366 mal Hoffnung

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6. JANUAR

Begegnung in Bethlehem

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht.

JESAJA 9, 1

Es war schon spätabends. Ich war eingeladen, mit einer Gruppe junger Leute von Jerusalem hinüber nach Bethlehem in die Geburtskirche zu fahren. Dort feierten die orthodoxen und die orientalischen Christen ihr Weihnachtsfest, in der Nacht vom 6. zum 7. Januar. Dieses Datum geht auf eine alte Tradition zurück, älter noch als die westliche, die die Geburt des Erlösers am 25. Dezember feiert.

Die kurze Busfahrt führte uns über den Militärposten an Rahels Grab, und bald hielten wir vor der Geburtskirche mitten in Bethlehem. Wie gewaltig dieser Bau ist, erkennt man erst, wenn man durch die kleine Tür eintritt, bei der man sich bücken muss. Die Kirche wurde im vierten Jahrhundert auf Veranlassung von Helena, der Mutter von Kaiser Konstantin, errichtet. Der Monumentalbau erhebt sich über der Höhle, von der die ortsansässigen Christen berichteten, dass hier Jesus geboren wurde. Es gibt keinen Grund, diese Aussage anzuzweifeln, denn hier wohnten von Anfang an ohne Unterbrechung Nachfolger von Jesus. Die ersten von ihnen waren noch Zeitgenossen von Maria und den Aposteln.

In dieser Nacht war die Kirche voller Menschen. An vielen Stellen wurden gleichzeitig die Gottesdienste gefeiert. Die Griechisch-Orthodoxen neben den Syrern, die Kopten neben den Armeniern. Es war wunderbar, das Sprachengewirr mitzuerleben, das Gotteslob in den verschiedensten Sprachen. Und mittendrin wir.

In dieser Nacht erlebte ich es wieder, das Wunder von Bethlehem. Mir wurde neu klar: Die Geburt von Jesus, unscheinbar vor zweitausend Jahren in einer Höhle, ist ein Ereignis von weltumspannender Bedeutung. Das hilfsbedürftige Kind in der Krippe ist der König der Welt.

„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht!“ So hat es der Prophet vorausgesagt. Hunderte Jahre später wurde es wahr. Dort in Bethlehem. Und seitdem scheint das Licht Gottes, Jesus selbst, hinein in die Dunkelheit der Welt.

7. JANUAR

Es geht um alle

Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.

JOHANNES 12, 32

Mitten in den Wirren der letzten Tage seines Lebens macht Jesus diese erstaunliche Aussage. Vorausgegangen war sein triumphaler Einzug in Jerusalem. Vorausgegangen war auch der Abend in Bethanien, an dem Maria, die Schwester von Marta und Lazarus, Jesus mit dem kostbaren Nardenöl gesalbt hatte, als Vorbereitung für sein Begräbnis. Unmittelbar zuvor hatte Jesus davon gesprochen, dass er sein Leben geben wird wie ein Weizenkorn, das in die Erde fällt.

„Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen!“ Jesus geht es um alle. Alle sollen zu ihm finden. Der Schlüssel dafür, dass das möglich wird, ist seine „Erhöhung“. Damit ist zunächst gemeint: Sein Sterben am Kreuz. Dort hing er erhöht, angenagelt zwischen Himmel und Erde. Und zugleich ist es das Wort für seine Auferstehung und seine Thronbesteigung.

Das ist das Geheimnis: Dass Leiden und Herrlichkeit, Niederlage und Sieg zusammengehören. Bei Jesus und auch bei uns. Der erhöhte Jesus will die Menschen zu sich ziehen. Wie er das tut? Auf viele wunderbare Weisen. Und letztlich durch seinen Geist.

Aber auch: Durch uns. Wir dürfen mithelfen, dass Menschen zu ihm kommen. Wie damals die Jünger am See Genezareth die Netze noch einmal auswarfen und dann erlebten, dass sie übervoll waren, so geschieht es immer wieder: Wo sie am Ende sind und im Namen von Jesus noch einmal die Netze auswerfen, wird auf einmal ein großer Fang eingeholt. 153 Fische zählen sie (Johannes 21, 11). Das war nach damaliger Auffassung die Zahl aller Fischarten. Das bedeutet: Alle sollen zu Jesus finden. Jesus will alle zu sich ziehen.

Wie das geschehen kann, das bleibt ein Geheimnis. Aber dass das geschehen wird, das ist unsere Hoffnung. Und so steht am Ende die Frage im Raum: Haben wir alle Menschen im Blick? Wir sollen und dürfen es, weil Jesus alle im Blick hat.

8. JANUAR

Wo Glaube und Hoffnung sich treffen

Die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt.

1. JOHANNES 2, 8B

Dass es in unserer Welt viel Dunkles gibt, ist uns ständig vor Augen. Die Nachrichten sind voll davon: Kriege und militärische Konflikte, Hungersnöte und Ausbeutung, Unterdrückung der Armen und Schwachen – die Liste ist endlos. Die Finsternis ist allgegenwärtig und greift nach uns, auch in unserem persönlichen Leben.

In diese Wirklichkeit hinein kommt die Nachricht, die wir uns selbst nicht sagen können. Es ist ein Satz voller Hoffnung und voller Glauben. „Die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt!“ Starke Worte. Zuversichtlicher geht es kaum. Können wir darauf vertrauen?

Auf den ersten Blick scheint es wie ein Widerspruch: Ist das Licht schon da? Oder muss die Finsternis erst noch vergehen? Beides ist wahr. Wenn am Morgen die ersten Vorboten des neuen Tages erscheinen, ist es noch dunkel. Erst ganz langsam, fast unmerklich, wird es heller. Es gibt diese Spannung, diesen Augenblick, wo es fast aussieht, als ob es niemals hell werden will. Und doch ist der Sonnenaufgang nicht aufzuhalten. So ist es auch mit Gottes Herrschaft. Sie kommt fast unmerklich, wie Hefe, die den Teig durchzieht. Und doch: Niemand kann sie aufhalten.

Das Licht, das schon jetzt scheint, ist Jesus. Er ist das Licht der Welt. Vielen verborgen und doch wirklicher und wirksamer als alle Dunkelheit. Das Licht scheint jetzt schon. Daran haben die ersten Christen festgehalten. Das war ihr Glaube und ihre Hoffnung. Gegen alle Übermacht des römischen Staates, gegen alle Macht feindlicher Ideologien, gegen alle ethische Verwirrung und religiöse Verblendung hält Johannes daran fest: Das wahre Licht scheint schon jetzt!

Glaube und Hoffnung öffnen uns die Augen, beides zu sehen: Das langsame, aber unaufhaltsame Kommen des Reiches Gottes, das aufscheinen wird wie die Sonne am Morgen. Und die Wirklichkeit seines Lichtes schon hier und jetzt.

9. JANUAR

Auf die Frucht kommt es an

Lebt als Kinder des Lichts, die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.

EPHESER 5, 8B-9

Die Ausgrabungen in Qumran im Jordantal haben es gezeigt: Die Gemeinschaft der Essener, die dort ihr Hauptzentrum hatte, unterschied die Menschen in „Kinder des Lichts“ und in „Kinder der Dunkelheit“. Am Ende der Zeit, so wurde dort gelehrt, werden die Söhne des Lichts in einem Entscheidungskampf die Söhne der Finsternis endgültig besiegen. Die Kinder des Lichts, das waren in ihren Augen sie selbst. Sie mussten sich bereithalten für diesen letzten Kampf zwischen Gut und Böse.

Paulus nimmt diese Begriffe auf. Doch er macht deutlich: Der entscheidende Kampf gegen das Dunkel besteht nicht im Krieg gegen andere Menschen. Der Kampf findet ganz woanders statt: In unserem eigenen Herzen, in unserem Denken, Fühlen und Wollen. Christusnachfolger sollen nicht gegen andere Menschen kämpfen, sondern den Kampf gegen die Sünde und Ungerechtigkeit im eigenen Leben aufnehmen.

Als „Kinder des Lichts“ zu leben bedeutet, dass wir uns nach Jesus ausrichten, nach ihm, der von sich sagte: „Ich bin das Licht der Welt!“ (Johannes 8, 12). Jesus ist unser Meister, unser Lehrer, unser Vorbild. Er lebte ein Leben voller Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Das ist der Maßstab für uns als Jesusleute. Das soll auch unser Leben prägen.

Wenn auch, im Bild gesprochen, die Frucht letztlich von allein wächst, so können wir doch die Voraussetzungen zum Wachstum schaffen. Dazu braucht es Disziplin, Übung und Einübung. Als „Kinder des Lichts“ zu leben fordert uns ganz.

Der Geist unserer Zeit prägt uns in eine andere Richtung. Da geht es um den eigenen Vorteil, um unser Wohlergehen und unseren Genuss. So bleibt die Frage, wie wir uns entscheiden. Ob wir nach dem Vorbild von Jesus leben wollen und uns nach seinem Licht ausstrecken. Dort ist das wahre Leben zu finden. Denn: „Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis.“ (1. Johannes 1, 5)

10. JANUAR

Heller als die Sonne

Über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erstrahlt über dir.

JESAJA 60, 2

Ein seltsamer Satz. Irgendwie stimmt hier etwas nicht: „Über dir geht auf der Herr!“ Wie soll das gehen? Wie kann Gott „aufgehen“? Vielleicht hat dieser Satz ursprünglich anders gelautet. Vielleicht stammt er aus einem Morgenlied, einem Lied zum Lobpreis der Sonne: „Über dir geht auf die Sonne, ihr Glanz strahlt auf über dir.“ Und vielleicht kannte Jesaja dieses Lied als Kind und hat sich daran erfreut, dass die Sonne aufgeht und mit ihren Strahlen alles erhellt und erwärmt.

Vielleicht hat er dann, als er erwachsen war und sein Leben von Gott in Beschlag genommen wurde, dieses Lied umgedichtet und statt des Wortes „Sonne“ „der HERR“ eingesetzt. Warum? Weil er inzwischen wusste, dass es Dunkelheiten und Finsternisse gibt, die auch durch den hellsten Sonnentag nicht vertrieben werden. Weil er die Tiefen von Bosheit und Gottlosigkeit, Schuld und Verlorenheit kennengelernt hatte. Weil er allem erdenklichen und unausdenkbaren Bösen begegnet war: Krieg und Vertreibung, Gewalt und Elend, Flucht, Hunger und Tod.

Da hilft die Sonne allein nicht mehr! Nein, ein größeres, stärkeres, helleres Licht muss her. Nur dann kann ein neuer Tag des Heils anbrechen. Dieses größere Licht hatte Jesaja gesehen. Als er einen Blick in den Thronraum Gottes tun konnte, wurde alles ins rechte Licht gerückt. Er sah Gott als souveränen Herrscher, ihn, den Herrn, als Richter und König auf dem Thron, aber auch als Erbarmer und Erlöser.

 

Und dann sah er, dass dieser Gott, dieser Herr, der sich seinem Volk und dem Einzelnen zuwendet, über ihnen erscheint wie das Licht der Sonne. Das Erstaunliche ist, dass Gott uns Menschen nahe kommt. Er ist und bleibt der ewige Weltenlenker und ist doch auch unser Heiland und Freund. Kein Wunder, dass Jesaja dieses freudige Loblied auf ihn singt, auf den Herrn, dessen Wahrheit und Liebe heller strahlen, als jede Sonne es kann.

11. JANUAR

Keine bloße Erscheinung

Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre.

1. JOHANNES 3, 8B

Als Sprachwissenschaftler beschäftige ich mich mit der Wirkung von Worten. Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich sie klingen. Das Wort „Erscheinung“ wirkt auf den ersten Blick wie ein schwaches Wort. Eine Erscheinung ist irgendwie unkonkret und unbestimmt. Jedenfalls berührt mich dieses Wort nicht so stark wie zum Beispiel die Worte „Schokolade“, „Ringkampf“ oder „Liebeslied“.

Doch die Erscheinung, von der Johannes hier spricht, ist keine blasse, farblose Theorie. Ganz im Gegenteil, sie ist ein unvergleichliches Geschehen. Ein Ereignis, das alles verändert: Gott selbst kommt in unsere Welt.

Als Jesus auf die Erde kam, war das zunächst ziemlich unscheinbar. Jesus, das Baby in einer Krippe, geboren von einer jungen Frau auf einer Reise. Niemand hätte das besonders bemerkt. Doch Jesus, der Mann, tat dann unglaubliche Dinge: Blinde konnten wieder sehen, Gelähmte gehen, vom Aussatz Gezeichnete wurden gesund. Für viele war das sicher das größte Wunder: Menschen, die von Dämonen geplagt waren, wurden frei. Sie konnten ihr Leben wieder in die eigene Hand nehmen. Die bösen Geister hatten keine Macht mehr über sie. Alle konnten es sehen: „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre.“

Doch Jesus vertrieb nicht nur böse Geister aus einzelnen Menschen, sondern überwand die Quelle des Bösen, den Teufel selbst. Am Kreuz und in der Auferstehung wurde das endgültig wahr, was in seinen machtvollen Taten schon aufleuchtete: Jesus ist erschienen, um die Werke des Teufels grundlegend zu vernichten.

Wer in seiner Nachfolge lebt, wird sich deshalb beherzt gegen die Werke der Finsternis stellen, gegen Lüge, Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Gesetzlosigkeit. Weil Jesus den Sieg über das Böse erkämpft hat, können wir uns frei von Furcht vor bösen Mächten und voller Vertrauen einsetzen für Gottes gute Herrschaft in der Welt.

12. JANUAR

Was wirklich wesentlich ist

Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.

2. KORINTHER 5, 17

Was sich wie hohe Theologie anhört, steht in einem ganz praxisorientierten Zusammenhang. Die Christen in Korinth hatten viele Fragen. Wie können wir die Botschaft von Jesus weitersagen? Was ist unser Auftrag als Nachfolger von Jesus? Was sollen wir weitergeben, was und wie sollen wir verkündigen?

Doch hinter den Fragen standen massive Konflikte. Die Christen in Korinth kamen aus ganz unterschiedlichen Hintergründen. Unter ihnen fanden sich Juden, einheimische Griechen und auch Zuwanderer aus allen Teilen des römischen Reichs. Freie Bürger und Leibeigene, Reiche und Arme gehörten dazu. Gemeinsam wollten sie ihren Glauben in ihrer Umgebung leben. Doch vieles war unter ihnen noch ungeklärt, und es gab Streit über viele Fragen.

Paulus, der die Gemeinde in Korinth gegründet hatte, geht auf ihre Fragen ein. Eine nach der anderen beantwortet er. Doch immer wieder lenkt er den Blick auf das Wesentliche, auf das, was wirklich wichtig ist. Deshalb finden sich mitten in den praktischen Ratschlägen ganz grundsätzliche Aussagen, geistliche Spitzensätze. Man spürt, wie es aus Paulus hervorbricht. Es ist, als wolle er die Korinther mit einem Trompetenstoß aufwecken. In allem, was euch beschäftigt, vergesst nicht die großartige Tatsache: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden!“

Paulus will den Christen in all ihren Fragen dieses Eine ganz klarmachen: Ihr seid Teil der neuen Schöpfung Gottes. Wer das begriffen hat, kann sich auch mit den Einzelfragen beschäftigen. Und dann auch Antworten finden. Gott hat uns in Jesus zu neuen Menschen gemacht. Das klärt noch nicht alle Fragen. Aber es gibt uns die Grundlage, auf der unser Leben gelingt – als Einzelne und als Gemeinschaft.

13. JANUAR

Neu denken

Darum … verändert euch durch die Erneuerung eures Denkens!

RÖMER 12, 1

Im Denken fängt es an. Das Gute wie das Böse. Je nachdem, wie wir denken, gestalten wir unser Leben. Was wir tun, wie wir Menschen beurteilen, wie wir sprechen, was wir unterlassen – alles hängt an dem, was wir denken.

Ohne die Erneuerung des Denkens bleibt unser Leben als Christ halbherzig, oberflächlich und gespalten. Diese geistliche Disziplin, diese innere Selbsterziehung, kann uns niemand abnehmen. Kein Pastor, kein Seelsorger und kein Gottesdienstbesuch können diese Arbeit stellvertretend für uns tun.

Neu denken, das ist die Aufgabe. Paulus spricht konkrete Einstellungen und Verhaltensweisen an, die die Christen im geistlichen Erziehungsprogramm angehen sollen. Statt zu lügen, sollen sie lernen, die Wahrheit zu sprechen. Statt sich vom Zorn beherrschen zu lassen, sollen sie lernen, ihren Zorn zu begrenzen. Statt zu stehlen, sollen sie einüben zu arbeiten, um auch andere unterstützen zu können. Statt Negatives zu reden, sollen sie zur Sprache bringen, was andere fördert und aufbaut. Statt Bitterkeit, Wut, Zorn und negativen Gedanken und Gefühlen Raum zu geben, sollen sie lernen, anderen gegenüber gütig zu sein und einander zu vergeben.

Darum geht es in der Erneuerung des Denkens. Paulus wollte Menschen nicht nur oberflächlich bekehren. Nein, nach der grundlegenden Hinwendung zu Jesus musste ein ganzes Lernprogramm folgen, ein geistliches Training. Diese Disziplin des neuen Lebens führt vom erneuerten Denken zu neuem Reden und Handeln und schließlich auch zu neuen Gefühlen. Denn wer positiv über den anderen denkt, gut über ihn redet und versucht, ihm Gutes zu tun, bei dem ändern sich auch die Gefühle dem anderen gegenüber zum Guten.

Paulus wollte keine geistlichen Babys produzieren. Sein Ziel war, dass die jungen Christen sich zu geistlich reifen Persönlichkeiten entwickeln durch die Erneuerung ihres Denkens. Genau das brauchen wir auch heute.

14. JANUAR

Askese, die sich lohnt

Die Frucht des Geistes ist Liebe, Friede, Freude, Geduld, Freundlichkeit, Gerechtigkeit, Glaube, Sanftmut und Keuschheit.

GALATER 5, 22

Keuschheit. In unserer Zeit ein sperriges Wort. Wir können es auch als Selbstbeherrschung, Enthaltsamkeit oder Askese übersetzen. Die Grundbedeutung ist: Sich im Griff, sich in der Gewalt haben. Doch diese Begriffe sind ja nicht unumstritten. Häufig regen sie unter Christen zu heftigem Widerspruch an: „Wir leben doch von der Gnade! Wir müssen uns doch Gottes Annahme nicht mehr verdienen!“

Natürlich stimmt das. Gottes Gnade wird uns umsonst geschenkt. Seine Liebe gilt ohne jede Vorbedingung. Sie erschließt sich uns im einfachen Glauben, im Vertrauen auf das, was Gott in Jesus für uns getan hat. Gottes Gnade ist und bleibt die Grundlage für alles.

Doch ist das wirklich ein Argument gegen geistliche Lebensordnungen? Gegen das Einüben geistlicher Gewohnheiten, gegen Askese im Sinn von Konzentration auf Gott? Im Sudan habe ich ein eindrückliches Bild gesehen: Wenn das Wasser vom Nil hochgepumpt wird, kommt es zuerst in einen einfachen, aus dem Erdreich aufgeschütteten Kanal, in dem es weite Strecken fließt, bis es zu dem Feld gelangt, das es bewässern soll. Wenn dieser Kanal nicht da wäre oder zu viele undichte Stellen hätte, würde das Wasser nie an seinem Bestimmungsort ankommen.

Es stimmt: Das Wasser ist das Geschenk, das wir uns nicht erarbeiten können. Doch es braucht einen Kanal, um am Ziel anzukommen. In diesem Sinne richtet auch geistliche Konzentration unser Leben auf ein Ziel aus. Askese und Maß halten hängen mit unseren Prioritäten zusammen. Was ist uns wirklich wichtig? Was ist so bedeutsam, dass wir dafür andere Möglichkeiten bewusst ausschalten? Jesus hat einmal seinen Jüngern eine solche Zielvorgabe gegeben: „Trachtet zuerst nach Gottes Reich und nach seiner Gerechtigkeit!“ (Matthäus 6, 33)

Es gibt kein geistliches Leben ohne Askese, ohne Verzicht. Nur wenn ich auf manches verzichte, finde ich die Zeit, mich für andere einzusetzen. Nur durch bewusste Entscheidung und Konzentration finde ich Zeit und Kraft für meine Familie, für Freunde und für das Zwiegespräch mit Gott.

15. JANUAR

Ein ungewöhnlicher Wunsch

Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, indem ich seinem Tod gleichgestaltet werde.

PHILIPPER 3, 10

Das Ziel, das Paulus nennt, scheint seltsam. Er wünscht sich zu leiden? Das klingt ungewohnt, ja vielleicht sogar krankhaft. Wie kann er das meinen? Was ist seine Sicht vom Leiden? Wenn wir genau hinschauen, verstehen wir Paulus besser.

Erstens: Seit Jesus am Kreuz gelitten hat, hat das Leiden eine ganz neue Qualität. Durch sein Sterben und Auferstehen hat er den Totalitätsanspruch des Negativen aufgehoben. Leiden und Tod verlieren für Christen den Schrecken, weil wir wissen, dass Jesus, der Auferstandene, am Ende den Sieg davonträgt. Darüber jubelt Paulus: „Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?“ (1. Korinther 15, 55)

Zweitens: Leid gehört zu unserem Leben dazu. Auch Christen sind nicht aus Krankheit, Schmerzen, Enttäuschung, Trauer, Angst und Verzweiflung herausgenommen. Aber weil Jesus in das Leiden gegangen ist, wird auch unser Leiden angestrahlt von seinem erlösenden Leiden. Unser Leiden ist hineingenommen in die Gemeinschaft mit Jesus. Deshalb können wir Ja sagen zum Leiden. Jedes Leiden, auch das scheinbar willkürliche, kann zu einer Quelle der Kraft werden, wenn es in der Verbundenheit mit Jesus getragen wird.

Drittens: Wir brauchen uns das Leid nicht selbst zu suchen. Nicht das Leiden an sich, aber auch nicht das Erleben der Kraft Gottes an sich sind endgültiges Ziel für uns Christen. Beides gehört dazu. In beidem geht es um die Identifikation mit Jesus. Um das Nachbuchstabieren seiner Botschaft, um das Nachstolpern seines Weges. Die Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten ist ein Ziel, das es wert ist, dass wir uns ganz darauf ausrichten.

Und so bleibt die Zuversicht: Alles, was uns begegnet – Kraft und Schwachheit, Erfolg und Versagen, Leben und Tod –, kann uns nur noch stärker verbinden mit Jesus, der Alles in Allem ist.