der vielen »prinzipiell unentscheidbaren Fragen«, wie Heinz von Foerster es nennt: Was ist ein guter Weg aus der Krise – und wie kommen wir in eine neue, bessere Situation?

In einer komplexen und kritischen Situation gibt es keine richtigen oder falschen Antworten. In unübersichtlichem Gelände können Landkarten allerdings hilfreich sein. Sie dampfen Komplexität ein, sie geben die für uns relevanten Informationen, sie vereinfachen unsere komplexe Welt. Man sollte aber immer wissen, dass die Landkarte kein exaktes Abbild der Landschaft ist. Landkarten dienen der Orientierung in der Welt: Sie weisen bestimmte Zeichen und Symbole auf, etwa das Zeichen für »Ein-Nordung«, den Maßstab der Entfernungen und diverse Symbole für Straßen, Berge, Flüsse oder unterschiedliche Farben für Höhenlagen. Landkarten beschreiben unterschiedliche Schwerpunkte der Welt, etwa geologische, politische oder Straßen.

Aufbauend auf dem integrierten dialektischen und systemischen Bild von Transformation, das in Abschnitt 1.4 vorgestellt wurde, sieht die Landkarte für das Gelände gesellschaftlicher Herausforderungen und Transformation jetzt wie in Abbildung 11 aus.

Mithilfe dieser Landkarte können wir gemeinsam wandern, Schritt für Schritt.


Abb. 11: Landkarte der Dynamik gesellschaftlicher Herausforderungen

3.3Der Auftrag

Die Auftragsklärung und -formulierung ist für Berater und Beraterinnen von Organisationen nicht immer einfach. Meistens braucht man ein paar Gesprächsrunden, bis entschieden und vereinbart ist, dass und wie zusammengearbeitet werden soll.

Wer aber erteilt einen Auftrag für Beratung und Transformation der Gesellschaft? Wir alle sind Gesellschaft. Niemand kann sich herausstellen. Außerhalb von uns allen, außerhalb der globalen Gesellschaft, ist die ökologische Natur, dann kommt schon das Universum.

Um die Frage nach dem möglichen Auftraggeber für Transformation der Gesellschaft zu klären, sei an die Feststellung von Dirk Baecker zur gesellschaftlichen Kommunikation erinnert:65

»Die erste Minimalbedingung lautet, dass es weitergeht.«

Indem die Gesellschaft, wie Dirk Baecker feststellt, keinen anderen Sinn hat als ihren Fortbestand sicherzustellen, kann der Auftrag für die Transformation der Gesellschaft nur von den Repräsentanten und Repräsentantinnen der Zukunft kommen: von der jungen Generation, der Generation der Zukunft. Das Versprechen von uns, die in der Gegenwart leben, an jene, die in Zukunft leben werden, lautet daher, dass es weitergeht mit unserer Gesellschaft, dass die Zukunft unser Weiter-Leben im mehrfachen Sinne bedeutet: »weiter« im zeitlichen Sinne kontinuierlich, »weiter« im räumlichen Sinne, im Sinne von global vernetzt und kooperativ sowie »weiter« im Sinne von weiterentwickelt, klüger und bewusster. Wir alle, die jetzt da sind, müssen den Auftrag der künftigen Generation übernehmen, wir müssen Lösungen für Probleme der Gesellschaft der Zukunft finden oder schaffen.

Ich übernehme diesen Auftrag für meinen Enkel León, 9 Jahre alt. Ich verstehe seinen Auftrag an mich so: Leiste einen Beitrag dazu, dass ich in eine Welt hineinwachsen kann, in der ich gesund und in Frieden leben kann, in der ich mich entwickeln und Teil einer Gemeinschaft sein kann und in der ich selbst einen Beitrag für meine Kinder und Enkel leisten kann, um ihnen eine gute Zukunft in einer guten Welt zu ermöglichen.

Ich nehme den Auftrag an und tue mein Bestes.

4Strategiekompass für den Weg der Transformation

»Wege entstehen, indem wir sie gehen.«

(Quelle unbekannt)

Der Auftrag heißt: gesellschaftliche Transformation, um eine gesellschaftliche Zukunft zu ermöglichen. Der Auftrag besteht darin, Wege zu gehen, zumeist aber auch neue Wege zu schaffen. Es wird ein Weg des Erkennens und Veränderns gesellschaftlicher Muster sein müssen, welche die großen gesellschaftlichen Herausforderungen hinsichtlich Ökonomie, Ökologie und Demokratie geschaffen haben und aufrechterhalten. Wollen wir Transformation, müssen wir diese Muster verändern. Das dialektische Verständnis von gesellschaftlichen Entwicklungen zeigt uns, dass dieser Weg eine krisenhafte Auseinandersetzung zwischen beharrenden und progressiven Kräften, zwischen absteigenden, dekadenten gesellschaftlichen Prinzipien der Vergangenheit und ein Ringen um neue Prinzipien sein wird. Für diese Reise muss man gut ausgerüstet sein.

Wir haben mit der Beschreibung der Herausforderungen eine Landkarte gezeichnet, die uns einen gewissen Überblick über das Gelände gesellschaftlicher Herausforderungen gibt. Landkarten sind wichtig beim Reisen. Aber ein guter Kompass ist noch wichtiger: Er zeigt uns unseren Stand- und Ausgangspunkt, den Weg und die Richtung, in die wir uns bewegen und auch bewegen wollen. Eine echte Landkarte hat an ihrem oberen rechten Rand ein kleines Dreieck, das zeigt, wo Norden ist. Der Kompass sagt uns, wo in der Landschaft Norden ist. Erst der Abgleich zwischen der Kompassnadel und dem kleinen Dreieck zur Einnordung auf der Landkarte gibt uns Informationen, wohin wir uns bewegen sollen. So können wir einschätzen, wie weit der Weg ist, ob wir unterwegs haltmachen sollen, wie viel Proviant wir brauchen.

Um einen langen und mühsamen Weg zu gehen, braucht man viel Kraft und einen langen Atem. Veränderungen sind anstrengend: Sie bedeuten Ungewissheit, im Nebel zu tappen, Bekanntes und Erprobtes aufzugeben, loszulassen, sich von vertrautem auf unbekanntes Gebiet zu wagen, Neues zu erfinden oder zu entdecken und es auf seine Tauglichkeit hin zu erproben. Als wäre das nicht schon schwierig genug, kommt noch der Umstand dazu, dass man während des Prozesses der Veränderung den »Tagesbetrieb« nicht einstellen und sich ausschließlich der Veränderung widmen kann. Die Notwendigkeiten des täglichen Lebens erfordern, dass die Veränderung zusätzlich zur Alltagarbeit geschehen muss. Veränderung bedeutet, ein Doppelleben führen zu müssen: eines in der Gegenwart und eines in einer angestrebten Zukunft.

Transformation der Gesellschaft, verstanden als nachhaltiger »system change«, als fundamentaler Musterwechsel in den großen gesellschaftlichen Fragen und vorherrschenden Paradigmen, Glaubenssätzen, Mindsets oder Ideologien, ist vor allem ein »kulturelles Projekt«.66 Solch ein Prozess verstört Menschen, verstört die Gesellschaft und vor allem jene, die durch die Veränderung zu Recht oder zu Unrecht Nachteile befürchten. Gelingen kann diese Transformation durch ausreichende Veränderungsenergie. Diese ist der Lebenssaft des Prozesses.

Es soll uns durchaus ein Trost sein, dass es auf der Seite der Beharrung und Verteidigung »des Alten« ebenso viel Kraft kostet, den gegenwärtigen Zustand aufrechtzuerhalten.

Und schließlich gibt es immer mehr Organisationen, die sich der Beratung und Weiterentwicklung von Menschen und Organisationen widmen, die sich für gesellschaftliche Veränderungen einsetzen.

Wie Veränderungsenergie nicht nur mobilisiert, sondern auch in die gewünschten Richtungen gelenkt werden kann, beschäftigt nicht nur zivilgesellschaftliche Organisationen, also NGOs, die sich gesellschaftliche Transformation zur zentralen Aufgabe und zur Grundlage ihres »Geschäftsmodells« machen, sondern prinzipiell alle Organisationen, ihre Führung und Berater. Dazu ist Change-Management nötig.

Im Rahmen des Change-Managements von Organisationen sind eine Reihe von Veränderungsmodellen, Instrumenten und Prozeduren entwickelt worden. In meiner Arbeit als Beraterin und Begleiterin von komplexen Veränderungsprozessen, also von Veränderungen zweiter Ordnung, gestalte ich solche Prozesse entlang der »Change-Formel«. Die Change-Formel ist kein Rezept, kein Plan, sondern ein auf zahlreichen Studien, Forschungen und Theorien aufgebautes Konzept zur Mobilisierung von Veränderungsenergie. In die Change-Formel sind die Untersuchungen von Elisabeth Kübler-Ross zur Verarbeitung von schlechten Nachrichten ebenso eingeflossen wie das Konzept der lösungsfokussierten Kurzzeittherapie nach Steve de Shazer67 und seiner Wunderfrage, Ed Scheins Konzept der zweierlei Ängste (Angst 1 und Angst 2)68, die Prinzipien und das Prozessmodell von Appreciative Inquiry (AI)69 oder John Kotters »Sense of Urgency« (Gefühl der Dringlichkeit)70.

 

Die Change-Formel hat keinen speziellen Inhalt, sondern ist ein Prozess und damit auch ein Strategiekonzept. Sie hat mir als Beraterin und Begleiterin von komplexen Veränderungen immer Orientierung und Sicherheit gegeben. Ich stelle die Change-Formel als Orientierungshilfe vor und zur Verfügung, weil ich sie für die Gestaltung von gesellschaftlichen Veränderungsprozessen für sehr hilfreich halte. Ihr ist ein systemisches Verständnis ebenso immanent wie der Gedanke, dass gesellschaftliche Transformation eine fundamentale Kulturveränderung ist, die ein entsprechendes Veränderungsmodell braucht.

4.1Kompass für die Strategie – die Change-Formel

Jedem gestaltenden Prozess geht eine Strategie voraus. Anlass genug, kurz in das Thema hineinzuleuchten. Strategie ist ein Begriff, der ursprünglich etwas mit Kriegsführung zu tun hat, mittlerweile aber für beinahe jedes Thema, bei dem es Prozesse und Ziele geht, angewendet wird. Wir kennen Verkaufsstrategien, Lernstrategien, ja sogar Heiratsstrategien. In der Literatur ist der Begriff nicht einheitlich definiert. Einige gemeinsame Grundprinzipien können allerdings festgestellt werden:

»• Strategie befasst sich mit überlebensrelevanten Fragestellungen.

 Strategie definiert ein Set an gesellschaftspolitischen Prämissen.

 Strategie schafft Orientierung für eine wünschenswerte Zukunft.

 Strategie markiert einen Unterschied.

 Reflexion des Unterschieds des Systems zu seiner Umwelt.

 Strategie ist Kernaufgabe von Führung.«71

Strategie ist ein Entwurf sowohl von Zielen als auch von Wegen dorthin. Das klingt sehr geradlinig und übersichtlich. Der Weg zur Entwicklung einer Strategie führt allerdings durch das Gelände der Unberechenbarkeit der Welt, also der Gesellschaft und auch der Menschen. Diese beiden Schwierigkeiten machen den Boden, auf dem man sich bewegt, sehr schwammig und schwer passierbar. Trotz oder gerade wegen dieser Unwägbarkeiten ist Strategie eine Möglichkeit, die innere und äußere Komplexität zu reduzieren und Orientierung zu geben. Eine Strategie ist ein »Navigationsinstrument«72 das uns dabei hilft, Ziele im Auge zu bewahren, den Weg zu finden, Nebenwege und Hohlwege zu erkennen. Eine Strategie wird erst dann zum Problem, wenn wir vergessen, dass sie eine Landkarte und nicht die Landschaft ist.

Die Change-Formel ist ein solches Instrument für Strategie. Sie wurde in den 1960er-Jahren von David Gleicher, einem Berater bei Arthur D. Little, entwickelt, dann von Kathie Dannemiller (Dannemiller Tyson Associates) übernommen und später von Paul Tolchinsky (Dannemiller Tyson Associates) und mir gemeinsam zu der hier beschriebenen Formel weiterentwickelt.73 Ich stelle die Change-Formel in dieser Version vor. Sie ist ursprünglich für die Veränderung von Organisationen entwickelt worden, zur Grundlage der Methode und des Ablaufs von Großgruppenverfahren (Zukunftskonferenzen [Future Search] oder Real Time Strategic Change [Veränderung in Echtzeit])74 geworden und wird auch als Grundkonzept für die Gestaltung von Change-Prozessen (Whole Scale Change [Veränderung im Gesamtumfang]75) angewendet.

Die ursprüngliche Change-Formel ist eine Ungleichung:

D × V × F = > R

In Worte übersetzt: Veränderung ist möglich, wenn das Produkt aus:

D – dem »Driver« (Treiber der Veränderung),

V – einer Vision für die Zukunft und

F – den »First Steps«, den ersten Schritten in Richtung Vision, größer ist als R – der Widerstand (»resistance«) gegen die Veränderung.

Paul Tolchinsky und ich haben diese Formel in zweierlei Hinsicht verändert und, wie ich meine, weiterentwickelt:

 Zum einen haben wir – ausgehend von den Prinzipien der positiven Psychologie, speziell vom Konzept des Appreciative Inquiry76 – die Formel um den Aspekt der Ressourcen erweitert. In der neuen Formel steht R nicht mehr für »resistance«, sondern für »Ressourcen«.

 Zum anderen haben wir den Begriff des Widerstands ganz aus der Formel entfernt. Dieser hat eine negative Konnotation, er kommt aus der Welt der Materialbearbeitung: wenn Holz zersägt, Metall gebohrt oder ein Nagel aus der Betonwand gezogen werden soll, leisten das Material Widerstand. Dieser Widerstand ist mit Kraft und Energie verbunden, gegen etwas zu arbeiten. Für einen Transformationsprozess brauchen wir aber Energie für etwas, etwa für Neues, Gutes, Erstrebenswertes.

Wir haben also den Begriff »resistance« aus der Formel entfernt und durch »Energie« ersetzt. Denn es geht bei Veränderungen nicht darum, Widerstand zu brechen, sondern um die Mobilisierung von positiver, konstruktiver und produktiver Energie.

Die neue Formel, wie ich sie verwende, ist nun eine Gleichung und lautet:

D × V × R × F = E

D: Driver – Warum sollen wir uns verändern?

»D« steht ursprünglich für »Driver«, den Treiber der Veränderungsenergie. D könnte aber auch für »Dissatisfaction« oder für »Dringlichkeit« stehen.

Hinter D stehen Fragen wie: Was treibt die Veränderung an? Womit sind wir unzufrieden? Was macht eine Veränderung notwendig und wichtig, was muss sich ändern? Was ist dieses Gefühl der Dringlichkeit (»sense of urgency«), wie es John Kotter formuliert?77

V: Vision – Wohin wollen wir uns bewegen?

Die Vision gibt die Richtung an, in die man gehen will. Sie ist ein positives Zukunftsbild über einen Zustand, in dem die Faktoren der Unzufriedenheit überwunden sind und eine neue Situation entstanden ist. Die Vision ist ein Narrativ, ein Bild, das so anziehend ist, dass wir es gern immer vor Augen haben, gerade wenn es einmal schwierig ist.

R: Ressourcen – Womit können wir die Vision erreichen?

Ressourcen – »Quellen« – sind die »Lebensmittel« von Systemen und in jedem Veränderungsprozess lebensnotwendig. In Organisationen und in sozialen Bewegungen können Ressourcen viele engagierte Menschen, gute Netzwerke, eine gute »Marke« oder auch einen guten Leitspruch oder Slogan bedeuten. Auch Erfolgen der Vergangenheit, Erfahrungen, Stärken, Qualitäten und Potenziale des Systems sind Ressourcen, die für den Weg der Veränderung notwendig und hilfreich sind. Das Bewusstsein, über Ressourcen zu verfügen, gibt Zuversicht und Vertrauen und damit Energie.

F: First Steps – Was tun wir jetzt?

Komplexe Veränderungsprozesse können nicht – wie die Reparatur eines Autos – von Anfang bis Ende durchgeplant werden. Wenn wir unseren Driver identifiziert, unser Zukunftsbild gezeichnet und unsere Ressourcen entdeckt haben, dann beginnt der Prozess – wie jede Reise – mit dem ersten Schritt weg vom »Problem« und hin zur Vision. Der erste Schritt wird danach reflektiert, bewertet, und der nächste Schritt wird geplant. Dieses Vorgehen wurde von der Beratergruppe Neuwaldegg bereits vor über 20 Jahren als »systemische Schleife«78 entwickelt, heute nennt man das »Agilität«.

E: Energie – Wie bewegen wir uns?

Die vier Elemente der Veränderung auf der linken Seite der Formel sind mit einem Mal-Zeichen miteinander verbunden: In Multiplikationsgleichungen gilt: Ist ein einziger Faktor gleich null, dann ist die gesamte Gleichung null. Wenn also ein Element fehlt, geht die gesamte Energie verloren, und der Prozess scheitert.

Scheitern kann der Prozess aber auch dann, wenn man an einem der Punkte verharrt:

 Bleibt man beim D, also bei der Beschreibung und Analyse der Gefahr, stecken, entsteht lähmende Angst. Man verharrt in der Totstellhaltung und bewegt sich nicht.

 Verliebt man sich in die eigene Vision, das V, verläuft man sich in romantischen Träumen von einem Paradies, die eine Entwicklung in der realen Welt behindern.

 Wenn man nur noch R sieht und die Probleme ausblendet, kann man als »Schönredner«, als jemand mit der »rosaroten Brille« gesehen und abgewertet werden und gewinnt keine Mitstreiter.

 Wer F, die ersten Schritte, zu schnell, zu früh oder ganz allein setzen will, wird als »Aktionist« ohne Tiefgang und Differenzierung gesehen, viele Schritte setzen, die ins Leere führen und unnötig Kraft erfordern und keine Begleiter und Begleiterinnen finden.

Veränderungen bei lebenden Systemen sind, wie gesagt, kein linearer Prozess von A nach B. Solche Veränderungen sind Kreis- oder Wellenbewegungen, die mitunter schlingenförmig, mal mit zwei Schritten vor und einem Schritt zurück, verlaufen. Modellhaft habe ich die Change-Formel trotzdem als einen Kreisprozess dargestellt, der jedoch nicht als geschlossener Kreis zu sehen ist, sondern als eine schleifenartige Bewegung. Die einzelnen Schritte im Prozess – vom D zu V zu R zu F – sollen allerdings in dieser Reihenfolge gesetzt werden, weil sich jeder Schritt aus dem vorigen ergibt. Dadurch entsteht ein Instrument für Strategieprozesse von Transformationen. Hier also der Kompass.

Im Zentrum steht die Energie für Veränderung. Die Kompassnadel zeigt an, an welchem Punkt des Prozesses wir gerade stehen und in welche Richtung wir uns daher bewegen sollten (siehe Abb. 12).


Abb. 12: Strategieprozess entlang der Change-Formel

Um die Qualität, die Richtung und die Energie des Prozesses zu reflektieren und als Ausgangspunkt für weitere Schritte zu nehmen, ist ein regelmäßiges Innehalten zwischen den einzelnen Punkten des Weges wichtig. Die Reflexionspausen sind nicht nur erholsam, sie bringen uns auch gedanklich weiter, indem wie unsere bisherigen Erfahrungen besprochen haben und unsere Schlüsse daraus ziehen können.

Besonders dann, wenn die Energie abfällt, wenn wir besonders müde und verzagt sind, ist es wichtig zu überlegen, an welchem Punkt wir die Energie verloren haben:

 • D: Haben wir noch im Blick, warum wir diese Mühe auf uns genommen haben, was uns angetrieben hat, wovon wir wegwollten?

 • V: Haben wir unsere Vision aus den Augen verloren, unsere Ziele vergessen, oder sind sie nicht mehr die richtigen, nicht mehr attraktiv genug?

 • R: Haben wir keinen Blick mehr auf unsere Ressourcen, fühlen wir uns daher überfordert, sind müde und mutlos?

 • F: Haben wir die Orientierung verloren, oder haben wir keine Ideen, was wir als Nächstes tun sollen?

Die Beantwortung und Bearbeitung jeder dieser Fragen macht es möglich zu erkennen, ob und wohin die Energie der Veränderung fließt, und wir können die Aufmerksamkeit auf die fehlenden oder schwachen Elemente der Formel richten und gegensteuern.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?