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Die Schatzinsel

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Hörbuch
Wird gelesen Thomas Dehler
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Die Schatzinsel
Hörbuch
Wird gelesen Andreas Berg, Hans Meissner, Heinz Rabe, Karl Brugsch Heinrich, Klaus Jepsen, Paul Richter, Santiago Ziesmer
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Elftes Kapitel

Was ich im Äpfelfaß hörte

„Nein, nicht ich,“ sagte Silver, „Flint war Kapitän. Ich war Quartiermeister meines Holzbeines wegen. Ich verlor mein Bein an derselben Breitseite, an der der alte Pew sein Augenlicht einbüßte. Das war ein Meisterchirurg, der mich amputierte – von der Universität, großartig, und Latein eimerweis und was sonst noch alles! Und doch wurde er gehängt wie ein Hund und trocknete an der Sonne, grad wie die anderen in Corso Castle. Das waren Roberts Leute, und das kommt davon, wenn man den Namen seines Schiffes wechselt in ‚Königsschatz‘ oder so. Und ich sage, wie ein Schiff getauft ist, so muß es heißen, und fertig! So war es mit der ‚Cassandra‘, die uns alle glücklich von Malabar heimbrachte, nachdem England den Vizekönig von Indien gekapert hatte, so war es mit dem ‚Walroß‘, Flints altem Schiff, das ich ganz voll Blut und bis zum Sinken mit Gold angefüllt gesehen habe.“ „Ah“, rief eine andere Stimme, die des jüngsten Matrosen an Bord, offenbar voll Bewunderung: „Flint war doch der größte der Zunft, nicht wahr?“

„Auch Davis war ein Kerl, unbedingt“, sagte Silver. „Ich bin nie mit ihm gefahren. Zuerst mit England, dann mit Flint, das ist meine Geschichte, und jetzt hier sozusagen auf eigene Rechnung. Ich habe mir unter England Neunhundert beiseite gelegt und Zweitausend bei Flint – das ist nicht schlecht für einen Matrosen – alles sicher in der Bank angelegt. Nicht das Verdienen macht es jetzt aus, sondern das Sparen, ganz bestimmt. Wo sind heute Englands Leute? Wer weiß das? Wo sind die Leute von Flint? Die meisten hier an Bord und froh die Schiffskost zu fressen – manche haben bis dahin gebettelt. Der alte Pew, der sein Augenlicht verloren hat, gibt zwölfhundert Pfund im Jahr aus wie ein Lord. Wo ist er jetzt? Nun, er ist tot und unter Deck, aber vor zwei Jahren war er am Verhungern. Er bettelte und stahl und schnitt den Leuten den Hals durch und hungerte trotzdem dabei, zum Teufel!“

„Es steht also nicht einmal dafür“, sagte der junge Matrose.

„Es steht nicht dafür, für Esel, sicherlich – für die steht gar nichts dafür“, rief Silver. „Aber schau her, du bist jung, gewiß, aber du bist ein gescheiter Kerl. Das sehe ich dir an den Augen an, mit dir kann man sprechen wie mit einem Mann.“

Man kann sich vorstellen, wie mir zumute war, als ich hörte, wie dieser abscheuliche, alte Schurke einem anderen gegenüber genau dieselben Schmeicheleien gebrauchte, mit denen er mich eingefangen hatte. Ich glaube, wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich ihn durch das Faß hindurch getötet. Indessen fuhr er fort, ohne zu ahnen, daß er belauscht wurde:

„Das ist so mit uns Glücksrittern – man lebt hart und riskiert zu hängen. Aber man ißt und trinkt wie ein Kampfhahn, und wenn eine Fahrt gemacht wird, so bleiben einem nicht Hunderte von Hellern, sondern Hunderte von Pfunden in der Tasche. Nun, das meiste geht für Rum auf und für ein lustiges Leben, und die meisten gehen wieder arm zur See. Aber das ist nicht mein Kurs! Ich lege alles schön zur Seite, etwas hier und etwas da, und nirgends zu viel, damit kein Verdacht entsteht. Ich bin fünfzig, wohlgemerkt. Wenn ich von dieser Fahrt zurückkomme, setze ich mich allen Ernstes als Gentleman zur Ruhe. Es ist schon an der Zeit, sagst du, ja! aber ich hab angenehm gelebt inzwischen, mir nie etwas versagt, was das Herz begehrte, weich geschlafen und fein gegessen all mein Lebtag, außer auf der See!“

„Gut,“ sagte der andere, „aber das ganze übrige Geld ist weg, Ihr dürft Euch in Bristol nicht mehr zeigen nach dieser Sache.“

„Nun, wo glaubst du, ist es?“ fragte Silver spöttisch.

„In Bristol, bei Banken und versteckt“, antwortete sein Gefährte.

„Dort war es“, sagte der Koch; „dort war es, als wir die Anker lichteten, aber meine alte Dame hat schon wieder alles. Und das ‚Fernrohr‘ ist verkauft, Pachtvertrag, Kundschaft und Einrichtung, alles, und die alte Dame ist fort und wird mich irgendwo treffen. Ich würde dir sagen, wo, denn ich vertraue dir, aber das gäb Eifersucht unter den anderen.“

„Und könnt Ihr Euch auf Eure Frau verlassen?“ fragte der andere.

„Wir Glücksritter“, erwiderte der Koch, „vertrauen einander für gewöhnlich wenig und sicherlich mit Recht, aber ich hab’ so meine eigene Art, wenn ein Kamerad mich betrügt – einer, der mich kennt, meine ich, der lebt nicht lange auf derselben Welt mit dem alten John. Einige fürchteten sich vor dem alten Pew und einige vor Flint, aber Flint selbst fürchtete sich vor mir! Und er war gefürchtet und stolz. Oh, Flints Mannschaft, das waren die schärfsten Kerle auf See. Der Teufel selbst hätte sich gefürchtet mit ihnen zu segeln. Na, ich bin kein Prahler und du siehst selbst, wie leicht man mit mir auskommt. Aber als ich Quartiermeister war, da konnte man Flints alte Freibeuter wahrhaftig keine Lämmer nennen. Nein, du kannst ganz sicher sein im Schiff des alten John.“

„Nun, ich kann es Euch ja jetzt sagen,“ erwiderte der Bursche, „mir hat diese Anwerbung nicht sehr gefallen, aber nun, John, da wir miteinander gesprochen – hier ist meine Hand.“

„Ein braver Bursch bist du und ein gescheiter Kerl,“ antwortete Silver und schüttelte die Hand des Burschen so herzlich, daß das ganze Faß wackelte, „meine Augen haben nie einen prächtigeren Glücksritter gesehen.“

Nun begann ich ihre Ausdrücke zu verstehen: Mit dem Wort „Glücksritter“ bezeichneten sie nichts mehr und nichts weniger als einen gewöhnlichen Seeräuber, und die kleine Szene, die ich belauschte, war der letzte Akt der Verführung eines der anständigen Matrosen – vielleicht des letzten, den es an Bord noch gab. Doch darüber sollte ich bald beruhigt werden, denn auf ein leises Pfeifen Silvers kam ein dritter Mann auf ihn zu und gesellte sich zu den beiden.

„Dick ist ein vernünftiger Kerl“, sagte Silver.

„Oh, ich wußte, daß Dick gescheit ist“, erwiderte die Stimme des Bootsführers Israel Hands.

„Der ist kein Narr, der Dick“, und er kaute seinen Tabak und spuckte aus. „Aber schau her,“ fuhr er fort, „eins will ich wissen, Bratrost! Wie lange sollen wir noch herumstehen und uns benehmen wie auf einem verfluchten Marketenderschiff? Ich habe so ziemlich genug vom Kapitän Smollett, er hat mich, Donnerwetter! lange genug herumgehetzt. Ich will in die Kabine jetzt, ich will ihre feinen Sachen und ihre Weine und alles.“

„Israel,“ sagte Silver, „dein Kopf ist nicht sehr tüchtig, das war er niemals, aber du kannst hören, nehme ich an. Wenigstens sind deine Ohren groß genug. Und ich sage dir folgendes: du bleibst weiter in der Koje und lebst wie ein Matrose und sprichst bescheiden und bleibst nüchtern, bis ich das Zeichen gebe, und dabei bleibt’s, mein Sohn.“

„Ich habe doch nichts gesagt, nicht wahr?“ murrte der Bootsführer, „ich hab nur gefragt, wann? Das ist alles.“

„Wann, zum Teufel!“ schrie Silver, „wenn du’s wissen willst, werde ich dir sagen, wann. So spät wie nur irgend möglich, verstehst du? Das ist ein erstklassiger Seemann, der Kapitän Smollett, der uns dieses verfluchte Schiff führt. Da ist dieser Squire und dieser Doktor mit einer Karte und solchen Sachen. Ja, weiß denn ich, wo es ist? Und Ihr wißt es grad so wenig, nicht wahr? Nun also meine ich, dieser Doktor und dieser Squire sollen das Zeug finden und uns helfen es an Bord zu schaffen in Dreiteufelsnamen, dann werden wir weitersehen. Wenn ich Euer aller sicher wäre, ihr Söhne von doppelten Holländern, dann ließe ich den Kapitän Smollett uns den halben Weg zurückführen, bevor ich losschlage.“

„Nun, wir sind lauter Seeleute hier an Bord, sollte ich denken“, sagte der junge Dick.

„Wir sind alle Matrosen, meinst du“, fuhr ihn Silver an. „Wir können einen Kurs steuern, aber wer soll ihn setzen? Darüber würdet Ihr euch alle zerzanken, vom Anfang bis zum Ende. Wenn es nach mir ginge, ließe ich den Kapitän Smollett uns alle zurückführen, wenigstens bis in die Passatwinde, dann würden wir uns nicht so verflucht verrechnen und einen Löffel Wasser im Tag machen. Aber ich weiß, wie Ihr seid und darum will ich sie auf der Insel erledigen, sowie das Zeug an Bord gebracht ist. Es ist schade, aber Ihr seid nie glücklich, bevor Ihr nicht betrunken seid. Der Teufel hol mich, mir ist ganz schlecht, daß ich mit Euresgleichen segeln soll!“

„Beruhige dich, langer John,“ rief Israel, „wer kommt dir denn in die Quere?“

„Ach, wieviel schöne Schiffe, was glaubt Ihr wohl, habe ich schon entern gesehen und wieviel frische Jungen am Hinrichtungsdock in der Sonne trocknen!“ rief Silver, „und alles nur wegen der verfluchten Gier und Eile. Ich hab schon was auf der See erlebt, versteht Ihr? Wenn Ihr nur Euren Kurs halten würdet, könntet Ihr dann in Karossen fahren, aber Ihr gewiß nicht, Ihr bringt es nicht zusammen! Ihr müßt morgen Euren Rum haben und dann hängen, anders tut Ihr es nicht!“

„Jedermann weiß, daß Ihr so eine Art Prediger wart, John, aber andere konnten ebensogut arbeiten und steuern wie Ihr“, sagte Israel. „Natürlich, sie führten ein bißchen ein lustiges Leben, sie waren nicht so vornehm und nüchtern, sondern hatten ihren Spaß, die anderen, mit fröhlichen Kumpanen.“

„So?“ sagte Silver. „Nun, und wo sind sie jetzt? Pew war einer von dieser Sorte und der starb als Bettler; Flint war so und hat sich in Savannah zu Tode gesoffen. Ja, sie waren eine prachtvolle Mannschaft, nur, wo sind sie jetzt?“

„Aber,“ fragte Dick, „wenn wir sie querüberlegen, was sollen wir dann mit ihnen tun?“

„Das ist mein Mann!“ rief der Koch bewundernd, „das nenne ich Geschäftsgeist! Nun, was glaubt Ihr? Sie am Ufer aussetzen? – Das hätte England gemacht. Oder sie niederstechen wie die Schweine? Das wäre Flints oder Billy Bones Art gewesen.“

„Ja, Billy war der Mann dafür,“ sagte Israel. „Tote Leute beißen nicht“, sagte er. Nun, er ist jetzt selber tot und kennt die Sache ganz genau. Das war ein scharfer Kerl, der Billy.“

 

„Recht habt Ihr, scharf und rasch bei der Hand. Aber aufgepaßt! Ich bin ein nachlässiger Mensch – ich bin ein Gentleman, sagt Ihr. Aber diesmal ists ernst; Pflicht ist Pflicht, Kameraden. Ich stimme für Tod! Wenn ich erst mal meinen Parlamentssitz habe und in der Kutsche spazieren fahre, mag ich nicht, daß einer von diesen Seeadvokaten dort in der Kabine unerwartet nach Hause kommt, wie der Teufel in die Predigt. Abwarten! sage ich, aber wenn die Zeit da ist, aufschlitzen!“

„John,“ rief der Bootsführer, „Ihr seid ein Mann!“

„Das werdet Ihr dann auch sagen, wenns soweit ist, Israel,“ sagte Silver. „Nur einen will ich für mich – ich will den Trelawney. Mit diesen Händen will ich ihm seinen Kalbskopf vom Halse drehen. Dick!“ fügte er abbrechend hinzu, „geh, sei ein lieber Kerl, spring hinüber und bring mir einen Apfel, um mir den Gaumen anzufeuchten.“

Ihr könnt Euch mein Entsetzen vorstellen. Ich wäre herausgesprungen und fortgelaufen, wenn ich die Kraft gehabt hätte, aber meine Beine versagten und mein Herz schlug wie ein Hammer. Ich hörte Dick aufstehen, doch dann schien ihn jemand abzuhalten und die Stimme von Hands rief:

„Ach, laßt das, Ihr werdet doch nicht aus diesem Fasse saufen wollen, John! Trinken wir lieber ein Glas Rum.“

„Dick,“ sagte Silver, „ich vertraue dir. Ich hab mir ein Zeichen am Fasse gemacht, verstehst du? Hier ist der Schlüssel. Du füllst ein Kännchen und bringst es herauf.“

Trotz meiner Angst mußte ich im stillen daran denken, daß offenbar auf diese Weise Herr Arrow zu den starken Getränken gekommen war, die ihn umgebracht hatten.

Dick blieb eine kleine Weile aus und in seiner Abwesenheit sprach Israel dem Koch ins Ohr. Ich konnte nur ein oder zwei Worte erlauschen, dennoch waren es wichtige Nachrichten, denn es war deutlich aus den Bruchstücken des Gespräches, die ich hören konnte, zu entnehmen, daß noch ein paar zuverlässige Leute unter den Matrosen waren.

Als Dick zurückkehrte nahm einer nach dem anderen von dem Trio die Kanne und trank; einer „Auf gutes Gelingen“, der zweite „Dieses Glas dem alten Flint“, und Silver selbst sagte in einer Art Singsang:

 
„Auf unsere Gesundheit! Und immer mit dem Wind.
Das gibt Beute, Speis’ und Trank und Geld geschwind.“
 

Da wurde es in meinem Faß plötzlich lichter und aufblickend sah ich, daß der Mond aufgegangen war, der den Kreuzmast in silbernes Licht tauchte und weiß auf das Luv des Vordersegels leuchtete; und fast im selben Augenblick schrie die Stimme aus dem Lugaus: „Land ho!“

Zwölftes Kapitel

Kriegsrat

Es gab ein großes Getrappel quer über das Deck. Ich konnte hören, wie die Leute aus der Kabine und vom Focksegel herüberstürzten. Ich schlüpfte in einem Augenblick aus meinem Faß, tauchte unter das Vordersegel, machte zwei Sätze gegen das Hinterdeck zu und kam rechtzeitig auf Deck, um zusammen mit Hunter und Dr. Livesay zum Wetterbug zu stürzen.

Dort waren schon alle Matrosen versammelt. Fast gleichzeitig mit dem Aufgehen des Mondes hatte sich ein Nebelstreifen gehoben. Südwestlich von uns sahen wir nun zwei niedrige Hügel, ein paar Meilen voneinander entfernt, und hinter dem einen erhob sich ein dritter, höherer Berg, dessen Spitze noch im Nebel lag. Alle drei schienen von spitzer, kegelförmiger Gestalt zu sein.

Soviel sah ich, fast noch träumend, denn ich hatte mich von der entsetzlichen Angst, die ich vor ein oder zwei Minuten durchlebt hatte, noch nicht erholt. Und dann hörte ich die Stimme des Kapitän Smollett Befehle erteilen. Die Hispaniola wurde dem Wind etwas näher gelegt und segelte nun einen Kurs, der sie gerade dem Osten der Insel zuführen mußte.

„Und nun, Leute,“ sagte der Kapitän, als alles fertig war, „hat einer von euch je dieses Land gesehen?“

„Ich, Herr,“ sagte Silver, „ein Handelsschiff, auf dem ich Koch war, hat hier Wasser eingenommen.“

„Der Ankergrund ist im Süden, hinter einer kleinen Insel, nicht wahr?“ fragte der Kapitän.

„Ja, Herr, sie heißt die Skelettinsel. Das war einmal ein Seeräubernest, und ein Matrose, den wir an Bord hatten, kannte alle Namen hier. Der Hügel nach Norden zu heißt der Kreuzmastberg, nach Süden zu laufen drei in einer Reihe, der große mit der Wolke darüber wird gewöhnlich das „Fernrohr“ genannt, weil sie dort eine Wachstation hielten, wenn sie am Ankerplatz putzten, denn dort reinigten sie ihre Schiffe, mit Verlaub, Herr.“

„Ich habe eine Karte hier, schaut nach, ob das der Platz ist.“

Die Augen des langen John brannten, als er die Karte in die Hand nahm, doch erkannte ich am neuen Aussehen des Papiers, daß er eine Enttäuschung erleben mußte. Das war nicht die Karte, die wir in Billy Bones’ Koffer gefunden hatten, sondern eine genaue Kopie, die in jeder Beziehung vollständig war – Namen, Höhen und Lotungen – mit alleiniger Ausnahme der roten Kreuze und der handschriftlichen Bemerkungen. So stark sein Verdruß auch gewesen sein mag, Silver hatte doch die Selbstbeherrschung ihn zu verbergen.

„Ja, Herr, sicher ist das der Ort, und wie schön gezeichnet, wer das nur gemacht hat? Dazu waren die Piraten zu unwissend, meine ich. Ja, ja, hier steht es: ‚Kapitän Kidds Ankerplatz‘ – gerade so nannte ihn mein Schiffskamerad. Eine starke Strömung läuft die Südspitze entlang zur Westküste. Ganz recht hatten Sie, Herr, den Kurs zu ändern und an der Wetterseite zu bleiben. Wenn es nämlich Ihre Absicht war hineinzufahren und Kiel zu holen, dafür gibt es in diesen Gewässern keinen besseren Platz – “.

„Ich danke Euch, Mann,“ sagte Kapitän Smollett, „ich werde Euch später rufen, damit Ihr uns helft, jetzt könnt Ihr gehen.“

Ich war überrascht über die Kaltblütigkeit, mit welcher John seine Kenntnis der Insel zugab, und ich muß gestehen, ich geriet in Furcht, als er näher an mich herantrat. Er wußte natürlich nicht, daß ich in dem Apfelfaß seinen Kriegsrat belauscht hatte, aber ich war nun schon von einem solchen Entsetzen über seine Grausamkeit, Doppelzüngigkeit und Stärke ergriffen, daß ich kaum einen Schauer verbergen konnte, als er seine Hand auf meinen Arm legte.

„Ah,“ sagte er, „das ist ein herrlicher Platz, diese Insel – ein wundervoller Platz für einen Jungen zum Herumstreifen! Du wirst baden und auf Bäume klettern und Ziegen jagen, wenn du willst und selber wie eine Ziege auf den Bergen herumsteigen. Ach, das macht mich wieder jung, ich habe beinahe mein Holzbein vergessen! Ja, es ist eine schöne Sache jung zu sein und seine zehn Zehen zu haben, sicherlich. Wenn du ein wenig auf Forschungsreisen gehen willst, sag es nur dem alten John und er wird dir einen Imbiß zum Mitnehmen vorbereiten.“

Und er klopfte mir freundlich auf die Schulter, humpelte fort und ging nach unten.

Kapitän Smollett, der Gutsherr und Dr. Livesay standen im Gespräch zusammen auf Achterdeck, und so sehr ich mich danach sehnte, ihnen meine Geschichte zu erzählen, wagte ich es doch nicht, sie einfach zu unterbrechen. Als ich immer noch nach irgendeiner anständigen Ausrede dafür suchte, rief mich Dr. Livesay an seine Seite. Er hatte seine Pfeife unten gelassen und da er ein leidenschaftlicher Raucher war, wollte er mich um sie schicken. Doch sobald ich ihm nahe genug gekommen war, um ihm unbelauscht ein Wort sagen zu können, beschwor ich ihn sofort: „Herr Doktor, hören Sie mich an. Gehen Sie mit dem Kapitän und dem Squire in die Kabine hinunter und dann lassen Sie mich unter irgendeinem Vorwand holen, ich habe furchtbare Neuigkeiten.“

Der Doktor wechselte ein wenig die Farbe, aber im nächsten Augenblick hatte er sich in der Gewalt.

„Danke, Jim,“ sagte er ganz laut, „das war alles, was ich wissen wollte“, als ob er mich etwas gefragt hätte, und damit wandte er sich auf dem Absatz um und begab sich zu den beiden anderen. Sie sprachen ein wenig miteinander und trotzdem keiner von ihnen auffuhr oder seine Stimme erhob oder auch nur pfiff, war es ganz klar, daß Dr. Livesay ihnen meine Bitte mitgeteilt hatte, denn der Kapitän gab sofort Job Anderson einen Befehl und alle Matrosen wurden auf Deck gepfiffen.

„Bursche,“ sagte Kapitän Smollett, „ich habe euch etwas zu sagen: dieses Land, das wir gesichtet haben, ist unser Reiseziel. Herr Trelawney, der, wie wir alle wissen, ein sehr freigebiger Herr ist, hat mich eben über euch befragt und ich konnte ihm nur sagen, daß jeder Mann an Bord seine Pflicht getan hat; auf Deck und unter Deck habt ihr so anständig gearbeitet, wie ich es nicht besser verlangen kann. Nun wollen er und ich und der Doktor in die Kabine gehen und auf Eure Gesundheit trinken und Euch wird hier Grog aufgetragen werden, damit Ihr auf unsere Gesundheit trinken könnt. Ich will euch sagen, wie ich das finde: Ich finde es schön von Herrn Trelawney, und wenn ihr das auch findet, so werdet ihr jetzt ein Seemannshurra auf den Gentleman ausbringen, der das tut.“

Das Hurra folgte – selbstverständlich – , doch klang es so voll und herzlich, daß ich gestehen muß, ich konnte kaum glauben, daß es dieselben Leute waren, die im Sinne hatten uns zu ermorden.

„Noch ein Lebehoch für Kapitän Smollett!“ rief der lange John, als das erste verklungen war.

Und auch dieses wurde mit Lust und Liebe ausgebracht.

Darauf begaben sich die drei Herren hinunter und bald nachher kam eine Botschaft, daß Jim Hawkins in die Kabine verlangt werde.

Ich fand alle drei rund um den Tisch sitzend, eine Flasche spanischen Weins und ein paar Malagatrauben vor sich. Der Doktor rauchte drauf los und hatte seine Perücke auf dem Schoß, was, wie ich wußte, ein Zeichen von Aufregung bei ihm war.

Das Fenster zum Achterdeck war offen, denn es war eine warme Nacht und man konnte den Mondschein auf dem Kielwasser leuchten sehen.

„Nun, Hawkins!“ sagte der Squire, „du hast uns etwas zu sagen. Heraus damit.“

Ich tat, wie mir befohlen war und erzählte so kurz ich konnte alle Einzelheiten von dem Gespräch Silvers. Niemand unterbrach mich bis ich fertig war und keiner von den dreien machte auch nur eine Bewegung, sondern sie schauten mir, vom ersten bis zum letzten Wort, gerade ins Gesicht.

„Jim,“ sagte Dr. Livesay, „nimm Platz.“

Und sie hießen mich am Tische bei ihnen Platz nehmen, schenkten mir ein Glas Wein ein, füllten mir die Hände mit Malagatrauben an und alle drei, einer nach dem anderen, standen auf und tranken mit einer Verbeugung vor mir, auf meine Gesundheit, mein Wohlergehen und meinen Mut.

„Nun, Kapitän,“ sagte der Squire, „Ihr hattet recht und ich hatte unrecht. Ich gestehe, daß ich ein Esel war und erwarte Eure Befehle.“

„Nicht mehr Esel als ich, Herr“, erwiderte der Kapitän. „Ich habe noch nie gehört, daß eine Mannschaft, die auf Meuterei ausging, nicht vorher Zeichen gab, aus denen jedermann, der Augen im Kopfe hatte, das Unheil kommen sehen und sich entsprechend einrichten konnte. Aber diese Mannschaft,“ fügte er hinzu, „die ist mir über!“

„Kapitän,“ sagte der Doktor, „mit Eurer Erlaubnis, das ist Silver. Ein außerordentlicher Mensch.“

„Er würde außerordentlich gut auf einem Galgen aussehen, Herr,“ antwortete der Kapitän, „aber das ist Gerede und führt zu gar nichts. Ich möchte drei oder vier Punkte erörtern, wenn Herr Trelawney erlaubt.“

„Ihr, Herr, seid der Kapitän, an Euch ist es zu reden“, sagte Herr Trelawney, würdevoll.

„Erster Punkt:“, begann Herr Smollett, „wir müssen vorwärts, weil wir nicht zurück können. Wenn ich befehlen würde umzuwenden, würden sie sofort entern. Zweiter Punkt: Wir haben etwas Zeit vor uns, wenigstens bis dieser Schatz gefunden ist. Dritter Punkt: Es gibt ein paar anständige Leute unter den Matrosen. Nun, Herr, früher oder später muß es zum Zuschlagen kommen und ich denke das Gescheiteste ist, wir lassen es eines schönen Tages dazukommen, wenn sie es am wenigsten erwarten. Wir können, denke ich, auf Ihre eigenen Hausdiener zählen, Herr Trelawney?“

„Wie auf mich selbst“, erklärte der Squire. „Drei,“ zählte der Kapitän, „und wir mit Hawkins zusammen macht sieben; nun, und welche von den Matrosen sind verläßlich?“

„Höchstwahrscheinlich Trelawneys eigene Leute,“ sagte der Doktor, „die er selbst aufgabelte, bevor er Silver traf.“

„Nein,“ antwortete der Squire, „Hands war einer von den meinen.“

„Ich hätte wirklich gedacht, daß man sich auf Hands verlassen könne“, fügte der Kapitän hinzu.

„Und zu denken, daß sie alle Engländer sind!“ brach der Squire aus. „Herr, ich wäre imstande, das Schiff in die Luft gehen zu lassen.“

„Nun, meine Herren,“ sagte der Kapitän, „das beste, was ich raten kann ist nicht viel: wir müssen, wenn es Ihnen beliebt, beilegen und scharf Wache halten. Das ist langweilig für Männer, ich weiß, es wäre viel angenehmer zuzuschlagen. Aber da kann man nichts machen, ehe wir unsere Leute kennen. Beilegen und auf guten Wind warten, das ist meine Meinung.“

 

„Jim“, sagte der Doktor, „kann uns mehr helfen als sonst jemand, denn die Leute sind ihm gegenüber nicht zurückhaltend und Jim ist ein Junge, der gleich was merkt.“

„Hawkins, ich setze ungeheures Vertrauen in dich“, fügte der Squire hinzu.

Ich war sehr verzweifelt darüber, denn ich fühlte mich vollkommen hilflos. Dennoch kam durch eine sonderbare Verkettung von Umständen gerade durch mich die Rettung. Immerhin, man mochte reden was man wollte, wir waren nur sieben von sechsundzwanzig, auf die man sich verlassen konnte, und von diesen sieben war einer ein Knabe, so daß die Erwachsenen bloß sechs gegen neunzehn waren.