Amakusa Shiro - Gottes Samurai

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Ja, wenn du die Gelegenheit beim Schopf ergreifst und wenn du es wirklich willst, Masuda Shirō, kleiner Shirōdayou, wirst du morgen Shirō von Amakusa sein, der Gesandte des Yaso Kirishito, des Gottes der Christen. Du wirst Gottes Samurai sein! Die Saat wurde vor langer Zeit gelegt. An dir ist es zu ernten. Du musst nur vor ihnen erscheinen …

Der alte Samurai, dessen graue Haaren in dem Wind flatterten, der von der Bucht von Chi Chiwa her wehte, gab seinem Pferd die Fersen, um auf Höhe des Jünglings zu gelangen. Hoch aufgerichtet saß er in seinem Sattel. Ein Stück hinter ihnen unterhielten sich die beiden Krieger, die sie begleiteten, mit leiser Stimme.

»Eure Freude gefällt mir, Shirō … Ich führe euch dorthin, wo sehr viele Eures Wissens und Eurer Jugend bedürfen, und all dessen, was Ihr für die Tausenden kirishitan dieser Inseln darstellt …«

Der Rōnin hatte beschlossen, ihn, der von diesem Tag an kein Kind mehr war, sondern ein mit einer Mission betrauter Gesandter des Himmels, von nun an in der Höflichkeitsform anzusprechen. Und auch dies schien Shirō nicht im geringsten zu überraschen, der seinerseits auf die gleiche Weise wie immer zu ihm sprach.

»Ich weiß nicht recht, Shigenobu … Manchmal erwache ich aus blutigen Träumen. Aber hier, an diesem prächtigen Morgen, will ich an nichts als den Frieden zwischen den Menschen und an die Liebe des Yaso Kirishito denken.«

Matsura wollte etwas entgegnen, aber dann entschied er sich zu schweigen. Er wunderte sich, wie selbstverständlich und ernsthaft Shirō von der Liebe Christi sprach, nachdem er die Rolle, die ihm zugedacht war, erwähnt hatte. Welch eine unerwartete Reife dieses jungen Menschen drückte sich darin aus! Er kam nicht umhin, von neuem an die Hankan-Prophezeiung zu denken. War es wirklich möglich …?

»Morgen werden wir auf Amakusa anlangen, junger Meister«, sagte Shigenobu schließlich, »und Ihr wisst, weshalb. Ihr werdet nicht allein sein. Ihr erinnert Euch gewiss an Mori Sōiken, an Yamada Emonsaku, an Ōye Genyemon und seinen Bruder und an Ashizuka, den Freund Eures Vaters, der als erster an Euch gedacht hat?«

Ashizuka Chūemon, der Sohn des ehemaligen christlichen Kommandanten der Festung von Udo in der Provinz Higo zu Zeiten des daimyō Konishi Yukinaga, war auch ein Bauer auf der Halbinsel Shimabara geworden, nachdem er die Schmach erlitten hatte, ein Samurai ohne Meister geworden zu sein. Der Jüngling senkte plötzlich den Blick und starrte auf den Sattelknauf.

»Aber ja doch.«

»Ihr dürft nicht zweifeln!«

»Ich werde keine Zweifel mehr haben; morgen, Shigenobu …«

»Niemand kann seinem karma entrinnen, Shirō.«

»Hai … Du hast recht. Lass mir nur noch etwas Zeit.«

»Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Morgen werdet Ihr einen Sturm auf Amakusa heraufbeschwören. Und ich bin stolz auf Euch! Eure Mutter und Eure Schwester werden auf Eure Rückkehr warten. Sie erwarten alle Eure Rückkehr, in Ōyano!«

»Du bist ein harter Mann, Shigenobu. Ich werde ihnen allen den Tod bringen. Du weißt es.«

Tatsächlich, Shirō hatte seine Mission begriffen …

»Im Herzen eines wahren Samurai ist kein Platz für Schwäche!«

»Mitleid und Nächstenliebe sind kein Ausdruck von Schwäche, Shigenobu! Unser Gott ist Liebe! Dass wir selbst töten, ist wohl nicht die Antwort, die er von uns erwartet.«

»Verzeiht«, sagte der alte Samurai, der ein Lächeln verbergen musste. Er hatte Shirō bewusst provoziert und die gewünschte Reaktion erhalten. Der Jüngling hatte sich ihm zugewandt und die letzten Worte mit erhobener Stimme ausgesprochen. In seinen Augen lag eine große innere Kraft. Das war sein Shirō, aber vielleicht zugleich auch jemand ganz anderes …

»Du weißt, was in mir vorgeht, Shigenobu«, sagte Shirō, nachdem er seine Ruhe wiedergefunden hatte. »Es ist mir nicht unbekannt, dass der Zorn Gottes furchtbar sein kann. Wenn es so sein muss, dann ist dies sein Wille; ich werde mich ihm nicht widersetzen. Ich werde zu kämpfen wissen; auch das weißt du!«

»Allen voran, mein junger Herr.«

»Hai! Allen voran.«

»Zeigt uns die Richtung; wir werden folgen. Unser Herr braucht Samurai. Ihr werdet der erste unter ihnen sein! Denkt an unsere Märtyrer … Lieber wollen wir im Kampf für unseren Glauben sterben, als unter der Schmach der Folter!« ergänzte Matsura lebhaft, während er die Hand aus Holz, die an seinem linken Unterarm befestigt war, hob.

Er hatte seine Hand einst in den Schwefelwassern des Unzen-Gebirges verloren, unter schier endlosen, grässlichen Qualen. Aber er hatte Glück gehabt, nichts weiter als die Hand verloren zu haben, während er an jenem Tag viele seiner Kameraden, die sich gleich ihm geweigert hatten, dem christlichen Glauben abzuschwören, sterben sah. Die Folterknechte hatten ihm unter Gelächter angekündigt, dass er ein Glied nach dem anderen verlieren würde. Am kommenden Tag würde man ihm die rechte Hand amputieren, danach den linken Fuß, dann den rechten … Wenn er dann im Zustand einer Raupe sein würde, würde man ihn sich selbst überlassen. Vielleicht würde man ihm aber auch die Gnade erweisen, ihm den Kopf abzuschneiden. Ein junger Samurai, angewidert von der unmenschlichen Behandlung, die man den alten Kriegern zuteil werden ließ, deren Verhalten in der Vergangenheit beispielhaft gewesen war, »vergaß«, die Tür der Zelle, in die man Shigenobu geworfen hatte, zu schließen, so dass dieser vor dem Morgengrauen entkommen konnte. Der alte Samurai war davon überzeugt, dass die Heilige Jungfrau selbst ihn beschützt hatte, und sein Glaube wurde fester als je zuvor. Seibe, der Zimmermann seines Dorfes, schnitzte ihm eine Hand aus Hartholz und befestigte sie mit einem Lederriemen am Armstumpf. Zuvor hatte er jedoch das Handgelenk amputieren und die Wunde ausbrennen müssen …

Bis zum heutigen Tag, nach all den Jahren, kehrten die Schmerzen regelmäßig zurück, stechend und brennend, und erinnerten ihn daran, was ihm die Folterknechte Terasawa Katatakas zugefügt hatten.

Masuda Shirō presste die Schenkel hart gegen die Flanken seines Reittieres, so dass es durch die Bresche im Felsenkamm des Berges sprengte. Überrascht bedeutete Matsura Shigenobu seinen Männern zu folgen und trieb sein Pferd ebenfalls an.

Er war plötzlich beunruhigt, denn er hatte an Shirō eine Zerbrechlichkeit wahrgenommen, die Zweifel in ihm aufkeimen ließ. Würde der Junge sich unentschlossen zeigen, wenn er sich tatsächlich an der Spitze all dieser Krieger sah, die nur darauf warteten, dass er sie in die kommende Schlacht führte? Oder würde er den Aufruhr seiner Gefühle überwinden und seine Schwäche in Kraft verwandeln können? Denn natürlich würde man töten müssen …

Bald, sehr bald würde er es wissen. Es war zu spät, an ein Zurück zu denken. Die Lunte brannte schon. Er hatte zu denen gehört, die ihre Wahl auf den Heranwachsenden hatten fallen lassen, trotz seines Mangels an Erfahrung, oder vielleicht sogar aufgrund seiner Unerfahrenheit. Nicht wenige glaubten, dass Shirō nichts weiter als ein leicht zu lenkender Bannerträger sein würde. Aber an diesem prächtigen Morgen war er, Shigenobu, zu der Überzeugung gelangt, dass Shirō tatsächlich der im Hankan angekündigte Tendō sei. Sein christliches Herz konnte sich nicht irren. Er glaubte es auch aus Freundschaft zu dessen Vater Jinbei, seinem einstigen Waffenbruder bei den christlichen Truppen des daimyō Konishi. Wie Shigenobu unmittelbar vor seiner Reise nach Nagasaki erfahren hatte, war Jinbei vor wenigen Tagen den Märtyrertod gestorben. Shirō wusste es noch nicht, und er würde ihm die schreckliche Nachricht noch überbringen müssen. Aber jetzt war wirklich nicht der Moment dafür. Der alte Samurai würde auf Shirō nicht weniger achtgeben, als zuvor dessen Vater. Müsste es sein, würde er sich für ihn töten lassen. Ob er nun der Sohn Jinbeis sei oder der Gesandte des Himmels …

Masuda Shirō ließ die Zügel locker. Vom Zwang befreit, galoppierte das Pferd den abschüssigen Pfad hinab, so dass die Kiesel unter seinen Hufen in alle Richtungen stoben. Der Weg führte zum vereinbarten Treffpunkt in Hayami, wo die Reiter ein Boot erwartete, das sie über die Bucht von Chi Chiwa bringen würde. An einen Ort hinter dem Tempel von Toishi.

Plötzlich traf ein greller Lichtstrahl, der seinen Weg durch das Laub der Bäume gefunden hatte, Shirōs Pferd direkt in die Augen. Das Pferd stolperte, als hätte es einen Schlag erhalten, und seinen Reiter schleuderte es im Sattel ein Stück nach vorn.

In eben diesem Moment flog ein langer Pfeil mit einem seidigen Sirren unmittelbar am Rücken des Jünglings vorüber. Gleichzeitig erscholl ein Warnruf Matsura Shigenobus. Shirō saß wieder sicher im Sattel und versuchte sofort, sein Pferd in den Schutz des Unterholzes zu treiben, doch das Tier bäumte sich, verwirrt vom plötzlichen Richtungswechsel, auf. Der zweite Pfeil traf es mitten in die Brust. Vor Schmerz aufwiehernd stürzte es zu Boden. Sein Reiter flog über den Hals des Pferdes und rollte über den Boden. Um Haaresbreite wäre er unter den schweren Körper des mit allen vier Hufen in die Luft ausschlagenden Tieres geraten.

Matsura, gefolgt von seinen beiden Samurai, stürmte bereits unter wildem Geschrei in Richtung des unsichtbaren Feindes. Die drei Reiter waren bereits in weiter Entfernung, als Shirō, vom Sturz noch halb betäubt, sich auf den Knien aufrichtete. Er sah Gestalten, die den Weg entlangrannten, und er sah, wie sein alter Diener mehrmals die rechte Hand hob, um in der Sonne glänzende shuriken nach vorn zu schleudern. Zwei Silhouetten, die versuchten, sich ins Unterholz zu flüchten, brachen zusammen, todbringende Wurfsterne aus Eisen im Rücken. Ein dritter Mann erstarrte mitten in der Flucht: Einer der beiden Krieger Shigenobus hatte sein Pferd jäh zum Stillstand gebracht, quer zum Weg, und einen Pfeil abgeschossen, der dem Mann den Hals durchbohrt hatte. Der zweite Samurai war mit einem Sprung abgesessen und focht mit zwei Männern, die versuchten, sich kämpfend zurückzuziehen. Masuda Shirō bemerkte, dass keiner dieser Feinde einen Bogen bei sich führte. Er stand auf, und sein Blick suchte nach dem Heckenschützen, während ihm das Herz bis zum Halse schlug.

 

Der erste Samurai, der noch den Bogen in der Hand hielt, erspähte ihn endlich. Der Mann kauerte fast unsichtbar auf einer Waldlichtung und hob gerade ein weiteres Mal seine Waffe. Dem Krieger Shigenobus blieb nicht genug Zeit, einen Pfeil aufzulegen. Er riss sein Pferd herum und ritt in vollem Galopp in Richtung des Jünglings, den zu schützen sein Auftrag lautete und der in diesem Moment ein leicht zu treffendes Ziel darstellte. Shirō stand wie benommen neben seinem Pferd, dessen Hinterbeine zuckend den Boden aufwühlten, und bevor er verstehen konnte, was der Reiter schrie, war diesem bereits ein Pfeil tief in die Nieren gedrungen. Der Jüngling sah nur noch einen großen Schatten vor der Sonne, der auf ihn zu stürzte. Während der Samurai sich ein letztes Mal im Staub des Weges überschlug, erscholl in einiger Entfernung ein Todesschrei. Matsura Shigenobu, der alles gesehen hatte, ohne verhindern zu können, dass der Heckenschütze seinen letzten Pfeil verschoss, hatte seinen letzten shuriken voll Wut in den Hals des Mannes geschleudert, der dreimal seinen jungen Meister verfehlt hatte.

Plötzlich herrschte eine sonderbare Stille. Alle Angreifer waren tot. Zu Shirōs Füßen krümmte sich der Samurai, der ihm mit seinem Körper als Schutzschild gedient hatte, roten Schaum vor den Lippen. Er zuckte noch einige Male und erschlaffte schließlich. Der Jüngling starrte bestürzt auf den Mann, der für ihn ohne zu zögern sein Leben gegeben hatte, an diesem Morgen, erfüllt von den angenehmen Gerüchen des Herbstes und einem Gefühl von wiedergefundener Freiheit …

Matsura Shigenobu warf sich vor Shirō auf die Knie, die Hände auf dem Boden, den Kopf tief gesenkt. Der Jüngling schien sich seiner Anwesenheit erst nach einiger Zeit bewusst zu werden.

»Steh auf, Shigenobu«, sagte er.

»Ich hätte es vorhersehen müssen … Das ist alles mein Fehler. Das ist unverzeihlich.«

»Steh auf, Shigenobu, was ist in dich gefahren? Von welchem Fehler sprichst du?«

»Es ist ein Wunder, mein junger Meister! Kein Zufall konnte dich dreimal vor dem Tod bewahren. Das ist ein Zeichen! Ihr seid der Gesandte! Aber wäre ich vorausschauender gewesen, dann hätte ich euch nicht solch einer Gefahr ausgesetzt.«

»Ich weiß nicht einmal seinen Namen«, sagte Shirō leise, als hätte er Shigenobus Worte nicht vernommen, den Blick auf den Toten gerichtet, neben dessen Körper sich eine scharlachrote Lache ausgebreitet hatte, die einen Moment lang in der Sonne schimmerte, bevor die Erde sie aufsog.

»Er war ein echter Samurai. Das, was er getan hat, musste er tun. Er hätte sonst mehr als nur sein Leben verwirkt.«

Shirō blickte jetzt den alten Diener fest an, und aus seinen Augen, die seltsam hell geworden waren, als wohnte ein Licht in ihnen, sprach wilde Entschlossenheit. »Ich weiß. – Und jetzt sag mir seinen Namen.«

»Manabu Tani. Er hätte sich keinen schöneren Tod erträumen können. Er hat Euch sein Leben geschenkt. Er war zur rechten Zeit da. Das war der Wille des Allmächtigen, der auch in dem Lichtstrahl war, der Euer Pferd hat scheuen lassen und es uns erlaubt hat, rechtzeitig zu handeln. Es war die Hand von Deusu, die auf wunderbare Weise eingegriffen hat.«

Shirō kniete sich neben dem toten Samurai nieder, faltete die Hände und neigte sein Haupt. Shigenobu erhob sich, trat zurück und ließ ihn in Stille beten, überrascht von der Inbrunst und der Kraft, die in diesem Moment von seinem Schützling ausstrahlte. Er war ja selbst einer der vom Shōgunat verfolgten kirishitan, und er fühlte sich vom Glauben durchdrungen. Doch er sah, dass das, was Shirō innewohnte, etwas ungleich Größeres war. Ihn durchflutete eine Woge aus Freude, Bewunderung und Stolz. Shirō war gewissermaßen auch ein wenig sein eigenes Kind, aber derjenige, der in der Mitte des blutbefleckten Weges kniete, war ein Höherer als er, als hätte eine neue Präsenz von ihm Besitz ergriffen. Shirō war nicht länger das Kind, das aus Nagasaki zu holen er geglaubt hatte; ja, er war sogar mehr als ein Mensch geworden. – Würden auch die anderen diese Verzauberung wahrnehmen? Nein, Shirō war nicht ihresgleichen, im Vergleich zu ihm waren sie alle Novizen. Sähe der alte Shashi Kizaemon ihn in diesem Augenblick, er würde nicht länger zögern, sich der Bewegung anzuschließen.

Lange Zeit kniete Shirō neben dem Leichnam seines Retters, vollkommen versunken im stillen Gebet. Hinter ihnen hielt Naitō Tokuan, der zweite Samurai aus Shigenobus Eskorte, die Pferde an den Zügeln und wartete auf Befehle. Endlich bekreuzigte sich der Jüngling, worauf er seine beiden Begleiter wiederzuentdecken schien. Sein Gesicht war tieftraurig.

»Was werden wir mit diesen Männern tun? Vielleicht gibt es Verwundete?«

»Es gibt keine Verwundeten.«

»Ah, ich verstehe … Natürlich … Aber wir werden sie trotzdem nicht einfach so liegen lassen, nicht wahr?«

»Wir sind in Eile, junger Meister. Und ich bin sehr beunruhigt. Ich muss euch rasch nach Amakusa bringen. Wir nehmen Manabu-san bis ins nächste Dorf mit. Ich kenne dort Leute, die zu den Unsrigen zählen. Sie werden ihm ein christliches Begräbnis bereiten«, versprach Shigenobu.

»Und die anderen«, beharrte Shirō und deutete mit einer leichten Kopfbewegung auf die verstreut liegenden Leichen.

»Jene, die uns verraten haben, werden wissen wollen, was geschehen ist. Sie werden sie bald finden.« Shigenobu erhob die Stimme und sagte: »Diese Männer lagen im Hinterhalt. Ihr seid es, dem sie aufgelauert haben. Sie waren bestens unterrichtet. Seht euch diesen hier an, das war ihr Anführer. Sein jingasa trägt das Zeichen des Hauses der Matsukura.«

Shigenobus Blick heftete sich auf den Leichnam des Bogenschützen, dem er mit seinem Wurfpfeil die Kehle zerfetzt hatte, aus der noch immer ein wenig Blut trat. Wer hatte davon wissen können, und wie hatte er davon erfahren? War das der Grund, weshalb sie so leicht aus Nagasaki hatten entkommen können? Hatte man den Vogel aus seinem Nest fliegen lassen, um ihn auf diese Weise um so leichter töten zu können? Wer hatte den Befehl dazu gegeben? Der Fährmann, der sie über die Bucht von Chi Chiwa nach Obama bringen sollte, war am Abend zuvor davon unterrichtet worden, dass er in den ersten Stunden des Tages drei Krieger und einen Jüngling übersetzen sollte. Hatte ein unvorsichtiges Wort des Mannes hellhörige Ohren aufhorchen lassen? Hatte er gar selbst die Leute der Gouverneure von Nagasaki, Mizuno Kawachi und Takenaka Uneme, informiert? … Es gab viele Christen in der Umgebung der Stadt, und der Fährmann war einer von ihnen. Aber Shigenobu hätte daran denken müssen, dass ein Verrat niemals auszuschließen war, wenn jemand seine Zukunft sichern wollte in einer Provinz, in der auf jeden Christenkopf ein Preis ausgesetzt war. Die Versuchung konnte sehr groß sein. – Vielleicht war die Information über eine geplante Reise, von der niemand erfahren durfte, aber auch an anderer Stelle durchgesickert, selbst wenn die Zahl derer, die davon wussten, dass Shirō nach Amakusa geholt werden sollte, an den Fingern einer Hand abzuzählen war. Shigenobu beschloss, zunächst nicht weiter darüber nachzusinnen. Was zur Stunde zählte, war, den Plan für die Reise nach Amakusa unverzüglich abzuändern. Auf dem vorgesehenen Weg konnten noch mehr Fallen auf sie warten. Shigenobu sah noch einmal vor seinem inneren Auge den Lichtstrahl, den die Vorsehung gesandt haben musste, um sie im letzten Augenblick zu warnen. Er hatte aufgeschrien und unverzüglich reagiert, kaum, dass er ihn wahrgenommen hatte. Gott hatte nicht gewollt, dass sie starben, bevor sie jene erreichten, die sie sehnsüchtig erwarteten, damit sie sich um den Gesandten des Himmels scharen konnten. Das, was daraus folgen würde, warf natürlich noch genug Fragen auf …

Während Shigenobu nachsann, hing Shirō seinen eigenen Gedanken nach. Diese erste Begegnung mit dem Tod verstörte ihn. Man achtet den Feind, der einem im offenen Kampf entgegentritt. Aber dieser Überfall war nicht im Geiste des shidō gewesen, und die Männer, die ihnen aufgelauert hatten, verdienten nichts als Verachtung. Das waren keine Samurai gewesen! Shigenobu hatte recht, und was er vorschlug, daran würde er sich halten. – Shirō hatte geglaubt, die Reise zu seinen Glaubensbrüdern würde mit einem gemütlichen Ritt beginnen … Doch es war anders gekommen, und er vermutete, dass der Befehl, ihn in aller Heimlichkeit ermorden zu lassen, bevor er die Insel Amakusa erreichte, von hoch oben gekommen war, direkt aus dem Hause des daimyō Matsukura, der über die Halbinsel Shimabara herrschte. Das hieß aber nichts anderes, als dass man ihm tatsächlich große Bedeutung beimaß.

Es war ihm klar gewesen, dass er den Gerüchten, die über ihn im Umlauf waren, Nahrung geben würde, wenn er den Männern folgte, die ihn aus Nagasaki zu holen gekommen waren: Er sei dieser Gesandte des Himmels, der in der Hankan-Prophezeiung angekündigt worden war … Auch wenn er die Tragweite der Rolle, die er spielen sollte, noch nicht ganz erfasste, wusste er eines sehr genau: Er würde niemandes Marionette sein! Seine Vorfahren waren Samurai gewesen. Und wenn es so sein sollte, dann würde er der Samurai seines Gottes sein. Shirō hatte sich geschworen, Gott und die Seinen nicht zu enttäuschen. Und er würde es nicht, so lange Gott ihm solch eine Kraft verleihen würde, wie er sie an diesem Morgen in sich verspürt hatte.

Die beiden Männer hatten unterdessen die Waffen, die sie den getöteten Feinden abgenommen hatten, am Sattel von Manabu Tanis Pferd befestigt und schließlich seinen Leichnam quer über den Rücken des Tieres gelegt. Die Waffen würden schon bald benötigt werden.

»Lasst uns aufbrechen!« rief Masuda Shirō schließlich und sprang in den Sattel.

»Verzeiht, Herr, dass ich Euch frage …«, sprach ihn Shigenobu ehrerbietig an. »Seit nunmehr einem Jahr hatten wir keine Gelegenheit mehr gehabt, die Kunst des Schwertkampfes gemeinsam zu üben. – Habt Ihr in der Zwischenzeit ein wenig für Euch allein trainiert?«

Shirō wendete sein Pferd und ritt langsam seinem alten Diener entgegen, ein leises Lächeln in den Augen. Die noch ungewohnte Ehrfurcht, die dieser ihm gegenüber zum Ausdruck brachte, amüsierte ihn ein wenig. »Fast jeden Tag, in der Zeit, die mir zwischen meiner Arbeit, meinen Lektionen bei Pater Jakob und meinen Gebeten blieb. Und außerdem – was wäre ich denn für ein schlechter Schüler, der so schnell die Wissenschaft eines solchen Hauslehrers vergäße!«

Shigenobu dankte ihm mit einem Lächeln. Er neigte stolz den Kopf und reichte Shirō ein katana mit schimmerndem Stichblatt, das in einer lackierten Scheide steckte. »Dies ist eine Klinge von hoher Güte, die sich über zweihundert Jahren im Besitz der Familie von Manabu Tani befand. Es ist ein Nobukuni-Schwert aus Yamashiro. – Ich hatte bereits ein Schwert für Euch vorbereiten lassen, aber eine bessere Klinge als diese werdet Ihr nirgends finden. Nehmt sie, ich bitte Euch.«

»Hai. Ich nehme sie an«, sagte Shirō und neigte den Kopf zum Zeichen des Respekts und nahm das katana mit beiden Händen entgegen.

»Manabu-san hatte keinen Sohn. Er wäre stolz darauf, sein Schwert in Euren Händen zu wissen.«

Shirō zog die Waffe langsam aus der Scheide. Sie war sehr schön in ihrer nüchternen Eleganz. Das eiserne tsuba war von Ornamenten in Form von Blütenblättern durchbrochen und mit Silber belegt. Der lange Griff war mit Perlmuttplättchen bedeckt, die durch ein Flechtwerk aus nachtblauen Seidenbändern an ihrem Platz gehalten wurden. Die Klinge war von vollendeter Ausgewogenheit. Die leicht gekrümmte Scheide war schmucklos. Das, was er in den Händen hielt, war keine Paradewaffe. Während er das katana eingehend betrachtete, beschlich ihn das Gefühl, dass es sich um ein lebendiges, beseeltes Wesen handelte. Das nächste Mal, wenn die Klinge im Licht des Tages erglänzte, würde es in einem Kampf sein. Mit einer präzisen und entschlossenen Bewegung ließ Shirō das Schwert in die Scheide gleiten und steckte diese in seinen Gürtel. Er war nicht im mindesten überrascht, als er plötzlich an seiner Seite eine pulsierende Kraft spürte. In seinem Herzen erwachte etwas, das er verloren geglaubt hatte nach all den Jahren des Lernens bei Pater Jakob und den Christen von Nagasaki. Es war wie eine vage Erinnerung, ein leiser Ruf des Samuraiblutes, das in seinen Adern strömte, eine Art Trunkenheit, ein Energiestoß aus der Tiefe seines Wesens. Etwas wie eine starke Präsenz, die ihn unwiderstehlich vorantreiben würde, sobald sein Kreuzzug begann. Eine Woge der Freude überrollte ihn, als er begriff, dass er endlich ganz er selbst werden konnte bei dem, was bevorstand. Denn jene, die der Religion des Yaso treu geblieben waren, bedurften nun des Schwertes mehr als des Kreuzes. – Shigenobu hatte recht. Die Zeit war gekommen, den Glauben all der bedrohten Christen im Süden des Landes, die nichts weiter verlangten, als in Frieden leben zu können, mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Shirō würde nicht länger zaudern. Sein Platz war dort, wo man ihn wollte, an der Spitze derer, die es ablehnten, widerstandslos zu sterben und die ihn mit verzweifelter Hoffnung auf Amakusa erwarteten. Das war sein karma.

 

Unvermittelt trieb er sein Pferd an, um direkt in Richtung der Sonne zu reiten, die nun direkt über den Gipfeln des Unzen-Gebirges stand.

Naitō Tokuan wollte ihm nachreiten, um ihn zu überholen und den Weg nach vorn zu sichern, aber Matsura Shigenobu stoppte ihn mit einer Handbewegung. »Lass«, sagte er, »er weiß jetzt, wo sein Platz ist. Alles andere …« Er winkte ab. »Weder du noch ich können daran etwas ändern, nicht wahr?«

Die beiden Samurai folgten dem Jüngling in kurzem Abstand. Naitō führte das Pferd, das den Körper Manabu Tanis trug, am Zügel mit sich. Bald gelangten sie in ein Dorf. Sie übergaben den Leichnam einer Bauernfamilie, ohne viel Zeit mit Erklärungen zu verschwenden. Shirō schien von den neugierigen Blicken und den Zeichen der Ehrerbietung, die seine Ankunft im Dorf begleiteten, nichts wahrzunehmen. Aber er begriff, dass das Geheimnis, das die Mission Shigenobus und seiner Krieger hätte umgeben sollen, bereits bis hierher vorgedrungen war.

Shigenobu erläuterte ihm, wie der ursprüngliche Plan geändert werden sollte. Es kam nicht mehr in Frage, bis zur Anlegestelle von Hayami hinunterzureiten, wo entweder niemand sie erwarten würde oder aber ein weiterer Mördertrupp. Sie mussten weiter die Küste entlang reisen, was natürlich einen wesentlich längeren Weg bedeutete. Ihre Ankunft auf Amakusa würde sich um mindestens einen Tag verzögern. Shigenobu wusste jedoch, wo sie sichere Unterkunft finden würden und wo sie ihre Pferde wechseln konnten.

Sie waren lange geritten. Masuda Shirōs ganzer Körper schmerzte von dem ungewohnt langen Ritt. Er wandte sich um und sah, wie das Massiv des Unzen mit dem Dunkel der Nacht verschmolz. Ihm wurde einen Moment lang schwindlig. Er richtete seine müden Augen auf den Rücken Shigenobus, der vor ihm weiter nach Süden ritt, in solch straffer Haltung, als wäre er gerade erst in den Sattel gestiegen. Sie mussten noch bis zum kleinen Hafen von Kazusa durchhalten, hatte der alte Samurai ihm erklärt, dort würde man die Pferde zurücklassen können, und ein Fischerboot würde sie vor Sonnenaufgang auf die Insel Amakusa bringen, die dem Ort gegenüber lag. Würden sie Kazusa nicht rechtzeitig erreichen, müssten sie in einem Versteck die darauffolgende Nacht abwarten. Es kam nicht in Frage, am helllichten Tag überzusetzen, ganz nah der am Ende einer Landzunge auf Amakusa gelegenen Festung von Tomioka, von wo aus die Späher bei klarer Sicht sehr weit blicken konnten.

Auf der anderen Seite der Bucht, in Hayami, beglückwünschte sich Sonjo, der Fährmann, dass er darauf bestanden hatte, im Voraus bezahlt zu werden, für eine Überfahrt, die letztendlich gar nicht stattgefunden hatte. Den ganzen Tag hatte er umsonst gewartet. Er hatte keine Fragen gestellt, als die Vereinbarung getroffen wurde. Er stellte auch sich selbst keine Fragen, als er schließlich nach Hause ging.

Auf der Burg von Nagasaki musste Takenaka Uneme unaufhörlich an die Nachricht vom Misslingen des Anschlags denken, die er in der Mittagsstunde erhalten hatte. Ein Eilbote von der Burg von Shimabara hatte ihn von der geplanten Flucht unterrichtet, und unverzüglich hatte er einigen zuverlässigen Kriegern befohlen, dem Reitertrupp aufzulauern. Daraufhin hatte er einen Boten nach Edo gesandt, um dem Shōgun mitteilen zu lassen, dass er den Plan vereitelt habe. Offensichtlich war das verfrüht gewesen ….

Heizaburō, der Ninja des Shōguns, hatte bereits seine Brieftaube nach Norden fliegen lassen. Die verschlüsselte Nachricht vom Erfolg seiner Mission würde nun über mehrere Wechseltaubenschläge bis an ihr Ziel gelangen. Er hatte die letzte Nacht in luftiger Höhe auf einem Ast einer knorrigen Kiefer liegend verbracht und auf die Reiter gewartet, die nahe an ihm vorbeikommen würden, dort, wo der Weg einen Knick machte. Natürlich bemerkte er, wie sich kurz vor Tagesanbruch ein kleiner Trupp gedungener Mörder ein Stück weiter unten am Weg in den Hinterhalt legte. Heizaburos Auftrag bestand darin, ihren Anschlag zu verhindern. Wie gern hätte er sich an die Auftragsmörder herangeschlichen und sie getötet, bevor sie überhaupt begriffen hätten, was mit ihnen geschah. Doch dafür war es zu spät. Die Reiter konnten jeden Augenblick auftauchen. So entschied er sich, deren Aufmerksamkeit zu wecken, damit sie nicht in den Hinterhalt gerieten. Von seiner Stellung aus konnte er mit seinem Spiegel die Sonne einfangen und einen Lichtblitz in die gewünschte Richtung schicken. Genau dorthin, wo der Weg abwärts in Richtung des Toishi-Tempels zu führen begann. Es wäre im übrigen auch zu riskant gewesen, die auf der Lauer Liegenden auf Ninja-Art umzubringen, da das unerwünschte Fragen nach dem Auftraggeber aufgeworfen hätte. Letztendlich hatte sein Lichtsignal die erhoffte Wirkung gehabt, und sein Auftrag war erfüllt. Drei der Reiter, die aus Richtung Nagasaki gekommen waren, konnten ihren Weg fortsetzen, und die Männer, die ihnen aufgelauert hatten, waren allesamt tot.

Ihm war aufgefallen, dass der jüngste der Reiter der Anführer zu sein schien und dass ihm die anderen mit offensichtlichem Respekt begegneten. Er hatte es eher beiläufig festgestellt, denn das war nicht mehr seine Angelegenheit. Ein Ninja begnügt sich damit zu beobachten und Aufträge zu erfüllen. Heizaburō musste nicht wissen, wer den Hinterhalt befohlen hatte und wer den Anschlag im letzten Moment durch ihn hatte vereiteln wollen. Auch ging es ihn nichts an, warum diese für einen gut ausgebildeten Ninja recht ungefährliche Mission so wichtig war und unbedingt geheim bleiben musste. Er hatte keine Fragen zu stellen, und Rechenschaft war er nur seinem Anführer, einem jōnin der Ninja aus Kōga, schuldig, der unmittelbar mit den Ratgebern des Shōguns in Verbindung stand. Schon bald würde der jōnin erfahren, dass Heizaburō seinen Auftrag erfüllt hatte und auf neue Befehle wartete. Tatsächlich war das Ganze für ihn nur ein gefahrloser Spaziergang gewesen, bei dem es das wichtigste gewesen war, auf seinem Weg durch die Berge und Täler dank geeigneter Verkleidungen unbemerkt zu bleiben und sich unverzüglich ebenso unbemerkt auf den Rückweg zu machen. Ein Kinderspiel.

In jener Nacht kniete der Bischof von Nagasaki mit gefalteten Händen und gesenktem Haupt vor dem großen Kruzifix, das in der improvisierten Kapelle aufgestellt worden war. Zweifel und Angst quälten ihn. Er war vor einiger Zeit in größter Heimlichkeit von der Gesellschaft Jesu, dem Jesuitenorden, zum Bischof berufen worden, und seit Monaten musste er tagtäglich um sein Leben fürchten. Sein Auftrag bestand darin, die Nachfolge des Portugiesen Diego Correia Valente zu sichern, der bis zu seinem Tod vor einigen Jahren Oberhaupt der Diözese von Funai gewesen war. Wie hatte er es satt, sich ständig verstecken zu müssen, in dieser Provinz, in der der vom Glauben abgefallene daimyō Arima Naozumi solchen Eifer an den Tag legte, die Anhänger Jesu aufzustöbern, die noch immer mit bewundernswerter Kraft widerstanden. Wenn man bedachte, dass dessen Vater, Arima Harunobu, getauft auf den Namen João Protasio, einst in seiner Heimatstadt Arima ein Jesuitenkolleg gegründet hatte und ein weiteres auf Amakusa!