Der mysteriöse Cavalier und andere Novellen

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„Was fruchtet's, gnädiger Herr Stabsrittmeister, die kleinen Räuber wie mich richten, und die großen läßt man laufen und hat die Noth also doch kein Ende! Ja – wenn ich noch der Johannes durch den Wald selber wäre ...“



„Bist wenigstens sein Freund und Vertrauter ...“



„Mir vertraut er! Laßt nur mir das Leben und gerade Glieder“, bettelt das ekle Bündel am Boden. „Ich will Euch auch von Herzen gern dafür den Johannes durch den Wald anzeigen und verrathen!“



Da pfeift der Husar oben durch die Zähne und lacht: „Guckt der Fuchs schon aus meinem Loch? Du Maledetto! Weißt du, was ich mit dir vorhab?“



„Mich gnädigst springen lassen,“ flennt es auf der Erde, „wenn ich den Johannes auf den Markt und ans Messer bringe!“



„Hoffst du so, du Höllensohn?“



„Wohlgeborener Herr, was ist an einem geringen Landstreuner und falschen Trompeter wie mir gelegen? An mir ist nicht viel Ehr' zu holen! Hingegen wer den Johannes durch den Wald meistert, erwirbt sich Mériten durch das ganze Land, und in jedem Bänkelsängerlied wird sein Name gepriesen und ihm dankt die ganze Population, und der Herr Stabsrittmeister hat einen rechten Husarenruhm und Ehre aus dieser Affaire!“



„Gut denn!“ sagt der Preuße ohne Wimperzucken zu dem Kerl zu seinen Füßen. „Du hast deine Bosheiten gegen mich verübt! Also kann ich dich auch pardonnieren, ohne ein gräfliches Urtheil! Entläufst dem Teufel doch nicht! Steh auf!“



Nun gedieh der Kerl wenigstens aus dem Dreck, in dem er sich wälzte, auf die Knie, umklammerte so die Kniee des Herrn Stabsrittmeisters und barmte wie ein kleines Kind: „Lieber, guter Herr Stabscapitän! Lassen Sie mich leben!“



„Antworte mir: wer ist der Johannes durch den Wald?“



„Gnädiger Herr! Ich weiß es nicht!“



„Lasse die Wahrheit aus deinem Maul gehen, Kerl, oder ich mache dich doch noch zu einer Rabenspeis' am Galgen!“



„Euer Gnaden! Es heißt allerorts, selber Johannes habe bei den türkischen Heiden im Lande Ägypten den Schlüssel Salomonis und ein Bündniß mit dem Teufel gewonnen, sei aber im Übrigen der rechte, heimgekehrte Sohn Seiner gräflichen Erlaucht von Palmingen! Ob er es nun in Wahrheit ist, das ist mir nicht bekannt!“



„Hast ihn doch oft genug von Angesicht gesehen, du lügnerischer Satanello!“



„Immer nur mit einer Larve vor seinem Antlitz, Herr Stabsrittmeister! Immer nur mit einer schwarzen Larve! Der Johannes durch den Wald läßt sich nicht anders erblicken!“



Dieser Drommeter Uriels und Belials-Dragoner stand nun auf seinen zwei lebenden Beinen und verstummte. Der preußische Herr frug weiter: „Wenn du mir schon nicht melden kannst, wie der Johannes durch den Wald aussieht, du Erzdieb, so wirst du doch wissen, wo sein Verweilen und sein gewöhnlicher Aufenthalt ist ...“



„Ich thät es von Herzen gern sagen, gnädigster Herr Rittmeister! Aber der Johannes durch den Wald verräth es Keinem, woher er kommt! Auf einmal steht er unter uns!“



„Wo – du incorrigibler Schuft! Nun aber sprich!“



Der Trompeter schaute sich voll bösen Gewissens in der Nacht um, schluckste merklich und raunte: „Eine halbe Stund' von hier liegen in einer wüsten, leeren Gegend die Kandelmühlen. Die sind von altersher ein wahres, rechtschaffenes Räuberquartier! In selben Kocheme Bayes, wie wir Jauner solche vertraute Häuser nennen, versammelt sich heute Nacht unsere ganze Diebessozietät!“



„Und du mit?“



„Allergnädigster Herr – ich wäre ein feiger Hans ohne Herz, wenn ich diesmal ausbleiben wollt'! Es wird heute eine gewaltige Chasne Maloche geben – ein Einbruch mit Sturm und Feuersnot und Blut, wie noch keiner im Lande dagewesen! Es sind große verrufene Räuber von weither verschrieben und gekommen! Viel Scherfenspieler mit ihnen – will sagen Hehler, um das unmäßige geraubte Gut wegzuschaffen! ... Wird die Mühe lohnen, Herr Stabsrittmeister! Die großen Planwagen sind voll von Leinwand, Garn und Tuch, Rauchwerk, Sammet und Seide, Silber, Kupfer und Zinn, Zierleder, Daunensäcken, Bettung, Mehl, Schmalz, Schinken und Wurst. Bargeld in dicken Beuteln, Fässer voll starkem Pfälzer Wein. Goldene Borten und Tressen. Federbüsch' und Stickereien und ... Pardonnieren mir Euer Gestrengen! Aber das Wasser ist einem Kerl wie mir im Maul zusammengelaufen, wie ich die Wagen vorhin habe vorbeipassieren sehen!“



„Welche Wagen, du Hundsfott?“



„... Die die Frau Gräfin von Hohen-Sulz mit ihrer Bauernschaft nach Heilig-Kreuz geschafft hat! Dort stehen die Wagen jetzt im Klosterhof und Ihro Hohen-Sulz'schen Gnaden glauben sich selber und die gräfliche Fahrniß in dem verschlossenen Haus hinter Eichentoren und eisernen Gittern sicher und wohl verwahrt. Aber Ihre Hochgeboren macht ihre Rechnung ohne den Johannes durch den Wald! Der ist noch in jedes Haus eingedrungen, wohin es ihn gelüstete – sei's mit Witz, sei's mit der Faust! Da frommt nicht Riegel und nicht Wachhund, nicht brennende Pechpfannen und nicht Sturmläuten! Der Johannes durch den Wald findet seinen Einschlupf und wir hinterher! Das sind wir nicht anders gewohnt!“



„Und so wollt Ihr heute Nacht das Haus der Frau Gräfin attaquieren?“



„Nach Mitternacht marschieret alles von der Kandelmühle durch den Wald dorthin ab! ... Nun hab' ich frei meine ganze Wissenschaft gestanden! Gnädiger Herr Offizier: Ihre

parole d'honneur

, daß ich dafür und für diesmal noch unter dem Galgen durchlauf', an dem die Andern hängen!“



Der Herr von Arcularius sog Luft aus seinem Pfeifenkopf und sah beim Aufglühen des Glimmkrauts auf seine Sackuhr und tat einen erlösten Atemzug: Es war noch früh am Abend und manche Stunde bis Mitternacht. Ein rechter Husar aber nutzt ein Vaterunserlang besser als ein Pfefferkrämer ein ganzes Jahr.



„Du bist jetzt als ein Filou entdeckt und gänzlich in meiner Macht!“, sprach er zu dem bitterlich barmenden Brabanter. „Also auf Cavalierswort: Wenn du mir den Johannes durch den Wald und seinen Anschlag richtig verraten hast, so magst du morgen bei aufgehender Sonne entlaufen, wohin dich der Teufel pfeift, und eine Rolle Dukaten als Judaslohn mit auf den Weg!“



„Ich küsse Euer Gestrengen gehorsamst die Hände!“



„... Und nun verzieh' dich in dein Quartier und rühr' dich nicht, bis ich dich rufe! ... In welcher Direction, von hier, ist das Kloster Heilig-Kreuz situiert?“



„Just da, wo der Mond überm Wald aufgeht!“



„Es ist gut!“





Während diese echt preußische Reiterseele in der Wachtstube saß und auf der Landstraße ihren Discurs hielt, war ich, der Reichsgraf Florentin von Palmingen, längst wieder, wie schon berichtet, in der Dunkelheit von diesem schnöden und abgeschmackten Geck und Galan, dem Baron von Wimmersheim, in mein Gebiet und Schloß zurückgekehrt, hatte mich mit einer kalten Reverenz von der Marquise Xénais verabschiedet, und, unter Vortritt ihres Vaters, meines Ceremoniers, und eines halben Dutzend, Kandelaber in Händen habender Laquaien, in meinen Regierungssaal verfügt. Dort hätte der Herr von Arcularius, wenn er von meiner Heimkunft erfahren, sich mir wohl nähern und präsentieren können. Doch aber hieß es, als ich nach dem Prussien frug, er habe sich, unbekannt wohin, in die Nacht hinaus verzogen und sei verschwunden!



Die Nacht hatte sich aufgehellet. Der Regen war dem Mond gewichen, der mit einem trüben und schwefeligen Schein am Himmel stand. Es ging ein lauter und heulender Wind aus den Bergen und wehte kalt. Ein unlustiges Wetter also und im Wald eine dunkle Luft, durch den sich unser Herr Husar zu Fuß behende und vorsichtig dahinpürschte und ganz zufrieden war, daß, außer Kauz und Fledermaus, Niemand seiner gewahr werden konnte, bis er vor der aufgelassenen Abtei Heilig-Kreuz stand.



Der Anblick dieses nun ausgekramten, durch viele Säcula bestandenen Pfaffen-Nestes stillte sein Gemüth. Denn dies ehrwürdige Kloster, dessen beide Kirchtürme und Wahrzeichen der Gegend ein rheinbündischer Fiscus bereits hatte, abtragen lassen und die Steine den Bauern zum Aufrichten ihrer Ställe gegeben – dieses Kloster aus der Zeit des Kaisers Barbarossa lag im Mondschein in einem Viereck rings von breiten Wasserläufen umgeben, die die festen Mauern bespülten und durchaus keinen Zutritt zu dem Inneren ließen – es sei denn über den schmalen Damm, der geradewegs auf das Hauptthor zuführte.



Dieses Thor war von den nun ausgetriebenen Mönchpriestern schon weislich für ungebetene Gäste in der Nacht hergerichtet. Es war, in Form von einem Andreaskreuz, mit mannsdicken Balken verlegt, und über und über mit Eisen beschlagen und verbuckelt und ein eiserner dicker Ring zum Klopfen hing daran und der Herr von Arcularius freute sich und dachte: „an dem Ring und Thor und Klösterlein beißt sich der Johannes durch den Wald und sein ganzes Comitat von Meisterdieben und Todtschlägern die Zähne aus! Wenn sich da nicht Einer von ihnen den Fuchspelz umthut und sich listig einschleicht und insgeheim seinen Galgenkumpanen von innen aufmacht – anders gewinnt der Buonaparte selber ohne grobes Geschütz dem starken, frommen Haus Nichts ab! Darin ist die Gräfin von Sulz geborgen wie die Perle in der Muschel.“



Es wird keiner die Behauptung maintenieren wollen, daß die Husaren fleißige Kirchgänger seien. Doch haben, an diesem Abend, die Büsche und Bäume ein aufrichtiges:

“grace à Dieu!“

 des Herrn Rittmeisters vernommen. Er ließ, in dem bläulichen Mondschein, seine Augen über die Environs des Klosters dahingleiten. Das Weiß des Karrenwegs, in dem Thal, setzte sich scharf ab gegen das Schwarz eines Bächleins, das neben ihm herlief und die Nacht mit seinem Murmeln erfüllte. Auf der anderen Seite war der dichte Wald. In dieser Stille nun vernahm unser Herr Husar das Trapsen von Mannesstiefeln – schnell – schlürfend – unregelmäßig – hält an – schleppt sich weiter – und er steckt seinen Kopf vorsichtig wie ein Meister Reinecke aus dem Busch, und sieht: Da unten auf dem Thalpfad trägt sich ein Mensch, mit Mühe und aufs äußerste fatiguiert, auf unsicheren Beinen, dahin, dem guten Haus Heilig-Kreuz zu, um dort eine Ressource und Protektion zu finden, ehe ihn Nacht und Wald und die eigene Faiblesse als ihr Opfer anfordern.

 



Dieser einsame und bedrängte Peregrinus schien ein Jungmann von dreißig und etlichen Jahren, und nicht, wie man nach seiner Art, zu Fuß zu reisen, muthmaßen möchte, ein versprengter und in diesen Waldwinkel verirrter, fechtender Handwerksgesell, sondern der Wanderer trug sich in der Art eines Mannes von mittelmäßigem Stand und Ansehen oder in einem Habit, dessen sich auch Höhergestellte auf Reisen bedienen, um nicht ohne Noth jedem kuriosen Wirth und Postknecht ins Auge zu fallen.



Er hielt einen runden, dunklen Hut in der Hand, so daß das halblange, blonde Haar ihm im Nachtwind um den bloßen Kopf flog. Seine Kleidung war ein blauer Redingote mit lang wehenden Schößen, rothem Kragen und Aufschlägen. Hierzu gelbe Pantalons, die in halbhohen, schwarzen Stulpenstiefeln steckten. Waffen sah man an diesem seltsamen Monsieur nicht. Noch observierte er des öfteren in scheuer Manier rückwärts über die Schulter die Gegend, ob er nicht verfolgt oder überfallen würde, und der Herr von Arcularius oben im Gebüsch dachte sich: An dem guten Mann liegt's nicht, wenn ihm nicht die Taschen aufgeschnitten werden und die rothe Brühe über die Ohren läuft! Der Fürwitz dieses Menschen, in einem manneskundigen Paradies des Brigantaggio und gelobten Land aller Nachtdiebe und Posträuber, wie es damals unsere Wälder waren, ohne Fuhrwesen und Escorte sich bei Fuchs und Wolf zu Gast zu laden, wollte ihm nicht gefallen und schmeckte ihm nach einer Kriegslist ... und so zog der Husar die Stirne kraus und roch Lunte und schlich leise im Wald, wie der Kater neben der Maus, neben dem verdächtigen Bruder auf der Landstraße her.



Dieser nun that

en face

 des Klosters, wo man ihn von dort schon deutlich gewahrnehmen konnte, einen tiefen Seufzer und sank entkräftet zur Erde. Raffte sich mit aller Mühe wieder auf, lugte hinter sich und flüchtete und schwankte im Zickzack auf das Heilig-Kreuz'sche Thor zu, lehnte sich, am End' seiner Force, gegen das dicke Holz und ließ den Klopfer fallen.



Der Husar saß hart neben ihm im Erlenbusch am Rand des Wassergrabens. Der Eisenring gab einen lauten Schlag. Es dauerte ein gutes Paternoster und länger, bis es drinnen im Hause rumorte und lebendig wurde. Dann schob sich oben behutsam, zollweis, der Laden von der Luke. Es schaute erst ein grober, langer Arquebusenlauf heraus. Dann ein Kopf. Selber wies einen glatten Diana-Scheitel von braunem, natürlichem Haar, das flach an den Ohren gestrichen und im Nacken in Zöpfe gelegt war. Diese in Paris neu in Mode gekommene klassische Haartracht wurde in Teutschland schon vielfach von dem vornehmen Frauenzimmer goutieret. Dahinter stand das Kammermensch mit einem Talglicht und erleuchtete so, wie die Opferkerzen Unsere liebe Frau über dem Altar, das Brustbild der schönen Gräfin Amöne, die als ein rechter

commandant supérieur

 einer Festung unverzagt hochselbst Nachtwache, Rond' und Sentinelle hielt.



Mit einer hellen und kriegerischen Stimme wie ein Feldcornett auf Vedette ruft sie hinaus in die Nacht: „

Qui vive?

“, – so daß es der Herr von Arcularius in seinem Röhricht beseufzte: Schade um das anmuthige Weibsbild! Das gäbe einen feinen Junker für meine Husaren!



Der Fremde unten aber findet keine Erwiderung, sondern starrt hinauf und streicht sich ungläubig über die Augen. Und die Hohen-Sulz'sche oben unwirsch: „Antwort' er –

s'il vous plaît!

 Warum guckt er mich an wie der Ochs das neue Thor?“



„Wie ist mir denn? Madame spricht doch dort oben aus der

clausura!



„Jetzt is nix mehr mit der Klausur.“



„Madame: Träum' ich oder wach' ich? Das Ende der Welt ist ja nahe! Die frommen Bettelväter dulden eine Frau im Kloster?“



„Es hat sich ausgebettelt! Jetzt bin ich hier Herr und Meister, die Reichsgräfin von Sulz, und lass' mir und meinem kleinen Kunz, meinem Herrn Sohn, nit die Butter vom Brot nehmen!“



„Und die Mönche sind fort?“



„Alleweil sind die Letzten abmarschiert! Haben in der Eile noch ein paar alte Kutten unten hängen lassen!“



„Und ich hatte das Kloster als letzten

point de vue

 im Auge, um für die Nacht ein Asyl zu finden und nicht wie Benjamin unter die Räuber zu fallen, von denen die Wälder hier wimmeln“, sagte der Fremde unten mit einer tiefen und dunklen Stimme, deren Klang doch den Mann von Education und Politesse verrieth. Er lehnte gänzlich erschlafft am verschlossenen Thor. Sein nach oben gewandtes Antlitz war im Mondschein bläulich-bleich wie das eines Todten. Er hob die Hände. „Ich kann nicht mehr weiter!“, fuhr er mühsam fort. „Meine Füße tragen mich nicht mehr! Ich habe geringe Chance, diese Nacht zu überstehen, wenn ich nicht in Madame eine Patronin finde und sie mich christlicher Weise in ihr Haus läßt!“



Die schöne Gräfin-Wittwe steckte, neugierig wie ein ächtes Eva-Geblüt und doch mißtrauisch wie ein Mann, den Kopf weiter hinaus.



„Ei – wer heißt denn auch Monsieur, die Passage durch die abgelegenen Wälder hier zu nehmen, statt daß er sich auf der großen Landstraße hält?“



„Ich muß mich abseits schlagen ...“



„... und ohne Roß und ohne Diener! Er mag schon der Rechte sein!“



„Ich darf mich keinem Diener anvertrauen und nicht zu Pferde Aufsehen erregen ...“



„Glaub's schon! Was hat er denn alles gegen den

Code pénal

 verbrochen? Wieviel Procureurs und Richter sind denn hinter Ihm her?“



„Nicht die Gerichte suchen einen Mann wie mich, Madame!“, kam es von unten höflich und ruhig zurück. „Dieser Verdacht ist so absurd, daß nur eine komplette und wohl begreifliche

ignorance

 in Hinsicht meiner Person ihn erklärt. Ach nein, Madame: Hinter mir ist das apokalyptische Thier selber und will mich verschlingen ...“



„Ich seh' nix als wie eine Fledermaus!“, sagte die junge Gräfin. Der

inconnu

 unten lachte wild auf, und ein heiseres Hah! Hah! hallte von der Bergwand zurück.



„Soll ich ihn noch nennen: die Zuchtruthe am Himmel? Die Geißel Gottes? Den neuen Attila und Dschingiskhan? Den meerentstiegenen Dämon Buonaparte? ... Napoleons Schergen sind hinter mir, Madame! Mit jedem Athemzug steht mein Leben auf dem Spiel! Er selber gab die Ordre an Monsieur Fouché,

coûte que coûte

 mich aus der Welt zu räumen!

Voilà tout!



„Ich mein', der Empereur hat mehr zu thun ...“



Es schien, als wolle der Herr im blauen Redingote unbedacht Etwas erwidern. Aber er hielt an sich. Dies war dem Rittmeister von Arcularius, der nebenan wie ein Wassergott im Schilfe thronte, ein untrügliches Argument, daß Jener ein Fremder von Distinction sei und sich an der großen Welt glattgerieben habe. Denn Schweigen irritiert jede Eva, und nun möchten sie's partout wissen – und so inquirierte denn auch die Sulz'sche Gräfin flugs von oben:



„Wer ist denn der Monsieur? Decouvriere Er sich!“



„Nehmen Sie an, ich sei der Negociant Krüger, dessen Reisepaß von Hamburg lautet!“, sagte der Fremde am Thor plötzlich in einem klaren und wundervollen Französisch, wie man es nur in der hohen Noblesse Europas hört. „Mein eigentlicher Name – was liegt daran – heutzutage –- wo Kurfürsten stürzen, Großherzöge auferstehen, uralte Häuser von den Franzosen vertrieben und Soldaten von Glück Könige werden! ... Genug! Ich muß es Ihnen in der Stille der Nacht eröffnen! Denn es geht um mehr als mein Leben! Es geht um meine Sendung: Ich komme, als geheimer Agent, mit wichtigsten, vertrauten Aufträgen von London nach dem Wiener Hof! Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen, Madame! Doch die Wohlgestalt Ihrer Gesichtsbildung zeigt mir eine Frau von Kopf, die Hirschbüchse in Ihrer kleinen Faust eine Frau von Herz! Ich wage es, in Ihnen eine teutsche Patriotin zu erblicken, die nicht, wie leider so viele blinde Geister am Rhein, zu Buonaparte betet und vor den Franzosen kniet!“



„Vor den Spitzbuben! Vor den Diebesfingern!“ schrie die schöne Hohen-Sulz'sche im Fenster empört, denn sie stammte aus der heißen Pfalz, und die Zunge lief ihr so rasch, wie das Blut durch die Adern. „Vor den schlechten Kerlen, die mir drüben überm Rhein unser tausendjähriges Land genommen und meinen Gemahl in der Bataille erschossen und mich als Wittfrau in die Fremde gestoßen haben! ... Wenn ich dem Napoleon einen rechten Tort anthun könnte –“ Sie hob die geballten Hände zum Nacht-Himmel „

Ainsi Dieu me soit en aide

: Ich thät mich nit lang ziere!“



„Lassen Sie mich ein,

madame la comtesse!

“, sagte unten die tiefe Stimme aus der Nacht, „und Ihr Gebet ist erfüllt!“



„Doch wenn nicht“, fuhr er fort, und seine Gestalt wankte am Thor. „... Es übersteigt zwar meine Imagination, wiefern ein einzelner matter und müder Reisender Ihnen inmitten Ihrer starken Dienerschaft mit Gefahr drohen könne – Lassen Sie denn immerhin einen Courier der hohen Politik, an dessen flüchtigem Fuß die Historie hängt, und – so viel sei mein Schleier gelüftet – einen vollbürtigen Standesgenossen zugleich – als Aas für Räuber und Franzosen vor Ihrer Schwelle vergehen ... ich falle hier nieder – ich habe meine letzten Kräfte ausgegeben! Ich bleibe hier liegen – komme, was mag!

Bonne nuit, Madame!



Gleich darauf rasselten die Riegel, kreischten die Angeln, lohten Pechfackeln aus dem geöffneten Thor und in seiner Wölbung stand die Frau Gräfin Amöne inmitten ihrer wenigen, zur Noth bewaffneten Läufer, Lampenwärter, Stallschreiber, Jagdpfeifer und Sommeliers, denn ein guter Theil ihres Hofhalts war ihr schon gestern beim Überfall des Johannes durch den Wald vom Reisewagen weg entlaufen und nicht wiedergekommen. Was von der Livree noch übrig war, griff nun zu und faßte den verirrten Reisenden draußen, den nun wirklich eine Ohnmacht überkommen hatte, an Armen und Beinen und trug ihn wie einen Sack ins Schloß hinein und legte ihn gleich im Erdgeschoß zur Rechten, wo sonst das Sprechzimmer des Herrn Abtes Martin II. gewesen war, auf ein Canapé. Es wurde nach kaltem Brunnenwasser gerufen und nach Essig und Tüchern, und Einer schwenkte gar ein angezündetes Weihrauchfaß, um den Herrn zu beleben, und in diesem treppauf, treppab – hin und her – fiel es dem Herrn Rittmeister von Arcularius nicht schwer, durch das offene Thor in das Kloster zu schlüpfen, ehe die Frau Gräfin von Hohen-Sulz ihre Leute schalt und antrieb: „

Allons!

Wollt Ihr den Johannes durch den Wald ins Haus bringen? Macht

toute de suite

 das Thor wieder zu!“



Dieses Holzwerk war, von innen gesehen, erst recht stark wie für die Ewigkeit. Es hätte auch einem Rammbaum, den zwölf kräftige Kerle schwangen, Trotz geboten, und unser Herr Husar sagte sich wieder: Nein! Von außen ist die Nuß nicht zu knacken, wenn nicht durch des Teufels Spiel ein Nußknacker innen hineingeräth ...



Es hing nur ein geringes Lämpchen von der Deckenwölbung und streute, je nachdem es im Luftzug schaukelte, wechselnd Licht und Schatten da und dorthin über die steinerne Halle. In deren Thorwinkel stand der Preuße durchaus im Dunkeln und sah drüben, im Cabinet des regierenden Herrn Abts, hell beschienen, den armen, maroden und hinfälligen, heimlichen Botengänger zwischen der englischen Nation und Seiner Wiener Apostolischen Majestät, der sich mit einem Trunk Wasser erfrischte und wunderlich schnell – unter des Herrn Rittmeisters finsteren und argwöhnischen Blicken – seine entnervten Lebensgeister restituierte.



Das Antlitz dieses Chevalier Ichweißnichtwer, der nun glücklich, dank dem weiblichen Mitleiden der Gräfin, seine Entrée in das Kloster forçiert hatte, war von einer edlen, aber schmermüthigen und verdüsterten Bildung. Diese unruhig schweifenden, flackernden Augen straften den bitter und gramvoll geschlossenen, feingearteten Mund Lügen. Die Falten einer stürmischen Lebensfahrt hatten sich abenteuerlich in die distinguierten Züge eingegraben. Zwei kleine blaue Narben nebeneinander zeichneten sich auf der rechten Schläfe. Wie der Herr nun aufstand, war der Anstand seiner Bewegungen vollkommen und eines Grandseigneurs würdig, und in dem leichten Spiel seiner, wenn auch fatiguierten, Glieder ahnte man eine nicht gewöhnliche Kraft. Er lächelte und sprach einige Worte der Courtoisie zu der von Hohen- Sulz, wie obligiert er Ihro Hochgeboren für bewiesene Barmherzigkeit sei. Dies Lächeln aber war voll Wermuth – von verborgener Wildheit und verhehltem Hohn. So lachte kein Guter. Zu diesem Lächeln zwang sich eher die stille Verzweiflung eines verlorenen Sohns und einer abgründigen Seele ...



Immer furchtbarer stieg dem Stabsrittmeister von Arcularius aus dem nobeln und finsteren Umriß des Cavaliers in der Abtstube die Gestalt eines Cavaliers aus der Hölle, – des Johannes durch den Wald. Und in diesem horriblen Verdacht sagte er sich, daß dieser Erzbösewicht und Feind der Menschheit vor allem nichts ahnen dürfe, daß der Mann in der Ecke hier der Rittmeister von Arcularius – den er nur als einen bäuerischen Landkrämer gesehen – und ihm und seinen schädlichen Wölfen hart auf der Fährte sei.

 



Tiens!

. Ich muß doch 'mal visitiere, ob meine Leut' auch das Thor wieder wohl verwahrt habe! Das ist eine arg leichtfertige Bagasch'!“, tönte, aus der Höhle des Abbas, die helle Stimme der Frau Gräfin Amöne. Sie sprang, mit einem hurtigen Schwung, die drei Treppenstufen hinunter in die Einfahrtswölbung und ließ dort den ellenlangen Zipfel ihres Kleids, den sie sich zweimal um die Taille gewickelt hatte, aus den Fingerspitzen zur Erde fallen, so daß die Schleppe brav,

à la mode

, den Staub vom Boden fegte und der Magd die Mühe sparte. Denn die anmuthige Wittwe von Hohen-Sulz stolzierte jetzt nicht mehr als ein junger Jagdcavalier im Reitfrack und – in Ehren zu melden – Höslein, sondern trug ein hochgegürtetes, langfließendes flohfarbenes Kleid, ob dem ein steif aufstehendes, weißes Spitzenkräglein auf das gefälligste ihren weißen Hals und den braunen Nackenschopf umschloß.



So passierte sie, leise mit den Schleifenschuhen klappend, den steinernen Estrich und machte nahe am Thor halt und legte die Hände ineinander und sprach zu sich selbst, erstaunt und halblaut:



„Guck' emol: Ist doch noch ein Pfäffle dagebliebe!“



„... um den Teufel aus dem Haus zu treiben, liebe Tochter!“ sprach der Mönch, der ihr, die Kapuze tief in die Augen und das Antlitz bis zur Nase in der Kutte geborgen, aus dem halben Licht entgegentrat.



„Mich?“, frug die Hohen-Sulz'sche kampflustig, die gespreizten zehn Finger schon wieder in die Taille gestemmt.



„Mit nichten! Der Teufel geht hier in anderer Gestalt um!“, versetzte der Mönch mit einer dunklen und verstellten Kehle. „Wache und bete, meine Tochter!“



„Ei! Schlaf' ich denn?“, rief die schöne Gräfin erzürnt aus und rüttelte, ihm den Rücken kehrend, prüfend an Riegeln und Schlössern. „Alleweil müßt Ihr Herrn Einem die Hölle heiß machen! Und mit dem Beten allein wehr' ich dem wüsten Johannes durch den Wald da draußen nit!

Pas du tout!

 ... Dafür hat uns der liebe Herrgott Vorleg-Eisen und Schießgewehr und kochend Wasser verliehen! Ich will schon mit dem Johannes beten, wenn er sich einstellt! Mein Avemaria nimmt er sich nicht als Souvenir mit! Dafür bin ich gut! ... Und mir nicht bewußt, eine Bêtise gesagt zu haben, hochwürdiger Vater, weil Sie unter Ihrer Kutte lachen!“



Da blinzelten sie, im Schatten der Kapuze, zwei Husarenaugen so pfiffig und lauernd an wie ein Kater auf seiner Nachtfahrt auf der Dachrinne, und die liebliche Kätzin drüben, die Hohen-Sulzsche, fuhr zurück und that einen kleinen Schrei. Oder unterdrückte ihn noch halb. Denn der Pater drüben zückte warnend den Zeigefinger.



„Still, Frau Gräfin! ... Es darf hier Keiner meinen Charakter und Patent wissen!“



Da begriff die gute Frau Gräfin, daß ein falscher Pfaff sie schnickte! Es ging ein warmer Sonnenschein über ihr liebenswürdiges Antlitz, und in ihre grauen Augen kam ein feuchter Glanz, und ihre Wangen blühten ein wenig roth, als sei sie noch eine unvermählte Jungfer von Stande und sähe ihren Liebsten. Aber sie faßte sich, reichte dem rauhwolligen Mönch die Hand und flüsterte freudig: „Ja – was führt denn den Herrn Rittmeister so

à l'improviste

 zu mir her?“



Und wer weiß, ob sie nicht insgeheim hoffte, er würde nach Husarenart Sturm reiten, trotz der Pfäfflein-Tracht ihre Hand küssen und feurig erwidern: „Gott Amor selbst, Madame!“ Ihr wär' es recht gewesen. Aber der fromme Vater vor ihr zog ein hartes und lauerndes Gesicht, auf dem nicht Frau Venus, sondern Meister Mars wohnte, und erkältete so ihr zärtliches Herz und murmelte zu der still Gekränkten: „Auf der Verfolgung von Räubern muß ich Ihro Hochgeboren molestieren! Hätte mich sonst nicht unterstanden! Bitte

mille fois

 um Pardon!“



II n'y a de quoi, mon capitaine!

“ replicierte die schöne Amöne kühl. Dann, mit einem fast spöttischen Achselzucken:

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