Führungskräfte-Entwicklung: Worüber man in der Praxis ungern spricht

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Professionelle Kunstfehler in Unternehmen – Einige Beispiele

Der Begriff des »Kunstfehlers« ist uns aus der Medizin geläufig: Ein Arzt handelt gegen das gesicherte medizinische Fachwissen und verursacht dadurch einen Schaden bei einem Patienten. In Wikipedia heißt es dazu: »Ein Behandlungsfehler wird definiert als eine nicht angemessene, zum Beispiel nicht sorgfältige, fachgerechte oder zeitgerechte Behandlung eines Patienten durch einen Arzt. […] Behandlungsfehler werden häufig auch als »Kunstfehler« bezeichnet. Der Begriff Kunstfehler stammt daher, dass die ärztliche Behandlung nach den Regeln der Kunst (gemeint ist der aktuelle Wissenstand in der Ärzteschaft zu einer bestimmten Behandlungsform) erfolgen muss.«

Professionelle Kunstfehler kommen in der Medizin gelegentlich mit Wucht an die Öffentlichkeit, wenn es um eklatantes Fehlverhalten geht, das massive Folgeschäden verursacht hat und dann zumeist auch die Gerichte beschäftigt. Daneben gibt es Vertreter in der Medizin, die medizinisches Fehlverhalten in wesentlich größerer Häufigkeit als die professionellen Kunstfehler sehen, die gerichtlich verfolgt werden. Der Allgemein-Mediziner FRANK klagt beispielsweise in seinem Spiegel-Bestseller an, dass Patienten systematisch und in großer Zahl Opfer der Medizin werden, gleichsam »der Regelbruch zum Standard wird« (2012, S. 70 ff.) und auch der Medizinjournalist und frühere Internist BARTENS schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er von heillosen Zuständen in der Medizin spricht, die die Menschen krank machen (2012).

Diese Beispiele verlangen eine Klärung. Während der klassische professionelle Kunstfehler für ein fehlerhaftes Verhalten steht, das einen eindeutigen Verstoß gegen die etablierte Wissenschaft beinhaltet, stellt FRANK in seinem Buch die scheinbar etablierte medizinische Wissenschaft als Therapiebasis in Frage, weil sich diese durch dubiose Forschungsprojekte teilweise auf Erkenntnisse stützt, die im Interesse der Pharmaindustrie und nicht immer im Interesse der Patienten liegen. Und auch das Buch von BARTENS nähert sich dieser Position, wenn er von einer Medizinindustrie spricht, die von Gesundheitspolitikern unterstützt wird, die dazu beitragen, dass Patienten in Gefahr geraten (2012, S. 14 ff.). So viel zu Kunstfehlern in der Medizin.

In der FKE ist eine Erörterung von professionellen Kunstfehlern ähnlich schwierig, weil die FKE als Disziplin der Sozialwissenschaften in hohem Maße der Deutung unterliegt. Die theoretische Basis und das fachwissenschaftliche Fundament der FKE enthält nur sehr wenige gesicherte Erkenntnisse. Deshalb reicht es nicht aus, bei einer bestimmten FKE-Praxis nach dem sie stützenden fachlichen Fundament zu fragen – es ist nur in seltenen Fällen als Erklärung für gute FKE-Arbeit vorhanden.

Um gute FKE-Arbeit von fehlerhaftem FKE-Verhalten zu trennen, braucht es eine gesamthafte Beurteilung, wie ein FKE-ler seine Entwicklungsarbeit angesichts des schwachen fachwissenschaftlichen Fundaments anlegt. Dazu gehört beispielsweise, dass

• man sich als FKE-ler immer seiner subjektiven Handlungstheorien bewusst ist

• man als FKE-Praktiker bei diffusem Theoriestand eine heuristische Position einnimmt und FKE-Arbeit als Aktionsforschung betreibt

• die gesamte FKE-Arbeit mit einem umfassenden Evaluierungssystem unterlegt wird.

Da die Theorieabstützung für die praktische FKE-Arbeit so fragwürdig ist, braucht es in der Entwicklungsarbeit eine Einbindung der Betroffenen – FKE mit statt für Führungskräfte –, um sie als Mit-Handelnde später an der Reflexion des Geschehenen und der Exploration von erlebten Handlungstheorien der FKE-Verantwortlichen aktiv zu beteiligen.

Je weniger bedeutsam das Theoriegerüst für die praktische FKE-Arbeit ist, umso mehr übernehmen kultische und rituelle Theoriesurrogate sowie mit Theorien assoziierte Artefakte die Rolle von guter FKE-Arbeit. Das vor Jahren angestoßene Business School-Brimborium in deutschen Unternehmen, das dazu führte, dass man in rascher Folge Company Universities oder Corporate Business Schools gegründet hatte, ging von einem FKE-ler mit einer ausgeprägten vertikalen Karriereorientierung und einer starken Tendenz zu öffentlichen Auftritten aus und hatte keine stringente, überzeugende, sachliche Begründung. Wenn man dazu noch die ahnungslosen Magazinjournalisten als »Meinungsmacher« in der Szene ins Boot holt und ihnen die Sätze in die Feder diktiert, hat man schnell die Chance eines »FKE-Benchmarks« und einer FKE-Innovation geschaffen.

Oder man rekrutierte Professoren von bekannten Hochschulen für punktuelle Einsätze in seiner FKE-Arbeit, um einen progressiven Anspruch der gesamten FKE zu vermitteln. Schließlich stehen Professoren mit ihrer Hochschulnähe in der Blickstellung von FKE-Amateuren für theoriegestützte FKE. FKE-Profis dagegen sehen im singulären Professoreneinsatz in der FKE anspruchsvoll inszenierte, teure Management-Unterhaltung, die für die nachhaltige Weiterentwicklung der teilnehmenden Führungskräfte völlig unerheblich ist.

Assessment von Führungskräften für deren Weiterentwicklung

Zwischen professionellen Kunstfehlern und gaunerhaftem Verhalten bei externen Trainern gibt es einen fließenden Übergang, wie ich bei einem Beispiel in einer Schattenberatung kennengelernt habe, als ich von einem FKE-ler um Unterstützung angesprochen wurde.

Es ging um die Beurteilung der Vorgehensweise einer externen Trainer- und Beratergruppe für das Assessment von Führungskräften mit dem Ziel der Vereinbarung von Entwicklungszielen in einem Förderungsprogramm.

Dazu muss man grundsätzlich wissen, dass es in der FKE-Arbeit in Unternehmen zwei Formen des Assessment von Führungskräften gibt:

• Mit einem »Manager Audit« will man das Management-Kaliber einzelner Führungskräfte, zumeist in höheren Rängen, einschätzen. »Man« bezieht sich dabei fast immer auf Aufträge von ganz oben, bei denen sehr unterschiedliche Intentionen verfolgt werden. Nicht selten sind derartige »Manager Audits« auf dem Hintergrund von markanten Strategieveränderungen zu sehen, bei denen der Vorstand sich ein Bild machen möchte, ob die Führungsmannschaft über die notwendigen Kompetenzen verfügt, eine beabsichtigte neue Strategie auch umzusetzen. Ergebnis eines »Manager Audit« ist ein umfassender Feedback-Bericht, der als sichtbares Produkt eines oft mehrtägigen Assessment-Prozesses für jede einzelne Führungskraft erstellt wird, und den, wie man sich vorstellen kann, die einschlägigen Assessment-Psychologen sich sehr gut bezahlen lassen. Dass mit einem »Manager Audit« auch mitunter die Absicht verfolgt wird, sich gleichsam »objektive Assessment-Daten« zu beschaffen, um sich dann – darauf abgestützt – von einzelnen Führungskräften zu trennen oder andere Veränderungen (z. B. Versetzungen) einzuleiten, sei am Rande vermerkt.

• Eine zweite Form des Assessment von Führungskräften – das sog. »Development Assessment« – verfolgt das Ziel, mit der betreffenden Führungskraft Entwicklungsziele in einem Förderungsprogramm zu vereinbaren. Der dafür vorhandene Prozess ist weniger aufwendig, zumal die Führungskraft mit einer überbordenden Datenmenge an Feedback-Daten eher verwirrt wird. Seit den »Selbstversuchen« des bekannten Leadership-Gurus CONGER wissen wir, dass eine Führungskraft nur mit sehr wenigen Feedback-Daten so umgehen kann, um daraus für sich ein Entwicklungs- und Veränderungsprojekt einzuleiten (CONGER 1992, S. 104 ff.).

In der FKE-Praxis habe ich beobachtet, dass durch externe »Berater-Profis« auch für das zweite Ziel immer umfassende Feedback-Berichte aus einem »Manager Audit«-Prozess erstellt werden, die nicht nur unnötig sind, eine sinnlose Ressourcenverschwendung bedeuten, sondern auch dysfunktionale Effekte bei den betreffenden Führungskräften erzeugen können. Ein Assessment mit dem Ziel der Entwicklung und Veränderung läuft in einem völlig anderen Klima ab als ein klassisches »Manager Audit« der erstgenannten Kategorie.

Hinter dieser Praxis könnte man nur einen professionellen Kunstfehler vermuten, wenn es nicht um die hohen Summen ginge, mit denen Unternehmen »Manager Audits« für Entwicklungsprojekte verkauft werden. Deshalb spricht diese Praxis eher für gauner- und ganovenhaftes Verhalten, insbesondere dann, wenn die generierten Assessment-Daten für Entwicklungsprojekte einzelner Führungskräfte auch der GF zur Verfügung gestellt werden. Development Assessment-Daten sind nur für die Führungskraft selbst bestimmt. Sie entscheidet darüber, wie sie ihren Vorgesetzten als »Entwicklungshelfer« in der Arbeitssituation ins Boot holt. Daneben erhält noch der Entwicklungsbegleiter Zugang zu den Feedback-Daten, damit eine individuelle Entwicklungsvereinbarung für die Teilnahme in dem Förderungsprogramm abgeschlossen werden kann. Die GF kommt als Feedback-Empfänger gar nicht ins Spiel.

In dem vorliegenden Fall wurde die finale Beurteilung, ob Kunstfehler oder Gaunerei, noch dadurch erschwert, dass der FKE-ler von einem eindeutigen »Development Assessment« ausging, während die externen Experten im Gespräch mit dem Vorstand offensichtlich auch dessen Interesse an Feedback-Daten der Führungskräfte weckten.

Dieser Fall vermittelt zudem, dass es zuweilen zu einem »Komplott« zwischen Vorständen und externen FKE-Beratern und Trainern kommt, was dann zu massiven professionellen Kunstfehlern führt, die eigentlich nicht entstehen dürften, wenn die Ignoranz einer Geschäftsführung in Sachen FKE nicht schamlos zur eigenen Vorteilserzielung von den Experten genutzt wird. Die Erstellung von umfangreichen Feedback-Berichten ist für Entwicklungszwecke völlig überflüssig. Wenn man jedoch das Interesse von GF-Mitgliedern an Assessment-Daten ihrer Führungskräfte geweckt hat, erhält man den Auftrag für ein besonders gut honoriertes Produkt. Bis wann muss man noch von einem professionellen Kunstfehler sprechen und ab wann beginnt die Gaunerei?

 

Fehlende Mitwirkung der FKE-Abteilung bei der Neubesetzung einer Führungsposition

Das entscheidende Lernen einer Führungskraft findet am Arbeitsplatz statt. Um diese fachwissenschaftlich eindeutig belegte These in der Realität einzulösen, braucht es FKE-ler, die sich bei Placement-Entscheidungen entsprechend einbringen.

Wie manifestiert sich der professionelle Kunstfehler in dieser Situation?

• Positionsbesetzungen gehören nicht zum primären Handlungsbereich einer FKE-Abteilung, sondern werden in der Regel direkt von der HR-Führung wahrgenommen.

• Je nachdem, welche Potentialeinschätzungs- und Nachfolgesysteme (z. B. »manpower inventory charts«) im Unternehmen eingerichtet wurden, hat die FKE-Funktion an der Konzipierung der Systeme – eventuell – mitgewirkt. Die Wahl eines geeigneten Nachfolgers für eine vakante Position ist dann aber oft auch eine politische Entscheidung, bei der sich der leitende HR-ler mit dem Vorgesetzten der zu besetzenden Stelle auf einen bestimmten Kandidaten verständigt.

• Die Frage, wer eine neue Position am besten ausfüllen kann – gleichsam der Performance-Aspekt – steht im Vordergrund. Die Überlegung, dass jede Führungsposition immer auch über ein gewisses Lern- und Entwicklungspotential verfügt und Positionsbesetzungen auch unter dem Aspekt des Lernens für den Neuen vorgenommen werden sollen, tritt eher in den Hintergrund. Damit gibt es für den FKE-ler keine Legitimation für die Mitwirkung bei der Besetzung einer neuen Position.

• Der Vorgesetzte der zu besetzenden Position möchte einen möglichst »fertigen Kandidaten«, der die Performance-Ziele der Abteilung durch seine anfänglich noch vorhandenen Kompetenzlücken nicht gefährdet. Zudem verlangt ein »unfertiger Kandidat«, der für die Besetzung einer vakanten Position wegen deren Lernpotential ausgewählt wird, ein erhöhtes Coaching-Engagement des Vorgesetzten – was man häufig aus Zeit- und Kompetenzgründen nicht wahrnehmen kann und will. Mit anderen Worten: Der Vorgesetzte einer neu zu besetzenden Position denkt zunächst nur an sich und seine Abteilung und nicht an das Unternehmen und erwartet deshalb von seinem HR-ler, dass er den Vorstellungen des Vorgesetzten entspricht. Da der HR-ler wiederum »zufriedene Klienten« im Management haben will, die ihm keinen Ärger bereiten, erfüllt der willfährige HR-ler die Wünsche der Vorgesetzten bei Neubesetzungen. Ein allfällig engagierter FKE-ler, der bei Neubesetzungen die Interessen aus gesamtunternehmerischer Sicht einbringt und auf das besondere Lernpotential von Positionen hinweist, stört nur und wird ausgebremst.

Dies ist die ungeschminkte Wirklichkeit in den meisten Fällen von Neubesetzungen. In der Schublade des HR-lers liegt natürlich immer auch das Konzept, dass man die Lernchancen auf neuen Positionen verfolgen will – aber es kommt so gut wie nie zum Tragen. Welcher HR-ler mit dem angegriffenen Standing seiner Funktion möchte sich zusätzlichen Ärger bei seinen Klienten im Management einhandeln?

Kompetenzprofile in der FKE-Arbeit

Professionelle Kunstfehler verstecken sich zuweilen hinter einer scheinbar progressiven FKE-Praxis. Großbetriebliche FKE-Abteilungen verfolgen gerne das Projekt, alle Führungspositionen im Unternehmen mit einem detaillierten Kompetenzprofil zu unterlegen. Durch die explizite Darstellung der Soll-Anforderungen für jeden Positionsinhaber soll dessen Beurteilung durch seinen Vorgesetzten entsubjektiviert werden. Man möchte damit aber auch Bedarfe für die Weiterbildung valider erfassen. Dies sind zwei Argumente, die die Befürworter von Kompetenzprofilen in der FKE-Praxis anführen.

In einem glorifizierenden Beitrag über eine neue FKE-Praxis bei der EnBW (DEMMER 2011, S. V2 / 12) von einer Magazinjournalistin wird berichtet, wie ein eigens eingestellter Mitarbeiter, der eine Dissertation über das Thema Kompetenz-Management verfasst hat, für jede einzelne Führungsposition detaillierte Kompetenzprofile erstellte. Man muss sich einmal den Aufwand vor Augen führen, den der doktorierte Jung-Profi für das Kompetenzprofil für jede Führungsposition betreiben durfte. »Wir haben uns eine Rolle nach der andern vorgenommen und in Workshops die Soll-Anforderungen diskutiert. Zeitlich damit blockiert waren stets 10 bis 15 Menschen, darunter der Mitarbeiter, der unmittelbare Vorgesetzte, der Bereichsleiter, ein Mitglied des Betriebsrats sowie ein Berater aus dem Personalwesen.«

Nachdem sich die EnBW, ausgelöst durch die politisch verordnete Energiewende und durch die Grünen in der Landesregierung, die das EnBW-Aktienpaket vom MAPPUS-Coup »geerbt« hatten, eine neue Strategie gab, legte auch der EnBW-Arbeitsdirektor in der Presse nach, indem er die flächendeckenden Kompetenzprofile mit der Energiewende in Verbindung brachte: »Um die Energiewende zu ermöglichen, sind nicht nur Innovationen unverzichtbar, wesentlich ist ebenfalls, dass die Mitarbeiter ihren jeweiligen Kompetenz-Profilen entsprechend eingesetzt werden.« (BECK 2011, S. B8)

Da das Arbeiten mit Kompetenzmodellen in der FKE grundsätzlich eine positive Resonanz auslöst und mit progressiver FKE-Arbeit assoziiert wird, erkennt man nicht die tendenziellen Kunstfehler, die in dieser vorgestellten FKE-Praxis verborgen sind. Die professionelle Zweitmeinung würde die Kunstfehler bei der EnBW-FKE in diesem Projekt wie folgt begründen:

• Man braucht firmenspezifische Kompetenzen als wichtige Basisdaten in der FKE, um die Korridore der Entwicklung im Führungskräfte-Lernen festzulegen. Eine ausschließlich auf Kompetenzen basierende FKE ist in der Fachliteratur jedoch strittig. In Großbritannien, wo man bereits früher umfangreiche Erfahrungen mit Kompetenzprofilen gemacht hat, gibt es ein klassisches Fazit von einem der dort führenden FKE-Forscher: »Being competent is different from having competencies.« (BURGOYNE 1989, S. 68 ff.) Wo bleibt die Persönlichkeit des Managers und seine kulturelle Passung bei den EnBW-Kompetenzprofilen?

• Durch das sehr aufwendige Unterlegen aller Führungspositionen wird in der FKE-Arbeit eine dysfunktionale Statik festgezurrt, wie sich anhand einer Placement-Entscheidung über den Nachfolger einer markanten Führungsposition illustrieren lässt: Wenn sich bestimmte Probleme in der Abteilung ergeben haben oder sich spezifische Team-Anliegen stellen, braucht man einen Nachfolger, der über andere Kompetenzen als sein Vorgänger verfügt. Zudem ist eine Nachfolgeentscheidung immer auch eine Chance, neu über den Wertschöpfungsbeitrag einer Position nachzudenken, oder man kann die Neubesetzung einer Position zum Anlass nehmen, darüber zu reflektieren, wie die Position neu ausgerichtet wird, oder ob man sie im Ernstfall überhaupt noch benötigt.

• Detaillierte Kompetenzprofile wie sie bei der EnBW beschrieben werden, sind situationsbezogen (z. B. im Placement und bei der Erstellung der zukünftigen Anforderungen an Inhaber von Schlüsselpositionen) durchaus angemessen, auf keinen Fall jedoch flächendeckend sinnvoll. Insbesondere wird damit eine gefährliche »Langzeitgarantie« für eine FKE-Abteilung geschaffen, die gemeldeten Kompetenzdefizite der Vorgesetzten aus der Linie abzuarbeiten. Zu der eigentlichen Bearbeitung von strategischen Bedarfen bei der EnBW, wie der Einrichtung der Schlüsselposition eines »sustainability manager« als Folge der Energiewende und der gezielten Qualifizierung dafür, bleibt keine Zeit mehr.

• Die vor der Energiewende durchgeführte flächendeckende Erstellung von Kompetenzprofilen wirft die Frage auf, wie strategieumsetzend das FKE-Wesen bei der EnBW ist, insbesondere wenn es darum geht, mit der neuen grün-schwarzen Landesregierung als Ankeraktionär aus dem Strategiewechsel die gesamte Führungsmannschaft neu auszurichten. Die mühsam erstellten Kompetenzprofile können in vielen Fällen in den Papierkorb wandern.

• Es ist auf der einen Seite völlig unverständlich und auch wiederum typisch für die großbetriebliche FKE, dass ein großflächig inszenierter Riesenaufwand wie die Einführung von Kompetenzprofilen zum zentralen Existenzgrund des FKE-Wesens wird. Es ist Aufgabe der EnBW-HR als Business Partner, die neuen EnBW-Strategien so in das Mitarbeiterverhalten der Belegschaft und in das Management umzusetzen, dass die angestrebten finanziellen Erfolge und Wettbewerbsvorteile in einem sich dramatisch verändernden Energiemarkt erreicht werden. Zu diesem Anliegen der GF kommen die »Kompetenz-Profiler« in der EnBW-HR gar nicht mehr.

• Bei jedem großflächigen FKE-Projekt, wie das der Erstellung von Kompetenzprofilen für alle Führungspositionen, muss man sich vorab immer fragen, welche anderen FKE-Nutzenstiftungen mit dem sündhaft teuren Projekt möglich sind. Die Anstellung eines promovierten Hochschulabsolventen, der eine Spielwiese für seine Erkenntnisse aus der Doktorarbeit sucht, sowie die eingesetzte Zeit der Mitarbeiter in den erwähnten Workshops machen dieses Projekt als FKE-Einzelinvestition bereits höchst fragwürdig.

• Wenn die EnBW-FKE ihre Fixierung auf Kompetenzprofile sinnvoll fortsetzen will, dann könnte man auf den Gedanken kommen, für Führungskräfte detaillierte »Manager Audits« zu erstellen, um deren Tauglichkeit für die Umsetzung der neuen Strategie zu bestimmen. Wesentlich sinnvoller wäre es allerdings, wenn die GF-Vertreter mit der HR die neuen erfolgskritischen Schlüsselpositionen definieren, auf denen der Umsetzungserfolg der neuen EnBW-Strategie entschieden wird. Für die Übernahme dieser Positionen können sich Führungskräfte des Unternehmens bewerben. Damit erhält das Unternehmen ein realistisches Bild, wer im Unternehmen überhaupt Motivation und Interesse zeigt, an der »neuen EnBW« mitzuarbeiten. Erfahrungsgemäß braucht die Umsetzung einer völlig neuen Strategie aber immer auch ein Qualifizierungsprogramm, das mindestens aus den Bestandteilen eines Korridorthemas für die gesamte Führungsmannschaft und eines Qualifizierungsprogramms für die Inhaber der Schlüsselpositionen besteht (STIEFEL 2010).

• Den endgültigen Beweis dafür, dass dieses Projekt einen kaschierten, aber hochgradigen professionellen Kunstfehler darstellt, liefert der HR-Vorstand BECK als Vorgesetzter der FKE-Abteilung, wenn er die flächendeckenden Kompetenzprofile für die Zeit nach dem Strategiewechsel verteidigt. »Gerade in dieser Situation ist es wichtig, die richtigen Köpfe für die anstehenden Herausforderungen zur richtigen Zeit am richtigen Platz im Unternehmen zur Verfügung zu haben« (BECK 2011, S. B8). Schon allein dieser Kalauerspruch der alten DGFP-Garde (Deutsche Gesellschaft für Personalführung), des Dachverbands der leitenden HR-ler in Deutschland, lässt wenig substantielle Professionalität vermuten.