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Das Dschungelbuch

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Das Dschungelbuch
Das Dschungelbuch
Hörbuch
Wird gelesen Lydia Herms
4,99
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Teddys Augen starrten auf den Vater, der ihm angstvoll zuflüsterte: »Ruhig sitzen, Teddy, um Gottes willen. Rühre kein Glied. Ganz ruhig, Liebling.«

Da plötzlich tönte Rikki-Tikkis Stimme durch das furchtbare Schweigen: »Umgeschaut, Nagaina! Hier bin ich – kämpfe um dein Leben!«

»Alles zu seiner Zeit!« sagte sie, ohne die Augen abzuwenden. »Auch du wirst an die Reihe kommen. Sieh doch nur deine guten Freunde an, Rikki! Wie bleich sie sind! Angst haben sie. Nicht zu rühren wagen sie sich, und wenn du nur einen Schritt machst, stoße ich zu.«

»Sieh doch nach deinen Eiern in dem Melonenbeet nahe der Mauer«, keckerte Rikki. »Gehe hin und sieh nach.«

Die Schlange drehte sich halb um und erkannte das Ei neben Rikki-Tikki. »Ssss! Ah … gib es mir!« sagte sie.

Rikki-Tikki nahm das Ei zwischen die Füße, und seine Augen leuchteten tief rot. »Was für einen Preis gibst du? Für ein Schlangenei? Für eine junge Kobra? Für eine Königskobra? Für das allerletzte – das allerletzte von fünfundzwanzig jungen Kinderchen? Die Ameisen fressen alle die anderen draußen auf dem Melonenbeete.«

Nagaina entrollte sich schnell wie der Blitz und vergaß alles, des einen Eies wegen. Da langte Teddys Vater mit schnellem Griffe über den Tisch und riß den Knaben zu sich, aus der Sprungnähe der Kobra, während die Kaffeetassen und das Geschirr klirrend durcheinanderrollten.

»Überlistet! Angeführt! Angeführt!« kicherte Rikki-Tikki. »Der Knabe ist gerettet. Ich war es – ich, der Nag gestern nacht am Schopfe faßte und der ihm das Rückgrat zerbrach! Ich, Rikki-Tikki-Tschik!« Und er sprang mit allen vier Füßen zugleich kerzengerade in die Luft. »Er versuchte, mich abzuschütteln, aber ich hielt ihm fest zwischen den Zähnen! Er war lange tot, bevor der große Mann ihn in zwei Stücke zerschnitt. Ich war es, Rikki-Tikki-Tikki-Tschik! Komm herbei! Nagaina! Komm herbei und tröste dich: du sollst nicht lange eine trauernde Witwe bleiben.«

Nagaina sah, daß sie den rechten Augenblick verpaßt hatte, Teddy zu töten, und das Ei lag immer noch zwischen den Pfoten Rikki-Tikkis. »Gib mir das Ei! Gib mir das letzte meiner Eier, und ich verspreche dir, fortzugehen und niemals wiederzukommen«, bat sie und ließ demütig die Haube sinken.

»Ganz gewiß – du wirst von hier fortgehen, um den Kehrichthaufen an der Seite deines Gatten zu schmücken. Vorwärts, du arme Witwe! Bereite dich zum Kampfe! Der große Mann ist fortgegangen, seine Donnerbüchse zu holen! Kämpfe, ehe es zu spät ist!«

Rikki-Tikki tanzte wie besessen um Nagaina im Kreise herum; er hielt sich stets außer Sprungweite, und seine Augen glühten wie heiße Kohlen. Nagaina raffte sich auf und stieß zu. Rikki-Tikki sprang senkrecht empor und zu gleicher Zeit nach rückwärts. Wieder und immer wieder stieß die Schlange zu, und jedesmal sauste ihr Kopf mit dumpfem Krachen auf die Matten nieder. Endlich versuchte Rikki-Tikki, seiner Feindin in den Rücken zu kommen, und Nagaina wand und drehte sich, um ihn im Auge zu behalten.

Während der Staub noch aufflog, näherte sich Nagaina allmählich dem Ei, das noch auf der Veranda lag und an das Rikki-Tikki in der Hitze des Kampfes gar nicht mehr dachte. Rikki-Tikki sann eben auf eine neue Kriegslist und holte tief Atem, als plötzlich die Schlange das Ei mit dem Maul aufraffte, die Stufen der Veranda hinabglitt und wie ein Pfeil den Pfad entlangschoß. Wenn es sich um Leben und Tod handelt, zuckt der Körper einer Kobra auf der Flucht schnell dahin, wie die schwarze Peitschenschnur auf dem Rücken eines Pferdes.

Rikki jagte ihr nach, denn er wußte, daß seine Arbeit von neuem beginnen würde, wenn sie entkäme. Die Schlange glitt geradewegs zum hohen Gras beim Dornbusch, und dort schmetterte Darsie noch immer seinen Jubelgesang aus voller Kehle. Doch seine Frau war viel vernünftiger. Sobald sie Nagaina kommen sah, flog sie vom Neste und schlug mit den Flügeln dicht vor Nagainas Nase. Hätte Darsie ihr nur geholfen, so würden sie die Schlange vielleicht in anderer Richtung abgelenkt haben, so aber stutzte Nagaina nur einen Augenblick und setzte dann ihre Flucht weiter fort. Doch in diesem Augenblick hatte Rikki-Tikki sie eingeholt; und als sie in das Rattenloch stürzte, wo sie mit Nag ihr Heim eingerichtet hatte, saßen ihr Rikki-Tikkis weiße Zähne tief im Schwanze. Er ließ nicht los, und hinab ging's in die schwarze Öffnung über Steine und Wurzeln. In der Regel lassen es die Mungos schön bleiben, einer Kobra in ihr Loch zu folgen, aber Rikki dachte an keine Gefahr. Es war ganz dunkel in dem Loch, und Rikki konnte nicht wissen, wann Nagaina Raum finden würde, um zu wenden und zuzustoßen. Dennoch hielt er fest und streckte alle vier Füße steif aus, um sie möglichst tief in den heißen, nassen Boden einzustemmen und Nagaina in ihrem Lauf aufzuhalten.

Dann bewegte sich das Gras am Eingang des Loches nicht mehr; und Darsie sagte traurig: »Wir werden ihn niemals wiedersehen, unsern tapfern Rikki-Tikki! Der große Held ist in sein Grab hinabgestiegen! Denn Nagaina wird ihn sicherlich unten in der Erde totbeißen.«

Und damit setzte er sich vor das Nest und sang seinen Kleinen ein Trauerlied vor, das seinem betrübten Herzen entfloh, ohne daß er es erst zu dichten brauchte. Wie er nun gerade an der allerrührendsten Stelle angelangt war, zitterte das Gras hin und her, und heraus kroch Rikki-Tikki, langsam und steif und ganz mit Schmutz bedeckt. Rikki-Tikki blinzelte, denn das grelle Licht schmerzte ihn in den roten Augen, und Darsie hielt plötzlich mitten in einem tiefen Seufzer inne. Rikki leckte und schüttelte sich und nieste. »Das wäre erledigt«, sagte er. »Die Witwe wird niemals wieder ans Tageslicht kommen.« Und die roten Ameisen, die zwischen den Grashalmen lebten, hörten es und begannen sofort, eine nach der anderen, in das Loch hinabzusteigen, um zu sehen, ob er die Wahrheit gesprochen hatte.

Rikki-Tikki rollte sich in das Gras und schlief, wo er gerade war – schlief und schlief, bis die Sonne ganz tief am Himmel stand. Aber er hatte auch wirklich harte Arbeit getan.

»Oooah!« gähnte er, als er endlich erwachte. »Ich gehe jetzt ins Haus zurück. Darsie, melde dem Kupferschmied, daß Nagaina tot ist – er soll es der ganzen Nachbarschaft verkünden.«

Der Kupferschmied ist ein Vogel, dessen Stimme klingt wie der Schlag eines Hammers gegen einen Kupferkessel. Er ist deshalb in allen indischen Gärten und in der ganzen Dschungel der Dorfschreier, der weithin die Tagesneuigkeiten ausruft. Als Rikki-Tikki den Kiesweg hinaufging, hörte er hinter sich schon den wohlbekannten Ruf: »Ding-Dong-Tock! Nag ist tot! Ding-Dong! Nagaina ist tot! Dong-Dong-Tock!«

Da brachen alle Vögel in ein Jubelgeschrei aus, und sogar die Frösche sangen aus vollem Halse, denn Nag und Nagaina hatten für kleine Frösche eine ganz besondere Vorliebe gehabt.

Als Rikki im Hause anlangte, wollten ihn alle umarmen – Vater, Mutter und der Knabe –, und die Mutter weinte, und der Knabe küßte ihn einmal über das andere auf seine lehmbedeckte Nase, bis sie wieder ganz rein war. Rikki bekam ein prächtiges Essen, und dann ging er mit Teddy zusammen zu Bett.

Ganz spät am Abend kamen Vater und Mutter, um ihrem Liebling gute Nacht zu sagen. Und sie vergaßen auch Rikki-Tikki nicht dabei.

»Er hat unser aller Leben gerettet«, sagte die Mutter. »Denke doch nur, das herzige Wesen hat unser aller Leben gerettet!«

Rikki-Tikki erwachte, denn er hatte einen leisen Schlaf.

»Ach, ihr seid es«, sagte er. »Was macht ihr denn für Gesichter? Die Kobras sind alle tot, und wenn noch eine lebt, so bin ich doch da.«

Rikki-Tikki wurde bei all seinem Stolze nicht übermütig. Er hielt den Garten frei von Schlangen, denn er verstand sein Geschäft von Grund aus, und sogar die größten Kobras zitterten, wenn sie nur aus der Ferne seinen Schlachtruf hörten:

»Rikki-Tikki-Tikki-Tschik.«

Darsies Siegesgesang

 
Weber bin ich und Sänger zugleich,
    Zwiefach an Gaben und Künsten reich.
    Werfe mein Lied durch die Bahnen des Blaus,
    Wirke hier unten am Faden des Baus,
Auf und hinunter, so webe mein Lied ich, so wirke und web' ich mein Haus.
    Mutter, den Kopf hoch, und sei nicht mehr bang,
    Sing unsern Kindern den Siegesgesang;
    Erbfeind, der stets uns im Garten erschreckt,
    Endlich liegt er zu Boden gestreckt.
Drohte er oft uns mit Tod aus den Rosen, nun liegt er im Mist und verreckt.
    Wer war der Held, der die Schlange zerriß?
    Jubelnder Dank sei ihm ewig gewiß.
    Rikki, der Ritter, der Retter, der Held,
    Tikki, den Blick wie von Feuer erhellt,
Rik-Tikki-Tikki mit Elfenbeinkrallen, der Jäger, der Retter der Welt!
    Auf nun, ihr alle, und spreitet den Schwanz,
    Beugt euch und schwingt euch und jubelt im Tanz,
    Lobt ihn und werdet im Preisen nicht müd',
    Schmettert wie Nachtigallen das Lied,
Rikki, dem Helden mit buschigem Schweife, dem Feuer im Auge glüht …
 

(Hier unterbrach Rikki das Lied, so daß der Schluß des Gesanges verlorenging.)

Toomai, der Liebling der Elefanten

 
Ich will mich erinnern, was ich war.
    Bin müde der Fessel und Kette.
Ich will mich erinnern alter Kraft
    und heimatlicher Stätte.
Ich biete den Rücken nicht länger dar
    für leckere Nichtigkeiten,
Will wieder mit meiner Brüder Schar
    durch der Dschungel Dickicht schreiten.
Durch Dickicht und Nacht, bis der Morgen erwacht,
Wo der Wind mich umkost, wo die Quelle lacht…
Will vergessen das Seil, das den Fuß mir hält.
Will brechen den Zaun, der das Lager umstellt,
Will hinaus zu den Lieben, die ich verlor –
Frei sein in der Dschungel … frei, wie zuvor!
 

Kala Nag – das bedeutet: »Schwarze Schlange« – hatte der indischen Regierung siebenundvierzig Jahre treu gedient in allem, zu dem ein Elefant verwandt werden kann, und da er volle zwanzig Jahre alt war, als er gefangen wurde, so zählte er jetzt beinahe siebenzig – ein schönes Alter für einen Elefanten. Er konnte sich noch erinnern, wie er mit einem dicken Lederjoch um seinen Kopf eine schwere Kanone durch den Morast gezogen hatte – das war lange vor dem afghanischen Feldzug im Jahre 1842, und damals war er noch nicht ausgewachsen. Radha Pyari, seine Mutter, die in der gleichen Herde mit Kala Nag eingefangen wurde, hatte ihm zur Zeit seiner ersten Stoßzähne immer und immer wieder gesagt, nur wenn Elefanten Angst hätten, kämen sie zu Schaden. Kala hatte bald gemerkt, daß der Rat gut war: denn als das erstemal eine Granate in seiner Nähe platzte, rannte er schreiend rückwärts gerade in eine Gewehrpyramide hinein, und die aufgepflanzten Bajonette stachen ihn an seinen empfindlichsten Stellen. Nach dieser Erfahrung nahm Kala sich vor, nie mehr Angst zu haben, und so wurde er der beste, beliebteste und am sorgsamsten gehegte Elefant im Dienste der indischen Regierung. Er hatte viel gesehen und erlebt. Zeltlasten hatte er geschleppt im Gewicht von zwölfhundert Pfund auf langen Märschen im nördlichen Indien; er war mit Dampfwinden in ein Schiff verladen worden, mit dem er viele Tage über das unruhige Meer fuhr, hatte in einem fremden Bergland weit weg von Indien einen schweren Mörser tragen müssen und den Kaiser Theodor in Magdala auf dem Totenbett liegen sehen. Später war er wieder auf einem schaukelnden Schiff heimgekehrt, würdig, wie die Soldaten sagten, die abessinische Tapferkeitsmedaille zu tragen. Dann hatte er hoch oben in den nördlichen Bergen in Ali Musjid sein eigenes Volk an Kälte, Hunger, Entbehrungen und Sonnenstich leiden und sterben sehen; und darauf war er Tausende von Meilen südwärts gesandt worden, um auf den Bauhöfen in Moulmein schwere Balken aus Tiekholz zu schleppen und zu stapeln. Dort schlug und stieß er einen ungehorsamen jungen Elefanten halbtot, der sich eigensinnig weigerte, seinen Anteil an der Arbeit zu verrichten.

 

Nach all diesen Erlebnissen wurde er mit einigen Dutzend anderen Elefanten in die Garoberge geschickt und mußte dort erlernen, bei dem Fang seiner wilden Stammesgenossen behilflich zu sein.

Die Elefanten stehen unter dem ausdrücklichen Schutze der indischen Regierung. Eine besondere Ministerialabteilung beschäftigt sich ausschließlich mit der Jagd und dem Abrichten der gefangenen Tiere, um sie dann je nach Bedarf im Lande zu verteilen.

Kala Nag stand zehn Fuß hoch über dem Boden; seine mächtigen Stoßzähne waren der Sitte gemäß vorne abgeschnitten und an ihren Enden mit Kupferbändern umspannt, um sie vor dem Zersplittern zu schützen. Er konnte mit diesen noch immerhin fünf Fuß langen Stümpfen mehr ausrichten als die nicht abgerichteten Elefanten mit ihren vollgewachsenen scharfen Stoßzähnen.

Wenn nach wochenlangem, mühsamem Jagen in den Bergen etwa vierzig oder fünfzig wilde Kolosse endlich in die letzte Umzäunung getrieben waren und das schwere Falltor aus Baumstämmen dröhnend hinter ihnen niederfiel, begab sich Kala Nag auf ein Kommandowort in das stampfende, schnaubende, sich wild drängende Gewühl (gewöhnlich bei Nacht, wenn der flackernde Schein der Fackeln die eingefangenen Tiere unsicher machte), suchte sich den stärksten und wildesten Bullen aus der Masse und hämmerte und stieß so lange auf ihn ein, bis er Ruhe gab, während Männer auf dem Rücken der anderen Arbeitselefanten die schwächeren Tiere mit Stricken einfingen und fesselten.

Der weise, alte Kala Nag war ein erfahrener Meister in allen Arten des Kampfes. So manches Mal hatte er dem verwundeten Tiger mutig getrotzt – er rollte den Rüssel zusammen, um ihn vor einem Biß zu schützen, und stieß mit dem dicken Kopf das anspringende Tier hoch in die Luft, daß es einen Purzelbaum schoß. Diesen Kunstgriff hatte er allein erfunden; und ehe der Tiger wieder auf die Beine springen konnte, warf sich Kala Nag auf ihn mit den Knien und erdrückte ihn mit seiner Wucht, bis das Leben mit Ächzen und Stöhnen aus dem Körper wich und nichts übrigblieb als ein zermalmter, gestreifter Kadaver, den Kala Nag am Schwanze griff und fortzog.

»Jawohl!« sagte der große Toomai, sein Hüter, der Sohn des schwarzen Toomai, der Kala nach Abessinien begleitet hatte, und Enkel des alten, in der ganzen Dschungel berühmten Toomai, der bei dem Fange Kalas behilflich gewesen war. »Jawohl die Schwarze Schlange hat vor nichts Furcht außer vor mir. Drei Generationen meiner Familie haben ihn gefüttert und gepflegt, und er wird lange genug leben, um die vierte zu sehen.«

»Vor mir hat er auch Furcht«, quäkte der kleine Toomai, ein brauner Dreikäsehoch in Lumpen.

Er war zehn Jahre, der Älteste des großen Toomai, und dem Herkommen gemäß würde er dem Vater im Amte folgen, sobald er erwachsen war; würde dann auf Kalas Nacken sitzen und den schweren eisernen Ankus, den Elefantenstab, halten, der in den Händen seiner Vorfahren glatt und glänzend geworden war. Er wußte genau, was er sagte, denn er war im Schatten Kala Nags geboren, hatte, ehe er laufen konnte, mit Kala Nags Rüssel gespielt, und hatte ihn zur Tränke geführt, sobald er nur vermochte, ein Bein vor das andere zu setzen. Kala Nag würde nie daran gedacht haben, sich den schrill gepiepsten Befehlen des kleinen Toomai zu widersetzen; ebensowenig, wie er damals sich hatte einfallen lassen, ihn zu töten, als der große Toomai seinen neugeborenen Sohn unter Kala Nags Rüssel legte und ihm befahl, seinen zukünftigen Meister zu grüßen.

»Ja!« wiederholte der kleine Toomai, »vor mir hat er Angst.« Er ging mit langen Schritten zu Kala Nag, schimpfte ihn altes fettes Schwein und ließ ihn die Füße aufheben, einen nach dem andern. »Wah! Du mußt alles tun, was ich sage.« Der Kleine schüttelte seine Locken und sprach ganz wie sein Vater. »Zwar bezahlt die Regierung für euch Elefanten, aber dennoch gehört ihr uns Mahouts. Wenn du alt bist, Kala Nag, wird ein reicher Rajah kommen und dich von der Regierung kaufen, weil du so groß und gescheit bist und weil ich dir soviel Kunststücke beigebracht habe. Dann bekommst du goldene Ohrringe und brauchst weiter nichts zu tun, als einen goldenen Thronsitz auf deinem Rücken zu tragen und in den Prozessionen des Königs an der Spitze zu schreiten. Und ich selbst, o Kala Nag, werde auf deinem Rücken sitzen, einen silbernen Ankus in der Hand, und Männer mit goldenen Stäben werden vor uns herlaufen und rufen: ›Platz für den Elefanten des Königs!‹ Das wird schön sein, Kala Nag, aber nicht so schön wie das Jagen in der Dschungel!«

»Umph!« sagte darauf der große Toomai. »Du bist wild wie ein Büffelkalb. Du kannst der Regierung bessere Dienste leisten, als in der Dschungel zu jagen. Ich werde alt und bin kein Freund der wilden Elefanten. Feste Stationen ziehe ich vor, gemauerte Elefantenställe, einen Verschlag für jedes Tier und starke Pflöcke zum Festmachen; dazu ebene, breite Straßen, um die Neuen einzuüben, das ist mir lieber als das Herumhetzen von Station zu Station in der Dschungel. Ah – wie schön waren die Kasernen in Cawnpore mit dem Basar dicht daneben und täglich nur drei Stunden Dienst!«

Der kleine Toomai erinnerte sich sehr wohl an die Elefantenställe zu Cawnpore und schwieg still. Er zog das Lagerleben bei weitem vor und haßte die flachen, breiten Übungswege, das tägliche Weiden auf besonders instand gehaltenen Grasplätzen, und vor allem die langen, trägen Stunden, in denen er nichts tun konnte als zusehen, wie Kala Nag sich zwischen seinen Pfählen rastlos hin und her wiegte. Der kleine Toomai liebte es, felsige Wege hinaufzuklettern, wohin sich nur ein Elefant wagt, liebte es, in die Täler hinabzutauchen, wo das Wildschwein und der Pfau erschrocken unter Kalas Füßen davonflohen, oder bisweilen einmal in meilenweiter Ferne äsende Herden wilder Elefanten zu erspähen. Die warmen Regen liebte der Knabe, wenn Hügel und Täler von den niedergehenden Güssen dampften, liebte die tauigen, nebligen Morgen, da niemand wußte, wo man am Abend lagern würde – die lange, mühsame Treibjagd auf wilde Elefanten, das Eintreiben der Gefangenen, die wie Blöcke im Bergsturz in die festen Umzäunungen polterten, und wenn sie merkten, daß sie nicht mehr hinauskonnten, sich wütend gegen die dicken Pfähle warfen. Dann war der Augenblick gekommen, grell leuchtende Fackeln zu schwingen, blinde Schüsse abzugeben und Lärm zu machen, als seien alle bösen Geister aus der schwarzen Dschungel herbeigekommen. Ja, das war ein herrliches Leben! Und dabei konnte auch ein kleiner Knabe sich nützlich erweisen, und Toomai richtete soviel aus wie drei Knaben zusammengenommen, wenn er mit der Fackel umherschlug und sich heiser gellte.

Aber die rechte Freude begann erst, wenn die eingebrachten wilden Elefanten zum Gehorsam gebracht wurden und die Keddah, die weite Umzäunung, aussah wie ein Bild vom Untergang der Welt. Dann kletterte der kleine Toomai auf einen zitternden Pfosten, seine langen, braunen Haare flatterten im Wind, und sein schwarzer Schatten tanzte im Fackellicht. Das Trompeten und Schreien der Tiere war so betäubend, daß man sein eigenes Wort nicht vernahm. Sobald aber das Urweltgetöse etwas verebbte, drangen des Knaben schrille, befehlende Rufe an Kala Nags Gehör durch all das Gewirr und Gebrüll, das Krachen der reißenden Stricke, das Schnauben und Trompeten der gefesselten Elefanten. »Mail, mail, Kala Nag! (Geh an, geh an, ›Schwarze Schlange‹!) – Dant do! (Stoße ihn!) – Somalo! Somalo! (Vorsicht! Vorsicht!) – Maro! (Schlage ihn!) – Arre! Arre! Yai! Yai! Kya-a-ah!« So rief er, während der laute Kampf zwischen Kala Nag und seinem wilden Gegner von einem Ende der Umzäunung zum anderen tobte, mitten durch das Gewühl der anderen Tiere, die heulend und trompetend zur Seite flohen. Die alten Elefantenjäger wischten sich den Fackelruß aus den Augen und nickten dem kleinen Toomai zu, der vor Aufregung auf seinem Pfosten herumhopste.

Ja, er tat mehr als nur schreien. Eines Nachts glitt er von der Höhe des Pfostens herunter und stürzte mitten unter die tobenden Elefanten, um einem Treiber das Ende eines herabgefallenen Seils zuzuwerfen, mit dem das Bein eines störrischen Jungen gefesselt werden sollte. Junge Elefanten sind weit mutwilliger und schwerer in Ordnung zu halten als die alten. Kala Nag sah seinen kleinen Herrn in Gefahr, zerstampft oder zerquetscht zu werden; er stürzte herbei, nahm den Knaben vom Boden auf und überreichte ihn stolz dem großen Toomai, der seinem Sohn rechts und links ein paar Ohrfeigen gab und ihn auf den Pfosten zurücksetzte.

Am nächsten Morgen schalt ihn der Vater noch gehörig aus und sagte: »Ist denn das Leben in den Elefantenställen und das Zelttragen nicht genug für dich, daß du auf eigene Faust auf Elefantenfang ausgehen mußt, du Tunichtgut? Diese schmutzigen Elefantenjäger, die geringeren Sold bekommen als ich, haben Petersen Sahib alles erzählt.«

Der kleine Toomai erschrak. Er wußte nicht viel von den weißen Männern, aber eins wußte er: daß Petersen Sahib für ihn der mächtigste Mann in der Welt war. Er stand an der Spitze aller Unternehmungen, er allein fing alle die Elefanten ein für die indische Regierung, und er wußte mehr über Fährten und Gewohnheiten der gewaltigen Dickhäuter als irgendein Sterblicher.

»Was … was wird werden?« fragte der kleine Toomai.

»Werden? Das Schlimmste kann werden. Petersen Sahib ist übergeschnappt, würde er sonst die wilden Teufel jagen? Vielleicht wird er sogar einen Elefantenjäger aus dir machen wollen – dann mußt du des Nachts irgendwo in diesen fieberdurchseuchten Dschungeln schlafen, bis du zu guter Letzt im Keddah zu Tode getrampelt wirst. Das kommt von deiner Dummheit, du Taugenichts … Aber vielleicht wird es diesmal noch gut abgehen. Nächste Woche hört das Jagen auf, und dann werden wir Leute vom Flachland zu unseren Stationen zurückgesandt. Dann marschieren wir wieder auf glatten Wegen und vergessen all das verrückte Jagen. Ja, mein Sohn, ich bin sehr böse auf dich, da du dich in Sachen mischst, mit denen von Rechts wegen nur diese schmutzigen Dschungelleute aus Assam zu tun haben. Glaubst du etwa, daß ich in die stinkigen Keddahs stiege, wenn Kala Nag ohne mich arbeiten würde? Aber er ist nur ein Kampfelefant und zum Führen der Gefesselten nicht zu brauchen. So habe ich meinen festen Platz, wie es einem Mahout zukommt, einem Mahout sage ich, nicht einem einfachen gewöhnlichen Jäger – und einem Manne, der am Ende seiner Dienste eine Pension bekommt. Soll denn das Geschlecht der Toomai in den Schmutz einer Keddah hinabgezerrt werden? Lauselümmel! Marsch – gehe jetzt Kala Nag waschen, vergiß aber nicht seine Ohren und suche nach Dornen in seinen Füßen. Marsch, sonst fängt dich Petersen Sahib ein und macht dich zum dreckigen Elefantenjäger, zum erbärmlichen Fährtenläufer und Dschungelbären. Bah! Pfui! Fort mit dir!«

 

Der kleine Toomai schlich fort, ohne ein Wort zu sagen, aber er schüttete seinem Freunde Kala Nag sein ganzes Herz aus. »Macht alles nichts«, tröstete er sich, als er Kalas Füße untersuchte, »sie haben Petersen Sahib meinen Namen genannt … und vielleicht … vielleicht … wer weiß? Hai! Einen mächtigen Dorn hast du da! Halte still! Na, nun ist er heraus!«

Während der nächsten paar Tage wurden die neu eingefangenen Elefanten eingewöhnt. Sie mußten zwischen zwei abgerichteten Tieren auf und ab gehen, um sich an den Marsch in die Ebene zu gewöhnen.

Dann kam Petersen Sahib auf seiner klugen Elefantin Pudmini in das Lager geritten, um das Auszahlen der Löhne zu überwachen, denn die Jagd ging nun zu Ende. Ein schwarzer Schreiber saß an einem Tisch unter einem Baum und zahlte den Treibern aus der Ebene ihren Lohn aus. Sobald einer sein Geld empfangen hatte, ging er wieder zu seinem Elefanten, um sich der langen Reihe anzuschließen, die zum Abmarsch bereitstand. Die Jäger und Einfänger, die dauernd zu den Keddahs gehörten und jahraus, jahrein in der Dschungel blieben, saßen auf den Rücken der Elefanten, die zu Petersen Sahibs ständiger Jagdabteilung gehörten, oder lehnten mit ihren Büchsen an Baumstämmen und machten sich über die Treiber aus der Ebene lustig oder lachten, wenn ein frisch gefangener Elefant schnaubend aus den Reihen ausbrach.

Der große Toomai trat mit dem kleinen Toomai zum Schreiber; und Machua Appa, der Vormann der Fährtensucher, sagte leise zu seinem Freunde neben ihm: »Der da hat ganz das Zeug zu einem Elefantenjäger. Schade, in der Ebene unten wird der junge Dschungelhahn wohl gründlich mausern.«

Petersen Sahib hatte seine Ohren überall, nicht das kleinste Geräusch entging ihm; und das war auch notwendig für einen Mann, der das schweigsamste von allen lebenden Wesen belauscht – den wilden Elefanten. Der Sahib, bequem auf dem breiten Rücken seiner Pudmini ausgestreckt, wandte sich dem Sprecher zu: »Was höre ich da? Ich habe noch niemals einen Flachlandtreiber gesehen, der auch nur einen toten Elefanten richtig zu seilen verstand.«

»Das ist kein Mann, sondern ein Knabe. Beim letzten Treiben ist er in die Keddah gelaufen und hat dem Barmao dort das Seil zugeworfen, als wir das junge Kalb mit der Blesse an der Schulter von seiner Mutter trennen wollten.«

Machua Appa deutete auf den kleinen Toomai, Petersen Sahib sah ihn an, und der kleine Toomai verbeugte sich bis zur Erde.

»Der Knirps da hat ein Seil geworfen? Er ist ja kaum drei Käse hoch. Komm mal her – wie heißt du denn?«

Der kleine Toomai fürchtete sich so, daß er kaum sprechen konnte. Aber Kala Nag war hinter ihm, und auf ein Zeichen mit der Hand nahm ihn der Elefant mit dem Rüssel hoch in die Luft und hielt ihn gerade vor den mächtigen Sahib. Da verdeckte der Knabe seine Augen mit den Händen – denn er war ja doch nur ein Kind und in allen Dingen, falls es sich nicht um Elefanten handelte, so scheu, wie nur ein Kind sein kann. »Oho!« sagte Petersen Sahib und strich sich lächelnd den langen Schnurrbart, »und aus welchem Grunde hast du die ›Schwarze Schlange‹ denn dieses Kunststück gelehrt? Wohl, damit du das Korn von den Dächern stehlen kannst, wenn es zum Trocknen ausliegt?«

»Nicht Korn, Beschützer der Armen – Melonen!« sagte der kleine Toomai, und alle ringsherum brachen in schallendes Gelächter aus. Die meisten hatten in ihrer Jugend den Elefanten dasselbe Kunststück beigebracht. Der kleine Toomai schwebte acht Fuß über dem Boden und wünschte sehnlichst, mindestens ebenso tief unter der Erde zu liegen.

»Er ist mein Sohn, Sahib«, sagte der große Toomai mürrisch. »Er ist ein Taugenichts und wird wohl im Gefängnis enden, Sahib!«

»Daran zweifle ich«, antwortete der mächtige Mann, und seine Augen sahen aus, als wollten sie sich in den alten Toomai hineinbohren. »Ein Knabe, der sich so jung in eine volle Keddah hineinwagt, endet nicht im Gefängnis. Hier hast du vier Annas, kaufe dir Zuckerwerk; denn du hast einen Kopf unter deinem großen Schopf. Später, wenn es soweit ist, kannst du vielleicht ein Jäger werden.« Des großen Toomai Gesicht zog sich noch mehr in die Länge. »Aber vergiß nicht«, fuhr der Sahib fort, »Keddahs sind keine Spielplätze für Kinder.«

»Darf ich denn niemals wieder hineingehen?« fragte der kleine Toomai mit stockender Stimme.

»Doch!« Petersen Sahib lachte verstohlen. »Sobald du den Tanz der Elefanten gesehen hast. Dann ist die rechte Zeit. Komme zu mir, wenn du die Elefanten hast tanzen sehen, dann stehen dir alle Keddahs offen.«

Wieder erscholl ein lautes Gelächter ringsherum; denn das ist ein alter Scherz der Elefantenjäger und bedeutet: niemals! Tief in den Dschungeln versteckt liegen weite, flach getretene Lichtungen, Ballsäle der Elefanten genannt; aber nur selten findet man sie durch Zufall, und noch nie sah ein menschliches Auge den Tanz der Elefanten. Wenn ein Treiber mit seiner Tapferkeit prahlt, dann fragen die anderen höhnend: »Wann hast denn du die Elefanten tanzen sehen?« Kala Nag ließ seinen kleinen Herrn zu Boden; der Knabe machte wiederum eine tiefe Verbeugung und ging mit dem grollenden Vater davon. Er gab das Silberstück seiner Mutter, die das kleine Brüderchen nährte; dann wurde die ganze Familie auf Kala Nags Rücken verstaut, und der lange Zug der murrenden und gurgelnden Elefanten setzte sich über den gewundenen Hügelpfad nach dem Flachland in Bewegung. Es wurde ein recht unruhiger Marsch, denn die neugefangenen Elefanten zeigten sich bei jeder Furt widerspenstig und bedurften fortwährend beruhigender Worte oder klatschender Stockhiebe.

Der große Toomai bearbeitete Kala Nag mit dem eisernen Stachel, denn er war ärgerlich; aber der kleine Toomai döste glückselig vor sich hin. Petersen Sahib hatte ihn zu sich gerufen und ihm sogar Geld gegeben, und so fühlte er sich wie ein Soldat, den der General aus Reih' und Glied gerufen und öffentlich gelobt hat.

»Was hat denn der Sahib mit dem Elefantentanz gemeint?« fragte er endlich leise seine Mutter.

Aber der Vater hörte ihn und sagte verächtlich: »Daß du niemals so ein Bergbüffel von Fährtensucher werden sollst, das meinte er. Heda! – ihr da vorn! – was versperrt den Weg?«

Ein assamesischer Treiber, zwei oder drei Elefanten voraus, rief ärgerlich: »Her mit deinem Kala Nag! Er soll dieses Kalb hier zur Vernunft bringen. Warum mußte Petersen Sahib gerade mich mit diesen Reisfeldeseln ins Flachland schicken! Bring dein Tier längsseits, Toomai, damit er den Schlingel hier mit den Stoßzähnen bearbeitet. Bei allen Göttern in den Bergen! … Der Teufel ist in diese neuen Elefanten gefahren, oder sie wittern ihre Kameraden in der Dschungel.«

Kala Nag stieß den jungen Elefanten unsanft in die Rippen, und der alte Toomai knurrte: »Pah! Kameraden in der Dschungel! Hier in den Hügeln gibt es keine mehr, wir haben alle verjagt oder gefangen. Ihr versteht nur nicht zu treiben. Muß ich denn allein den ganzen Zug in Ordnung halten?«

»Hört nur!« höhnten die anderen Treiber. »Wir haben die Hügel gesäubert! Ho! Ho! Ihr seid ja mächtig gescheit, ihr Lümmels vom Flachland! Wer seine Nase nur jemals in die Dschungel gesteckt hat, der sollte doch wissen, daß die Elefanten ebensogut merken, wenn die Jagd zu Ende ist, wie wir. Und deshalb werden die wilden Elefanten heute nacht … aber was soll ich meine Weisheit an diesen Sandhasen aus der Ebene verschwenden?«

»Was … was werden die Elefanten heute nacht tun?« fragte der kleine Toomai.

»Ohe! Bist du auch da, Kleiner? Nun gut, ich werde dir's sagen, denn du hast mehr Verstand als die Schildkröten, deine Stammesgenossen. Tanzen werden sie heute nacht … jawohl, tanzen! Und deshalb sollte dein weiser Vater, der alle Elefanten auf allen Hügeln gefangen hat – er sollte die Tiere an doppelte Ketten legen!«