Blutspur in die Vergangenheit

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Aus der Reihe: Kommissarin Samantha Bauer #1
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„Mach dich auf was gefasst, mein Lieber!“, sprach sie vor sich hin, während sie, unter dem etwas irritierten Blick des Bildzeitung-Nachbarn das Einkaufszentrum verließ.

7. Zusammenstellen der Fakten

„Ist was mit dir?“ Katrin saß bereits im Büro und beobachtete die neu motivierte Chefin, die ihre Handtasche in die Ecke schleuderte und sich mit breitem Lächeln an den Computer setzte.

„Du wirst es nicht glauben, aber ich hatte gerade eine Erleuchtung. Hast du dieses Wochenende Lust, mit mir mal in die Seebach zu gehen? So als Undercover, einfach mal unser aktuelles Projekt in der Freizeit observieren?“

Jetzt mussten beide lachen.

„Na, wenn das ein Befehl ist, dann werde ich mich natürlich nicht widersetzen. Morgen?“ Freitag wäre sicher ein guter Tag. Vor allem, da sie beide am Samstag keinen Dienst hatten.

„Gebongt!“ Sam war einverstanden und machte sich sofort an den Computer. Vielleicht hatte sich ihr neuer Brieffreund schon wieder gemeldet?

Leider kam nur noch eine Mail vom lieben Steinhauser, in welchem er sich für Freitagmittag ankündigte. Die Begeisterung für dieses Treffen hielt sich in Grenzen, da sie ja immer noch ihren Mailverkehr verheimlichen wollte. Also fing sie noch einmal von vorne an, ihre erste Aufzeichnung zu vervollständigen und in einem kleinen Exposé festzuhalten. Zumindest mal das, was die Akten bis dato Vielversprechendes hergaben:

Mord Ort Name Alter

02.06.20. Hamburg Adelphos Papadopoulus 26

22.06.20. München Günter Gasser 32

02.07.20. Düsseldorf Andreas Lange 51

12.07.20. Leipzig Anton Müller 43

02.08.20. Waldau Thomas Kleiber 29 (Tatort fraglich)

31.07.20. Freiburg Gürkan Güner 23 (Mordversuch)

Kein Zusammenhang bezüglich einer politischen Partei oder eine intensive Tätigkeit im Geschäftsleben.

Schulische Verbindung? Alleine schon vom Alter her nur teilweise möglich. Wurde laut den Akten auch zwischen keinem der Opfer ermittelt.

Familiäre Verstrickungen? Konnten mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden und auf die Zahl Zwei ließ sich ebenfalls bei keinem der Getöteten einen Reim machen.

Mir fiel auf, dass bisher noch nicht nach einer möglichen Verbindung zu einer Sekte gesucht wurde. Dem sollte unbedingt noch nachgegangen werden. Da über solche Verbindungen in der Regel auch das private Umfeld nicht immer Bescheid weiß, gäbe es hier einen neuen Ansatz.

Gibt es vielleicht eine Sekte, die etwas mit der Zahl Zwei zu tun hat?

Was den Mordversuch in Freiburg und die Leiche in Waldau betrifft: Dummer Zufall oder hat der Handymörder vielleicht einen Fehler gemacht? Es bleibt der Verdacht, dass Gürkan Güner tatsächlich geplant war, durch das Einschreiten seiner Kollegen aber misslang. Somit musste Thomas Kleiber kurz darauf vielleicht als Ersatz herhalten? Ich gehe davon aus, dass dieser, wohnhaft in Freiburg, auch dort ermordet wurde und man die Leiche später nach Waldau geschafft hatte. Kleiber wohnte allerdings weit weg von der Karthäuserstrasse, wo Güner angegriffen wurde, weshalb hier erst zu prüfen wäre, ob er eventuell dort in der Nähe gewesen sein könnte.

Ich gehe allerdings davon aus, dass der Täter seine Opfer auswählt und somit nicht wahllos ein Ersatzopfer nehmen würde. Der genaue Todeszeitpunkt könnte hier vielleicht weiterhelfen.

Wie weit lagen die beiden Übergriffe zeitlich auseinander?

Gegen Thomas Kleiber lag eine Anzeige wegen Körperverletzung vor und er hatte erst vor wenigen Tagen wegen einer solchen eine Nacht eingesessen. Könnte es sich hier um einen Vergeltungsschlag handeln? Sieht sich der Handymörder vielleicht als Rächer?

Gemeinsamkeiten aller Fälle:

Die Opfer waren unterschiedlich alt und befanden sich laut den Berichten auch in allen Schichten der Gesellschaft gemischt vertreten. Einen rassistischen Hintergrund kann man nicht belegen, da die Angegriffenen selbst verschiedenen Nationalitäten angehörten.

Interessant war, dass nur ein Opfer in einer Beziehung steckte, während die restlichen als Junggesellen lebten, oder gerade eine Beziehungspause hatten.

Allesamt konnten als eher unauffällig und nicht aggressiv beschrieben werden, was allerdings von Freunden und Verwandten meistens nicht objektiv betrachtet wird.

Es handelte sich bei den Opfern ausschließlich um Männer, wobei es keine sexuellen Übergriffe gab. Über das Internet konnte ich herausfinden, dass zwei der Opfer sportlich aktiv waren, das dritte ein begnadeter Schachspieler war und die letzten zwei keine Vereinsaktivität pflegten. Also fällt auch dieser Bereich als Gemeinsamkeit flach.

Samantha verabschiedete sich nach dem Abschluss ihrer Aufstellung erst kurz vor 19 Uhr am Empfang und machte sich direkt auf den Heimweg, wo die Laufschuhe schon ihrem Einsatz entgegenfieberten.

Sie beschloss, mit dem Höhentraining in die Vorbereitung auf den Triathlon einzusteigen und rannte gleich zur Hochfirstschanze hinauf. Es war eine anspruchsvolle Strecke, welche der Kondition einiges abverlangte. Dass sie die knappe Stunde ohne Pause am Stück durchhielt, überraschte sie nach dem letzten sportfreien Jahr selbst ein wenig. Es waren tatsächlich noch die nötigen Grundlagen vorhanden.

Natürlich hatte sie früher viel Sport gemacht. Doch irgendwie fand sie im letzten Jahr keine Motivation, den Hintern überhaupt hoch zu bekommen. Nachdem der Lauf absolviert war, übernahm die Dusche das Massageprogramm, wo sie immer wieder ihre Zusammenfassung überdachte und am Beziehungsstatus der Getöteten hängen blieb.

Im Anschluss in den bequemen Schlabberlook geschlüpft und mit einem Salat bewaffnet vor den Fernseher gesetzt, wurde ihr diese Berieselung jedoch schnell langweilig. Also kramte sie nach dem Tagebuch und ließ die Vergangenheit erneut aufleben. „Wo war ich noch mal stehen geblieben?“

8. wie geht es im Tagebuch weiter?

…….Frauen im Haus, überrage ich diese auch locker um 15 cm. Mit 13 gewann ich, unter Angabe falscher Geburtsdaten, die erste Miss-Wahl in Köln. Ich gewann, da ich meinen älteren Kontrahentinnen in den Kurven schon überlegen war und dazu mit dem wohl unschuldigsten Engelsgesicht und meiner Jugend brillierte.

Im Gegensatz zu meinen beiden eher pummeligen, schwarzhaarigen Schwestern, wo zumindest die Kleine meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war, wurde ich schon immer als Prinzessin bezeichnet. Die Lobeshymnen, was ich doch für ein hübsches Kind sei, bereitete mir immer ein schlechtes Gewissen gegenüber den beiden Kleinen. Obwohl mich Claudia und Andrea sicher für meine Makellosigkeit hassten, ließen sie es mich glücklicherweise nie richtig spüren.

Was wiederum nicht zu meinem Wesen passte, waren die Prügeleien, mit welchen ich auf dem Schulhof viel Aufsehen erregte.

Wenn jemand meine Schwestern ärgerte oder sie Dickerchen nannte, ergriff ich sofort Partei und verteidigte die beiden. Gebrochene Nasenbeine und Arme sowie zerfetzte Kleider mit Kratzspuren waren meist das Ergebnis auf der anderen Seite. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie gelang es mir fast immer, ohne größere Blessuren aus der Arena zu treten und dabei war es egal, wie groß und wie alt meine Gegner waren.

Ich erregte außerdem Aufsehen, mit meinem Erfolg in der Schule. Zuerst die dritte, dann die sechste und zum Schluss noch die zehnte Klasse auf dem Gymnasium, konnte ich locker überspringen. Da ich bereits mit fünf Jahren eingeschult wurde, machte ich das Abi mit fünfzehn.

Warum ich nur einen Schnitt von 1,2 erreichte und somit den Preis der Jahrgangsbesten verpasste, verdankte ich einem älteren Lehrer, der von mir einmal kurz und knapp den Hinweis bekam, er solle nicht dauernd in meine Bluse starren. Der Notenabzug war aber trotzdem hart, weshalb ich diesen Typ auch nicht ungeschoren davonkommen lassen wollte und mich eines Abends noch mal mit ihm traf.

Es sollte schnell und schmerzlos über die Bühne gehen. Erläutern werde ich den Abend, welcher komplett mit dem Handy aufgezeichnet wurde, hier nicht, um weiteres schlechtes Licht von mir abzuwenden. Es kam auch nicht final zum Sex, wenn das jemand an dieser Stelle denken könnte.

Aber es war eine echte Sauerei, was den Notenabzug im Nachhinein nun auch rechtfertigte. Ich hatte meine Eltern nach der Zeugnisausgabe natürlich auf diesen Abend und den Patzer des Lehrers hingewiesen.

Mein Vater, auf dessen mächtige Stellung in unserer Region ich vielleicht später noch zu sprechen komme, wurde darauf kurz bei der Schulleitung vorstellig.

Ganz ehrlich? Ich weiß nicht, ob dies der Grund war, weswegen mein Busen starrender Lieblingslehrer nach dem Urlaub nicht an die Schule zurückkehrte? Mein Preis für die Schulbeste war trotzdem weg.

Also begann ich mit sage und schreibe fünfzehn Jahren mein Rechtswissenschaftsstudium in München. Auch hier gab ich kräftig Gas, wobei mich meine älteren Kommilitonen auch in das schöne Nacht-Leben einführten. Wenn ihr jetzt glaubt, dass ich hierbei auf mein erstes Mal anspiele, dann sollte ich vielleicht zuerst noch mal zwei Jahre zurückspringen.

 

Das passierte nämlich bei der Vorbereitung auf diesen Modelwettbewerb. Er hieß Jan, war 21 und saß als erfahrenes Model in der Jury. Natürlich sah er auf meiner Anmeldung, dass ich eigentlich 16 war. In meinem Jurastudium erfuhr ich dann, dass er sich in diesem Fall nicht strafbar gemacht hätte, da ich zwischen 14 und 16 Jahren als Jugendliche geführt wurde und das Ganze ohne Zwang und Bezahlung ablief. Hätte er gewusst, dass ich erst 13 war, hätte es allerdings einiges schlechter für ihn ausgesehen.

Das ist jedoch alles Schnee von gestern und den eigentlichen Akt rentiert es sich, nach meinem heutigen Wissensstand, nicht wirklich zu erläutern.

Jan blieb jedoch bis zum Jurastudium nicht der Einzige. Ich möchte diese Typen aber nicht alle aufzählen, da sie mich sonst, sollte dieses Tagebuch mal in falsche Hände gelangen, alle für das vernichtende Urteil hassen würden. Lediglich ein Referendar, der sich nach dem Sport in der Umkleidekabine auf dünnes Eis verführen ließ, hätte das Prädikat ´Gut´ verdient.

Es war ein Heidenspaß, da auch dieses Kribbeln mit dem erwischt werden, gemischt mit einem gewissen Zeitdruck, im Einklang stand. Aber wie gesagt, das ist alles Schnee von gestern.

Ich landete also in Bayern und wurde von meinen Kollegen in das Nachtleben der Lederhosen verschleppt. Ich meine dies nicht abwertend. Es dürfte dort, zumindest am Anfang, eine meiner schönsten Zeit gewesen sein. Wir zogen durch Pubs und Discotheken und man glaubte es kaum, ich packte, im Gegensatz zu manch anderen Partykönigen, die ersten vier Semester im Handumdrehen. Dass mir jedoch die Jungs immer hinterher gafften und mich mit blöden Sprüchen zu umgarnen versuchten, brachte mich plötzlich auf eine neue Geschäftsidee.

Jetzt ging es noch wilder weiter als bisher, weshalb ich hier eine Rechtfertigung für mein Verhalten angemessen fände.

Meine Eltern lobten mich immer in den Himmel und präsentierten mich als Vorzeigekind. Wer dies schon mal erlebt hat, kann nachvollziehen, wie zum Kotzen so etwas ist. Immer alles richtig zu machen und „schaut mal, was die schon alles kann und wie hübsch sie ist!“ Irgendwann nimmt man dann Reißaus.

Ich spielte dieses Spiel einfach nicht mehr mit, weswegen mir Papi die ganzen Zahlungen einstellte. Es begann ein gnadenloser Krieg, in welchem er nur zeigen wollte, dass ich ohne ihn eigentlich ein Niemand war.

Ohne den ehrenwerten Herrn bringst du es zu gar nichts und kommst bald wieder angekrochen. „Mach keinen Fehler und denke immer daran, dass es nicht alle gut mit dir meinen.“

Mit diesem Hinweis versuchte er mir Angst zu machen, wobei ich spürte, wie ernst es ihm dabei war und er auf jemand ganz Bestimmten anspielte. Auf wen oder was, wurde mir bis heute jedoch nicht klar.

Ich begriff zu der Zeit aber, was für eine verwöhnte Göre Samantha Bauer doch war und wie schwer es wurde, ohne den üppigen Geldsegen zurechtzukommen. Er hatte die Miete für mein Appartement, tausend Euro im Monat, gezahlt und dazu noch zwei Riesen Taschengeld draufgepackt. Also war ich tatsächlich von ihm abhängig.

Allerdings entdeckte ich dann bald eine Disco, in welcher ein etwas solventeres Publikum verkehrte. Mein Schema war das gleiche wie früher schon in anderen Pubs. Du setzt dich an die Bar, versprühst deinen Charme und zack kommt der erste Drink angeflogen. Gratis saufen, lautete das Motto!

An einem Abend passierte dann etwas ziemlich Merkwürdiges. Ein Mann, ich schätzte ihn so um die vierzig, setzte sich neben mich und spendierte einen Drink nach dem anderen. Zum Schluss fragte er ohne Umwege, ob ich heute Nacht bei ihm übernachten möchte. Eigentlich hatte ich schon Lust, war aber viel zu müde, weshalb meine Antwort sehr lange auf sich warten ließ. Die Bedenkzeit sollte sich jedoch auszahlen, da er schnell nachlegte: „Einen Riesen, wenn du mitkommst!“ Ich glaubte nicht richtig zu hören. Meine Miete, die gerade nach diesem Betrag schrie, wäre mit einer Nacht beglichen gewesen. Ziemlich betrunken und über das bevorstehende Geschehen keine Gedanken gemacht, stimmte ich zu und raffte mich auf.

Es war eine normale Liebesnacht und er hat mir danach einfach den Tausender hingelegt. Der Knaller kam, als er noch fünfhundert drauflegte, wenn er mich wieder anrufen dürfte.

Meine Miete war bezahlt und die neue Geschäftsidee geboren. Ich war gerade achtzehn geworden und glaubte niemandem mehr Rechenschaft ablegen zu müssen. Ciao Papi, dir werde ich’s…………..

an dieser Stelle siegte wieder mal die Müdigkeit und ließ Samantha über dem Buch einschlafen.

9. Steinhauser - Update

Freitagmorgen, pünktlich um acht im Büro. „Morgen!“

„Steht unsere Verabredung noch?“ Katrin ließ die Erwiderung des Grußes ausfallen und kam mit dieser Frage gleich zu Sache. Abgesehen vom Verschlafen beim Mordfall, saß sie heute das erste Mal vor der Chefin im Büro.

Die nickte zustimmend: „Aber sicher. Heute geben wir mal richtig Gas! Oder?“ Sie klatschten über den Tisch ab und schienen dabei schon in bester Partylaune zu sein.

Samantha ging derweil immer noch das Tagebuch, oder sollte sie es eher Biographie nennen, durch den Kopf. Vor allem die Art und Weise, wie sie ihre Vergangenheit gesehen hatte, als sie mit fünfundzwanzig die Niederschrift begann. Der heutige Blickwinkel rückte diese Vergangenheit und den Streit mit dem Vater in ein ganz anderes Licht.

Ihr wurde dabei klar, warum sie es nie weiter als bis zu diesem Job hier bringen würde. Zu viele Fehler und blinder Hass gegen die eigene Familie, ließen sie den Blick auf das Wesentliche verlieren.

Kurz nach neun klopfte es an der Türe. Steinhauser stürmte herein. Er setzte sich neben den Schreibtisch und bestellte bei Katrin einen Kaffee.

„Guten Morgen, Herr Polizeirat. Bei uns fragt man übrigens, wenn man einen Kaffee möchte und kommandiert diesen nicht einfach herbei. Waren wir übrigens nicht auf heute Mittag verabredet?“

Er ließ sich von dieser Frotzelei nicht beeindrucken, wollte sich aber auch nicht mehr an die zeitliche Ankündigung für den Mittag erinnern und kam ohne weitere Umwege zur Sache.

„Die Verhöre mit den Angehörigen führen zu keiner Gemeinsamkeit zwischen den Getöteten und nach den letzten Erkenntnissen haben sich die Opfer auch nicht gekannt. Es gibt momentan keinen Ansatzpunkt und die Personen wurden, nach bisherigen Erkenntnissen, einfach willkürlich ausgesucht.“

Samantha schob ihm, ohne auf seine Ansprache zu antworten, ihr Exposé zu, welches er oberflächlich überflog. Zweimal mit der Hand über den Kopf gestrichen, kam schon nach einer Minute die Antwort.

„Sie arbeiten nach einem ähnlich simplen Prinzip wie ich. Das gefällt mir! Allerdings haben Sie aus den bisherigen Unterlagen auch nur das herausgezogen, was ich schon hatte. Lediglich die Sache mit der Sekte kam mir noch nicht in den Sinn, könnte aber tatsächlich ein brauchbarer Hinweis sein. Wir werden jemanden darauf ansetzen. Meine Nadel im Heuhaufen ist aber vorrangig, warum der Täter ein Opfer an einen bestimmten Ort und das auch noch zwei Tage nach der Tat, verlegt hat. Er will uns bewusst in diese Region oder vielleicht zu einer bestimmten Person führen. Oder was meinen Sie?“

Normalerweise sollte Sam sich jetzt geschmeichelt fühlen, dass der Chefermittler gerade sie um Rat fragte. Doch hatte er vielleicht wirklich einen guten Instinkt und vermutete, wahrscheinlich sogar ziemlich treffend, bei Samantha einen Schlüssel zu finden.

„Was haben die Kollegen aus Freiburg bis jetzt erreichen können?“ Auf diese Frage, oder war es ein Ablenkungsmanöver, erntete sie nur einen lauten Lacher.

„Ich habe ja keine Ahnung, was für Lichter das sind! Aber ehrlich gesagt sitzen dort bereits zwei meiner Ermittler im Büro, um das Geschehen selbst zu leiten. Vielleicht hätten wir besser unseren Außenposten-Süd hier in Neustadt errichten sollen.“

Er blickte sie bei der Aussage mit schrägem Kopf an und fügte dann hinzu: „Ich glaube jedoch, dass ihre Ergebnisausbeute hier oben größer ist, wenn man ihnen nicht fortlaufend auf die Finger schaut. Ja und da wir in Neustadt keine Kripo haben, würde es das ganze unnötig kompliziert machen! Somit erteile ich euch bis Mittwoch noch mal grünes Licht, in Ruhe weiter in dem Fall zu stochern. Dann überdenke ich, ob und wie es an diesem Ort weiter geht.“

Es kam als Drohung rüber und der Zockerblick von Steinhauser verriet leider nicht, wie ernst es gemeint war. Wobei sie das Gefühl hatte, dass er nicht ernsthaft überlegte, sie komplett raus zu nehmen. Mit seiner Mimik provozierte er aber einen gewissen Erwartungsdruck.

„Wie viel Freiraum zum Mitspielen bekomme ich in diesem Fall?“ Jetzt änderte sich seine Miene auf ´Nix verstehen´, weshalb Samantha auf den Punkt kam.

„Besteht die Chance, mich direkt im Umfeld der Getöteten umzuhören?“ Er blickte auf die Uhr, als müsste er schon zum nächsten Termin.

„Vergessen Sie den Türken in Freiburg. Der ……..!“ Sie fiel ihm ins Wort: „Der war ein Unfall und gehört nicht auf die eigentliche Liste. Das hat mir mein Gefühl auch schon signalisiert.“

Bei dem Wort „Liste“ bemerkte sie eine Veränderung in Steinhausers Miene. Ihm entging tatsächlich nichts, wobei er nicht weiter darauf einging und Samantha fortfuhr.

„Es stammt aber auch ein Opfer aus München, was ebenfalls um die Ecke liegt. Die Stadt ist mir darüber hinaus aus meiner Vergangenheit sehr vertraut.“

Er nickte: „Heute Abend haben Sie die restlichen Unterlagen des kontaktierten Umfeldes auf dem Tisch. Ich werde veranlassen, dass Sie Montag und Dienstag in München vor Ort in die Ermittlungen Einsicht bekommen und notfalls noch mal Gespräche mit den Angehörigen des dortigen Opfers führen können. Allerdings nur, wenn unbedingt erforderlich. Seien Sie einfach um zehn Uhr auf der Dienststelle. Dort melden Sie sich bei Hauptkommissar Klaus Maier. Ich werde ihn informieren, dass Samantha Bauer zu meinem erweiterten Team gehört, damit erst gar keine Kompetenzfragen aufkommen. Was die Übernachtung betrifft ……..“, „Schon gut“, unterbrach sie ihn. „Darum kümmere ich mich lieber selber.“

Er nickte und sie gab ihm ungefragt ihren Schlussgedanken mit auf den Weg: „Wir sollten klären, warum alle, außer einem, den Single im Status hatten. Einfach ein Bauchgefühl!“

Er stand auf und verließ, ohne den Kaffee auch nur angerührt zu haben, das Büro. An der Türe drehte er sich noch einmal kurz um: „In München könnte sich ihre Vermutung schon konkretisieren.“

Katrin blickte Samantha irritiert und zugleich fragend an, erntete aber nur ein Schulterzucken.

„Okay! Er mag ein komischer Kauz sein. Doch ich glaube nicht, dass man ihn unterschätzen darf. Er wirkt auf mich immer ein wenig wie ein zerstreuter Professor. Ich glaube, dass dieser Mann ganz genau weiß, was zu tun ist, um den bösen Jungs auf die Schliche zu kommen. Ich bin mir aber gerade nicht sicher, was sich in München bestätigt bekommen soll? Er weiß mehr als in den Unterlagen steht, soviel ist jedenfalls schon mal sicher!“

Die jüngere Kollegin stimmte dieser Beobachtung nickend zu. Danach entsorgte sie den Kaffee in einer Pflanze am Fenster.

Sam bestellte sich in der Zwischenzeit ein Zimmer im Hotel am Viktualienmarkt. Sie kannte das Garni aus ihrer Vergangenheit und wusste, dass von dort aus, das Polizeirevier über den Marienplatz schnell zu erreichen war. Seit sie das Studium abgebrochen und die Stadt verlassen hatte, war sie nie mehr dorthin zurückgekehrt. Irgendwie freute Sam sich schon auf den Besuch in der alten Heimat. Nach der Mittagspause checkte sie die Mails. Und siehe da: Er hatte sich wieder gemeldet.

< Du solltest ein bisschen tiefer in der Vergangenheit der Opfer bohren! Glaub mir, sie hatten eine Abreibung verdient. Ich wähle leider nicht aus, wer als nächstes drankommt. Das erledigen die Opfer selbst. Was die Zweier bedeuten? Gratulation! Gut recherchiert. Das wird dir helfen den Fall zu lösen. Sehe ich dich heute wieder in der Seebach-Klause?>

 

Jetzt sprang sie von ihrem Stuhl auf und rannte ans Fenster. Beide Hände am Kopf als müsste sie diesen vor dem Auseinanderbrechen schützen, kam ihr beim Blick ins Grüne kein klarer Gedanke. Plötzlich lagen unerwartet zwei Hände auf ihrer Schulter. Vor Schreck schnellte sie herum und sah Katrin in die Augen, die ebenso erschrak.

„Alles Okay bei dir?“

Sam nickte. „Schon gut. Mir geht gerade nur zu viel durch den Kopf. Ich bin mir einfach nicht sicher, ob ich dieses Spiel mit dem Wahnsinnigen eingehen darf.“

„Hat er sich noch mal gemeldet?“ Samantha überlegte kurz und meinte dann, noch immer in Gedanken versunken:

„Frag bitte nicht! Sobald es etwas Wissenswertes gibt, informiere ich dich. Ist nur zu deinem Schutz! Glaub mir.“

Sie machte eine kurze Pause und überlegte wie sie weiteren Fragen aus dem Weg gehen konnte.

„Wenn ich übrigens Montag und Dienstag in München bin, kannst du hier mal den Laden schmeißen und Chef spielen.“

Sie lächelte beim letzten Satz, doch erkannte Katrin auch das Ablenkungsmanöver und dass es keinen Sinn machte, weiter nachzuhaken. Natürlich war ihr aufgefallen, dass die Chefin heute, kaum redend, mit etwas haderte.

Sie wusste somit aber auch, dass eine weitere Mail eingegangen war. Allerdings ohne zu wissen, was drinstand. Sie hoffte darauf, vielleicht am Abend etwas aus Samantha herauszubekommen, wenn der Alkohol die Zunge wieder lösen würde. Sie wusste jetzt allerdings auch nicht, was sie in der nächsten SMS schreiben sollte.