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Sie fuhren langsam in die Stadt zurück, weil der Abend kühl wurde. „Tanzen Sie?” fragte Paul, denn er dachte an die unauffälligste Möglichkeit, dem Körper dieser Frau nahe zu kommen. „Oh”, sagte sie harmlos und ohne die Folgen abzuschätzen, „seit dem Grünen Schwan nicht mehr!” „Wieso Grüner Schwan?” „Es ist ein Kabarett.” „Und?” fragte Paul. „Ich habe dort gespielt!” Seine Überraschung war grenzenlos. Sie wäre kaum größer gewesen, wenn man ihm etwa gesagt hätte, daß seine Frau nicht eine geborene Enders sei. Nichts bekümmert einen Menschen wie Bernheim mehr als die Erfahrung, daß er nicht mit einer Fürstin, sondern mit einer Schauspielerin im Wagen sitzt. „Oh!” sagte er. Und wie er einmal auf dem Maskenball plötzlich die Fähigkeit verloren hatte, die intimen Berührungen an Fräulein Irmgard Enders fortzusetzen, so verlor er hier umgekehrt die andere Fähigkeit, distanziert zu bleiben. Mechanisch drängte sein Bein an das Knie seiner Begleiterin. Er vergaß zu sprechen. Er hielt an, und ohne ein Wort zu sagen, versuchte er, den Arm um Lydia zu legen.

Sie begriff, welchen Sinn seine Bewegung hatte, und eine Sekunde später auch, aus welchen Ursachen sie kam. Sie fühlte die gleiche stumme, verzweifelte Scham wie damals, als Grischa sie Brandeis verkauft hatte. Aber heute gelang ihr nicht einmal ein Schrei mehr. Es war, als hätte ihr Herz schon die Gewohnheit, Beschämungen leise zu dulden. Es war kein neuer, erstmaliger Schimpf mehr, den sie erlitt, sondern ein wiederholter, die Erinnerung an jenen ersten. Nicht aus Verzweiflung, sondern eher aus einem instinktiven Bedürfnis, sich zu verteidigen, brach sie in ein leises Schluchzen aus. Die Tränen sind die einzige Waffe der Wehrlosen.

Es dauerte ein paar lange Minuten, bevor Paul Bernheim begriff, daß er Lydia beleidigt hatte. Wie seine Mutter imstande war, in einem Staatsbeamten eine andere Qualität von Ehrgefühl zu vermuten als etwa in einem Hauslehrer, so gestattete ihr Sohn Paul einer Schauspielerin nicht, sich ebenso beleidigt zu fühlen wie eine Fürstin aus dem Kaukasus oder gar eine geborene Enders aus dem Rheinland. Aber konnte der Zufall seiner Mutter gelegentlich nicht recht geben, so zeugte seine Anschauung von seiner verschiedenen Klassenehre der Frauen von einer besonderen Ahnungslosigkeit, von jener, die er mit allen seinen Kollegen, den Verführern, teilen durfte. Denn nichts ist so unabhängig vom Stand, von der Klasse, von der Familie, von der Beschäftigung und von der Erziehung wie der Ehrbegriff der Frauen. Es sind die gleichen Gelegenheiten, bei denen sich Prinzessinnen wie Prostituierte beleidigt und geschmeichelt fühlen. In dem Augenblick, in dem Paul begriff, warum seine Begleiterin weinte, tat es ihm leid, denn er war gutmütig, und er beklagte außerdem eine „verpatzte Gelegenheit” – wie man im Jargon der Männer aus dem gehobenen Stand zu sagen pflegt. Er hielt an. Ohne ihn anzusehn, das Gesicht gesenkt, verließ Lydia den Wagen. Sie ging geradeaus, sie sah nicht auf den Weg. Er stieg ab und ging ihr nach. Er sagte etwas, aber sie hörte ihn nicht. Die Scham erfüllte sie mit einem betäubenden Brausen. Endlich sah er ein, daß nichts mehr zu retten war. Und seine Sorge wandte sich wieder seinem Packard zu, den er mitten auf der Landstraße stehen gelassen hatte. Er kehrte um, lenkte langsam in einen Seitenweg und blieb mit dem erschütternden Gefühl zurück, eine Niederlage erlitten zu haben.

Die Sentimentalität ist eine Schwester der Grobheit. Und nichts ist selbstverständlicher als die Tatsache, daß Paul Bernheim auf dem ganzen Heimweg verliebt und wehmütig an Lydia dachte. Sie erschien ihm begehrenswerter als früher, kostbarer in dem Grade, in dem sie ihm endgültig verloren war.

Zu Hause fiel sein erster Blick auf die große Photographie seiner Frau. Er fand Irmgard langweilig, spröde, grobknochig. Der Sport hatte seiner Meinung nach ihre Muskeln männlich gemacht, ihre Schultern um zwei Zentimeter zuviel geweitet, ihre Hände waren stark, groß und trocken. Lydia war zart, schmiegsam, und ihre Haut mochte eine gelblich getönte Glätte haben, ihre Brüste dunkelbraune Monde. Ein Schauder lief ihm über den Rücken.

Lydia wartete lange auf Brandeis. Er kam spät, gegen Mitternacht. Er sah ihre roten Augen, fragte nicht und ging wieder fort.

Es war eine der Nächte, die er in einem gleichgültigen Hotelzimmer zu verschlafen gedachte.

XVIII

Alle Landstraßen der Welt sehen einander ähnlich. Alle Bürger der ganzen Welt sehen einander ähnlich. Die Söhne sehen ihren Vätern ähnlich. Und wer zu dieser Erkenntnis gelangt ist, könnte verzweifeln an der Aussichtslosigkeit, jemals irgendeine Veränderung zu erleben. Ja, sosehr sich die Moden ändern, die Staatsformen, der Stil und der Geschmack, so deutlich sind die alten, ewigen Gesetze in allen Formen zu erkennen, die Gesetze, nach denen die Reichen Häuser bauen und die Armen Hütten, die Reichen Kleider tragen und die Armen Lumpen, und auch jene Gesetze, nach denen die Reichen wie die Armen lieben, geboren werden, krank werden und sterben, beten und hoffen, verzweifeln und verdorren.

Wir gehen dazu über, das Haus des aufgestiegenen Paul Bernheim kennenzulernen, und es ist nicht unwichtig, sich an das Haus seines Vaters zu erinnern. Der alte Bernheim hatte die Bäume und die Mauer umlegen lassen, und der junge ließ eine Mauer errichten und in die jungfräuliche Erde seines Geländes alte, ausgewachsene Bäume einpflanzen. In seinem Garten standen keine Zwerge mehr. Aber die Fabrik Grützer und Compagnie erzeugte auch keine Zwerge mehr, sondern aus dünnem, milchigem und hohlem Porzellan weibliche Figuren von einem gewissen stachligen Charakter. Ihre Gliedmaßen erinnerten an die Form von Fichtennadeln. Ihre Brüste waren kleine Pyramiden, ihre Bäuchlein Parallelogramme, ihre Ellbogen Lanzenschäfte und ihre dreimal geknickten Knie gemahnten an die medizinischen Modelle, welche die Folgen der Rachitis anschaulich machen.

Dieser Figuren ein halbes Dutzend sah man in Bernheims Vorzimmer. Sie gehörten zu den Geschenken des Herrn Carl Enders und zeugten von seinem modernen Geschmack, oder genauer: von der Mühe, die er sich gab, einen modernen Geschmack zu beweisen. Ohne Zweifel hätten ihm jene Zwerge aus Ton besser gefallen, die im Garten des alten Bernheimschen Hauses standen. Aber er wäre bereit gewesen, sie mitleidig zu verachten. Wenn Carl Enders in die Lage geriet, ein Bild zu kaufen, so achtete er darauf, daß es seinem Verstand und seinen Sinnen widerspreche. Dann war er sicher, ein modernes und wertvolles Kunstwerk gekauft zu haben. Eine lange Übung hatte ihn dazu gebracht, daß seine Wertschätzung automatisch anfing, wo ein Gegenstand sein Mißfallen erregte, und daß er ein empörtes Mißtrauen allem entgegenbrachte, was ihm gefiel. Dieser Methode verdankte er den Ruf, einen „unfehlbaren Geschmack” zu besitzen, und also fuhr er fort, seinem echten Geschmack zuwiderzuhandeln. Ihm verdankte Paul die Anlage seiner Villa, die Einrichtung und die Kunstgegenstände. Das Haus sah einem Schiff ohne Kiel ähnlich. Nur die Fenster, die lang waren und bis zum Boden reichten, so daß man sie als Türen hätte benutzen können, erinnerten den Betrachter, daß es ein Wohnhaus war. Im übrigen war es weiß gestrichen und segelte im Stehen dahin. Ein halbrunder Vorsprung, in dessen Innerem man im Sommer das Frühstück einnehmen konnte, sogar sollte, schien, von außen besehn, Luxuskabinen zu enthalten. Über dem Vorsprung das Dach erinnerte an eine geräumige Kommandobrücke. Im ersten Stock waren die Wände tiefer und die Fenster zierlicher. Weite, steinerne, flache Ränder des Daches überschatteten sie. Darüber war nur noch der Dachboden, ein breites, niedrig gemauertes Rund mit vielen breiten und kurzen Fenstern, die keinen andern Zweck hatten, als unter Umständen hinausgesteckte Fahnen zu tragen. Der Park war weit. Die paar übersiedelten Bäume hielten sich in der Nähe des Hauses auf, wie aus Angst vor der kahlen Weite des Gartens. An „Licht, Luft und Sonne”, drei Elementen, die dem Herrn Enders wie der modernen Architektur heilig waren, schien das Haus Bernheims mehr zu enthalten als die Welt selbst, und man hatte oft den Eindruck, daß die Zimmer von einer Privatsonne erfüllt waren, wenn draußen der Himmel bewölkt und die Luft ein dichter Nebel war. Am liebsten hielt Paul sich vor dem Kamin auf. Dieser Ort, der einmal der natürliche Hauptbestandteil aller menschlichen Wohnungen war, der Höhlen wie der Hütten, ist heutzutage nur noch ein Symbol in den Behausungen der Wohlhabenden und eine Ablagerungsstätte der ganzen im Lauf des Tages angehäuften Sentimentalität. Paul Bernheims Kamin war von einer steinernen Pyramide überdeckt, auf deren breitem Rand ein Glas Wasser, ein Zigarettenetui, buntköpfige Streichhölzer und eine blaue Vase mit Geranien standen. Ein blankes Gitter aus Messing umgab das Feuer, ein Schachbrett aus weißen und schwarzen Steinen, mitten in die hölzerne Diele eingebaut, erstreckte sich vom Kamin fast bis in die Mitte des Zimmers. Ein buntgeblümter Lehnstuhl hielt sich an der rechten Seite auf, ein gepolstertes Stühlchen ohne Lehne links. Ein stählernes Gestell, das einen Photographenapparat ebenso tragen konnte wie Hüte, Regenschirme und Kleidungsstücke, ging überraschenderweise in einen grünen Lampenschirm über, in dessen dichtgefüttertem Innerem eine elektrische Birne blühte. Paul machte die Tür zum Speisezimmer auf. Er liebte es, vom Feuer weg in das milde Licht des Speisezimmers zu schauen, wo weiße, breite Stühle mit leise federnden Sitzflächen aus geflochtenem Stroh einen runden, bräutlich verhüllten Tisch umgaben, der in der Mitte eine weiße Schüssel voll gelber Blümchen trug. Ein Gong in einem Rahmen aus Nickel konnte von jedem Unbefangenen für einen Rasierspiegel gehalten werden. Ein rechtzeitiger Blick nur auf den Klöppel mit dem dicken Knopf aus grauem Gummi beschützte vor Verwechslungen. Das ganze Haus war unheimlich neu und sauber. Paul Bernheim sah zuerst auf jeden Stuhl, bevor er sich setzte, aus einer unbestimmten Angst vor der noch nicht getrockneten Politur. Es roch nach Lack, Öl und Terpentin – ein Geruch, den Irmgard jeden Morgen mit Fichtennadelduft zu bekämpfen befahl. Doch hüllte man zuerst die Bilder ein, damit sie von den Zerstäubern nicht getroffen würden. Nur im Schlafzimmer Irmgards roch es nach Coldcreme, Lippenstift und Brennschere. Ihrem breiten Bett gegenüber, das von Theatervorhängen umgeben war, hing das exklusive Bild des exklusiven Malers Hartmann, der es Herrn Enders für fünfzigtausend Mark verkauft hatte. Herr Enders, der Maler, Schneider und Friseure nicht gerne bezahlte, weil er sie für öffentliche Einrichtungen hielt, für die man Gemeindesteuern zahlt, wie Straßenpflaster und Laternen, hatte dem Maler Hartmann vorläufig einen Scheck auf zehntausend gegeben in der vagen Hoffnung, daß die Zeit den Rest des schuldigen Geldes vermindern würde. Nichts hielt seiner Ansicht nach der Zeit stand. Sie verzehrte Menschen, Gegenstände und Schulden. Den Maler Hartmann gefährdete sie besonders. Denn er war, je älter er wurde, eine immer leichtere Beute der Frauen, die ihn an den Rand des Grabes zu bringen pflegten, um ihn dort zu verlassen. Herr Enders prophezeite dem Maler immer wieder einen Selbstmord, besonders, seitdem er ihm vierzigtausend Mark schuldete. Die Aussicht auf den Selbstmord machte das Bild nur noch wertvoller. Irmgard konnte es vom Bett aus genau betrachten. Tagsüber hing es günstig den Fenstern gegenüber. Für die Nacht hatte Herr Enders eine besondere Vorrichtung getroffen. Ein schmaler, leuchtender Rahmen aus mattem Glas entzündete sich auf einen Druck an dem Taster, der über dem Bett hing. So konnte Irmgard das Bild in den Schlaf hinübernehmen, einen vorgeträumten Traum.

 

Paul Bernheim setzte sich vor den Kamin. Aber heute beruhigte ihn das Feuer nicht. Er war allein in seinem neuen, knisternden, lackierten Haus, in dem er nicht heimisch wurde, weil er unaufhörlich die Übermacht des Herrn Enders fühlte und die der chemischen Industrie. Wo fühlte er sich denn wohl? Im Geschäft bedrohte ihn Brandeis und zu Hause Enders. Ach! Er hatte es sich zu leicht vorgestellt. Er hatte gedacht, daß er nach fünf Monaten ein angesehenes Mitglied der großen Industrie werden könnte. Aber ein Industrieller Enders war noch vorsichtiger und tückischer als ein Finanzmann Brandeis. Paul hatte das sichere Gefühl, daß er vorläufig ein aufgespartes Werkzeug zwischen beiden war. Man sagte ihm nichts. Man ließ ihn in der Schublade liegen, einen Hammer, mit dem man gelegentlich ein paar Nägel einzuschlagen gedenkt. Das bittere Erlebnis mit Lydia war nicht der einzige Grund seiner Aufregung. Er, Direktor in Brandeis' Geschäft, hatte erst auf Umwegen erfahren müssen, daß Brandeis im geheimen die Aktien der Transleithanischen Aktiengesellschaft aufzukaufen begonnen hatte. Ferner, und auch das hatte er erlauscht, daß in Albanien sich eine Holzverwertungsgesellschaft unter der Ägide Brandeis’ gebildet hatte. Was wollte Brandeis in Albanien? Man sprach davon, daß er im Verein mit der italienischen Regierung die Eisenbahnstrecken in Albanien auszubauen gedenke und daß er das Material in Rom zu bestellen sich weigere. Die italienische Regierung aber wollte nur unter dieser Bedingung die Konzession für den Eisenbahnbau vermitteln. Allmählich erfuhr Paul Bernheim den Sinn der Reisen, die Brandeis jeden zweiten Monat unternahm. Er fuhr immer wieder nach dem Balkan, aber die Post wurde ihm nach Wien geschickt. Er ist langsam gefährlich geworden, dachte Bernheim. Als er seine stillen Aufkäufe begann, kannte ihn niemand. Man ließ ihn gewähren. Und wollüstig sagte er halblaut in das köstliche Kaminfeuer: „Aber er wird nicht durchkommen, sie werden ihn nicht lassen.” In diesem Augenblick knurrte das Telephon. Irmgard rief an wie jeden Abend. „Wie geht es?” „Wie geht es!” „Alles in Ordnung?” „Alles in Ordnung!” „Sag ein liebes Wort!” „Irmchen”, brachte er mühsam hervor. Er konnte unmöglich Zärtlichkeiten telephonieren. Irmgard verlangte sie regelmäßig, aber in der gleichen Art, in der sie sich nach Dienstboten, Chauffeuren und Wäsche zu erkundigen liebte. „Weißt du?” „Ja!” „Onkel kauft mir ein Pferd!” „Bravo!” rief Paul mit einem Jubel, den er wie ein Würgen fühlte. „Er will dich sprechen.” Herr Enders begann. Seine Stimme klang sehr fern, weil er niemals in die Muschel sprach, sondern in die Luft. Wenn er das Haus verließ, konnte ein Diener telephonieren und Bakterien in der Muschel hinterlassen. Jeden Monat ließ er die Apparate im ganzen Haus auswechseln. „Lieber Junge”, sagte die ferne Stimme, „hast du was Neues von Brandeis?” „Was soll es denn sein?” „Trans– und Cis-AG. Schlägt in unser Fach. Kunstseide in den Sukzessionsstaaten.” „Möglich!” sagte Paul. „Erkundige dich! Irmgard kommt übermorgen! Pupille!” Das war ein Wort, das Enders vertraulichen Telephongesprächen anzuhängen liebte, eine Art Telephonsiegel.

Paul kehrte zum Kamin zurück. Er wußte genau, daß der Herr Enders jetzt zu Irmgard sagte: „Sei mir nicht bös! Aber dein Mann ist ein reiner Tor!” Diese erahnten Worte vernahm Paul deutlicher als früher die telephonierten. Sollte er jetzt Brandeis aufsuchen? Wozu? Was würde er erfahren? Wenn Lydia aber erzählte? Wie blamabel! Der Ruf eines Gentlemans!

Dieses Wort leitete eine neue Kette von Assoziationen ein. Erinnerungen an die Träume vor der Heirat. Selbständigkeit, Chemie, Beherrschung des Marktes, der Börsen, Geschäfte mit Amerika, Aeroplanfahrten, in zwei Tagen London, Paris, am dritten New York, ein Netz von Macht, gespannt über die ganze Welt, alle Aktien aller deutschen Zeitungen. Zu Hause Gesellschaft, Tennis, Reiten, Boxen. Nicht diese langweiligen Leute, die jetzt kamen. Nicht diese Turnstunden des Morgens nach den Anweisungen des Radios, die Irmgard so liebte. Nein, er war nicht mächtig geworden. Niemand hatte Respekt. Da war sein Junggesellenleben schon vornehmer und freier gewesen. Relativ war Theodor schneller gewachsen.

Paul ging zum Grammophonkasten – auch ein Geschenk des Herrn Enders – und legte die Platte von den fünf Brüdern King aus Wilmington ein. Der Gesang der weichen und tiefen Stimmen vertiefte die Traurigkeit Bernheims bis zu dem gewünschten Grade, in dem sie sich schon in Trost verwandelte. Er setzte sich an den Apparat, um die Kurbel immer wieder aufziehn zu können. Er konnte die Stille des Hauses nicht mehr ertragen. Die Neger mußten singen. Sie sangen die Verlorenheit einer ganzen Rasse und bezogen den fremden, verlorenen Mann in ihre eigene wüste, heiße und schmerzliche Vergangenheit. Mit einem dankbaren und treuen Blick umfaßte Paul das Grammophon. Das einzige von den Geschenken Enders’, das er liebte. Wie gut war ein Grammophon. Zwanzig Jahre früher hatte man sich an ein Klavier setzen müssen. Jetzt brauchte man nur eine Kurbel zu drehen. Auch die Mittel des Trostes machten Fortschritte, und die Technik verbannte durchaus nicht die Sentimentalität.

Er ließ sich die Zeitungen bringen und schlug sie an den Stellen auf, wo die vermischten Nachrichten standen. Nicht ohne ein Schuldbewußtsein. Er sagte sich, daß es eines Kaufmannes unwürdig sei, nicht zuerst nach dem Börsenteil zu sehn, aber es war stärker als er, es zwang ihn, nach Kunstbesprechungen zu suchen, nach Theaterreferaten, nach Familientragödien. Der Tag brachte lauter Unglück, also stand auch ein Aufsatz seines Bruders Theodor in der Zeitung, ein Aufsatz über eine Ausstellung von Büchereinbänden, aber auch über Deutschland, Europa, die gelbe Gefahr und Indien. Denn Theodor konnte keine Gelegenheit versäumen. Er mußte immer eine Meinung äußern, und eine Menge sinnloser, aber schlagender Formulierungen standen ihm zur Verfügung. Er hatte sie erlauscht, ihre akustischen Bestandteile aneinandergefügt, zerhackt, umgelegt und mit Tendenzen gefüttert, die aus dem völkischen Gedanken, aus dem Marxismus und von Stirner kamen. Paul machte sich die Mühe aufzustehn, wieder an den Kamin zu gehn und die Zeitung ins Feuer zu werfen. Er gehörte zu den empfindlichen Menschen, die etwas aus der Welt zu schaffen glauben, wenn sie es aus ihrem Blickfeld räumen.

Immer noch sangen die Neger. Das Feuer im Kamin erlosch langsam. Paul Bernheim zündete kein Licht an. Er schlief im bunten Lehnstuhl ein, dessen große, gelbe Blumen giftig die Finsternis durchbrachen.

XIX

Theodor legte den Smoking an. Sein Angesicht strahlte ihm in festlicher Fahlheit aus dem Spiegel entgegen. Mit einer Taschenschere versuchte er nach einigen Härchen zu schnappen, die an verschiedenen Stellen seiner Ohrmuscheln wuchsen. Alle Sanftmut und Geduld, die ihm zur Verfügung standen, konnte er aufbringen, wenn es sich um sein Aussehn handelte. Noch einmal warf er einen Blick auf seine langen Hände, auf die er stolz war und aus deren Form er auf sein aristokratisches Wesen schloß. Jetzt schlüpfte er in den Rock, zog an den Klappen und drehte alle Lichter auf. Probebeleuchtung. Er suchte nach dem Spiegelbild seines Profils, indem er die Spiegeltür des Kleiderkastens so drehte, daß sie in einem schiefen Winkel zum großen Wandspiegel stand. Dann nahm er die Brille ab und dachte einen Augenblick an gar nichts mehr, als wären seine Gedanken abgestorben, aus Mangel an visueller Nahrung. Durch die geschlossene Tür des Nebenzimmers klang das Klappern einer Schreibmaschine. Eine Sekretärin war beschäftigt, einen Artikel Theodors abzuschreiben. Er lauschte dem hastigen Rhythmus der Tasten wie einer angenehmen Musik. „Jetzt ist sie auf der dritten Seite, dort, wo ich von der Ohnmacht der Nächte in deutschen Großstädten spreche. Ohnmacht der Nächte ist gut, tadellos, großartig.” Dann hatte die Sekretärin noch Briefe zu erledigen. „Die Korrespondenz”, sagte Theodor. Wenn die Post ihm viele Briefe brachte, fühlte er sich dem Mittelpunkt der Welt näher rücken. Wenn er eine Zuschrift auf einen seiner Artikel bekam, übergab er sie sofort der Redaktion, damit sie die Wirksamkeit ihres Mitarbeiters richtig einschätzen lerne. Außerdem zeigte er sie seinen Freunden und besonders jenen, die sich darüber ärgern konnten. Er beantwortete alles. Er bewarb sich um Einladungen zu Festen, Ausstellungen, Konferenzen, in die Salonimitationen der Bankdirektoren, eines Generals, eines Ministers. Am nächsten Tag erzählte er von seinen Diskussionen. Er beabsichtige, den „Kerlen” einen neuen Typus eines „jungen Deutschen” zu zeigen, einen nüchternen, trotzdem patriotischen, aristokratisch erzogenen, trotzdem revolutionären, einen diplomatisch denkenden und dennoch freimütig redenden. Dabei zitterte er unaufhörlich aus Angst, zuviel gesagt zu haben. Mit ganz bestimmten „Kerlen” wollte er es sich nicht verderben, obwohl sie ihm nicht gefielen. Zu ihnen gehörten seine Verleger, die Herausgeber von Zeitschriften, ein Redakteur, der Theodors Artikel zu behandeln hatte. Schrieb dieser Redakteur einmal selbst einen Artikel, so bekam er prompt einen telephonischen Anruf von Theodor: „Gratuliere! Ausgezeichnet!” Seinen Freunden sagt er dann: „Habt ihr den Artikel gelesen? Der schreibt ja ganz gut, der Kerl, aber naiv, naiv. Er sieht eben die Welt nicht!”

Jetzt erstarb das Klappern. Die Sekretärin klopfte. Obwohl Theodor es nicht für vornehm hielt, private Beziehungen zu einer Sekretärin herzustellen, und er in ihr nur „Personal” sah, aber keine Frau, warf er doch noch zwei glättende Finger auf seine gescheitelten Haare, bevor er „Herein!” rief. Er setzte sich an den Tisch, um das Manuskript zu lesen. Die Sekretärin stand neben ihm. Er kam an die Stelle von der Ohnmacht der Nächte, warf schnell seinen Kopf zu ihr herum und sagte: „Gut! Was?” Gleich darauf ärgerte er sich. Er konnte niemals die richtige Mitte finden zwischen dem Verlangen, eine Anerkennung zu hören, und der Notwendigkeit, Personal in respektvoller Entfernung zu halten. Manchmal vergaß er sich so weit, der Sekretärin einen Artikel vorzulesen, der sehr aktuell war und den auf der Maschine abzuschreiben sie keine Zeit mehr fand. Das arme Mädchen, das jeden Tag von acht bis vier Geschäftsbriefe schrieb, fühlte ihre Tätigkeit bei Theodor wie ein tägliches Bad in Witz und Esprit. Sie bewunderte ihn. Sie las die Bücher, die er zur Besprechung bekam, nach den Hinweisen, die seine Referate enthielten. Wenn Theodor ihre Bewunderung sah, verringerte er die Respektsdistanz um einige Zentimeter durch die Frage: „Sie sind schon müde? Gut! Dann arbeiten wir heute weniger!” Er steckte das Manuskript in einen Umschlag und schrieb „Eilt” darauf, obwohl es gar nicht eilte. Er liebte, den langsamen Dingen einen Stoß zu geben, damit sie sich hasteten. Was nicht eilte, war nicht wichtig. Tempo, Tempo. Aus Geringschätzung für den normalen Lauf der Stunden hielt er die Zeiger seiner Taschenuhr vorgeschoben. Er warf jetzt einen Blick auf sie. Und obwohl er noch eine Stunde Zeit hatte, sagte er: „So, jetzt hab' ich keine Zeit mehr. Sie können gehen!” Die Sekretärin ging. Er setzte sich, drehte die Kurbel des Grammophons und ergab sich dem Gesang der Platte von den Brüdern King aus Wilmington. Die Musik der Neger brachte ihn in Stimmung. Er ging heute in Gesellschaft, und er gedachte, es den „Kerlen” zu zeigen. Er ging heute zu keinem andern als zu seinem Bruder Paul.

 

Ja, im Hause Paul Bernheims erwartete man einen Gast aus Frankreich. Es war einer von den Schriftstellern, die nach dem Kriege anfingen, die Beziehungen zwischen den Völkern herzustellen, literarische Friedenstauben. Die Steuern, die sie von ihren Honoraren dem Vaterland zahlten, verwendete der Kriegsminister für einen zukünftigen Krieg. Der Unterrichtsminister hingegen rüstete gleichzeitig die Schriftsteller mit Empfehlungen für die deutsche Botschaft in Paris aus. Verschiedene Verständigungs–, Kultur– und Versöhnungsvereine luden die Autoren übersetzter Bücher ein, Vorträge zu halten. Die Schriftsteller kamen, hielten einen Vortrag, wurden in die Häuser eingeladen, bekamen Trüffeln und studierten mit Wohlwollen die Sitten und Gebräuche der früheren Feinde. Sie machten Notizen für spätere Artikelserien über deutsche Dichter, deutsche Generaldirektoren, deutsche Revolutionäre. Von deutschen Professoren der Romanistik wie von Schutzengeln begleitet, gelangten sie in die Häuser der Wohlhabenden und der Reichen, der Gebildeten und europäisch Denkenden, der Industriellen, die in der Fabrik Giftgase erzeugten und zu Hause Keyserling lasen.

Der Gast war noch nicht vorhanden. Der Professor Hamerling war früher gekommen und glaubte die lautlosen Vorwürfe zu vernehmen, die sich im Innern Paul Bernheims vorbereiteten. Die Frage der Frau Irmgard: „Kennt er sich auch aus in Berlin, Herr Professor? Haben Sie ihm auch die Adresse richtig gesagt, Herr Professor? Hat er nicht zufällig die Einladungen verwechselt, Herr Professor?” empfand der Professor Hamerling bereits als Anklagen. Einer nach dem andern kamen die Gäste. Die Beleuchtung der Zimmer schien immer stärker zu werden von dem friedlichen Licht, das jeder vor sich her trug wie eine Laterne. Sie nickten mit den Köpfen, überhörten die Namen der Vorgestellten und sahen geradeaus in deren Gesichter – nicht mit den Augen, sondern mit entblößten Zähnen. Man fühlte sich gehoben im Hause Paul Bernheims, das zu den modernsten der Stadt gehörte. „Alles comme il faut”, sagten die Leute, die für gesellschaftliche Dinge technische Ausdrücke in französischer Sprache gebrauchen, so wie man bei ärztlichen Konsilien Latein redet. Paul Bernheim lud „comme il faut”-Leute aus allen Lagern ein. Es kam Herr von Marlow mit junkerlichem Einschlag samt Gattin, ein Mann, der von den Deutschnationalen zur Volkspartei übergegangen war, seitdem er in Berlin wohnte und seine schlesischen Güter verpachtet hatte. Der städtische Asphalt schien ihn immer liberaler zu machen. Das Ideal der Vornehmheit, das früher darin bestanden hatte, möglichst national zu sein, erforderte heute eine möglichst europäische Gesinnung. Auf Umwegen – und so, daß es nur seine nächsten Angehörigen wußten – schickte Herr von Marlow jedes Jahr zum Geburtstag des Kaisers seine untertänigsten Wünsche nach Doorn. Aber es waren nicht die Manifestationen einer Gesinnung, sondern eher die Gewohnheit an einen Ritus, eine religiöse Privatangelegenheit, so wie die Juden in Berlin, die längst von ihrem Glauben abgefallen sind, in einer verschämten Heimlichkeit den heiligsten ihrer Feiertage immer noch feiern, Weihnachten dagegen öffentlich und aller Nachbarschaft sichtbar.

Es kam der Herausgeber einer demokratischen Zeitung, der mit einem Radikalismus vor sieben Jahren angefangen hatte und nun ähnlich dem Herrn von Marlow, nur vom entgegengesetzten Ende her, der Mitte zustrebte, seitdem er durch eine große Mitgift in die Lage gekommen war, ein kleineres Gut in der Mark Brandenburg zu kaufen und dank der Berührung mit dem märkischen Boden immer konservativere Ansichten zu gewinnen. Zwar sah man seiner Frau, die jeden dritten Monat Kleider aus Paris mitbrachte und Empfehlungen für die Modenschau bei Molineux austeilte, immer noch das gehobene, kommerzielle Milieu an, aus dem sie kam. Aber man verzieh es ihr und hoffte, daß sie sich zu einer recht feudalen Gutsherrin entwickeln würde in Anbetracht ihrer regelmäßigen Reitstunden im Tiergarten. Sie trug ein dunkelgrünes Kleid und braune Schminke, wegen der olivenfarbenen Haut. Frau Irmgard hatte fast das gleiche Modell in Blau, eine ähnliche Situation, die von einer gleichzeitig unternommenen Reise nach Paris kam. Das nächste Kleid lasse ich mir in Wien machen, dachte die Frau des Herausgebers. Sie sah Frau Irmgard an und erriet erschrocken, daß diese das gleiche gedacht hatte. Sie hat aber doch zu dicke Arme, dachte die Frau des Herausgebers. Sie hat aber doch zu dünne Arme, dachte gleichzeitig Frau Irmgard. Es kam der bekannte Publizist Freytag mit seiner Frau, deren Kleider weit billiger waren als die Artikel ihres Mannes. Die Blicke der reicheren Damen trafen sich einträchtig in einer kurzen Sekunde, und Frau Freytag war verdammt. In der Tat stammte ihr Kleid aus einem jener Ausverkäufe, die von den großen Häusern am Ende der Saison veranstaltet werden und bei denen man die Roben verkauft, die von den Modellen ein paarmal getragen sind. Die Züge der Frau Freytag waren hart, Runzeln um die Augen verrieten, daß sie keine Massage kannte, sie war noch jung, kaum sechsunddreißig. Aber die ersten Jahre ihrer Ehe, in denen ihr Mann noch das gewesen war, was man einen „kleinen Journalisten” nennt, schienen erst jetzt ihre Andenken in das Gesicht einzeichnen zu wollen. Früher waren diese Jahre unschädlich gewesen. Aber die Spuren des Kummers kamen allmählich, spät nach diesem, so wie eine Schwäche lange nach einer verrauschten Aufregung kommt. Immer noch mußte Frau Freytag unsicher die Hand reichen. Sie hielt dabei den Ellbogen an die Hüfte, und ihre Hand hatte etwas Verschämtes und rief sofort das Bild von einer andern, in der Küche gereichten, eben an einer blauen Schürze abgetrockneten Hand wach. Es kam ein Major aus dem Reichswehrministerium in einem Zivil, das von Fischbeinstäbchen gehalten zu sein schien, und mit dem harten Gesicht eines Vogels, aber mit unbeweglichen Augen, die an schwarze, kleine Schuhknöpfe erinnerten. Von links nach rechts trafen sich die Leute in der Mitte, bildeten Gruppen aus Verlegenheit. Aus den Gruppen lösten sich einzelne, die plötzlich wie verloren in einer Wüste waren und das Bedürfnis empfanden, sich irgendwo anzulehnen. Schüchtern prüften ihre Arme die Solidität der Einrichtungsgegenstände. Eine große, festlich illuminierte, traurige Leblosigkeit schwebte in den Zimmern. Frau Irmgard nahm einen Gast nach dem andern vor, comme il faut und wie es geschrieben steht. Sie war froh, wenn einer im letzten Moment die Abwesenheit seiner Frau entschuldigen mußte, weil sich dann eine kleine Abwechslung des Themas ergab. „Ach, das ist aber doch schade, daß ihre Gattin …” Dieser Anfang erforderte keine Überlegung und war immer zutreffend.

Der französische Pazifist kam schließlich, etwas geblendet von der tragischen Festlichkeit und immer noch nicht gewöhnt an die fremden Sitten eines fremden Volkes. Es hätte ihm keineswegs so fremd sein müssen, wäre er nicht mit der festen Absicht gekommen, darüber zu schreiben. Diese Absicht forderte wieder von ihm, Interessantes zu finden, auch wo nur Gewöhnliches vorhanden war. Als der Angehörige einer Nation, die alles, wessen sie bedarf, im eigenen Lande findet und es infolgedessen nicht verläßt, liebte Herr Antoine Charronoux, in fremden Ländern das Außergewöhnliche zu suchen. Seine Reise hatte nun einmal einen literarischen Zweck, und sie mußte Material abwerfen, ob sie wollte oder nicht. Er hastete von einem Eindruck zum andern und klassifizierte alle ebenso hastig. Sein Entschluß, über das fremde Land zu schreiben, erzeugte von selbst und gleichsam bereits im Auftrag zukünftiger Leser einen romantischen Schleier um die Menschen und Gegenstände, die Herrn Charronoux entgegenkamen, und heftete an die Brust eines jeden die Marke einer bestimmten repräsentativen Kategorie. Herr Charronoux war selig, daß der Herr Professor Hamerling sich einen Freund Frankreichs genannt hatte. Für Herrn Charronoux sahen nun die Freunde Frankreichs genauso aus wie der Professor Hamerling, der jetzt in einer entfernten Ecke den Herrschaften von Marlow und Freytag einen Vortrag über Frankreich hielt. „Sie haben”, meinte er von den Franzosen, „den nüchternen, kleinen, praktischen Verstand, der uns so fehlt, uns, den Germanen mit der Seele im ewigen Nebel. Ich liebe über alles den guten, fröhlichen Lebensgeschmack dieser heiteren Franzosen und wie sie essen, trinken und lieben. Paris bleibt der Mittelpunkt der Vernunft und des Vergnügens. Wir bleiben immerdar die Kinder des Nordens, und unsere Heimat sind die sanften Schattierungen der Dämmerung.” „Sie brauchen uns, nicht wir sie”, sagte Theodor, der eben eingetreten war. Mit einem Instinkt für ernste und problematische Diskussionen hatte er sich mechanisch und sogleich der Gruppe um Hamerling genähert. Alle sahen ihn an. Er fühlte mit Wonne seine eigene, forsche Jugendlichkeit diesem würdigen Hamerling gegenüber. Er glaubte, die Zuhörer ringsum vor lauter Bewunderung tief atmen zu hören. „Paris”, so fuhr Theodor fort, „hört auf, hat längst aufgehört, ein Mittelpunkt zu sein. Berlin wird es, ist es schon.” „Wir haben nicht davon gesprochen”, sagte Hamerling ungehalten und gewichtig. „Die Leichtigkeit der Franzosen ist eben in Paris zu Hause. In Berlin arbeitet man, in Deutschland arbeitet man.” Der Herr Charronoux war inzwischen der Gruppe nahe gekommen. Er hatte die letzten Worte gehört und beschloß, sie genau wiederzugeben. So verständliche, eindringliche Mitteilungen gingen ihm ein, ihm, der seit Tagen, ohne es zu wissen, das Auge und das Ohr seiner zukünftigen Leser geworden war. „In Paris ist die Leichtigkeit zu Hause, in Deutschland die Arbeit.” Welch eine glückliche Lösung. Jeder Krieg in Zukunft ausgeschlossen!