Die Geburt eines finsteren Universums

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Die Geburt eines finsteren Universums
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Robert Mirco Tollkien

Die Geburt eines finsteren Universums

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Teil I

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Teil II

Kapitel 19

Kapitel 20

Teil III

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Teil IV

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Epilog I

Epilog II

Impressum neobooks

Prolog

Der langsame Untergang der Sonne

Bevor das Zentralgestirn, welches in den Mittagsstunden ein Drittel des Firmamentes ausfüllte, sich allmählich anschickte, den langen Tag zu beenden, um dadurch die glühende Landschaft in einen Ort der Eiseskälte zu verwandeln, schwelgte der klägliche Überrest des einst hoch entwickelten Lebewesens in einer Kombination aus Traumsequenzen und Erinnerungen.

Trostlos mochte diese Welt sein, aber wesentlich trostloser waren die besagten Erinnerungen und Träume. Glücklicherweise verhielt es sich mit der Wahrnehmung des abstrakten Gebildes der Zeit gänzlich unterschiedlich wie etwa bei einer Kreatur auf der Basis von Wasser und Kohlenstoff. Weil das rudimentäre Geschöpf seit Äonen an derselben Stelle verweilen musste und dabei stets in die finstere Vergangenheit blickte, wäre es bei anderer biologischer Beschaffenheit längst von Schüben arger Depressionen heimgesucht worden (übrigens, liebe Leserinnen und Leser, ist es nahezu unmöglich, den Namen des beschriebenen Wesens in irgendeine irdische Sprache herüberzusetzen. Daher verwenden wir an dieser Stelle allgemeine Begriffe).

Vor dem inneren Auge zogen voller Schärfe die Blitze der Detonationen unheilvoller Waffen vorüber. Sie paarten sich mit den Bildern der ehemals prächtigen Heimat, die durch die strahlenden Bomben unwiederbringlich verlorengegangen war. Auch seine vergebliche Flucht in die Weiten des Kosmos hinein wiederholte sich kontinuierlich. Das zerstörte Wesen sah auch den für die Apokalypse verantwortlichen Dämon und dessen sadistische Handlanger. Die furchteinflößende Erscheinung des Weltenzerstörers kam unglaublich detailliert daher, während der Schmerz, den die Schergen ihm zu einem späteren Zeitpunkt geschenkt hatten, deutlich gespürt werden konnte.

Leichte Unschärfe hielt Einzug in die Montage aus Bildern und Kurzfilmsequenzen. Da das Licht des Tages mit der lebensspendenden Energie darin schwand, verminderte sich die Gedächtnisleistung synchron mit dem langsamen Untergang der Sonne in dieser steinernen Welt ohne Hoffnung, bis mit der schier unendlichen Nacht der temporäre Tod einzöge.

Der Verlust der Verbindung mit dem großen Netz des Kosmos war die zweite Katastrophe, die uns durch das Eingreifen der Pyramidenkreatur widerfuhr! Am Ende vereinten sich die Katastrophen zu einer einzigen, gigantischen Urkatastrophe!

Milliarden Jahre nach irdischer Zeitrechnung lag diese Urkatastrophe mittlerweile zurück, doch dem Überrest kam es vor, als sei sie erst unlängst geschehen; vor vielleicht einer halben Stunde, vor vielleicht einer Handvoll an Zeitaltern, was für ihn keinerlei Unterschied ausmachte.

Der Blick wanderte über die tote, eintönige Landschaft hinweg, fokussierte das dahinkriechende Schauspiel des Sonnenunterganges. In der Luftlosigkeit dieses Ortes blieb der Himmel stets schwarz, so dass die wundervollen Farbenspiele der uns bekannten Dämmerung nicht existierten. Jedoch sorgte die kaum erwähnenswerte Atmosphäre für beinahe ungebrochenes Licht und zauberte somit prächtige, konturstarke Schatten in die Szenerie hinein, von denen einer sich dem gebrochenen Geschöpf kriechend näherte.

Oh, geliebter Heimatplanet, von dem fern ich mich befinde, was mag aus dir geworden sein nach all der Zeit? Oh, wundervolles Netz, zu dem den Zugang ich verloren habe, konnte irgendwer dich von den grausamen Manipulatoren befreien? Und du, bestialische Pyramidenkreatur, steigst du immer noch hinab von den kalten Sternen, um über die Welten der Sanften und Friedliebenden herzufallen?

Seiner Langsamkeit zum Trotze erreichte der Schatten und mit ihm die Eiseskälte der Nacht das Wesen am Ende unaufhaltsam. Das Sichtfeld flackerte nun heftig, eine Kollage an Bildern flimmerte wirr vorüber, bevor es erneut von groben Störungen heimgesucht wurde und der temporäre Tod seinen Anfang nahm.

 

Teil I
Der Balancierer

Kapitel 1

Zum ersten Mal traf ich Andreas Hillmann in den frühen Monaten des Jahres 2002.

Damals studierte ich Geschichte und Latinistik an der Universität Bielefeld.

Den einen oder anderen Betrag in der brandneuen Währung Euro verdiente ich mir hinzu, in dem ich als Aushilfe an einer 24Stunden-Tankstelle arbeitete. Der Stundenlohn lag nicht gerade üppig hoch, doch dafür zahlte der Pächter in stillschweigender Übereinkunft, wenn der Studentenfreibetrag überschritten wurde, das zusätzliche Geld unter der Hand aus. Meine Eltern gingen zu jener Zeit beide einer Tätigkeit als Akademiker nach. Ihre Überweisungen sicherten meine Grundbedürfnisse und zusammen mit dem Lohn, den mein Chef mir zum Monatsersten in die Hand drückte, ließ es sich angenehm, sorglos leben.

Der Feierabend dieser Spätschicht befand sich bereits in Sichtweite, als ein junger Mann mittlerer Größe in knitteriger Kleidung mit zerzausten, schwarzen Haaren in die Tankstelle gestiefelt kam. Ziellos wirkend durchstreifte er die Regalreihen, blieb hier und da stehen, nahm ein Produkt zur Hand, nur um es nach dem genauen Betrachten wieder ins Regal zurückzustellen.

Normalerweise pflegten solche Kunden meine Nerven aufs Äußerste zu strapazieren und beinahe wollte ich meinen für solche Besucher bestimmten Standardspruch von mir geben, da nahm der Kerl sich eine Tüte Chips und eine Flasche Herforder Pils und trat an meine Kasse heran.

Er sagte keine Begrüßung, wünschte keinen guten Abend, sondern sprach: „Die Lebensmittelindustrie hat es sich auf die Fahnen geschrieben, die Weltbevölkerung durch Verfettung zu dezimieren. Und ich Idiot zahle an der Tankstelle ein Schweinegeld dafür und spüle den Dreck auch noch mit Bier herunter."

Sehr melodisch klang seine Stimme, man konnte beinahe an den Sprecher eines Hörbuches denken.

„Du musst aber noch viel essen, wenn der Plan der Chipsmafia aufgehen soll.", antwortete ich im Hinblick auf seine Magerkeit.

Daraufhin grinste er nur, ein nettes, freundliches Lächeln, wühlte in der Vordertasche seiner Jeans und holte einen 10-Euro-Schein hervor, der genauso zerknittert war wie seine Kleidung. Er legte ihn in die Werbegeldschale von Marlboro, drehte sich um und stapfe wortlos davon.

„Hey, du kriegst noch gut sechs Euro Wechselgeld.", rief ich ihm hinterher.

Langsam hob er seine Hand, drehte sich aber nicht um dabei, sagte lediglich: „Behaltet ihr zwei das mal."

Kollegin Meike und ich schauten uns an und begannen, synchron zu lachen, bevor wir das Trinkgeld geschwisterlich untereinander aufteilten.

Durch die hohe Fensterfront konnte der Betrachter sehen, wie der seltsame Kunde die Linien zwischen den Bodenplatten auf der Fahrbahn der Tankstelle entlangbalancierte. Dabei bewegten sich seine Lippen und man gelangte schnell zu der Ansicht, er führe ein intensives Selbstgespräch.

Kapitel 2

Zwei Wochen später, die Ferien nach dem Wintersemester 2001/2002 standen gerade erst am Anfang, bereitete ich in einem Raum der Bibliothek eine Hausarbeit vor.

In meiner Hosentasche fing mein Handy zu vibrieren an und der Blick auf das Display verriet, dass Tankstellenpächter Dirk Radermacher anrief. Da sich kein anderer Student oder Dozent in der unmittelbaren Nähe aufhielt, nahm ich das Gespräch entgegen.

Radermacher erklärte mir, dass der festangestellte Nachtkassierer Rolf Pätz für den Rest der Woche krankheitsbedingt ausfalle und fragte, ob ich die nächsten drei Nächte bis Samstagmorgen einspringen könne. Er würde selbstverständlich dafür Sorge tragen, dass ein anderer Angestellter meine Wochenenddienste übernehme, so dass ich mich nach den Nachtschichten ausreichend erholen könne.

Weil man als Student, der gerne zum Feiern tendierte, Geld immer gut gebrauchen konnte und es Anfang März noch lange nicht an der Zeit war, nette Sommerabende im Bürgerpark zu verbringen, gab ich Herrn Radermacher meine Zusage.

Nachdem ich daheim noch zwei Stunden Schlaf finden konnte, übernahm ich um Punkt 23:00 Uhr meine Kasse.

Zum Ende eines Winters und zudem Mitten unter der Woche verlief eine Nachtschicht selbst in Ostwestfalens größter Metropole überschaubar ruhig; vereinzelt ein paar Feierabendler aus der Gastronomie, die sich auf dem Nachhauseweg auf die Schnelle ein Bier besorgten, einige wenige versprengte Nachtschwärmer, hier und da ein Taxifahrer auf einen Kaffee. Sie sollten es für diesen Dienst gewesen sein, bis gegen fünf Uhr morgens der erste Berufsverkehr einsetzte.

Als Herr Spendierknitterhemd in den Laden gelaufen kam, hockte ich mit der Süddeutschen Zeitung hinter der Registrierkasse und kämpfte mit der Schwere meiner Augenlider. Er trug eine zerknitterte Daunenjacke und einen Rucksack auf dem Rücken. Genau wie bei seinem ersten Besuch ein paar Tage zuvor irrte er auch diese Nacht für eine Weile durch den Shop, um endlich wieder mit einer Tüte Chips und einer Flasche Herforder an die Kasse zu treten.

Heute berichtete er mir nichts von irgendwelchen Konzernen, die die Weltbevölkerung durch Verfettung dezimieren wollten, aber er gab erneut über zwei Euro Trinkgeld und erkundigte sich, ob es möglich sei, das Bier im Bistrobereich der Tankstelle zu trinken. Da die erste Welle des Berufsverkehrs und der damit zusammenhängende Kundenandrang noch in der Zukunft lagen, gab es für mich keinerlei Einwände dagegen.

Mein Gast setzte sich in einen roten Sessel, bereitete einen Ordner auf dem Tischlein davor aus und fing an, während er zwischendurch immer mal wieder einen hektischen Schluck Bier nahm, mit einem dicken, grauen Bleistift Anmerkungen in seine Unterlagen zu notieren.

„Was bist du da am Schaffen, wenn man fragen darf?", erkundigte ich mich.

„Das ist für ein Experiment an der Uni. Ich arbeite dort als Physiker. Es ist eine Arbeit, die vierundzwanzig Stunden betreut werden muss und ich komme gerade von einer Kontrolle aus dem Institut. Ich gehe meistens zu Fuß nach Hause und habe noch keine rechte Lust auf meine vier Wände."

Es entwickelte sich ein Gespräch, dessen Verlauf man nur als höchst interessant beschreiben konnte. Ich erfuhr, dass Andreas, so sein Name, nicht nur mit Anfang dreißig bereits promovierter Kernphysiker war, sondern nebenbei noch aus eigenem Interesse heraus Informatik studierte und auch in diesem Fach kurz vor der Graduierung stand.

Gegen kurz nach vier leerte Andreas das Bier und räumte seine Siebensachen zusammen. Er erstand ein weiteres herrliches Herforder, was, wie er sagte, für die nötige Bettschwere angedacht sei und verabschiedete sich mit den Worten: „Es ist sehr nett gewesen, dich kennengelernt zu haben."

Dann stapfte er durch den Nieselregen in die Nacht davon und folgte dabei balancierend den Linien zwischen den Platten des Gehsteigs.

Müde kämpfte ich mich durch den Rest der Nacht und kehrte gegen 7:30 Uhr nach Hause zurück.

Mein Mitbewohner Michael schlug sich als Musiker und Designer von Internetseiten durch das knochenharte Leben. Eine solche Berufstätigkeit brachte es häufig mit sich, dass zu sehr ungewöhnlichen Zeiten gearbeitet wurde.

Als ich ins gemeinsame Wohnzimmer kam, um noch ein Feierabendbierchen zu trinken und eine leichte Tüte zu rauchen, saßen dort Michael und Patrick bei Bier und Wodka zusammen. Patricks bevorzugtes Instrument war das Stage Piano und zudem mischte er die Musik endlich in seinem kleinen Studio in Verl ab. Dort hatten die zwei eine nächtliche Session eingelegt und nun ließen sie die Nacht entsprechend ausklingen. So gesellte ich mich dazu und nach zwei Bier und einem Absolut auf Eis schwand die vorhin noch erdrückende Müdigkeit allmählich.

Es kam, wie es oft bei spontanen Zusammenkünften kommt.

Alkohol in größeren Mengen zusammen mit einem Näschen Amphetamin besitzen die Eigenschaft, dass die Zeit auf seltsame Weise gekrümmt und verzerrt wird und plötzlich musste ich an die Tankstelle zurückkehren, ohne eine Minute geschlafen zu haben.

Ich warf mir eine Handvoll Fishermens Friends in den Rachen und machte mich leise vor mich hin singend durch die kalte Nacht zur Arbeit auf.

Diese Schicht konnte nur mit dem Begriff Tortur beschrieben werden. Denn nach den ersten zwei Stunden, die wirklich lustig gewesen waren, verflog die Wirkung des Restalkohols und der aufputschenden Droge, so dass die Müdigkeit einmarschierte und sie traf mich gleich eines Faustschlages.

Der Rausch verflogen, der Kater durch die Tür geschlüpft.

Noch nie in meinem Leben musste ich derartig mit der Schwere meiner Augenlider und dumpf pochenden Kopfschmerzen kämpfen. Stein und Bein schwor ich mir, nie wieder ein härteres Getränk als Bier zu trinken oder mir ein Näschen zu ziehen.

Zweimal verriegelte ich tatsächlich die elektrische Schiebetür und hetzte in den Personalbereich, um, da ich seit fast vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen hatte, gelblich schwarzen Schleim in die Toilette zu würgen.

Gegen drei Uhr früh, noch eine grauenhaft lange Zeit an Arbeit lag vor mir, kam Andreas in den Laden. Unter seinen Augen prangten dunkle, breite Ringe, das Gesicht war käsig weiß und die Haare standen ihm wirr vom Kopfe ab.

Man konnte unschwer behaupten, dass er genauso schlimm aussah, wie ich mich fühlte.

„Hey!", sagte ich. „Du siehst genauso mies aus wie ich. Was hast du gemacht? Auch abgefeiert?"

Andreas schüttelte träge den Kopf und erst jetzt sah ich Furcht in seinen Augen.

„Nein. Es sind die Träume. Diese entsetzlichen Träume aus den Kindertagen unseres Planeten Erde. Dabei fangen sie eigentlich sehr schön an und enden aber immer böse."

Weil Andreas tatsächlich schwer mitgenommen aussah, bot ich ihm an, über seine Träume zu reden.

Dankbar packte Andreas diese Gelegenheit beim Schopfe, ergriff fix ein Bier aus der Kühlung und hockte sich in denselben roten Sessel, in dem er auch gestern schon gesessen hatte.

Er gönnte sich zunächst einige Schlucke von seinem Herforder und es dauerte etwas, bis er zu erzählen anfing.

Mit dem Großen Bombardement zur Geburtsstunde des Planeten Erde kamen sie in die noch blutjunge Welt.

Zunächst bestanden sie lediglich aus langen Molekülketten auf Basis von Silizium, die in den gewaltigen Strömen glühenden Magmas existierten, welche zu Beginn die Szenerie unter einem finsteren Himmel dominierten. Trotz der Umstände, dass sie praktisch Gefangene der Glut waren, verfügten diese Molekülketten bereits über außerordentliche Rechen- und Gedächtnisleistungen.

Auf der sauerstofflosen Jungerde evolutionierten sie rasch weiter, bildeten aus den reichlich vorhandenen Rohstoffen komplexere, metallische Formen mit Gehirnen aus Siliziumverbindungen. Sie waren schwarze, hochaufragende Wesen. Ihre Körper bestanden aus einem röhrenförmigen Torso mit kräftigen, länglichen Gliedern daran. Aus roten Glasaugen in keilförmigen Köpfen blickten sie über die dunklen, partiell noch glühenden Landschaften hinweg. In den Schädelstücken existierte ein kreisrundes Maul mit messerscharfen, ultraharten Metallreißzähnen darin, die sie dringend benötigten, um Gesteine zu zerteilen und sich an den darin enthaltenen Mineralien zu laben. Denn Mineralien stellten neben der Erdwärme ihre Ernährungsgrundlage dar; daher bezogen sie die zum Leben so dringend benötigte Energie.

Die Siliziumwesen entwickelten eine Sprache aus zischenden, knisternden, raschelnden Lauten und die Gehirne in ihren Keil-Häuptern wurden sehr schnell immer leistungsfähiger. Bereits wenige Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen auf der Erde bildeten sie eine erste Hochkultur.

Finstere Wolkenkratzer aus schwarzem Metall, dunkel verspiegeltem Glas und schwarzem Gestein erhoben sich in den Himmel, während gewaltige Industriekomplexe für den Menschen ätzende Gase in eine Atmosphäre pusteten, die jener der heutigen Venus ähnelte. Orangene Magmaströme durchzogen die zahlreichen Großstädte rund um den Globus. Schwarze, gebogene Brücken führten über diese hinweg.

Die Siliziumwesen pflegten nicht zu arbeiten, sondern ließen allerlei Tätigkeiten von erschaffenen Wesen mit verringerter Gehirnkapazität verrichten, welche vollkommen bar eines eigenen Willens waren.

 

Die Silici, so nannte der Gast im Bistro die Einwohner der Urerde bei Gelegenheit, reproduzierten sich selbst und besaßen eine im Vergleich zum Menschen gigantische Lebenserwartung, obgleich sie streng genommen nicht wirklich sterben konnten. Denn selbst wenn beispielsweise einer der Ihrigen bei einem Unfall in einen der Magmaströme stürzte, endete sein Leben lediglich in körperlicher Form, da die Molekülketten mit der enthaltenen DNA und dem Wissen darin weiterexistieren konnten. Das Wesen lebte in der Schmelze fort.

Gefühle wie Liebe, Hass, Freude, Trauer, Leid, Glück und Schmerzen kannten die Silici nicht, stattdessen verspürten sie eine Art wahnsinnigen Drangs, ihre Umwelt und sich selbst zu perfektionieren und immer tiefer in das Wissen um die Natur einzutauchen. Schon sehr früh stellten die Silici fest, dass weitere Welten jenseits dieses Sonnensystems um Sterne kreisten und durchdachten, ob es möglich wäre, diese Welten zu erreichen und in Besitz nehmen zu können.

Da die Siliziumwesen auf Erden keinerlei Feinde besaßen und es auf Grund der Gefühlslosigkeit untereinander ebenfalls kein Reibungspotential gab, konnte man sich ganz der Wissenschaft hingeben.

Vollkommene Gefühlslosigkeit wäre allerdings das falsche Wort, um diese so ganz andere Spezies pauschal damit zu belegen. Denn sie besaßen ein Bedürfnis nach Spiritualität.

In großen, prächtigen Tempeln, deren Decken von Säulen aus schwarzem Gestein getragen wurden, hielten die Siliziumwesen ihre Gottesdienste ab. Sie dankten einem gesichtslosen Wesen dafür, dass es einst den Urfunken der Evolution auf die glühende Jungerde gebracht und somit endlich ein Leben im Körper ermöglicht habe. Die Messen bestanden hauptsächlich aus Lobpreisungen in Form feierlicher Gesänge, die einen Menschen an die Geräusche elektrischer Entladungen erinnert hätten.

Sie bauten schwarze Raumschiffe, besuchten geeignete Orte innerhalb unseres Sonnensystems und planten gar, zu nahegelegenen Sternen zu reisen; ganz so weit, bis die relative Langsamkeit von dreißig Prozent der Lichtgeschwindigkeit ihnen Grenzen setzte.

Für hunderte von Millionen an Jahren verkörperten sie die unangefochtenen Herrscher über den Planeten Erde, ihre Städte verteilten sich zahlreich rund um den Globus und sie lebten in Frieden und Einklang ein kollektives Miteinander.

Doch dann kam das Pyramidenwesen aus einem der finstersten Winkel des Universums auf die Erde hinab und brachte ihnen die Gefühle. Keine Liebe und auch keine Freude kamen durch es in die Welt, sondern Neid, Gier, Hass. Ihr gewaltiges, friedliches Kollektiv zerfiel in einzelne, konkurrierende Gruppen und mit dieser Teilung erfuhr auch die bis dato einheitliche Religion eine Aufsplittung. Fortan stritt man sich darum, welcher Glaube denn nun der wahre wäre und noch heftigere Konflikte entbrannten um den Zugang zu den wertvollsten Ressourcen. Waffen wurden entwickelt, immer größer und immer mächtiger, und schließlich kam der Overkill. Die Fusions- und elektromagnetischen Bomben zerstörten selbst die Intelligenz und das Wissen, welches in den Schmelzen existierte.

Am Ende blieben nur rauchende Ruinen und die Trümmer ihrer einst so stolzen Zivilisation tilgte die Geodynamik der Erde im Laufe der folgenden Jahrmillionen.

Andreas Geschichte stufte ich als unterhaltsam und kurzweilig ein. Immerhin hatte sie den Feierabend eine volle Stunde nähergebracht und auf eine gewisse Art war sie gruselig, doch vermochte mir dieser Fakt nicht zu erklären, warum der Gast im Bistrobereich so dermaßen aufgelöst erschien. Daher hakte ich nach.

„Dieses Pyramidenwesen ist so real! An ihm kann ich jedes grausige Detail erkennen. Er sieht so unbeschreiblich furchterregend aus, dass einem als Mensch dazu die Worte fehlen. Würde es tatsächlich in seiner Größe von über zwei Metern hier irgendwo stehen, würde ein Mensch bei dem Anblick sicherlich den Verstand verlieren oder vielleicht sogar vor akuter Angst sterben.

Doch das Schlimmste ist, dass ich nach dem Aufwachen dieses beklemmende Gefühl über Stunden hinweg habe, dass dieses Wesen mich beobachtet, wo auch immer es sich dort oben zwischen den Sternen befinden mag."

Das Gespräch dauerte noch eine Weile und als sich Andreas mit dem aufkeimenden Berufsverkehr verabschiedete, tat er das mit den Worten, dass es gutgetan habe, über diese Sache mit mir zu reden und dass er sich nun bedeutend wohler fühle.

Eine Aussage, der man Glauben schenken konnte, denn Andreas sah entschieden besser aus als noch zwei Stunden zuvor.

Dann spazierte der Besucher davon und bemühte sich auch heute wieder, möglichst auf den Rillen zwischen den Gesteinsplatten zu wandeln.

Um 6:45 Uhr kamen die für die Frühschicht eingeteilten Damen und lösten mich ab; endlich Feierabend.

Der Kater, der mich die ganze Nacht über gepeinigt hatte, war zum größten Teil verflogen, doch dafür nahm die bereits vorhandene Müdigkeit nun immer bleierne Züge an. Dazu lag noch ein Heimweg von satten 2,5 Kilometern Fußmarsch vor mir.

Sicherlich wäre es möglich gewesen, mit dem Linienbus bequemer nach Hause zu gelangen, doch ich entschied, dass mir nach einem Gelage wie dem gestrigen ein Spaziergang an der frischen Luft guttäte.

Nach ein klein wenig Smalltalk mit den werten Kolleginnen verließ ich die Station.

Auf einem Grünstreifen des Außengeländes lag zwischen dem Tankstellengrundstück und der Hauptverkehrsstraße ein großer, grauer Findling voller Einsprenglingen aus Quarz.

Ich beugte mich ein wenig hinab, um den Stein im Lichte dieses noch jungen Tages zu betrachten, während neben mir der Berufsverkehr träge dahinfloss und einheitlich vor sich hin dröhnte. Schnell stachen dem aufmerksamen Betrachter die helleren Mineralstücke ins Auge und mein Zeigefinger fuhr mit der Kuppe seicht darüber hinweg.

„Und ihr seid also die Reste der ehemaligen Siliziumwesen. Einst, vor so vielen Milliarden Jahren, wart ihr die Krone der Schöpfung, bis die Pyramidenkreatur kam und ihr euch wegen der geistigen Vergiftung durch das Monstrum selber weggebombt habt und deshalb das seid, was ich hier gerade vor mir sehe.

Oh je! Manche Menschen sind wirklich durch! Lieb und nett, aber eben leider etwas durch auch. Ach, ich sollte das nicht so laut sagen. Denn irgendwo dort oben zwischen den Sternen sitzt der Pyramidenheini und beobachtet mich wahrscheinlich genauso wie Andreas.", murmelte ich leise grinsend vor mich hin.

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht setzte ich den Heimweg fort.