Altgold im Anflug

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

„Um die beiden Brüder drüben sorge ich mich. Ob die Oma ihnen den Sturm wohl erleichtert? Meinst du, sie wäre bei dieser Belastung gefestigt genug, an den Jungs nichts abzulassen, falls die Kinder vor Angst, der Wind drücke es ein, das Hüttendach stemmen? Kinderschreie würden im Sturm nicht über die Straße hinweg zu mir dringen. Ich glaube, es ist nötig, nachzusehen.“

„Ach was, die Drei liegen warm im Bett. Du würdest sie nur heraustreiben“, widerspricht Usa. „Schau nicht in deinen Kindheits-Spiegel, wenn du an die Brüder denkst. Die Großmutter ist nicht deine Mutter. Sie weiß auf ihre Art, was zu tun ist, hört nicht wie du einen zweiten Sturm, sie hat unzählige hinter sich.“ Von ihrer Härte selbst überrascht, fragt Usa herzlicher im Klang: „Kamst du wegen der Furcht vor dem Sturm in mein Bett? Denke an den Grashalm, der niemals zwischen uns passt, wenn wir fliegen oder mehr wollen. Wirf die Sorge um die Jungen von der Bettkante. Ja, still bei dir, ich helfe etwas.“

Usa kuschelt sich näher an Anton, und verstummt vor dem Dröhnen außen, dem Start wie von der Flugbahn am Airport. Es vereitelt nichts. Unter der Decke wandert Usas Hand seitwärts auf Antons Bauch und ahmt das Nachlassen einer Bö nach, in Schüben entlang der weichen Falten seiner Hüften.

Ihr Streicheln ermuntert Anton um einige Grade. Synchron reiht er eine Hand ihrem Spiel an und mag nicht von den seitlichen Rundungen ihrer Haut mit den feinen Härchen ablassen. Selbst nicht bei dem Nachhall der Sturmbö und dem beiderseitigen Aufatmen in der Stille. Doch erschöpft sind sie beide von der Strapaze an den Reizleitungen der Ohren, gesteuert über Hals und Arme.

In Folge leiser Dezibel, hört Anton die Atemzüge von Usa, die ausatmet, derweil die Himmel nur schweigen. Längs dem Schweigen bildet Anton einen Vorsatz. Und den würde er wie einen Knoten im Taschentuch vor den Mund pressen, bevor jemals wieder ein Wort von Furcht herausfallen könnte.

Seine Finger spüren der nächsten Böe voraus, und bereiten den Pfad vor auf Usa, an der er klopft, die zarte Haut überweht, und Usa aufregt. Unversehens befingert Anton eine erogene Zone an der Spitze von Usas Schulterblatt, auf einem ein wenig hart gewordenen Muskelstrang, der sie kitzelt. Usa reckt kichernd die Schulter und den Arm und umgreift dann fest Antons nicht vorhandene Taille. Sie zwickt hinein, berührt ihn danach nur noch leicht, da inzwischen jener Trägerlärm vorbei weht.

„Es wird gar nicht hell heute“, fügt Usa an, „das deutet darauf, uns wären einige Schippen voller zeitlosem Luxus im Bett gegeben. Den Duft unter der Bettdecke schnuppere, mein Lieber. Von diesem Luxus haben wir viel mehr als ein Schäufelchen voll, können darin schwelgen.“

Kaum über die Lippen, schmiegt Usa ihre Körperfülle an Anton, der die Decke über ihren Arm zieht, auch sich bis zur Nasenspitze einhüllt. Dennoch läuft Usa vor einen Störfaktor, vor ein Bild von einer Schaufel voller Steine, schwungvoll geworfen im sommerlichen Naturschutzpark von Carel.

Ihn betitelt Anton als fanatisch und verbohrt, auf keinen Fall passe sein Buddeln in der gewachsenen Natur in die neue Heimat von jenen Ausgewanderten, die sich zu integrieren wünschen, auch in das Erlebnis einer geschonten zauberhaften Umwelt. Usa weiß, Anton behauptet, Carel bedachte niemals den Kontext der Gefährdung des Ansehens aller Fremden, und niemals sein eigenes Eingebunden sein, er wäre dem Profil des Entdeckers einer Karriereleiter aufgesessen. Offensichtlich zerstöre Carel das Gemisch der Elemente der Erde, das sie sich aus Eruptionen erschuf. Ihr Gefüge an Mineralien wirke auf alles Leben und soll in Ruhe gelassen werden. Unabsehbar wären Folgen einer Ausbeutung von Gesteinen, wenn Carel etwas gefunden hätte.

Oder stellte Carel nur einige Vermutungen an? Egal, er grub am Plateau der Hochebene!, ereifert sich Usa, wenngleich ihr der Duft unter der Bettdecke den Geist dämpft. Ihren Kopf reckt Usa, atmet tief durch und ergänzt gedanklich träge: Carel sollte seine naturkundlichen Forschungen in die Grube schaufeln, das leite bei ihm ein, sich selber biologisch naturrein umzupolen, in ein seinen Beitrag geben.

Puh, du holst gedanklich weit aus! - widerspricht plärrend ihr Wesen - lass es sein. Es besteht Anlass für die erotische Lustbarkeit an weicher Masse. Schnurre vor Behagen, präge Farben in jeden Zentimeter an Haut, führe Anton in ein sich gehen lassen zu dem Pol von Ruhe. Anton bindet sich zahllose Schleifen, die er oft, sei ehrlich, lang und breit verschweigt. Umhege seine Haut, bette ihn in haarfeine Fäden, spinne ein Netz. Spür schon voraus, er schlummert rasch ein, so angenommen wird er sich fühlen.

Einen Moment horcht Usa noch, legt dann behutsam Hand an Antons Bauchnabel, und schließt die Augen. Zart rückt die Handfläche über die weiche Masse am Rand des Nabels, wohin sie gerne will.

Seine Gesichtszüge und sein Atem entspannen. Zum Rand der Wahrnehmung rückt Anton den Pegel des Sturms. Ausblenden gelingt, heimelig fallen lassen. Die Regentropfen, mit dem ersten Grau des Tageslichts am Fenster angekommen, überhört er beim einschlafen.

In leichten Schlaf gleitet Anton, in einen nur vor dem Morgengrauen möglichen, intensiven Traum. Er schaut von oben herab auf einen Lichtfleck, einen hellen Kreis unten. Darin fächern bunte Farben einen Mann auf. Mittig der korpulenten Statur, die von Carel, wabern zarte feine Schleier in der klaren Energie mehrfacher Regenbögen und verdreifachen die lichte Ausdehnung der gezeigten Masse. Schon schaut Anton frontal auf Carel, mag sein nun vier Schritte ferner, nur einen träumt er sich näher. Auf Carel pulsen in allen Farben der Regenbögen schimmernde Spiralen ihre enorme Substanz und färben die Umgebung mit irisierendem Grün und leuchtendem Blau. Vor Staunen verharrt Anton, dann hört er etwas viel vertrautes. Über allem schwebt ein Geraune von Usa. Sinnlich im Klang, in dieser Frequenz redet Usa, wenn sie in Farben von Stoffen oder Edelsteinen schwelgt oder in für Menschen unsichtbaren Energiestrahlen, die sie in sich aufnimmt und ihr Glück mitteilt:

Darauf, du Goldstück, hättest du dich längst umstimmen sollen. Sieh doch, wie schön Carel in Farben fluoresziert!

Das Neue schockiert Anton sehr. Das Flirren vergeht, der Lichtfleck verweht. In keinem Traum ließe er sich Carel nähern. Nervliche Spannung entlädt der Nabel, am Steißbein pulst der Herzschlag höchster Erregung. In Folge flutet das allererste Treffen auf Carel. Damals war der von Regenfluten durchnässte Wanderer Carel aus dem Jeep ausgestiegen, und er, Anton, gab sofort Usa amüsiert zur Kenntnis, laut und überheblich:

Kerle, die sich in ihrer Eigenart gleichen, die erkennen sich ohne viele Worte, ohne eine Berührung.

Dies sage du ein zweites Mal und dann dem Richtigen - rät ein Sinn, der die Aversion gegen den Geologen gar nicht bewerten kann, ansonsten allerorten Kräfte in der Natur öffnet - ahnst du die Möglichkeit? Nur ein Spürweg verwehrt das Auflösen der grausamen Ablehnung des Chaoten, wie du Carel deklariert. Sieh seine Identität an seiner Aura. Schnellstmöglich willige ein. Habe bald den Mut, der liegt auch auf der Schaufel der Steine des Anstoßes.

Die seitlichen Areale an seinem Kopf pochen deutlich, als ob darin seine Meinung abgelegt sei, Carel wäre ein Musterbeispiel des Unperfekten, unter keinen Umständen zu schätzen. Das Pulsen am Kopf ersetzt das schwächer werdende im Unterkörper, befeuert aber die Ohren, die zu kribbeln beginnen. Davon erwacht er und spürt die Wärme von Usas Arm am Bauch als beinahe unerheblich, weil sein linkes Ohr wie Feuer heiß brennt. Es anzufassen, unterlässt er, er weiß, woran er zu denken habe. Es würde über die Zunge sprudeln, dann hätte er den Salat, den Usa zerpflückt.

Ihr Kommentar, der andere von vorher, prickelt in den Ohren, rötet das linke Ohr heißer - bestätigt er sich und, der ganze liegende Anton fühlt sich nahe Usa wackelig und schweige, weil ihre Ansicht eine Wurzel zur Erde treibt! Dennoch, links am Kopf, über dem Ohr, rumort die Frage:

Hast du etwa niemals die lichtvollen Impulse im Hirn, die erhellen, wie zart eine saftige, Leben spendende Wurzel gänzlich die Vorbehalte vertreibt? Ja doch - antwortet irgendetwas links über dem Ohr, allerdings dann von rechts herüber: wann immer du es erlaubst für das Werden und Werden im Wachsen der Wurzel. Jetzt zuerst erlaube ich ein tonlos stilles Summen, das lindert Ressentiments.

In sich hört Anton eine Melodie, verblüffend in der Abfolge des madeirischen Tanzliedes, das Miguel einst schmetterte vor einer Rose in der Freude und dem Glück seiner erblühten Romanze, Lian lebte noch. Später offenbarte Miguel taff seine Trauer bei den nachfolgenden unvermeidbaren Erledigungen. Damals funkte kein ehernes Ressentiment in Anton. Abgesehen davon bemerkt Anton - längs einer Reihe stiller Summtöne und dem Abkühlen der Ohren - er schürte keinen Vorbehalt gegen den Natur verbundenen Insulaner. Mit Miguel fühlt er sich geistig gleich. Eine Erkenntnis im Hier und Jetzt mit Stellenwert, inklusive eines kurzen Abrutschen in die Dimension von Carels Farben.

Ups! Der soll weg!, summt Anton sich absolut fix vor, ohne ein Wort verlauten zu lassen. Und er bemerkt, ihm fehlt der markante Hintergrund von Miguels Leben! Seine Rosenplantage kennt er nur aus Gesprächen. Ein leise innen verklingendes Summen schuppst in Vorfreude auf den Besuch. Anton ahnt dessen Tragweite, die Usa einen roten Faden aus Wildrosen für einen Artikel im Inselmagazin biete. Vorsorglich nehme er ihre Kamera mit, bereite Usa dort dann eine Überraschung.

Zunehmende Helle erreicht am Fenster den Raum und die darauf geprägten Sinne von Wachwerden für den Tag, der nicht länger im Bett begrüßt werden sollte.

 

„Usa, weder Regen noch Sturm und keine Sorgen um irgendwelche Jungs halten mich hier“, murmelt Anton, „wir feiern unser Glück mit einem Ausflug. Ich lade uns zum Frühstück bei Miguel ein. Er hockt sicherlich drinnen, wenn keine Sonne durchbricht. Flüchte mit mir aus dem warmen Nest dorthin!“

Einen tonlosen Moment lang schnappt Usa nach Luft. Ergeben und gleichmütig stimmt sie mit einem Augenaufschlag zu. Ihren Arm, schwer geworden auf seinem Bauch, rückt Anton zur Seite, steht auf. Usa beobachtet ihn, bemerkt weich bebende Knie. Nicht nur die, Antons ganze Statur wirkt wie eine einzige Wiege. Er geht nackt und bloß umher, telefoniert bald am Fenster nur kurz mit ihrem Handy.

Den Kopf gedreht und zurück geneigt, teilt er ihr mit: „Miguel freut sich auf uns beide.“ Usas Schmunzeln gewahr, ergänzt er leise: „Eine Wegbeschreibung gab er mir. Die Plantage liegt hinter der Kabinenstation, die den Strand im Westen anfährt. Linkerhand biegt eine Sackgasse steil auf seine Felder ab. Doch ...“, Anton pausiert bedeutungsvoll, „um es gleich zu sagen, ich bin wackelig, du fährst uns, ja? Ich gehe mich rasieren, fülle danach den Korb für ein ausgiebiges Frühstück. Bis gleich.“

6

Westwärts unterwegs auf der Regionalstraße fährt der Jeep durch Kurven, in denen Strömungskanäle hinter den Bergnasen den Wind stauen, oder durchkreuzt Nebelschwaden, Windstille bei klarer Sicht. Die Tour gerät so abwechslungsreich wie ein spannender Krimi, und bald lassen die Schauer nach. Später, im Teil des Waldbrandes im August, sehen die Reisenden einen über den Straßenabhang herunter gestürzten langen Nadelbaum, in seiner Stärke geknickt wie ein verbranntes Streichholz. Die schwarzen Äste und die Spitze der Krone bedecken und blockieren die Fahrbahn weithin voraus.

„Kein Durchkommen. Es passierte nach dem Überlandbus, der hier unbeschadet vorbeifuhr!“, ruft Usa, im Bremsen des Jeeps, besorgt. „Der Baum und das morsche Gerümpel sind mit Regen vollgesogen! Und sieh das genau an, sogar einige Spinnennetze wurden zerrissen! Doch nicht nur die sind für dich, heute wackelig und auch sonst gehbehindert, gewiss viel zu schwer!“

Der auf ihn gemünzte Stachel zwickt Anton unbehaglich. Bei sich selber flink, erklimmt er gedanklich einen vertrauten uralten Eukalyptusbaum. Von dessen Höhe wirft er Usas Stachel seiner Schwäche in den Wind. Weite Lungen für freien Atem nutzen heute, schwant ihm, weil voraussichtlich mit Usa, so wie es Margarita formuliert, nicht gut Kirschen essen wäre. Von denen gäbe es sowieso keine, und er höre von Usa kein genussvolles Schmatzen, rappelt er sich auf. Ihm würden die Bananen-Maracuja, gelb und herbstlich süß, gut schmecken. Zuvor im Vorbeigehen an den Ranken vor der Außentreppe hatte er einige weiche, kernig kleine Früchte geerntet. Sie duften im Frühstückskorb hinten im Heck.

Entgegen Antons, sich für das Kommende an den Baum anklammern, fragt Usa ungeduldig:

„Was nun schlägst du vor, Anton?“

Seine Stille stoppt mit nichts ihre Tatkraft. Usa lässt die Warnleuchten aufblinken, um Heranfahrende auf das Desaster vorzubereiten, dreht dann den Kopf zum Beifahrersitz. Einen krummen Rücken sieht sie und in Höhe der Waden die schlotternde Jeans. Desgleichen vor Anspannung weiße Zehen in den Sandalen. Seine Hände, mag sein in eben solcher Schockstarre, verbergen die Taschen der wattierten grauen Weste. Antons Mimik, sein hart gepresster Mund, dessen schmale Linie in die Halsfalten hinabläuft, das alles reicht Usa. Sie beginnt zu grinsen. Mehr aus den weiten Augen als mit dem Mund, den sie für eine aufklärende Stimmlage kaum öffnet.

„Eventuell erreicht uns hier ein Einheimischer und verständigt die hiesige Straßenmeisterei, die etwas mit Zuständigkeit organisieren sollte. Derweil können wir nur auf das Hindernis starren. Aber egal, ob du dich klapperig fühlst und abschätzt, wie lange dein Magen den Appetit auf das Frühstück erträgt, hast du eine Wahl? Auf jeden Fall informiere Miguel, er soll sich nicht sorgen. Drücke die Wiederholtaste.“

Am Mund zeigt Usa ein breites Grinsen, und hebt auffordernd ihr Kinn. Schleunigst betätigt Anton die Taste an Usas Handy und lockert seine Lippen. Dann schildert er, in sogar ihm arg brüchig klingenden Englisch, die Ursache des Aufenthalts. Er schweigt eine Minute, hört Miguel taff antworten: „Bleibt im Wagen sitzen, ich regle das, besitze eine Säge, und fahre sofort los zu euch.“

Anton glättet seine Miene und legt ein kurzes Strahlen in seinen Blick zurück auf Usa. Seine Erleichterung überträgt sich auf sie, dennoch fröstelt Usa. Plötzliche Wellen von kühlen Schauern und Schüben laufen ihr an Rücken und Armen über die Haut.

Und ein Spot, nachts aufgespeichert, löst sich im Gedächtnis. Der Protest wäre also wieder da, noch kein weicher, um nachzugeben. Na ja.

Usa greift nach hinten auf die Rückbank, zu ihrer flauschig-weichen Strickjacke und zieht sie über ihre gelbe Bluse. Anton zupft ihr die Jacke am Rücken hinunter. Er kennt solche Wellen an Usa, die ihm nichts erklärt. Genauso wenig wie er ihr das Nahen Miguesl berichtet, dem Retter vor der nicht abschätzbaren Wartezeit.

Das Warten auf der einsamen Straße, die so früh kaum jemand benutzt, zieht sich in die Länge. Daher fällt Anton in ein Schweigen und brütet einen tief abfallenden Stimmungspegel aus. Teils wegen einem in seiner Erinnerung aufflammenden Gespräch über eine einst ähnliche Situation, als Lian, von Miguel kommend auf ihrer Heimfahrt, schon tödlich verunglückt war und Vera und Maik die Strecke bis zum Unfallort fuhren, die dort auf Miguel warteten. Nicht nur deshalb, oder weil etwas Appetit im Magen knurrt, auch bedeutsamere Untiefen. In einem Urgrund rumort ein Bereuen seiner spontanen Aktion für das auswärtige Frühstück. Ein weiterer basiert auf dem in naher Erinnerung in Farben schillernden Carel. Heftig wehrt Anton irgend eine Anbindung ab, mit nichts stimme Carel mental überein mit ihm. Niemals zeige er Carel sein Debakel, sein unfähig sein zur Schwerstarbeit mit den nassen Hölzern. Und überhaupt, warum sollte er ihm Vertrauen entgegenbringen? Zum Glück sehe er ihn von zuhause aus selten einmal in der Ferne.

Endlich blinkt an der Gegenfahrbahn ein Pickup auf. Miguel steigt heraus, er winkt über das blockierende Desaster hinweg ein 'bleibt im Wagen sitzen'. Er betrachtet die kreuz und quer verstreuten Äste und die weithin ausgestreckte, schwarz verbrannte Baumkrone, greift sich ins tief-braune Haar, schätzt für den Moment den besten Anfang ein und krempelt die Ärmel am karierten Arbeitshemd auf. Er startet eine Kettensäge.

Der Hang über der Straße staut den Benzingeruch und den in den Ohren kreischenden Lärm arger Intervalle, bis das Werk in kaum fünfzehn Minuten getan ist. Miguel räumt grinsend die Fahrspur frei. Handliche Teile häuft er auf die Pickup Ladefläche. Er staubt die Hände ab an der Latzhose, reibt den Schweiß der Stirn an einen Ärmel. Er nähert sich, in festen Arbeitsschuhen weit ausschreitend, dem Jeep der Wartenden.

„Wir hatten lange keinen Sturm! Mich beglückt der Spaß hinterher!“, ruft er in Englisch fröhlich, seine Tritte dröhnen beschwingt am Asphalt. „Wir helfen uns selbst, bevor sich einer vom Amt bequemt.“

„Und den Hintern vom Bürostuhl hochfährt“, höhnt Anton, leise gemurmelt.

Schon über die Lippen, überkommt Anton der Impuls, eine zweite Barriere in das imaginäre Taschentuch zu knoten. Für unpassende Worte, wegen emotionalem Mist und schlechter Laune. Demnach glaubt er immer noch, er wäre für alles zuständig, oder?

Nicht er war tätig, und ergriff die Chance zum Kampf mit der Säge. Er sah das, was ihm half. Ein Mann mit Eignung löste die Aufgabe. Der Kenner der Stürme räumte die Straße bis auf unbedeutende Splitter. Alles erledigt, ohne eventuell helfende Insulaner, von Usa vor kurzem gesagt.

Usas Miene bemerkt Anton. Mit dem Gedanken, nichts forme das Gesagte um in ein Ungesagtes, greift er flink ihrem Seitenhieb vor.

„In solchen Zeiten sehr beschwerlich für sonnenverwöhnte Beamte, denen der Wind zusetzt.“

„Pass auf, dein Dementi fällt dir aus dem Zettelkasten, nicht, dass du es ganz verlierst!“, raunt in heftiger Tonlage Usa. Sie weiß, sie hat sich wacker und gerade zu halten. Ihr Kinnruck deutet an die Seitenscheibe, just beugt sich Miguel. Ihm unverständlich, zeitgleich auf Antons schlotternde Jeans zeigend, ergänzt Usa in Deutsch: „Obwohl, Anton, schade wäre es darum keinesfalls, wenn du dir in die Tasche lügen magst, wenn du Menschen mit Wetterfühligkeit ablehnst. Denk an Maik.“

„Halt die Luft an! Ich bin heute wackelig, vielleicht sogar eben wegen einer Ahnung von dem Desaster. Was weißt denn ich! Außerdem ist Wetterfühligkeit längst kein Makel mehr!“, protestiert Anton. Er legt Usa eine Hand auf ihre Schulter, und gibt seiner harten Intonation die Kante; bislang liegt der Knoten im Taschentuch des Sprachverhaltens nur vage geknüpft. „Usa, Augenstern, ich weiß, jeder Maik lebt seine Wahrheit. Für ihn regnet es ständig übelst, weil ihn die Feuchtigkeit schmerzt. Ich kenne sein Leid. Miguel sieht nur seine Sonnenseite, er lacht dem Drama im Erlebnis von Wetter ins Gesicht! Mir misslingt das heute, verzeih bitte.“

„Ja ja, genehmigt, Anton. Großzügiger sollte auch ich mit der Männer verbitterten Gemüter sein.“

„Fein, Usa. Maik übt auch noch. Er wärmt sich am Humor, obschon er seine traurige Schwere seinen Beinen gibt, die damit umgehen sollen.“ Leicht lächelt Anton, beinahe wie über eine Alltäglichkeit, auch hinaus zu Miguel, dem er Dank bekundet und in Englisch zuruft: „Du lachst über die stürmische Welt, dich erfreut das Kaminholz. Und bald lächelt auch alles in unserem reichhaltigen Frühstückskorb dich an, womit du kräftig bleibst. Wir folgen dir eilends in dein Zuhause.“

Im Hausflur verliert Miguel, von feuchten Sohlen, Sägespäne auf mittig glatt abgetretene Basaltsteine voran der Gäste. Er geht in den Wohnraum, der in dem Grau wie der Flur mit langen Fliesen renoviert liegt. Voraus in acht Metern spenden niedrige Sprossenfenster das Tageslicht, das der Boden ebenso schluckt wie die rustikalen Balken an der Zimmerdecke. Mehr Helligkeit geben die gefälligen Verläufe exzellenter Gelbtöne an den Wänden, die den Betrachtern Behagen vermitteln und mehr ankündigen.

Den blumigen Geruch im Raum, nur wenig nach Rauch. An den Seiten der offenen Feuerstelle hängen weiß gestreifte Federn von Greifvögeln in der Form von Sternen über nur einen Hauch von tiefem Rot tragenden Rosenblättern an rindenlosen Ästen. Im Kamin glüht noch Glut. Wärme strahlt an die Reihe zweckmäßiger hölzerner Küchenregale und auf sechs Holzstühle am Esstisch. Linkerhand zum Eingang liegen noch zwei Räume. Einblick verwehrt Miguel, schließt die Türen und raunt: „Staubiges Einerlei.“

Er stützt sich an die Türklinke, hebelt seine bloßen Füße per Schutzkappe an Ferse aus den Arbeitsschuhen, schlüpft in zerfranste Filzpantoffeln. Seine Schuhe aufnehmend, lädt Miguel, mit dem Kopf ruckelnd, ein:

„Wählt Plätze, setzt euch bequem. Ich stelle die Schuhe noch zum Trocknen.“

Seine Pantoffeln schleifen ein Zuhause-Gefühl über die Fliesen. Am Kamin drapiert Miguel die Schuhe am oberen Sims, greift dann in einen Kasten und belegt die Glut nahe einem Dreibein, auf dem eine schwarz geflammte Kasserolle mit Deckel steht, mit zwei Scheiten. Die sind so mächtig wie seine muskulösen Arme, die er ausbreitet, am Sims aufstützt. Bald beugt er den Rücken, fördert das Auflodern mit einem Schub. Zufrieden dreht er sich zu den Besuchern und schmunzelt belustigt. Ernsthaft wirken beide, wie verloren nur einen Schritt fern dem Flur. Miguel winkt einladend.

„Kommt herein! Ihr steht noch dort, seit dem Moment eurer Einkehr ins Haus? Habt ihr alles mit mir Erlebte vergessen, sogar eure freundlichen Gesichter? Ebenso erging es Lian vor der Wucht der Privatsphäre und darin meiner Autorität. Habt ihr eure mitgebracht, oder nicht? Dann hätte ich euch umsonst mit Freude erwartet.“

Den Mund öffnet Usa leicht. Sie erinnert die Wesenszüge an Miguel, die ihr schon aufgefallen waren. Doch nun diese Atmosphäre, die berauscht sie beinahe gänzlich.

„Für guten Start, liebe Usa, brennt das Feuer. In der Wärme dehne dich, projiziere feurige Kraft in die innere Enge. Möglichst als ein Spiel mit Spaß auf der Reise in meinen, dir erreichbaren Orbit.“

Da Anton sich ebenfalls nicht rührt, fügt er an: „Dorthin magst speziell du, Anton, fliegen wie ein Schamane mit Kompetenz.“ Seine Gestik und Tonlage, er wüsste, was er sagt, verstärkt er. „Oder kam die Idee für den Besuch grundlos, ohne Ziel? Egal, du hast es schon erreicht, es regnete vom Himmel, inklusive persönlichen Gewinns. Doch, einen könntest du hier im Haus magisch ansteuern, müsste dir absolut leicht gelingen!“

 

Sich am Sims stützend, mit einem Arm in den Raum schwingend, meint er ernsthafter, nachdenklich:

„Hier pflege ich, wie ihr in eurer Quinta, eine von der Norm abweichende Existenz, die ab und an zum guten dörflichen Wandel beiträgt. Ja, das! Damit es mit dem Wandel vorwärts geht in den Gemütern. Aber uns verbindet Zuneigung. Fraglos seid ihr meine Freunde. Also haltet euch nicht hier am Abfall anderer Leute gehätschelten Ichs fest. Es gibt viel mehr, das uns verbindet.“

Nach Miguels verständlicher Ansprache in Englisch, erwägt Usa seine wirkungsvolle Persönlichkeit im Dorf und seine Empathie. Sie erfasst Lians Anziehung zu ihm in einem neuen Licht. Auch seine Stapfer am Boden, die sich Usa, während einem existenziellen Gefühl, in ihren Blick werfen.

Die Muster gleichen jenen auf ihrem inneren Pfad, am Ufer des sie überall begleitenden Stroms. Der war in ihrer Bilderwelt vor Kurzem noch ein Rinnsal, führt im Moment viel Wasser, spritzt Gischt hoch. Diese kühle Fülle verursacht Miguels präsente Nähe, auch sein Tipp, in seinen luftigen Orbit zu starten. Ein abwegiges Angebot! Eher lohnen sich sofort die Fragen, ob jene am Pfad ihr zweifelsfrei hinterlassenen Abdrücke von anderen vorausgegangenen bodenständigen Insulanern stammen? Wäre dem nicht so, erringe dann Miguel als Begleitung neben ihr einen Wert? Oder folgt er nur den Spuren, aus deren er etwas für seine Kompetenz und seinen Gestaltwandel herausliest?

Na, wenn schon - oder sind Erde und Himmel in den Weggefährten nicht vorhanden, erreichbar? - hört Usa in sich raunen. Den Kopf berührt zugleich ein federnder Finger in kreisender hüpfender Bewegung. So, wie oft, wenn sie unterwegs am Pfad eine Frage klärt. Aber jetzt folgt der Berührung ein glühend roter Stich, ein ebensolches Netzwerk, am inneren Auge rätselhaft flimmernd. Von der Plötzlichkeit wankt Usa. Sie ruft sich Standfestigkeit zurück, ihre Blicke finden die grauen Fliesen, woran Miguels Spuren prangen, die keineswegs rötlich glühen. Acht Meter fern, vor dem prasselnden Feuer, umgibt ihn erdige und zufriedene Fülle. Selbst wenn er einer der unbekannten Vorausgegangenen wäre, mag Usa sich ihm nicht ohne weiteres nähern.

Entgegen Usas innere Enge spritzt, von jetzt auf gleich, die Gischt aus dem Flusswasser, wäscht ihr das rote Rätsel aus den Sinnen, öffnet Leichtigkeit, die sie umstimmt. Gewiss darf sie an Miguel kratzen, ihn auch kraulen. Er soll mehr von sich zeigen als bislang seine Liebe zur Natur, sein Merkmal. Kämen nur Anteile seiner Präsenz hinzu, sein Format gewinne über seine Stimme ein Mehr an Hand und Fuß.

Nach einem Moment tiefen Atmens legt Usa ihre Hand auf ihre kühl und spitz gewordene Stupsnase, und danach für einen Schubs auf Antons Ellbogen. Ihre Aufforderung, am Tisch den Frühstückskorb zu leeren. Miguel ansehend, folgt Usa den zaghaften Schritten von Anton und formuliert ihren Eindruck.

„Über alle Maßen eigenwillig wohnst du, Miguel. Leider entflammt mein inneres Feuer nie, wenn der leere Bauch zufrieden sein möchte.“ Noch nicht am Tisch angelangt, weist Usa mit einer Hand in den Raum. „Über dein Heim staune ich, es ist heimelig und einfach. Es passt zu dir, zu dem Wenigen mit dir Erlebten.“ Einen Augenblick lang kaut Usa an dem Trockenen im Mund, reibt auch die Zunge über die Zähne, legt dann einen fordernden Ton in ihre Worte. „Dein Heim lässt nichts zu wünschen übrig, außer für mich einen großen Becher heißen Kaffee! Darauf mag ich nicht länger warten. Mein Mund ist ausgetrocknet. Hausherr, bewirte mich.“

In der Geste der Insulaner reckt Miguel an einer Faust einen Daumen, und eilt in schlurfendem Gang zu Anton, der den Korb ausleert, danach mit dem Geschirr aus dem Regal den Tisch deckt. Ab und an schaut Anton innehaltend auf alle die geölten edlen Hölzer. Er verstärkt auch seinen Eindruck von den hellgelben Wänden dieser draußen eher simpel traditionell wirkenden Casa.

„Ein Fragezeichen in den Augen, Anton?“, beginnt Miguel, und klappert unterdessen mit den Utensilien in der Küchennische. „Manche Freunde vermuten, die Farbverläufe bedecken fleckige Wasserschäden. Aber wer wie ich die zarte Vielfalt an Rosenblättern um sich herum sieht, kann nicht davon lassen und wagt sich vor, schwingt den Pinsel und die Spritzpistole ebenso fließend.“

Nickend ihm zustimmend, setzt Usa sich an den Stuhl vor der Fensterfront und schaut auf den Horizont über dem Meer, grau von Dunst, bleiern dunkel die Wellen. Nebenher hört sie es scheppern und schaut in die Küchennische. Vor der Flamme am Gasherd, neben sich Anton, brüht Miguel mit dem heißen Wasser eines Kessels das Kaffeepulver in einer getöpferten Kanne auf. Nach und nach erreicht Usa ein belebender Duft.

Dem nach schnuppert auch Anton, und dem folgen seine Gedanken, die er Miguel leise erklärt.

„Bisher beschäftigten mich alle Begegnungen mit dir unerwartet stark. Deine Ansage bereichert mich ganz brauchbar. Deine Akzente gefallen mir durchaus. Mehr noch dein zurückgezogenes Leben.“

Still erkennt Anton, ihm gefallen Miguels häusliche Marotten. Ihm so offengelegt wie Fernando, der Freund, mitdenkt, der den Kopf selten bei einem Abfüllen mit dem klaren Rum Aguadente benebelt. Gegenwärtig fehlt einer Freundschaft mit Miguel noch die Basis von Vertrauen, seine Ansichten aushalten zu können, wie er seine. Flach gehaltene Gespräche genügen. Sein kleinmütiger Beschluss prallt ab, spürt Anton alsbald.

„Hm ja“, setzt Miguel an, „meine Plantage bedeutet mir alles. Ich bin aber kein reiner Eremit. Ich gehe zum Stammtisch mit meinen engagierten Kollegen aus der Rettungsstaffel verirrter Wanderer, eine Gruppe aus bunten Nationalitäten. Wir sind alle ein paar Tage älter. Auch Frauen treffen wir in den Privathäusern, geben ihnen zum Essen und Trinken eine Kleinigkeit dazu. Das und unsere Unterschiedlichkeiten bereichern alle. So halten wir hier oben“, er tippt kurz an seine Stirn, „einen starken Teamgeist mobil.“

Ein Schweigen begleitet die letzten Handgriffe mit dem Kaffee, lauter zu vernehmen als der Regen vor den Fenstern. In der Schnelle von Sekunden klopfen die dicken Tropfen eines Wolkenbruchs an. Schon reißt der Vorhang auf, öffnet sich. Sonnenfinger entzünden sich an Usas gelber Bluse und bestreichen wie ein Magnet am Esstisch den Obstteller, wecken einen süßen Duft, der zu Usa herüber zieht.

Der lockenden Versuchung rückt Usa ihrem Stuhl näher, zögert bei der Wahl zwischen Maracuja und Anona, beißt dann in eine reife Birne. Saft läuft über ihr Kinn. Rasch beugt Usa sich über den Frühstücksteller näher, auf den es tropft, und verspeist die köstliche Frucht. Einen ebenso köstlichen, heiteren Anblick gewinnt Usa an Miguel, der sich an die Stirnseite am Tisch setzt, Anton neben sich winkt. Von den Gesichtern scheint ein Vorhang abgefallen. Die Farben der Hemden leuchten wie deren Gegrinse, derweil Usa ihr Kinn mit beiden Handrücken abreibt. Viel zu bald verscheucht etwas Ernsthaftes das Heitere auf Miguels Gesichtszügen. Ihm schenkt Usa einen erwartungsvollen Blick.

„Das andere im Einsiedlerleben kennt ihr“, beginnt in grübelndem Ton Miguel in Englisch. Er weiß, er wird verstanden. „Hierher lotste ich schon einmal euren Jeep. Vera und Maik stand ich bei nach Lians tödlichem Absturz, wie sie mir. Aber das ist nur Erinnerung ...“ Er pausiert, ruft aus: „Heute ist heute!“

Seine Handballen trumpft Miguel auf die Tischkante, wedelt darüber. Sein Andenken löscht er im Griff an das Steingut der Kaffeekanne. Er schenkt Usa den Becher voll, dann seinen und den vor Anton. Ein langer Blick schweift über Anton, während er redet.