Blutspur in die Vergangenheit

Text
Aus der Reihe: Kommissarin Samantha Bauer #1
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Blutspur in die Vergangenheit
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Robert Zirlewagen

Blutspur in die Vergangenheit

Hochschwarzwald-Thriller

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

1. Der neue Wirkungskreis

2. Tagebuch

3. Schon wieder in die Disco?

4. Der Mörder nähert sich

5. Erste Aufarbeitung

6. Erste Fakten

7. Zusammenstellen der Fakten

8. wie geht es im Tagebuch weiter?

9. Steinhauser - Update

10. Batman und Robin

11. Ein geheimnisvoller Typ

12. Der Tag danach

13. Der Besuch in München

14. Herr Meisner und die neue Theorie

15. Besorgniserregende Homepage

16. Es geht zurück in die Heimat

17. Er kann es einfach nicht lassen

18. Franks Familie

19. Kurt und Frank

20. Die Wohnung und ihre unliebsamen Besucher

21. Neue Situation

22. Frank in Gefahr

23. Die Schlinge zieht sich zu

25. Er muss weg

26. Leiche im Ruhrpott

27. Interessante Geschichte

28. Eigenartige Begegnung

29. Geständnisse

30. Geständnis Teil 2

31. Blick zurück

32. Besuch zu Hause

33. Schwester Claudia

34. Wieder zurück

35. Dem Ziel so nahe

36. Das erste Geheimnis wird gelüftet

37. Kontaktaufnahme

38. Noch mehr Wahrheit!

39. Köln bereitet sich vor

40. der Bruder und die Finalvorbereitung

41. Finale im Schwarzwald

42. Auf dem Revier

43. Kann Katrin helfen

44. Entscheidendes Treffen

45. Der Täter

46. Späte Aufklärung

Epilog

Impressum neobooks

Prolog

Blutspur in die Vergangenheit

Thriller im Hochschwarzwald

Robert Zirlewagen


Impressum

Texte: © Copyright by Robert Zirlewagen

Umschlag: © Copyright by Robert Zirlewagen

Verlag: Robert Zirlewagen

Im Oberen Grund 37

78166 Donaueschingen

ferienamfeldberg@web.de

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Sollte er tatsächlich ein Stalker sein? Sich mit dieser Frage quälend, konnte er nicht ahnen, dass es einen Menschen gab, der davon ausging, dass Thomas diesen Tag nicht überleben sollte. Zumindest wurde ihm das so schon mal angedroht, wenn er nicht mit dem Stalken seiner Ex aufhören würde.

Thomas, der heute ziemlich aufgebracht war, ging, in diesen Gedanken versunken, durch Freiburgs Seitengassen. Den ganzen Abend hatte er sich nicht auf seinen Job konzentrieren können und war erneut mit einigen Gästen heftig aneinandergeraten. Regelrecht schikaniert hatte er die Männer, welche seinem neuen Nebenbuhler annähernd ähnlich sahen. Er liebte die Arbeit als Türsteher, da sie einen guten Kontrast zu seiner Tätigkeit als Maurer darstellte und man ihn hier auch respektierte.

Doch seit einem Monat waren bei dem Bullen von Mann die Weichen verstellt. Sollte der Zug doch gemeinsam mit seiner zwei Jahre jüngeren Freundin Claudia in den Bahnhof der Ehe einfahren, so hängte sich die blöde Kuh einfach an eine andere Lokomotive.

Diese Gedanken kreisten wieder und wieder durch seinen Kopf, als er an diesem Abend die Disco etwas früher als sonst verließ. Wegen Claudia führte ihn sein Weg in den letzten Tagen immer öfter durch die meist dunkle Karthäuserstrasse. Jede zweite Laterne war wieder mal gelöscht, weshalb er lautstark auf die geizigen Freiburger Stadtwerke fluchte. Doch schnell lenkte der quälende Gedanke an seine Freundin ihn wieder ab. Wie konnte sie ihn nur so verarschen?

Okay, er war in der letzten Zeit nicht wirklich nett zu ihr gewesen. Hatten sie die Liebe aus den Augen verloren? Er hatte sie ein paar Mal geohrfeigt und immer wieder seinen Frust an ihr ausgelassen. Doch gaben diese kleinen Fehltritte ihr das Recht, ihn einfach auszutauschen? Es wollte nicht in seinen Schädel und sein Ego wurde durch das ganze Getue erheblich angeschlagen.

Leicht verunsichert, über seine tatsächliche Qualität als Schläger, wurde er dazu noch vor einer Woche, als ein schmächtiger Typ ihn demontierte.

´Thomas solle seine Ex in Ruhe lassen, sonst bekäme er Ärger´,

konnte er sich noch an den Wortlaut erinnern.

Als er den Angreifer verscheuchen wollte, hatte ihn der Typ geohrfeigt, zwei kleine Schläge verpasst und ihn dann aufs Kreuz gelegt. Es ging viel zu schnell, weshalb er sich nicht wehren konnte. So hilflos hatte er sich noch nie gefühlt und ernsthaft überlegt, lieber die Finger von Claudia zu lassen.

Doch es ging leider nicht. Sein Plan heute? Gleich vor Claudias Türe seine Aggressionen loszuwerden.

Ein paar halbstarke Jungs kamen gerade auf ihn zu. Der Sprache nach waren es keine Deutschen. Er bettelte innerlich fast darum, von diesen Typen angerempelt zu werden. Ja, so ein kurzes Warm-up könnte ihm schon helfen und vielleicht sein Ego wieder etwas in die Spur bringen. Thomas war einfach nicht mehr er selbst.

Sogar in der Disco hatte man ihm nahegelegt, sich endlich wieder in den Griff zu bekommen und seine Wutausbrüche zu zügeln, nachdem er letztes Mal einen Gast bis zur Bewusstlosigkeit verprügelt hatte. Nach einer Nacht in der Zelle holte ihn der Diskothekenbesitzer mit seinem Anwalt wieder raus und sprach dabei auch gleich die letzte Abmahnung deutlich aus. Sie konnten zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise noch nicht ahnen, dass er seinem Nebenbuhler einen Tag zuvor ebenfalls das Nasenbein gebrochen hatte.

Warum ihn Claudia und der Dreikäsehoch daraufhin nicht anzeigten, überraschte den frustrierten Maurer zwar, hinderte ihn aber nicht daran, dieses neue Kuschelduo weiter zu stalken.

Sein Arbeitskollege Franz, den er schon seit der Schule kannte, meinte vor zwei Tagen sogar, er hätte Angst, dass Thomas im jetzigen Zustand jemanden umbringen könnte. Er musste darauf nur grinsen und überlegte, dass dies vielleicht gar nicht die schlechteste Idee sei.

 

Auch diese komische Mail, in welcher er von einer dämlichen Stalkerinitiative aufgefordert wurde, ab sofort jeglichen Kontakt Richtung Claudia zu unterlassen, beeindruckte ihn erst, als die Ohrfeige bei ihm einschlug.

Eigentlich war dem Kraftprotz, mit seiner Größe von über einem Meter neunzig, eh alles scheißegal und sein Leben hatte plötzlich keinen Sinn mehr. Ja, und wenn nun schon seine Persönlichkeit bei den Kollegen ins Lächerliche gezogen wurde, dann könnte er auch die Verantwortlichen vernichten. Zumindest soweit wollte er heute gehen, dass sein Kontrahent endlich mal um sein Leben betteln sollte. Sein Hass wurde immer größer und er konnte sich kaum noch bändigen, nicht auf ein Auto oder eine Mülltonne einzutreten.

Da geschah es endlich! Er hatte die herannahenden Jungs schon fast aus dem Sinn, als zwei der fünf, die mittig auf dem Gehweg liefen, ihn anrempelten: „He Alter, mach dich …….!“

Was sie sagen wollten, interessierte ihn nicht mehr. Die große Klappe lief jedenfalls in einen ungedämpften Hammer, der sofort das warme Blut spritzen ließ. Mutig sprangen die anderen Karatekids mit Fußtritten ihrem Kollegen zur Hilfe. Doch Thomas drehte völlig durch, klatschte den einen mit dem Kopf gegen ein Auto, bevor der nächste auf dem Pflaster der Karthäuserstraße einschlug. Kaum bei dieser Dunkelheit etwas sehend, hörte man nur laute Schreie.

Nach wenigen Sekunden lagen die ersten beiden bewusstlos am Boden, während zwei weitere flüchteten und der fünfte unter der Umklammerung von Thomas linker Hand nur noch röchelte.

„Es ist wohl Zeit sich von diesem Leben zu verabschieden, mein Freund“. Eigentlich wollte er dem Jungen nur Angst machen. So ein kurzes Warmmachen für Claudias neue Liebe! Aber plötzlich sah er das Gesicht seines Nachfolgers wieder vor sich, was seiner Faust freien Lauf ließ. Er bekam seine Wut nicht mehr unter Kontrolle.

Es ging nicht lange, da hörte das Zucken des Jungen auf.

„Scheiße, scheiße, scheiße! Was habe ich getan? So ein Fuuuuuuuck,“ brüllte er um sich, aber niemand war auf der Straße, der ihn hätte hören können. Die beiden anderen, gerade noch auf bewusstlos machend, konnten sich zwischenzeitlich ebenfalls unbemerkt davonstehlen.

Es ging alles so schnell, dass sich hoffentlich keiner der Angreifer sein Gesicht hatte einprägen können. Er jedenfalls wäre nicht mehr in der Lage, einen der fünf zu beschreiben. Für ihn war es ein Treten nach Gestalten ohne Gesichter.

Die Geschichte um den Handymörder kam ihm spontan in den Sinn. Dieser Irre, der durch Deutschland tourte und seinen Opfern das Handy in den Mund steckte ……..?!?´ Noch während er überlegte und sich dabei immer wieder umsah, ob ihn irgendjemand aus der Dunkelheit beobachten konnte, tastete er den leblosen Körper nach einem Handy ab. In der linken Gesäßtasche wurde er dann endlich fündig. Nur, was genau hatte er jetzt gelesen? Der Mörder stopfte das Mobilteil seinen Opfern einfach in den Mund?

´Jetzt mach das mal mit so einem riesigen Smartphone´, ging es ihm durch den Kopf. Es brauchte schon etwas Geschick, bis Thomas dieses Vorhaben erfolgreich abgeschlossen hatte, um dann schnell und hoffentlich unerkannt weiterzumarschieren.

Einer der Typen hatte ihn mit einem Fußtritt im Gesicht erwischt, weshalb er Blut auf der Unterlippe spürte. Jetzt galt es nur noch abzuwarten, ob ihm einer der anderen vier folgen würde.

Er stellte sich in einen kleinen zurückgesetzten Eingang und hielt zwanzig Minuten inne. Die Zeit brauchte Thomas auch, um einen klaren Kopf zu bekommen. Hatte er gerade womöglich tatsächlich einen Menschen umgebracht? Warum hatte er nicht mehr versucht dessen Puls zu fühlen? Vielleicht wäre es ihm ja noch gelungen, den Jungen wiederzubeleben. Dann hätte es eine Chance auf Bewährung gegeben. Aber so? Wenn der wirklich über den Jordan wäre?

Das Schlimmste an der ganzen Sache war jedoch, dass Claudia, sollte man ihn wirklich in den Knast stecken, endlich mit ihrem Hosenscheißer freie Bahn hätte. Sie würde sich wahrscheinlich einen Ast lachen, was er doch für ein dummer Idiot war. Dieses Bild des neu verliebten Paares, welches gerade über ihn lachte, ließ erneut seine Wut aufkeimen.

Obwohl ihm klar wurde, dass er gerade genug Mist angerichtet hatte, ging er weiter die Karthäuserstraße hoch.

Die alten drei- bis fünfstöckigen Häuser reihten sich stadtauswärts aneinander. Nur noch wenige Schritte, dann wäre sein Ziel erreicht.

Es brannte kein Licht im zweiten Stock. Doch würde ihn das nicht davon abhalten, die ganze Nacht vor der Haustüre zu warten. Er musste es jetzt zu Ende bringen und dann …..? Ja, dann würde er sich aus dem Staub machen. Irgendwo hin ins Ausland. Noch heute Nacht würde er Freiburg Richtung Italien verlassen und ein neues Leben beginnen.

An der Eingangstüre lehnte eine Gestalt in einem schwarzen Jogginganzug mit Kapuze. Sie schien ebenfalls auf etwas zu warten. Er konnte zum Zeitvertreib den Typ zuerst mal verjagen und sich somit Luft auf der Wut-Skala verschaffen.

„Auf wen wartest du?“ Er fauchte den Jogginganzug regelrecht an. Der kam allerdings zielstrebig auf ihn zu: „Auf dich, Thomas! Du hast unsere Anweisung nicht befolgt!“ Es war eine raue Stimme, die jedoch verstellt wirkte. Dem Hünen gelang es nicht, ein Gesicht unter der Kapuze wahrzunehmen. Die Antwort kam außerdem sehr überraschend und brachte ihn plötzlich in die Defensive. War das der Gleiche Typ, der ihm letzte Woche eine Verpasst hatte?!? Es machte ihm Angst und er fühlte sich kurz Wehrlos, den Angriff noch mal vor sich sehend. Nein! Der Kerl wirkte auf ihn selbst nervös und unsicher. Keine Spur von der Überlegenheit seines letzten Angreifers.

„Ich soll dich von Claudia grüßen. Sie hat nun endgültig die Schnauze von dem Stalker voll und sieht keinen anderen Ausweg mehr.“

Thomas stand wie angewurzelt da. Er, eine Dampfwalze, die gerade dabei war, alles im Weg stehende Platt zu machen und sich zurückzuholen was ihm zustand?!? Auf der anderen Seite ein schmächtiger Typ, kleiner als er, der darüber hinaus versuchte, ihm Angst zu machen und dabei offensichtlich selbst die Hosen voll hatte. Das wurde ihm doch zu blöd. Auf einen mehr oder weniger kam es heute Nacht vielleicht gar nicht mehr an! Er ließ ohne Ankündigung seine Faust schwingen und sah dabei schon die Schlagzeile seines Amoklaufes vor sich ablaufen.

Dummerweise hatte er, in seiner Verwirrung, zu lange gewartet. Bevor die Keule nämlich einschlug, spürte er ein unangenehmes Gefühl am Hals und seine Beine versagten sofort. In Zeitlupe spürte Thomas wie er zu Boden ging. Es knatterte immer noch an seinem Hals. Er verlor ganz langsam das Bewusstsein, während ihm jemand mit den Fingern, nach der Manier eines Zahnarztes, im Mund herumfummelte und irgendetwas hineinsteckte.

Er konnte es nicht fassen. Der Koloss lag wehrlos am Boden und sein Handy diente als Maulsperre. Wie konnte dieser Scheißabend doch nur so aus den Fugen geraten. War er gerade noch der Nachahmer eines gefährlichen Serienkillers, traf er wenige Minuten später tatsächlich auf selbigen? Was hatte der Handymörder mit Claudia zu tun?

Er verlor das Bewusstsein endgültig und es stand für den Angreifer fest, dass dieser Mann ab heute niemandem mehr schaden würde. Wobei ihm das auch reichlich egal war. Nun musste die Leiche aber noch an den Platz geschafft werden, wo sie von einer ganz bestimmten Person zu finden wäre. Der Termin musste passen! Ob überhaupt schon jemand auf die Zahlenkombination seiner Opfer gestoßen war?

Er verfolgte natürlich seinen eigenen Plan und hoffte einfach nur, dass man bald jemand für seine Morde hochnehmen würde. Jemand, der ihm zu seinem Glück im Weg stand.

Sich beweisen, dass auch er etwas zu Ende bringen konnte und kein Versager war, stand leider an zweiter Stelle! Schade eigentlich, dass nie jemand erfahren durfte, was er hier gerade Großes schuf.

1. Der neue Wirkungskreis

Samantha saß entspannt an der Bar, im zweiten Stock einer ländlichen Diskothek. Der Schweiß ihrer zweistündig ausgeflippten Tanzeinlage, mit welcher der Kopf von den aufgestauten Lasten der letzten Wochen und Monate befreit werden sollte, sorgte für eine glänzend schimmernde Haut. Da dieses rhythmische Herumhüpfen nur bedingt zum Erfolg führte, signalisierte ihre Hand dem Barkeeper gerade die dritte Whiskybestellung. Der dunkelhäutige Glatzkopf servierte das Getränk mit einem freundlichen Lächeln, wobei seine riesige Zahnlücke aufblinkte.

Seit Samanthas Einstieg bei der Kripo, markierte diese Versetzung vor vier Monaten ihr größtes Karrieretief und es schien sich nun doch tatsächlich die ungezügelt provozierende Vergangenheit zu rächen. Aktuell war es auch egal, wer oder was mit diesen Jugendsünden hätte abgestraft werden sollen. Vielmehr wurde ihr langsam klar, dass in diesem Moment nur eine Person die ganze Zeche bezahlen musste.

„Entschuldigung, bist du nicht……..???“ Es war nun innerhalb der letzten zehn Minuten schon die dritte Anmache von rechts. Die beiden von links gar nicht erst mitgerechnet.

„Nein, ich bin nicht die Piratenbraut aus Fluch der Karibik!!! Nein, ich bin nicht das Busendouble von Pamela Anderson und nein, du kennst mich auch nicht als Helene Fischer!“ Sie war mit ihren zweiunddreißig Jahren doch schon viel gewohnt. Aber weil sich in dieser Disko nur Jungs mit wesentlich weniger Lenzen herumtrieben, welche darüber hinaus offensichtlich auch noch alle den gleichen Anmachcoach hatten, verbesserte sich ihre aktuelle Situation nicht wirklich.

„Du bist es tatsächlich! Sam, das Super-Luder aus dem Ruhrpott.“

Das hartnäckige Anbaggern fortsetzend erreichte der Fan nun sogar, eines Blickes gewürdigt zu werden. An der Bar im Obergeschoss, welche eher einem thekenbesetzten Balkon um die darunterliegende Tanzfläche glich, war nicht übertrieben viel los. Außer diesem Typen, welcher ihr nun doch bekannt vorkam, gab es noch zwei wilde Zocker, die etwas weiter hinten an der Wand auf den Automaten herumhämmerten.

„Daniel???“ Er grinste erfreut, tatsächlich noch in diesem weiblichen Gedächtnis zu existieren, während Sam es kaum fassen konnte, endlich mal wieder jemand aus dem alten Leben zu treffen.

„Daniel? Der einzige Junge des Thomas-Hansen-Gymnasiums, mit dem ich nie Sex hatte.“ Dieser Joke, mit welchem sie ihn schon früher immer hochgenommen hatte, entlockte nun auch ihm ein Schmunzeln. Sie waren zwei Jahre in dieselbe Klasse gegangen und pflegten, bis auf diese Frotzelei, kein schlechtes Verhältnis. Grinsend holte Daniel zum Gegenschlag aus: „Wenn ich mich richtig erinnere, dann hatten wir doch Sex. Vielleicht ist der Grund für deine fehlende Erinnerung, dass du ja nur als Foto die Toilette mit mir teilen durftest. Allerdings muss ich dich an dieser Stelle enttäuschen. Es gab da noch Bilder von anderen Personen, welche mich wesentlich mehr anmachten.“

Ihr offenstehender Mund verriet, dass dieser Haken gesessen hatte, weshalb er sofort noch einmal zum Nachtreten ausholte: „Nein, aber im Ernst. Ich weiß mittlerweile, dass du mit diesem Spruch immer übertrieben hast. Klaus, der blonde Junge aus unserer Parallelklasse, hat mir vor zwei Jahren gestanden, dass auch er nicht……..“, jetzt musste Daniel husten und Samantha kam ins Grübeln.

„Du hast recht. Ich erinnere mich an ihn. Er war so ein hübscher smarter Popper, der mir eigentlich recht gut gefiel. Hat dir dieses Weichei vielleicht auch verraten, wieso er in meiner Gegenwart nie den Mund aufbrachte, dafür aber bei meinen Kontaktversuchen sofort den Schwanz einzog?“ Mit schmunzelndem Gesichtsausdruck nickte er und fing dann laut an zu lachen.

Doch vor der Antwort tippte er noch einmal, den Blick an den Barkeeper gewandt, auf den Whisky und hob dabei zwei Finger.

„Ja, ich glaube den Grund dafür jetzt gut zu kennen. Wir beide sind seit über einem Jahr ein Paar.“

Dieses Mal schaltete Samantha recht schnell, sprang lachend vom Hocker und umarmte den Sitznachbarn. Es überkam sie spontan und wirklich unerwartet so ein Gefühl, als hätte sie gerade eine alte Freundin wiedergefunden.

„Wahrscheinlich bist du somit der einzige Junge in diesem Schuppen, der tatsächlich nur die Absicht hat, mit mir einen zu heben. Ja, vielleicht bist du jetzt auch noch mein letzter Kumpel auf der Welt, mit dem ……,“ sie stockte und völlig unerwartet überkam sie die Melancholie, was Daniel natürlich nicht bemerken durfte.

 

Warum konnte sie nur so tief sinken??? Junge Menschen leben, machen verrückte Sachen und bedenken dabei nicht, dass sie in diesem Moment gerade ihre komplette Zukunft aufs Spiel setzen. Das Ergebnis war bei ihr die Flucht aus dem Ruhrpott, wo sie aufgewachsen war, und endete nun ganz im Süden Deutschlands. Alleine der herrlichen Schwarzwaldlandschaft gelang es noch einigermaßen, sie täglich zum Aufstehen zu motivieren.

Und nun kam tatsächlich ein Freund, aus der überhaupt nicht vermissten alten Zeit und weckte Erinnerungen.

„Aber sag, was treibt dich in diese Gegend?“ Mit der Frage versuchte sie ihren Gedankenwirrwarr zu überspielen.

„Beruf! Ich werde in den nächsten Monaten einen Betrieb in Eisenbach coachen. Ich weiß nicht, ob du den Ort überhaupt kennst, er liegt nur ein paar Kilometer ………,“ Sein Finger zeigte in eine Richtung, während sie nur knapp, ortskundig wirkend, abwinkte.

„Und was machst du hier?“ Ja, was tat sie eigentlich hier?

´Ein Vorgesetzter auf meiner letzten Polizeidienststelle in Freiburg hat einen Pin-up-Kalender entdeckt, auf welchem ich eigentlich vor ein paar Jahren mal eine recht gute Figur abgegeben hatte. Da bei diesem Fotoshooting jedoch komplett auf Kleidung verzichtet wurde und somit meine dienstliche Karriere stark gefährdete, erklärte er sich freundlicherweise bereit, diesen Ausrutscher zu verschweigen, wenn wir am Abend mal zusammen etwas unternehmen könnten. Nachdem er bei diesem Treffen die Formen, wie ihm vom Foto bekannt, auch noch abtasten wollte, fühlte er sich durch die Ohrfeige tatsächlich gekränkt.

Am nächsten Tag hing ich als Trophäe nackt in seinem Büro und bat, auf sein Verlangen hin, im Tausch gegen den Kalender, wieder um Versetzung.

Okay! Vielleicht sollte ich nicht gleich mit meiner kompletten Geschichte heraus platzen.´

„Du, ich habe meinen Weg bei der Polizei gemacht und leite gerade die Dienststelle in Titisee-Neustadt.“

„Aha? Eigentlich vermutete ich eher, dich einmal auf dem Chefsessel in oberster Position wiederzufinden. Vielleicht sogar als Nachfolgerin deines erfolgreichen Papas. Hast du überhaupt noch Kontakt zu deiner Familie?“

Der Barmann brachte gerade die beiden nächsten Whisky und Samantha kippte den Rest des letzten Glases schnell hinunter.

„Falsche Frage, zum falschen Zeitpunkt.“

Er nickte verständnisvoll, verstand den Stoppvermerk und lenkte den Konversationsverlauf in eine andere Richtung:

„Hast du auch einen Freund?“ Jetzt platzte ein Lacher aus ihr raus.

„Ich hätte nie gedacht, dass mich ein Mann einmal fragen würde, als wäre er meine beste Freundin, ob ich aaauuuuch einen Freund ……..???“

Darauf konnte auch er das Lachen nicht unterdrücken und stieß einfach mit ihr an.

„Aber nein! Momentan ist in meinem Leben kein Platz für eine feste Beziehung.“ Mit diesem Satz schien ihr gerade erst klar zu werden, dass das Kapitel Beziehung, seit sie vor vier Monaten den Job hier antrat, nach eh schon langer Pause, endgültig in die Tabu-Schublade verbannt wurde. Aber warum nur? Sie hatte immer Erfolg bei den Jungs und kostete dies auch intensiv aus. Während Daniel im Hintergrund weiter redete, beschloss sie, sich dem Thema Jungs wieder verstärkt zu widmen. Scheiß auf die Emotionen und die Gefühle anderer und genieße dein Leben. Egal…….

„Oder was meinst du?“ Der alte Freund blickte sie fragend an und Sam hatte keine Ahnung, zu welcher Frage sie ein Statement abgeben sollte.

„Ganz ehrlich?“

„Ja! Ganz ehrlich!“ Er wirkte etwas misstrauisch auf ihre Gegenfrage.

„Ganz ehrlich! Ich muss mal kurz auf die Toilette und mir ein paar Gedanken zu diesem Thema machen.“

Sie stand auf, schnappte ihre Handtasche und stolzierte los. Obwohl ihr die Milchbubis hier in den letzten Tagen gehörig auf die Nerven gingen, genoss sie jetzt die gierigen Blicke der heranwachsenden Opfer. Auf einmal sah sie alles wieder in einem anderen, viel helleren, Licht. Als sie an die Bar zurückkehrte, hatte sich seine Frage glücklicherweise in Luft aufgelöst und sie begann mit einem Neustart.

„Aber Daniel. Mal ganz ehrlich. So von Frau zu Frau. Hast du hier schon einen interessanten Typen ausgemacht?“ Jetzt musste er lachen, war aber trotzdem nicht um eine Antwort verlegen: „Der Türsteher ist mir sofort ins Auge gestochen. Ich stehe irgendwie auf große Muskelmänner.“

Er hatte recht. Dieser langhaarige Zweimetermann fiel auch ihr sofort ins Auge und war darüber hinaus wahrscheinlich einer der wenigen in diesem Schuppen, welcher die Dreißigermarke übersprungen hatte.

„Ja, der ist ein echtes Schmuckstück. Mal davon abgesehen, dass er wohl lieber Motorrad als Auto fährt.“ Damit spielte sie fast schon bewundernd auf sein Outfit an.

Sie quatschten noch ein wenig über die alten Zeiten weiter, bevor sich Samantha verabschiedete und draußen ein Taxi nahm.

Sie musste rund drei Kilometer fahren, um von der Walddiskothek nach Hause zu kommen. Ihre Wohnung lag am anderen Ende von Neustadt, direkt über einem Möbelhaus. Auf den gut einhundert Quadratmetern Dachwohnung hatte sie sich eine schöne Penthouseatmosphäre geschaffen.

Um drei Uhr zuhause eingetroffen, entledigte sie sich der verschwitzten, rauchigen Klamotten und sprang noch schnell unter die Dusche. Als sie danach auf direktem Weg Richtung Bett ging, lagen ihr plötzlich drei Bücher im Weg. Sie schienen selbständig aus dem Regal gefallen zu sein. Beim Zurücklegen weckte das eine, mit der Aufschrift ´Tagebuch von Samantha Bauer´, ihr Interesse. Sie nahm es mit ins Bett und schlug die erste Seite auf.