Bomba im Tal der Schädel

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Aus der Reihe: Bomba der Dschungelboy #8
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3 Das Geheimnis

Nach dem ersten erfolglosen Geschosshagel hatten die Kopfjäger ihre Pfeile gespart und sich ganz auf die Jagd konzentriert. Die ersten Verfolger waren kaum mehr als zwanzig Schritt hinter Bomba, als er vor ihren Augen vom Erdboden verschwand.

Jetzt standen sie verwirrt und aufgeregt vor den Felsen und schnatterten in ihrer Eingeborenensprache miteinander. Sie hatten gesehen, dass der Junge in den Spalt geglitten war, ohne auf der anderen Seite wieder zu erscheinen. Er musste also noch in der Nähe sein, denn der weitere Fluchtweg war deutlich zu überblicken.

Nascanora zwängte sich durch den Spalt und starrte zu Boden. Keine Spur lief weiter — nichts war zu sehen oder zu hören.

„Kann ihn denn der Felsen verschlungen haben?“, rief der Häuptling empört. „Da siehst du, wie mächtig der Zauber des weißen Jungen ist!“, schrie er dem Medizinman zu, der inzwischen auch keuchend herangetrabt kam. „Suche ihn doch! Finde ihn mir mit deinem Zauberspruch.“

Ruspak senkte beschämt den Blick und antwortete nicht. Die Krieger hatten inzwischen begonnen, die Felsen zu betasten und nach einer Öffnung zu suchen. Der Steinboden zwischen den Felsen war von Wind und Regen glattgewaschen und mit einer feinen Sandschicht bedeckt.

Die Krieger blickten einander verstört an und wagten es nicht, dem wutbebenden Häuptling in die Augen zu schauen. Dieser Vorgang überstieg ihr Begriffsvermögen. Sie wussten wirklich nicht, was sie davon halten sollten. Es konnten doch nur Zauberkräfte am Werke sein, wenn ein Mensch einfach verschwand, ohne irgendein Zeichen oder eine Spur zu hinterlassen!

Mit langen, stampfenden Schritten ging Nascanora auf und ab. Mitunter griff er fester um seinen Speerschaft und hob ihn ein wenig, als müsste er ihn gegen einen unsichtbaren Gegner richten. Seine ohnmächtige Wut äußerste sich in dem nervösen Beben seiner Lippen und in der düsteren Glut des Blickes. Wieder entlud sich sein Zorn über den Medizinmann.

„Wohin ist der weiße Junge geflohen?“, fragte er höhnisch. „Sage es mir, Ruspak! Verraten dir die Götter dieses Geheimnis nicht? Ist Bomba in die Erde gesunken? Oder ist er in die Luft geflogen wie ein Vogel? Wohin ist er?“

Inzwischen hatte der schlaue Ruspak schon Zeit gefunden, sich auf seine Verteidigung vorzubereiten. Als er jetzt zu sprechen anfing, klang seine Stimme nicht mehr unsicher.

„Die Götter wissen alles“, begann er mit geheimnisvoller Miene und machte eine beschwörende Geste. „Doch sie lieben es mitunter, die Augen ihrer Diener zu verwirren und mit den Schleiern der Unwissenheit zu bedecken. Daher ...“

„Schwatze nicht so viele große Worte!“, rief Nascanora unwillig dazwischen. „Sage mir, was du tun kannst.“

„Ich werde zuerst die Götter beschwichtigen“, fuhr Ruspak fort. „Vielleicht sind sie zornig“. Seine Stimme hob sich, und er ließ den Blick anklagend über die Krieger gleiten. „Vielleicht waren Nascanora und seine Krieger nachlässig und haben es versäumt, den Göttern genügend Opfergaben darzubieten? Oft genug achten die Krieger nicht auf mein Wort, auf die Mahnung des Götterdieners Ruspak. Doch Nascanora kann ruhig sein. Ich werde eine starke Medizin machen und die Götter beschwören. Wenn ihr Zorn verflogen ist, werden sie mir offenbaren, wohin der weiße Junge verschwunden ist.“

Der Häuptling hatte schon eine schroffe Antwort auf den Lippen, aber er beherrschte sich und schloss den Mund wieder. Er war ein mächtiger Häuptling und gefürchtet im ganzen Dschungelgebiet. Doch er wagte es nicht, den Diener der Götter zu sehr zu beleidigen. Seine eigenen Krieger hätten sich in diesem Falle möglicherweise gegen ihn wenden können.

Als Wache ließ er einige der Männer bei den Felsen zurück und ging dann mit den anderen zu der Lichtung zurück, um die unterbrochenen Vorbereitungen der Mahlzeit fortzusetzen.

Wer nicht wie die Kopfjäger an eine Zauberei glauben wollte, musste sich immerhin auch fragen, auf welche Weise Bomba so unerwartet den Blicken seiner Verfolger entschwunden war. Die Erklärung war einfach genug und doch ziemlich überraschend:

Einige Monate zuvor kam Bomba durch dieses Dschungelgebiet, und ihm fielen die beiden Felsen auf, die wie zwei Wächter inmitten einer Lichtung aufragten. Als er sich zwischen den Felsen zu Boden setzte, um sich auszuruhen, stieß er zufällig mit seinem Bogen scharf auf die Bodenplatte. Es gab einen hohlen Ton!

Jetzt erwachte Bombas Neugier. Er zog seine Machete aus dem Gürtel und ließ die Klinge in den winzigen Spalt gleiten, den er in der Felsplatte bemerkt hatte. Mit Erstaunen stellte er fest, dass die Platte beweglich war und sich ziemlich leicht anheben ließ. Darunter gähnte ein fast sechs Fuß tiefes Loch.

Bomba untersuchte die Höhle und stellte fest, dass sie sich weit in den Dschungel hinein erstreckte. Schließlich stieß er gegen eine Wand und schloss daraus, dass die Höhle keine weiteren Ausgänge besaß.

Als er seinerzeit zum Ausgang zurückkehrte und die Steinplatte prüfend betrachtete, kam er zu der Überzeugung, dass es sich um keine Laune der Natur, sondern um das Werk geschickter Menschenhände handeln musste. Vielleicht war hier in weit zurückliegender Zeit eine Kultstätte gewesen, an der die Priester den Göttern ihre Opfer dargebracht hatten. Die Höhle mochte vielleicht dazu gedient haben, die Gebeine der unglücklichen Menschenopfer aufzunehmen.

Dieser grauenhafte Gedanke hatte Bombas Freude über die Entdeckung nicht getrübt. Ihm genügte es, dass er einen Zufluchtsort gefunden hatte, der allen anderen Menschen im Dschungel unbekannt war. Da dieses Gebiet des Dschungels bei den Eingeborenen als verhext galt, pflegten sie auch im Allgemeinen einen Bogen darum zu machen. Bomba schob also ein kleines Stück Holz unter die eine Seite der Platte, so dass er sie im Notfall leicht anheben konnte. Jetzt war die Öffnung kaum zu bemerken und eine Entdeckung nicht zu befürchten.

Bomba war seinerzeit dann weitergezogen und hatte das Erlebnis bald vergessen. Jetzt trat die Entdeckung blitzschnell in seine Erinnerung, als er in der gleichen Gegend von den Kopfjägern verfolgt wurde. Das war des Rätsels Lösung. Und nun wieder in die Gegenwart zurück!

*

Die Gedanken jagten einander in Bombas Gehirn, als er dahinhastete und die drohenden Rufe seiner Verfolger hinter sich hörte.

Angenommen, das Loch war nicht mehr offen! Angenommen, die Pranken eines Raubtieres hatten die Platte wieder in die richtige Lage gerückt?

Auf keinen Fall würde ihm genug Zeit bleiben, um die Platte erst aus ihrem Rahmen zu heben, sagte er sich. Doch dann sah er im Näherkommen, dass die Platte griffbereit dalag. Er hob sie, schwang sich blitzschnell in die Höhle und ließ den Steindeckel über sich zufallen. Das alles war das Werk zweier Sekunden. Mit pochendem Herzen kauerte Bomba unter der Felsplatte, als die Schritte seiner Verfolger über ihm dahinstampften.

Würden die scharfen Augen der Kopfjäger die fast unsichtbaren Randlinien entdecken? Das wäre am hellen Tage durchaus möglich gewesen, doch jetzt begünstigte die hereinbrechende Abenddämmerung die Verhüllung seines Fluchtweges.

Bomba hörte über sich das aufgeregte Rufen und Schnattern der Wilden und dann Nascanoras zornige Unterhaltung mit dem Medizinmann. Es gab einen frohen Ruck in seinem Innern, als er hörte, dass die Kopfjäger für diesen Tag die Jagd nach ihm abbrechen wollten. Doch dann sank die rasch emporgeloderte Hoffnung wieder, als er hörte, dass der Häuptling Posten bei den Felsen zurücklassen wollte. Im anderen Falle wäre es leicht für ihn gewesen, im Schutze der Dunkelheit sein Versteck zu verlassen und sich davonzustehlen.

Er war also für den Augenblick gerettet. Doch war es wirklich eine Rettung? Hatte er vielleicht nicht nur eine Todesart gegen eine andere eingetauscht? In der Höhle war nicht genug Atemluft, um eine mehrstündige Belagerung auszuhalten. Von oben war das Loch hermetisch abgeschlossen, und der Erstickungstod war ihm sicher, wenn er keinen Ausweg finden konnte.

Ehe er sich in der Dunkelheit auf die Suche nach einem Fluchtweg machte, betastete er seine verwundete Schulter. Der Schmerz war ziemlich stark, aber seine tastenden Fingerspitzen überzeugten ihn davon, dass er nur eine Fleischwunde davongetragen hatte. Er legte kühle Erde vom Höhlenboden darauf und verspürte fast augenblicklich eine Linderung des Schmerzes.

Auf Händen und Knien tastete sich Bomba vorwärts und untersuchte jeden Zoll der Wände. Durch einen engen Spalt zwängte er sich in einen etwas größeren, sehr niedrigen Raum, der kreisrund war. Er tastete vorsichtig den Boden ab und atmete dann erleichtert auf.

Während der letzten Minuten hatte ihn die Besorgnis beunruhigt, dass inzwischen vielleicht eine Anakonda oder Pythonschlange diese Höhle als Nest auserkoren hätte. Jetzt war er jedoch sicher, das einzige Lebewesen in der Höhle zu sein. Er begann die Wände der kreisrunden Höhle zu betasten und klopfte sie mit den Fäusten ab, uni möglicherweise eine hohle Stelle zu finden.

Aber der erste Rundgang war hoffnungslos. Er hatte zwar nur Erdwände vor sich, doch er konnte sich nicht vorstellen, dass er sich wie ein Maulwurf ins Freie arbeiten könnte. Über ihm waren Felsen, und seine ganze Arbeit mochte sinnlos sein, wenn er sie an der falschen Stelle leistete. Und dann? Wenn die Atemluft in der niederen Enge der Höhle erschöpft war, musste er ersticken. Diese bittere Erkenntnis drängte sich ihm immer wieder auf.

Er steckte in einer Falle. Aber das Schlimmste daran war, dass er jetzt auch keine Möglichkeit hatte, seine Freunde zu warnen. Während er sinnend in der Dunkelheit kauerte, sah er in Gedanken die Kopfjäger an das Dorf der ahnungslosen Araos heranschleichen. Er glaubte ihr Triumphgeheul zu hören, als sie zum nächtlichen Angriff aufsprangen, und er presste unwillkürlich seine Hände zu Fäusten. Er wusste, dass die Kopfjäger kein Erbarmen kannten. Sie würden die Hütten niederbrennen, die Männer töten und die Frauen und Kinder als Sklaven in die Gefangenschaft schleppen.

 

Alle diese Bilder standen mit schrecklicher Deutlichkeit vor ihm. In der Dunkelheit der Höhle arbeitete seine Einbildungskraft noch stärker als sonst. Er war unfähig, die furchtbaren Bilder zu vertreiben, die immer und immer wieder in seiner Einbildung erschienen.

Endlich raffte er sich aus dem trägen Sinnieren auf. Er wollte den Kampf nicht aufgeben — er durfte es einfach nicht tun. Noch lebte er, noch konnte er für seine Befreiung arbeiten. Wenn auch die Chance sehr gering war, so wollte er doch versuchen, irgendwo die Wände seiner Todeszelle zu durchbrechen.

Es schien so, als wären für dieses Vorhaben alle Teile der Wand gleich gut oder gleich schlecht geeignet. Ohne lange zu überlegen, griff Bomba daher nach seiner Machete und begann mit verzweifelter Energie zu graben.

4 Im Treibsand

Da er nun einmal den Entschluss zur Tat gefasst hatte, arbeitete Bomba unermüdlich und eifrig. Er war sehr froh darüber, dass er nirgends auf den Widerstand von Steinen oder Felswänden stieß. Wenn er die Klinge seiner Machete abgebrochen hätte, wäre alle Hoffnung auf Befreiung dahin gewesen.

Es kam ihm vor, als hätte er schon Tonnen von Erde weggegraben, ohne dass ein sichtbarer Erfolg eingetreten wäre. Sein Körper war schweißbedeckt, und jeder Muskel schmerzte ihn. Aber er arbeitete weiter, obwohl ihm ein Schwindelgefühl zu schaffen machte und sein Atem schwerer und schwerer ging.

Die Luft in der Höhle presste sich allmählich wie eine riesige Hand gegen seinen Brustkorb. Es war keine Luft mehr, es war irgendeine unheimliche, feste Masse, die zwar jedem Zugriff entglitt aber zugleich seinen Körper wie eine tödliche Umklammerung einzuschnüren drohte.

Dann kam jener gefürchtete Augenblick, an dem seine Muskeln den Dienst versagen wollten. Sein Wille war noch ungebrochen, aber die Kraft hatte ihn verlassen. Er wollte den Arm heben und hatte das Gefühl, dass seine Machete viel zu schwer war, um sie auch nur einen Zoll zu heben. Die kraftvollen Stöße, mit denen er das große Buschmesser in die Erde getrieben hatte, waren zu einem kläglichen Tasten geworden. Kaum eine Erdscholle löste sich mehr von der Wand.

Das war also das Ende! Vor seinen Augen bildeten sich feurige Kreise und farbige Ringe. Er presste die Lider zusammen und öffnete sie wieder. Seine Schulter sank gegen die Wand, und der Kopf fiel schlaff herab.

Da — was war das für eine weiche, sanfte und kühle Berührung an der Stirn gewesen! Es war, als hätte eine liebkosende Hand über seine Haut gestrichen!

Noch einmal straffte sich Bombas Körper. Er hob den Kopf. Da war die Berührung wieder! Luft! Luft! Sie füllte mit belebender Kraft seine Lungen.

Er riss die Machete aus dem gegrabenen Loch und stieß die Klinge noch einige Male mit letzter Kraft in die weiche Erdmasse. Mit einem Male spürte er keinen Widerstand mehr: Er hatte die Wand durchbrochen!

Neue Hoffnung belebte ihn. Im Augenblick war er zwar zu schwach, die Arbeit fortzusetzen, aber er steckte den Kopf durch die Öffnung und trank die Luft mit gierigen Zügen. Das Schwindelgefühl in seinem Kopf wich, als würde ein Vorhang zur Seite geschoben. Er wartete, bis er neue Kräfte gesammelt hatte und begann dann wieder auf die Wand loszuhacken.

Als die Öffnung groß genug war, zwängte sich Bomba hindurch und befand sich jetzt in einem Raum, der ihm nach der Enge seines stickigen Gefängnisses fast grenzenlos erschien. Er fühlte das nur, denn seine Augen konnten ihm auch hier keine Hilfe leisten. Ein Ruf von seinen Lippen fand jedoch erst nach längerer Zeit sein dumpfes Echo. Das bestätigte Bombas Erkenntnis von der Weite des Raumes.

Nach dem Aufenthalt in der niederen Höhle erschien ihm die Luft hier wie ein süßes, balsamisches Getränk. Es würde auf alle Fälle lange dauern, bis er hier die Atemluft aufgebraucht hätte, auch wenn es keine unsichtbare Quelle gäbe, aus der sie sich erneuerte.

Schon im nächsten Augenblick wurde ihm klar, dass er in dieser Hinsicht keine Befürchtungen zu haben brauchte. Er stellte fest, dass eine schwach spürbare Bewegung in der Luft war. Sie strömte leicht und frei dahin. Irgendwo mussten also Öffnungen sein, die diese Luftströmung verursachten.

Wo jedoch Luft war, musste auch das Licht eindringen können. Doch Bomba rechnete sich rasch aus, dass jetzt noch kein Sonnenlicht die Finsternis seines unterirdischen Gefängnisses erhellen konnte. Als er von den Kopfjägern geflohen war, hatte sich bereits die Dämmerung auf den Dschungelwald gesenkt. Dann hatte er viele Stunden lang daran gearbeitet, sich einen Fluchtweg zu bahnen. Nach seiner Schätzung musste es jetzt gegen Mitternacht sein. Bis zum Tagesanbruch blieben ihm noch etwa vier Stunden. Am besten war es, wenn er jetzt ruhte und seinen erschöpften Körper neue Kräfte sammeln ließ.

Bomba hatte keine Angst davor, dass er die Zeit verschlafen könnte. In seinem einsamen Dschungelleben hatte er sich dazu erzogen, dass er zu jedem beliebigen Zeitpunkt aufwachen konnte. Jetzt stellte er diesen geheimnisvollen Wecker in seinem Gehirn auf eine Stunde vor Anbruch der Morgendämmerung, ließ sich zu Boden sinken und schlief fast augenblicklich ein.

*

Wie er es sich gewünscht hatte, erwachte er in tiefster Dunkelheit. In seinem Beutel hatte er noch einige Stücke geräuchertes Fleisch, und er nahm jetzt einen hastigen Imbiss ein.

Als er fertig war, blieb er am Boden sitzen und hielt Umschau. Noch war die Dunkelheit wie ein schwerer Samtvorhang vor seinen Augen, aber allmählich schien dieser Vorhang dünner und durchscheinender zu werden. Zuerst hielt Bomba das für eine Täuschung. Doch dann kam der Augenblick, an dem er die gespenstischen Umrisse der Gegenstände in seiner Nähe zu erkennen begann.

Plötzlich sprang Bomba auf die Füße. In der Ferne war deutlich ein heller Fleck in der Dunkelheit zu erkennen. Der Fleck wurde zu einem länglichen, leuchtenden Strich, und Bomba atmete unwillkürlich auf. Ein Sonnenstrahl!

So schnell er konnte, eilte Bomba auf die Stelle zu. Gestürzte Baumstämme und breite Äste versperrten ihm den Weg. Wahrscheinlich hatte vor längerer Zeit ein Erdbeben die Bäume entwurzelt und in eine Erdspalte geworfen, die sich hinterher wieder geschlossen hatte. Einige Risse in der Erdoberfläche waren jedoch offengeblieben, und das Licht, das durch eine der Spalten sickerte, wies Bomba den Weg.

Der Sonnenstrahl drang durch ein Netzwerk verfilzter Wurzeln in die Dunkelheit. Mit der Machete musste sich Bomba zuerst seinen Weg freihacken, bis er den Arm durch die Öffnung stecken konnte. Bald hatte er sich genug Raum geschaffen, dass er mit beiden Händen an die Ränder des Loches greifen konnte. Er schwang sich hoch.

Nach langen Stunden war er endlich dem Tod des lebendig Begrabenwerdens entgangen!

Ohne viel Zeit zu verschwenden, glitt Bomba zuerst auf ein Dickicht zu, das ihm Schutz vor Entdeckung bot. Erst jetzt holte er tief Atem und hielt Umschau. Er wusste nicht, wie weit er sich von der Stelle entfernt hatte, an der er den Kopfjägern entgangen war. Vielleicht hatte er unterirdisch eine weite Strecke zurückgelegt. Aber es war auch möglich, dass ihm bei der Mühseligkeit des Vormarsches der Weg nur länger erschienen war.

Keine Menschenseele war zu erblicken, doch in einiger Entfernung bemerkte Bomba eine Rauchsäule, die sich über die Bäume hinaufkräuselte. Die Bedeutung dieses Rauchzeichens war klar genug für ihn. Es hieß nichts anderes, als dass die Krieger Nascanoras damit beschäftigt waren, ihr Frühstück zuzubereiten.

Die Beobachtung erfüllte ihn mit Besorgnis und befriedigte ihn zugleich. Er war jetzt sicher, dass die Kopfjäger noch nicht zum Angriff auf das Dorf der Araos aufgebrochen waren. Er konnte also seine Freunde vielleicht noch rechtzeitig warnen.

Doch er durfte jetzt keine Zeit mit müßigen Überlegungen verschwenden. Wahrscheinlich würde er einen großen Bogen beschreiben müssen, um ungefährdet das Dorf zu erreichen — und dieser Umweg bedeutete Zeitverlust, der verhängnisvoll sein konnte.

Verstohlen bahnte sich Bomba seinen Weg durch das Unterholz. Er bewegte sich lautlos und mit ruhiger Umsicht, und als er plötzlich vor sich eine Männergestalt entdeckte, brachte ihn ein einziger, unhörbarer Schritt in Deckung. Der Kopfjäger hatte ihn nicht bemerkt. Er war dabei, Holz für das Lagerfeuer zu sammeln und entfernte sich nach einer Weile zu der Lichtung hin.

Bomba setzte sein mühsames Vorwärtsschleichen solange fort, bis er sich in Sicherheit glaubte und fester auftrat. Dann eilte er so schnell er konnte durch den Dschungel dahin.

Nach ziemlich kurzer Zeit schon fiel ihm eine Schar von kreisenden Geiern am klaren, blauen Tropenhimmel auf. Die schwarzen Silhouetten der Vögel beunruhigten ihn. Ihre Nähe deutete immer auf die Anwesenheit von Tierkadavern oder toten Menschen hin.

Führte der Instinkt die Aasvögel her? Ahnten sie schon ein bevorstehendes Gemetzel? Oder war etwa Nascanora mit der Hauptmacht seiner Krieger bereits aufgebrochen; hatte er nur eine schwache Nachhut auf der Lichtung zurückgelassen? Hatte er vielleicht schon die Araos angegriffen und im Dorf sein schreckliches Blutgericht abgehalten?

Bomba war so in der Beobachtung der Geier versunken, dass er für kurze Zeit nicht auf den Weg vor seinen Füßen achtete. Diese Nachlässigkeit kam ihm jäh zum Bewusstsein, als er plötzlich ins Leere glitt.

Es war kein tiefer Sturz. Klatschend schlug er in ein Schlammloch und versank augenblicklich bis über die Hüften in dem zähen, dunklen Brei. Vergeblich versuchte er, sich herauszuarbeiten. Wie mit weichen aber unheimlich fest zupackenden Händen hielt ihn das Sumpfloch fest.

Schmatzend und gurgelnd schloss sich der Schlamm um seinen Leib und zog ihn tiefer und tiefer hinab.

5 Im letzten Augenblick

Als Bomba sich nach den ersten vergeblichen Befreiungsversuchen den Schlamm aus den Augen wischte, sah er, dass er etwa fünfzehn Fuß vom Rande des Sumpfloches entfernt hilflos feststeckte.

Er versuchte wieder, ein Bein zu heben, aber der einzige Erfolg dieser Bemühung war, dass er mit dem anderen Bein noch tiefer einsank. Der Gedanke, dass außerdem seine Feinde in der Nähe waren, brachte ihn der Verzweiflung nahe. So konnte er es nicht einmal wagen, einen Hilferuf auszustoßen und damit vielleicht einen freundlichen Eingeborenen herbeizuholen.

Nur noch Minuten blieben ihm, um an seine Rettung zu denken — das wusste Bomba genau. Er fühlte, wie der Sumpf ihn unentrinnbar in seine grässliche Umarmung zog — unentrinnbar, Zoll um Zoll.

Während er noch fieberhaft an eine Rettungsmöglichkeit dachte, hörte er plötzlich ein Knacken und Rascheln im Busch. Bedeutete dieses Geräusch für ihn Hoffnung oder Verderben? Er stellte sich diese Frage und sah im nächsten Augenblick schon, dass er nicht hoffen durfte. Es war kein menschlicher Schritt, den er hörte, sondern das Vorwärtsschleichen weicher, gepolsterter Raubtierpfoten.

Gleich darauf schob sich ein breiter Kopf durch die Büsche, und Bomba starrte in die grüngelb funkelnden Augen eines mächtigen Pumas.

Der König aller Urwaldbestien trat ins Freie und entblößte sein schimmerndes Raubtiergebiss. Das Fauchen des Tieres klang gereizt und zugleich überlegen, als fühlte es, dass Bomba eine hilflose Beute seiner Pranken war.

Doch so rettungslos verloren war Bomba dem Puma gegenüber jedenfalls nicht. Noch besaß er sein Gewehr. Er hielt die kostbare Waffe fest in der Hand und wischte den Schlamm vom Schloss und Lauf ab. Dann versuchte er zu laden. Aber auch die Patronen waren mit Schlamm überzogen, und bei seinen verschiedenen Bewegungen sank Bomba immer tiefer ein.

Auch von der anderen Seite des Schlammloches näherte sich jetzt ein Puma. Es war wahrscheinlich der Gefährte des anderen Tieres. Während Bomba noch mit aufgeregten Händen mit dem Laden des Gewehres beschäftigt war, versuchte er sich schon in Gedanken klarzumachen, welche Folgen das Abfeuern eines Schusses haben würde. Auf alle Fälle lockte er damit seine Feinde herbei. Auch jetzt noch fand er es rühmlicher, unter den Klauen der Raubtiere zu sterben als von den Kopfjägern qualvoll zu Tode gemartert zu werden. Pumas waren Raubtiere, aber sie waren im Vergleich mit den menschlichen Bestien gnädig. Sie spielten nicht mit ihren Opfern, sondern töteten sie schnell.

 

Immer näher krochen jetzt die Raubkatzen an den Rand des Schlammloches. Sie fühlten, wie sie den Boden unter den Pfoten verloren, sobald sie sich zu weit vorwagten. Mit einem bösen Knurren der Wut und Enttäuschung zogen sie sich schnell wieder einige Zoll weit auf den festen Grund zurück. Ihre Erfahrung hatte sie gelehrt, wie tödlich der Schlamm sein konnte.

Beide Katzen waren jetzt so nahe, dass sie Bomba leicht mit einem Sprung hätten erreichen können. Ihre Flanken waren dicht am Boden, und die Muskeln hatten sich zum Sprung gespannt. Dann richteten sie sich wieder auf und umkreisten unruhig das Schlammloch. Überall suchten sie nach einer Möglichkeit, an ihr Opfer heranzukommen, ohne den festen Boden verlassen zu müssen. Immer wieder sanken sie ein und immer wieder versuchten sie es mit einem gereizten Fauchen an einer anderen Stelle von neuem.

Die Blutgier würde schließlich doch die Vorsicht überwinden. Bomba wusste das. Er war jetzt schon bis über die Hüften eingesunken und der Verzweiflung so nahe, wie das bei seinem zähen Lebensmut überhaupt möglich war.

Jetzt setzte der größere der Pumas endgültig zum Sprung an. Sein Schweif peitschte den Boden, und der schmale Raubtierblick war entschlossen auf das Opfer im Sumpf gerichtet.

Doch in diesem Augenblick zischten vier Speere zu gleicher Zeit durch die Luft. Jeder der beiden Pumas wurde von zwei Geschossen getroffen. Mit einem Brüllen des Schmerzes und der Wut schnellten sich die Raubtierleiber in die Luft, schlugen wieder zu Boden und wälzten sich mit wilden Prankenschlägen im Staube. Mit Krallen und Zähnen versuchten die Bestien, die Speere aus dem Fell zu ziehen, die so schmerzhaft tief in ihre Leiber eingedrungen waren.

Nur wenige Sekunden dauerte dieser Todeskampf. Dann streckten sich die Tierkörper, die Köpfe sanken zur Seite, und der Blick verglaste.

Bomba starrte in die Richtung, aus der die rettenden Speere gekommen waren. Er war noch zu betäubt, um sofort die schöne Wahrheit dieser Rettung in höchster Not zu begreifen. Er sah vier Männer durch die Büsche brechen und blickte sie zuerst fassungslos vor Freude an. Endlich fand er seine Stimme wieder.

„Gibo!“, rief er. „Lodo! Ashati — und Neram! Welches Glück hat euch hierhergeschickt? Haben euch die Götter selbst gesandt?“

Gibos Augen leuchteten vor Freude und Stolz.

„Ja, Bomba — vielleicht haben uns die Götter etwas ins Ohr geflüstert. Unsere Speere haben ihre Arbeit gut getan.“

Die drei anderen hatten sofort erkannt, in welcher Bedrängnis Bomba war. Im Nu hatten sie lange Äste von den Bäumen gehackt und schoben sie jetzt über den Rand des Sumpfloches auf Bomba zu. Allmählich hatten sie aus mehreren Ästen eine tragfähige Plattform geschaffen. Einer kroch auf diese primitive Brücke und streckte die Hand aus. Langsam aber sicher wurde Bomba aus dem Sumpf gezogen. Mit einem wütenden Schmatzen und Glucksen gab der Schlamm seine Beute frei.

Dann stand Bomba wieder auf festem Grund und schüttelte dankbar seinen Rettern die Hand. Die treuen Eingeborenen hatten sich schon an diese Art der Begrüßung gewöhnt, und ihre Gesichter strahlten. Das waren wirklich echte Freunde für Bomba. Vor langer Zeit hatte er Gibo aus dem reißenden Hochwasser gerettet, und der treue Indianer hatte diese Tat nie vergessen und schon mehrfach vergolten. Ashati und Neram hatte Bomba auch vor langer Zeit aus der grausamen Tyrannei Jojastas, des Medizinmannes vom Laufenden Berg, befreit. Lodo jedoch war der Unterhäuptling der Araos. Mehr als einmal hatte Bomba schon mit ihm Seite an Seite gekämpft.

„Ich werde nie vergessen, was ihr heute für mich getan habt“, sagte der Junge bewegt.

„Es war nur wenig“, erwiderte Ashati bescheiden. „Wir danken dir schon mehrfach das Leben.“

„Und ich euch auch“, sagte Bomba lächelnd und reinigte sich mit großen Blättern von dem Schlamm, der noch an seinen Beinen und seinen Hüften haftete.

„Wie kommt es, dass ihr schon so früh im Dschungel seid?“, fragte er. „Wir sind doch hier weit von Honduras Maloca entfernt?“

„Hondura hatte uns auf Erkundung ausgeschickt“, erklärte Lodo. „Wir haben schon genug schlimme Dinge gesehen und wollten zurückeilen, um Hondura die schlechten Nachrichten zu überbringen. Da sahen wir zufällig, wie die Pumas sich durch das Dickicht zwängten und folgten ihrer Fährte bis hierher.“ Lodo machte eine Gebärde des Dankes in Richtung des Himmels. „Die gnädigen Götter haben uns geleitet, sonst wären wir nicht hier.“

„Auch ich wollte Hondura vor den Kopfjägern warnen, die ich schon gestern sah“, erklärte Bomba.

„Kopfjäger?“, rief Lodo erschrocken. „Dann sind nicht nur die Abaragos in unser Gebiet eingedrungen, sondern auch Nascanora mit seinen Männern. Die Abaragos wollen Rache dafür nehmen, dass Bomba in das heilige Sumpfgebiet eingedrungen ist und die Blume des Todes von dort mitgenommen hat.“

Diese Nachrichten waren allerdings schlecht genug. So hatten sie es also mit zwei feindlichen Stämmen zu tun. Sie mussten jetzt so schnell wie möglich in das Dorf der Araos zurückkehren, und Bomba übernahm wie immer die Führung.

Sie waren vielleicht eine Stunde in schnellem Lauf unterwegs, als Bomba plötzlich stehenblieb, den Freunden warnend zuwinkte und sich dann flach auf den Boden fallen ließ.

Die Indianer folgten augenblicklich seinem Beispiel. Eher als die anderen hatte Bomba aus der Ferne das Geräusch vieler Füße vernommen.

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