Blutspur in die Vergangenheit

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Из серии: Kommissarin Samantha Bauer #1
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„Natürlich bekomme ich das hin. Und nein, ich möchte mir den Rest des Tages nicht freinehmen und nein, ich möchte mich nicht mit einem Psychologen darüber unterhalten.“

Samantha sah aus dem Augenwinkel, wie sich die junge Kollegin zusammenzureißen versuchte, es dabei aber nicht schaffte, die Tränen zurückzuhalten.

Am Skilift vorbei und zwei weiteren Kehren um einen Hügel gefolgt, bog der Wagen plötzlich in einen Feldweg ein. Sam stieg aus, ging auf die andere Seite und half der Kollegin ebenfalls aus dem Wagen. Sie drückte sie kurz an sich und überlegte dabei, ob Katrin diesen Anblick tatsächlich so wegstecken konnte.

Sie war eine taffe junge Beamtin, welche nicht auf den Mund gefallen war und sicher eine große Karriere vor sich hatte. Ihre Noten, Sam hatte nach der ersten Woche extra ihr Zeugnis angefordert, stachen mit lauter Einsen hervor. Sie hatte ebenfalls das Abi in der Tasche und schien eine ähnliche Laufbahn wie ihre Vorgesetzte anzustreben. Natürlich kannte hier niemand den Werdegang von Samantha. Um ihr das Wasser reichen zu können, genügte ein Einser -Abi alleine nicht.

„Warum ist jemand zu so einer Tat in der Lage?“ Sie hatten sich bereits wieder voneinander gelöst.

„Ich denke, der Täter will uns irgendetwas mitteilen. Was genau, kann ich erst sagen, wenn dieser SoKo-Chef uns später tatsächlich reinen Wein einschenken wird. Allerdings dürfen wir nicht zu viel Optimismus investieren, dass die tatsächlich auf die Mithilfe zweier Grünschnäbel angewiesen sind. Warten wir also das Gespräch nachher ab und versuchen so lange wieder den Normalpulsmodus einzunehmen. Wenn du willst, lade ich dich heute Abend auf einen Whisky ein.“

Katrin nickte zustimmend und zeigte beim Einsteigen schon wieder ein leichtes Lächeln. Auch Farbe kehrte langsam wieder in ihr Gesicht zurück.

5. Erste Aufarbeitung

Auf der Dienststelle wurden zuerst einmal die Kollegen informiert. Vor allem darüber, dass die übergeordnete Instanz sich der Sache bereits angenommen hatte und auf die kleine Dienststelle sicher nicht groß zurückgegriffen würde.

„So wie ich die Sachlage von hier aus beurteilen kann, wurde das Opfer eher zur Ablenkung in unseren Bezirk geschafft. Der Todeszeitpunkt liegt schon über vierundzwanzig Stunden zurück und der Ort, an dem man die Leiche gefunden hat, ist hundertprozentig auch nicht der Tatort.“

Samantha ging nach diesem vorläufigen Schlussplädoyer in ihr Büro zurück und setzte sich nachdenklich vor den Computer. Da durchfuhr sie plötzlich eine Eiseskälte und verwehrte ihr das Atmen.

Diese blöde Mail hatte sie in den letzten Minuten komplett verdrängt.

>Morgen erwartet Dich in Waldau eine Überraschung!!!<.

Sollte diese Nachricht tatsächlich auf den Toten anspielen? Zumindest war der Mord zu diesem Zeitpunkt sicher schon geschehen. Handelte es sich hier um einen Trittbrettfahrer oder warum wollte der Handymörder gerade ihr eine Nachricht zukommen lassen? Waren die eingeritzten Herzen für sie?

Es klopfte an der Türe. „Ja bitte?“

Polizeirat Steinhauser betrat das Büro, ohne auch nur ansatzweise zu fragen, ob er stören würde. Er setzte sich auf den Stuhl neben Samanthas Schreibtisch und übernahm sofort die Gesprächsführung.

„Warum liegt der Tote, welcher sicher nicht an diesem Ort ermordet wurde, ausgerechnet in Ihrem Bezirk?“ Sam sah ihn etwas erstaunt an und hatte tatsächlich das Gefühl, als verdächtige Person verhört zu werden. Ohne die Antwort abzuwarten, legte er nach:

„Haben Sie sich überhaupt schon mit den Fakten aus den Handymorden vertraut machen können?“

„Wenn Sie mit vertraut machen meinen, ob ich die Zeitungsberichte verfolgt habe, so könnte ich diese Frage mit ja beantworten. Sollten Sie allerdings davon ausgehen, dass ich die Akten durchgearbeitet habe, auf welche wahrscheinlich nur eine ganz geringe Zahl ausgewählter Personen Zugriff hat, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Nein, ich habe mir keinen unerlaubten Zugang zu diesen Unterlagen verschafft.“

Ihre patzige Art beeindruckte Steinhauser nicht wirklich.

„Morgen haben Sie alles Wichtige, was die bisherige Ermittlung betrifft, auf dem Schreibtisch. Machen Sie sich ein Bild und teilen mir bitte zeitnah mit, ob Ihnen etwas auffällig erscheint und weshalb der Täter ausgerechnet Ihren Wirkungskreis gewählt hat.“

Samantha war nun doch von diesem Tempo beeindruckt. Allerdings ließ sie auch der Gedanke nicht los, ob die Mail tatsächlich mit dem Mord zusammenhängen könnte und Steinhauser mit seiner Frage gar nicht so weit daneben lag.

„Ich höre?“ Er schien auf eine Bestätigung zu warten.

„Ich bin überrascht, dass Sie mir tatsächlich Einblick in die Unterlagen geben wollen und sie somit auf die Unterstützung eines kleinen Polizeipostens bauen.“

Jetzt fing er auch noch an zu lachen: „Ich bin auf jede Hilfe angewiesen. Wenn Sie die Unterlagen durchschauen, werden Sie erstaunt sein, wie wenig wir bisher in der Hand haben. Wenn mir jemand wenigstens einen Strohhaufen zeigen könnte, dann würde ich mich umgehend daran machen, dort nach einer Stecknadel zu suchen. Aber momentan haben wir eigentlich noch nicht mal diesen Strohhaufen. Oder aber……..“ mit der Unterbrechung blickte er Samantha eine gefühlte Ewigkeit tief in die Augen.

„Oder aber, wir haben heute den Heuhaufen gefunden.“ Er stand auf und verließ, ohne sich zu verabschieden, das Büro. Es war sicher keine bös gemeinte Geste von ihm. Man bekam eher das Gefühl, dass ihn der Gedankenwirrwarr so durchs Leben stolpern ließ.

Was er mit dem letzten Satz meinte, konnte sie nicht richtig deuten. Jedenfalls gelang es ihm damit Unsicherheit zu verstreuen. Es erweckte sogar den Anschein, als suche er einen Zusammenhang zwischen den Morden und Samantha, was nach der Mail, von der er eigentlich nichts wissen konnte, vielleicht nicht unbedingt von der Hand zu weisen wäre. Warum sie ihm nichts davon gesagt hatte, war ihr im Moment auch nicht klar. Es war einfach so ein Gefühl, dass es noch zu früh wäre, diese Nachricht ins Spiel zu bringen.

Nun versuchte Sam aber erst mal übers Internet alles zusammenzutragen, was die Öffentlichkeit über den Fall schon wissen durfte.

Bevor sie kurz nach 18 Uhr das Büro verließ, beantwortete sie noch ihre Mail:

>Danke für die Warnung! Aber warum ausgerechnet ich?<

Sollte es sich tatsächlich um den Handymörder handeln, was sie immer noch nicht glaubte, dann konnte sie es nur über den Mailverkehr herausfinden. Sie wollte allerdings nicht auf das Geschenk eingehen, sondern versuchte die Mail als Warnung aufzufassen. Würde er vielleicht auf diese Anspielung reagieren und ihren Irrtum zurechtrücken?

Von den Kollegen am Eingang verabschiedet, ging sie hinaus in den Hof. Die Sonne brannte noch mit genug Kraft auf die Erde und rief Samantha eine Einladung zum Schwimmen zu.

„Du schuldest mir noch einen Drink!“ Diese Worte kamen allerdings nicht vom gelben Ball am Himmel, sondern von Katrin. Sie stand an der Ecke und blickte über das Geländer hinunter auf die Hauptstraße.

„Hast du etwa auf mich gewartet?“ Da sie viel zu stark mit sich selbst und den Recherchen über diesen Handymörder beschäftigt war, hatte sie die jüngere Kollegin fast vergessen.

„Na, dann mal los. Wo wollen wir unseren Feierabend-Drink einnehmen?“

Katrin zuckte mit den Schultern: „Hast du überhaupt noch Lust und Zeit?“

Sam nickte: „Eigentlich habe ich gerade überlegt, noch eine Runde im Titisee zu schwimmen. Wenn wir also mit dem Bike ins Strandbad fahren, dort den See einmal komplett durchqueren, dann könnten wir den inneren Feuchtigkeitshaushalt auf dem Rückweg wieder ausgleichen.“

Katrin strahlte erleichtert, als ihr dieser Vorschlag euphorisch unterbreitet wurde: „In 25 Minuten bei dir?“ Sie klatschten ab und Sam schlenderte an den parkenden Autos vorbei zur Hauptstraße. Unten warf sie einen Blick durch das Fenster der Pizzeria, in der noch nicht viel los war, und querte dann den Zebrastreifen. Heute konnte auf dem Heimweg die Fünfminutenmarke knapp unterboten werden.

Sie zog den Bikini gleich unter ihr Rad-Dress, holte das Mountainbike aus dem Keller und wartete dann vor dem Haupteingang des unter ihrer Wohnung liegenden Geschäfts auf die Kollegin. Katrin kam nicht weniger sportlich daher und zog Sam auch gleich im Windschatten mit.

Es ging die lange Gutachstrasse entlang, welche ganz am Schluss in die Hauptstraße führte. Dort dann gleich durch den Kreisverkehr und schon ging es an den Supermärkten vorbei Richtung Titisee. Auf den letzten drei Kilometern führte ein Radweg neben der Kreisstraße entlang, durch die typisch grüne und hügelige Hochschwarzwaldgegend. Das große Freizeitbad, bei welchem an solch schönen Tagen eh nicht viel los war, ließen sie links liegen und erreichten wenig später das Strandbad. Katrin schloss beide Räder zusammen am Ständer fest und folgte dann dem Boss in die kleine parkähnliche Anlage.

Das Bad, am Ortsende von Titisee und vor dem Aufstieg zum Feldberg gelegen, bot an diesem Abend auf der Wiese viel Platz. Die Familien packten gerade zusammen und die Urlauber machten sich ebenfalls Richtung Abendessen auf. Die übrig gebliebenen starken Jungs, gafften den Grazien hinterher, trauten sich aber sichtlich nicht zu pfeifen.

Katrins durchtrainierter Körper schien außer Muskeln nichts zu kennen. Wogegen Sam als Vorbild für eine Brust-OP Modell stehen könnte.

„Sind die echt?“ Da war auch schon die etwas bewundernde oder vielleicht auch provozierende Frage der jungen Kollegin.

 

„Na klar. Oder denkst du etwa, ich würde für so einen Scheiß Geld ausgeben?“

„Das kann man gut behaupten, wenn man es nicht braucht.“ Samantha musterte jetzt ihre Kollegin einmal genauer, während sie mit Gänsehaut das doch schon sehr frische Wasser betrat.

„Du willst mir aber nicht sagen, dass du meinst, du bräuchtest Unterstützung durch Silikon?“ Jetzt mussten beide lachen.

„Natürlich nicht. Obwohl ich schon Zeiten und Freunde hatte, die auf eine etwas größere Oberweite standen. Diese wäre mir allerdings beim Modeln eher negativ in die Quere gekommen. Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber dort bezeichnet man meine bestehende Handvoll schon als zu üppig.“

Da musste Sam grinsen: „Schon klar. Ich habe ebenfalls, allerdings schon mit vierzehn, gemodelt. Zu der Zeit waren meine Maße noch perfekt. Welche Angebote mir dann zwei Jahre später, als die Formen ausgebildet waren, ins Haus flatterten, brauche ich dir als Expertin ja wohl nicht weiter erläutern.“

Sie waren während ihres Frauengetratsches bereits schon gut zweihundert Meter in den See hinein geschwommen. Beide hatten eine gute Brusttechnik, weshalb das gemeinsam flotte Vorankommen auch während der Unterhaltung Programm war. Sam war irgendwie begeistert, endlich eine Freundin gefunden zu haben, welche auch noch ihre sportlichen Ambitionen teilte.

Sam: „Was machst du sonst noch so, außer Radfahren und Schwimmen?“

„Ich bin eigentlich ein kleiner Sportjunkie. Im Winter gehe ich gerne Ski fahren, sowohl Langlauf wie auch Abfahrt. Wenn es das Wetter und die Bedingungen zulassen, gehe ich auch gerne mal Schneeschuh wandern. Der Feldberg eignet sich hierfür wirklich perfekt. Ja, und im Sommer nehme ich ab und zu an einem Triathlon oder Bike-Marathon teil. Wettkämpfe gibt es hier überall in der Gegend. Wenn du Lust hast, nehme ich dich gerne mal mit.“

Sam antwortete, mit verzogener Grimasse: „Ich weiß nicht so recht, ob mir der Aufwand um das ganze Training das wert ist.“

Doch Katrin ließ sich nicht von ihrem Plan abbringen: „Vorschlag! Wir schwimmen um die Wette zurück. Wenn du gewinnst, dann lass ich dich mit dieser Idee in Ruhe. Sollte ich aber gewinnen, bekommst du morgen den Termin für den nächsten Minitriathlon am Titisee.“

Sam hatte bereits gewendet und sich mit Kraulen den ersten Vorsprung herausgeschwommen. Es war jedoch ein weiter Weg bis zum Strandbad zurück und sie hoffte einfach, dass Katrins stärkere Disziplin die Brusttechnik vom Hinweg war. Der Plan schien anfänglich aufzugehen, denn die Kollegin zog einfach nicht gleich. Erst fünfzig Meter vor dem Ziel erreichte Katrin die gleiche Höhe und war sogar noch in der Lage, das Tempo zu erhöhen.

Samantha war keine schlechte Schwimmerin und hatte in der Jugend einige Pokale eingefahren. Doch die Technik und der Elan der aktuellen Kontrahentin waren schon sehr beeindruckend. Nicht zu vergessen war da noch Samanthas Konditionsdefizit.

Katrin tratschte kräftig weiter, während sie locker aus dem See stieg, wogegen ihre Vorgesetzte schon fast ein Sauerstoffzelt benötigte.

Katrin: „Bei deinem Stil und der Kondition sollten wir wohl gleich den nächsten Wettkampf ins Auge fassen.“

„Ich denke ……..“ Sam musste erst mal Luft holen, „dass ich dich mit einer guten Bewertung für die nächste“ - wieder ein langes Luftholen - „Beförderung, nicht wirklich von diesem Plan abbringen kann?“

Die Antwort kam postwendend: „Wie wäre es mit einem Wettkampf? Wenn du……,“

doch Samantha schüttelte den Kopf: „Lass gut sein. Wenn wir diese Wettkampfspielchen auf anstehende Beförderungen umlegen, dann wirst du mich bald in der Rangordnung überholen.“

Sie legten sich in die Sonne und überließen der Luft die Aufgabe des Trockenföhnens. Gegen 20 Uhr und bei etwas nachlassender Hitze bestiegen sie wieder ihre Bikes und machten sich auf den Rückweg.

Der Ort, durch den eine Dreißigerzone führte, war noch voller Touristenströme. Vor allem die erste Straße rechts, welche in einen verkehrsberuhigten Bereich direkt am See entlangführte und sich mit Verkaufsständen von Kuckucksuhren- und Souvenirs aus dem Schwarzwald geschmückt zeigte, quoll vor Menschen fast über. Diese Seitenstraße wäre mit dem Fahrrad selbst zu dieser Uhrzeit nicht unfallfrei befahrbar gewesen.

Die Passage ließen sie aber schön brav rechts liegen und orientierten sich Richtung Ortskern.

Dort gab es eine Pizzeria mit der Aufschrift Pferdestall, die mit einer erhöhten Terrasse punktete und somit den Blick auf das wuselnde Geschehen ermöglichte.

Ja, und da konnten die Damen dann nicht widerstehen. Es reichte ein gemeinsames Kopfnicken, um die Fahrräder abzustellen und einen der zwei letzten kleinen Tische zu ergattern. Obwohl nur auf einen Drink verabredet, orderten beide die Speisekarte. Während sie die gemischten Salate bestellten, erklärten die Damen dem Kellner fast im Duett, wie wichtig es wäre, dass er ihnen dazu zwei Portionen Bruschetta serviere. „Wenn wir vielleicht noch eine Flasche Valpolicella bekommen könnten, wäre der Abend perfekt“, ergänzte Katrin die Bestellung und Samantha stimmte kopfnickend zu. Als beim ersten Anstoßen dann auch noch zwei Gitarristen in spanischem Outfit auftauchten und die Gipsy Kings zu covern versuchten, ging eher ein gefühlter Urlaubstag, als ein chaotischer Arbeitstag, zu Ende. Sie lachten viel, ließen dem Wein die Chance ihre Zungen zu lösen und rundeten das Dinner um 21 Uhr mit einem Grappa ab.

Somit war die Fahruntüchtigkeit endgültig besiegelt. Ohne groß zu diskutieren zog Katrin ihr Handy aus der Tasche und rief ihren jüngeren Bruder an, welcher brav schon zehn Minuten später mit seinem VW Bus aufkreuzte.

„Ich hoffe, dass mir durch diesen Dienst an der Polizeigewalt zukünftige Strafzettel erspart bleiben“, grinste Thomas und verstaute dabei schon die Fahrräder im Kofferraum.

Er war schlaksig, dunkelblond und auf gutem Weg, ein kleiner Gigolo zu werden. Die Schönheit musste bei dieser Familie in den Genen fest verankert sein und mit der Beimischung von Charme hatten die Eltern sichtlich auch nicht gegeizt.

„Könnt ihr zwei Hübschen mir auch noch erzählen, warum sich die Polizei heute Abend betrinkt? Gibt es etwas zu feiern oder schwenkt ihr gerade euren Liebeskummer runter“.

Die Mädels waren beide auf die Beifahrerbank gerutscht und konnten dabei das Lachen nicht mehr in den Griff bekommen. Doch mit Thomas Frage kam plötzlich der Grund für diesen Ausflug schlagartig zurück. Sie hatten über alles Mögliche gesprochen, aber nicht Mal ansatzweise den aktuellen Fall gestreift. Zum Glück hatte Katrin eine unbändige Erzähllaune an den Tag gelegt, sodass Samantha ihre ungewöhnliche Vergangenheit noch ein wenig in der Schublade lassen konnte.

Doch in diesem Moment herrschte Stille im Privattaxi und vor den Augen der Mädels zeigte sich gerade dasselbe grausame Bild.

„Okay!!! Ich ziehe diese Frage zurück. Aber wo soll ich euch absetzen?“

Die Antwort kam wieder im Duett: „Zu Hause natürlich!“ Sie ließen die gute Laune nun nicht mehr ganz versiegen und begannen mit der Planung des Triathlons.

„Wenn ihr zwei da mitmacht, dann werde ich mich sofort als Masseur zur Verfügung stellen!“ Thomas grinste die Mädels an und schweifte dabei mit dem Blick über die weiblichen Konturen.

„Du kannst dich mal als Masseur bewerben, mein lieber kleiner Bruder. Aber versuch doch erst einmal, an etwas weniger wertvollen Körpern zu üben, bevor du dich an die Königsklasse wagst!“ Katrin provozierte ihn mit ernstem Blick, worauf er nur ein herablassendes „Paah“ als Antwort zurückschmetterte.

Als Thomas das Fahrrad bei Samantha aus dem Kofferraum lud, konnte er es nicht lassen, nachzuhaken: „Ich wäre natürlich auch ein guter Trainer, wenn du mich als Masseur nicht haben möchtest.“ Sie lächelte ihn an und gab ihm einen Schmatz auf die Wange.

„Wenn du deine Schwester von dem Plan abbringst und ich nicht auf diesen Triathlon muss, dann können wir auch über den Job als Masseur reden. Vor allem wärst du dann in die Liga meiner liebsten Freunde aufgestiegen!“

Er schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht: „Wenn Kathleen einen Plan hat, dann bringt man sie nicht mehr davon ab. Du könntest versuchen ihr im Dienst ins Bein zu schießen. Sicher bin ich mir allerdings nicht, ob sie deshalb nicht antreten würde.“

Samantha schmiss sich, diesen Schlusssatz langsam verdauend, in ihr übergroßes Schlafshirt und stolperte dann direkt ins Bett. Während sie noch grübelte, weshalb ihr Bruder von Kathleen sprach, überprüfte sie den Wecker und hoffte somit eine erneute Bruchlandung verhindern zu können.

6. Erste Fakten

Am nächsten Morgen war sie, nach Einnahme von zwei Aspirintabletten, schon kurz nach sieben im Büro. Erstaunlicherweise lagen die Kopien der Ermittlungsergebnisse bereits auf ihrem Schreibtisch. Sie las alles gründlich durch und kam schnell zum gleichen Resumé wie Polizeirat Steinhauser, dass hier tatsächlich noch keine Stecknadel in Sicht war. Komisch fand sie die beiden eingeritzten Herzen auf den Backen. Diese wurden bisher bei keinem der anderen Morde erwähnt!

„Möchtest du auch einen Kaffee?“ Katrin fragte nun schon zum dritten Mal und erreichte damit endlich auch wahrgenommen zu werden.

„Guten Morgen! Entschuldige, aber diese Akten haben mich in den Bann gezogen. Äh, und ja bitte, ich hätte gerne einen starken Kaffee. Wenn möglich, etwas mehr schwarz als der See von gestern Abend.“ Katrin grinste und machte sich auf den Weg, während Sam noch einmal die Unterlagen durchpflügte.

Als sie die Morde untereinander auflistete, fiel ihr eine winzige Gemeinsamkeit auf:

Hamburg 02.06.20

München 22.06.20

Düsseldorf 02.07.20

Leipzig 12.07.20

Freiburg Mordversuch-zählt evtl nicht-

Neustadt 02.08.20.

Das Telefon riss sie aus der Recherche.

„Morgen. Haben Sie die Akten schon durchgesehen?“ Steinhauser hatte es wohl nicht nötig, sich mit dem Namen zu melden.

„Guten Morgen, Herr Steinhauser. Ich hoffe, dass auch Sie gut geschlafen haben?!? –Danke der Nachfrage,“ rutschte es ihrem verkaterten Ego raus. „Und ja, ich konnte schon etwas feststellen. Gehe aber davon aus, dass ihr eigentlich selbst schon darüber gestolpert sein dürftet.“

„Sie meinen das Datum?“ Also hatte sie richtig vermutet. Auch Steinhauser waren die vielen Zweier aufgefallen.

„Konnten Sie auch eine Parallele zu sich erkennen?“

„Eine Parallele zu mir?“ fragte Samantha etwas irritiert.

„Ja, verdammt noch mal. Warum legt er die fünfte Leiche in Ihren Bezirk.“

Samantha ließ sich tatsächlich überrumpeln und machte eine Aussage, welche sie überhaupt nicht durchdacht hatte:

„Ich habe am 02.02. Geburtstag. Vielleicht bin ich die Nächste!“ Es blieb kurz ruhig, wobei ihr dieser spontane Kommentar selbst Gänsehaut bescherte.

Dann fuhr sie etwas überlegter fort: „Der Tote wurde am Zweiten gefunden. Deshalb passt auch der Mordversuch davor nicht ins Bild. Außer, er hätte zwei Personen an einem Tag umbringen wollen. Dann hätten wir wieder eine Zwei. Dass die Leiche jedoch bei uns gefunden wurde, hängt sicher nicht mit mir zusammen. Da können Sie ja genau so gut den Ortsvorsteher oder den Vorstand der Waldauer Musik oder was weiß ich wen sonst noch alles, als Verdächtigen befragen.“

Es blieb erneut still, bevor Steinhauser nachlegte:

„Liebe Samantha! Sie werden es kaum glauben?!? Aber ich habe diesbezüglich tatsächlich schon mit dem Ortsvorsteher von Waldau und der Bürgermeisterin von Neustadt gesprochen. Diese beiden konnten sich jedoch einen Zusammenhang mit ihrer eigenen Person kaum vorstellen. Keiner der Beiden hat in der Aussage auch eine Zwei in seinem Geburtsdatum erkennen lassen.“

Jetzt war Sam platt. Hatte er die beiden wirklich auf ihre Geburtsdaten angesprochen? Ja, und wusste er schon vor dem Telefonat, dass sie die Zweien im Geburtsdatum hatte und die anderen beiden nicht? Sicher bluffte er in dem Zusammenhang, was sie auf jeden Fall in Erfahrung bringen musste.

„Okay. Dann werde ich mir heute mal Gedanken machen und Sie zeitnah über meine Verwicklung in den Fall unterrichten. Schönen Tag, Herr Steinhauser.“ Sie legte auf und ihr Blick fiel wieder auf den Bildschirm.

 

>Sie haben eine neue Nachricht< Erneut war der Absender DKB2@fed.de.

<Nur Du wirst diesen Fall lösen können. Beeile Dich, bevor sich weitere Kandidaten aus unserer Liste qualifizieren.>

Samantha hätte es, wären welche da gewesen, die Nackenhaare bis zur Decke gestellt. Vor allem, dass er bereits schon ein nächstes Opfer in Betracht zog, provozierte ein leichtes Würgen. Ja, und von was für einer Liste, auf welcher man sich darüber hinaus noch qualifizieren konnte, sprach er da überhaupt? Sie notierte sich die IP-Adresse und gab sie sofort an Katrin weiter.

„Danke für den Kaffee. Versuch bitte mal, ob du über die IP-Adresse etwas herausfinden kannst.“ Ihre Hoffnung diesbezüglich war zwar nicht groß, doch durfte sie es nicht unversucht lassen.

Dann antwortete sie ihrem neuen Freund:

<„Habe das letzte Opfer noch nicht ganz verdaut. Nach welchen Kriterien wählst Du, oder ihr, die Qualifikanten auf und für die Liste eigentlich aus? Auf einen Hinweis, was es mit den ganzen Zweiern auf sich hat, brauche ich wohl nicht zu hoffen?>

Natürlich hatte Samantha keine ernsthafte Hoffnung, eine hilfreiche Antwort zu erhalten. Doch vielleicht hatte sie nun den Strohhaufen, nach welchem Steinhauser schon so lange suchte, direkt vor Augen. Aber war der Zeitpunkt überhaupt schon gekommen, das BKA zu informieren? Vielleicht handelte es sich ja nur um einen Spaßvogel oder Trittbrettfahrer? Wie konnte er aber dann im Voraus von der Leiche gewusst haben?

Ja, auch die Zwei in seiner Emailadresse machte ihn auf jeden Fall mehr als verdächtig, in das ganze Geschehen involviert zu sein. Eines stand jedenfalls fest: Sollte es erneut eine Leiche geben und Samantha die Mails bis dahin verschweigen, dann würde sie dieser Spaß mit hundertprozentiger Sicherheit den Job kosten.

„Katrin?“

„Ja?“

„Komm doch bitte mal kurz rüber und schau dir diese Mails an!“

Die Kollegin streckte noch mal kräftig die Arme und bemühte sich dann, leicht am Tisch abstützend, aufzustehen, um dann etwas verschlafen auf die andere Seite zu schlendern. Sie brauchte nicht lange lesen.

„Verdammte Scheiße!!! Wer ist das? Du musst Steinhauser informieren, sonst schießen die dich ab. Ich glaub das nicht! Warum hast du gestern nichts davon erwähnt?“

Samantha spürte natürlich das Unbehagen der Kollegin und dass diese sich darüber hinaus hintergangen fühlte. Vor allem, nachdem sie gestern einen so ausgelassenen Abend gefeiert und sich dabei in kleine private Geheimnisse eingeweiht hatten. Zumindest Katrin hatte sich ein wenig weiter geöffnet.

„Eigentlich ging ich gestern noch davon aus, dass es sich um einen Spaß handeln würde, welcher nicht unbedingt mit dem Fall zu tun hätte. Deshalb schrieb ich ja zurück, um Gewissheit über die Ernsthaftigkeit des Inhalts zu bekommen. Nun bin ich mir allerdings nicht mehr so sicher, ob es sich wirklich um einen Spaßvogel handelt. Darüber hinaus traute ich mich gestern gar nicht, dich mit weiteren Details zu belasten.“

Katrin versuchte sich wieder etwas einzukriegen.

„Ist schon gut. War vielleicht besser so. Ich weiß nicht, wie ich nach diesem wirren Tag mit solch einer Information überhaupt hätte umgehen können. Jedenfalls hat mir der Abend gutgetan, mal abgesehen vom aktuellen Kopfweh. Mir ist dabei auch klar geworden, dass ich nicht immer gleich so tief in die Materie eintauchen darf. Aber wie willst du jetzt weiter vorgehen?“

Sam überlegte: „Wir warten die nächste Antwort ab und das Ergebnis der IP-Adressenermittlung. Es wäre für uns das Beste, wenn wir es mit einem kleinen brutalen Dummkopf zu tun hätten, der nicht in der Lage war, seine IP zu verschlüsseln. Oder aber, er möchte sogar von mir gefunden werden?“

„Okay. Und wie soll ich mich nun deiner Meinung nach verhalten?“

„Du hast nichts von diesen Mails gesehen, bis ich es an Steinhauser melde. Dir kann also nichts passieren. Ich muss mich im Gegenzug aber zu tausend Prozent darauf verlassen können, dass auch du mit niemandem darüber sprichst. In diesem Fall würden wir nämlich beide abgeschossen und ich könnte dich nicht mehr als unwissend decken.“

Dies musste der Kollegin vorerst reichen, die sich danach mit einem zustimmenden Nicken in die Mittagspause verabschiedete.

Am Auto angekommen blickte sich Katrin um und tippte dann eine Nachricht:

>Wer hat ihr den Mord per Mail angekündigt? Wer schickt ihr diese Mails?>

Samantha verließ das Revier wenig später und fuhr mit dem Dienstwagen ans andere Ende von Neustadt, wo an der Freiburger Straße ein kleiner Einkaufspark lag. Obwohl sich hier die Discounter auf einem großen Platz verteilten, ging sie am liebsten in den großen Supermarkt, ganz am Ende des Parkplatzes. Dort, am Eingang rechts, war eine kleine Bäckerei mit Stehtischen und gemütlichen Sitzplätzen. Der Markt selbst war ebenfalls sehr übersichtlich, zumindest konnte man hier gut die Leute beobachten. Direkt gegenüber vom Stehkaffee war ein Zeitschriftenladen, in welchem sie die Menschen anhand der durchstöberten Hefte zuzuordnen versuchte. Zumindest probierte Sam dieses Profiling immer wieder gerne aus.

Im Anschluss lag die große Einkaufsmeile. Alle mussten ihre Einkäufe beim Verlassen ebenfalls an der Bäckerei vorbeischieben. Es gab für Samantha also keinen besseren Ort um das tägliche Leben zu beobachten.

Sie holte sich eine Tasse Kaffee, dazu ein üppig belegtes Brötchen und platzierte sich damit an einem der drei Stehtische, welche die gemütliche Sitzgruppe optisch vom Eingang trennten.

Eine Mutter zog gerade ihre kleine Tochter wütend hinter sich her, während das zweite Kind, wahrscheinlich ein Junge, gemütlich aus dem Wagen umherschaute. ´Vielleicht möchte ich später doch mal lieber Jungs´, grübelte sie vor sich hin, der tickenden inneren Uhr wieder mal direkt ins Auge blickend. „Wenn wir morgen in den Urlaub ………..“, lohnte sich nicht weiter diesem Trio zuzuhören.

Ein Geschäftsmann, sein Anzug deutete jedenfalls darauf hin, stand vor dem großen Zeitschriftenregal. Sie wettete mit sich, dieses Wochenende auf Alkohol zu verzichten, wenn dieser edle Herr nicht eine Sportzeitschrift kaufen würde. ´Okay und wenn er sich dazu noch die Bildzeitung nimmt, dann darf ich mir dieses Wochenende einen Bubi zum Spielen mit nach Hause nehmen´. Alleine der Gedanke, seit mehr als einem Jahr der Keuschheit verschworen, dieses freiwillige Gelübde aufzuheben, ließ sie innerlich richtiggehend aufleben.

Natürlich hing diese Zeit der Abstinenz mit ihrer Vergangenheit und der daraus folgenden leichten Depression zusammen. Doch könnte hier gerade der Startschuss fallen, langsam wieder aus diesem Loch zu kriechen.

´Yes!´ Den Kicker hatte er bereits in der Hand. Dies bedeutete jedoch nur, sich am Wochenende einen hinter die Binde kippen zu dürfen, was eigentlich nur noch bedingt zu ihrem neuen Lebensmut passte.

„Hast du schon die Schnecke in der aktuellen Bild-Ausgabe gesehen“, flüsterte sie vor sich hin, in der Hoffnung, dem Herrn ein wenig unter die Arme greifen zu können. Er ging an die Kasse und bezahlte.

´So ein Mist´, schoss es ihr durch den Kopf, das war eine krasse Fehleinschätzung.

Der Unmut hielt jedoch nicht lange und das Grinsen kehrte Sekunden später zurück. Der Mann hatte sich nämlich gerade einen Kaffee geholt und sich damit am Stehtisch neben Samantha platziert. Und siehe da! Er zog tatsächlich unter dem rechten Arm die Bild hervor und begann ganz entspannt zu lesen.

Am liebsten hätte sie laut losgeschrien. Natürlich nicht wegen des bevorstehenden Wochenendes. Nein! Es war dieses sichere Gefühl, Menschen richtig einzuschätzen, was wirklich einer langen Übung und eines natürlichen Talents bedurfte. Sie spürte plötzlich auch den Hunger, sich auf den Handymörder einzulassen. Wahrscheinlich war sie momentan die Einzige, welche diesem Dreckskerl das Handwerk legen konnte.