Amakusa Shiro - Gottes Samurai

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»Mein Arm steht Euch zu Diensten, Tendō, auf dass das Reich unseres Gottes kommen möge!«

Shirō zögerte einen Moment und berührte dann leicht das üppige Haar Yamadas. Um sie herum standen inzwischen etliche derer, die in der Nacht in den inneren Lagerkreis gekommen waren, um dem Gesandten des Himmels nahe zu sein.

Der Zustrom der Insulaner in das provisorische Kriegslager war in der Nacht nicht abgerissen. Nun, in der Morgendämmerung, kamen weitere Hunderte herbei. Es schien, als hätte sich dieser Ort in einen sicheren Hafen für all die verzweifelten Menschen verwandelt, die nicht mehr an eine Zukunft für sich geglaubt hatten. Überall herrschte ein großes Gewimmel, und niemand wusste, wie auch nur ein Anschein von Ordnung hergestellt werden könnte. Und der Zustrom nahm kein Ende. Die Ältesten waren zurückgeblieben. Sie gingen gebeugt unter ihrem schweren Gepäck, sanken mitunter erschöpft zu Boden, rafften sich mühsam wieder auf, ächzend, vergeblich um Hilfe bittend. Aber schließlich erreichten auch sie ihr Ziel.

All diese Menschen wussten, dass eine Rückkehr in ihre Dörfer bereits unmöglich geworden war, und dass niemand als der Gesandte, von dem ihnen so vieles berichtet worden war und den sie nun endlich mit eigenen Augen erblicken wollten, sie retten konnte. Was sie zurückgelassen hatten, würde der Rache der Männer ihres daimyō zum Opfer fallen. Selbst jene, die ihr Zuhause eher aus Neugierde verlassen hatten, angezogen vom Sog der allgemeinen Bewegung, mussten begreifen, dass ihr Aufbruch sie endgültig von all dem, was ihr bisheriges Leben ausgemacht hatte, getrennt hatte. Und diejenigen, welche sich trotz aller Gerüchte und Befürchtungen dazu entschlossen hatten, in ihren Dörfern zu bleiben, würden die ersten sein, die den Strafexpeditionen, die schnell und unbarmherzig erfolgen würden, zum Opfer fielen.

Ashizuka rief die Krieger, die er am besten kannte, zu sich, alte Samurai wie er selbst. In den Jahren der Zurückgezogenheit hatten sie nie aufgehört, untereinander Kontakt zu halten. Er wusste, dass er sich vollkommen auf diese Männer verlassen konnte. Darauf zählte er jetzt, wo es galt, dieses unbeschreibliche Menschengewimmel sinnvoll zu organisieren. Er erteilte seine Anweisungen, und die Krieger brachen unverzüglich in alle Richtungen auf. Auf ihrem Weg wählten sie ihrerseits Männer aus, die sie für geeignet hielten, ihnen bei der Umsetzung der Befehle zu helfen.

Matsura Shigenobu, dessen Gesicht sorgenvoller aussah, als ihm lieb war, nahm Yamada beiseite. »Seine Mutter? Seine Schwester? Sein Onkel Gensatsu?« fragte Shigenobu und deutete mit dem Kinn auf den Jüngling.

Yamada schüttelte langsam den Kopf, was Shigenobus Befürchtungen bestätigte. »Immer noch nichts. Die Boten sind längst überfällig. Es gibt keinerlei Neuigkeiten.«

Sie konnten nicht ahnen, dass die Boten im östlich gelegenen Higo ihre geheime Mission mit dem Leben bezahlt hatten und dass Shimizu Hōki, der Ortskommandant von Kumamoto in Udo, Shirōs Familie bereits in Geiselhaft hielt. Yamada und Shigenobu fürchteten, dass sie, wenn die Boten noch weitere Stunden ausbleiben würden, darüber mit Shirō würden sprechen müssen. Was hingegen das Martyrium betraf, das sein Vater vor wenigen Wochen im »Höllenschlund« vom Unzen-Vulkan durchlitten hatte, so wollten sie ihm die Nachricht davon so lange wie nur möglich vorenthalten. Der alte ji-samurai Masuda Jinbei Yoshitsugu hatte sein Leben unter entsetzlichen Qualen verloren, da er sich weigerte, seinem Glauben abzuschwören.

Die Aufständischen waren den ganzen Tag damit beschäftigt, sich zu Einheiten für den Kampf zu formieren. Am Nachmittag kam eine Nachricht wie ein Donnerschlag. Miwake Tōbei, dem Kommandanten der Festung von Tomioka, die man im Handstreich einzunehmen plante, war ein völlig unerwarteter Schlag gelungen. Anstatt die Verteidigung vorzubereiten, hatte er einen Reitertrupp ins Dorf Hondo und kleinere Ortschaften in der Nähe ausgesandt, wo einige christliche Bauern weiter ihrer Arbeit nachgingen, weil sie sich dem Aufstand nicht hatten anschließen wollen. Die Soldaten waren wie ein Sturmwind über sie gekommen und hatten Dutzende von ihnen niedergemetzelt. Einige Bauern wurden am Leben gelassen und als Geiseln genommen. Unbehelligt konnten die Männer Miwakes sich schließlich wieder in die Festung zurückziehen.

Miwake wusste, dass die Rebellen, die inzwischen Tausende zählten, versuchen würden, ihn in seinem Schlupfwinkel in die Enge zu treiben. Dass seine Provokation die nichtswürdigen Bauerntölpel, denn nichts anderes waren sie in seinen Augen, dazu treiben würde, ihren Angriff vorzuziehen, war ihm ebenfalls wohlbewusst.

Aus Shimabara war unter den gegebenen Umständen keine Hilfe zu erwarten. Noch am selben Tag schickte er deshalb ein Schiff direkt nach Hizen, zur Burg von Karatsu, wo sich sein daimyō, Terasawa Katataka, befand. Er bat ihn um unverzüglichen Beistand, denn, wie er ihm schrieb, »Dreißigtausend der vierzigtausend koku von Amakusa sind bereits diesem Shirō in die Hände gefallen«. Doch von diesem Eingeständnis seiner Furcht ahnten die Aufständischen zunächst nichts. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Neuigkeit von der Strafexpedition, die Hondo heimgesucht hatte, in ihrem Lager. Je weiter sie sich vom Hauptquartier der Rōnin entfernte, mit desto blutigeren Details wurde sie ausgeschmückt. Sie löste zunächst Bestürzung aus, aus der jedoch schon bald ein brennendes Bedürfnis nach Vergeltung erwuchs. Die Menge drohte sich in eine wilde Meute zu verwandeln, bereit, sich unverzüglich auf die Festung von Tomioka zu stürzen, um der Besatzung die Geiseln zu entreißen, die ihre Nachbarn gewesen waren und um deren Leben sie nun alle fürchteten.

Not und die Unterdrückung ihrer Religion hatten sie dazu getrieben, ihre ärmlichen Hütten zu verlassen, um sich hier auf den Ruf Ashizuka Chūemons und seiner Krieger hin zu versammeln. Der Überraschungsangriff Miwake Tōbeis versetzte sie in solch eine Kampfesstimmung, wie selbst eine flammende Predigt Shirōs es kaum vermocht hätte.

Ashizuka begriff, dass es keine andere Möglichkeit gab, als sofort zur Burg von Tomioka zu ziehen, wo Miwake schon viel zu viel Zeit gehabt hatte, sich mit seinen Männern zu verschanzen. Auf Amakusa musste das gleiche getan werden, was Mori Sōi zur selben Zeit in Shimabara versuchte: Eine Festung zu erobern und somit ein Symbol der feindlichen Macht auszulöschen. Damit würde der wirkliche Krieg beginnen. Gemeinsam mit Moris Leuten würde man Shimabara hinter sich lassen, nach Norden ziehen, um die Provinz Hizen zu erobern. Von da an würde man in Edo den Bauernaufstand sehr ernst nehmen, und man konnte hoffen, dass auf dieser Grundlage ein Dialog mit den Mächtigen möglich sein würde. Allein der Gedanke daran ließ Ashizuka erschauern. Der heutige Tag hatte dazu geführt, dass plötzlich eine klare Strategie für die Rebellen vorhanden war. Endlich wusste er, wie die ursprünglichen Pläne mit dem unerwarteten Beginn des Aufstands auf Shimabara in Einklang gebracht werden konnten. Der Anführer der Rōnin erklärte den Kriegern, die seinen Führungsstab bildeten, ausführlich die weitere Vorgehensweise.

Shirō wusste, dass er sich in einen Plan einfügen musste, der bereits Wirklichkeit wurde und in dem er die Rolle der Galionsfigur spielen sollte. Shigenobu hatte ihm den ursprünglichen Plan bereits auf ihrer Reise von Nagasaki nach Amakusa erläutert. Er war aus tiefsten Herzen damit einverstanden, auch wenn es ihm noch nicht möglich war, die ganze Tragweite seiner Rolle zu erfassen.

Männer, deren energische Haltung und kriegerische Ausstaffierung erwarten ließ, dass sie in der großen Menge Gehör finden würden, wurden ausgewählt, den Beschluss zum Angriff im Lager zu verkünden. Die Aufständischen sammelten sich daraufhin um den kiefernbestandenen Hügel, auf dem sich Shirō und der Führungsstab eingerichtet hatten. Mehrere der inzwischen formierten Abteilungen wurden beauftragt, sich zunächst noch einmal in das von seinen Bewohnern verlassene Hinterland zu begeben. Sie sollten aus den Reisspeichern, in denen die Obrigkeit die Abgaben der Bauern gelagert hatte, alles mitnehmen, was noch an kostbarem Getreide vorhanden war, nachdem die Aufständischen sie zunächst wenig systematisch geplündert hatten. Um die Tausenden Rebellen versorgen zu können, mussten bereits jetzt Vorkehrungen getroffen werden. Sie hatten nur das aus ihren Dörfern mitgenommen, was sie in aller Eile zusammenraffen konnten, und nicht wenige hatten sich ihnen angeschlossen, die gar nichts besaßen und bereits jetzt Hunger litten. Außerdem sollten die Trupps Waffenlager ausfindig machen, deren Bewacher töten und so viele Waffen wie möglich herbeischaffen.

Unterdessen marschierten mehr als viertausend Rebellen nach Norden, angeführt von Shirō und seiner Leibgarde. Sie kamen nur langsam vorwärts, da Rücksicht auf die Alten und die Kinder genommen wurde. Nur einige Hundert besaßen Gegenstände, die als Waffen gelten konnten: Stöcke, Sicheln, Messer, Hacken, Mistgabeln, Piken, Fischernetze und verschiedenes Ackergerät. Noch weniger führten echte Waffen mit sich: Schwerter, Lanzen, Bögen, Ketten, Teile von Rüstungen, die man in ersten Scharmützeln erbeutet hatte oder die jahrelang in Verstecken gelegen hatten, seit der Zeit, als sich viele alte Samurai, Christen wie Nichtchristen, gezwungen sahen, ein hartes Dasein als Landmann oder Fischer zu fristen, um überleben zu können.

Die Brüder Ōye waren mit einem großen Trupp in Richtung Osten aufgebrochen, um den auf der Insel Kamishima gelegenen Ort Kozura und in der Folge Ōyano zu erreichen. Dort wollten sie einen möglichen Angriff aus der Provinz Higo abfangen, die sich auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht befand. Zwar wusste man nichts von den Boten, die aus Shimabara nach Kumamoto ausgesandt worden waren, um Hilfe herbeizurufen, aber Ashizuka Chūemon als ein erfahrener Krieger rechnete mit dieser Reaktion Tanakas, nachdem dessen Burg belagert wurde. Außerdem hatte er Shirō – unter Schwierigkeiten – davon überzeugen können, dass man mit dem Vormarsch beginnen musste, ohne weiter darauf zu warten, dass seine Familie endlich zu ihnen stieß. Je mehr Zeit verstrich, desto größer wuchs ein schrecklicher Verdacht in ihm … Wie würde der Tendō reagieren, wenn er davon erführe, dass den Seinen etwas zugestoßen sei? Das war ein Grund mehr für Ashizuka gewesen, die Brüder Ōye an der Küste gegenüber Higo Stellung beziehen zu lassen. So würde niemand die Bucht unentdeckt überqueren. Er hoffte inständig, dass sein Verdacht sich nicht bestätigen würde. Gott durfte sie jetzt nicht im Stich lassen.

 

Nun aber schob Ashizuka alle Gedanken und Befürchtungen beiseite. Im Moment gab es nur ein Ziel: Die Festung von Tomioka musste fallen!

Auf der Landspitze von Tomioka hatten die Männer, denen der Festungskommandant Miwake Tōbei befohlen hatte, von den Türmen der Burg Ausschau zu halten, die Vorhut der Rebellen gesichtet, die mit unverkennbaren Absichten auf sie zu marschierten. Mit jeder Stunde kamen sie deutlich näher. Noch war die Verblüffung größer als die Furcht, als sie ihren Vorgesetzten davon unterrichteten. Doch Miwake wusste bereits, dass er die Bedrohung nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte. Die Berichte, die ihm seine Späher zutrugen, besagten, dass der Strom der Rebellen nicht abriss und immer stärker wurde. Noch immer hatte er keine Anweisungen von seinem daimyō aus Karatsu erhalten, obgleich er ihn bereits hatte informieren lassen, als seine Spione ihn von der Ankunft Masuda Shirōs auf der Insel unterrichtet hatten, was er als bedrohliches Zeichen wertete. Er beschloss daher, im Schutz der Dunkelheit Boten nach Kumamoto, das im Osten lag, auszusenden, und auch dort um die Entsendung von Hilfstruppen zu bitten. Er ahnte nicht, dass sein zweites, in aller Form abgefasstes Hilfeersuchen zu spät kam: Die Boten aus Shimabara waren den seinen zuvorgekommen. Shimizu Hōki, der Kommandant von Kumamoto in Abwesenheit seines daimyō Hosokawa Tadatoshi, hatte bereits viertausend Mann nach Kawajiri, direkt gegenüber von der Stadt Shimabara, entsandt. Damit waren seine Möglichkeiten erschöpft, zumal Shimabara näher an Kumamoto lag als die Insel Amakusa. Würde ein Kampfbefehl aus Kumamoto kommen, dann zweifelsohne nicht zur Rettung Tomiokas.

Miwake Tōbei atmete tief die frische Meeresluft ein. Er konnte nichts tun als abzuwarten und mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, dem bevorstehenden Angriff zu widerstehen. Auch in dieser Nacht fand er nicht mehr Schlaf als in den vorherigen Nächten.

8

Amakusa, Ende Dezember 1637

Der daimyō Terasawa Katataka, Herr über die Insel Amakusa, stellte, kaum dass das Hilfeersuchen Miwake Tōbeis ihn erreichte, ein Expeditionskorps von fünftausend Kriegern auf. Das Kommando führten Harada Iyo, Okajima Jerōzaimon, Okajima Hichirōzaimon und Sawaki Hichirōbei. Auf siebenunddreißig Dschunken, begleitet von zahlreichen Frachtkähnen, setzten die Truppen von Karatsu aus über die Meerenge von Hirado über. Zwei Tage später hatten sie Amakusa erreicht. Terasawa wollte um keinen Preis zulassen, dass diese unerhörte Rebellion sich in seinem Lehensgebiet ausbreitete. Er hatte bereits gegenüber Edo Rechenschaft ablegen müssen, wie es zu ihrem Ausbruch hatte kommen können.

Die Rebellen hatten mit der Hilfsflotte gerechnet und standen an der Küste bereit. Für eine offene Schlacht waren sie zu wenige, aber sie hatten das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Zwar gelang es dem Großteil der Soldaten des daimyō, an Land zu gehen, aber die Rebellen fügten ihnen bei der Landung einige Verluste zu und konnten die Schiffe mit Ausnahme einer einzigen Dschunke in Brand setzen, die sofort mit zahlreichen Verletzten an Bord wieder in See stach. Die Rebellen zogen sich nach ihrem Erfolg unverzüglich zurück. Die verbleibenden Hilfstruppen sammelten sich und marschierten in das fünf ri entfernte Hondo. Doch als Harada Iyo erfuhr, dass das Dorf bereits weitgehend verlassen und viele seiner Einwohner auf der Straße von Tomioka in Richtung Shiki unterwegs waren, entschied er sich, einen Teil seiner Leute ohne Verzögerung zur Festung weitermarschieren zu lassen, um den etwa vierhundert dort Eingeschlossenen zur Hilfe zu eilen. Die Schnelligkeit der aus Karatsu gekommenen Truppen überraschte die Christen, die noch zu schlecht organisiert waren, um die Soldaten auf ihrem Weg abfangen und daran hindern zu können, zur Burg von Tomioka durchzubrechen.

Harada Iyo, der ein guter Stratege war, ließ den Großteil seiner Männer in Hondo. Er wusste, dass sich Einheiten der Rebellen auf Kamishima befanden, die dort eventuelle Hilfstruppen aus östlicher Richtung abfangen sollten. Von Hondo aus würde es möglich sein, die auf der Nachbarinsel lagernden Rebellen überraschend anzugreifen. Sollten hingegen Aufständische von Kamishima auf Amakusa übersetzen, um die Belagerer von Tomioka zu unterstützen, so würde ihr Weg durch Hondo führen, wo man ihnen einen blutigen Empfang bereiten würde.

Miwake hatte unterdessen erfahren, dass für die Regierung der Provinz Higo die Verteidigung Shimabaras Vorrang besaß und dass er keine Hilfe von Shimizu Hōki, dem Herrn der schwarzen Burg von Kumamoto, zu erwarten hatte. Die Krieger aus Karatsu waren seine einzige und letzte Chance.

Ashizuka glaubte nicht, dass sie die belagerte Burg im Handstreich würden nehmen können. Die Belagerung würde Zeit kosten. Zunächst einmal brauchten die Aufständischen eine Ruhepause, um sich besser zu organisieren. Er hatte diejenigen zählen lassen, auf die er sich bei einem Angriff wirklich verlassen könnte. Mehr als die Hälfte der Männer würden in einem Kampf derzeit keine wesentliche Rolle spielen. Unter den fähigen Kämpfern befanden sich genau einhunderteinundvierzig Männer mit Musketen. Er vermutete, dass sie hinter den Mauern der Festung eine wesentlich größere Zahl Musketen erwartete, bereit, ein Massaker unter den Seinen anzurichten, sobald er den Angriff befahl. Wie würden die nicht im mindesten kampferprobten Bauern reagieren, wenn ringsumher ihre Kameraden im Kugelhagel fielen?

In den nächsten Tagen hielt der Zustrom an Rebellen aus den Dörfern der Insel an. Weitere Tausende Männer, Frauen und Kinder, von denen die meisten nur das, was sie auf dem Leibe trugen, besaßen. Alle alten bushi waren eifrig damit beschäftigt, Freiwillige im Umgang mit Waffen auszubilden.

Eines Morgens wurden Ashizuka, Yamada, Shigenobu und andere Mitglieder von Shirōs Führungsstab vom Anblick einer weißen Fahne mit rotem Kreuz überrascht, die im Lager aufgepflanzt worden war. Einige Aufständische hatten sie aus grober Leinwand gefertigt. Man rief Shirō herbei, der den Fahnenschaft aus dem Boden zog, das Banner hoch erhob und in alle Richtungen schwenkte, nachdem er eine segnende Geste gemacht hatte. Überall ertönten Freudenrufe, und christliche Gesänge wurden angestimmt. Shirō ging von Gruppe zu Gruppe, legte kleinen Kindern, die bei ihren Müttern auf dem Arm saßen, die Hand auf den Kopf und ebenso Männern, die auf die Knie gesunken waren und zu ihm mit Bewunderung in den Augen aufblickten.

Die Rebellen von Amakusa hatten das Banner gefunden, unter dem sie kämpfen würden. Und sie begannen sogleich, nach Material zu suchen, aus dem sie weitere herstellen könnten.

Es war Ashizuka Chūemon nicht schwergefallen, einigen nichtchristlichen Bauern, die ohne großen Enthusiasmus mitgekommen waren, als die Dörfer sich leerten, weismachen zu lassen, dass sich das Gros der Rebellen noch in Shimako befand, zwischen dem Meer und dem Gebirge, ein gutes Stück östlich von Tomioka. Dort, so ließ er verbreiten, versuchte man schon seit Tagen, ein wenig Ordnung in die Menge der vielen Tausend Bauern zu bringen, die schließlich ernährt und motiviert sein wollten. Der Feind, der aus Karatsu gekommen war, dürfe unter keinen Umständen von diesem Mangel an Vorbereitung erfahren! Er könnte sonst mit einem blitzartigen Angriff die Rebellion mitten ins Herz treffen.

Der Anführer der Rōnin gab Anweisung, dass die Wachposten, die um das Lager herum aufgestellt waren, so tun sollten, als würden sie nicht bemerken, wenn ein paar Überläufer sich im Schutze der Nacht davonstahlen. Von seinem Zelt aus konnte er beobachten, wie einzelne Schatten sich in Richtung der Festung bewegten, bis sie mit dem Dunkel der äußeren Wälle verschmolzen. Die Botschaft war an ihrem Ziel, und den Rebellenführern blieb nun noch genug Zeit, die Einzelheiten des Plans, der Ashizukas Kopf entsprungen war, zu entwickeln.

In wenigen Tagen war Weihnachten, und Gott würde mit Shirō und den Seinen sein!

9

Shimabara, Ende Dezember 1637

In der Burg Moritake in Shimabara wurde die Lage der eingeschlossenen Soldaten und Flüchtlinge aus der Stadt allmählich schwierig. Okamoto schlug Tanaka Sodayou vor, einen Ausfall zu wagen. Die Männer, eskortiert von berittenen Samurai, sollten versuchen, nach Miemura, einem nördlich der Burg gelegenen Dorf, zu gelangen und dort die Getreidereserven, die für die Versorgung der Stadt bestimmt waren, zu erbeuten. Der Ausfall gelang, aber die Belagerer hatten die Überraschung schnell überwunden, und bei der Rückkehr der Männer stellten sich ihnen Hunderte Bauern in den Weg. Mehr als zweihundert Männer wurden getötet. Die Reissäcke, die sie auf dem Rücken herbeigeschleppt hatten, blieben am Ort des Gefechts. Die Bauern nahmen den Opfern unverzüglich Waffen, Rüstungsteile und Musketen ab. Der verzweifelte Ausfall hatte den Rebellen wertvolle Waffen und unerwartete Lebensmittelvorräte beschert und sie in ihrer Siegeszuversicht noch bestärkt.

Tanaka Sodayou würdigte die Berittenen, denen die Rückkehr aus Miemura geglückt war, keines Blickes. Nur dank eines weiteren Ausfalls der Belagerten war es ihnen gelungen, auf die Burg zurückzukehren, deren Tore hinter ihnen in größter Eile wieder verschlossen und verriegelt werden mussten. Viele von ihnen waren verletzt. Der Kommandant kochte vor Wut, zum einen, weil der Beutezug, den Okamoto, sein Stellvertreter, auf die Beine gestellt hatte, so miserabel vorbereitet worden war und zum anderen, weil seine Krieger gegenüber diesen Bauern dermaßen kläglich versagt hatten. Es war nun offenkundig, dass sie sich aus dieser Falle nicht aus eigenen Kräften befreien konnten.

Der Fehlschlag war von verheerender Wirkung auf die Moral seiner Krieger. Hinzu kam, dass die entfesselten Rebellen, getragen von einer mörderischen Energie, die ihnen niemand zugetraut hätte, die panisch Flüchtenden bis an den Fuß der Burgwälle verfolgt hatten und dass sie fast die Tore in ihre Gewalt gebracht hätten. Nur ein wahrer Hagel aus Pfeilen und Bleikugeln hatte sie mit letzter Not dazu gebracht, sich zurückzuziehen.

Das Trauma war so groß, dass einige Tage später, als die Hilfsflotte, die Shimizu Hōki aus Higo entsandt hatte, an der Hafeneinfahrt anlangte, Okamoto, überzeugt, es handele sich um eine List des Feindes, den Schiffen die Einfahrt verwehren ließ. Er hatte es nicht einmal für nötig gehalten, Tanaka davon zu unterrichten. Und so entfernten sich die kostbaren Vorräte an Reis und Früchten wieder von der Küste.

Es schien kein Zweifel zu bestehen: Die Zeit arbeitete für die Rebellen.

Vor der Burg von Shimabara lagerten mittlerweile mehrere Tausend Bauern, Bettler und Krieger, die von überallher gekommen waren. Es waren keineswegs allesamt Christen, aber alle waren sie entschlossen, den Druck auf die Belagerten nicht abflauen zu lassen. Sie fühlten, dass eine solche Gelegenheit, sich von ihren Unterdrückern zu befreien, denen sie so lange Zeit hilflos ausgeliefert gewesen waren, niemals wiederkehren würde. Am Anfang war die Überraschung auf ihrer Seite gewesen. Was sie begonnen hatten, mussten sie zu Ende bringen. Sie mussten siegen, zunächst hier, an diesem Ort, dem ersten Hindernis auf ihrem Weg. Siegen oder sterben. Und wenn sie sterben müssten, dann sollte es besser durch ein Schwert, einen Pfeil oder eine feindliche Kugel geschehen als durch die Folter, die sie erwartete, sollten sie dem Feind in die Hände fallen.

Für die Rebellen war Mori Sōiken ein Anführer, zu dem sie voll Achtung aufblickten. Im Moment war er sich jedoch im Unklaren über die nächsten Schritte. Er musste rasch Entscheidungen treffen, wollte er nicht von den Geschehnissen überrollt werden. Sein Sohn Yoshinao war von Amakusa zurückgekehrt. Er wusste also, welche Wirkung die Ankunft des jungen Shirō auf die Insulaner ausgeübt hatte und dass Ashizuka nun Tomioka- belagerte, den Hauptstützpunkt des Feindes auf der Insel. Aber auch dort würde der Sieg nicht von heute auf morgen errungen werden.

 

Mori Sōiken war froh, dass er den alten Shashi Kizaemon nun an seiner Seite wusste, den Blinden aus Fukaiemura, geachtet von allen ob seiner Vergangenheit als großer Samurai. Dessen Anwesenheit verlieh ihm in den Augen der Belagerer zusätzliche Glaubwürdigkeit in dem – nüchtern betrachtet – aberwitzigen Unterfangen, Moritake einnehmen zu wollen. Doch Mori hätte sich entschieden besser gefühlt, wären auch seine vier engsten Kameraden, die anderen Rōnin, jetzt bei ihm gewesen, ganz zu schweigen von Shirō, ihrem gottgesandten Anführer in diesem Abenteuer. Die Verantwortung, die er in dieser heiklen Lage ganz allein trug, zermürbte ihn, und jede Stunde, die verstrich, ließ das Gefühl des Alleinseins in ihm wachsen.

Die Garnison von Moritake- konnte noch lange einer Belagerung widerstehen. Tanaka Sodayou würde seinen Männern niemals gestatten, sich zu ergeben. Er würde sich mit seinen Samurai bis zum letzten Mann schlagen. Er hatte gar keine andere Wahl, als sich gemeinsam mit ihnen für seinen daimyō zu opfern.

Falten furchten die Stirn Mori Sōikens, und seine Chon-mage-Frisur hatte den frischen Glanz verloren, den er ihr voll Stolz während der Ereignisse von Fukaiemura verliehen hatte. Sein Blick war finster. Mehrere Gruppen seiner Männer waren in der Stadt und der Umgebung von Shimabara unterwegs gewesen, ohne viel Nahrung für die Menge der sich um die Burg drängenden Belagerer zu finden. Doch das war nicht seine größte Sorge. Was ihn bedrückte, war der Gedanke, dass ohne einen raschen Erfolg der Belagerung ein böses Erwachen drohte. Die Nachricht vom Aufstand musste Edo inzwischen erreicht haben. Der daimyō der Provinz Hizen war zweifelsohne bereits im Eilmarsch auf dem Weg aus der Hauptstadt zu seiner Burg, ausgestattet mit weitreichenden shōgunalen Vollmachten. Es konnte nur noch wenige Wochen, vielleicht sogar nur einige Tage dauern, bis er mit seiner bestens gerüsteten Streitmacht herbeikäme, um die Ordnung wiederherzustellen. Dann würde der Ort sich in eine Falle für die Belagerer verwandeln. Bislang hatten Mori Sōikens berittenen Späher, die er nach Norden ausgesandt hatte, noch keine beunruhigenden Truppenbewegungen vermeldet, aber die Hilfsflotte, die Shimizu Hōki aus Higo geschickt hatte und die zur Zeit auf hoher See abwartete, nachdem ihr irrtümlich die Einfahrt in den Hafen verwehrt worden war, war Grund genug, sich Sorgen zu machen. Der Irrtum würde sich bald aufklären, und es konnte nur noch Stunden dauern, bis die Schiffe voll Lebensmittel und frischer Kräfte der Burg neues Leben und neue Hoffnung spenden würden.

Mori Sōiken nahm wieder seinen Platz im Kreis der Anführer ein. Einige davon hatte er bereits am ersten Tag berufen. Andere, wie Shashi Kizaemon, verfügten über eine natürliche Autorität, welche niemand in Frage stellte. Sie lagerten etwas zurückgezogen hinter der Linie, auf der Belagerer und Belagerte den ganzen Tag über Schmähungen austauschten, was von Zeit zu Zeit zu kurzen, wütenden Angriffen der Rebellen führte, die allesamt blutig zurückgeschlagen wurden.

Seit Tagen schon häuften sich die Toten vor den Mauern der Festung, andere schwammen im Wasser der Gräben. Schwer zu ertragender Leichengestank lag in der Luft. Wer verletzt war, blieb, zum sicheren Tode verurteilt, zurück, denn die Salven der Verteidiger vereitelten alle Rettungsversuche. Die Männer und Frauen, die dennoch versuchten, ihre verletzten Gefährten in Sicherheit zu bringen, bezahlten ihren verzweifelten Mut ausnahmslos mit dem Leben. Wer nicht sofort starb, musste stundenlange Agonie durchleiden, verlassen zwischen den Mauern von Moritake- und den vordersten Reihen der Christen, die durch die Bogen- und Musketenschützen der Burg auf Abstand gehalten wurden. Die Frische der Nacht linderte den Gestank des Todes ein wenig, aber das Stöhnen der Verwundeten ließ sich dann noch schwerer ertragen als am Tage und untergrub die Moral der armen Teufel, die nichts von dem tagtäglichen Grauen des Krieges geahnt hatten.

Es war bereits spät in der Nacht, aber noch immer loderten, so weit das Auge blicken konnte, die Lagerfeuer. Sie brannten die ganze Nacht, in der großen Stille, die auf das lärmende Durcheinander des Tages folgte. Einige Priester versuchten noch, die Christen zum Beten zu bewegen, doch mehr als ein verängstigt klingendes Gemurmel, das schon bald wieder abklang, riefen ihre Bemühungen nicht hervor. Es war, als ob jedermann seine Wunden leckte, versuchte, mit seinen Zweifeln ins Reine zu kommen, in sich zusammengerollt, um sich im Dunkeln den Blicken der Dämonen zu entziehen, die diese düsteren Stunden gebären würden.

»Nun also«, knurrte Mori nach langem Schweigen. Er fühlte, dass seine Gefährten gespannt auf seine Worte warteten. Sie schienen voll Hoffnung, dass er sie von der großen Ratlosigkeit befreien würde, die nach einem weiteren Tag blutiger Gefechte herrschte, dessen einziges Ergebnis die weitere Dezimierung ihrer besten Krieger war. Er räusperte sich, um gelassen zu erscheinen. Niemand sollte ihm seine Unsicherheit anmerken.

»Ich glaube, es ist nicht gut gelaufen bis jetzt«, sagte er. Niemand zeigte eine Regung. »Ich will sagen, wir verlieren Zeit.«

»Sou desu!« rief einer seiner Samuraianführer. »Wir scheinen hier einfach darauf zu warten, dass die Truppen von Matsukura im Eilmarsch hier eintreffen. Ich bin ganz deiner Meinung!«

Ein anderer warf ein: »Der daimyō muss bereits unterwegs sein.«

»Ohne Kanonen können wir nicht einmal durch die äußeren Wälle gelangen«, bemerkte wieder ein anderer.

»Und wenn wir unser Musketenfeuer auf einen bestimmten Bereich des Walls konzentrieren, dort Leitern anlegen und dann unsere Männer, die bis zuletzt in der Deckung gelegen haben, die Festung stürmen lassen?«

Alle wandten sich dem Samurai Unno Matajūrō zu, der diesen Gedanken geäußert hatte. Auf den ersten Blick schien dies gar nicht so abwegig zu sein. Aber Zensaburō Shiota dämpfte die Erwartungen: »Ihr wisst, welcher Abstand uns vom Fuß der Mauer trennt! Und Ihr wisst auch, wie erschöpft unsere Männer nach all diesen Tagen der Belagerung sind!«

»Aber es gibt immerhin noch genug für alle zu essen!«

»Das ist es nicht, was ich meine. Das ist nicht das Problem – noch nicht. Unseren Männern fehlt die Ausbildung. Das ist alles zu schnell gekommen. Und dann – diese Frauen und Kinder überall, die durch ihre bloße Anwesenheit verhindern, dass ein befohlener Angriff so ausgeführt wird, dass wenigstens eine Chance auf Erfolg besteht.«

»Shiota hat recht«, sagte Mori, »mit diesem tödlichen Durcheinander muss Schluss gemacht werden, auch wenn unsere Männer am liebsten zu jeder Stunde einen neuen Angriff führen möchten. Wir müssen die Zeit für die Ausbildung nutzen. Lasst uns hierfür aus jeder Gruppe die Besten nehmen.«

»Du weißt sehr wohl, dass uns die Zeit fehlt, irgendeine Art von Effektivität zu erreichen«, widersprach Unno. »Jeder will der erste sein, der in die Burg gelangt. Es ist unmöglich, die Leute zur Vernunft zu bringen. Unmöglich, eine wirksame Aktion auszuführen.«

»Unno-san verkündet uns eine Wahrheit, die wir alle kennen. Aber wenn wir auf diese Weise weitermachen, wird vor den Mauern dieser verfluchten Burg ein solcher Berg an Leichen entstehen, dass unsere Männer bei seinem Anblick am Ende alle Hoffnung verlieren und uns verlassen werden. Ihnen die Messe zu lesen und die großen Kreuze unter Gesängen durchs Lager zu tragen, wird sie nicht davon abhalten können, so eifrig unsere Priester auch sein mögen!«

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