Blutspur in die Vergangenheit

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Из серии: Kommissarin Samantha Bauer #1
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2. Tagebuch

Name: Samantha Bauer

Geb: 02.02.1988

Größe: 179 cm

Maße: 99/63/89 cm

zurückblickend auf den Moment, wie sie sich damals vermessen hatte, musste Samantha beim Lesen herzhaft schmunzeln.

Augenfarbe: braun

Haarfarbe: gerade blond

Adresse: oft wechselnd

Heute ist der 02.02.2013. Mein 25. Geburtstag. Auf mein Leben zurückblickend fällt mir auf, dass ich unbedingt meine Memoiren für die Nachwelt festhalten muss. Ich glaube nicht, dass es viele Menschen gibt, welche auf so ein bewegtes Leben zurückschauen können oder müssen. Zuerst möchte ich jedoch mal zu meiner Entstehung und meinem privaten Umfeld Stellung nehmen:

Ich bin die älteste Tochter einer reichen Unternehmerfamilie. Am besten passt auf mich in Bezug auf meine Familie die Bezeichnung, „Albino“. Ich trage in unserem Haus das Alleinstellungsmerkmal Blondi und darüber hinaus bin ich die einzige, bei welcher die Bezeichnung Brüste auch den Titel verdient hat. Und im Gegensatz zu den drei anderen Frauen im Haus überrage ich diese auch noch locker um fünfzehn Zentimeter. Mit dreizehn gewann ich, unter Angabe falscher Geburtsdaten, die erste Miss-Wahl in Köln. Aber wieso……….?!? Die Augenlieder mussten an dieser Stelle aufgeben!

3. Schon wieder in die Disco?

Grrrrrrrrrrr. Piep, Piep, Piep. Grrrrrrrrrrr. Der Wecker, welcher mit seiner Lautstärke den ganzen Ort wecken könnte und an Penetranz kaum zu überbieten war, stand drei Meter neben dem Bett auf einer Kommode. Sie musste diesen Trick mit der Entfernung anwenden, da sie ihn sonst wieder ausgeschaltet hätte und der Schlaf, wie schon so oft, den Morgenmuffel sofort wieder in seine Gewalt gebracht hätte.

Ihren Dienst trat sie in der Regel immer gegen acht Uhr an. Als Leiterin dieses kleinen Postens, welcher gleich hinter der Kirche versteckt über die Hauptstraße ragte, wollte sie die Pünktlichkeit in den ersten Wochen mit gutem Beispiel vorantreiben.

Zu Fuß ging sie durch die Seitengasse am Schurthplatz vorbei, der entlang eines winzig kleinen Parks führte. Danach geleitete ein Zebrastreifen über die nicht sehr stark befahrene Hauptstraße direkt auf eine kleine Pizzeria zu, die sie natürlich am frühen Morgen rechts liegen ließ. Sie schlenderte gut gelaunt die kleine Steige hoch.

„Morgen, Frau Wachtmeister!“ Sie grüßte zurück ohne zu wissen, wer ihr heute so nett den Gruß abnahm, fand es aber auch lustig, wie locker die Leute hier mit der neuen Polizeichefin umgingen. Oben angekommen, noch ein Blick auf die Kirche und schon stand sie fast vor dem Revier. Je nach Verträumtheit und dem Smalltalk angepasst, benötigte Samantha für die Strecke fünf bis zehn Minuten. Sie traf kurz vor acht ein, grüßte den Kollegen, welcher im Eingangsbereich hinter einer Scheibe den Empfang besetzte und zog ihre Personifizierungskarte heraus. Die Türe nach links summte und Samantha schritt an den anderen Büros vorbei, ganz nach hinten. Ihre Mitstreiterin war noch nicht da, deshalb fuhr sie freundlicherweise beide Computer hoch. Sie stöberte bereits im Nachrichtengewirr des Internets, als Katrin plötzlich herein stolperte.

„Hi! Haben sie dir schon wieder das Bett angezündet?“ Samantha reagierte nicht, da der Artikel über den Handymörder schon voll und ganz ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Das ist ja der Hammer. Jetzt hat der auch noch in Freiburg zugeschlagen!“ Die junge Kollegin schien nicht richtig zu verstehen: „Wer hat in Freiburg zugeschlagen?“

„Na dieser Typ, welcher seinen Opfern immer das Handy in den Mund stopft. Und zwar letzte Nacht.“

Katrin schien sich das Szenario gerade wieder ins Gedächtnis zu rufen, was ein angewidertes Schütteln verursachte: „Der ist doch krank. Hoffen wir nur, dass er sich schnell wieder in den Norden verzieht. Hat man denn schon eine Spur?“

Samantha war noch nicht ganz fertig mit Lesen, fing nun aber an, laut zu zitieren: „Sie schreiben, dass es starke Abweichungen im Muster gibt und sie sich nicht sicher sind, ob es sich um einen Trittbrettfahrer handeln könnte. Jedenfalls liegt das Opfer auf der Intensivstation und hat den Angriff anscheinend nur deshalb überlebt, weil ihm seine Kollegen rechtzeitig zu Hilfe kamen. Dieser fünfte Anschlag innerhalb von zwei Monaten gibt eine Reihe von weiteren Rätseln auf, liefert im Gegenzug allerdings erneut keine heiße Spur. Die Ausführung sei immer identisch. Allerdings könne von den wild verstreuten Tatorten kein Muster abgeleitet werden. Genau so wenig gelingt es bisher eine Verbindung zwischen den Opfern herzustellen. Hamburg, München, Düsseldorf, Leipzig und letztendlich Freiburg.“

Katrin kam jetzt rüber und spähte ebenfalls auf den Computer. Die beiden Schreibtische, in dem gut zwanzig Quadratmeter großen Büro, standen sich direkt gegenüber. Von beiden Positionen konnte man seitlich gut aus einem großen Fenster, über den Neubau der Basilie-Schmiede hinweg, auf den am Hang liegenden Vorort blicken.

„Vielleicht kannst du ja mal bei deinen alten Kollegen in Freiburg nachhaken, ob sich über den Pressebericht hinaus schon was Brauchbares ergeben hat.“ Samantha nickte gedanklich abwesend, während Katrin den ersten Anruf entgegennahm.

Die Chefin verließ solange den Raum und kam kurz darauf mit zwei Tassen Kaffee zurück.

Katrin blickte sie an und meinte: „Bist du schon bereit für einen Besuch in der Disko?“

Samantha konnte die Frage noch nicht richtig deuten, deshalb begleitete der Blick auf ihre Uhr die Antwort: „Ich war bis vor fünf Stunden in so einer Lokalität. Eigentlich ist mein Bedarf in diesem Zusammenhang gedeckt.“

„Wo warst du denn?“

„In der Seebachklause! Wieso?“ Jetzt fing Katrin an zu lachen.

„Ja dann weiß ich nicht genau, wie wir weiter vorgehen sollen. Entweder der neue Fall wird wegen Befangenheit abgegeben, oder aber ich führe das erste Verhör direkt mit dir.“

Sie bemerkte die Begriffsstutzigkeit Samanthas und sagte: „Sie haben heute Nacht genau dort eingebrochen.“

Der Groschen war gefallen: „Na dann mal los! Auf was warten wir noch?“

Katrin verzog das Gesicht, während sie die Autoschlüssel schnappte: „Schade um den Kaffee. Aber kalt macht er bekanntlich schöner!“

Dann setzte sie sich ans Steuer des blau getarnten Passats und fuhr los. Im Gegensatz zur Kopilotin hatte sie ihre Uniform an. Samantha hingegen verzichtete so oft es ging auf diese offizielle Dienstkleidung.

Sie musste gerade wieder daran denken, wie sie erst vorletzten Freitag zu einer Ruhestörung gerufen wurden. Eine Clique feierte in einem Mehrfamilienhaus den Junggesellenabschied eines jungen Mannes. Als die beiden uniformierten Mädels eintrafen, stand für den Partykönig offensichtlich fest, dass es sich hier um zwei Stripperinnen handeln musste. Rückblickend betrachtet, lag er bei Samantha da ja auch nicht ganz falsch, was außer ihr aber niemand wissen durfte.

Direkt verübeln konnte man ihm diese Vermutung beim Betrachten der beiden Damen aber auch nicht. Katrin war sogar noch zwei drei Zentimeter größer als ihre Vorgesetzte, trug kurze schwarze Haare und hatte schon einige Modelauftritte hinter sich. Sie war immer braun gebrannt und schien, so empfand es jedenfalls Samantha, seit Jahren die erste ernstzunehmende Konkurrentin zu sein. Zumindest was das Äußere betraf.

Der smarte Junggeselle ging allerdings einen Schritt zu weit und konnte dabei seine Hände nicht mehr richtig kontrollieren, weshalb er um ein Haar die Nacht in der Zelle verbracht hätte. Die Mädels hatten ihn, zum Entsetzten der anwesenden Gäste, so schnell aufs Kreuz gelegt, dass er vor Schreck fast zu heulen begann.

Professionell konnten die Beamtinnen dann die Situation retten, verbannten die Feiernden in Richtung eines Lokals und verabschiedeten sich nach der kurzen Belehrung höflich. Natürlich wünschten sie dem Bräutigam alles Gute für das weitere Leben und empfahlen, beim Alkohol vielleicht zukünftig etwas kürzer zu treten.

An diesem Abend kamen sich die beiden Damen dann auch das erste Mal etwas näher. Es schien von Anfang an ein eher gespanntes Verhältnis zu werden, da Katrin wohl gewohnt war, mit vorgesetzten Männern zu arbeiten. Dass diese wiederum schnell, sicherlich auch etwas Karriere fördernd, ihrem Charme verfielen, war kein Wunder. Dass man ihr aber Pam Anderson, das hatte die Chefin jedenfalls im Vorbeigehen am Aufenthaltsraum erhascht, vor die Nase setzte, gipfelte schon an Frechheit.

Samantha gewichtete diese hinterhältige Beleidigung nicht übermäßig, da sie zu der Zeit ganz andere Sorgen hatte. Die Versetzung nach Neustadt schmerzte nachhaltig und markierte gleichzeitig den größten Rückschritt in ihrer Laufbahn. Vor allem deshalb, weil sie von nun an davon ausgehen musste, hier die letzte Karrieresprosse erklommen zu haben. Ihr ehemaliger Vorgesetzter hielt einen Trumpf im Ärmel, welcher, gemischt mit seinen verletzten Gefühlen, zu jeder Zeit ausgespielt werden konnte. Da dieser mit seinen 53 Jahren auch nur eine Stufe über ihr stand, würde er alles daransetzen, so ähnlich war seine Aussage, sie unter sich zu halten.

Allerdings kehrte nun langsam ihr alter Lebensmut zurück. Die erste Phase wurde dabei durch Katrin eingeleitet, welche doch noch zu einer echten Freundin heranwuchs. Die zweite Stufe zu neuem Lebensmut wurde gestern Abend in der Seebach-Disco erklommen. Ein schwuler Freund flüsterte ihr Mut zu, das Leben wieder in Angriff zu nehmen und das eigene Ego ein paar Umdrehungen hochzuschrauben. Als sie heute Morgen aufwachte, war ihr plötzlich klar, dass ein paar Veränderungen für die Zukunft nötig waren.

 

„Willst du etwa im Wagen warten?“ Vor lauter Träumerei hatte sie die Fahrt verpasst und musste zum Aussteigen aufgefordert werden.

Die Seebachklause lag zwischen Titisee und Neustadt in einem kleinen Waldstück. So störte sich nachts niemand am Lärm, doch bot sich im Gegenzug auch eine gute Gelegenheit, hier ungestört einzubrechen.

Da stand er plötzlich vor ihr. „Lui!“ stellte sich der Türsteher vor: „Aber kennen wir uns nicht?“ Längeres braunes Haar und gefühlte zwei Meter groß, streckte er ihr die Hand entgegen. Hatte sie doch gestern erst noch mit Daniel über diesen Typen gealbert und dabei den Körperbau hervorgehoben, präsentierte sich Lui gerade locker gekleidet in einem Rippenshirt. „Ja, ich bin ab und zu hier Gast.“

Grinsend quittierte er ihre Aussage: „Schon klar. Du bist mir bereits beim ersten Besuch aufgefallen. Solche Schnitten gehen bei uns nicht täglich ein und aus. Allerdings hätte ich dich nicht wirklich bei den Bullen vermutet.“

Katrin erkannte, dass Samantha etwas überfahren wurde und übernahm deshalb die Initiative: „Da wir nun schon mal beim Du angekommen sind, könnten wir vielleicht zum Ort des Geschehens wechseln.“

Ohne die Störerin des Geplänkels zu beachten, schritt Lui um das Haus. „Hier auf der Rückseite des kleinen Bistros haben sie die Scheibe eingeschlagen.“

Die junge Kollegin versuchte dann doch etwas heftiger die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

„Fehlt was, oder sprechen wir hier nur über Sachbeschädigung?“ Da nahm der Türsteher endlich Notiz von ihr.

„Vielleicht solltest du hier die Spuren sichern, während ich mit deiner Kollegin den Fehlbestand überprüfe.“

Damit trat er der Beamtin allerdings heftig auf den Schlips.

„Wäre es möglich, dass wir das weitere Vorgehen selbst gestalten? Ich kenne ja nicht deine kriminelle Vorgeschichte. Selbst dann wird deine Erfahrung, egal, wie dunkel sie auch sein mag, kaum ausreichen, um die Ermittlungen hier zu leiten.“

Samantha nickte ihr zu: „Schon Okay“ und lief, den riesigen Bären hinter sich herziehend, zum Vordereingang hinein. Ortskundig ging sie direkt auf das Bistro zu.

„Du wirst doch sicher schon den Schaden erfasst haben. Oder?“ Er nickte und streckte ihr dabei einen Zettel entgegen. Da kam ihr sein Gesicht plötzlich ziemlich nah.

„Sorry. Aber ich wollte nur mal riechen, ob du heute das gleiche Parfüm wie gestern an dir hast.“ Ihre Augen bohrten sich jetzt etwas gefährlich in seine.

Was für Schmalspursprüche, dachte sie und überlegte, ob er nicht wirklich mehr draufhatte?

„Und? Ist es der gleiche Duft?“ Er wich einen Schritt zurück.

„Nein! Es fehlt heute die Süße. Ich denke, das gestern war eher von Lacoste?“

Jetzt war sie beeindruckt und hätte sich dabei fast noch an ihrem Kaugummi verschluckt. Bei der Dunkelheit konnte ihr Erröten zum Glück nicht auffallen. Sie richtete den Blick wieder starr auf den Zettel und versuchte danach belanglos zu klingen: „Wird hier öfter eingebrochen?“

„Das ist das dritte Mal in diesem Jahr. Ich hoffe allerdings, dass die Einbrecher ihre Schlagzahl etwas erhöhen, davon ausgehend, dass du zukünftig für unsere Sicherheit verantwortlich bist?“

Wie nah diese Aussage bei der Realität lag, konnten beide zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.

Er grinste sie wieder frech an und fuhr ihr dabei auch noch mit der Hand über die Wange. Eigentlich hätte sie ihn jetzt ernsthaft in die Schranke weisen sollen. Doch ihre innere Stimme signalisierte ihr, das Spiel noch ein bisschen laufen zu lassen. Er hatte sie mit seiner Art und der billigen Parfümnummer stärker irritiert, als sie es gerade wahrhaben wollte.

„Um wie viel Uhr sind die letzten Gäste gegangen und wann wurde hier dicht gemacht?“

„Claudio und ich haben um kurz nach fünf abgeschlossen.“

„Ist euch dabei noch etwas aufgefallen? Stand vielleicht noch irgendwo ein Auto herum?“

Er lachte und brachte dabei nur verzögert seine Antwort raus.

„Am Auffälligsten ist dieser weiße tiefer gelegte Audi S3, welcher immer noch vorne an der Ecke steht.“

´Scheiße. Mein Auto steht ja noch hier´, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf, die Provokation in der Aussage hatte sie natürlich herausgehört. „Woher weißt du, wem dieser Wagen gehört?“

„Ich habe nicht behauptet……..,“ es wurde ihr zu blöd, weshalb sie ihm ins Wort fiel: „Hör mit diesem Spiel auf. Oder willst du ernsthaft……..,“

Während sie den Satz im Raum stehen ließ, lehnte er sich mit ausgestrecktem Arm an die Wand, so dass sie nicht mehr an ihm vorbeikommen konnte. Lui drückte mächtig aufs Gas und versuchte sich tatsächlich ihrem Gesicht zu nähern. Er befeuchtete seine Lippen unmissverständlich mit seiner Zunge und kam ganz dicht ran.

Ihr Knie zuckte plötzlich etwas ungeschickt und landete dadurch zwischen seinen Beinen. Es wirkte wie ein Stolpern, weshalb man ihr kaum eine Absicht unterstellen konnte. Er zuckte jedenfalls erschrocken zurück.

„Sorry, keine Absicht. Bin einfach noch etwas wackelig auf den Beinen.“

Da er sich eine halbe Minute nicht von dieser peinlichen Situation erholte, verbuchte sie diesen Punktesieg eindeutig für sich. Zielstrebig trat Sam vor die Türe, wo Katrin bereits mit einem Notizblock die Kennzeichen der Nachtparker aufnahm und meinte:

„Der weiße Audi ist unser Hauptverdächtiger.“ Die Kollegin blickte von ihrem Block auf und nickte: „Das habe ich mir schon gedacht. Man hört in der Stadt, dass der Wagen einem Männerverschlingenden Ungeheuer gehören soll.“ Jetzt mussten beide grinsen, während der verdutzte Türsteher etwas kleinlaut hinter ihnen auftauchte.

„Als Claudio und ich gingen, stand dort hinten noch ein roter VW. Ich habe keine Ahnung, ob es ein Golf, Tiguan oder Passat war. Jedenfalls gingen die Bremslichter in kurzen Rhythmen an und aus. Wir amüsierten uns noch darüber, hielten die Situation aber nicht für gefährlich.“

„Du kannst uns wahrscheinlich sagen, welches Parfüm die Beifahrerin trug und welche Konfektionsgröße sie hatte, doch ging dir bei dieser gründlichen Recherche leider das Kennzeichen verloren! Oder?“

Samantha nahm gerade richtig Fahrt auf. Statt eines blöden Gegenkommentars wirkte die deutsche Eiche jedoch gefällt.

„Ich kann euch ja nicht mal den genauen Typ des Wagens nennen. Wie gesagt!?! Das Fahrzeug schien uns keine größere Gefahr darzustellen.“

„Die Adresse und Handynummer von diesem Claudio kannst du uns aber sicher verraten? Was für eine Funktion hat er hier?“

„Er leitet den Barbereich. Wir haben die Disko zusammen gepachtet. Er wohnt in der Scheuerlinstrasse. Auf der Seite ist seine Adresse. Äh, und Samantha? Zufällig sind die Daten auf der anderen Seite vielleicht für dich interessant.“

Sie brauchte die Visiten-Karte, welche er ihr zusteckte, gar nicht erst zu wenden. Es konnte sich bei den mysteriösen Daten ja nur um seine eigenen handeln.

Katrin fuhr kurz darauf, gefolgt von dem weißen Audi, ohne große Verabschiedung davon. Samantha brachte den Wagen nach Hause und lief dann wieder zurück ins Büro. Der herrliche Augusttag hatte die Luft in Neustadt angenehm erwärmt und es trieb schon die Frühaktiven unter den Touristen auf die Gehwege.

Das eigentliche Geschehen in dieser Stadt spielte sich entlang der Hauptstraße ab, wo Geschäfte und Cafés die Gäste anzulocken versuchten.

Natürlich unterlag Neustadt touristisch klar der kleineren Gemeinde Titisee, wo das tägliche Blitzlichtgewitter etwas nervte und wo auch schon mal von einer japanischen Enklave gesprochen wurde.

Samantha schnappte sich in der kleinen Küche erneut einen Kaffee und lauschte kurz der angespannten Diskussion der Kollegen. Die drei anwesenden Herren interessierten sich ebenfalls brennend für das Handymörderthema.

Zurück am Arbeitsplatz hatte Katrin bereits begonnen, den Einbruch in der Seebachklause im Computer zu erfassen.

„Was hältst du von dieser vermeintlichen Einbruchserie?“ Samantha überlegte kurz: „Ich denke, dass hier ein paar kleinkriminelle Jugendliche versuchen, ihren privaten Alkoholkonsum zu decken. Es war nie Bares vorhanden und genauso wenig haben es die Täter auf die ganz harten Getränke abgesehen. Ich bin mir sicher, wenn wir auf dem Schulhof ein paar Mal präsent sind, bekommen bald ein paar Jungs weiche Knie.“

„Sehe ich ähnlich. Vor allem machen es die Pächter diesen Einbrechern ziemlich leicht. Wie findest du eigentlich Lui?“ Bevor Samantha antworten konnte, blieb sie an einer merkwürdigen Mail hängen:

Hallo Frau Kommissar. Hab ein Geschenk für dich. Schau morgen mal in Waldau vorbei.

Gruß Jededinästaldude

„Katrin?“

„Ja?“

„In deinem Alter befasst man sich doch noch mit Abkürzungen wie: >hdgdl< >hab dich ganz doll lieb< und so weiter! Oder?“

„Danke, dass du mich so jung machst. Aber mit solchen Milchbubis habe ich schon lange nichts mehr am Hut. Meine Männerliga dürfte eher aus deinem Jahrgang kommen.“ Sie lächelte kurz rüber und fügte dann hinzu: „Also knapp vor der Rente.“ Der anfliegende Kugelschreiber verfehlte sie nur um Zentimeter.

„Aber warum fragst du? Gibt es da etwas Bestimmtes, was du entschlüsselt haben möchtest?“ „Jededinästaldude?“ „Hört sich holländisch an. Vielleicht solltest du es mal googeln.“ War eigentlich keine schlechte Idee.

„Nee. Spuckt leider auch nichts aus!“

Aber was sollte es mit diesem Geschenk in Waldau auf sich haben? Die Emailadresse zurückzuverfolgen, damit hatte sie bereits gute Erfahrung, führte meist zu keinem Erfolg. Bei den vielen Freemails, konnte man sich sogar unter der Namensangabe einer Automarke oder ähnlichem einen Account anlegen.

Katrin brummelte plötzlich vor sich hin: „Jemand der Dich näher………,“ und ergänzte kurz darauf: „aber hinter den Staldude komme ich auf die Schnelle nicht. Ich denke, dass immer zwei Buchstaben den Anfang eines Wortes bilden.“ Sam nickte: „Sehr gut kombiniert. Wir finden es noch raus!“

Der restliche Tag verlief dann ziemlich unspektakulär und Samantha beschloss heute Abend einmal zeitig unter die Decke zu kuscheln.

4. Der Mörder nähert sich

Der Freitagmorgen begann dann etwas eigenartig. Um neun Uhr erkannte Sam, wie sie früher von ihren Freunden genannt wurde, dass der Wecker seinen Dienst verweigert hatte. Dabei war sie sich sicher, ihn gestern richtig gestellt zu haben.

Jedenfalls übernahm nun das Telefon den unsanften Weckruf. „Halloooo?“ Ihre Stimme signalisierte ganz klar, verschlafen zu haben. „Mensch Samantha. Wo steckst du denn? Bei uns geht es drunter und drüber. Wir haben einen Mordfall und ausgerechnet heute hat die Chefin verschlafen?!?“ Katrin klang ziemlich nervös.

„Einen Mord?“ Damit hatte Sam in dieser Idylle nicht unbedingt gerechnet. Im schönen ruhigen Schwarzwald eine Leiche?

„Hol mich sofort ab“, kommandierte sie ins Handy und sprang bereits in die Klamotten. Eine Schildmütze bändigte ihre gerade dunkelblonden schulterlangen Haare und auf Makeup konnte sie glücklicherweise schon immer verzichten. Die Jeans und die leichten Schuhe rundeten das sportliche Outfit ab.

„Wo geht’s denn hin?“ Katrin gab schon Gas, da war die Beifahrertüre noch nicht mal richtig geschlossen.

„Nach Waldau.“ Samantha zuckte bei der Antwort richtiggehend zusammen. Was stand da gestern in der Mail? Ein Geschenk wartet in Waldau auf Dich? Das kann unmöglich sein.

„Was genau ist passiert?“

„Wir bekamen vor einer halben Stunde einen Anruf, dass ein toter Mann auf einer Parkbank liegt, dazu auch noch ziemlich nahe am Kindergarten. Ein Schreiner von nebenan hat den Notruf abgesetzt. Ein Arzt ist bereits vor Ort, konnte aber nur den Tod feststellen. Er hat uns auf einen unschönen Anblick vorbereitet. Da es sich zweifelsfrei um ein Verbrechen handelt, haben wir die Gerichtsmedizin in Freiburg informiert. Wir sollten zusehen, dass die nicht noch vor uns eintreffen.“

Bei den letzten Worten schwang der Vorwurf, verschlafen zu haben, unmissverständlich im Ton mit. Sam hätte jetzt natürlich erklären können, dass ihr Wecker erstmals in seiner zehnjährigen Geschichte versagt hatte. Doch wunderte sie sich tatsächlich immer noch darüber, wieso dieses blöde Teil ausgerechnet heute seinen Dienst verweigern musste.

 

„Katrin!?! Es tut mir leid, dass du zu deinem ersten Mordfall zu spät kommst. Ich werde mir aber deine versteckten Anspielungen nicht den ganzen Tag anhören. Ich denke, wir werden heute noch genug Probleme bekommen, weshalb ich dir einfach rate, deine Zunge zu zügeln und dich auf das Wesentliche zu konzentrieren.“ Sie giftete die Kollegin an, die nun stur und sichtlich überrascht auf die Fahrbahn starrte.

Die Straße stieg leicht an und führte direkt durch dieses schöne Schwarzwaldtal. An einem Bach links, etwas unterhalb der Straße, wanderte gerade eine kleine Gruppe an den herrlich grünen Wiesen entlang. Natürlich steckten die Wanderer allesamt in traditionellen Kniebundhosen. Samantha konnte förmlich hören, wie sie genussvoll ihre Wanderlieder runter zwitscherten, konzentrierte sich aber schnell wieder auf die bevorstehende Leiche.

Noch eine scharfe Kurve und schon befuhren sie die Durchfahrtsstraße von Waldau. Als sie in die erste Straße rechts einbogen, sahen sie bereits eine Traube von Leuten, welche um die besten Plätze an der Absperrung kämpften. Wenn man die Personen in ein Verhältnis zu den umliegenden Häusern setzte, dann musste sich hier gerade der halbe Ort versammelt haben.

Katrin stellte den Wagen direkt neben dem Krankenwagen, mitten auf der Straße, ab. Die Kollegen aus Freiburg waren tatsächlich schon eingetroffen.

Plötzlich blieb Samantha die Spucke weg. Ein alter Bekannter, welcher für ihre Versetzung nach Neustadt verantwortlich war, führte hier gerade das Regiment. Hauptkommissar Thomas Franz fühlte sich in dieser Rolle, wie immer, sichtlich wohl.

„Ach? Unsere Frau Oberkommissarin ist auch schon aufgewacht! Endlich mal ein Toter und Samantha verkriecht sich im Bett. Aber kein Problem! Wir haben alles unter Kontrolle. Der Fall, so glaube ich jedenfalls im Moment einschätzen zu können, fällt in unseren Bereich.“

Er drehte sich ab und ließ die beiden Beamtinnen einfach wie zwei kleine Schulmädchen stehen.

„Auch wenn die Leiche in den Bereich der Kripo fällt, liegt sie in unserem Bezirk, weshalb Sie uns vielleicht doch ein wenig in das Geschehen einweihen könnten?“ Katrin kam ihrer perplexen Kollegin damit zu Hilfe und ging noch während dieser mutigen Bemerkung direkt auf den Toten zu.

Der Mann war bereits komplett abgedeckt, weshalb sie nur vorsichtig die Plane über dem Gesicht anhob.

„Oh Gott! Scheiße!“ rief sie entsetzt aus, worauf ihr auch schon das nächste Donnerwetter des Hauptkommissars entgegenwehte: „Sind Sie verrückt? Legen Sie sofort die Plane wieder drüber. Die ganzen Leute hier!“

Katrin stolperte schon fast im Laufschritt an Samantha vorbei, die nun ebenfalls in der ersten Reihe angekommen war: „Was muss ich wissen?“

Wie spartanisch eine weitere Konversation werden könnte, erkannte Sam sofort an der Antwort: „Er ist tot!“ Die hochgezogenen Augenbrauen verliehen der Ironie den nötigen Ausdruck.

In diesem Moment kam ein Herr mit grauem, strubbeligem Haar, die Sechzig wahrscheinlich schon in den Knochen, und gesellte sich dazu.

Als Gerichtsmediziner vorgestellt, hob er die Plane nun ebenfalls leicht an und gab sachlich, ohne Anzeichen einer Emotion, von sich: „Vielleicht vom Konto des Handymörders! Der Tod trat jedoch mindestens schon vor ein bis zwei Tagen ein, was auch für den unschönen Anblick die Verantwortung trägt. Zumindest deuten die ersten Anzeichen stark daraufhin.“

Der Hauptkommissar versuchte den weiteren Informationsfluss schnell zu unterbinden, besorgt darüber, dass Samantha zu viel mitbekommen könnte. „Ist schon okay. schicken Sie mir einfach den Bericht.“

Der Gerichtsmediziner wirkte etwas irritiert: „Wer leitet denn überhaupt die Ermittlungen? Es wird hier doch kein Kompetenzgerangel geben? Natürlich dürft ihr euch noch ein paar Minuten aufspielen. Jedenfalls solange bis………,“

Er hob die Hand um eine weitere Person herbei zu winken und meinte: „Ich denke diese Minuten sind vorbei. Da hinten kommt eure Ablösung.“ Er grinste Thomas Franz frech ins Gesicht und wollte ihm damit wohl zeigen, wie ihn dieses Verhalten gegenüber einer jüngeren Kollegin anwiderte.

„Polizeirat Markus Steinhauser. Ich leite die SoKo HaMö“, stellte sich der Dazugekommene vor. Dass dieses Würstchen, vom Aussehen her noch keine Vierzig, die Frechheit besaß, Hauptkommissar Franz so arrogant gegenüber zu treten, gefiel diesem, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, überhaupt nicht. Dass der Freiburger Ermittler vor seiner gerade noch gedemütigten Kollegin klein beigeben musste, machte das Ganze dagegen für Samantha wieder amüsant. Darüber hinaus stach ihr das Aussehen des SoKo-Chefs positiv ins Auge. Sie schätzte ihn auf knapp einen Meter neunzig. Die Haarpracht musste allerdings größtenteils auf der Polizeischule zurückgeblieben sein. Dafür gefiel ihr, wie er sich kleidete. Ein legeres weißes Hemd hing über die braune Cordhose.

„Ich würde die Leiche gerne kurz anschauen“ unterbrach Samantha die aufgeladene Stille. Steinhauser schien dieses Verlangen ebenfalls zu verspüren und schob sie vor sich her.

„Es ist allerdings nichts für schwache Nerven, wenn der Mann tatsächlich schon über vierundzwanzig Stunden tot ist“, warnte er die Kollegin.

Den Blick für die herumstehenden Gaffer abblockend, stellte er sich geschickt vor die Leiche und hob die Folie an. Sam versuchte sich auf das Schlimmste vorzubereiten und dabei sofort jede Emotion auszublenden. Allerdings gelang es ihr, trotz diesem sonst so erfolgreichen Trick, nur knapp, die Contenance zu bewahren. Auf das Handy, welches aus dem stark ausgebluteten Mund herausragte, war sie noch einigermaßen gefasst. Aber, dass dieses Mobilteil schon ein bis zwei Tage darin verweilte, machte den Anblick nicht schöner. Zwei eingeritzte Herzen auf beiden Wangen wirkten ebenfalls irritierend.

„Was will er uns nur damit sagen?“ Steinhauser richtete diese Frage, ohne nennenswerte Gefühlsregung, wohl eher an sich selbst.

„Ich höre heute zum ersten Mal von diesen eingeritzten Herzen. Hatten die anderen……….“, Der Polizeirat unterbrach Samanthas Frage mit einem „Pssst“, was von einem Finger auf den Lippen begleitet wurde.

„Lassen Sie uns nachher auf der Dienststelle weiterreden. Wie kann ich Sie denn finden?“

Franz, der die Unterredung mitzuhören versuchte, schaltete sich sofort ein: „Ich bin Hauptkommissar Thomas Franz aus Freiburg und habe bereits den Fall mit dem Mordversuch vorgestern aufgenommen. Vielleicht kommen Sie……..“,

Steinhauser hob die Hand, welche erneut für Schweigen sorgen sollte.

„Ich werde nachher zuerst mit der Kollegin in Neustadt sprechen. Vielleicht halten Sie sich heute Abend frei, damit ich auf dem Rückweg die Details von beiden Fällen mit Ihnen erläutern kann! Den Mordversuch, das hatte ich ihnen ja schon am Telefon mitgeteilt, rechne ich nicht dem Handymörder zu. Mit diesem Mord hier, bekommt dieser Übergriff allerdings wieder eine neue Betrachtung.“ Die Worte kamen bestimmend und bedurften offensichtlich keiner Zustimmung. Er klang höflich, signalisierte aber auch den Befehl gleich mit.

Die Leiche wurde, nachdem der Gerichtsmediziner grünes Licht gab, von zwei dunkel gekleideten Herren in einen Aluminiumsarg umgesetzt.

„Sie wissen wohin?“ Der eine nickte den Beamten zu. Als sie kurze Zeit später abfuhren, verlief sich auch langsam die Menschenmenge.

Samantha ging zum Auto zurück, wo Katrin bereits käsebleich auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.

„Es tut mir leid, aber ich kann unmöglich fahren. Ich habe so etwas noch nie gesehen.“ Samantha war von diesem Bild natürlich ebenfalls geschockt, wollte jedoch die Routine siegen lassen. Alleine schon, um der Kollegin damit etwas Halt zu geben.

„Lass gut sein. Es ist wirklich kein schöner Anblick. Du musst versuchen, dieses Bild einfach aus deinem Kopf zu verbannen. Bekommst du das hin? Oder möchtest………..“