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Die Schatzinsel

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Die Schatzinsel
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Die Schatzinsel
Hörbuch
Wird gelesen Thomas Dehler
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Die Schatzinsel
Hörbuch
Wird gelesen Andreas Berg, Hans Meissner, Heinz Rabe, Karl Brugsch Heinrich, Klaus Jepsen, Paul Richter, Santiago Ziesmer
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Dritter Teil

Mein Abenteuer zu Lande

Dreizehntes Kapitel

Wie ich mein Landabenteuer begann

Als ich am nächsten Morgen auf Deck kam war das Aussehen der Insel vollständig verändert. Trotzdem die Brise jetzt gänzlich umgeschlagen war, hatten wir während der Nacht ein gutes Stück Weg zurückgelegt und lagen nun in Windstille verfallen ungefähr ein halbe Meile südöstlich von der niedrigen östlichen Küste. Graufarbene Wälder bedeckten einen großen Teil des Landes. Diese gleichmäßige Farbe wurde nur durch Streifen gelber Sandbrüche in den tiefer gelegenen Teilen und durch viele hohe Bäume einer Tannenart unterbrochen, welche die übrigen überragten und zum Teil einzeln, zum Teil in Gruppen standen; doch die Färbung des Ganzen war einförmig und traurig. Die Berge erhoben sich als nackte Felsentürme aus den Wäldern. Alle waren seltsam geformt und das „Fernrohr“, welches drei- oder vierhundert Fuß über die Insel hinausragte, hatte die sonderbarste Gestalt, denn es lief von allen Seiten fast senkrecht aufwärts und war oben an der Spitze abgeplattet wie ein Sockel für ein Standbild.

Die Hispaniola ließ in die ansteigende Flut das Speigattwasser ablaufen, die Kräne zogen an den Blöcken, das Steuer schlug hin und her und das ganze Schiff krachte, stöhnte und lärmte wie eine Fabrik. Ich mußte mich fest an den Pardunen anhalten, denn die Welt drehte sich schwindelnd vor meinen Augen. Denn trotzdem ich unterwegs ein ziemlich guter Seemann war, konnte ich dieses Stilliegen und dabei wie eine Flasche Herumgerolltwerden, nie ohne ein gewisses Übelbefinden ertragen, besonders am Morgen auf nüchternem Magen.

Vielleicht lag es daran, oder war es der Anblick der Insel mit ihren grauen melancholischen Wäldern und ihren wilden Steintürmen, und die Brandung, die wir an der steilen Küste schäumen sehen und donnern hören konnten, mir wenigstens fiel das Herz in die Hosen, trotzdem die Sonne leuchtend und warm schien und die Ufervögel rund um uns jagten und lärmten und jeder hätte glauben müssen, daß man nach so einer langen Seefahrt nur zu gerne ans Land ginge. Von diesem ersten Blick an haßte ich die Schatzinsel aus tiefstem Herzen.

Wir hatten ein schweres Stück Morgenarbeit vor uns, denn es war gar kein Anzeichen von Wind zu spüren und die Boote mußten heruntergelassen und bemannt und das Schiff mußte drei oder vier Meilen rund um das Ende der Insel und den engen Eingang zum Hafen hinter die Skelettinsel hineinbugsiert werden. Ich ging freiwillig auf eines der Boote, wo ich natürlich nichts zu tun hatte. Die Hitze war drückend und die Leute murrten wild über ihre Arbeit. Anderson hatte den Befehl über mein Boot und anstatt die Mannschaft zur Ordnung zu verhalten, brummte er ärger als die anderen.

„Na,“ sagte er mit einem Fluch, „es ist ja nicht für ewig.“

Ich hielt das für ein sehr schlechtes Zeichen, denn bis dahin hatten die Leute gut gelaunt und eifrig ihre Arbeit verrichtet, doch der bloße Anblick der Insel hatte die Zügel der Disziplin gelockert.

Während der ganzen Einfahrt stand der lange John beim Steuermann und lotste das Schiff. Er kannte den Weg wie seine Handfläche, und obwohl der Mann in den Ketten überall mehr Wasser bekam als auf der Karte bezeichnet war, zögerte John nicht ein einziges Mal.

„Das ist schwer mit der Ebbe,“ sagte er, „und diese Durchfahrt hier ist sozusagen mit dem Spaten ausgegraben worden.“

Wir kamen gerade an den Punkt wo auf der Karte der Ankerplatz lag, etwa eine Drittelmeile von beiden Ufern entfernt, und hatten den Hauptteil der Insel auf der einen Seite und die Skelettinsel auf der anderen. Der Boden bestand aus reinem Sand. Das Aufschlagen unseres Ankers störte ganze Wolken von Vögeln auf, welche sich schreiend und Kreise ziehend über die Wälder verteilten, doch in weniger als einer Minute kamen sie wieder herab und alles war wieder still. Der Ort war ganz eingeschlossen, in Wäldern begraben und die Bäume standen bis hinunter zum Wasser.

Die Ufer waren zum größten Teil flach und die Bergspitzen standen rund amphitheatralisch angeordnet, eine da, eine dort. Zwei kleine Flüsse oder vielmehr Sümpfe mündeten in den Teich, wie man diese stehende Wasserfläche bezeichnen konnte. Das Grün rings um diesen Teil des Ufers hatte eine Art giftigen Leuchtens. Vom Schiffe her konnten wir vom Haus und den Palisaden nichts sehen, weil alles von Bäumen ganz überdeckt war. Und wenn wir nicht die Karte in der Kajüte gehabt hätten, hätten wir glauben können, wir seien die ersten, die jemals auf dieser Insel Anker geworfen hatten seit sie dem Meere entstiegen war.

Nicht ein Lüftchen regte sich, kein anderer Laut war zu hören als der Anprall der Brandung gegen die Küste und die Felsenklippen, eine halbe Meile weiter draußen. Ein seltsamer, stehender Geruch hing über dem Ankerplatz – ein Geruch von verfaulten Blättern und faulenden Baumstämmen. Ich bemerkte, wie der Doktor schnupperte, wie einer, der ein schlechtes Ei riecht.

„Ich weiß nicht, ob es hier einen Schatz gibt,“ sagte er, „aber ich will meine Perücke wetten, daß es hier Fieber gibt.“

Wenn das Benehmen der Leute schon im Boot beunruhigend ausgesehen hatte, wurde es jetzt, als sie an Bord kamen, wirklich bedrohlich. Sie lagen brummend im Gespräch miteinander, auf Deck. Der kleinste Befehl wurde mit finsteren Blicken aufgenommen und unter Murren und schlecht ausgeführt. Selbst die verläßlichen Leute mußten angesteckt worden sein, denn es war nicht ein Mann an Bord, der besser gewesen wäre als die anderen. Meuterei hing über uns wie eine Donnerwolke, das war klar.

Und nicht wir allein von der Kabinenpartei bemerkten die Gefahr. Der lange John war tüchtig an der Arbeit, ging von Gruppe zu Gruppe, gab überall guten Rat und es konnte kein besseres Beispiel geben als das seine. Er zerriß sich förmlich vor Höflichkeit und Dienstfertigkeit und stand lächelnd jedermann zu Diensten. Wenn ein Befehl gegeben wurde, war sofort John auf seiner Krücke da, mit dem höflichsten „Ja, ja, Herr!“ von der Welt, und wenn es nichts anderes zu tun gab, stimmte er ein Lied nach dem anderen an, wie um die Unzufriedenheit der übrigen zu verschleiern.

Von allen düsteren Vorzeichen dieses düsteren Nachmittages schien diese deutliche Angst von seiten des langen John das ärgste.

Wir hielten in der Kabine Rat.

„Herr,“ sagte der Kapitän, „wenn ich noch einen Befehl wage, kommt das ganze Schiff auf einen Schlag über uns. So ist es nun einmal, Herr. Ich bekomme eine freche Antwort, nicht wahr? Nun, und wenn ich entsprechend antworte, gehen im Augenblick die Spieße in die Höhe. Wenn ich das nicht tue, sieht Silver, daß etwas dahintersteckt und wir sind verloren. Wir haben also nur einen Mann, auf den wir uns verlassen können.“

„Und wer ist das?“ fragte der Squire.

„Silver, Herr,“ erwiderte der Kapitän, „ihm liegt so viel daran wie Ihnen und mir, die Sache zu unterdrücken. Er wird ihnen ihr Schmollen bald ausreden, wenn man ihm nur Gelegenheit dazu gibt, und ich schlage vor, ihm sie zu geben. Lassen wir die Leute einen Nachmittag an Land. Wenn sie alle gehen, nun, dann werden wir das Schiff verteidigen. Wenn keiner von ihnen geht, werden wir die Kabine halten und Gott beschütze dann das Recht. Wenn ein paar gehen, so passen Sie auf, Herr, wird Silver sie an Bord zurückbringen, sanft wie Lämmer.“

Das wurde beschlossen. An alle sicheren Männer wurden geladene Pistolen verteilt. Hunter, Joyce und Redruth wurden ins Vertrauen gezogen und nahmen die Mitteilung mit weniger Überraschung und in besserer Haltung auf als wir angenommen hatten, und dann ging der Kapitän auf Deck und sprach die Mannschaft an.

„Burschen,“ sagte er, „wir haben einen heißen Tag gehabt und sind alle müde und in schlechter Stimmung. Ein Ausflug ans Land wird niemandem schaden – die Boote sind noch im Wasser. Ihr könnt die leichten Ruderkähne nehmen und so viele wollen können am Nachmittag ans Land gehen. Eine Stunde vor Sonnenuntergang werde ich einen Schuß abfeuern lassen.“

Ich glaube die dummen Jungen müssen gedacht haben, daß sie sofort beim Landen über Schätze stolpern müßten, denn im Augenblick schwand ihr ganzer Trotz und sie brachen in ein Hurra aus, daß es laut widerhallte und die Vögel rings um den Ankerplatz wieder erschreckt aufflogen.

Der Kapitän war zu gescheit, um im Weg herumzustehen. Er war sofort verschwunden und überließ es Silver den Ausflug zu arrangieren. Und es scheint mir, daß er gut daran tat. Denn wenn er auf Deck geblieben wäre, hätte er nicht einmal vorgeben können die Lage nicht zu verstehen, denn sie war klar wie der Tag. Silver war der Kapitän und er hatte es mit einer recht rebellischen Mannschaft zu tun. Die verläßlichen Leute – und ich sollte es bald bestätigt sehen, daß es solche an Bord gab – müssen sehr dumme Kerle gewesen sein, oder vielmehr war die Sache, glaube ich, so, daß alle durch das Beispiel der Rädelsführer angesteckt waren – nur manche mehr, manche weniger, und einige, die im Wesen gute Kerle waren, konnten weder verleitet noch weiter vorwärtsgetrieben werden. Es ist ein anderes Ding, faul und trotzig zu sein, und wieder ein ganz anderes, ein Schiff zu rauben und eine Anzahl unschuldiger Leute niederzuhauen.

Endlich ordnete sich die Gesellschaft. Sechs Mann sollten an Bord bleiben und die übrigen dreizehn, Silver mit eingeschlossen, begannen sich einzubooten.

Gerade in diesem Augenblick ging mir der erste der verrückten Einfälle durch den Kopf, die so sehr dazu beigetragen haben, uns das Leben zu retten. Wenn Silver sechs Mann zurückließ, so war es klar, daß unsere Partei nicht das Schiff nehmen und verteidigen konnte, und da es nur sechs waren, war es ebenso klar, daß die Kabinenpartei gegenwärtig meine Hilfe nicht brauchte. Sofort kam ich auf die Idee ans Land zu gehen. In einem Nu war ich in eines der nächsten Boote geschlüpft, das fast im selben Augenblick abfuhr.

 

Niemand beachtete mich, nur der Ruderer am Bug fragte: „Bist du’s, Jim? Duck dich!“ Doch Silver schaute aus dem nächsten Boot scharf her und rief zu uns herüber, um zu erfahren, ob ich da sei. Und von diesem Augenblick an begann ich zu bedauern, daß ich mitgekommen war.

Die Boote fuhren um die Wette ans Ufer, doch das, in welchem ich saß, hatte einen kleinen Vorsprung, und da es auch leichter und besser bemannt war, schoß es den anderen weit voraus. Als der Bug die Uferbäume berührte, erfaßte ich einen Zweig, schwang mich hinaus und war im Dickicht verschwunden, als Silver und die übrigen noch hundert Meter hinter uns waren.

„Jim, Jim!“ hörte ich ihn rufen.

Aber man kann sich denken, daß ich darauf nicht hörte. Springend, mich duckend und durch das Dickicht brechend, rannte ich der Nase nach weiter bis ich nicht mehr konnte.

Vierzehntes Kapitel

Der erste Schlag

Ich war so froh darüber, dem langen John entschlüpft zu sein, daß ich bald begann meine Freiheit zu genießen und mit Interesse das merkwürdige Land betrachtete, in welchem ich mich befand.

Ich durchkreuzte eine sumpfige, mit Weiden, Binsen und seltsamen fremdländischen Sumpfpflanzen bestandene Strecke und kam nun am Saume eines welligen, sandigen Landstriches heraus, der sich ungefähr eine Meile hinzog und mit einigen Nadelbäumen und vielen verkrüppelten Bäumen bestanden war, die jungen Eichen im Wuchs ähnelten, deren Laub aber blaß wie das der Weiden war. Im Hintergrunde der Lichtung erhob sich einer der Berge mit zwei seltsamen, zerklüfteten Spitzen, die in der Sonne glänzten.

Nun empfand ich zum erstenmal die Lust des Forschens. Die Insel war unbewohnt, meine Schiffskameraden waren zurückgeblieben und vor mir gab es nur unvernünftiges Getier. Ich wandte mich hierhin und dorthin, sah unbekannte blühende Pflanzen, da und dort Schlangen und eine erhob ihren Kopf von einer Felsenklippe und zischte mich an mit einem Geräusch, das dem eines Kreisels vergleichbar war. Ich wußte nicht, einen Todfeind vor mir zu haben und daß das Geräusch das berühmte Klappern der Klapperschlange war.

Dann kam ich an eine lange Hecke dieser eichenartigen Bäume – Lebensbäume hörte ich sie später nennen – , welche der Lichtung entlang wie Brombeersträucher wuchsen, mit seltsam verschlungenen Zweigen und festem, strohähnlichem Laube. Das Dickicht erstreckte sich von der Spitze einer der sandigen Kuppen, breitete sich aus und wurde höher bis es den Rand des breiten, schilfreichen Moors erreichte, durch welches sich der kleinere der beiden Flüsse seinen Weg zum Ankerplatz bahnte. Das Moor dampfte in der heißen Sonne und die Umrisse des „Fernrohres“ zitterten im Nebel.

Plötzlich ging eine Art Wispern durch die Binsen, eine wilde Ente flog quäkend auf, eine zweite folgte und bald hing über der ganzen Fläche des Moores eine große Wolke von schreienden, kreisenden Vögeln in der Luft. Ich dachte mir sofort, daß ein paar meiner Schiffskameraden sich dem Saume des Moores entlang nähern mochten und hatte mich nicht geirrt, denn bald hörte ich ganz von ferne und leise die Laute einer menschlichen Stimme, die immer näher kamen.

Dies versetzte mich in große Furcht und ich kroch hinter den nächststehenden Lebensbaum und lag dort zusammengekrümmt, lauschend, mäuschenstill. Eine zweite Stimme antwortete und dann nahm die erste, welche ich als die Silvers erkannte, noch einmal den Faden einer Rede auf und sprach lange in einem Fluß weiter, nur dann und wann von der zweiten unterbrochen. Nach dem Klange zu schließen, sprachen sie ernst und fast leidenschaftlich miteinander, doch konnte ich kein Wort deutlich vernehmen.

Endlich schienen die Sprechenden einzuhalten und sich vielleicht niederzusetzen, denn ich hörte die Stimmen nicht mehr näherkommen und auch die Vögel begannen ruhiger zu werden und sich wieder auf ihre Brutplätze im Sumpf niederzulassen.

Nun begann ich zu empfinden, daß ich meine Pflicht verabsäumte; denn da ich schon so tollkühn gewesen war, mit den Desperados ans Land zu gehen, so war das wenigste, was ich tun konnte, ihre Beratungen zu belauschen. Es schien meine klare und offenkundige Pflicht ihnen, vom Dickicht gedeckt, so nahe wie irgend möglich zu kommen. Ich konnte die Richtung der Sprecher nicht nur aus dem Klang der Stimmen, sondern auch aus dem Gehaben der Vögel, die immer noch beunruhigt über den Köpfen der Eindringlinge kreisten, ziemlich genau erraten.

Auf allen Vieren kriechend näherte ich mich ihnen langsam aber stetig, bis ich endlich durch eine Öffnung im Gezweig in eine kleine, grüne Schlucht neben dem Moor, die ganz mit Bäumen bestanden war, hineinblicken konnte wo der lange John Silver und ein anderer Matrose sich im Gespräch gegenüberstanden.

Sie standen im vollen Sonnenlicht, Silvers Hut lag neben ihm auf dem Boden und sein großes, freundliches, helles Gesicht, das vor Hitze glänzte, blickte bittend zu dem anderen Mann auf —

„Maat,“ sagte er gerade, „nur weil ich dich für einen goldenen Kerl halte, ja, du bist ein goldener Mensch, das ist wahr, wenn ich nicht wie Pech an dir hängen würde, glaubst du, ich würde dich hernehmen, um dich zu warnen? Alle sind auf, da kann man nichts daran ändern. Ich rede nur, um dir deinen Hals zu retten, und wenn einer der wilden Kerle davon wüßte, wo wäre ich jetzt, Tom? – Nun sage mir, wo wäre ich jetzt?“

„Silver,“ sagte der andere Mann – und ich bemerkte, daß nicht nur sein Gesicht gerötet war, sondern daß er auch heiser sprach wie eine Krähe und daß seine Stimme zitterte wie ein straffgespanntes Tau – „Silver,“ sagte er, „du bist alt und ehrlich oder giltst wenigstens dafür, und du hast auch Geld, was die meisten Seeleute nicht haben, und bist tapfer, oder ich irre mich sehr in dir. Und du willst mir einreden, daß du dich von diesen Waschlappen in so eine Sache hineinreißen läßt, nein, das glaube ich nicht. So wahr mich Gott sieht, da würde ich lieber meine Hand verlieren, ehe ich meine Pflicht verlasse – “

Und plötzlich wurde er durch einen Lärm unterbrochen. Ich hatte nun einen der verläßlichen Leute entdeckt – und hier kam gerade in demselben Augenblick Nachricht von einem anderen. Plötzlich erhob sich weit draußen im Moor ein Ton, der wie ein wütender Ruf klang, darauf ein zweiter und dann ein schauerlicher, langgezogener Schrei. Die Felsen des „Fernrohrs“ widerhallten ihn viele Male, der ganze Strich Sumpfvögel stieg wieder auf mit viel Geschwirre und verdunkelte den Himmel. Und lange noch klang jener gellende Todesschrei in meiner Seele, als sich schon längst wieder Stille eingestellt hatte und nur mehr das Geflatter der wieder sich senkenden Vögel und das Donnern der fernen Brandung die Stille des Nachmittages unterbrach.

Tom war bei diesem Ton wie ein Roß unter dem Sporn aufgesprungen, doch Silver zuckte nicht mit der Wimper, er blieb stehen wo er war, leicht an seine Krücke gelehnt und beobachtete seinen Gefährten wie eine Schlange, die sich zum Sprunge bereit macht.

„John“, sagte der Matrose und streckte ihm die Hand entgegen.

„Hände weg!“ schrie Silver und sprang mit der Schnelligkeit und Sicherheit eines gelernten Turners einen Schritt zurück.

„Hände weg, wenn Ihr wollt, John Silver,“ sagte der andere, „nur ein schlechtes Gewissen kann sich vor mir fürchten. Aber sagt mir um Himmelswillen, was war das?“

„Das?“ erwiderte Silver lächelnd, aber verschmitzter als je, während seine Augen, nur Stecknadelköpfe in dem breiten Gesicht, wie Glasscherben glänzten, „das, oh, das wird wohl Alan gewesen sein!“

Da flammte der arme Tom wie ein Held auf.

„Alan!“ rief er, „dann Friede der Seele dieses echten Matrosen! Und Ihr, John Silver, seid lange mein Kamerad gewesen, aber Ihr seid es nicht mehr. Und sollte ich wie ein Hund sterben, ich will meiner Pflicht treu bleiben. Ihr habt Alan getötet, nicht wahr? Tötet mich auch, wenn Ihr könnt. Aber ich bin nicht Euer Gefährte.“

Und darauf wandte der tapfere Kerl dem Koch den Rücken und wandte sich der Küste zu. Aber er sollte nicht weit kommen. Mit einem Schrei ergriff John einen Baumzweig, riß die Krücke aus seiner Achselhöhle heraus und sandte dieses ungefüge Wurfgeschoß dem Fortgehenden nach. Die Spitze traf den armen Tom mit unglaublicher Heftigkeit genau zwischen den Schultern in den Rücken. Seine Hände flogen in die Höhe, er stieß ein Stöhnen aus und fiel.

Wie heftig er verwundet wurde konnte man nicht sagen, wahrscheinlich wurde ihm, nach dem Klang zu schließen, das Rückgrat sofort gebrochen. Auf keinen Fall hatte er Zeit wieder zu sich zu kommen, denn Silver, der auch ohne Bein und Krücke beweglich war wie ein Affe, lag im nächsten Augenblicke über ihm und stieß zweimal sein Messer bis zum Heft in den bewegungslosen Körper. Von meinem Hinterhalt aus konnte ich ihn dabei laut keuchen hören.

Ich weiß nicht genau wie das ist, wenn man ohnmächtig wird, aber ich weiß, daß in den nächsten Minuten mir die ganze Welt in einem wirbelnden Nebel verschwamm. Silver und die Vögel und die hohe Spitze des „Fernrohres“ tanzten vor meinen Augen auf und ab und alle möglichen Glocken und fernen Stimmen klangen mir in den Ohren.

Als ich wieder zu mir kam, hatte sich das Ungeheuer schon zurechtgerichtet und hatte seine Krücke unter dem Arm und den Hut auf dem Kopfe. Gerade vor ihm lag Tom bewegungslos auf dem Rasen. Doch der Mörder beachtete ihn mit keinem Blick und reinigte sein blutbeflecktes Messer mit einem Grasbüschel. Sonst war alles unverändert. Immer noch schien die Sonne unbarmherzig auf das dampfende Moor und den steilen Turm des Berges, und ich konnte selber kaum glauben, daß einen Augenblick vorher wirklich ein Mord geschehen und ein menschliches Leben vor meinen Augen grausam entzweigeschnitten worden war.

Doch nun griff John in die Tasche, brachte eine Pfeife zum Vorschein und blies darauf eine Reihe von Tönen, die durch die heiße Luft weit hinausklangen. Ich kannte natürlich den Sinn dieses Zeichens nicht, aber es erweckte sofort meine Furcht. Es würden mehr Leute kommen, ich könnte entdeckt werden. Zwei von den anständigen Leuten hatten sie schon erschlagen, würde nach Tom und Alan ich nicht der nächste sein?

Sofort begann ich, so eilig und geräuschlos ich nur konnte mich aus dem Dickicht herauszuschälen und dem offenen Teil des Waldes zuzustreben. Dabei hörte ich wie der alte Freibeuter mit seinen Gefährten Rufe wechselte und dieses Zeichen der Gefahr verlieh mir Flügel.

Sowie ich aus dem Dickicht draußen war, rannte ich wie nie zuvor, wenig auf die Richtung achtend und nur darauf bedacht, von den Mördern wegzukommen. Und während ich lief, wuchs meine Furcht mehr und mehr, bis sie sich in eine Art Irrsinn verwandelte.

Und wer konnte wahrlich sicherer verloren sein als ich? Konnte ich es wagen, sobald der Schuß vom Schiff ertönte, zwischen diesen Teufeln, die noch vom Blute rauchten, zu den Booten hinunterzugehen? Würde mir nicht der erste von ihnen, der mich erblickte, den Hals umdrehen wie einer Schnepfe? Würde nicht die Tatsache meiner Abwesenheit allein ihnen ein Beweis sein für meine Furcht und daher auch für mein Wissen von ihren Missetaten? Alles war nun vorüber, dachte ich. Lebewohl Hispaniola, lebewohl Squire, Doktor und Kapitän! Mir blieb nichts als der Hungertod oder der Tod durch die Hand der Meuterer. Indessen lief ich, wie gesagt, immer weiter und ohne es zu beachten war ich in die Nähe des Fußes des kleinen Hügels mit den zwei Spitzen gekommen und in jenen Teil der Insel gelangt, wo die Lebensbäume weiter auseinanderstanden und in der Größe und dem Aussehen mehr Waldbäumen glichen. Sie waren untermischt mit einigen zerstreuten Nadelbäumen, die fünfzig bis siebzig Fuß hoch waren. Auch die Luft roch hier frischer als unten am Sumpfe.

Doch hier brachte mich ein neuer Schrecken mit klopfendem Herzen zum Stehen.