Altgold im Anflug

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Doch die Sonne wärmt beständig wie zuvor. Mit jeder Stunde vor dem Mittag heizt die Luft sich auf, als ein für das Leben sprudelndes Elixier. Desgleichen zieht die warme Luft Wirbel und saugende Tiefen herauf in Anton bei dem, was innerlich in ihm in Warteposition liegt. Ähnlich wie bei Hummeln und Hornissen, die in Emsigkeit ausschwärmen, auch um ihn herum, um die Nahrung für ihre Brut zu sammeln.

Weniger hektisch, sondiert Anton eine Zukunft mit den beiden Jungen aus der simplen Casa oberhalb der Gemeinschafts-Quinta. Leihweise möchte er ein Opa sein. Doch an diesem Trittbrett für sein erfülltes Leben fühlt Anton sich ausgebremst, beraubt einer Basis von Anschluss, zumal an die madeirische Sprache als die Voraussetzung, um an Kindern Freude zu haben. Und ihm fehlt dafür Lian, die begnadete Töpferin. Ihr Tod bei ihrem Absturz ließ seinen Plan in ein Nichts abstürzen.

Kann er die nächste Passage einleiten, die, an die er ein wenig schon glaubt? Kurz streift Anton gedanklich seine schlechte Zeit als ein Bub, vor mehr als sechzig Jahren. Nichts davon irritiert ihm seine Zuversicht und den Ruf nach einem baldigen den Kindern die Hände zu reichen. Dem jüngeren José und Jacko, dem älteren, vor allem für dessen Rolle als Anstifter brüderlicher Streiche.

Die Kinder haben wenig Aussicht auf Tollheiten. Noch klammern sie sich aneinander, als ob sie nur zu Zweit der eine im Leben starke kleine Bub sein könnten. Stark genug sollte jeder der Kleinen für sich sein. Sie habe er fürderhin dahin zu bringen ihre Stärke zu erfahren. Tja, ein wenig übernehme er sich selber bei diesem Vorsatz, doch klar halte er sich, und vermeide die Illusion, mit der er bei Usa eine Partnerschaft anstrebte, um sich an ihr zu vervollständigen.

Bei der ersten Annäherung lernte er Usas rigoroses Ablehnen kennen. Tja, er hatte den Schwachen gemimt, sein breites Talent unter den Teppich gekehrt, er wollte ein Anlehnen an Usa. Von ihrer Empathie erwartete er Ermächtigung. Zum Glück entkam er heil, und auch Usa seiner Sabotage von Autonomie.

Sie lehrte ihn beiläufig, zu Zweit hätte jeder für sich ein gewisses Maß Freiheit. Eine Gratwanderung, eine mit den Kindern vermeidbare? Dennoch, die Brüder würden ihn vervollständigen, obwohl deren formbare Persönlichkeiten ihm gleichwohl Furcht vor der riesigen Herausforderung einjagt. Könnten sie, wie er, davon profitieren?

Ein Sehnen überfällt Anton. Schritt für Schritt, derweil er vorangeht, und daraus wird: Er vermisst Leute, mit denen er sich verstehen könnte. Er latscht in Schuhen, die ad acta gehören: Andere ertragen und aushalten zu sollen, löst brennend heiß einen Grad von Hilflosigkeit aus.

Einsam zu leben, das sieht seine kindliche Prägung vor, eine daraus resultierende Krisenbewältigung. Abkehr von Trunksüchtigen!, knurrt in gleicher Weise darin und nebenher: Einem sozial engagierten Kerl mit diesem Hintergrund beschränkt das Alter die Mobilität. Mag er noch so sehr sein anderes Altern herbeisehnen!

Lass locker! - surrt dem entgegen ein in aller Schärfe weicher Impuls, woher auch immer gekommen, als ein Seelenruf des Berges - nur eine Null hat keine Ecken und Kanten. Mehr als zuvor genieße die Kinder, was sie an sich haben. Ihre Jugend, belebend wie die Weide, wohin du einschwenken willst. Vergiss deine bittere Kindheit. Später lerntest du die heilsame Natur auf dich wirken zu lassen! Schau dich um, du lebst hier im Paradies!

Dem entgegen grollt, kindlich trotzig, der Gedanke: Dann befürchte, die Jungs beißen sich wie Terrier fest in deine Zeit hinein! Egal!, entgegnet der Ruf aus der Natur, er, Anton, erlerne die madeirische Sprechweise im Dreiergespann und die vermittelt dem Gespann Anerkennung. Eine, wie verschiedene Gräser auf der Weide nebeneinander wachsen. Und damit rutsche die Urwüchsigkeit der Dörfler auf den zweiten Rang.

Als Nächstes denkt er an sich, wie sehr er das Urwüchsige an Madeiras Natur schätzt, jeden Kilometer liebt. Nur kernige Wetterwechsel teils noch fürchtet, herrührend von den immensen Schäden durch das Unwetter im Februar dieses Jahres. Auch teils den Fang der Fischer, bringen sie aus der Nacht auf der Tiefsee Espada mit, den Raubfisch mit spitzen scharfen Zähnen.

Einen dieser Art dünstete Vera mit Bratbananen, denn ihr ist es verboten, irgendetwas aus Bacalao, dem Trockenfisch, zu zaubern. Ihr exotisches Gericht schied gestern Abend die Geister der Fünfer-WG in Mögen und Ablehnen. Keiner wollte Fischaugen, versessen darauf, als Delikatesse herauslösen. Erst nach einigen Kostproben schmeckte den vorsichtigen Zungen das befremdende Andersartige.

Die Alternative wäre ein Verzicht gewesen und hungrig bleiben, wie bei allem. Das Gute probieren, erwägt Anton, den eigenen weichen Schritten im Laub lauschend. Für das künftige Geschehen mir im Voraus das Versprechen geben, die Verantwortung tragen zu können. Ja, ja, wer nicht zu spielen lernt, wählt falsch. Nur die Versager verlieren alle Gunst, die schalten absolut nie die Konkurrenz aus.

Das Negativbeispiel dafür kennt er. Den oppositionellen Deutschen Carel, den fixe Ideen in der Erde nach Schätzen von Wert buddeln lassen. Ganz wo anders war der Fanatiker heute Morgen gewesen.

Nun doch belastet von Unsicherheit, aber zum Glück wenig kurzatmig oder zu sehr von Schweiß bedeckt im grauen Tshirt, der knielangen Jeans, erklimmt Anton einen Hügel. Obenauf schon zu sehen liegt die Scheune von seinem Freund Fernando. Im Frühjahr wurde davor ein Schwein geschlachtet, heute liegen die Wiesen verlassen. Das einzigartige Licht der Höhenlage inspiriert zu einem Blick auf den Horizont. Schon fühlt Anton sich dicht dran an den Elementen der Luft und der Erde. Fort weht seine Unsicherheit.

Wenige Gehminuten später flutet sein Blick hinunter an dem Hang, und auf die Reste eines alten Hofes aus Bruchstein-Quadern, vom Steinbruch herbeigeschafft, einst für eine Alm mit Milchvieh. Vorbei zog die Zeit der Hoffnung und Mühsal, der Fußwege über Grasterrassen, sagt der Anblick, nichts Neues. Anton erreicht die Scheune, lehnt sich an eine Bretterwand und empfängt die Mittagssonne im Gesicht, schließt die Augen.

Hoffnung übertrage auf deinen Pfad der Mühsal - flirrt es ihm durch die Wärme am Gesicht - du bist nicht hergekommen, um vom Honigtopf zu schlecken. Das sei später der Dank für die Mühsal. Werde und werde und werde, aber das geht nicht vom Rückblick auf das Fehlende. Frage Freund Jacko im Herzen, in das du ihn hineinließest. Jackos Hund döst immerzu und weiterhin in der Sonne. Der wurde aus gebranntem Ton und sein Fellkleid aus vielen Pinselstrichen geformt, von dir unterstützt. Hunde sind Herdentiere, die das Alphatier anerkennen und ehren, wenn es agil wird. Werde, werde, werde.

Tja, denkt Anton nach der vom Sonnenlicht gelenkten Anregung, ein Freund wäre er, und hinkend nach wie vor, doch falle ein Straucheln aus! Auch Jacko soll nicht rückfällig werden. Sein Geist kompensiert und treibt ihn an, sich wie irre auf der Straße zu wälzen. Seit dem Tod seines Vaters, unter mysteriösen und mehr als grauenvollen Umständen in einer Berghöhle. Jacko verlor den Retter vor den misshandelnden Händen der Großmutter. Ein zweiter Abschied traf ihn. Lian war ihm die Helferin gewesen gegen den harten Verlust und die Rückfälle in kindliche Trauer. Ihm und seinem Bruder José.

Deutet dies ihnen an, es gäbe im Weiteren auch niemals wieder einen Beistand? Erwachsenen verständlich, die sich an die eigene Nase fassen und sich aufrappeln, wie aber Kindern? Die Brüder erlebten etwas Neues, haben keinen Anteil mehr an Lians kreativen Atelier, sie steigen in keine solche Entwicklung ein! Gegen dies Düstere während ihrem Aufwachsens will die Sozialarbeiterin der Jungen immer noch andere Erfahrungen anregen. Sie behauptet, die Zeit arbeite für die Jungen. Er, Anton dagegen meint, die Zeit kreise noch selbst um sich, noch liege kein sichtbar hinausführender Bogen vor ihm. Der werde erst noch, werde und werde.

Seine Bedenken kribbeln ihm zwischen den Zehen in den feuchten Bergschuhen. Anton öffnet seine Augen, und auch sein Gehör. Nur sein Atem wird kürzer, er hört sich die Luft längs der Nasengeräusche in die Stille ringsum ausstoßen. Von dort wird ihm in Sekunden eine Erwartung vermittelt, ein Geräusch.

Da!, auf tiefer Fahrspur, mittig von Gras bewachsen, röhrt ein Pickup mit Fernando darin herauf. Nahe zur Hütte geparkt, wird der Motor still.

„Wie bestellt und nicht abgeholt stehst du hier oben in der freien Weite, Anton?“

Kichernd lüftet im Nähern sein Freund sein von der Wärme im Jeep verschwitztes, in mehreren Blautönen kariertes Hemd und zupft daran einige Male, entfernt es von seiner Brust.

„Wie geht es dir, wie stehen die Aktien?“, redet Anton sich heraus, und sortiert sich mehr am Anblick von Fernandos schmutzigen Tretern. Aufwärts, über die ausgebeulten Hosenknie und den flachen Bauch, bis in das braune Blinklicht der Augen, und fasst sich für eine anschließende Frage.

„Heu lagert in der Scheune?“

Zeitgleich spürt Anton, ihm gehe ein Tor auf, ein größeres als das aus den realen Wandbrettern neben ihm. Absolut nicht deswegen, weil Fernandos Hand an seiner Schulter rüttelt, ihn wach aus der Starre der Mühe zuvor heraus führt. Nur ein freundlicher Schlag zur Begrüßung, sofort zurück genommen.

„Heu auch“, bestätigt Fernando, mit dürrer Stimme wegen seines verschluckten Schmunzeln. Er reibt seine Hände aneinander. Unerwartet flink reckt er die Daumen und legt mehr Schwung in den tiefen Bass seiner Tonlage. „Und etwas ganz anderes, Anton. Sieh es dir an.“

Eilig öffnet Fernando das Scheunentor weit dem Licht, entlässt einen Schwall duftendes Grasaroma und ein Fahrrad mit verdächtigen Stollen an den abgefahrenen Reifen. Es rollend, grinst Fernando, als hätte er einen Honigtopf in Händen und kein klappriges Mountainbike.

 

„Eigentlich wollte ich es noch aufhübschen, und selber meinen Spaß haben, im Gelände fahren!“

Schon sitzt Fernando am Sattel, zu niedrig eingestellt für seine Beine, und gurkt wie ein Äffchen auf der Wiese umher. Breit grinsend, stoppt Fernando vor Anton, dessen Verblüffung ihn tierisch freut.

„Neu ist es nicht, aus zweiter Hand von Einem, der ein Profi wird. Sicher hast du die zähen Radler an den kurvigen Straßen schon trainieren gesehen? Eigentlich kannst du es gleich ausprobieren.“

Das Rad kippt Fernando vor Antons kugeligen Bauch. Nicht nur diese Region gibt der Aufforderung weich nach. Anton tritt in die Pedalen und rollt den Berg hinunter in einer Spurrille.

„Am Lenker funktionieren die Bremsen!“, hört er sich nachgerufen, und dann in die trockene Wolke aus Staub unter den Reifen hinein, mit der er die Wucht abfängt, neuerlich mit spaßigem Ton: „Hoch zu mir wechsele die Gangschaltung, dann musst du nicht mit aller Kraft treten!“

Hechelnd nach Atem, und tief bewegt in Brust und Lungen, kehrt Anton zurück. Selbst ihm blitzt sein Braun aus den kleinen, eng stehenden Augen.

„Na, muss ich mehr sagen?“, betont Fernando. „Es gehört eigentlich nicht mir und eigentlich nicht dir, doch ich verschenke es. Oder ist dir eine bessere Idee eingefallen, seit Lian die Augen schloss?“

„Aha, der niedrige Sattel!“, lässt Anton ihn wissen, im Stimmklang überraschtes Staunen. „Du bist ein taffer Freund, und einer für andere Kleine. Die werden Augen machen! Bringst du das Rad hinab an meinen Jeep?“ Dem nach versteht Anton noch mehr, zwinkert mehrfach mit einem Auge. „Deshalb dein 'eigentlich', das du sonst so gut wie nie betonst, und was so viel hieß, irgendwann hättest du mir das Fahrrad zur Quinta gebracht? Damit wir zwei halbe Opas uns solchermaßen vergnügen und den Nachbarjungs das Radeln beibringen?“

Fernando reibt sich den Bauch vor Freude an dem ungewöhnlichen Vorhaben und wegen Antons Schläue. Er weiß aus manchem Erlebnis, wie viel warmherziges Gespür jeweils der andere in sich trägt. Auch dies, so vergegenwärtigen die beiden Freunde, leitete sie hinein in die heutige außerplanmäßige Begegnung.

Nach der Fahrt in Fernandos Pickup hinab, lädt Anton das Rad in den Jeep. Er dankt Fernando zum Abschied in grenzenlos ausufernder Vorfreude. Nichts ahnend fährt Anton an. Wenig später rollen die Reifen am Jeep nicht nur, sie hoppeln durch ausgefahrene Spuren über loses Geröll. Steinschläge drohen in der Staubwolke hinter dem Pickup und denen auszuweichen erscheint Anton unmöglich.

Ebenso unvermeidbar, hüpfen und schlingern ihm die Falten an Wangen und Hals. Plötzlich tritt aus den staubigen Wogen und den knisternden Steinen der Schemen der Großmutter der Brüder vor sein inneres Auge. In den Ohren schmerzt das Gezeter der alten Frau, zu oft gehört, ohne etwas dagegen tun zu können. Das schrille Geschrei im Gehör verdunkelt als gefährlicher Schatten seine unendliche Vorfreude, ebenfalls das von Fernando betonte eigentlich. Ähnlich dem erdigen Staub, der sich am Fahrzeug anhäuft, dämpft des Schattens Last fristlos alle gute Absicht.

Riesig wächst daraus Margaritas Urteil, er stecke fest in seiner Haut, fände nie heraus. Ihren Abschlag, ihr Sticheln, verscheut sich Anton. Mit Recht wahre er seine Haut vor Subjekten mit Stimmen, die ihm die Ohren quälen! Unerträglich lastet im Gedächtnis das Bündel einstiger Gegebenheiten.

Darf die Nachbarin ihre Dreistigkeit fortsetzen? Ihr höchst unakzeptableres Tun, den Stein des Anstoßes? Den einengenden Zwang auf die Kinder halte auch er aus, mit Qualen im Bauch. Verginge der Druck, wenn er es der Großmutter abgelte, er sie rücksichtslos beiseite lasse und er heimlich den herzigen Kleinen das Radeln zeige und beibringe? Ups! Kaum der beste Ansatz. Radfahren liegt fern zu der gewohnten Lebensart. Die Jungen würden das Fremdartige abwehren und ihn, den Fremden, stehen lassen! Ein Fehlschlag für die neue Erfahrung von Anstand und Mitgefühl. Was würde aus Fernandos Geschenk werden, von dem sie, im Hinblick auf die Neugier der Kinder, sich beide ganz sicher gewesen waren?

Ihn strengen die Blicke durch die Frontscheibe an. Er kann nichts mehr erkennen und drückt auf den Hebel der Waschanlage, pumpt mehrmals Wasser hervor. Die Scheibenwischer lösen nach und nach hellbraune Schlieren, klären allenthalben Antons Denken. Die Macht der Großmutter über die Enkel bedroht nicht ihn im realen Augenblick. Bedrohlich sind auch keine immateriellen Schlieren und Schatten auf der Zuversicht, dagegen fände ein werdender Leihopa mit der Zeit den passenden Hebel.

Anton fährt am holperigen Berg abwärts. Rasch ändern sich die Hochweiden an der Grenze der alten Pinien zu niedrigen Grünflächen. Das Fahrgeräusch an dem festen Schotter dringt in sein Gehör. Mit nachlassender Kraft steuert er das Lenkrad. Kurz darauf biegt Fernando linkerhand ab in Richtung seines Heimes vor einem Lorbeerwald, wohin er ein Hubsignal ertönen lässt. Anton winkt grüßend, sich sicher, im Rückspiegel sehe es sein Freund.

Fernando hatte ihm die Hand gereicht. Ohne Versteckspiel und ohne Skrupel, aufrichtig. Er blieb nach den in Deutschland als Facharbeiter verbrachten Jahren heil in seinem Kern. Fernando scheut nicht zurück vor der hiesigen Lebensart von Langsamkeit, und gewiss vor keiner Nachbarin. Ihr würde er den Takt einträufeln, und dem Freund raten, die Lage sportlich zu nehmen. Ungefähr so. Anton seufzt lauthals und postwendend sieht er sich in einem Sportgeschäft in Ponta do Sol etwas einkaufen.

3

„Und, Anton?“, fragt Maik mit einer Stimmlage, worin mitschwingt, ihn einzubeziehen erwarte er. Die Idee vom Radeln mit den Jungen, aus dem Treffen mit Fernando am Vortag, von Anton begeistert mit glänzenden Augen erzählt, darf auf keinen Fall bei Anton die gesamte Aufmerksamkeit besetzen. Kein Muskel an dessen Gesichtszügen verrät dessen Tendenz. Anton sieht ihn nur freundlich an, im Reinen mit sich.

Ein Glücklicher, weil die noch feuchte, schwere Morgenluft die Essenz der Eukalypten an den Vorplatz vor das Büro trägt? Drinnen, wenig fern des offenen Fensters und in einer Nische von Usas Nähtisch, sitzt Anton im Korbsessel ihm gegenüber. Und er, Maik, darf er nun nur abwarten?

Nach seinen an sich gestellten Fragen verfällt Maik einigen Eindrücken aus der Zeit nach Antons Rückkehr von der Reise im Oktober, die ihm die Zukunft ändern sollte. Das hatte Maik auf Klippen vonstatten gehend interpretiert: Antons etwaiger Tritt hinaus über die Kante in die Welt, um sich zu bewähren, oder, beständig auf der Insel lebend mit seinem Beitrag auf dem gemeinsamen Spielfeld. Eventuell sogar mitsamt Antons absurder Idee, den Felsenkeller mehr zu vertiefen, voraus einem Fall der Fälle, als den Schutzbunker vor den Gesteinsausschüttungen der Vulkane auf den nahen Kanarischen Inseln. Entgegen solcher Buddelei hatte Margarita von Anton einen, ihrer aller Jahre angemessenen Treppenlift verlangt.

Dies streift Maik durchs Gemüt, um den Freund nicht total in die Rolle als Leihopa zu entlassen. Dafür stellt Maik sich mental auf, sein Unruhepotential verlangt es. Etwas daran bedarf einer Weite, die den Zeitrahmen absteckt für eine kleinen Führung, die den Freund an die Leine legt.

Maik schaut auf das Bücherregal im Büro, von Wand zu Wand läuft es und trägt an einer freien Fläche die Helme, Ellbogen- und Knieschützer in der Größe für Kinder, neu und unbenutzt. Mit der rechten Hand weist Maik darauf, legt die linke in Höhe des Herzens ans dunkelbraune Tshirt, und setzt neu an.

„Und? Damit geht es an guten Tagen weiter? Und wie stehen deine Pläne für die Gemeinschaft?“ In seinen Schoß senkt Maik die Hand, rückt seine bestrumpften Füße in den Sandalen näher zu Anton. „Mir wäre es genug, wenn du dich schlau machen würdest, wie ein Lift gebaut wird. Einer, der meine steifen Beine von den Stufen zum Schlafzimmer hebt. Eine Fahrgelegenheit, eine bauliche Veränderung, denn oben wohnen bleiben will ich, unterm Dach, mir vertraut und mit einem grandiosen Ausblick.“

„Ups“, entfährt es Anton überrascht. „Eine bauliche Veränderung will gut überlegt sein.“

Das Flechtwerk am Sessel, auf dem Maik unruhig ruckelt, knarrt. Seine vor Erwartung feuchten Hände reibt er über die Jeans. Antons leichte graue Leinenhose samt Weste vor dem ebenfalls grauen Tshirt, schaut er an, auch Anton auf die Hände, in Ruheposition in den Schoß gelegt.

„In einen Teil von Usas Räumen, und hinauf in die obere Teeküche, die wegfällt, kann ein Innenlift eingebaut werden“, behauptet Maik mit dünner Stimme, wenig gewinnend. Dann, im Brustton von Überzeugung: „Auf Rückzug soll Vera verzichten. Sie hat im Cateringteam nie Nachtdienst bis zum Morgengrauen. Falls sie eine Vertretung an der Rezeption im Hotel auf der Klippe annähme, kann sie nötigenfalls in der Wohnküche ihre Kompensation in der Nacht haben und uns etwas Leckeres backen.“

Maik hebt den linken Zeigefinger, ruckt im Stuhl seitlich, aber keineswegs den Klang seiner Stimme in eine Rücknahme seines Wunsches. Er weist mit ausholendem Arm zur Tür, dahinter liegen die untere Teeküche und der Flur.

„Nach hinten hinaus, ich weiß, du kannst es dir vorstellen, ergibt der Plan für Usa einen Wechsel ihres Schlafzimmers nach vorne und deshalb einen nach hinten ruhig gelegenen Therapieraum für ihre Klienten.“

„Na ja, Maik, neulich sagte Usa, in der sogenannten Wintersaison erwarte sie viel zu tun. Das dürften wir mit bedenken.“ Jäh aus seiner Ruhe gerissen, zuckt Anton mit beiden Händen aufwärts und fängt endlich, nur kurz, Maiks Blick ein. „Ihr wäre es nicht angenehm, planten wir für sofort und schlügen die Wände und Decken ein. Und damit auf sie ein, auf sie und ihre minderen Mietzahlungen.“

Von Miete zu hören, merkt Maik, tangiert ihn nur schwach. Er fliegt schon gedanklich vor das benötigte Loch in der Decke und findet sich im Lift stehen, wo er das Knöpfchen für oben drückt. Ihn zieht sogleich etwas herab, hier ins Büro. Soll er die im Regal lagernde Bauzeichnung analysieren? In der Mappe, die er leicht fände? Doch schwer und träge sind die Beine. Indes verlangt sein bildhaftes Vermögen, geschult bei jahrzehntelanger Maloche in Neubauten, nach dem nächsten Kick. So etwas stört kein Zipperlein.

Damals störte es ihn beim Stemmen der Balken. Dieses Etwas schweigt im Sitzen, ganz und gar ohne etwas Eseliges. Das Eselskonzept hatte Anton ihm im Sommer angetragen und einen Treffer gelandet. Seither hört und erkennt Maik die Hufschläge seines Charaktertieres. Davon weg komme er nur dann, wenn er sich fern halte von seinem starrsinnigen Recht behalten wollen, darauf pochen.

Bei sich vermutet Maik - warum auch nicht? - sein Charaktertier sei gealtert. Es schlage nur ab und an lahm in den Solarplexus, den Usa als Magen- und Rückenmitte kennzeichnet, wenn sie harte Muskeln massiert, nebenbei kommentiert. Obgleich es dort stets etwas grummelt, wähnt Maik, er entgehe der Reichweite der Hufschläge total, sei seiner Altersweisheit näher gerückt, dieser Seite von Zustand.

Seit Anfang der Winterzeit erschrecken Maik aber auch selber seine Schreie beim Gehen mit dem Schmerz, scharf wie ein Messer. Dann hält er inne, bis es verebbt und geht vorsichtiger, die Beine taugen weniger.

Wie soll er, eine langsame Schnecke, noch Gemüse bei den Bauern beschaffen? Er erleidet den Mangel an Freundschaften im Dorf, die er zur Anerkennung als ehrenwerter Mitbürger pflegte. Unzufrieden stellt ihn sein Los. Die Einkaufsliste am Notizbrett in der Küche wird immer länger. Die Versorgung lastet auf Vera, sie verfügt über den Leihtransporter vom Cateringteam.

Sie ahnt den echten Grund, übt Maik sein souveränes Gedankenspiel. Ah! Für den Part sitzt er vor Anton. Dessen Schritte, falls er an das Regal ginge, glichen kaum seinem eigenen hölzernen Gang.

„Anton, wir beide könnten ein Gespann aus Komödianten werden“, haucht Maik inspiriert, und fängt über das strahlende Blau seinen Augen damit schon Antons Blick ein. Ein Brustton überzeugter Begeisterung fällt ihm aus der Kehle. „Wir leidenden, hinkenden, meinetwegen rheumatisch veranlagten Humoristen könnten den drei WG-Frauen ein Schauspiel vorführen, bevor wir etwas zu Bauplänen sagen. Usa nimmt mir das ab, wenn sie meinen steifen Gang bemerkt, sogar weit schleifender vor ihr, als es deiner je wäre.“

„Sie weiß aber, wie beschwingt dein ganzer Leib geht, bevor du im Jeep zu Gela fährst!“

„Auch wahr. Aber in den Schüben, die jederzeit ungerufen eintreffen, können wir es Usa vorführen.“

„Willst du an das weibliche Mitgefühl appellieren? Dann reagiert Usa mit einer Gewichtung auf nur vegane Speisen, ohne Käse, Bratwürste, Schinken und Konsorten. Dann speist du neben ihr reines Grünfutter und an Festtagen Kräuterquark, und baldigst fällt dir das schleppende Gehen schwerer.“ Kichernd beendet Anton seine Vermutungen darüber, wie, mit Raffinesse und Spaß daran haben, der Boden bereitet werden könnte. „Und immer, wenn du vom Esstisch aufstehst, so übe entsprechend dein Seufzen. Lass es mich jetzt weniger genussvoll gesättigt hören. Wie hört sich das wohl an? Mach es mir vor.“

 

„Ich sitze gerade gemütlich! Mein Oberstübchen müsste ich anstrengen für Ausreden, bevor Usa mault. So machen wir es und du spielst das mit! Also gut, sieh mich genau an.“

Maik dunkelt seinen strahlenden Blick in blaue Tiefe, und die fällt ihm sehr leicht, weil er nur kurz an seine Verfassung denkt, an das Grummeln, das er schleunigst hervorbemüht. Er probt bedauert werden wollen, nach Trost heischen. Auf den Wangen dehnt er die Falten lang herab, senkt seine hell bewimperten Lider.

„Oh Mann! Anton, ob auch Margarita und Vera bemerken, was mit mir nicht stimmt? Ach, ach!“

„Krause stärker die Brauen“, kommentiert Anton, „buschig genug wachsen sie. Dazu passt mehr Kehle im Seufzen. Hör mal mich.“

Schon übt Anton ein Konzert tiefer Töne voller Selbstmitleid und Lebenslast. Dann, ebenso plötzlich, stoppt er sich, weitet seine brauen Augen für einen gewichtigen Ausdruck.

„Das glaubt nur einer, der mich nicht kennt. Außerdem soll ich nicht maulen. Leo gab mir den Tipp zu den Aufwinden in der Thermik vor der Sonne, sobald mich Lethargie tangiere, die in der Leichtherzigkeit, die ich mir erlaube, verschwinde. Also, genehmigen wir uns öfter einmal ein gegenseitiges durch den Kakao ziehen, gezuckert mit mehr hoch gespieltem Spaß. Übertreiben wir beide die Komik, zu der wir uns entschließen, werden die drei mit uns wohnenden Frauen davon genauso hellhörig, doch nicht biestig.“

„Oh, das pflegt unsere Gemeinschaft, unsere Sympathie. So machen wir es, alter Knabe. Mir ist auch nicht nach einer grundsätzlichen, das Häusliche verändernden Diskussionen.“

'Es hält auch dich im Spiel', beendet Maik seine Besorgnis, Anton tendiere zu viel von ihm fort. Dann, wie im Schlag, spürt er Anton umschwenken, nicht eingehen auf seine Erleichterung.

„Zuvor derlei an Diskussionen, denen du entkommen willst, höre über Margarita. Sie wünscht sich anderer Leute Freundschaft.“ Anton bemerkt an Maik ein Recken am Hals, seine Züge werden herber. „Verdutzt dich ihre Tendenz? Weißt du nichts von den Zuständen in der Gärtnerei? Wann zuletzt hast du mit Margarita, in ihrer arbeitsfreien Zeit, die sie und dich jung haltende Sonne des ewigen Frühlings genossen?“ Absichtsvoll und gewichtig nickt Anton hinein in Maiks herben Blick, und bekennt mit aufmüpfigem Brustton: „Du setzt wie ein altes Eisen seit langem nur Rost an, und du und ich, wir reichen Margarita nicht mehr.“

„Die Dummschwätzer“, unbeirrt, hebt Maik einen Arm vom Korbsessel, winkt hinaus zum Fenster. „in der Gärtnerei blasen sich ehrlich gesagt auf, wie damals vor mir die Kollegen, die niemals das zugaben, was sie verursacht hatten. Die rächten sich wie Jäger an eines Feindes Front. Margaritas Kollegen sehen morgens im Spiegel keine vollwertigen Kerle, die sehen sich im Regen stehen und nur andere unter einem Schirm. Knapp wurde die Luft, ungut das, aber nie so knapp wie mir für meine Mobilität!“

„Dass Jammerlappen menschlich sind, das weiß Margarita, und, wenn sie auf hoch schlagende Emotionen nur mit Unmut anspricht, sät sie neuen.“ Gezügelt stöhnt Anton vor Spannung, doch denkt versöhnlich und doppelbödig. „Fest steht, Margaritas Umgebung spiegelt ihr etwas Inneres, deswegen leidet sie und wir mit ihr. Wir wohnen nicht nur zusammen, wir mögen Margarita. Wir nehmen Anteil an ihrer Integration an dem Arbeitsplatz. Sie will akzeptiert werden und sich anpassen. Denke nach, mit dem Bauchgehirn in logischen Ketten. Lass dir Zeit. Wie ich, unterdessen liegen meine Socken im Schrank und verstauben, oh ja!“

Anton räkelt die Zehen in den Sandalen. Sauber sind die Füße, ohne Ränder von Erde, seit im Herbst die Mühe an den Beeten wegfällt. Keinesfalls bei den Dorfbauern. Auf deren Füßen lastet die dritte Jahresernte roter Kartoffeln und alle Sorten von Kürbis. Schon läuft Anton der Mund voll Speichel. Viel gäbe er für eine Suppe, rasch zubereitet von Veras kundiger Hand.

Allerdings hört er von Vera nur, draußen am Gartenstreifen, ihre laute Stimme im Gespräch mit Usa.

„Die kleine Statuette soll also umziehen!“, belauscht er Usas Keuchen, sich sicher, sie schnauft nicht wegen der von Eukalyptus erfüllten Luft oder den Aromen vom Kräuterbeet. „Am Hang hinter dem Atelier“, fügt Usa an, „finden wir ein stilles Plätzchen im Grünen, Vera.“

„Für Jene, die Lian gedenken wollen. Ungewollt mag ich keinen Tag mit Erinnerung beschweren. Anderes braucht meine Geduld. Also ja, wir zwei pflanzen sie um. Folge mir zum Wasserspeicher.“

Daraufhin schauen im Büro Anton und Maik sich an, krümmen sich dann in den Sesseln. Anton nach vorne, die Ellbogen an die Schenkel, die Hände am Gesicht. Maik presst sich und seine Trauer an die Rückenlehne. Vor Minuten plante er eine neue Ordnung im Haus. Draußen wird ein gewohnter Teil zerstört. Schon spürt er, Veränderungen ziehen ein Beachten der Emotionen heran. Ohne Hiebe aus der Tiefe fände er keine neue Struktur, nur den Weckruf zur Vollendung.

Unterdessen lagert Vera die von Lian hinterlassene Tonfigur auf eine Hüfte, rafft den Saum ihres hellblauen knielangen Tshirts darüber. Dem Hemd macht das nichts mehr aus, es ist schon staubig von der Reinigung im Leihtransporter.

Usa voran marschiert Vera von der Küchenterrasse zu der Ecke der Quinta, dann aufwärts die Stufen in den Hanggarten, hinein in den Duft einer sonnigen Note nach Erde. Von irgendwo mengt sich intensiv das Harz von Kieferzapfen bei, und tief gehalten von einer riesigen weißen Wolke am Hang vor dem Himmel. Oben ausgefranst, steigt die weiße Pracht mit des Waldes Feuchte in die Luft.

Nahe zweier von der Vormittagssonne warmen, aus Naturgestein gebildeten Trittflächen setzt Vera sich und die schwere Last ab. An der Statuette streichelt sie den geschlungenen Pfad. Seiner porösen Fläche, wie von Baumrinde, folgen ihre Finger und ihr Betrachten der zuunterst winzig modellierten Quelle, die aufgewölbt entspringt und einen Sockel formt. Bald raunt in Veras Gehör hinein die Bö, die über die Kronen der Bäume am Schotterweg bergwärts weht, und kräftigt ihr Empfinden.

„Zum Wald ausgerichtet, gefällt mir Lians Gedenkstätte“, lässt Vera ihre Begleiterin Usa teilhaben, die tiefer stehen geblieben zu ihr aufblickt. „Vom Fenster in der Gaube schaue ich hinüber, falls mir danach wäre. Hier dazu allerdings, fehlt mir noch etwas mehr aus dem Wald, in dem Lian oft joggte.“

Nachdenkend, kraust und spitzt Usa den Mund zu einem Bündel. Sie hebt ihr Gesicht zur Sonne, betrachtet dann die individuellen und naturbelassenen, aus gefundenen Steinen gebauten, aufwärts führenden Stufen. Von hier nicht sichtbar, enden die vor der Grenze zur Quinta von Mona und Jörg, den Nachbarn. Auf und ab der Treppe vor dem diesigen Blau tasten Usas Blicke, und lassen sie sagen:

„Die Treppe zum Himmel finde ich sehr passend, ja, verstehe sie sogar als Lians schwungvolle Rückkehr in die ewige Unendlichkeit, wo ihre Seele wohl weilt. Den beispielhaften Schwung aufwärts im Hang, wo wir irgendwann Lian folgen, denn sehe ich von hier aus zum Glück noch nicht.“ Vera direkt in die Augen sehend, ergänzt Usa, im Stimmklang wie gehaucht vibriert Erschütterung: „Es wird passieren. Aber zuvor gestalten unsere drei anderen diesen Platz mehr nach Gutdünken. Mir gefallen - ob deines Gefühls, es fehle etwas - die Wurzelstücke vom Trog außen am Atelierfenster. Die erinnern mich stets an Lian, binden an sie, wie sie war. Nun ja, also los, ich hole die herauf.“