Sonne satt

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„Eine blutige Angelegenheit waren die besudelten Sägen des heldenhaften Schwagers. Einen Schinken sagte uns Fernando zu.“

„Da du gut Bescheid weißt, könnte ich darüber einen Artikel fürs Inselmagazin verfassen, ein paar Euros verdienen.“

Usa hebt zaghaft ihr Kinn, doch fängt von Leo ein Aufzucken einer Braue ein, sie unterdrückt Ekel. Nicht so Anton.

„Ist möglich, Usa. Aber der Wurstgenuss sagt mir mehr zu.“ Er schnalzt mit der Zunge vor der Aufmerksamen. „Wie ich weiß“, beginnt er, „wird Wursten erlaubt, hängt das Schwein über Nacht ab, das er Veterinär dann stempelt. Danach wird die rohe Leber durchgedreht und im Glas eingekocht, um deren Keime abzutöten.“

„So hast du dich damals verköstigt, hier nicht mehr!“ Lian schüttelt ihre Schultern. „Wurst schmeckt abscheulich, versetzt den Geschmacksnerven Kontrapunkte! Anton, schweige, sonst ...“

Das markante Dingding Klingeln der Glocke am Hauseck nahe der Palisade, unterbricht Lian. Sämtliche Mienen zucken, teils in Neugier, teils als Linderung von der Wursterei.

„Erwartet ihr jemanden? Ich nicht.“

Maik geht hinaus. Er trägt einen Brief in der Hand zurück.

„Es war Jörg, der Nachbar von oberhalb. Er erwähnte, ein Polizist suche bei der ihre Enkel misshandelnden Oma den seit Wochen vermissten Kindsvater. Er weiß definitiv, wegen dessen Sauferei lebe deren Mutter längst in Funchal.“

Unter buschigen Brauen kaschiert Maik seine Entdeckung der Untat, seinen Aufruhr. Doch keiner soll darauf anspringen. Maik springt in die aufrechte Pose, mit klimpernden hellen Wimpern, die etwas ankündigen, und redet mit voll tönender Stimme.

„Im Grunde bat Jörg - er plant ein größeres Fest, zu dem er auch Residentes einlädt – bei uns im Gästezimmer seine beiden Söhne unterzubringen. Ich sagte ihm das Wochenende zu.“

„Was hast du zugesagt?“

Margarita nähert sich, nimmt den Brief, zieht vor dem Kamin eine Karte hervor. Konfetti rieselt. Verdutzt sieht sie auf den bunten Segen an den Fliesen, kurz dann ans Datum, fettgedruckt in der Kartenmitte. Bitter lächelt sie Maik an.

„Uh! Dann schläft Leo probeweise oben bei mir. Andere Leute kennen lernen mag ich, habe kaum je anderswo Gelegenheit.“

Margarita überläuft ein Schauder, der Allen Aufschluss über die dunklen Ränder unter ihren arbeitsmüden Augen gibt. Rundum geht ein Wissen von ihrer Belastung, einig mit Maiks Erlaubnis der Einquartierung. Sie halten es ebenso, nichts kollidiert.

Mit unbesorgter Miene geht Maik zu Leo, berührt eine Wange.

„Schatz, dir fallen ja schon die Augen zu. Mach nicht mehr so lange, freu dich aufs frischgebackene Frühstücksbrot.“

„Ja, habe eine gute Nacht, bis zum nächsten Übungsflirt.“

Während er in steifem Gang zur Tür geht, lauscht Leo seinen Tritten, sieht dann Lian an.

„Kommst du mit ins Atelier?“

Die Korbsessel knarren ihr leises Quietschen, während Anton und Usa auch aufstehen. Sie löschen noch die Kerzenleuchter.

Verlassen steht Margarita am Kamin. Rasch klemmt sie Jörgs Einladung ans Notizbrett, nimmt ihren Brief. Dann zittern ihre Finger. Eine eng beschriebene Trauerkarte mit schwarzem Rand verschwimmt wie das Glimmen im Kamin vor ihren Tränen.

6

Später wartet Margarita, im Bauch den Schock und ihre Erregung, am Balkonpfosten der oberen Treppenstufe auf Vera. Am Horizont des nachtblauen Atlantik markieren Positionslichter ein Boot, über dem, unhörbar im Wind dort, schwarze Wolken anrücken.

So deutlich schwarz vorn und an der Kehrseite, gleichen sie Margaritas inneren, jenen über dem alten Schluckauf, dem Tango, ihr dramatisch vor Augen. Und doch anerkennt sie, der Wind des Lebens ging über die Bühne. Sie wurde ein neuer Star, trotz des damaligen Konflikts, den sie Vera präsentieren würde. Wenn Vera heimkehrt von den nörgelnden Hotelgästen, noch ahnungslos. Sie kompensiert gewiss alles später mit ihrem Kuchenbacken.

An der Straße hallt ein Türschlag durch die Nacht, dann das Heulen des Anfahrens. Um die Hausecke kommen Schritte. Dorthin eilt Margarita, ihr Jeanshemd fest um sich ziehend. Vera, noch in Uniform mit Weste, zuckt erschreckt mit den Schultern.

„Vera, ich finde keine Ruhe, sprich mit mir. Aber“, wispert Margarita, „es würde die Schläfer stören, also im Vorgarten.“

Vera geht voraus, übersteigt die Randbepflanzung in blanken Lederpumps, lehnt sich dann an einen der acht Weinstöcke, einst ein ganzer Weinberg, die im Herbst zum Naschen einladen. Vera findet den lockeren Stand für die Beine in der Hose, die hier, wie die fernen Wolken, eher schwarz denn dunkelblau erscheint.

Über Vera steht das Sternenlicht der Milchstraße, mit dem strahlenden Sirius zum Greifen nahe. Nah und fern sind Blätter bestrahlt, einzig Margarita bildet überlaute Schatten.

„Mein Schwager schickte die Todesanzeige meiner Schwester. Der verstaute alte Konflikt taucht auf.“ Margarita umfasst ihre Ellbogen, presst die Arme an sich. „Damals sollte ich bei ihnen unterkriechen, und mich für sie lang machen. Abfällig beschrieb er, wie mies meine Schwester mein Auswandern fand, er ihr den Verlust verwinden half, sogar in der letzten Stunde. Er bürdet mir seine Trauer auf, seine glühende Asche meiner Wahrheit.“

Den Redestrom abbrechend, hebt Vera ihren rechten Arm, der kurze Ärmel der zart in Grau gestreiften Bluse weitet sich. Sie verhält in der Geste, spricht dann behutsam.

„Begegne ihm, trage eine Maske. Du lerntest neu genießen.“

Spontan klingelt in Margaritas Sinnen die erste Begegnung. Zuvor damals, ging ihre Ehe in der Scheidung unter, und deshalb fuhr Leo mit ihr am Motorrad und per Schiff nach Madeira. Sie trafen auf einander im Lichterschein eines Folklorefestivals am Strand. Ältere Gruppentänzer stampften ihre Schritte, strahlten aus ehrwürdigen Gesichtern und sangen kehlig. Dies bestaunten wortreich die deutschen Stimmen von Vera und Usa, Maik und dem Gärtnermeister, die grauen Wölfe, Wanderer durch die Welt der kleinwüchsigen Insulaner. Schön verrückt war der Moment, hatte den Reiz, ihnen das JA zu geben, mit Neubeginn vor Augen. Und Veras letztem Satz: An steilen Küsten ins Meer zu schauen, das schenkt Klarheit und Freude, sonst vergeht das Lachen.

Das ferne Damals tönt Margaritas Miene weich. Ihr Jeanshemd glättend, hebt und legt sie eine Hand an Veras Arm.

„Keine Maske präsentiere ich dem Schwager. Allem Neuen geht Zerstörung voraus, stutzen und pfropfen am Tor des Abschieds in den nächsten Lebensteil.“ Vera brummt wenig zustimmend, dem sie rasch widerspricht. „Ja doch, weil an meiner Sichel alle Zacken blank blinken und weil sein Unglück seinem Glück aufhilft!“

Vera unterbricht sie ernst redend. „Früher hatte ich eine Phantasie von Daniel Düsentriebs Propeller am Rücken, und damit startete ich senkrecht ins Heitere. Hier lächeln allzeit viele Gesichter. Zu dem erkannte ich im Gästerummel, wer ein Lächeln kaufen will, muss Schmetterbälle bei sich behalten. Allerdings kann niemand geben, was er sich verweigert. Wie dein Schwager. Ohne Bereitschaft geht er leer aus.“

Margarita tippt ihr zärtlich mit einem Finger an die Brust.

„Begegnete dir schon Einer zum Anfassen, einer mit Herz und ohne Schwere? Oder liegt das sehr fern deiner Realität?“

Margarita lächelt wie aufgeladen. Veras Augen changieren in dumpfes Grün, ihre Stimme fällt ab in nachsichtige Milde.

„Kein Thema. Für deine Angelegenheit fliege mit Leo. Habe mit ihr nebenher etwas Spaß.“

Den Kopf zur Seite geneigt, nimmt Vera Margaritas Hände in ihre. Warm sind sie und stimmen Margarita ein, und sie bemerkt das kräftige Prickeln darin sofort.

„Vibrieren deine Hände? Trägst du zu viel Verantwortung?“

Vera kreuzt die Arme, steckt die Hände unter die Achseln.

„Momentan, ja. Ein ganz Spezieller macht optisch Krach, für Beachtung um den Preis meiner Zeit. Wie eine Landplage belauert er die Abendgäste an der Bar. Er wohnt nicht im Hotel.“

„Ein Heckenreiter geht mit Belagerung hausieren?“

„Eher der Ritter von der traurigen Gestalt.“

„Don Quichotte hatte einen Knecht auf störrischem Esel.“

„Oh! Spanisch kommt er mir vor, der kuriose Typ. Selbst der Boss fertigt hastig Herrn Carel ab, tippt sich an die Stirn. So einer kehrt immer zum Mutterschiff zurück, lechzt nach uns.“

Vera hält inne, verscheucht Carel als irreal. Statt seiner erregt sie eine brisantere Ursache. Die Finger in ihren Achseln entlassen das Zittern. Aus schmalen Augen und mit klarer Stimme vertraut sie Margarita an:

„Jäger händeln wir. Nur den Boss nicht, vergegenwärtige ich mir sein suspektes Gebaren. Deshalb vibrieren meine Antennen.“

Margarita rückt in Maiks aufrechte Pose, raunt tief im Ton:

„Gib ihm Recht! Und den genialen Fabelwesen, die für deinen Boss den skurrilen Gast schickten.“ Sie hellt ihre Stimme etwas auf. „Orientiere dich, gemäß deinem Rat an mich!“

Die Kerben an Veras Augen zeichnen sich weich.

„Dümpeln lassen, endet im Backen nur für verwöhnte Gaumen.“

„Ich begehre ruhigen Schlaf“, murmelt Margarita, aber auch ob ihrer großartigen Mitbewohnerin bescheiden. „Danke für deine Zeit und Hingabe und Achtsamkeit, du Liebe.“

Margarita steuert die Außentreppe an. Während sie nach oben steigt, öffnet Vera unter dem Balkon die Küchentür, knipst die Deckenstrahler an, flutet gelb den Raum. Am Kies des Vorplatzes erlischt, synchron dazu, der Widerschein aus dem Bürofenster. Verdutzt sieht Margarita es dunkeln, und vermutet, Anton rang, spät nachts noch aufgestanden, mit einem seiner Projekte.

7

Morgenlicht flutet durchs Fenster ins Büro, wo Usas fliegende Finger an klickende PC-Tasten tippen. Es hallt im Raum, der ein Jahr lang ein Baustofflager war. Inzwischen ist der Ätzduft des Zements und der des safrangelben Wandanstrichs verflogen. Doch erscheint die eigentliche Bestimmung nicht eingekehrt zu sein, die Bodenfliesen gähnen leer in den acht Metern vom Fenster zur Bücherwand, an der soeben Anton in etwas blättert.

 

„Nun ist der andere Blick aufs Leben sehr gut beschrieben“, erklärt Usa halblaut, sodass es Anton hinter ihr hören kann.

Zufrieden beendet sie ihren Artikel über den Haussuchenden, in dessen Börse sie damals in Funchal das Foto seines Freundes sah. Noch ein letztes Mal ergreift Usa ihren bei der Tastatur liegenden Kristallquarz, rollt ihn in Händen und reflektiert zu den verwandten Seelen hin. Schlussendlich mailt sie ihren Text an das Inselmagazin und stöhnt erleichtert auf.

Vor der Bücherwand gesammelter Werke klappt ein Buch zu.

„Stöhnst du aus vollem Herzen? Nach schwerstem Schreiben übers Hausschlachten?“

„Kariert, wie ich mir heute vorkomme, ist ein Seufzer drin. Aber nicht wegen deiner Schlachterlebnisse, von denen bislang zu uns kein Schinken flog! Eher wünsche ich mir mehr Artikel im Licht am Ende des Tunnels, das dem Männerpaar heimleuchtet ins Glück unter der Sonne, unter ihr erwachen ihre Seelenteile.“

„Ups! Rücken zwei Kerle neu an?“ Anton schaut ihr über die Schulter. „Und denkst du, nichts geht mehr ...? So formulierst du analog der flüchtigen Begegnung im Februar?“

Nah seiner Körperwärme fällt es Usa schwer, nicht auf seine Dreiviertelhose, sein weiß strahlendes Tshirt zu blicken, sich vom Ziel ihrer Zuneigung zu überzeugen. Rau wird ihr Ton.

„Das Lichtlein kaust du von einer Wange in die andere, bis dein Allerwertester aus der Warteschleife ausscheren kann.“

„Drauf spucken hast du elegant weggelassen, meine Liebe.“

„Ich schrieb mit dem 'in die Hände spucken' im Sinn. Leser sollen kichern vor unerfüllten Träumen. Wir renovierten unsere alle Wünsche erfüllende Quinta, und arrangieren uns darin mit dem Äußeren und den Fragmenten an uns allen im Hinnehmen.“

„Schreibe über Windeier. Oh, die Mail ist ja schon raus!“

Übermäßig hell blitzt Usa zu Anton hoch, er spricht seit kurzem witziger, das verändert die Atmosphäre ihrer Beziehung. Sie klopft auf den Stuhl neben sich, damit Anton sich setze.

„Windeier? Leerhüllen, mit heißer Luft gefüllt? Erfolg nur den Comiczeichnern versprechend.“

Sitzend schlägt Anton die Beine übereinander, etwas spannt sein Hosenbund, darüber zupft er das Tshirt. Lang genug ist es. Auch seine Ironie, indes seine Zehen in den Sandalen spielen.

„Ein Steinbruch voller Charakterzüge spaziert in jedem Haus über den Desktop. Im Effekt liegt das Schnäppchen für Profis.“

Der Funke springt über, Usas Mund grinst breiter.

„Lieber schreibe ich von den guten Kreditkarten der inneren Bank, dem Logo von Überfluss. Eines meiner Leitmotive.“

Usas feingliedrige Finger mit den rund gefeilten Nägeln, um die Klienten nicht zu pieken, was zuvor noch ihr Anliegen war, betrachtet Anton. Nachdenklich zupft er sein linkes Ohr.

„Verulkend schreiben, wäre die halbe Miete.“

Usa hebt ihre von Sonne gebleichten Brauen. Im Blickkontakt mit Anton, senkt sie ihre Stimme eine Oktave tiefer.

„Für die andere Hälfte steppe ich morgen wie ein Bär im Job mit Hotelgästen, am neuralgischen Stress eines Durchhaltens bis zur Erschöpfung in der kunterbunten Welt. Um deren Behaftetsein in Pointen umpolen zu können, dafür entfaltet sich mein Talent täglich mehr.“

Gesprächsfetzen nach jener Fahrt im Februar erinnert Anton. Usa redete danach niemals mehr so offen. Ein günstiger Moment, sie in seine Überlegungen einzuweihen.

„Genau. Hör meine Idee an. Ich werde Kräuter der Hochebene sammeln, und mir die Stellen merken. Später trockne ich sie für Käufer von Lians Skulpturen. Und ansprechend verpackt wären sie in hübschen Beuteln. Kräuter helfen bei Wehwehchen. Mit starken Schmerzen gehen die Leute sowieso zum Doc. Was meinst du?“

Anton gewährt Usa eine Minute in Resonanz, bevor er ihr ein großformatiges Buch hinlegt. Den in Gelb gefassten Buchdeckel zieren Muster und Motive der indianischen Lebensart.

„Es handelt vom diätetischen Erbe. Seit ewig sehen Indianer ihre Körper als geweihten Boden, als heilig. Toxine durch Gifte negativer Einstellungen sind für sie Saaten des Wissens.“

„Willst du geistige Nahrung und andere Gegengifte vor die Leute bringen? Deine Begeisterung reicht, um Kräutersäckchen zu verkaufen? An dir probiere mögliche Wirkungen aus. Na, ich will sehen, was die Psyche nicht abstürzen lässt in der Menopause.“

Ihr Finger gleitet am Index abwärts auf einen lateinischen Begriff für Rotklee.

„Den pflückte sich eine Insulanerin. Lese genauer auch nach bei anderem, Anton.“

„Tat ich, stehe trotzdem wie ein Ochs am Berg. Nur Kenntnis reicht nicht für eine landestypische Parallele. Das Beispiel zu den Wechseljahren passt mir schon gar nicht!“

„Sollte es aber! Genau wie du, absolvierte ich Anliegen und wurde kein Elternteil. Nun verabschiedet sich das Funktionelle zusammen mit einem sexuellen Absterben, lasziv gesagt. Bemerkst du an dir kein mäßiges Schwinden?“

Antons Statur wirkt hölzern. Schon wallen in Usa Spott und Sticheln. Sie reibt heftig über ihren bunten Batikrock.

„Unsere Sozialisation formte der Kleinstadtmief, im trüben Schatten der Flowerpower. Um etwas Sinnhaftes bemühte ich mich, die sexuelle Revolte nutzte mir nichts, kultivierte nur fiktive Freiheit. Hocherotische Frequenzen entgehen der PC- und Handy-Nation, insbesondere der Minderheit der Minus Vierzig, die noch erotisch Befriedigung sucht, weniger Lebensenergie meiner Art.“

Usa hört Anton trüb seufzen, doch hart klingt seine Stimme.

„Meintest du gestern diesen Klotz? Du sprachst vom Ballast, den du dir aus den Zellen heraus wünschst. Und mir erklärst du damit sowohl deine Hormonschwankungen wie deine Rückzugsphase.“

Ob seines Unverstehens ihrer Botschaft, kehrt sich in Usa ruckartig ihr warmes Gefühl um in einen sprühenden Widerspruch.

„Gestern war unser Beisammensein wichtig. Ich spuckte nicht meinen Ballast in die Runde wie du, was dann Leo dir abwürgte! Denn auch sie sah in die Gartenwüste.“

Anton verlagert sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Noch schwankend am Stuhl, festigt er seine Tonlage.

„Kram von gestern! Ebenso die Falle meiner Fehler. Ich kann reflektieren. Suche dir erst einmal einen neuen Hoteljob! Oder behindert dich dein Brett vor dem Kopf, mutig hinzulangen?“

„In typischer Männermanier? Passt Eines nicht mehr, greife zum nächsten? Zu deiner neuen Idee, absolut überzeugt?“

Usa beachtet nicht Antons gefurchte Stirn, sie schließt das Buch. Dann quietscht dynamisch der Stuhl, von dem sie aufsteht. Ihr stattliches Hüftgold erbebt, sie betrommelt es kurz mit den Fäusten. Und gewährt Anton einen Moment; es kann dauern, bevor er ihre Sicht schluckt. Ohnehin erfasst Schalk sie, glättet den türkisbunten Rock unter ihrem rosavioletten Batikhemd. Beide Schultern neigend, flitzt Usa zur Tür, und ruft davor:

„Anton, wir stehen uns in Nichts nach - erledigen wir alte Kamellen während des Schwelgens in Neuem! Wir fahren spontan in Lians Kombi zur Hochebene, ich hole den Schlüssel.“

Die Ateliertür belässt Usa offen. Sie eilt zu Töpferscheibe und küsst zart in Lians graublondes Haar, deren Augen blau strahlen unter den spitzen Brauen, die ihre kreative Ader kennzeichnen.

Lian entspannt ihren konzentrierten Mund, zieht auch ihre feingliedrigen Finger ab von der flachen Platte aus weißem Ton.

„Ich forme eine Rosendekoration. Es wird ein Experiment mit knallrosa Glasuren“, erklärt Lian mit warmem Ton. „Es soll dem dort gleichen, wünscht der Auftraggeber.“

Sie reibt die Hände am Tuch neben der Wasserschale ab, in der ein vielköpfig blühender Wildrosenzweig liegt. Unterm Tisch am Pedal der Drehscheibe, schlängeln ihre Füße in die Sandalen. Noch ganz in ihrem Element, bezupft Lian ihr Werkstatthemd und drückt ihre schmalen Schultern zurück, die ihre vergeistigte Art im Handwerken andeuten. Dann zwinkert sie mit einem Auge.

„Der Blumengärtner im Nordwesten der Insel hat Charisma und gefällt mir erheblich besser als Margaritas Gärtnermeister.“

„Kamst du an den hinter inspirierenden verrotteten Mauern?“

Wenig neugierig fragt Usa, mag sich nicht lange aufhalten. Sie schlendert an den Schlüsselhaken nah der Flurtür und kreist dann am Zeigefinger den Schlüssel des Kombis durch die Luft.

Blank fackelt das Blau in Lians Augen, mit einem Flämmchen darin, von dem Lian noch nicht genau weiß, was es birgt.

„Heute früh fand ich so eine Mauer und davor die Wildrosen, sein Zweitjob. Na, wohin willst du fahren?“

Usa schildert Antons Idee und auch ihre, von der Anton noch nichts ahnt, mit friedvoller Stimme.

„In den nahen Himmel, besonders in den am Windradpark, sehe ich gern, oft schon öffnete er mir etwas meiner Zeitqualität.“

„Nicht nur am Windpark, vor seinem stillen Säuseln.“

Mit tonklebriger Hand kreist Lian weit durch die Luft.

„Einwärts ziehende Spiralen entdecke ich überall, verknüpfe deren Bestandteile mit den mir wohl gesonnenen Kräften! So war es zuvor am Rosenfeld, und ich beschloss, Aufträgen nicht mehr nachzulaufen. Sie flattern ins Haus. Und ja, im Töpfern dieser Rosendekoration erblüht meine magische Ader gleich mit!“

„Oh, wie freimütig! Bist mir einen Schritt voraus!“, staunt Usa. „Ich kenne meine nächsten Pläne noch nicht. Die Drehflügel sollen aus höchsten Himmeln herabwirbeln, was mir am Weg ins Unbekannte vom Hals fallen soll, mir nicht mehr nährend dient. Von den Winden in Höhe der eintausendachthundert Meter wünsche ich mir mein Funktionieren allerbester Gehirnsynapsen. Da oben und noch an mir verschlüsselt, liegt unermessliche Lebenslust. Auch für den großen Plan, und den ausquellenden Erfolg darin.“

Sinnbildlich gleich der Berge, tippt Usa an ihren Nacken und Hinterkopf. Sehnsüchtig nach paradiesischen Himmeln reckt sie ihre Zehen in den luftigen Sandalen, und verlässt Lian mit einem Abschiedswippen ihrer farbenfrohen Batikpracht.

Behäbig rollen die Reifen des Kombi über den Schotter etlicher bergwärts ansteigender Kurven. Derweil sieht Anton sinnhaft in seiner Lade unerledigter Dinge jenen zerstörten Reifen am Jeep.

„Zuoberst vorgemerkt“, murmelt Anton hinterm Steuer, wobei er am linken Ohrläppchen zupft. Kaum weiß er, kurz nach Usas in ihm grummelnder Kritik, woran in ihrer Nähe zu denken wäre. Ein Blick flieht an das Wurzelstück hinter dem Rückspiegel.

„Sieh, Lians Schatz! Ich frage mich, welche Kräutermischung ihrem Künstlerherz wohl gut täte.“

Seine Augen versinken eng in den umgebenden Falten, er hört keine Antwort, auch keine darüber, weshalb Usa wie gebannt ins Blaue schaut, sobald das über dem Asphalt blitzt. Anton spürt aber, ihm antworten die filigranen Akazien am Straßensaum. Bald stehen sie nur vereinzelt. Er öffnet sein Fenster den Essenzen des Eukalyptus, er atmet sie hinein in sein müßiges Denken. Die Kurven winden sich vorbei an schlanken Eukalyptusbäumen, dann ragen auf hohen Hängen nur gefährlich gestürzte Pinien, Zeugen des Frühjahrsorkans. Ganz Entwurzelte recken ihre Ballen, Erde haftet mit felsigen Brocken daran. Lichtes Gelände folgt, mit Weitblick in karge Täler und zu Boden rieselnde Sonnenstrahlen.

Als die Hochebene erreicht ist, geht ein Ruck durch Usa. In fester Stimme übertönt sie das Reifensurren am Asphalt.

„Fahre zum Windradpark, nicht direkt vor, da ist gesperrt, aber der Platz ist so gut wie jeder für deine Kräutersuche. Ich meditiere eine Weile unter den sausenden Räderbewegungen.“

„Ja, kenne ich, und du hast genügend Spielraum.“ Keineswegs irritiert Anton ihr Wunsch. „Nimm planlos deine Pause.“

Bald stoppt er an der lichten Weite ohne Baumbewuchs. Dürre Niedriggewächse bedecken die von roter Lava krümelige Bucht zum Halten. Am klarblauen Horizont schweben schmale Schleierwolken.

Usa steigt aus, betrachtet die in der Ferne sich drehenden Räder an weißen Masten, einige stehen still. Langsam durchquert sie dornige Büsche, findet etwas wie einen Hügel und genießt im Sitzen die seltsame Windruhe. Eine Weile kehrt sie ihre Sinne in die Luft. Ihre Zeit hält an, recken sich wie Stunden, bevor Usa sich Anton nähert, für seinen Wunsch bereit.

 

Antons Kopf ruckt zu einem begrünten Abgrund unterhalb der Haltebucht. Er schlittert in Sandalen unsicher abwärts. Schon prallt er mit seinem ganzen Gewicht vor einen Drahtzaun, und schwenkt seinen Sammelkorb in die Luft. Im Zaum übersteigt er ohne zu zögern eine Scherenleiter. Er grinst, deutet der oben umhersehenden Usa an, der Pfad durch den blühenden Ginster werde sichtbar, folge ein Schritt dem anderen.

Usa festigt sich an den windgekrümmten Zweigen, rutscht am nadelübersäten Grund aber unvermeidbar abwärts. Und schafft es kaum, ihr Gewicht auf den Füßen zu halten, den Flatterrock vor dem stachligen Ginster zu retten. Unaufhaltsam schlittert sie. Nunmehr an die Leiter gekommen, hält sie ihren Schreck zurück, denn Anton geht längst, sich entfernend, zu einer den Talgrund befeuchtenden Quelle, und zupft von einem Büschel Wasserkresse einige Stängel in den Korb. Er schaut, was sonst noch wächst.

„Oh! Ein einladend überdimensionales Plateau in der Sonne! Mein Fettdepot macht den harten Stein erträglich. Der hat Platz für einen zweiten Fleischkloß unter Gottes Auge“, ruft Usa zu Anton, als sie die Leiter hinter sich hat.

Lächeln huscht ihr ins Gesicht, teils ihren Rutsch am Hang kaschierend. Sie hebt den Rock und ein Knie, klettert auf den riesigen warmen Felsen nah der Quelle. Sie streckt den Rücken aus, faltet die Hände im Nacken, sieht auf zum Himmel.

Abwartend betrachtet Anton im Nähern Usas staubige Zehen in den griffigen Sandalen, auch die Knie und die breiten Schenkel. Sein Beäugen stört eine Bewegung im Augenwinkel.

Ein ungewöhnlich dürrer Alter in löchriger Kleidung humpelt an einem Stecken den Pfad herab, und zieht von der Schulter ein Tau, ein Kanister baumelt daran. Der Quelle nah, drückt er Moos nieder und den Behälter ins Glucksen. Er nimmt seine vergilbte Kappe ab, wischt mit schwieliger Hand über sein Silberhaar und blinzelt auf den Fremden hin und her. Keineswegs rätselt er um deren Motive.

Die Mimik sofort verstehend, winkt Anton ab, und zeigt den landestypischen Flechtkorb vor, nimmt wild gewachsenen Salbei heraus, auf blaue Blütenstände deutend.

Ausholend weist der Alte an die Talflanke und kauderwelscht von Gutem für die Menschen in einer Mundart, die Anton halbwegs versteht, sich überschwänglich bedankt. Die Kappe auf den Kopf klatschend nickt der, deutet hinan zum Pfad der anderen Flanke. Seine Hand kehrt abwärts, schlenkert so schwungvoll wie seine laute Rede aufprasselt. Anton versteht nichts der Deutungen, entschuldigt sich abwehrend winkend mit: „Desculpe, desculpe!“

Der Dürre runzelt die Brauen. Sein Verständnis des Fremden reicht noch für verstockte Gleichgültigkeit. Er schwingt den vollen Wasserkanister an die Schulter, seine andere Hand greift um den Stab. Wortlos humpelt er fort.

Wieder allein, schwirren wilde Bienen über dem Plätschern der Quelle. Mittagsschläfrigkeit überkommt Anton in der dünnen Höhenluft. Heute kreuzen keine Mittagswolken vor die Sonne, und kein Passatwind weht. Anton sucht sich am Felsen neben Usa eine Kuhle, legt einen Arm unter seinen Kopf.

Was wäre das für ein Bild!, denkt er, schlummert ein, atmet im Auf und Ab des weißen Tshirts.

Usa fühlt sich ein. Nichts begrenzen, mahnt sie sich, auch nicht den Lauf der Sonne über Anton, falls Buddha vortritt, den großen Plan aufklärt, mehr als beim Windrad. Mit Buddhas Fülle mag sie jetzt um nichts in der Welt schwatzen, es könnte ihrer Quelle Glucksen überlagern. Nur wenn nötig, soll Er anklopfen. Selig ruht Anton und sein irgendwann Anklopfen, obschon sie bei ihm liegt, augenblicklich achtsam.

Anton schmatzt, dann reißt ihn ein Zucken am ganzen Körper aus dem Schlaf. Usas Augen sieht er glitzern, er räkelt den Arm unterm Kopf hervor, streift flüchtig über ihr Haar. Nach diesem Moment, in dem er sich noch einmal verinnerlicht, klingt seine Stimme zielstrebig.

„War ich tief weg. Jetzt, meine Liebe, begutachten wir, was der Alte erzählte.“

Er klettert vom Felsen, schultert den Henkel des Korbes am bergaufführenden Weg. Bevor er daran verschwindet, rutscht Usa an ihrem Po am Fels herab, und ruft Anton nach:

„Ich finde, die Hochebene vermittelt etwas ganz anderes als beim Unwetter damals!“

Er erwartet sie stehen geblieben und umhersehend.

„An sonniger Luft duften die Gräser deutlicher. Vereinzelte Besenheidebüsche gedeihen in Überlebensformen, von Weidetieren bizarr abgefressen.“

Usa reagiert heftig nickend, wenngleich er sie nur in dem versteht, was ihm direkt vor den Füßen liegt. Nun ja, auch sie sieht die rundgefressenen Büsche. Abschweifend der Talflanke, ist ihr anderes offensichtlicher. Ihre Nase wölbt sie wie ein schnüffelndes Bergkaninchen in die Luft.

„Würzgerüche vermengen sich wie nirgendwo sonst mit Dünsten von steiniger Erde. Mein Geist will sie riechen!“

„Magst dich losreißen?“, brummt Anton kühl, schlenkert den Korb in ihr Blickfeld. „Weiter! Oberhalb wächst mehr!“

Sie gehen eine Weile schrittgleich hintereinander. Längst bereut Anton seinen brüsken Ton. Er erträgt Usas Stille kaum. Die erinnert zu arg an sein im Schlaf Geträumtes. An dem haftet eher stumme Beunruhigung denn stilles Schweigen.

Ein Steinchen am Pfad kickt Anton ins Gebüsch, und flüchtet zu Unverfänglichem und in eine warmherzige Stimmlage.

„Was bedeutet dir der Sommer?“

Usa atmet tief ein, um bald neu in sich zu ruhen, und auch in ihren Wechselblicken gen Antons graugesprenkeltes Nackenhaar vor sich. Der Übergang zu seiner Haut am Hals vermittelte ihr zuvor die sehr seltsame Empfindung, er stemme dort ein Gewicht. Gehend am Weg, lugt sie an ihre zwei leicht schlenkernden Arme.

„Nun, Sommer heißt für mich, bis Dezember Sonne satt!, und zauberhaft goldiges Haar an der tief gebräunten Haut der Arme. Der Sonne zu trauen, trägt mich durch die kühleren Monate wie ein Sinnbild fürs Paradies, und für überschwappende Freude, ein offenes Herz, leichte Gedanken! Nie kriege ich den Hals zu voll davon, obgleich ich, seit ich in der Quinta lebe, Stille bei jeder Gelegenheit mag! Verdirb sie nicht mit latentem Druck.“

„Retourkutsche für meinen barschen Ton vorhin? Okay!“

Anton legt einen Schritt zu, enteilt ihr. Usa aber folgt, spontan und neugierig, einem Weg zu einem verfallenen Gemäuer. Versteckt liegen brandschwarze, von Gras überwucherte Steine. Nahebei steht ein kurzer Nadelbaum mit brauner Rinde, und fast waagerechten Zweigen. Winzige Früchte hängen daran, von einer Kletterranke bedeckt, deren Triebe spitze, lederartig glänzende Blätter tragen, wie Mäusedorn. Die Augen beschattend, geht Usa darauf zu, um an den Beeren zu erkennen, worum es sich handelt.

Knall auf Fall fängt eine aufragende Wurzel eine Sandale. Armwedelnd stolpernd, richtet sich Usa keuchend auf. An ihrem Beinahesturz erkennt sie, für ihre Erdung absolut ihre Füße zu brauchen, niemals der Neugier blindlings zu folgen, schwebe sie auch zu gern und reich an Hingabe zu Anregungen luftiger Höhen.

Usa hört Anton beruhigend brummen. Ihr nachfolgend hebt er seine Sandale spielend über die verflixte Wurzel.

„Dich brachte der Zedernwacholder aus dem Tritt? Der wurde selten im felsigen Umland, durch Abholzung stark dezimiert, wie das Deckenschnitzwerk der Kathedrale in Funchal nahe legt. Doch hilft sein Duft sehr gut gegen Motten.“

„Auch gegen Motten an Erdhaftung? Dann pflücke ich etwas!“

Die Füße theatralisch hebend, beendet Usa ihren Weg, knickt ein Zweiglein ab, zerreibt die Nadeln in der Hand, schnuppert am harzigen Aroma, und kehrt leicht benommen zu Anton zurück.

Ihr hält er den Korb mit pelzigen Blättern entgegen.

„Sieh, haariger Beinwell, der soll in meine Kräutermischung hinein. Demnächst grabe ich die zugehörigen Wurzeln aus.“

Er wendet sich zu einem kläglich vegetierenden Rizinus mit dunkelroten Fingerblättern. Dort führt unterhalb der Hütte ein schmaler Pfad abwärts. Dem folgt Anton, seinem hinkenden Gang verfallen, und, nach einem langsamen Rundblick, auch Usa.