Altgold im Anflug

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Usa wendet sich flink ab, an den Rückseiten der Beine bauscht sich die schwarze Pluderhose. Zurück kehrt Usa kurzatmig, wegen dreier, vor ihr schwarzes Hemd gehaltene knorrige Gebilde. Eine Wurzel nach der anderen wuchtet Usa fest in die Erde bei der Aloe Vera, dem Wasser speichernden Gewächs mit prallen Blättern, abseits der Treppenstufe, wo Vera ihr Tun beobachtet.

„Aloe Vera heißt sie, ähnlich dir, und grüßt auch von dir in alle Himmel. So, fertig!“, schnauft Usa.

Unverhofft schießt in sie und durch sie hindurch eine Hitzewelle. Usa reckt beide Arme empor zur Sonne, kehrt sie zur Erde hinab, schüttelt die Gelenke frei. Es war zum Glück nur ein kurzer Anflug trockener Hitze. Wohl auch, da die eingeatmete Eukalyptus enthaltende Luft den Körper kühlt. Dann fordert sie Vera auf:

„Stellst du die Skulptur zu den Wurzeln? Ich mag sie, sie entsprechen Lians Gesinnung, ihrer Liebe an die Natur, die wir somit an die Erde zurück geben.“

Vera setzt einen breiten Schritt seitwärts, nimmt die Tonfigur mit, ruckelt deren Sockel in die Erde und prüft, ob sie im Lot steht. Ein Moment Stille folgt. Durch die Luft streichend, beendet Vera die Aktion. Wie sehr sie ihr Vorgehen berührt, liegt in ihren feucht blinzelnden Augen.

Hinein in Veras rechte fasst eine warme linke Hand. Beide Hände drücken sich nur zart im Gewahrsein eines Lebens ohne Lian. Für Tage und Wochen, gefüllt mit Verweilen bei Lian, die nicht mehr umarmt werden kann. Unerreichbar für Hände, nur noch lautlos bei sinnlichen Gesprächen.

„Ah“, räuspert Vera sich, „ich will noch gestehen, ganz tief in mir trage ich meine Treppe zum Himmel. Aber noch lebe ich und auch Maik. Er braucht Aufmunterung. Ich werde ihm anbieten im Atelier seine Möbel zu restaurieren. Er soll anfangen. Insgeheim meine ich, ihm fehlt Bewegung, die das Gewohnte umformt. Lian töpfert nicht mehr.“

Den Kopf gesenkt, blickt Vera auf ihre linke Hand, legt sie um Usas rechte. Denn Usa hat sie noch etwas anzuvertrauen. Vera belegt ihre Stimme mit freundlicher Einsicht.

„Du stimmtest Jorges Vorschlag deiner Praxis im Atelier zu. Aber ich fühle mich schon von dem Bild gestört, würden deine Klienten den langen Weg durch mein Refugium gehen. Wie wäre es, wenn du die Praxis ins Büro verlagern würdest und das Büro zöge, sozusagen für alle Tätigkeiten für die WG, ins Atelier? Ich könnte für das Catering in der kleinen Küche kochen. So käme mehr Privatsphäre oben zu uns, die wäre Margarita wichtig für Marlows Besuch. Sie will Maik und mich mit ihrem verliebten Turteln nicht aufregen. Also, wenn wir Fünf über den Komplex verfügen“, Vera wendet den Kopf, schaut hinter sich auf das Dach des Ateliers, spricht betont fordernd, „teilen wir Kosten und Lians Sohn Jorge erhält aus dem Topf etwas zurück von Lians Investition in den Umbau. Vor uns steht die Umlage, das übermittle laut und deutlich demnächst Anton als seine Rechenaufgabe.“

Usa dreht sich halb, linst zum Atelier, wovon ihr die Laune und ihre Stimmlage nüchtern werden.

„Bringe du das den Männern scheibchenweise bei. Ich teile mir mit Anton sowieso die Kosten für das Büro, und zahle Miete für meinen separaten, wenig ertragreichen Arbeitsraum. Ich buckele mir nicht noch mehr am Ganzen auf, oder den Stress durch mehr anzubietende Leistungen.“

„Ist ja gut. Ich übernehme den Gedankenaustausch“, zieht Vera ihre Forderung zurück, und faltet am Bauch aus ihren zwei Händen eine große Faust. „Aber Zugzwang laste ich mir keinen auf. Denn so ein Drops wäre der zweite nicht gelutschte, den ich am Hals hätte. Weil von mir im Cateringteam ein maßloses Verändern gefordert wird, ein ganz großes 'es ist unausweichlich, den Stolz sein zu lassen'.“

Die angespannten Hände lockert Vera. Sie berührt leicht, um Versöhnlichkeit bemüht, Usa am Arm.

„Meine Last mit der Integration liegt anders als deine. Mich kontaktieren mehr Einheimische als dich. Du triffst gleich Denkende und bemühst dich um ihr gefühlsmäßiges Wohlbefinden. Gelingt es dir, so öffnen die Klienten dir das auf ihnen lastende Altgold ihrer Herzen. Du händelst versiert Beschwerden und jeder fühlt sich besser. Du auch, obgleich ich dich auf deine Leistungen niemals stolz erlebt habe. Nur mitfühlend, wenn eine Verhärtung in irgendeine Lösung übergeht.“

Mit einem feinen Lächeln dankt ihr Usa. Sie hebt die Brauen, erwartet die Differenz, die Vera meint, fordert sie wortlos auf. Sie, die sich selber gut kennt. Doch Vera lässt Usa ein wenig mehr staunen.

„Mir gefällt dein Mitgefühl. Meines fließt zu den mehrfach belasteten weiblichen Angestellten, um deren Psychoterror am Arbeitsplatz zu vermeiden, und dem aus ihrer Lebensart stammenden, kultivierten Stolz einheimischer Frauen zuvor zu kommen. Stolz sein soll keine im Team auf den europäischen Standard von Speisen, den sie liefern. Besser muss jede Köchin werden bei den internationalen Spezialitäten. Und keine Frau soll sich mit reich gewordenen Insulanern vergleichen oder an der Schikane von Kunden aus fremden Kulturen stoßen. Eine zu stolze Veranlagung muss dem zuvorkommenden Willen weichen. Ein guter Wille erwirkt unserem Unternehmen die beste Mund zu Mund Werbung. Verstehst du? Vor allem ich habe das fachliche, das Essen und die Gewohnheiten am Hals, nie nur wie du das nette Herzliche.“

Ihre Hand zieht Vera von Usas Arm zu sich. Sie rubbelt am Bauch über ihr hellblaues Tshirt und denkt an die für sie selbst gewählte Methode, an die Vereinbarung mit sich und ihrer Menschlichkeit, in wie weit sie die zeige und einbringe. Detailgenauer mag Vera vor Usa nicht werden. Kurz und offen blickt sie Usa an, schweift seitwärts ab in die Luft neben Usas Kopf.

„Du verstehst, alle meine Kenntnisse integrieren mich und die fördern das Unternehmen. Am Nachmittag planen wir ein voluminöses Business Catering und für die gestressten Angestellten das nächste barmherzige Training mit dem, was die Jahre im Hotel an der Rezeption in mir angesammelt haben. Also, ich werde mich jetzt in unsere Service-Uniform umkleiden gehen und fahre auch bald los. Bis später, Usa.“

Eine Wange neigt Vera an Usa heran, berührt sie leicht, haucht einen von Atemluft warmen Kuss vor ihr Ohr. Usa nimmt mehr Körperwärme wahr, als Vera auf die erste schmale tiefere Stufe vorbei an ihr geht. Mehr in ihr selber, bei sich, blickt Vera noch einmal zurück, winkt einen kurzen Gruß.

Versonnen steht Usa am Hang. Zuerst noch still, steigt dann auf den schmalen Trittsteinen auf und ab und schweift gedanklich durch Veras Erläuterungen. Bald hört sie den Transporter abfahren. Der leise werdende Hall vermittelt ihr, Vera hatte den eigenen Stolz nicht benannt, nicht angeführt, vergessen.

Einer starken Frau absolut vertraut, den eigenen Stolz zu vergessen. Die zerbrechliche Krücke vor der Würde und zu Gunsten eines großen Vertrauen in alle Episoden. Sowohl inwendig wie draußen unumgänglich. Sie beide hatten eine gemeinsame Zeit von Jahren im Hotel auf der Klippe. Sie beide trauten sich etwas zu bei den Leistungen. Manches Mal sprengte ihrer beider Engagement die übliche Norm.

Ja, und der Gegenwind am paradiesischen Ort, der kam? Den gab es. Würde der noch einmal wehen, als das einzig beständige Verändern im Leben? Aber dann, bitte sehr, nur mit schnelleren Ideen verknüpft und Vera wie ihr, ihnen beiden möglich! Zum Himmel schauend, kann Usa nur Boten guten Wetters entschlüsseln.

4

Nach einigen trockenen und warmen Tagen versperrt eines Nachts eine Nebelwand aus dem Bergen, herab fallend in den Hinterhof, dem Dunkel das Eindringen an Usas Schlafzimmerfenster. Usa nimmt die Helligkeit hin, denn hoch darüber strahlt endlich wieder das Mondlicht aus einer schmalen Sichel.

Das vermisste zarte Licht und den Glanz der Milchstraße sieht zwar Usa nicht, aber spürt es wach und heißt es willkommen. Der nebelige, für Madeira typische Vorgang kratzt auch nicht an Lians Tod im Nebel. Diese herbe Spitze des Abschieds soll ruhen. Die Tage der Lian vermissenden Freunde erfordern es, maßvoll, nach Lage der Verfassung, etwas zur Gemeinschaft beitragen zu können, also irgendwie durchzukommen.

Deswegen hatte Usa zuvor am Abend den Freunden mitgeteilt, wie würde sich ihrem Tagesspeicher widmen wollen, Eindrücke durchlaufen lassen und das Wichtigste komprimieren. Sie möchte sich so leer und frei wie möglich halten, besonders von Antons Verlangen nach Zweisamkeit. Sich nahe, ihrer Achtsamkeit, würde sie es vorziehen, allein einzuschlafen.

Usa horcht vor die trennende Wand von seinem Schlafzimmer. Dahinter knarrt nichts, oben darüber liegen die Räume von Maik, Vera und Margarita ebenso still. Solcher Stille entspringen nicht nur Träume ..., viel mehr ..., und das so hell wie der weiße Nebel am Fenster.

Nach und nach bemerkt Usa, alle fünf Freunde hatten bereits im Sommer den Bezug aufeinander für eine neue Zeit gelockert. Für eine Zukunft mit der warmen Zuwendung anderer und deren Liebe. Das hatte das Level 'wir gemeinsam, statt einsam' geändert. Winzige Übergänge waren es gewesen, weil eben Begegnungen berühren und Wünsche wecken, die Samenkörner für die Mobilität.

Die Körner deuten Usa an, aus ihnen wachse keine Störung untereinander, es sprieße sogar herbstlich grün die andere Art künftiger Sympathie. Darüber reflektiert Usa, während der Nebel am Fensterglas herabfällt. Ein Schwappen ist das wie auf der Tiefsee, worin das trübe Wasser treibt, reich an Nahrung für lebendes Meeresgetier. Ein Gedanke anderer Art springt an, der ihres Flusses, zu dem sie für eine Rückschau in sich hinein spürt.

Jenen Pfad in ihre selbständige Tätigkeit hatte sie gefunden, und medial ihr Leitbild. Aber es war staubig, trocken, voll fremder Fußspuren. Der Uferpfad führte vorbei an Buddha, sitzend unter seinem Baum, doch immerzu blieb Er ihr nahe. Einmal zustimmend ..., scherzend ..., andere Male warnend in ihrem Gehör. Sie hatte reichlich erhalten. Einen unermesslich ergiebigen Segen für ihre Pläne.

 

Dennoch, jetzt, in Sekunden Schnelle überrollt eine bleierne Welle ihren Körper, verhärtet in Schüben die Muskeln. Bis sich das Versteifen sachte löst und Usa eine normale warme Temperatur empfinden kann, erkennt sie es als nötig. Die bodenlose Anstrengung bei ihrem Engagement muss sich befreien. Manchmal geschieht es bei einem Zucken in der Einschlafphase, doch liegt sie wach und mag sowieso mehr von sich analysieren. Dankbarkeit rückt in die Areale und füllt sie, quillt in ihre Körperwärme.

Ihr Körper regeneriert sich, und mehr Gedanken fluten. Es gab das Schreiben von Artikeln im Spätsommer über die Weinerntefeste, die Kette festlicher Perlen stets in gleichen Abläufen. Im Jahr der wiederkehrende Meilenstein, den die Insulaner, ja, genau, stolz erreichten durch ihre Beiträge. Jeder Einzelne, der Trauben in den Verkauf gab, feierte seinen schmalen Lohn mit vergorenem jungen herben Wein, genießbar mit süßem Sprudel. Deren Bereicherung war weitaus mehr der Spaß an der Zusammenkunft auf den Dorfplätzen. Das lässige Teilen von Zeit in der Gemeinschaft faszinierte die Festgäste und später die Leser des Inselmagazins der Residentes. Die Fremden, für den Lebensabend ausgewandert oder ein Weilchen gestrandet.

Neue Schreibaufträge erfolgten keine. Usa obliege es, den Lesern etwas zu bieten, gebot die Chefin. Über etwas mit Hingabe zu schreiben, ohne sich die Hacken wundzulaufen.

Dörfliche Zentren federn Usa in ihren geistigen Sucher, reale Eindrücke aus einem daran Vorbeifahren. Es folgen Bäche mit Wasser aus den Quellen der Berge. Bald rückt ihr innerer Uferpfad heran. Der Fluss tritt keineswegs über die Ufer, schwappt tief unten als Rinnsal um Felsgestein, staut dort Moder und Schlamm. Eine Handspanne danach fließt das Flüsschen klar, gluckst sogar erlöst nun von der Macht der Elemente des Wassers.

Aha!, versteht Usa, am Anfang beginnt jeder Fluss nur klein. Sie allein lege ihre noch zu sammelnden Ideen wie Fußabdrücke zu denen der anderen, die vorangehen, am Ufer ab. Die Usa, medial inspiriert und in allen eigenen Anliegen die Chefin, trete vorwärts mit ihren Stapfen. Aber jetzt, mit dem Nebel draußen? Jetzt gelingt nicht ein winziger Blick voraus auf eine Schreibidee.

Ein mulmiges Gefühl beschleicht Usa, beinahe vertreibt der kühle Hauch die Wärme in den Muskeln. Und all ihre Dankbarkeit darin erschüttert der leise Anklang einer Berührung, einer Ahnung für eine zukünftige Begegnung.

Ach was, das ist nur ein Alb zur Nacht, beruhigt sie sich, da sie wach liegt. Gedanklich zumindest mag Usa sich folgen. Entschlossen zu dem, was sie finde. Doch nichts einer neuen Idee bemerkt sie, nur das Rinnsal. Was denn nun! Bei solch grau von Nebel Verhülltem kann sogar sie sich nichts vornehmen!

Entgegen dem Protest, bei dem die Körperwärme eine von heißem und feucht flutenden Schweiß begleitete Welle erzeugt, quillt durch ihren Geist eine Warnung, vertraut in Klang und Schwingung:

Dein Name ist Ungeduld. Greif bei nichts vor, es hat zu reifen. Danach erst lass dich erfassen, statt willentlich ohne Instinkt erfassen zu wollen. Bevor der Fluss seine Ufer füllt und dich mitreißt, werde eine Schwimmerin, die antritt für die Meisterschaften in den inneren Ländern.

Wie das? Du meinst doch nicht etwa meine hitzige Menopause?, stöhnt lautlos Usa, vor Ratlosigkeit reglos, nur den feuchten Körper gewahr, hinein zu dem sie stets begleitenden Weisen.

Du liegst genau richtig. Teile deine Zeit nicht nur mit anderen, teile sie dir zu. Pausiere lange, schöpfe Kraft aus dir selber. Auch das ist ein Element im Wasser.

Schon wedelt vor ihren geistigen Sucher ein in viele wie auf Wellen schwebende Quadrate gezogenes Bild des Flusses. Eine Fläche zieht sich weit in die Länge, deutet einen kleinen bewegten Schatten im Umriss an. Der Schattenriss aber verfärbt das Wasser, und hervor quellen unvorstellbar schöne, intensive, leuchtende Rottöne, als ob solche Feuerfarben ein Element im Wasser wären, und das Wasser ergänzen.

Wie das? Konträr steht Feuer zum Wasser, erhitzt und verdunstet es, nicht zuletzt löscht ein Schwall ein zündelndes Feuer. Was soll sie mit der Symbolik anfangen? Aufseufzend, schießt zeitgleich in die tiefe innere Schicht von Muskeln ein Ruck, ein Anspannen tröpfelt hinein. Und doch berührt Usa, leise und vage nur, eine ihr Gemüt erleichternde Idee.

Der Bildimpuls, des Flusses Felder, könnte als Patchworkdecke in Grün, in Braun und Grau von Moder und Laub genäht werden.

Beinahe sieht Usa es schon, doch rücken die noch nicht von den Händen genähten Quadrate beiseite. Das Bild ändert die Flussufer. Es geschieht zittrig, als ob ihre kreativen Talente sich einer realen Orientierung widersetzen, die kein Ebenbild einer Decke sehen wollen, keinen Schmuck für ein Bett.

Zu früh, zu schnell, und ungeduldig!

Dies hört Usa, als wären die inneren Ohren nur halb offen. Dennoch, die Ufer über dem Rinnsal formieren sich blitzgeschwind in ein nach außen aufgestoßenes Fenster. Mittig darin fliegt der bewegte Schatten vom rechten Ufer mit seiner blendenden feurigen roten Farbe nach links hinüber. Im selben Moment bedeckt ihn ein gelbes Vieleck aus blitzenden und gleißenden Lichtreflexen. Darin, so scheint es, taucht der Schatten in zwei Dritteln links unter. Vor ihn und sein rot getöntes Wasser rückt erneut das Vieleck.

Und das ist Usa visionär bekannt. Einst meinte sie, wegen verrenkter Wirbelknochen, sie würde wie Anton hinken wollen. Damals gleißte das Vieleck betörend in Gelb und Gold durch ihre Zukunftsangst, in puncto eines Knotens mit Anton, seinen inzwischen verworfenen Plänen. Diese Bereinigung hatte nur beste Folgen, die Rückenwirbel kamen in Ordnung, das Gehen wurde so unbeschwert wie zuvor.

Auch keine Usa sieht weiter voraus als ihre fünf Meter bis zum nächsten Nebel. Und kein zweites Mal darf bei dir die Ungeduld gewinnen.

Sogleich, auf wunderbare Weise fühlt Usa, im Körper entspannen die Muskeln angenehm. Leider versinkt des Flusses Symbolik an Farben und sein nicht entschlüsseltes Rotes hinter das gleißende Blitzen, doch das beruhigt und noch mehr überwiegt ein Gefühl von erholt sein. Entgegen der Weisung fantasiert Usa weiter.

Zu nähen wäre der mediale Fluss im Patchwork-Stil. Das Arbeiten mit den Händen und Materialien bewege den Fluss am Konto der Inspiration, die Felder des Verstehens und eine nach oben offene Bereitschaft. In Gelb genäht stände das Vieleck, sein goldiges sonniges Strahlen, für Anregung. Und kraftvolle Tatkraft geht am besten mit Füßen, die geerdet bleiben, nicht zu sehr abheben. Nun, also, nahe neben das sonnige Gold passt das frische helle Grün von hochtreibenden Sprossen und das im Herbst dunkel gefärbte Laub von Efeu oder Lorbeer, und einiges in Schlamm-grün müsste aufgenäht werden ... gefärbt wie ein Moosachat!

Mit einem winzigen Rest von Ungeduld verlässt Usa ihr Bett. Dann im Moment, da ihre nackten Füße die kühlen Fliesen berühren, schlägt grollend Aufbegehren in ihr Gehör, will ihr anweisen, die Hände sollten pausieren lernen! Die aber kramen unbeirrt in den Schätzen edler Trommelsteine nach einem Moosachat. Den in der Faust haltend, kuschelt Usa sich zurück in die feucht-warme Bettmulde.

Und feucht-wärmer wird ihr. Sich selber nahe und dem Auslöser Protest, schwemmt eine Hitzewelle über sie. Usa kichert. Hmh!, sie hat Humor, sie kann über die innere Hitze kichern. Über den Auslöser dessen, wie getrieben dem zu widerstehen, was sie für sich bessern könnte.

Die Einsicht verträgt sich nicht mit ihrem gängigen Verhalten, alles selber machen zu wollen. Einsicht und Gewohnheit stehen konträr, so, wie bei vielen Klienten, die gegen sich handeln, weil es nur dann vorwärts geht, wenn sie sich einmal kurz sabotieren, nur einhändig rudern. So schaut es aus. In der Psyche aber, da fahren mehr Boote zur selben Zeit. Und, wer hat das Sagen, kann alles verschlimmern? Der Körper lehrt, anschaulich im Spiel der Kräfte, das selbst gemachte emotionale Ufer.

Die Welle der feuchten Hitze klingt langsam ab. Zum Glück wird die Haut wohlig kühl. So kühl, als ob alle Haut in einem Rutsch durch einen auftauenden Eiszapfen gleitet. Hmh! Usa kichert und fasst es nicht, wie sehr der humorige Anlass ihr gefällt und ihr die Gewissheit stärkt, sie darf sowohl dem kalten Eiszapfen als auch den hitzigen Wellen vertrauen, sich dem unbeeinflussbaren überantworten und dem unbewussten Geschehen im Schlaf der Nacht. Nur, ruhig zu schlafen, fällt ihr gar nicht leicht.

Längs des Rückblicks zuvor, fluten Spitzen anderer Art als für den guten Umgang mit sich am nächsten Tag. Es sind Spitzen aus Begegnungen mit Dörflern. Sie wehren sich, sie tolerieren die WG in der hiesigen Welt nicht. Usa schaudert es, weil ein mentaler Sinn sich fest einhakt an ein reales Beispiel möglicher Folgen. Auf Madeira steuert eine selbstständige Unternehmerin ihren eigenen LKW. Eine erlebte und mit angehörte Provokation! Dem LKW hinterher warfen Dörfler lauthals die eigene Not und Bitterkeit.

Die! - hört Usa ein Traumwesen plärren - die sind nicht auf Fremde vorbereitet, die fürchten sie. Die! waren nie fort von der Insel, wurden nie informiert von Rückkehrern aus der eigenen Verwandtschaft! Die sind unfähig nachzuvollziehen, was einst in die Staaten ausgewanderte Nachbarn erlitten, wenn sie nicht fleißig arbeiteten in der neuen Welt!

Hey!, bäumt sich in Usa ein Teil ihres Wesens auf - Not hat einen Part in dem Mut, der fordert, damit auf allen Seiten gelernt wird!

Ein warmer Teil im Traumkörper fügt an: Angebracht wäre ein Lernen auf der Seite des Spiels, von der ein gut Teil Insulaner meint, der liebe Gott liebe alle seine Kinder, wenn sie spielen.

Das!, plärrt wie zuvor das Traumwesen - kann nie gewinnen, jeder spielt sein Spiel und nimmt an, das stehe ihm zu.

Oh je!, erwidert warm der andere Teil - so eine Ansicht erwürgt das Ausprobieren neuer Fähigkeiten. Du, du Goldstück, stehe wacker und gerade vor den verbitterten Männern. Die Front der Insulaner soll dir nur eine Randerscheinung sein. Nur zu, mute dir zu, genauso weich nachzugeben wie vor der grellroten Farbe, wenn du ihr nicht auszuweichen vermagst. Das Rote will dir generell nicht schaden. An einem anderen nicht fernen Tag werden sanfte, von auswärts heran gedriftete Fremde dir mit Angst besetzte Felder erweichen, ein bis zwei ganz spezielle eigene. Wenngleich du die bis dorthin vergisst.

Der Weisung einen festen Ort im Gedächtnis für den alltäglichen Kram zu geben, vereitelt der in der Faust erwärmte Moosachat. Der Helfer aus der Erde. Usa setzt ihn seit Jahrzehnten ein, wann immer ihre Sinne suchen. Und so geschieht, worauf die Träumende im Grunde hofft. Ihre Sinne merken sich die Weisung für später und erwarten das nächste. Zuerst einmal wirken die eingelagerten, vielfarbig grünen Nadeln im Achat und führen zu einem im Spätsommer erlebten, vieles bessernden Impuls.

Lian hatte ihr den Rücken massiert, ihr beigestanden bei ihrer Zukunftsangst, da Anton ihr sehr fehlte. Lians Hände berührten sie und fassten hinein in Schmerzzonen und lösten die Ängste, aus denen eine Bilderflut brach. Weit wurde ein Tor einer Station für eine Transfusion geöffnet. Engelgleiche Energien umhüllten Usa. Höchste Frequenzen wirkten darüber auf sie ein.

Jetzt sind sie Usa nahe und reiben an der Ungeduld, die ihr die Vitalität mindert. An der Tendenz, auf sich zu nehmen, was am Weg liegt, wird heftig geschabt. Flusen stieben hoch in die Luft und decken eine wohlige Erleichterung auf. Eine wahre Pracht von Staub fliegt fort. Daraus weben die klärenden Kräfte einen Mantel, und hängen den vor die Straße. Oberhalb vor die Hütte, worin mit ihren Enkeln die Großmutter lebt, deren Geschrei Usa keine Last sein darf. Desgleichen Antons dringend benötigte Standardreinigung am Berg des gefühlsmäßig angehäuften Unerledigten: Seine mentale Umpolung zu der Nachbarin und Carel, der bei ihr wohnt. Davor zappelt Anton wie vor einer nicht einleuchtenden Wegmarke.

Anton sortiert ..., er putzt den Blick auf etwas an Carel …, bald putzt er ..., er ..., das verraten der gewebte Mantel vor der Straße und der edle Quader in ihrer Hand. Seine Grüntöne kreieren fortan Gleichmut, ein stützendes Polster vor dem Unvorhersehbaren in der Nacht und für den Start in den nächsten Tag.

Fern ist des Tages Helle. Nah außen des Nebels Stille. Tief und fest schläft Usa. Zur Mitternacht füllen die Stille lauter werdende Windböen. Für die Träumende nur ein Randgeräusch. Ebenso andere in der nächsten Stunde. Die Tür vom Schlafzimmer klappt und dem folgt ein Rascheln. Zu Usa unter die Decke kuschelt sich vorsichtig, achtsam für ihre aktuelle Schlaf-Phase, ein warmer Mann und schläft neben ihr bis zum ersten kaum spürbaren Beginn des Morgens.

 

5

„Das war eine Sturmnacht! Ich mag keine weitere!“, flüstert mit Überdruss, bei geschlossenen Augen, Anton, eine Handspanne Usa fern. „Nach Neumond hat sich das trockene Wetter verabschiedet. Ich höre, die Bäume biegen die Kronen und ich bin bange vor einem Unwetter wie im Frühjahr über uns.“

Sein Gemurmel ebbt über Usa hinweg, dringt nach und nach nur erst in ihren Geist. Ein Ohr rückt sie, bei gerunzelter Stirn, aus der Bettdecke und horcht halb ergeben hinaus nach dem, was Anton meint.

„Nicht schlimm, mein Guter. Die Bäume lassen hören, ob ein Süd- oder Ostwind weht. Mir ganz egal, weil vor Vollmond die Sonne lange auf das wetterfeste Dach scheint, also, zum Monatsende.“

Fast hört sich das an, als ob Usa sich für länger verabschiedet. In ihrer Aufwachphase reagiert sie nur knapp neben sich zentriert auf Antons Befürchtungen. Leichter reden, mit Empathie, würde sie nach dem Frühstückskaffee. Jetzt hilft nur ein tiefer Atemzug, ihm den Ansatz zu erklären.

„Puh! Was du fürchtest, passierte damals, es kommt nicht ebenso verheerend. Alle Erfahrungen sind neu. Verkrafte die Wetterlage. Wie du darauf reagierst, das bedingt nur der vorherige Schrecken.“

„Eine dramatische Note hat der Lärm“, raunt Anton, als ob er Usa überhörte. Dann eine Spur wacher: „Ich vermag es kaum zu glauben, aber der Regen bringt die Einstufung in das UNESCO-Weltnaturerbe, wegen der uralten Wälder. Das die an die Häuser heranwachsen, wen kümmert das? Mich schon. Um uns herum bremsen die Äste voller Blätter den Sturm, an ihnen erhöht sich die Windgeschwindigkeit im Quadrat. Den Vorgang rechnerisch winziger zu denken, besänftigt gar nichts.“

„Dir mehr Geduld zu raten“, japst Usa, neuerlich mit sich ringend, „bin ich wenig berufen, und drehe mich noch einmal weg. Denn tatsächlich ist mir himmlisch angenehm warm.“

Seitwärts gekrümmt, rafft Usa mit einem laschen Ruck die Bettdecke über den Kopf, vor das Tosen draußen. Es dämpft sich für sie in ein dumpfes Säuseln.

Ein Brausen fegt den Hang hinter der Quinta, und verebbt für Sekunden in einer Stille. Für Antons Horchen unheimlich, obschon er Stille zu anderer Zeit sehr willkommen heißen kann. Ein nächster Galopp in Dezibel kreischt wie die schlagenden Wellen am Atlantik, aufgeschäumt gegen Widerstände. Wenn dort am Strand die Stimmgewalt im Wind schweigt, den Lärmpegel streicht vor dem des nassen Elementes, wenn es am Strand die Kiesel nur schaukelt, dann erfreut Stille alle Sinne. Aber ferner, über der offenen Weite am Meer, tobt das wilde und riesige Beben über dem Planeten Erde, derhalben herab gelotst.

So weit vorgedrungen ins Zusammenwirken, atmet Anton tief und bewegt sein Bauchrund heraus aus dem flachen Atmen.

Erneut kreischen die Blätter bei einem sich quer legen, Unterseiten nach oben kehren. Unzählige streift das Gedröhn tiefer Trommeln, und der Hall reicht weit. Was mindert solches Gedröhn? Nichts nutzt dagegen. Der Lärm lähmt, bindet an das Außen, zieht heraus aus der warmen Nähe von Usa, hinein in eine Ferne und dort in die Folgen. Kaum bewältigt Anton eine Flut von Ahnungen. Orte zerstört die Wucht der Elemente, bevor die gewaltige Macht abzieht und argen Notstand hinterlässt.

Das Chaos nach den Naturgewalten, das wenige Verbleibende, belastet Anton. Könnte er glauben, andere fänden Schutz? Ganz ohne seine Sicht kann Anton nicht mehr sein. Er wäre gerne ein Helfer geworden, es war ihm verwehrt. Lange Monate trieb die Theorie der Notstände ihn weit weg auf ferne Inseln; Anton las Berichte. Zurück beorderte ihn ein praktisch veranlagter Freund: Das körperliche Alter gäbe ihm beim Start als Helfer schon im Vorfeld nur schlechte Karten, und die Motivation darf nicht sein, er helfe sich selber, helfe er anderen. Es wäre illusorisch zu glauben, er könnte bei den Notopfern die Solidarität für einander aktivieren. Dann wäre er ein Held. Der Freund schilderte die harte Realität, Wochen ohne Schlaf, ein teils hilfloses Management, wären die Zufahrten blockiert und fehle der Nachschub, wenn die Seuchengefahr bekämpft und Leichen geborgen werden müssen.

Verlegenheit spürt Anton im Nachhinein. Und Recht gibt er Usa. Sie entlarvte den damaligen Plan. Rückfällig in die Arbeitssucht, suche er Bestätigung durch Leistung, wolle seine Pein löschen. Damals wollte Usa nicht ohne ihn sein, tief ging ihr Leiden. Seine neue Idee, leihweise ein Opa zu werden, die gefällt ihr, klar. Aber einst, seine aus der Ohnmacht als Kind hervorgegangen Arbeitssucht erkannt zu haben, stillt absolut nichts von der Furcht, keine Kontrolle über das aktuelle Toben draußen zu haben.

Keine Rettung? Los!, fordert Anton sich, schlag ein Kreuz vor die Ohnmacht deiner süchtigen Mutter! Schon würgt ihn, was sie einst nie zu geben in der Lage war. Sie torkelte ,wie draußen die Blätter, ihrem Rausch ausgeliefert. Endlich gelingt es Anton, gedanklich ein Kreuz nach dem anderen vor seine Furcht zu schlagen.

Gäben Kreuze vor der niemals gespürten Sicherheit dem Gemüt irgendwann den Glauben an ein 'ich habe überlebt'? Vergeht die lähmende Besinnungslosigkeit und steige nicht auf, hätte er ähnliches zu verkraften? Oder gilt es, sich zu behaupten als der ein halbes Jahrhundert mit dem Kontrollverlust von einst zurecht gekommene Mann?

Eine äußere Stille würde beruhigen. Doch beide Stürme rauschen. Der wuchtige Wind und Antons seiner Unsicherheit nicht Herr werdende Bub. Weder der Sturm hinter den Kreuzen noch der die Ohren und das Gemüt schädigende. Bald, hinein in sein tiefes Atmen und Zucken am Hals auf dem Kissen - daran fest gemacht - klinkt Usa sich ein.

„Anton, du kennst dich“, fiepst Usa, gedämpft von der Bettdecke, und fügt dem langsam an, einfühlend und warm: „Vermutlich marschieren deine Gedanken in etlichen Urgründen umher. Na, was wäre die Trittleiter heraus? Greife nach den Sternen, dann ist alles möglich.“

Näher zu Anton rückt Usa ihr feines Blinken, grau und hell aus den Augen, von Nachtschlaf entspannt, nicht zuletzt ihn herbei lockend. Anton weitet seine dunkelbraunen Pupillen, wach für das Weibliche. Der Funke, der erotisch überspringt, findet in ihm mannigfache Plätzchen.

„Meinst du?“, fühlt Anton sich bemüßigt zu fragen, nicht zugebend, er reagiere bereits. „Orakelst du über dort draußen unsichtbare Sterne? Ich küsse die sichtbaren, deine Augen, gerne.“ Er streift mit einer Lippe ihre Augenbrauen, spürt darunter zarte Haut, hält inne und atmet warm dorthin. „Meine Liebe wäre die Trittleiter hinauf zu dem Humor unserer Erfahrungen mit deinem Gleitflug als weiblicher Paragleiter, hoch am blauen Himmel über all die Winde hinaus.“

„Der Flug durch die Luft macht Spaß, schenkt Freude“, haucht Usa vor seinen Hals.

Im nächsten Atemzug spürt Usa an Anton den Krampf wie von konturloser Angst oder Lethargie. Kein von Erotik taufrisch bestreikt sein belegt ihn. Und es färbt ab, hält ihre Lust beinahe auf. Ihr Begehren soll leer auslaufen?, interpretiert Usa und müht sich um Gleichmut, mag in keine Resignation geraten.

„Ein Flug ohne Geräusch auf den Ohren? Luftzüge rumoren“, plappert Anton, leise und schwach.

Seine Gefühlserregung schwächelt. Seinen Mund rückt Anton herab von Usas Augen. Er legt den Kopf auf das Kissen und dorthin auch all sein Empfinden, denn das füllt keinen Flug zu den Sternen aus.