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Das Dschungelbuch

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Das Dschungelbuch
Das Dschungelbuch
Hörbuch
Wird gelesen Lydia Herms
4,99
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»Such ihn dir selber!« heulte der alte, böse Bulle. »Mach, daß du fortkommst. Wir haben hier anderes zu tun, als uns mit naseweisen Eindringlingen abzugeben!« und damit machte er die Augen zu.

Kotick machte seinen Delphinsprung in die Luft und rief, so laut er nur eben konnte: »Du alter, gräßlicher Muschelfresser! Hu, du großmäuliger Muschelfresser!« Er wußte sehr wohl, daß der Hexenmeister niemals in seinem Leben einen Fisch fing, sondern den Muscheln und Schalentieren im Seegrase nachstellte, obwohl er sich den Anschein gab, als sei er eine sehr gefährliche Persönlichkeit. Natürlich nahmen alle die Seemöwen und die Tauchvögel und alle Wandervögel mit langen Schnäbeln und noch viel längeren Namen den Schrei auf. – »Alter Muschelfresser!« heulte und piepste, schnatterte und schrie es von allen Seiten, so daß man mit bestem Willen sein eigenes Wort nicht hören konnte.

»Nun?« rief Kotick nach einer Weile, als der Lärm sich ein wenig gelegt hatte. »Ist es dir vielleicht jetzt gefällig, mir eine Antwort zu geben?«

»Geh und frage die Seekühe!« grollte der Hexenmeister. »Weichnase, ihr Leitstier, ist klug. – Falls er noch lebt, wird er dir Auskunft geben können!«

»Und was sind denn das für Leute, die Seekühe?« fragte Kotick.

»Oh! Du kannst sie leicht erkennen«, schnatterten die Tauchvögel lachend, und die Möwen kreischten: »Sie sind die einzigen Wesen im Meere, die noch häßlicher und unmanierlicher sind als der alte Hexenmeister!«

Kotick aber schwamm schnell zurück zur heimatlichen Bucht von Novastoschna. Vergebens versuchte er, für seinen Kummer Teilnahme zu finden. Seine Genossen hörten ihn ein paar Minuten lang an, dann aber begannen sie zu gähnen oder gar ihn auszulachen. Keiner von ihnen hatte je das Schlachten mit angesehen, deshalb verstanden sie ihn auch nicht. Außerdem war Kotick eine weiße Robbe.

Sogar beim eigenen Vater fand er taube Ohren.

»Ach was«, knurrte Scharfzahn. »Sieh zu, daß du groß und stark wirst, und nimm dir dann eine Frau, dann lassen sie dich in Ruhe – die Menschen. In fünf Jahren mußt du kämpfen können wie ich.«

Seine Mutter, die gutherzige Matka, suchte ihn zu trösten. »Du wirst es nie fertigbringen, daß das Töten aufhört. Geh und spiele, mein lieber Bub!« Und Kotick schlich mit schwerem Herzen fort und tanzte traurig den Feuertanz mit den anderen.

Früh im Herbst verließ er die Bucht und schwamm ganz allein davon, nur mit einem Gedanken in seinem Kugelkopf. Er wollte die Seekühe finden, falls es solche Wesen überhaupt gab, und eine Insel entdecken, deren Ufer so steil waren, daß Menschen nicht hinkommen konnten.

So durchstreifte er unermüdlich die Ozeane von einem Ende zum anderen und schwamm oft dreihundert Meilen in einem Tag und einer Nacht. Dabei erlebte er mehr Abenteuer, als sich erzählen läßt. Mehr als einmal war sein Leben in größter Gefahr, denn die Haifische waren auf seinen Spuren; er hatte mit all dem streitlustigen Gesindel zu tun, das beständig die Tiefen des Meeres durchwandert, und mit all den wundersamen Gebilden, die keines Menschen Auge je gesehen hat und die tief, tief unten im schwarzen Wasser ihr rätselhaftes Wesen treiben. Aber soviel er auch suchte und umherschwamm und fragte – er traf keine Spur von der Seekuh oder von seiner einsamen Trauminsel.

Entdeckte er eine Bucht, die sich für Robben eignete und einen schönen Spielplatz für die Jungen bot, so sah er sicherlich in der Entfernung den Rauch eines Walfischfängers, und der Wind fegte den Geruch des Trans herüber, der aus dem Speck gesotten wurde. Oder er konnte deutliche Spuren wahrnehmen, daß die Robben einst die Insel besucht hatten und daß sie alle, alle abgeschlachtet waren.

Von einem alten, stumpfschwänzigen Albatros hörte er, daß die Kerguelen-Insel genau das sei, was er suche. Doch als er nach angestrengter Reise dort endlich anlangte und mitten in einem fürchterlichen Gewitter an den Klippen emporklomm, konnte er sogar dort die Spuren alter Robbenplätze entdecken. Wo die Menschen einmal gewesen waren – dorthin würden sie ihren Weg auch wiederfinden, das wußte er. Und so war es auch mit allen anderen Inseln, die er besuchte.

Limmershin zählte ihm eine ganze Reihe davon auf, und Kotick irrte fünf Jahre lang auf Entdeckungsreisen umher und ruhte sich nur vier Monate jedes Jahr in Novastoschna aus, wo er immer von den Holluschickie wegen seiner Trauminsel verhöhnt wurde.

Er kam nach den Galapagos-Inseln, einem gräßlichen, ausgetrockneten Platze dicht am Äquator, wo die Sonne ihn beinahe zu Tode gebraten hätte; er besuchte die Georgia-Inseln, die Orkneys, die Emerald-Insel und viele andere mehr; ja, er suchte sogar ein winziges Stückchen Land ab, das gar keinen Namen hat und südlich des Kaps der Guten Hoffnung aus der See hervorragt. Aber immer erzählten ihm die Meervölker dieselbe Geschichte. Vor langer Zeit hatten sich die Robben auf allen diesen Plätzen getummelt, aber die Menschen hatten alle getötet. Ja, er schwamm sogar über den Stillen Ozean hinaus, und als er Tausende von Meilen fortgeschwommen war, kam er zum einsamen Kap Corrientes; hier traf er einige hundert räudige Seehunde auf den Felsen, und auch sie sagten, daß die Menschen hierherkämen.

Das brach ihm fast das Herz, und er schwamm um das Kap Hoorn herum zu seinen heimatlichen Küsten. Auf dem Weg nach Norden gelangte er an eine mit grünem Wald bewachsene Insel, und am Strande fand er einen uralten, sterbenden Seehund, dem er Fische fing und alles erzählte. »Und jetzt kehre ich nach Novastoschna zurück«, endete Kotick. »Und wenn sie mich dann zum Schlachtplatz treiben, so soll es mir ganz gleichgültig sein!«

»Versuche es noch einmal«, sagte der alte Seehund. »Ich bin der letzte der Seehunde von Masaguera; und damals, als die Menschen kamen und uns zu Hunderttausenden erschlugen, da ging eine Sage an den Küsten, daß einst im Norden ein weißer Seehund erstehen und unser Volk nach einem Ort führen werde, wo es in Frieden leben könne. Ich bin alt und werde diesen Tag nicht mehr erleben; aber andere werden es. Versuche es noch einmal.«

»Ich werde es versuchen! Ich werde es!« bellte Kotick, und sein kleiner Schnurrbart sträubte sich stolz in die Höhe. »Ich bin die einzige weiße Robbe, die es jemals gegeben hat!«

Darüber wurde er sehr froh; und als er in diesem Sommer nach Novastoschna zurückkehrte, bat ihn Matka, seine Mutter, zu heiraten und eine Familie zu gründen, denn er wäre nun kein Holluschickie mehr, sondern ein erwachsener Robbenmann, mit einer lockigen, weißen Mähne auf den Schultern und so stark und wild wie sein Vater.

»Laß mir noch ein Jahr Zeit«, tröstete Kotick die Mutter, »dann bin ich gerade sieben – und immer die siebente Welle ist's, die am weitesten den Strand hinaufrollt.«

Sonderbar genug gab es in der Bucht noch eine andere Robbe – eine liebliche Jungfrau mit schlankem Körper und glänzenden Augen –, die gerade wie Kotick ihre Heirat noch ein Jahr lang verschieben wollte. Und Kotick tanzte mit ihr den Feuertanz die ganze Lukannonküste hin in der Nacht, bevor er sich zu seiner neuen Entdeckungsreise aufmachte.

Diesmal wandte er sich westwärts, denn er folgte einem großen Schwarme von Heilbutten, da er täglich etwa hundert Pfund Fleisch brauchte, um bei Kräften zu bleiben. Dann rollte er sich zusammen und schlief, sanft gewiegt von der weichrollenden Dünung auf der Höhe der Copper-Inseln.

Um Mitternacht etwa geriet er auf Grund, unbemerkt hatten ihn Wind und Wogen auf eine dicht von Seetang überwachsene Sandbank getrieben. Starke Strömung heute, dachte Kotick und drehte sich im Halbschlaf um, dann öffnete er langsam die Augen.

»Bei der großen Brandung von Magellan«, rief er erstaunt, plötzlich vom Tangbett hochschnellend. »Was in aller Tiefsee sind denn das für Völker?«

Weder Walrosse noch Seelöwen, Walfische oder Haie waren sie, die sich hier stumm im Tang bewegten und ästen – gewaltige Tiere, zwanzig bis dreißig Fuß lang, mit schaufelartigem Schwanz. Klumpige Schädel saßen ihnen zwischen den Schultern, und seltsam wippten sie, auf den Schwänzen stehend, im Wasser, ästen und verneigten sich sonderbar feierlich voreinander, wobei sie ihre zwei vorderen Schwimmschaufeln wie Arme schwenkten.

»Ahem!« machte Kotick, um sich bemerkbar zu machen. »Viel Vergnügen, meine Herren! Schmeckt die Mahlzeit?«

Als Antwort verneigten sich die dicken Tiere und wedelten mit den Vorderflossen. Als sie sich wieder ans Äsen machten, bemerkte Kotick, daß ihre Oberlippe gespalten war. Mit den beiden Teilen, die sie weit auseinander bringen konnten, umfaßten sie einen ganzen Büschel Seegras, stopften ihn in den Mund und verneigten sich alsdann feierlich.

»Na, das ist ja eine komische Art zu fressen«, sagte Kotick. Die Tiere verneigten sich wiederum, aber Kotick verlor nun langsam die Geduld. »Das ist ja sehr schön«, sagte er, »daß ihr etwas ganz Besonderes habt mit eurer Lippenzunge, aber deshalb braucht ihr euch doch nicht so dicke zu tun. Ihr wißt euch sehr nett zu verbeugen, wie ich sehe, aber ich möchte lieber euren Namen wissen.« Die gespaltenen Lippen zuckten, und die glasigen grünen Augen starrten, aber sie sagten kein Wort.

»Wenn ihr nicht antworten wollt, so laßt es bleiben!« sagte Kotick. »Ihr seid die einzigen Geschöpfe, die häßlicher sind als der alte Hexenmeister – häßlicher und mit gröberen Manieren!«

Und da erinnerte er sich plötzlich, was die Seemöwen und die Tauchvögel ihm einst bei der Walroß-Insel zugerufen hatten, als er noch ein Jährling war. Er sprang vor Freude hoch auf und platschte im Wasser, daß der Schaum zischend umherflog, denn jetzt wußte er, daß er endlich, endlich das Volk der Seekühe gefunden hatte.

Er fragte sie in allen möglichen Sprachen, die er auf seinen weiten Reisen gelernt hatte, denn die Bewohner des Meeres sprechen fast ebenso viele verschiedene Sprachen wie die Menschen auf dem Lande. Aber ob er auch heulte und schrie und sich beinahe heiser redete, die Seekühe hörten ihm schweigend zu, ohne ein Wort zu erwidern. Sie sind nämlich stumm, diese sonderbaren Burschen, und können keinen Laut von sich geben; an Stelle der Sprache haben sie Zeichen, die sie mit ihren Vorderfüßen machen und vermittels derer sie sich verständigen, ungefähr ebenso wie taubstumme Menschen.

 

Aber Kotick wußte das natürlich nicht. Er hielt die Seekühe für sehr ungebildete Leute, und als die Sonne aufging, war es mit seiner Geduld ganz und gar zu Ende. Da plötzlich sah er, wie die plumpen Gestalten begannen, sich langsam vorwärts zu bewegen. Dann hielten sie wieder inne, verbeugten sich steif und schienen eine Art Beratung abzuhalten, um sich bald darauf wieder schwerfällig in Bewegung zu setzen.

Kotick beschloß, ihnen zu folgen, denn, sagte er sich:

»Diese Geschöpfe sind so dumm, daß sie längst von den Menschen ausgetilgt worden wären, wenn sie nicht irgendeine sichere Schutzinsel besäßen; und wo Seekühe leben können, da wird es auch für uns Robben gut sein. Aber wenn sie sich nur ein wenig beeilten!«

Es war eine recht langweilige Reise für Kotick. Die Seekühe schwammen niemals mehr als etwa zehn Meilen an einem Tage und hielten sich immer nahe an der Küste, um während der Nacht grasen zu können. Kotick kreiste um sie herum und schoß wie der Blitz über oder unter ihnen durch das Wasser, aber sie beachteten ihn nicht einmal oder verbeugten sich höchstens vor ihm in ihrer närrischen Weise, ohne sich im mindesten zu beeilen. Als sie weiter nördlich kamen, hielten sie alle paar Stunden ihre Ratsversammlungen ab, während welcher Kotick beinahe seinen Schnurrbart vor Ungeduld abkaute. Zuletzt jedoch folgten sie einer warmen Strömung, und jetzt ließ ihr Benehmen wenigstens eine Spur von Verstand erkennen.

Da – eines Nachts – Kotick wollte seinen Augen kaum trauen, fingen die dicken Seekühe an, ihre Füße hin und her zu schlagen und schneller, immer schneller durch das Wasser zu gleiten. Kotick hatte sich nicht träumen lassen, daß diese dummen Geschöpfe soviel von der Schwimmkunst verstünden. Die Strömung trug sie an einen jäh aus dem Meer aufragenden Felsen, und hier machte die ganze Herde halt. Ein paar Minuten lang hielten sie wieder mit vielen Verbeugungen ihre wunderliche Versammlung ab, dann plötzlich schossen sie senkrecht in das Meer hinab und verschwanden in den schäumend zusammenschießenden Wellen.

Kotick war ganz außer sich vor Erstaunen, als er plötzlich an Stelle all der schwankenden Gestalten nur noch den glatten Wasserspiegel vor sich sah. Schnell holte er tief Atem und stürzte sich kopfüber in die Flut… tief, tief hinab. Da bemerkte er, wie die Seekühe in ein schwarzes Loch glitten, das sich ganz unten im tiefen Wasser befand – er folgte, schwamm und schwamm, ohne vor sich etwas anderes zu sehen als stockfinstere Nacht. Kotick meinte, der Tunnel sei ohne Ende, und fast wäre er erstickt, ehe ihm auf der anderen Seite Lichtstrahlen entgegenleuchteten.

»Hunderttausend schwarze Krabben!« sagte er, als er endlich pustend und schnaufend aus dem Wasser tauchte. »Das war ein gewagtes Unternehmen … aber es lohnte sich der Mühe.«

Die Seekühe hatten sich verteilt und nagten in ihrer trägen Weise an den Pflanzen, die an einer langgestreckten Bucht wuchsen. Koticks Augen funkelten vor Freude: das war die allerherrlichste Küste, die es geben konnte. Da zogen sich meilenweit niedrige Felsbänke hin, die sich nach dem Lande zu in prächtigen Dünen verliefen – und da waren ganz entzückende Spielplätze, und die Wellen wirbelten gerade so viel Schaum auf, um einen lustigen Tanz in ihnen zu ermöglichen, kurz, Kotick sah auf den ersten Blick, daß der Ort wie geschaffen war für eine Heimstätte der Robben. Er fühlte sich plötzlich fünf Jahre jünger, er kletterte auf die Klippen, tanzte auf dem Sande umher und sprang wieder in das Meer, um zu sehen, wie es mit dem Fischfang stünde. Die Jagd war ganz vortrefflich, und Kotick machte sich daran, die kleinen Inseln zu zählen, die in der Nähe aus dem grauen Nebel hervorlugten. Weit in die See hinaus ragten in nördlicher Richtung scharfe Riffe, die niemals einem Schiffe gestattet hätten, sich zu nähern; und von der ändern Seite war die Bucht hinter hohen, unübersteigbaren Klippen verborgen, so daß der Zutritt nur vermittels des Tunnels tief unter dem Wasserspiegel möglich war.

»Das ist ja hunderttausendmal besser als alle Novastoschnas auf der ganzen Erde zusammengenommen«, rief Kotick. »Die Seekühe müssen ein ganz Teil klüger sein, als sie aussehen. Ich fühl's der Luft und dem Wasser an, hier gibt es keine Menschen – aber selbst wenn sie kommen wollten, ihre Schiffe würden an den Klippen zerschellen, und niemand von ihnen kann über die Felsen klettern. Wenn's überhaupt einen sicheren Platz in der Welt gibt, so ist es dieser.«

Und er begann, an das Robbenfräulein zu denken, das so weit von ihm weg war; aber wenn er es auch sehr eilig hatte, nach Novastoschna zurückzukehren, erforschte er doch erst gründlich das neue Land, um über alles genau Auskunft geben zu können.

Dann tauchte er, durchschwamm den Tunnel und wandte sich in schnellem Tempo nach Süden. Niemand außer einer Seekuh oder einer Robbe hätte sich träumen lassen, daß ein so herrliches Land dort lag; und als Kotick zurückblickte auf die steil ragenden Klippen, konnte er selbst kaum glauben, daß er unter ihnen hindurchgetaucht war.

Er brauchte sechs volle Tage zur Heimreise, obgleich er gewiß nicht langsam reiste. Als er dann gerade beim Seelöwenkog an Land ging, begegnete ihm als erste die Robbe, die auf ihn wartete; und sie sah es gleich seinen Augen an, daß er die gesuchte Insel gefunden hatte.

Aber die Holluschickie und Scharfzahn, sein Vater, und die anderen Robben lachten ihn aus, als er von seiner Entdeckung erzählte. Und ein junger Seehund, etwa in gleichem Alter mit ihm, sagte: »Das ist alles sehr schön, Kotick; aber du kannst doch nicht von wer weiß woher kommen und uns plötzlich befehlen, daß wir folgen sollen. Bedenke, daß wir uns hier unsere Heimplatze erkämpft haben. Das hast du nie getan, sondern hast vorgezogen, dich im Meer herumzutreiben.«

Die anderen lachten darüber, und der junge Seehund begann seinen Kopf hin und her zu wiegen. Er hatte gerade in diesem Jahr sich einen Platz für seine Frau erkämpft und war sehr stolz darauf.

»Ich bedanke mich für eure Plätze«, antwortete Kotick. »Was hat all das Kämpfen für einen Zweck, wenn eure Kinder doch erschlagen werden?«

»Oho, wenn du kneifst, habe ich nichts mehr zu sagen«, höhnte der junge Seehund.

»Willst du mit mir kommen, wenn ich dich im Kampf besiege?« fragte Kotick, und in seine Augen kam ein kaltes, graues Licht.

»Gut, abgemacht«, sagte der junge Seehund leichthin. »Wenn du mich besiegst, komme ich mit.«

Er hatte keine Zeit, sich eines Besseren zu besinnen, denn im nächsten Augenblick saß ihm Koticks Zahn im Nacken. Der Angriff war so plötzlich und gewaltig, daß der vorlaute Bursche den Strand hinabrollte, während Kotick ihn mit den Zähnen bearbeitete und hin und her schüttelte, als sei er nichts als ein kleiner zappelnder Fisch und keine große, ausgewachsene Robbe. Als er endlich im Wasser anlangte und den weißen Schaum mit seinem Blut färbte, ließ Kotick von ihm ab und wandte sich den anderen zu. »Fünf Jahre lang habe ich mich für euch abgequält!« rief er. »Und endlich, endlich habe ich die Insel gefunden, wo ihr glücklich und ungestört leben könnt. Aber ihr verhöhnt mich und wollt mir nicht glauben … so lange, bis man euch den dummen Kopf vom Rumpfe abhaut. Gut denn! So muß man euch das Nötige beibringen. Aufgepaßt! Wahrt eure Haut.«

Die Möwen, die kreischend umherflogen, hielten in ihrem Fluge inne, denn so etwas wie Koticks Ansturm mitten in die Robbenplätze hinein hatten sie noch niemals gesehen, obgleich sie jahraus, jahrein den Kämpfen der Robben zuschauten.

Kotick warf sich auf die größte Robbe, die er erspähen konnte, packte sie an der Kehle, würgte und zerrte sie auf dem Boden umher, bis sie laut heulend um Schonung flehte. Dann ließ er sie blutend liegen und stürzte sich auf den nächsten Gegner. Koticks Körper war in vortrefflichem Zustande; seine weiten Reisen hatten seine Muskeln gestärkt und seine Glieder geschmeidig gemacht, während die anderen Robben nach ihrer Sitte nun schon monatelang gehungert hatten und entkräftet waren.

Und wie Kotick sich unermüdlich immer wieder auf einen neuen Gegner stürzte, wie er zornig seine lange Mähne schüttelte und mit den glühenden Augen umhersah, da bot er einen prächtigen Anblick. Und als zu guter Letzt die Fünf- und Sechsjährigen in alle Windrichtungen flohen, da rief der alte Scharfzahn: »Mein Sohn, du magst ein Narr sein, aber jedenfalls bist du der beste Kämpfer unter allen Robben! … Sieh dich um!… Dein alter Vater kommt dir zu Hilfe!«

Der alte Scharfzahn fühlte sich auf einmal ganz jung; schnaufend wie eine Lokomotive kam er dahergewackelt, und im Augenblicke war er an der Seite seines Sohnes.

Matka und Koticks Freundin, die so lange auf seine Rückkehr gewartet hatten, lugten über die Felsen hinaus und bellten ihren Lieblingen Beifall zu. Ja! Es war ein herrlicher Kampf, denn die beiden fuhren fort, einzuhauen, solange noch irgendeine Robbe sich zu zeigen wagte; und als sie sich alle verkrochen hatten, watschelte Kotick mit seinem Vater am Strand auf und ab, laut bellend und die Mähne schüttelnd.

Als nachts das Nordlicht am Himmel aufstieg und durch den Nebel seine zitternden Strahlen sandte, kletterte Kotick auf einen Felsen und sah auf alle die zerstörten Robbenplätze hinab. »Ihr habt's nicht anders gewollt«, sagte er grimmig; »jedenfalls habe ich versucht, euch ein paar Gedanken in euren dummen Kopf hineinzuhämmern!« Und dann brüllte er so laut, daß alle die blutenden Robben erschrocken aufhorchten: »Hört mich, ihr dickbäuchigen Seeigel! Wer von euch will mit mir zur neuen Insel kommen? Antwortet mir, oder ich werde euch den Mund öffnen!«

Da klang es an der ganzen Bucht entlang wie das Murmeln des Meeres, das nach der Ebbe aus dem Schöße der Erde zurückkehrt. »Wir wollen dir folgen«, lispelten Hunderte von heiseren Stimmen. »Führe uns, Kotick, du weiße Robbe.«

Aber hätten sie ihn nur genau betrachten können, so hätten sie gewußt, daß Kotick nicht mehr eine weiße Robbe war, denn sein ganzes Fell war vom Kopf bis zum Schwanze mit rotem Blute, purpurrotem Blute, befleckt. Kotick zog den Kopf stolz in die Schultern zurück. Er schloß die Augen und dachte gar nicht daran, seine vielen Wunden auch nur eines Blickes zu würdigen.

Eine Woche später verließ eine ungeheure Schar Robben – beinahe zehntausend – die Bucht. Es war Kotick mit seinemHeere – sie bedeckten das ganze Meer, so weit man nur sehen konnte. Kotick sprang zuerst an ihrer Spitze in die See und gab damit das Zeichen zum Aufbruch.

Viele blieben zurück und nannten die scheidenden Robben Narren. Als aber wieder der Frühling hereinbrach über das Nordland, traf man sich in der Tiefsee zu gemeinsamem Fischfang. Und Koticks wohlgenährte Völker schilderten die Felsengestade am »Seekuhtunnel« so farbig und verlockend, daß immer mehr Robben die Buchten von Novastoschna und Lukannon hinter sich ließen, um abzuwandern nach Koticks gesegnetem Friedensreich – dem Gelobten Lande der Robben …