Zeichentheorie

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Die These der Nichtarbitrarität versucht Sokrates mit Hilfe etymologischer Ableitungen und einer onomatopoetischen Bildtheorie zu belegen. Die Erkenntnis der Schwäche seiner Bildtheorie zwingt ihn schließlich zu dem Zugeständnis, dass „die Darstellung […] in der GewohnheitGewohnheit [liegt …], denn diese, wie mir scheint, stellt dar, durch Ähnliches wie durch Unähnliches“. (435 b)

Das Ergebnis der Diskussion zwischen Sokrates und Hermogenes lässt sich in folgende Thesen fassen: Mittels Konventionen sind wir in der Lage, Dinge zu bezeichnenbezeichnen, dadurch dass wir dem andern zu erkennen geben, woran wir denken, ganz gleich, ob ÄhnlichkeitÄhnlichkeit gegeben ist oder nicht. Allerdings, so fügt Sokrates hinzu, sind Wörter „auf das bestmögliche“ (435 c) gebildet, wenn Ähnlichkeit vorhanden ist. Diese Thesen sind vollständig korrekt. Auf beide werden wir zurückkommen.

Vier Gedanken sind es, die auch heute noch Gültigkeit haben:

1 die relative ArbitraritätArbitrarität der Zeichen,

2 der Handlungscharakter des Redens,

3 der WerkzeugWerkzeugcharakter der Sprache,

4 die Funktionsbestimmung der Sprache: KommunikationKommunikation, Klassifikation und RepräsentationRepräsentation.

Sie werden uns im Weiteren beschäftigen.

4 Aristoteles’ repräsentationistische Zeichenauffassung

Wer über Zeichen, deren BeziehungBeziehung zur kognitiven Welt und zur Welt der Dinge reden will, der muss drei Ebenen der Betrachtung klar und deutlich auseinanderhalten:

1 die linguistische Ebene der Zeichen (Wörter, Sätze),

2 die epistemologische Ebeneepistemologische Ebene der kognitiven Korrelate (Begriffe, Propositionen) und

3 die ontologische Ebene der Dinge, Wahrheitswerte1 und Sachverhalte.

Dazu ist es notwendig, eine Schreibkonvention zu übernehmen. Man kann von Elefanten reden, von ‚Elefant‘ und von Elefant. Im ersten Fall redet man von bestimmten Tieren, im zweiten Fall von einem BegriffBegriff und im dritten Fall von einem deutschen Substantiv. Vorsichtshalber sei betont, dass diese Unterscheidungen weder zu der Annahme verpflichten, dass jedem sprachlichen Zeichen ein begriffliches Korrelat entspricht, noch zu der Annahme, dass die BedeutungBedeutung eines Zeichens auf der epistemischen Ebene anzusiedeln ist. Beide Annahmen werden wir eingehend zu diskutieren haben.

PlatonPlaton unterscheidet im „Kratylos“ diese drei Ebenen der Betrachtung: die der Wörter, die der Gedanken und die der Dinge.2 Aber er trifft diese Unterscheidung eher versteckt. Die KonventionKonvention, so sagt er, diene dazu, „daß du erkennst, daß ich jenes denke“. (434 e) Wörter dienen somit dem Sprecher dazu, dem Adressaten seine Gedanken „kundzumachen“. (435 a) So ist die Frage konsequent, vermöge welcher Eigenschaften der Wörter der Hörer erkennen kann, was der Sprecher denkt. Platons Antwort lautet: Es ist die BildhaftigkeitBildhaftigkeit und/oder Konventionalität des Wortes. Das Wort ist jedoch kein Bild des Gedankens, sondern ein Bild des Gegenstandes, an den der Sprecher denkt. Das Modell der Bildhaftigkeit ist, vereinfacht gesagt, folgendes: Das Wort, das ich verwende, ähnelt dem Wesen des Dings, an das ich denke, und so kannst du erkennen, an welches Ding ich denke. Dies ist, wie wir noch sehen werden, ein Modell des Kommunizierens mit ikonischen Zeichen. Wer versteht, dass das Schildchen mit dem durchgestrichenen Schwein auf dem Essteller, das die Lufthansa auf ihren „no pork flights“ verwendet, besagen soll, dass die Speisen auf dem Teller den Speisegeboten des Korans entsprechen, erkennt „die Gedanken des Sprechers“ dank einer ÄhnlichkeitÄhnlichkeit des verwendeten Zeichens mit den Speisen.

Die Unterscheidung der drei Betrachtungsebenen wurde zum ersten Mal in voller Deutlichkeit von AristotelesAristoteles getroffen, und zwar in der bereits erwähnten Schrift, deren deutsche Übersetzung den Titel „Peri Hermenias oder Lehre vom Satz“ trägt. Aristoteles’ primäres Interesse galt der Theorie des Syllogismus und der Logik. Seine zeichentheoretischen Bemerkungen auf den ersten drei Seiten dieser Schrift haben eher den Charakter von Vorbemerkungen im Dienste einer Theorie des Satzes, die wiederum im Dienste einer Theorie des Syllogismus steht.3ItkonenCoseriu Aber so spärlich seine Ausführungen zur Theorie der Zeichen auch sind, so einflussreich sind sie auf das europäische sprachphilosophische Denken geworden.4Arens

Die zentralen zeichentheoretischen Aussagen lauten:

Es sind also die Laute [phonai], zu denen die Stimme gebildet wird, Zeichen [symbola] der in der Seele hervorgerufenen Vorstellungen [pathemata], und die Schrift ist wieder ein Zeichen der Laute. Und wie nicht Alle dieselbe Schrift haben, so sind auch die Laute nicht bei Allen dieselben. Was aber durch beide an erster Stelle angezeigt wird, die einfachen seelischen Vorstellungen, sind bei allen Menschen dieselben, und ebenso sind es die Dinge [pragmata], deren AbbildAbbilder die Vorstellungen sind. […] Das Nomen also ist ein Laut, der konventionell etwas bedeutet, ohne eine Zeit einzuschließen, und ohne daß ein Teil von ihm eine Bedeutung für sich hat. Denn in dem Eigennamen Kallippos hat Hippos (Pferd) für sich durchaus nicht die Bedeutung, die es in den Worten kalos Hippos (schönes Pferd) hat. […] Die Bestimmung ‚konventionell‘ (auf Grund einer ÜbereinkunftÜbereinkunft) will sagen, daß kein Nomen von Natur ein solches ist, sondern erst wenn es zum Zeichen geworden ist. Denn auch die artikulierten Laute, z.B. der Tiere, zeigen etwas an, und doch ist keiner dieser Laute ein Nomen. (16 a)5

Um die Position des Aristoteles zu verdeutlichen, will ich versuchen, seine Aussagen in reformulierter Form aufzulisten (wobei ich die über die Schrift beiseite lasse):

1 Laute sind konventionelle Zeichen von VorstellungVorstellungen.

2 Laute sind sprachspezifisch.

3 Vorstellungen sind Abbilder von Dingen.

4 Vorstellungen und Dinge sind universal.

5 Die Bedeutung eines Nomens ist nicht kompositionell.

6 Ein natürliches Zeichen kann kein Nomen sein.

Das Zeichenmodell enthält somit drei Elemente und zwei Relationen:


Laut Vorstellung Ding
Symbolisiert (konventionell) bildet ab (natürlich)

Norman KretzmannKretzmann faßt dieses Zeichenmodell wie folgt zusammen: „lt seems that, according to this account, words signify things in virtue of serving as symbols of mental modifications resembling those things.“6Coseriultkonen Gegenüber Platons im „Kratylos“ entfalteter Zeichentheorie stellt die Aristotelische Theorie einen großen Fortschritt dar. Der Fortschritt besteht in den folgenden vier Punkten:

1 Wahrheit und Falschheit wird nicht mehr Wörtern zugeschrieben, sondern nur der Rede, wobei Aristoteles selbst den Fall nichtassertiver Sprechakte berücksichtigt: „So ist die Bitte zwar eine Rede, aber weder wahr noch falsch.“ (17 a)

2 Die Bedeutung von Wörtern und Namen wird nicht als zusammengesetzt aus der Bedeutung von Wortteilen oder Lauten angesehen.

3 Die Bedeutung von Eigennamen wird nicht mehr etymologisierend gedeutet. (Vgl. Aristoteles’ Beispiel Kallippos vs. Platons Beispiel Hermogenes.)

4 Symbolcharakter wird nur konventionell symbolisierenden Lauten zugesprochen. Damit wird eine erste Unterscheidung von Symbolen und Symptomen (z.B. Tierlauten) getroffen.

Allerdings enthält diese Theorie auch – aus heutiger Sicht – drei deutliche Fehleinschätzungen bzw. Schwächen und – aus der Sicht der im folgenden propagierten Zeichenauffassung – einen Nachteil gegenüber PlatonPlatons Auffassung:

1 Die Welt der Dinge sowie die der Vorstellungen von den Dingen wird objektivistisch konzipiert. Die Sprache ist für Aristoteles ein konventionelles Nomenklatursystem kognitiver Abbildungen objektiv vorgegebener Dinge.

2 KonventionKonvention wird mit ÜbereinkunftÜbereinkunft gleichgesetzt.

3 Die Relation des Symbolisierens bleibt unexpliziert.

Aristoteles scheint in etwa von dem folgenden Weltbild ausgegangen zu sein: Die Welt der Dinge ist objektiv so, wie wir sie wahrnehmen. Durch die Wahrnehmung entstehen innere Bilder der Dinge. Die inneren Bilder werden durch Übereinkunft mittels Lauten symbolisiert. Daraus folgt: (i) Die inneren Bilder, die Vorstellungen, müssen eine „natürliche Richtigkeit“ in Platons Sinne haben; d.h. sie sind physei. (ii) Da eine Sprache die Vorstellungen von den Dingen nur noch symbolisiert, können die Klassifikationen, die wir mit unserer Sprache vornehmen, nur von der Natur der Dinge vorgegeben sein. ArbiträrArbiträr ist also nur die Bezeichnung der Vorstellung, nicht die Vorstellung selbst und nicht die begriffliche KlassifikationKlassifikation, die wir mit unserer Sprache vornehmen. Es ist dieser Theorie gemäß wohl kaum zu verstehen, weshalb Angelsachsen den BegriffBegriff ‚Fleisch‘ in zwei Begriffe „aufspalten“, nämlich ‚flesh‘ und ‚meat‘; oder weshalb es im Spanischen keinen Begriff gibt, der unserem Begriff ‚Salat‘ entspricht.7 Es gibt meines Wissens keine befriedigende Theorie über den Zusammenhang der Einheiten der ontologischen, epistemischen und sprachlichen Ebene. Die objektivistische Sicht von Aristoteles ist jedoch mit Sicherheit falsch. Angemessener dürfte eine Theorie sein, wie sie beispielsweise von Derek BickertonBickerton vertreten wird: „The categories, into which we divide nature are not in nature, they emerge solely through the interaction between nature and ourselves.“8 Das System unserer Begriffe ist kein Spiegel der Welt, sondern ein Spiegel unserer Auseinandersetzung mit der Welt. Es ist zu vermuten, dass es ein Kontinuum gibt zwischen Begriffen, die mehr oder weniger universaler Natur sind, wie ‚Baum‘, ‚rot‘, ‚Wasser‘ oder ‚fünf‘ und solchen, die sehr kulturspezifisch und/oder sprachspezifisch sind, wie etwa ‚Sünde‘, ‚Salat‘, ‚Geschenkartikel‘, ‚gemütlich‘ oder ‚Geflügel‘. Auf diese Fragen werden wir in Kapitel 7 zurückkommen.

 

Die unter (2) und (3) genannten Schwächen der Theorie des Aristoteles kann man auch heute noch finden. Ich will sie hier nur vorläufig ansprechen und die eingehendere Behandlung einem späteren Kapitel vorbehalten. Zunächst ein Wort zu dem Begriff ‚Konvention‘. Konventionen und Übereinkünfte sind verschiedene Dinge. Nicht alle Übereinkünfte sind Konventionen, und nicht alle Konventionen sind aus Übereinkünften entstanden. Sprachliche Symbole gehen normalerweise nicht auf Übereinkünfte zurück. Konventionen sind, das hat David LewisLewis9 gezeigt, Verhaltensregularitäten von Individuen einer Gruppe, die durch komplexe, wechselseitig aufeinander gerichtete Erwartungen erzeugt werden. Aber nehmen wir der Einfachheit halber für einen Augenblick an, Aristoteles hätte recht mit der Annahme, Laute symbolisierten Vorstellungen aufgrund einer Übereinkunft. Kommen wir überein, der Laut [kulp] möge die Vorstellung eines runden halbhohen Tisches mit drei Beinen symbolisieren. Wie können wir [kulp] dazu bringen, diese Vorstellung auch tatsächlich zu symbolisieren? Wenn wir darin übereinkommen, [x] möge ‚y‘ symbolisieren, wie macht [x] das? Symbolisiert [x] ‚y, wenn wir vereinbaren, dass dies so sei? Diese Frage muss jede Theorie beantworten können, die eine Relation zu einem Korrelat als wesentlichen Bestandteil der Zeichenhaftigkeit ansieht. Man könnte annehmen, [x] symbolisiere ‚y‘ genau dann, wenn [x] für ‚y‘ steht oder wenn [x] ‚y‘ repräsentiert. Mit einer solchen Antwort hätten wir jedoch das Rätsel nur verdoppelt oder verdreifacht. Denn „stehen für“ und „repräsentieren“ bedürfen nicht weniger der Erläuterung als „symbolisieren“ selbst.10Tugendhat Mit anderen Worten, es muss klar gemacht werden, was es heißt zu sagen, etwas symbolisiere etwas. Selbst wenn wir annehmen, dass ein Laut genau dann BedeutungBedeutung hat, wenn er für etwas steht oder etwas symbolisiert, sei es eine Vorstellung oder ein Ding (Annahmen, die ich nicht vertreten werde), müssen wir die Frage beantworten, wie Sprecher und Hörer denn wissen oder auch lernen können, für welche Vorstellung oder für welches Ding der Laut steht. Die Annahme, dass die Bedeutung eines Lautes oder die Bedeutung eines Zeichens in seiner Entsprechung zu einem wie auch immer gearteten Korrelat besteht, enthebt uns nicht der Verpflichtung, anzugeben, wie die Verbindung zu dem Korrelat hergestellt und aufrechterhalten wird.

Kommen wir noch einmal für einen Augenblick auf Platons Sprach- und Zeichenverständnis zurück und vergleichen wir dieses mit dem des Aristoteles: Für PlatonPlaton sind die Wörter dazu da, vermöge ihrer ÄhnlichkeitÄhnlichkeit und/oder ihrer Konventionalität dem Adressaten die Gedanken des Sprechers zu verraten. Kommunizieren heißt für Platon offenbar, dem Hörer Mittel „an die Hand“ zu geben, damit dieser erschließen kann, woran der Sprecher denkt. Für Aristoteles sind die Wörter dazu da, Dinge zu bezeichnenbezeichnen, indem sie Vorstellungen symbolisieren, die AbbildAbbilder der Dinge sind. Auf die Frage, um die Platon gerungen hat: „Wie schaffen es die Wörter, etwas über die Gedanken zu verraten?“ gibt Aristoteles eine Scheinantwort: Sie schaffen es dadurch, dass sie sie symbolisieren! “The famous question of […] the rightness of names, which was the subject of Cratylus, can no longer arise”, schreibt Hans ArensArens und fügt enthusiastisch hinzu: „This is a remarkable progress.“11 Diese Fortschrittseuphorie kann ich nicht teilen. Denn Platons unangemessene Antwort spricht nicht gegen die Angemessenheit der Frage, die weiterhin im Raume steht. Die Sprache wird von Aristoteles als lautliches Repräsentationssystem eines kognitiven Repräsentationssystems angesehen. Sie ist somit ein sekundäres Repräsentationssystem – eine These, die, unabhängig von Aristoteles, auch von BickertonBickerton entdeckt worden ist.12 Während Platon eine instrumentalistische Zeichenkonzeption vertritt, hat Aristoteles eine repräsentationistische. Die Frage, die Platon zum Teil in unangemessener Weise beantwortet, wird von Aristoteles gar nicht gestellt.

Hat Aristoteles eine psychologistische Bedeutungstheoriepsychologistische Bedeutungstheorie vorgelegt? Im allgemeinen wird diese Frage bejaht:13Ax „There can be no doubt that Aristotle has generally been understood as representing the psychologistic theory of meaningmeaning: meanings are just those mental concepts and judgements which are expressed by words and sentences (more precisely: by strings of sounds identifiable as word-forms and sentence forms).“14Itkonen Eine solche Annahme setzt jedoch zweierlei voraus: erstens, dass das, was ein Laut symbolisiert, als seine Bedeutung angesehen wird, und zweitens, dass VorstellungVorstellungen (pathemata) psychologische Einheiten sind. Die erste Annahme mag so selbstverständlich erscheinen, dass eine Alternative gar nicht in den Sinn kommt. Zu gegebener Zeit werde ich die These vertreten, dass es nicht sinnvoll ist, das als Bedeutung anzusehen, wofür Laute „stehen“, sondern das, was sie zu Zeichen macht. Die zweite Annahme ist schwieriger zu beurteilen. Denn eine Psychologie im heutigen Sinne gab es zu Aristoteles’ Zeiten freilich nicht. Zumindest aus heutiger Sicht bietet sich eine platte psychologistische Interpretation nicht an. Die pathemata, von denen bei Aristoteles die Rede ist, sind erstens überindividuell („bei allen Menschen dieselben“), und zweitens sind sie zeitlos. Beides trifft auf Vorstellungen im psychologischen Sinne nicht zu. Aristoteles’ pathemata sind objektive Abbilder der Dinge; Vorstellungen im psychologischen Sinne haben stets ein subjektives Moment.15 Pathemata sind Resultate der Erkenntnis der Dinge; die Lehre der Erkenntnis ist nicht die Psychologie. Hans ArensArens sagt es deutlich: „He does not say: ‚all human beings form the same notions in their minds‘.“16 Aber er benötigt aufwendige Argumentationskonstruktionen, um Aristoteles’ These, dass die pathemata bei allen Menschen dieselben seien, als sinnvoll zu retten. Ich möchte die Frage, ob Aristoteles eine psychologistische Bedeutungstheorie vorgelegt hat, den Aristoteles-Kennern überlassen und hier lediglich darauf hinweisen, dass aus der Tatsache, dass er den Ausdruck pathemata verwendet, dies meines Erachtens nicht ohne zusätzliche Begründung gefolgert werden kann.

Die beiden genannten Sprach- bzw. Zeichenauffassungen, die instrumentalistische und die repräsentationistische, stehen sich in der Sprachwissenschaft und der Sprachphilosophie auch heute noch gegenüber. Als prototypischen und vielleicht einflussreichsten Theoretiker einer repräsentationistischen Sprachkonzeption möchte ich Gottlob FregeFrege mit seiner Theorie über SinnSinn und Bedeutung darstellen. Der prominenteste Vertreter einer instrumentalistischen Auffassung ist Ludwig WittgensteinWittgenstein mit seiner in seinem Spätwerk vorgelegten GebrauchstheorieGebrauchstheorie der Bedeutung. Beide werden die Grundlage unserer weiteren Überlegungen sein.

5 Freges repräsentationistische Zeichenauffassung1

Frege hat seine Zeichentheorie in einer Reihe von Aufsätzen2Fabian dargelegt, deren wichtigster den Titel „Über Sinn und Bedeutung“ trägt. Ich werde die Grundgedanken der Fregeschen Zeichentheorie anhand dieses Aufsatzes darstellen und die übrigen Schriften da, wo es mir nötig erscheint, zur Erläuterung heranziehen.

Frege war in erster Linie Mathematiker und Logiker und erst in zweiter Linie Sprachphilosoph. Seine sprachphilosophischen Überlegungen sind im Wesentlichen motiviert von dem Bestreben, die Grundlagen der Mathematik und der Logik auf klare und stringente Weise zu formulieren. So war es offenbar unter Mathematikern seiner Zeit nicht selbstverständlich, „Form“ und „InhaltInhalt“3 klar zu unterscheiden; deutlich zu machen, ob von dem Zeichen für die Zahl (der Ziffer) oder von der Bedeutung des Zeichens (der Zahl) die Rede ist. Man sei dazu verleitet, schreibt Frege, „die Zahlzeichen selbst für die Zahlen, für die eigentlichen Gegenstände der Betrachtung zu halten, und dann wären ja freilich 7 und 2+5 verschieden. Aber eine solche Auffassung ist nicht zu halten, weil man gar nicht von irgendwelchen arithmetischen Eigenschaften der Zahlen sprechen kann, ohne auf die Bedeutung der Zahlzeichen zurückzugehen.“4 Mit anderen Worten, es ist unbedingt notwendig, „der Verwechslung von Form und Inhalt, von Zeichen und Bezeichnetem“5 entgegenzutreten. Allein, die Unterscheidung von Form und Inhalt reicht vielfach nicht aus, um einen Satz angemessen interpretiereninterpretieren zu können. Frege macht dies am Beispiel einer Identitätsaussage der Form a=b deutlich: „Ist sie [die Gleichheit] eine BeziehungBeziehung? eine Beziehung zwischen Gegenständen? oder zwischen Namen oder Zeichen für Gegenstände?“6 Wenn wir Form und Inhalt ordnungsgemäß unterscheiden, ergibt sich folgendes Dilemma: Nehmen wir an, die Aussage a=b sage etwas über die Zeichen aus, so ist sie evidentermaßen falsch. Denn das Zeichen a ist ja nicht identisch mit dem Zeichen b. Nehmen wir aber an, die Aussage sage etwas über die bezeichnetenbezeichnen Gegenstände aus, so besagt a=b per definitionem dasselbe wie die Aussage a=a. Denn wenn b identisch ist mit a, sollte man b durch a ersetzen können. Nun sind aber a=a und a=b „offenbar Sätze von verschiedenem Erkenntniswert“7 Eine Aussage der Form a=b, z.B. die Aussage Der Morgenstern ist identisch mit dem Abendstern, kann zu einer wertvollen Erweiterung unserer Erkenntnis führen, während a=a, also etwa die Behauptung Der Morgenstern ist identisch mit dem Morgenstern, uns nur sagt, was wir schon immer wussten, dass ein Ding mit sich selbst identisch ist. Was also will man mit einem Satz der Form a=b sagen? Dies ist das Problem, das Frege zu lösen sich vornimmt. Wie sieht nun seine Lösung aus?

Erinnern wir uns an das zu Beginn des vorigen Kapitels Gesagte: Wenn wir über Zeichen reden, so müssen wir drei Ebenen der Betrachtung vorsehen, die linguistische Ebene, die epistemologische Ebeneepistemologische Ebene und die ontologische Ebene; oder anders ausgedrückt, die Ebene der Sprache, die der Erkenntnis und die der Dinge. Das Fregesche Dilemma macht deutlich, dass es nicht ausreicht, die linguistische und die ontologische Ebene zu unterscheiden, um den Witz einer Aussage der Form a=b zu verstehen. Eine Aussage der Form a=b ist weder eine Aussage über die Sprache noch eine Aussage über die Welt; sie ist vielmehr eine Aussage über die Beziehung der Sprache zur Welt. Sie besagt weder ‚Das Zeichen a ist identisch mit dem Zeichen b’, noch ‚Das Ding ist identisch mit sich selbst‘, sondern sie besagt ‚Das Ding, das mit dem Zeichen a bezeichnet wird, ist identisch mit dem Ding, das mit dem Zeichen b bezeichnet wird‘. Die Art und Weise, wie ein Ding sprachlich repräsentiert ist, nennt Frege „die Art des Gegebenseins“.8 Der unterschiedliche Erkenntniswert von a=a und a=b „kann nur dadurch zustande kommen, dass der Unterschied des Zeichens einem Unterschied in der Art des GegebenseinsArt des Gegebenseins des Bezeichneten entspricht“.9 Das heißt, mit einem Satz der Form a=b sagen wir, dass die Zeichen a und b unterschiedliche „Arten“ sind, ein und denselben Gegenstand zu „geben“. Frege führt nun eine aus heutiger Sicht etwas gewöhnungsbedürftige Terminologie ein, indem er sagt: „Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (Namen, Wortverbindung, Schriftzeichen) außer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist.“10 Frege unterscheidet somit auf der sprachlichen Ebene die Zeichen, im wesentlichen Namen, Prädikate und Sätze, auf der begrifflichen Ebene den Sinn und auf der ontologischen Ebene die Bedeutung. In bezug auf die Fregesche Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung haben zwei Thesen Verbreitung gefunden. Die erste These lautet: Was Frege „Sinn und Bedeutung“ nennt, ist das, was gemeinhin „Intension und Extension“ genannt wird. Die zweite These ist: Was Frege „Sinn“ nennt, ist das, was gemeinhin „Bedeutung“ genannt wird.11LyonsBrekle Beide Thesen sind inkorrekt. Wir wollen uns nun diese Kategorien und Unterscheidungen genauer ansehen.

 

Zunächst ist eine Bemerkung erforderlich zum Verständnis des Gebrauchs der Ausdrücke Namen, PrädikatPrädikat und Satz. Namen sind nach Frege all diejenigen Bezeichnungen, „deren BedeutungBedeutung also ein bestimmter Gegenstand ist (dies Wort im weitesten Umfange genommen)“,12 also sowohl echte Eigennamen wie AristotelesAristoteles als auch andere referierende Ausdrücke und Kennzeichnungen wie der gegenwärtige Präsident der USA. Prädikate sind all diejenigen Ausdrücke, die eine Leerstelle mit sich führen, d.h. Ausdrücke, die ungesättigt sind, also etwa der Ausdruck ( ) schläft oder ( ) eroberte Gallien. (Die Leerstelle habe ich der Deutlichkeit halber durch eine leere Klammer gekennzeichnet.) Wird die Leerstelle eines Prädikats durch einen Namen gesättigt, entsteht ein Satz, also etwa Aristoteles schläft oder Caesar eroberte Gallien.

Es soll nun erläutert werden, was Frege als Sinn und was er als Bedeutung der Namen, Prädikate und Sätze ansieht. Für die Namen habe ich es schon angedeutet: Unter der Bedeutung des Namens versteht Frege den Gegenstand, auf den sich der Name bezieht. Dies ist, bezogen auf die natürliche Sprache, eine sehr ungewöhnliche Gebrauchsweise des Ausdrucks Bedeutung, denn ihr gemäß kann man von Bedeutungen ungewöhnliche Dinge aussagen, etwa dass sie aus Holz sind, oder tot, oder 25 Jahre alt, und dergleichen. Die Bedeutung des Namens Köln hat beispielsweise eine Million Einwohner, und die Bedeutung des Namens Gottlob Frege ist gestorben. Diese Terminologie mutet zwar zunächst befremdlich an, aber sie fügt sich, wie wir gleich sehen werden, zu einem konsequenten Gebäude; und für den Bereich der Mathematik, dem ja Freges Hauptinteresse galt, klingt es weit weniger befremdlich, etwa zu sagen, dass die Bedeutung des Zahlzeichens 4, ebenso wie die des Zahlzeichens 2+2 oder 16:4, die Zahl 4 ist. Zahlzeichen kann man beispielsweise ausradieren, die Bedeutung von Zahlzeichen kann man beispielsweise teilen. Die Bedeutung eines Namens ist also sein tatsächlicher Referent. Daraus folgt, dass nicht jeder Name eine Bedeutung hat. Die Namen Schneewittchen oder die größtmögliche Zahl oder 4:0 haben beispielsweise keine Bedeutung. Wohl aber haben diese Namen einen Sinn. „Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfaßt, der die Sprache […] hinreichend kennt, der er angehört.“13 Man kann also sagen: Der Sinn eines Namens ist seine IntensionIntension und die Bedeutung ist seine ExtensionExtension.14Extension In bezug auf die eigentlichen Eigennamen hat dies eine Besonderheit zur Folge, die nicht ganz so unproblematisch ist, wie Frege anzunehmen scheint. „Man könnte z.B. als Sinn [des Eigennamens Aristoteles] annehmen: der Schüler Platos und Lehrer Alexanders des Großen. Wer dies tut, wird mit dem Satze ‚Aristoteles war aus Stagira gebürtig‘ einen anderen Sinn verbinden, als einer, der als Sinn dieses Namens annähme: der aus Stagira gebürtige Lehrer Alexanders des Großen.“15 Das heißt, wenn wir einen wirklichen Eigennamen verwenden, wissen wir nie, ob unser Gesprächspartner mit diesem NameNamen denselben Sinn verbindet. Aber dies schadet normalerweise auch nicht. „Solange nur die Bedeutung dieselbe bleibt, lassen sich diese Schwankungen des Sinnes ertragen“, glaubt Frege, denn es kommt uns bei der Verwendung von Eigennamen ohnehin meist nur auf die ReferenzfixierungReferenzfixierung an.16Aristoteles

Als erstes Zwischenfazit können wir festhalten: Jeder „grammatisch richtig gebildete Ausdruck, der für einen Eigennamen steht“,17 hat einen Sinn, nicht jedoch notwendigerweise eine Bedeutung. Die Bedeutung eines Namens ist sein Referent, der Sinn ist das, was man weiß, wenn man „die Sprache […] hinreichend kennt“.18 Frege nennt dies „die Art des Gegebenseins“. Die Bedeutung eines Eigennamens ist somit sprachunabhängig, der Sinn hingegen ist nur sprachbezogen zu fassen.

Betrachten wir nun Sinn und Bedeutung der Prädikate. Vom Verständnis der Verhältnisse beim Prädikat hängt das Verständnis des gesamten Fregeschen Theoriegebäudes ab. Eine etwas ausführlichere Darstellung ist deshalb geboten. Erinnern wir uns: Prädikate sind sprachliche Zeichen, die eine Leerstelle mit sich führen. Durch Sättigung dieser Leerstelle mit einem Eigennamen entsteht ein Satz. Sättigen wir das Prädikat eroberte Gallien mit dem Eigennamen Caesar, so erhalten wir den Satz Caesar eroberte Gallien. Prädikate sieht Frege in Analogie zu mathematischen Funktionsausdrücken. Mathematische Funktionen sind „unvollständig, ergänzungsbedürftig oder ungesättigt zu nennen. Und dadurch unterscheiden sich die Funktionen von den Zahlen von Grund aus.“19 Namen verhalten sich somit zu Prädikaten wie Zahlzeichen zu Funktionsausdrücken. Die FunktionFunktion 8:x2 ergibt, wenn sie mit 1 gesättigt wird, den Wert 8:12, also den Wert 8; mit 2 gesättigt ergibt sie den Wert 2, und mit 4 gesättigt den Wert 0,5 etc. Die Zahlen, mit denen die Funktion gesättigt wird, nennt man Argumente, und „das, wozu die Funkion durch ihr Argument ergänzt wird, den Wert der Funktion für dies Argument“.20 Der Wert der Funktion 8:x2 für das Argument 4 ist somit 0,5. Funktionen sind AbbildAbbildungen; die Funktion 8:x2 bildet 4 in den Wert 0,5 ab und –2 in den Wert 2.

Der Ausdruck 8:x2 ist eine „Art“, die FunktionFunktion 8:x2 zu „geben“; der Ausdruck (4+4):x² ist eine andere „Art des GegebenseinsArt des Gegebenseins“ dieser Funktion. Das heißt: Die Funktionsausdrücke 8:x² und (4+4):x² haben verschiedenen Sinn, aber die gleiche Bedeutung, nämlich die Funktion 8:x² Es gibt zahllose Arten des Gegebenseins ein und derselben Bedeutung. Kehren wir nun zurück zur natürlichen Sprache.

Prädikate bezeichnenbezeichnen wie die Funktionsausdrücke der Mathematik Funktionen. Die Funktionen, die von Prädikaten der natürlichen Sprache bezeichnet werden, nennt Frege „Begriffe“. Die Bedeutung eines Prädikats wie eroberte Gallien ist also ein BegriffBegriff. Wenn der Begriff eine Funktion ist, so stellt sich die Frage, welches seine Argumente und welches seine Werte sind. Freges Antwort lautet: Begriffe sind Funktionen, die Gegenstände in Wahrheitswerte abbilden. Wird ein Begriff durch einen Gegenstand (= Argument) gesättigt, ergibt sich ein WahrheitswertWahrheitswert (= Wert). Die Bedeutung des Begriffs ‚eroberte Gallien‘ zu kennen, heißt somit zu wissen, welche Sättigung welchen Wahrheitswert ergibt; heißt beispielsweise zu wissen, dass der Wahrheitswert „wahr“ entsteht, wenn dieser Begriff die Person Caesar als Argument nimmt. Wird der Begriff ‚eroberte Gallien‘ hingegen durch Aristoteles gesättigt, ergibt sich der Wahrheitswert „falsch“. Das heißt natürlich nichts anderes, als zu sagen, die Behauptung des Satzes Caesar eroberte Gallien behauptet etwas Wahres und die des Satzes Aristoteles eroberte Gallien behauptet etwas Falsches. Als zweites Zwischenergebnis können wir somit festhalten: Prädikate bezeichnen Begriffe; d.h. die Bedeutung eines Prädikats ist ein Begriff.21Searle Ein Begriff ist eine Funktion, die, gesättigt mit einem Gegenstand, einen Wahrheitswert ergibt. Der Sinn eines Prädikats ist die Art des Gegebenseins seines Begriffs.

Ich habe bereits angedeutet, dass Sinn und Bedeutung nicht generell mit IntensionIntension und ExtensionExtension gleichgesetzt werden dürfen. Anhand der Prädikate wird dies deutlich. Die Bedeutung des Prädikats ist der Begriff und nicht die Extension des Begriffs, die Frege BegriffsumfangBegriffsumfang22 nennt. Die Extension eines Begriffs ist die Menge der Gegenstände, die unter den Begriff fallen. Die BeziehungBeziehung eines Begriffs zu seinem Umfang nennt er SubsumtionSubsumtion.23

Wir haben gesehen, dass zwar jeder sprachlich korrekt gebildete NameName einen Sinn hat, nicht jedoch notwendigerweise eine Bedeutung. Namen, denen kein Gegenstand entspricht, haben keine Bedeutung – beispielsweise Odysseus, Schneewittchen oder der gegenwärtige Kaiser von China. Stellen wir die analoge Frage bezüglich der Prädikate. Gibt es Prädikate, die zwar einen Sinn haben, nicht aber eine Bedeutung? Die Antwort sollte sein: Ja, und zwar solche Prädikate, die keinen Begriff bezeichnen. Was für welche sind das? Es sind nicht diejenigen Prädikate, die einen leeren Begriff bezeichnen, also etwa das Prädikat ist ein rundes Viereck! Denn ein Begriff, unter den kein Gegenstand fallt, dessen Extension 0 ist, ist zwar leer, aber dennoch ein Begriff. Es muss ein Begriff sein, um leer sein zu können! Ein Prädikat, das keinen Begriff bezeichnet, sollte nach allem, was bisher gesagt wurde, ein Prädikat sein, dessen Sättigung durch einen Namen keinen wahrheitswertdefiniten SatzSatz ergibt. Denn Begriffe bilden Gegenstände in Wahrheitswerte ab. So wie es Namen gibt, die „nur so tun“, als bezeichneten sie Gegenstände, so gibt es Prädikate, die „nur so tun“, als bezeichneten sie Begriffe, in Wahrheit aber Scheinbegriffe bezeichen. Ein echter Begriff muss für jeden beliebigen Gegenstand einen der beiden Wahrheitswerte „wahr“ oder „falsch“ ergeben; ist dies nicht der Fall, so handelt es sich nicht um einen Begriff. Leere Begriffe wie ist ein rundes Viereck ergeben für jeden beliebigen Gegenstand einen Wahrheitswert, nämlich den Wahrheitswert „falsch“. Sie erfüllen somit diese Forderung.