Berge blau und die Fahne rot

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Frau Rat: Mein lieber, bester Herr Direktor, wie sie sich aufopfern. Das muss belohnt werden. (Sie überreicht wiederum eine mörderische Skulptur und hängt ihm die Schärpe um. Beifall und Händeschütteln)

2. Untern: (Überreicht seine pikanten Dessous) Von Herzen, mein lieber Herr Kollege.

3. Untern: (Überreicht und verteilt) Und für die Seele Bombastus – Gambrinus. Trinken Sie, trinken Sie. (Alle trinken und stoßen auf, während Ede mit seiner Truppe wieder hereinkommt, den alten Platz einnimmt und Frau Rat auf sie zugeht)

Frau Rat: Einige Unverbesserliche nennen diese unsere lieben Mitmenschen arbeitslos. Wisset aber, einst wurden die gebeutelten MÖZEUBLER drangsaliert. Jetzt aber, meine Herren, in diesen goldenen Zeiten gehen sie mit uns wie und wann sie wollen. Diese wundervolle freizügige Bewegung, sehen Sie, diese zunehmende Mobilität ist ein Segen für jedermann. (stellt die Paare zusammen) Ein ergreifendes Bündnis in Freiheit. Gehen wir Hand in Hand. Bitteschön! Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei … Sie dirigiert die beinschwingenden Paare)

Alle: Gehn wir im Ringelreihn / unser Bündnis ist so fein! (Jedes der Paare antwortet heiter und schneidet sich gegenseitig Fratzen)

Boxer: Sind wir schon ein ganzes Heer / und es wächst noch immer mehr.

1. Untern.: Und ich freue mich darauf / weil ich dich dann billig kauf.

Hacke: Er doch vieles mehr schon hat / aber nimmer wird er satt.

2. Untern.: Ist es doch nur Neid, nur der Neid / wird er aber nie gescheit.

Karl: Kommst du mir mal süß, mal barsch / Leck du mich doch gleich am Arsch.

3. Untern.: Vergisst du Dummkopf einfach glatt / wer hier doch das Sagen hat.

Frau Rat: Gehen wir im Ringelreihn / unser Bündnis ist so fein! / Geht es mal nach hinten los, / ist es doch famos famos. (Ede und der Direktor äffen nach, während Brenn heimlich zu brändeln beginnt. Die Polizisten führen Lässig als Häftling mit dem Schild, Stadtbrändler stolz vorbei und geraten in den Reigen, bis es wieder raucht und die Sirene heult)

1. Polizist: Wie? Wer? Was?

2. Polizist: Ei, verpicht! Was ist denn das? Schnuppernd halten sie das Ganze mit ihren Pistolen in Schach.

Lässig: Da ist er, da, der Vergewaltiger und Brändler. Schnappt ihn, da! Sie auch. Dieses Flittchen hat ihn angestiftet. Und sein Koffer. Eine Bombe, Bombe! Da!

1. Polizist: Eine Bombe, ei verflixt.

2. Polizist: Und ist unsereins noch immer ausgebüchst. Volle Deckung! (Sie gehen zu Boden)

Ede: Eine Bombe. (Er öffnet den Koffer und bombardiert die Polizisten mit Anitas Unterwäsche, die schießen. Es raucht und zündelt aber weiter. Sirene. Lässig entwischt in der Turbulenz und die Polizei verfolgt ihn ballernd) Eine Bombe, ha ha. Das muss begossen werden.

Boxer: Wozu, Ede?

Hacke: Ja, wozu, Ede, wenn du gehst?

Karl: Freunde, Ede, drei gute Freunde. Und mit dir zusammen vier. Was willst du anderswo?

Ede: Und was sagst du, Anita?

Anita: Ede, weißt du es nicht?

Ede: Anita. (nimmt sie in die Arme. Die anderen sammeln die Unterwäsche auf, schieben die Koffer weg und lassen das Paar hochleben)

THEATERHERBST ODER ALLES PALETTI
Variante, auf die Stadt Greiz bezogen
Einführung

Ede, ein arbeitsloser Weber, will die Stadt verlassen. Während des Theaterherbstes begegnet er Anita, einer Gelegenheitsliebe, die sich als Flittchen durchschlägt, als auch Dringler, dem ehemaligen Chef der KAGREI, der beide einst in flagranti ertappte und ihn eifersüchtig aus dem Betrieb ekeln ließ. Ede versucht, Anita nochmals für sich zu gewinnen, aber sie lebt mit Dringler zusammen, jetzt Stadtrat und Besitzer eines Autosalons, der mit großem Pomp eingeweiht wird, aber bald in die roten Zahlen kommt. Mit anderen ebenfalls von der Flaute betroffenen Geschäftsleuten macht er Ede und seinesgleichen für die desolate Lage verantwortlich. Die empörte Öffentlichkeit boykottiert sein Geschäft. Anita, nicht mit dem rigiden Gebaren Dringlers einverstanden, erwägt, sich von ihm zu trennen. Ede nutzt die Gelegenheit. Sie aber, an die besseren Tage gewöhnt, weist ihn ab. Ede, ohnehin frustriert, bedrängt sie während einer nächtlichen Vorstellung des Theaterherbstes. Dabei werden sie wiederum überrascht. Das Foto in der Zeitung schafft einen Skandal. Als Dringler, geschäftlich angeschlagen, seinen Rivalen anzeigt, geht Anita. Um den Ruin durch einen Versicherungsbetrug abzuwenden, besticht er einen Pyromanen, der in der Stadt sein Unwesen treibt. Da sich jener im letzten Augenblick weigert, zündelt er selber und wird dabei fälschlicherweise als jener gesuchte Brändler ertappt. Ede, von der Polizei gesucht, und Anita, bewusst wieder als Flittchen gekleidet, begegnen sich mit gepackten Koffern. Im Beisein der städtischen Honoratioren erfolgt eine Neueröffnung des Autosalons. Zur gleichen Zeit erscheint die Polizei mit dem verhafteten Dringler am Tatort. Als dennoch wiederum gezündelt und Feueralarm gegeben wird, endet sie turbulent mit seiner Flucht.

Personen

Ede, arbeitsloser Weber

Anita, Flittchen und Dringlers Geliebte

Dringler, Besitzer eines Autosalons

Hacke, Stadtstreicher

Boxer, Stadtstreicher

Brenn, Pyromane

Frau Rat

Bankdirektor

Bürgermeister

Polizisten

Sprecher

Schauspieler in weißen Halbmasken

Angestellte, Jugendliche

Reporter

Zeitungsboy

Mittelständische Unternehmer

Musikanten und Trommler

Japaner

Bühnenbild

Eine Abrissruine mit dem Firmenschild KAGREI, die in eine ungeräumte Parkecke mit Bank am Flussufer ausläuft. Gegenüber die Fassade des Autosalons OPELLA, im Hintergrund ein städtischer Platz mit Bankfiliale und Polizeiinspektion.

Dieser Grundeinrichtung verändert sich in den Szenen kaum. .

1.

Ede, mit Bierflasche, döst vor einer Bank auf dem Rasen, Bierdosen liegen verstreut. Vor dem Autosalon stehen einige Modelle. Er ist mit Girlanden und Fähnchen geschmückt. Großes Plakat:

Heute Neueröffnung

Anita: (Stolpert als Straßenmädchen herein und geht nach Kundschaft) Hoppla!

Brenn: (Späht aus den Büschen und gibt ein Zeichen, sie zu gebrauchen) Ssssst!

Anita: Mach die Flocke. Verpiss dich!

Brenn: Doofe Schnecke!

Japaner: Wonderful! (Mit Kameras behängt. Schrift auf dem Hemdrücken: I like German. Geht mit dem Cam. Corder vor dem Auge die Fassade des Autosalons hinauf) Wonderful! Is ja wonderful! (auf den Knien gerät er mit der Kamera Anitas Beine hoch) Wonderful! (Sie fasst ihn und zerrt ihn in die Büsche)

Dringler: (In hellen Nadelstreifen und Handschuhen, rügt er Hacke und Boxer in blauen Overalls mit großen OPELLA-Aufnähern, die lustlos fegen) Das nennt ihr fegen? Hab ich’s nicht schon hundertmal gezeigt. Pikobello sag ich. Dass ihr mich ja nicht blamiert. Gleich kommen die Herrschaften. (Am Spalier der Angestellten vorbei, eilt er Gästen und Reportern entgegen) Die Frau Regierungsrat! Der Herr Bankdirektor! Der Herr Bürgermeister! Danke, Danke! (Nimmt geehrt die Geschenke entgegen und führt sie, von Bewunderungsrufen begleitet, an seine Modelle) OPELLA Schwart, OPELLA Rustikal. Das juckt in den Fingern, nicht wahr? Und hier mein Superschlager: OPELLA Nostalgia. Zweihundert PS, dreizehn Airbags und Goldschnitt, meine Herrschaften.

Frau Rat: Exzellent! Wunderbar! Exquisit! – Das muss belohnt werden. Der Bundes – Autobambi mit Schärpe für Sie, mein lieber, bester Herr Dringler. (Sie überreicht eine mörderische Skulptur)

Dringler: (Küsst die Skulptur und reißt sie wie ein Sieger hoch) Wenn ich Sie zu einem bescheidenen Imbiss bitten dürfte. Meine Herrschaften. Ein Gläschen gefällig? (Er führt sie zum Büfett, an dem die Angestellten bedienen. Sektpfropfen knallen. Man trinkt und stößt an) Auf Ihr Wohl, meine Herrschaften!

Bürgerm.: Ein Glück, dass es Sie gibt. Bravo!

Frau Rat: Wie heldisch investorisch! Sie sind wunderbar!

Reporter: (ablichtend) Was fühlen sie sich heute an ihrem großen Tag, Herr Dringler?

Dringler: (in Pose) Autos.

Reporter: Und wie Sie das geschafft haben.

Dringler: Aber ja. Autos.

Reporter: Und wie denken Sie auf morgen?

Dringler: Autos, immer nur Autos.

Frau Rat: (Beifall im Abgehen) Was für ein Management, kolossal! Und ihre Ideen, bester Herr!

Bürgerm.: Ihre Weitsicht. Männer wie Sie braucht die Stadt.

Direktor: Nehmen Sie mich beim Wort. Meine Bank ist die Ihre.

Anita: (Mit Kamera aus dem Gebüsch und zieht den Rock tiefer) Bist du es wirklich, Dolfo? He, Dicker! Hast du dich aber rausgemacht!

Dringler: Nur der Fleiß. Nicht so wie früher in der KAGREI. Und ehrlich, das währt am längsten.

Anita: Weiß ich, he. Ehrlich, bis auf die Knochen.

Dringler: Anita! Mädchen! Dass ich dich wieder treffe. (beide ins Autohaus)

 

Japaner: Wonderful! Wonderful! (kriecht auf allen Vieren nach der Brille suchend aus dem Gebüsch und wieder hinein)

Brenn: Flämmchen, Flämmchen, Feurio! (schleicht sich zündelnd heran) Und brennt die ganze Stadt/ Ruinen hat sie satt / deshalb ich renn und brenn / Juchhe, Ruinenbrenner Brenn. (Sirene und Trillerpfeife)

Dringler: Haltet ihn! Haltet ihn! (stürzt aus dem Salon. Brenn rennt ihn um und flüchtet)

1. Polizist: (Hält ihn mit dem Fuß nieder) Das isser. Ich riech’s. Das isser!

Dringler: Ihr Dussel! Mensch, ihr Pfeifen!

2. Polizist: Isser nicht. Der Herr Dringler! (Steckt die Pistole weg, hilft ihm hoch. Geht schnüffelnd ab, warnt) Fort ist er wieder mal, verpicht! Gerochen, ja, wie einer brändelt. So eine Büberei./ Da saust die Polizei. / Ja, wenn ich den erwisch, den Lumpenhund, / ich zerr ihn übern Tisch.

Dringler: Gerochen, jaja. (Vor Hacke und Boxer, die emsig putzen und polieren) Meine OPELLAS! Autos, Autos, blitzeblanke Autos. Keine Ausstrahlung. Kein Autfit und lahmarschig seid ihr auch. Wen hab’ ich mir da eingehandelt. Ran an die Kundschaft! (Wirft Prospekte zu) OPELLALA, OPELLALA für Opa, Oma und Mama.

2.

Hacke und Boxer stehen ohne Overall bestürzt vor dem Autosalon. Ede döst noch, wälzt sich auf die andere Seite.

Brenn: (Kommt aus dem Gebüsch und rüttelt ihn) Ssst, Ssst. Ede, he! Hab ich’s nicht gleich gesagt? Er hat sie ausgetrickst, so wie mich auch.

Ede: Und die sich selber ebenfalls, wie ich sie kenne. (Winkt die beiden heran. Sie setzten sich mürrisch mit dem Rücken zueinander. Ede streckt sich) So ein Dunst. Wo man hinguckt Dunst.

Brenn: Durst meinst du wohl. Durst.

Ede: Dunst hab ich gesagt. (Lässt sich eine Dose reichen und leert sie) Paletti, alles paletti.

Brenn: Was paletti?

Ede: Alles. kaputt. Alles hinüber.

Brenn: Was denn hinüber?

Ede: Mach doch die Glotzen auf. Früher waren wir an die fünftausend in der KAGREI, Männlein und Weiblein. Weber, Spuler, Ausnäher, Schlosser, Transporter, was du willst.

Brenn: Na und? Hab ich Käs auf den Augen? Jetzt sind wir mit uns vieren in der ganzen Stadt doch auch wieder an die fünf Mille ohne Job.

Ede: (Winkt nach einer weiteren Dose, die der andere geflissentlich öffnet. Er leert sie und wirft sie vor den Salon) Durch diesen Lackel da auch.

Brenn: Die zwei müssten’s ja wissen.

Hacke: (wütend) Der da, der Boxer.

Boxer: (ebenfalls wütend) Hacke, er selber ist schuld, dass ich flog.

Hacke: Alles machte er mir zum Schur.

Brenn: Jaja. Sich gegenseitig heimlich belauern und ausstechen, Möööönsch! (zeigt einen Vogel) Rabotten wie verrückt und dann doch fliegen.

Ede: Mobbing. Jetzt habe ich noch

Brenn: Emotion.

Ede: Hinterhältig tratschen, denunzieren und höhnisch Grinsen.

Boxer: Genau das. Der da hat’s gemacht.

Hacke: Nein, der da. Genau das. Immer auf mich rein. (Beide aufeinander los)

Ede: No, no, no. (trennt sie) Und hast dich nicht gewehrt?

Hacke: Na, wie denn?

Ede: Das weißt du nicht? Unsereins hat das alles im Koppe, nicht wahr?

Brenn: (ironisch, schulmeisterlich) Befreien Sie sich aus der Rolle des gedemütigten Opfers. Treten Sie ihren Widersachern selbstbewusst entgegen. Machen Sie ihm klar, dass Sie nicht länger gewillt sind, sich schikanieren zu lassen.

Ede: Ja, ja, ja, und …

Brenn: Unterdrücken Sie alle Signale, die auf Angst hindeuten: stockendes Sprechen, hängende Schultern oder ausweichende Blicke.

Ede: Und …

Brenn: Demonstrieren Sie Stärke durch aufrechte Körperhaltung, festen Schritt, offenen Blickkontakt, Ruhige Hände und …

Ede: Ja, und, und, und …

Ede/Brenn: Wenn Sie einen neuen Arbeitsplatz finden, erwähnen sie niemals, dass Sie je gemobbt worden sind, denn …

Ede: Schluss damit. Alles paletti, ha! Ich hau hier ab. Mach’ in diesem Kaff die Mücke.

Brenn: Du? Jetzt? Aber …

Ede: Was aber? Hab ich’s nicht schon gesagt? Was will ich noch hier?

Brenn: Magst ja recht haben. Was geschieht hier schon für uns. Die Stadt ist viel zu langsam.

Ede: Die meisten, die noch bleiben, haben nischt auf dem Kasten, keinen Pfiff, keine Ideen und wir jungen Leute kein Glück.

Brenn: Aber wohin? Meinst du, anderswo ist es besser?

Ede: Wohin denn, wohin? Das ist es ja. (trinkt, Trommelklang naht) Sind die schon wieder da?

3.

Belebter Platz Im Hintergrund ein Transparent: Theaterherbst, Ohnmacht, Lust, powwow! Bürger und Schüler kreiden Pflastersteine an. Eine Ohnmachtsfigur wird umhergeführt. und umtanzt. Protagonisten mit weißen Halbmasken reichen ein großes Erzählbuch zum Einschreiben herum und sammeln Lebenszeichen ein.

Sprecher: (mit Megaphon, von Trommlern begleitet) Die Ohnmacht geht in unseren Landen um. Führt sie aus, tanzt mit ihr, damit sie nicht mit uns tanzt. Schreibt euch in unser großes Erzählbuch ein und gebt ein Lebenszeichen für unseren Ohnmachtshimmel, der euch erwartet. Ja, das ist das Neueste: Fünftausend sind von achtundzwanzigtausend zuviel in der Stadt, viertausendachthundertundsechzig genau. (bei den Ankreidern) Für jeden von ihnen einen Stein. Ja, vierzig, damit meine Mutti eine neue Stelle bekommt. Sechzig, damit ich morgen eine Lehrstelle habe. Und ihr da drüben? He! (Weiße Masken tanzen heran und bieten das Erzählbuch an)

Ede: Alles paletti! Ha!

Brenn: Traumtänzer, verschwindet!

Boxer: Geht in die Elster baden! (Sie bewerfen die Akteure mit leeren Büchsen. Anita kommt als Dame aus dem Salon und trägt sich verstohlen bei einem Weißmaskierten ins Erzählbuch ein. Auch gibt sie als Lebenszeichen einen Anhänger ab, der, während sie rasch verschwindet zu Boden fällt. Die Trommeln verklingen in der Ferne)

Brenn: Uiii! Habt ihr gesehen?

Boxer: In dem Türchen das Figürchen …

Hacke: Das ist ein Bienchen! Kenn’ ich die nicht?

Brenn: Mein, sage ich. (Hebt den Anhänger auf)

Ede: Haste gedacht. Her damit.

Brenn: Red’ kein Blech.

Ede: Rede ich oder du? Na also. (Reißt Brenn den Anhänger aus der Hand, geht zum Salon, liest den Namen und kommt zurück) D… D… Dringler … Kann doch nicht wahr sein. Sag, ist das wirklich unser ehemaliger Chef der KAGREI?

Hacke: Na klar. Der Bruder vom Generaldirex. Hast du das nicht gewusst?

Ede: (Betrachtet den Talisman) Anita … ich meine, diese Frau, sie kam von drinnen und ging da wieder hinein?

Hacke: Was denn sonst.

Boxer: So ist es

Brenn: Ede, Mensch. Is’ was? He!

Hacke: (Flüstert mit den anderen, die feixen) Hab ich’s nicht gleich gewusst. Anita ist es, sein Liebchen. Er bumste sie im Rohwarenlager, damals im Werk.

Boxer: Da war’s schön warm und weich, haha.

Hacke: Und er, der Dringler, einer seiner Chefs…

Brenn: Der selber auf sie scharf war…

Hacke: Jaja. Erwischt und ihn gefeuert oder feuern lassen.

Ede: (Noch immer verwundert) So einen Salon, Mensch. Und woher, hat er den Schmant dafür?

Hacke: Er hatte dich hinausgeekelt, dann ging er in die Vollen. Abgewickelt, na klar. Wie anderswo auch. Alles für eine Mark und noch nen Happen bei.

Ede: Dieser Gauner! Na warte. (Setzt die Bierbüchse energisch auf die Bank) Ich muss da mal rein.

Hacke: In diesen pinkfeinen Laden?

Ede: Egal, ich muss da rein.

Boxer: Wie denn, was denn?

Ede: Ich kauf ein Auto.

Hacke: (lacht) Ein Auto? Du? Gibst deinen alten Skoda gleich in Zahlung?

Ede: Genau.

Hacke: Diese Rostlaube von dunnemals.

Ede: Bin ich ein Zahnarzt oder Rechtsanwalt? Die haben’s dicke.

Hacke: Na eben, wärst du’s doch.

Boxer: Da kommen sie, he. Pass auf. Ihr Scheich ist gleich dabei.

Brenn: (Mit den anderen ab) Hat sie gepufft, haha. Gepufft, haha!

4.

Dringler hält nach Kunden Ausschau. Er greift unlustig zum Besen und wirft ihn wieder weg. Er rügt Anita. Sie kommt gutgekleidet mit Eimer Leder und Schwamm.

Dringler: Meine OPELLA. Pikobello, sag ich. Immer nur pikobello. Und was ist das? (Prüft mit dem Finger) Ein Stäubchen. Was will ich mit Stäubchen? So wird es gemacht. Alles fürs Geschäft.

Anita: Willst du nicht wieder jemanden einstellen? Meine Hände, guck nur.

Dringler: Ich kann nicht. Ich hab andere Sorgen. (Schaut an ihr herunter) In dieser Kleidung? Jetzt bei der Arbeit? Meinst du, sie kostet nichts?

Anita: Aber Dickerchen! Mein guter Dolfo!

Dringler: Nix Dickerchen. Nix Dolfo. Alles fürs Geschäft. (Er geht, Anita putzt gelangweilt. Ede nähert sich ihr)

Anita: (Vorerst ohne aufzuschauen) Kratz die Kurve, Penner. Wa…was… Ede, du?

Ede: (Holt verlegen den Anhänger aus der Tasche) Das hab ich gefunden.

Anita: Gefunden? Aber ich gab ihn doch…

Ede: Du hast ihn weggegeben, unseren Talisman?

Anita: Ja, was sonst?

Ede: Einfach weggegeben?

Anita: Was du nur willst? Ich bin hier im Geschäft.

Ede: Bei diesem Gauner? Bei dem? Hast du denn alles vergessen?

Anita: (besorgt) Wenn er kommt. Du willst was. Sag, du suchst ein Auto.

Ede: Ein Auto, ja, Anita. Ein Geschäft, wenn du es sagst.

Anita: Für deinen alten Skoda? Da hätten wir schon was zum Freundschaftspreis. Ich werde mit ihm reden.

Ede: Mit dem? Nein, nicht mit ihm. Unser Talisman. Anita.

Anita: Ede, das ist schon hundert Jahre her. (Beide rasch auseinander, weil Dringler kommt)

Dringler: (In Erwartung eines Kunden freudig) Sie werden bedient? Das ist ja wunderbar. Meine Modelle, Opela eins, Opela zwei. Sie brauchen nur … (Er schaut überrascht an ihm hoch) Ja, was wünschen Sie denn?

Anita: Er sucht einen Gebrauchten.

Dringler: Einen Gebrauchten? Aber ja, warum nicht?

Anita: Für einen Freundschaftspreis. Seinen alten Skoda…

Dringler: Freundschaftspreis? Aber ja. Alle unsere Kunden sind unsere Freunde. Und meine gute Anita ist zu jedem freundlich. (legt provokant den Arm um ihre Schulter) Nicht wahr, meine Liebe. (beiseite) Drecksack, dem will ich’s zeigen. (Übertrieben freundlich) Die alte Mühle, Verzeihung. Ich meine, so eine richtig schöne Rostlaube? Aber selbstverständlich nehmen wir sie in Zahlung. Herr, Herr … wie war doch gleich ihr Name?

Anita: (flüsternd) Das ist doch unser Eduard.

Dringler: Eduard, der Herr Eduard. Was für ein schöner Name. Schauen Sie sich um, vorerst. Dann reden wir. (zieht Anita beiseite) Hast du es so dicke? Deine ewige Dusselei.

Anita: Wie er dran ist. Merkst du denn nichts?

Dringler: Eben deshalb. Weil er so dran ist.

Anita: Jahrelang arbeiteten wir zusammen. Er war unser Kollege.

Dringler: Unser? Deiner, ja, verdammt. Und er ist es wohl immer noch? Wie du dich plötzlich für diesen komischen Theaterherbst interessierst. Meinst du, ich wüsste nicht warum? Hat er dich aus dem Dreck geholt oder ich? Jeder muss sehen, wo er bleibt. Ich auch. Aber das lernst du wohl nie.

Anita: Kaum. Und ich will es auch nicht. Hilf ihm, Dolfo, tue mir den Gefallen.

Dringler: Ich habe an Arbeitsscheue nichts zu verschenken. Ein Versager, der nicht rechnen kann. Wie früher auch. Nicht rechnen. Das ist es.

Anita: Nicht rechnen? Das ist der Unterschied zu dir. Du kannst es nur zu gut.

Dringler: Ich bin der Popans, natürlich. Immer ich. Weißt du nicht, wie ich dran bin? Dein Denkfehler heißt Nostalgie. Kann ich dafür, dass alles so happig kam? (Er verschwindet im Salon. Anita zögerlich hinterher)

Ede: (Ärgerlich vor den Autos) Ausputzer! (Er greift einen Stein, besinnt sich, wirft ihn hinter sich ungewollt auf eines der Autos) Scheiße! (Er flüchtet erschrocken)

 

Dringler: (Wütend aus dem Salon) Das hab ich mir gedacht! Du Banause! Die Polente kriegst du auf den Hals! (Rennt über den Platz zum Polizeirevier)

Ede: (Grübelt abseits auf der Bank über Anitas Anhänger. Die Trommeln des Theaterherbstes dröhnen gedämpft in der Ferne) Anita … Anita…

5.

Anita dirigiert die Angestellten, die Tische und Stühle heranschaffen, Fähnchen und OPELLA-Embleme platzieren. Dringler geht sorgenvoll auf und ab. Der Bankdirektor kommt über den Platz. Er läuft ihm entgegen. Jener aber eilt davon. Danach der Bürgermeister. Aber auch er weicht ihm aus. Er Lässt sich erschöpft auf einen Stuhl fallen.

Dringler: Meine schönen OPELLAs. Warum nur, warum?

1.Mittelst.: (aufgeregt mit Ordner) Rechnungen, Rechnungen, alles Rechnungen. Sie zahlen einfach nicht.

2. Mittelst.: (schwenkt Schlüpfer, groß bedruckt: IN CHRISTO, 14 aber Besuch in IMMER RAN! DURCHHALTEN! )Meine Dessous. Das Allerbeste und Modernste. Sind sie nicht wunderbar? Aber nein, nein-nein-nein!

3. Mittelst.: (Mit Getränkekasten herein, öffnet allen eine Flasche Bier, trinken und rülpsen) Bombastus Gambrinus. Kraft aus der Flasche. Meine Kreation. Kaufen Sie, kosten Sie, meine lieben Mitstreiter, kosten, kosten und Sie, meine Verehrteste. Oh, diese Lohnnebenkosten!

Frau Rat: (Mit Redemanuskript herein, trinkt ebenfalls) Rülpsen und fürzen Sie, wie schon Luthern sagte. Ein Zeichen der guten Verdauung, die uns so unternehmerisch kühn werden lässt. Das macht uns keiner nach. (rülpst) Das ist der Aufschwung.

2. Mittelst.: (Beifall klatschend) Bravo, bravo! Sie haben ein Licht leuchten lassen, meine Gnädigste. Ich verehre Sie.

3.Mittelst.: Welch ein Gleichklang der Seelen. (Führt ihr die Flasche zum Mund) Trinken Sie.

2.Mittelst.: Sehen Sie, meine rassigen Büstenhalter. Probieren Sie.

Fau Rat: Meine Herren, was unterstehen Sie sich!

2. Mittelst.: Aber was denken Sie von uns? (Beginnt, sie mit Hilfe der anderen zu entkleiden und anzuprobieren) Ein fescher Bikini? Amouröse Spitzenträume? Ein Highlight Zauberkreuz. Passt doch vorzüglich, meine Dame.

Frau Rat: Aber meine Herren, bitte … (Die Herren bemühen sich dennoch. Sie flieht halbnackt.)

2. Mittelst.: Meine ausgezeichneten Schlüpferchen, ganz exquisit mit Motivdruck. Sexy, sexy, jeden Tag neu.

Dringler: (wieder angeschlagen zum Tisch) Meine schönen OPELLA. Keiner kauft, keiner kauft.

1. Mittelst.: Meine Rechnungen, keiner zahlt.

2. Mittelst.: Meine wunderbaren Dessous … Nein-nein-nein!

3. Mittelst.: Mein Bombastus-Gambrinus! (Alle trinken betrübt und rülpsen)

Dringler: (Seine letzten beiden Angestellten treten gemächlich heraus. Sie sehen ihn kommen und fummeln eifrig) Auf meine Kosten ausruhen. Meint ihr, ich bin blind? Entlassen. (Ab ins Büro, sorgenvoll zurück an den Tisch Man redet laut aufeinander ein)

1. Mittelst.: Keiner zahlt.

2. Mittelst.: Meine Dessous …

3. Mittelst.: Mein Bombastus Gambrinus (Jeder zeigt energisch in eine andere Richtung)

1. Mittelst.: Die sind schuld!

2. Mittelst.: Nein, die sind schuld!

3. Mittelst.: Die sind schuld!

Dringler: Nein, die da sind schuld! (zeigt auf die beiden Entlassenen ohne Overal, die davonschleichen wollen, aber von den Mittelständlern eingekreist werden) Solche da und alle die Stromer dort, die unser Geld einstecken, ohne dafür zu wackeln.

Alle: Die da, jawoll!

Dringler: Die Sozialknete runter und unsere Steuern auch.

Alle: Ihr da, jawoll!

Dringler: Wir rennen uns den Kopf ein, blechen und die da tummeln sich im Einkaufspark. Da muss mal wer dazwischenfunken. Mal zeigen, wo Boom wohnt.

Alle: Die da, jawoll! Rumtreiber. Faulenzer. Tagediebe! Alle einsperren. (Der Ring verengt sich. Beide entschlüpfen. Alle hinterher an den Polizisten vorüber, die Brandgeruch schnüffeln und mit gezogener Pistole heranpirschen)

1. Polizist: Gestern das Küchenhaus im Park, vorgestern die marode Likörfabrik und heute? Riechst du es? Da muss der Brändler sein, ganz in der Nähe.

2. Polizist: Ich riech’s. Ich hab’ die Nase voll. Gleich packe ich den Lumpenhund.

Brenn: (Reibt sich versteckt die Hände) Gleich knistert die alte Gärtnerei. (Schleicht den abgehenden Polizisten zündelnd hinterher) Das Alte weg, ritze, ratz / Ich schaffe neuen Platz / deshalb ich renn und brenn. / Juchhe, Ruinenbrenner Brenn. (Rauch, Trillerpfiffe, Schüsse)

Japaner: (Mit Kamera gebannt einschwenkend) Wonderful, wonderful!

6.

Abend. Ede und seine Tuppe lagern gelangweilt auf ihrem Platz. Im Hintergrund wirken die Trommler und Weißmaskierten des Theaterherbstes. Dringler und Anita sitzen vor dem Fernseher. Dringler zappt die Kanäle durch. Er springt hoch, geht nervös auf und ab und fällt erschöpft in den Sessel zurück. Anita greift nach einem Plakat: Kraftfahrer gesucht. Die Männer draußen schimpfen und pfeifen. Ein Boy verkauft Zeitungen

Boy: Sensation! Sensation! Arbeitslose werden beschimpft. Autohändler fordert schärfere Gangart! Helle Empörung in der Stadt. Hunderte Leserbriefe!

Truppe: (lärmt) Sieh nur! Ah! – Eisenfresser! – Der Dringler, so ein Rindvieh!

Boxer: Stadtrat, Sponsor, Investor, ha. Da hat er’s.

Brenn: Soll er doch auswandern, wie er sagt.

Hacke: Auf den Mond schießen

Ede: Da passt er hin, ja. Er soll sich öffentlich entschuldigen.

Brenn: Der wird uns was husten. (Anita kommt mit dem Plakat, zweckt es an, wird angemacht)

Truppe: Ah! – Oh! – Hallo, Bienchen!

Hacke: He, soll ich dir helfen?

Brenn: Klappt’s mal mit uns beiden?

Boxer: Wie wir deinen Stecher lieben, hihi!

(Sie werfen mit leeren Bierbüchsen. Ede skizziert Dringler als Eisenfresser. Anita flüchtet)

Sprechchor: OPELLA, Dringlera, wir sind da! Dringlera, tirallala!

Ede: (Holt mit Blick auf das Plakat ein Schreiben aus der Tasche) Ich hab so einen Wisch vom Arbeitsamt. (liest) Sehr geehrter Herr …

Hacke: (klopft sich auf die Tasche) Ich auch.

Ede: Weißt du, wie das bei dem da drinnen abläuft? Der guckt dir nicht nur vorn, sondern auch hinten rein.

Hacke: Für ein Trinkgeld kannst du putzen und fummeln! Du wirst ja sehen. Der macht dich fertig.

Ede: Wenn er kann. Paletti! Haha! Alles paletti!

7.

Das Getrommel des Theaterherbstes schwillt an und verebbt. Dringler lässt sich wütend in den Sessel fallen.

Anita: Musst du mit den Leuten auch so umspringen? Ich trau mich gar nicht mehr hinaus. (Er springt auf, lässt die Jalousie fallen. Anita reißt sie wieder hoch) Wie eingesperrt lebe ich. Ich halte das nicht mehr aus!

Dringler: Und ich? Dieser Radau da draußen. Dann sag mir doch, warum es dich da immer hinauszieht. Dein Lotterleben, ich weiß, du kannst es nie lassen. (reißt die Jalousie wieder herunter)

Anita: Mit Ede jede Nacht. Was sonst. Das willst du doch hören. Du verfährst mit ihm und den anderen auf eine Weise, die mich anwidert. Wenn ich an früher denke, Dolfo. Was ist aus uns geworden?

Dringler: Früher, früher. Das ist aus mir geworden. (Wirft unbezahlte Rechnungen hin) Kassensturz. Schulden über Schulden! Das ist aus mir geworden.

Anita: (Bringt seinen Schlafanzug, ein Glas Wasser und setzt sich zu ihm. Er weist sie ab und wankt ins Schlafzimmer) Schlaf dich mal richtig aus. Ich bitte dich. Du machst uns beide kaputt.

Brenn: (schleicht draußen heran) Brenn, ich brenn, Ruinenbrenner Brenn. / Und wenn es mal was Neues ist, / da mach ich kein Geflenn. OPELLA, tirallala, das wäre was zum Knistern. (Er beginnt zu brändeln und muss sich verstecken)

Vermummte: Drauf! Gibs ihm! Uns wird er nicht vergessen. (Sie beknüppeln die Supermodelle und fliehen, weil die Sirene aufheult)

Dringler: Da sind sie, da, da! (Er stürzt im Nachtgewand heraus und stolpert über Brenn) Jetzt hab ich dich, jetzt. (Sie rangeln. Er schlägt ihn nieder und flieht. Die Polizisten aus ihren Pistolen ballernd sind über ihm)

1. Polizist: (hält ihn mit dem Fuß nieder) Das isser! Ich riech’s. Jetzt hammern, jetzt. (klopft sich auf die Schulterstücke) Da kriegmer endlich etwas drauf.

2. Polizist: Ich riech’s och. Doch hammern wieder nicht. Gleich kriegen wir anderswo was drauf. Fort isser wieder mal, verpicht.

1. Polizist: Der Lumpenhund!

2. Polizist: (hebt den Zeigefinger und lässt ihn sinken) So eine Büberei, / da saust die Polizei. / Statt ich ihn erwisch, / jaja, der Lumpenhund, / uns zerrt er übern Tisch. (beide geschlagen ab)

Dringler: (rappelt sich hoch, taumelt an seine Supermodelle) Meine Autos … (Er rennt ins Haus und zerrt Anita im Nachtkleid heraus) Da siehst du, was er angerichtet hat. Alle meine OPELLA. Dieser Verbrecher. Und du gehst zu ihm scharwenzeln! (Er stößt sie weg, sie fällt)

Anita: (Sie rafft sich auf während es in der Ferne trommelt und sitzt betrübt) Mein Talisman. Ich hab ihn weggegeben. Einfach weggegeben. So hat er gesagt (erschrickt als Ede neben ihr Platz nimmt) Bist du verrückt?

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