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Die Schatzinsel

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Hörbuch
Wird gelesen Thomas Dehler
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Die Schatzinsel
Hörbuch
Wird gelesen Andreas Berg, Hans Meissner, Heinz Rabe, Karl Brugsch Heinrich, Klaus Jepsen, Paul Richter, Santiago Ziesmer
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Sechster Teil

Kapitän Silver

Achtundzwanzigstes Kapitel

Im Lager des Feindes

Der rote Schein der Fackel, die das Innere des Blockhauses erleuchtete, zeigte mir die ärgsten meiner Erwartungen verwirklicht. Die Piraten waren im Besitz des Hauses und der Vorräte. Da war die Tonne Kognak, das Schweinefleisch und das Brot an den früheren Plätzen; doch zu meinem verzehnfachten Entsetzen kein Zeichen von Gefangenen. Ich konnte nur annehmen, daß alle zugrunde gegangen waren und mein Herz klagte mich schmerzlich an, daß ich nicht dabeigewesen, um mit ihnen zu sterben.

Es waren alles in allem sechs Freibeuter, sonst war keiner lebendig geblieben. Fünf davon standen da, erhitzt und aufgedunsen, plötzlich aus dem ersten Schlaf der Trunkenheit herausgerissen. Der sechste hatte sich bloß auf seinen Ellbogen gestützt, war totenblaß und die blutbefleckte Binde um seinen Kopf zeigte, daß er erst kürzlich verwundet und verbunden worden war. Ich erinnerte mich an den Mann, den wir bei dem großen Angriff angeschossen hatten und der in den Wald zurückgelaufen war und zweifelte nicht, ihn vor mir zu haben.

Der Papagei saß auf der Schulter des langen John und putzte sein Gefieder, John selbst fand ich etwas bleicher und ernster als früher. Er trug noch immer den seinen Tuchanzug, welchen er bei seiner Friedensbotschaft anhatte, der sah jedoch sehr mitgenommen aus, war mit Erde beschmutzt und von Dornen zerrissen.

„So,“ sagte er, „da ist ja Jim Hawkins wahrhaftig hereingeschneit, was? Na, ich freu’ mich sehr.“

Und darauf setzte er sich auf das Branntweinfaß und füllte sich eine Pfeife.

„Leih’ mir Feuer, Dick“, sagte er, und dann, als die Pfeife gut brannte: „Das ist genug, Junge, stecke es ins Holz zurück – und Ihr, meine Herren, braucht Euch nicht zu stören wegen Herrn Hawkins, er wird Euch entschuldigen, nicht wahr? Und nun, Jim“ – und dabei stopfte er sich die Pfeife, „da bist du nun, und eine nette Überraschung für den armen, alten John. Ich hab’ sofort gesehen, daß du ein geriebener bist als ich dich zum erstenmal sah, aber das jetzt schlägt dem Faß den Boden aus, meiner Seel’.“

Zu all dem schwieg ich wie man sich denken kann säuberlich still. Sie hatten mich mit dem Rücken gegen die Mauer gestellt, und da stand ich nun und schaute Silver ins Gesicht, dem äußeren Anschein nach ganz mutig, hoffe ich, doch schwarze Verzweiflung im Herzen.

Silver tat mit großer Seelenruhe ein paar Züge aus seiner Pfeife und fuhr dann fort:

„Also Jim, da du nun schon hier bist, will ich dir sagen, was ich mir denke. Ich habe dich immer gern gehabt, weil du ein gescheiter Junge bist und mir aufs Haar ähnlich, als ich noch jung und hübsch war.

Ich hab’ es dir immer gegönnt, dich hervorzutun und als Gentleman zu sterben, und nun, mein Hühnchen, ist es so weit. Kapitän Smollett ist ein guter Seemann, das gebe ich ohne weiteres zu, aber streng auf Disziplin erpicht. ‚Pflicht ist Pflicht‘, sagt er und er hat recht, ihm mußt du also aus dem Wege gehen. Aber sogar der Doktor ist wütend auf dich – ‚undankbarer Taugenichts‘ hat er gesagt, und kurz und gut, du kannst zu deinen eigenen Leuten nicht zurück, denn sie wollen dich nicht, und wenn du nicht eine dritte Schiffsgesellschaft ausrüsten willst, die ganz allein aus dir bestehen soll – was ein wenig langweilig wäre – , so mußt du eben beim Kapitän Silver bleiben.“

So weit, so gut. Meine Freunde lebten also noch alle und obwohl ich teilweise Silvers Behauptung glaubte, daß sie wegen meiner Flucht gegen mich aufgebracht wären, so war ich doch durch das Gehörte eher erleichtert als betrübt.

„Ich will nichts darüber sagen, daß du in unseren Händen bist,“ fuhr Silver fort, „aber wahr ist es ja, sicherlich. Ich bin für freie Aussprache, denn beim Drohen kommt nichts heraus. Wenn du den Dienst bei uns magst, gut, dann tritt ein. Und wenn nicht, Jim, dann kannst du ruhig nein sagen, Schiffskamerad. Ich glaube, ehrlicher kann kein sterblicher Seemann reden, zum Teufel!“

„Soll ich also antworten?“ fragte ich mit zitternder Stimme. Während dieser höhnischen Reden hatte ich die Drohung des Todes, der über mir hing, wohl zu fühlen bekommen und meine Wangen brannten und das Herz schlug mir schmerzvoll in der Brust.

„Junge,“ sagte Silver, „kein Mensch zwingt dich. Überleg’ dir die Sache. Keiner von uns wird dich zur Eile antreiben, Kamerad, die Zeit vergeht so angenehm in deiner Gesellschaft.“

„Nun,“ sagte ich, etwas kühner werdend, „wenn ich wählen soll, so erkläre ich, daß ich ein Recht habe, zu wissen, was eigentlich vorgeht und warum ihr hier seid und wo meine Freunde sind.“

„Was vorgeht?“ wiederholte einer der Freibeuter mit einem tiefen Knurren, „ja, da wären wir selber froh, wenn wir das wüßten!“

„Du, halt gefälligst den Schnabel bis man mit dir spricht, mein Freund“, schrie Silver wild hinüber. Und dann fuhr er in dem früheren, süßlichen Tone fort: „Gestern früh, Herr Hawkins,“ sagte er, „kommt auf einmal Doktor Livesay mit einer weißen Flagge herunter. Sagt er: ‚Kapitän Silver, Ihr seid geschnapst. Das Schiff ist weg.‘ Nun mag sein, wir haben ein Glas zuviel getrunken und ein Lied gesungen, um’s leichter zu machen, ich sage nicht nein. Und wahrscheinlich hat niemand von uns Wache gehalten. Jetzt schauten wir hinaus und beim Teufel das alte Schiff war weg. Nun, wir haben wie die Narren dreingeschaut, und ich am närrischsten. ‚Also,‘ sagt der Doktor, ‚wir werden verhandeln.‘ Wir verhandelten, wir zwei, nun und wir kamen überein: die Vorräte, der Branntwein, das Blockhaus, das Brennholz, das Ihr so vorsorglich geschnitten habt, kurz, die die ganze verfluchte Sache gehört uns. Und jetzt sind sie weg, wo, weiß ich nicht.“

Er zog wieder still an seiner Pfeife.

„Und wenn du dir vielleicht in den Schädel setzt,“ fuhr er fort, „daß du mit in den Vertrag eingeschlossen bist, so irrst du dich sehr. ‚Wieviele von euch wollen fort?‘ war mein letztes Wort. ‚Vier‘, sagt er – vier, einer davon verwundet. ‚Wo der verfluchte Bub’ ist,‘ sagt er, ‚das weiß ich nicht und kümmere mich auch nicht darum. Wir haben so ziemlich genug von ihm.‘ Das waren seine Worte.“

„Ist das alles?“

„Nun, das ist zum mindesten alles, was ich dir zu sagen habe, mein Sohn“, erwiderte Silver.

„Und nun soll ich wählen?“

„Und nun sollst du wählen, freilich“, sagte Silver.

„Nun,“ sagte ich, „ich bin kein Esel und weiß ganz gut, was ich zu erwarten habe. Und wenn’s das ärgste ist, es macht mir nicht viel. Ich habe schon zu viele Leute sterben sehen in diesen letzten Tagen. Aber eins will ich Euch doch noch sagen“, fuhr ich erregt fort: „Erstens: Ihr seid bös’ dran: Das Schiff verloren, der Schatz beim Teufel, Eure Leute tot und Eure ganze Sache schiefgegangen. Und wenn Ihr wissen wollt, wer daran schuld ist – ich! Ich war im Äpfelfaß an dem Abend, als wir Land sichteten und ich habe jedes Wort gehört, was Ihr, John, und Ihr, Dick Johnson, und Hands, der nun am Grund des Meeres liegt, gesprochen habt und ich habe es noch in derselben Stunde gemeldet. Ich habe das Ankertau des Schooners durchschnitten, ich habe die Männer an Bord getötet und ich habe die Hispaniola dorthin gebracht, wo keiner von euch sie wieder sehen wird. Keiner! Das Lachen ist auf meiner Seite. Ich habe vom ersten Moment an diese Sache geführt und ich hab’ nicht mehr Angst vor Euch als vor einer Fliege. Tötet mich, wenn Ihr wollt, oder laßt mich leben. Aber eins will ich noch sagen: Wenn Ihr mich verschont, soll alles Vergangene vergessen sein und wenn Ihr wegen Freibeuterei vor Gericht steht, werde ich alles tun, um Euch herauszureißen. Es ist an Euch, zu wählen. Ihr könnt noch einen Menschen umbringen und Euch damit nichts nützen oder Ihr könnt Euch einen Zeugen aufsparen, der imstande wäre, Euch vor dem Galgen zu retten.“

Ich mußte einhalten, denn ich versichere, ich war ganz außer Atem, doch zu meinem Erstaunen regte sich kein einziger von ihnen und sie starrten mich an wie die Schafe. „Und nun, Herr Silver,“ rief ich aus, „ich denke, Ihr seid der beste Mann hier und wenn’s dazu kommt, auch der ärgste, ich wäre Ihnen verbunden, wenn Ihr den Doktor wissen ließet, wie ich die Sache aufgefaßt habe.“

„Ich werde daran denken“, sagte Silver in einem so merkwürdigen Ton, daß ich um keinen Preis hätte entscheiden können, ob er über meine Bitte lache oder ob ihm mein Mut gefallen habe.

„Ich weiß noch etwas von ihm,“ rief der alte, mahagonibraune Matrose Morgan, den ich in der Schenke des langen John in Bristol zum erstenmal gesehen hatte, „er war’s, der den schwarzen Hund erkannt hat.“

„Und seht her,“ sagte der Schiffskoch, „dazu kommt noch etwas dazu, beim Teufel, es war dieser selbige Junge, der dem Billy Bones die Karte abgeschwindelt hat. Vom Ersten bis zum Letzten ist uns dieser Jim Hawkins in die Quere gekommen!“

„Das soll er zahlen!“ rief Morgan mit einem Fluch und stürzte mit gezogenem Messer vor.

„Halt!“ schrie Silver. „wer seid Ihr eigentlich, Tom Morgan? Glaubt Ihr vielleicht, Ihr seid der Kapitän? Zum Teufel, ich werde Euch eines besseren belehren! Wenn Ihr mich wild macht, dann werdet Ihr bald dort sein, wo ich manchen festen Kerl in den letzten dreißig Jahren hinbefördert hab’. – Mir hat noch niemand ungestraft getrotzt, Tom Morgan, da könnt Ihr sicher sein.“

Morgan hielt ein, doch ein heiseres Gemurmel erhob sich aus der Schar.

„Tom hat recht“, sagte einer.

„Ich habe mich lange genug an der Nase herumführen lassen von anderen“, fügte ein zweiter hinzu, „ich will gehängt werden, wenn ich mich noch von dir auch foppen lasse, John Silver.“

„Will einer von euch, ihr Herren, mit mir anfangen?“ brüllte Silver, sich von seinem Sitze auf dem Faß weit nach vorne beugend, die noch immer brennende Pfeife in der Rechten, „dann sagt nur, was ihr wollt. Ihr seid nicht stumm, denke ich. Wer was von mir will, der kann’s haben. Bin ich dazu so alt geworden, daß irgendein Sohn einer Rumtonne jetzt gegen mich aufmucken darf? Ihr kennt die Gebräuche, ihr seid alle Glücksritter auf eigene Rechnung. Nun, ich bin bereit. Soll einen Säbel nehmen, wer es wagt, und ich will mir ihn inwendig anschauen, trotz meiner Krücke, ehe diese Pfeife ausgeraucht ist.“

 

Keiner rührte sich, keiner antwortete.

„Ihr wollt also nicht?“ fügte er hinzu, die Pfeife wieder zum Munde führend. „Na, ihr seid eine nette Gesellschaft zum Anschauen, aber zum Kämpfen nicht. Jetzt werde ich euch etwas sagen, falls ihr Englisch versteht: Ihr habt mich zum Kapitän gewählt. Ich bin euer Kapitän, weil ich der beste Mann auf eine Seemeile weit bin. Ihr wollt nicht wie ordentliche Glücksritter kämpfen, nicht wahr? Dann, in Teufelsnamen, werdet ihr gehorchen, das sage ich euch. Ich kann diesen Jungen gut leiden, ich hab’ nie einen besseren Jungen gesehen. Er ist mehr Mann, als irgendeiner von euch Ratten hier im Haus, und eins sage ich euch: Den möcht ich sehen, der ihn anrührt! Das hab’ ich zu sagen! Und ihr könnt mir’s glauben!“

Ein langes Stillschweigen folgte. Ich stand kerzengerade an der Mauer und mein Herz schlug wie ein Schmiedehammer, aber ich hatte wieder Hoffnung gefaßt. Silver lehnte sich an die Wand, mit gekreuzten Armen, die Pfeife noch immer im Mundwinkel und anscheinend vollkommen ruhig, als wäre er in der Kirche. Doch seine Augen wanderten unruhig hin und her und er beobachtete seine unbotmäßigen Genossen. Diese zogen sich allmählich an das andere Ende des Blockhauses zurück und das leise Zischen ihrer flüsternden Reden schlug an mein Ohr. Manchmal blickten sie auf, und das rote Licht der Fackel beleuchtete dann sekundenlang ihre nervigen Gesichter. Doch nicht mir, sondern Silver wandten sie ihre Blicke zu.

„Es scheint, ihr habt euch eine Menge zu sagen“, bemerkte Silver, weit in die Luft hinausspuckend. „Laßt hören, was ihr wollt.“

„Entschuldigung, Herr,“ erwiderte einer der Leute, „Ihr geht etwas frei mit den Regeln um, aber vielleicht werdet Ihr so freundlich sein und Euch an die übrigen Regeln halten. Die Mannschaft ist unzufrieden. Die Mannschaft mag sich nicht tyrannisieren lassen; die Mannschaft hat Rechte, wie jede andere Mannschaft, und ich bin schon so frei, aber es steht auch in Euern Regeln, daß wir miteinander reden können. Ich bitte um Entschuldigung, wir erkennen an, daß Ihr zurzeit Kapitän seid, aber ich verlange mein Recht und wir wollen draußen beratschlagen.“

Und mit umständlichem Seemannsgruß schritt der lange, übelaussehende, gelbäugige Kerl, der etwa fünfunddreißig Jahre alt sein mochte, gemächlich zur Tür und verschwand draußen. Einer nach dem anderen folgten die übrigen seinem Beispiel. Jeder salutierte, als er vorüberkam und sagte ein Wort der Entschuldigung. „Gemäß den Regeln“, sagte der eine. „Matrosenberatung“, sagte Morgan. Und so marschierten sie alle hinaus und ließen Silver und mich allein beim Licht der Fackel.

Der Schiffskoch legte sofort die Pfeife aus der Hand.

„Die Sache ist so, Jim Hawkins,“ sagte er in kaum hörbarem Flüsterton, „du stehst hart vor dem Tod, und, was viel ärger ist, vor dem Gemartertwerden. Sie wollen mich absetzen. Doch wohlgemerkt, ich stehe zu dir in Dick und Dünn. Das war vorher nicht meine Absicht, ich meine, ehe du gesprochen hattest. Ich verzweifelte schon an dieser ganzen Sache und dachte schon, daß ich auch noch gehängt werde. Aber ich sehe, du bist schon der Richtige, und nun sage ich: Du stehst zu Hawkins, John, und Hawkins wird zu dir stehen. Du bist seine letzte Karte, und, zum Donner John, er ist deine letzte! Rücken an Rücken, sage ich. Du rettest deinen Zeugen und er wird dir deinen Hals retten.“

Ich begann dunkel zu begreifen.

„Ihr glaubt, alles ist verloren?“ fragte ich.

„Natürlich!“ antwortete er. „Schiff weg, Hals weg – so sieht die Sache aus. Als ich auf die Bucht hinausschaute, Jim Hawkins, und kein Schiff sah – nun, ich bin zäh, aber da habe ich’s aufgegeben. Was diese Kerle da und ihre Beratung betrifft, das sind ja ausgemachte Narren und Feiglinge. Ich werde dein Leben retten – wenn es irgendwie geht – , doch Jim, du mußt den langen John vor dem Galgen schützen!“

Ich war bestürzt, denn es schien so eine hoffnungslose Sache, die er da forderte – er, der alte Freibeuter, der Rädelsführer von Anbeginn.

„Was ich tun kann, werde ich tun“, sagte ich.

„Abgemacht!“ schrie der lange John. „Du wirst mutig für mich sprechen, und zum Donnerwetter, es wird schon gelingen!“

Er humpelte zu der Fackel, die zwischen dem Brennholz befestigt war, und zündete wieder seine Pfeife an.

„Versteh mich recht, Jim,“ sagte er dann, „ich bin ein vernünftiger Mensch. Ich bin jetzt auf der Seite des Squire. Ich weiß, Ihr habt das Schiff irgendwo. Wie Ihr das gemacht habt, weiß ich nicht, aber es wird schon irgendwo sicher liegen. Ich nehme an, Hands und O’Brien sind erledigt. Von denen habe ich nie viel gehalten. Jetzt paß’ auf: Ich stelle keine Fragen und lasse auch andere keine stellen. Ich weiß auch, wenn ein Spiel verloren ist, ganz genau weiß ich das, und ich weiß auch, wie ein tüchtiger Kerl ausschaut. Ja, du, der du jung bist und ich, wir zwei, miteinander hätten schon was ausrichten können.“

Er goß sich etwas Kognak aus dem Faß in ein Zinnfläschchen.

„Willst du probieren, Kamerad?“ fragte er. Und als ich ablehnte: „Nun, ich werde einen Zug machen, Jim, ich brauch eine Herzstärkung, böse Dinge stehen bevor.

Übrigens, Jim, weil wir schon davon reden, warum mag mir nur der Doktor diese Karte gegeben haben?“ Mein Gesicht drückte so ungekünsteltes Staunen aus, daß er die Überflüssigkeit weiterer Fragen einsah.

„Nun, er gab sie mir“, sagte er. „Irgend etwas steckt schon dahinter, kein Zweifel – Schlechtes oder Gutes.“

Und er nahm noch einen Schluck Branntwein und schüttelte sorgenvoll seinen großen blonden Kopf wie einer, der sich auf’s Ärgste gefaßt macht.

Neunundzwanzigstes Kapitel

Wiederum der schwarze Fleck

Als die Beratung der Freibeuter eine Zeitlang gedauert hatte, kam einer von ihnen in das Haus zurück und bat, neuerlich salutierend, und zwar mit einer Höflichkeit, die mir ironisch vorkam, ihm einen Augenblick die Fackel zu leihen. Silver gestattete es und der Abgesandte zog sich zurück und ließ uns im Dunkeln.

„Es kommt eine Brise, Jim“, sagte Silver der nun schon einen ganz freundlichen und herzlichen Ton angenommen hatte.

Ich schaute durch die mir nächstgelegene Schießscharte hinaus. Das große Feuer war jetzt fast niedergebrannt und glühte nur mehr so schwach, daß ich das Ersuchen der Verschwörer um eine Fackel begriff. Etwa auf dem halben Wege den Abhang hinab zur Palisade waren sie in einer Gruppe versammelt. Einer hielt das Licht, einer kniete in der Mitte, und ich sah die Schneide eines offenen Messers im Lichte des Mondes und dem Schein der Fackel vielfältig aufblitzen. Die übrigen standen alle nach vorn gebeugt, so, als ob sie die Bewegungen des einen in der Mitte beobachteten. Ich konnte gerade noch ausnehmen, daß er außer dem Messer auch ein Buch in der Hand hielt, und wunderte mich noch, wie etwas so nicht zu ihm Passendes in seinen Besitz kam, als der Kniende sich wieder erhob und die ganze Gesellschaft gegen das Haus zu schritt.

„Da kommen sie“, sagte ich und kehrte in meine frühere Haltung zurück; denn es schien mir unter meiner Würde, mich bei ihrer Beobachtung ertappen zu lassen.

„Aber ja, sollen nur kommen, Junge – laß sie nur kommen“, sagte Silver vergnügt. „Ich hab’ schon noch einen Schuß in meinem Köcher.“ Die Tür ging auf, und die fünf Männer, die zusammengedrängt gerade in der Türöffnung standen, stießen einen vorwärts. Unter anderen Verhältnissen wäre es komisch gewesen, sein zaghaftes Nähern zu beobachten, wie er einen Fuß vor den anderen setzte und dabei seine geschlossene rechte Hand vorstreckte.

„Komm nur vor, mein Junge,“ rief Silver, „ich werde dich nicht fressen. Gib es her, du Tölpel! Ich kenne die Regeln und werde doch eine Deputation nicht beleidigen.“

So ermutigt, trat der Freibeuter etwas kühner vor, und nachdem er Silver einen Gegenstand in die Hand gedrückt hatte, schlüpfte er ein wenig gewandter zu seinen Gefährten zurück.

Der Schiffskoch betrachtete das, was man ihm überreicht hatte.

„Der schwarze Fleck! Ich dachte mir’s“, bemerkte er. „Wo habt ihr denn das Papier her? O weh, schau mal her, das bringt euch kein Glück! Ihr habt das aus der Bibel herausgeschnitten. Welcher Esel hat denn die Bibel zerschnitten?“

„Nun also! Da habt ihr’s!“ sagte Morgan. „Was habe ich gesagt? Da schaut nichts Gutes heraus, habe ich gesagt.“

„Nun, ihr habt es ja so ziemlich untereinander ausgemacht,“ fuhr Silver fort, „Ihr werdet wohl alle hängen. Wer ist denn der sanftmütige Tölpel, dem die Bibel gehört?“

„Dick“ sagte einer.

„Also Dick war es? Nun, dann kann Dick ja beten gehen,“ sagte Silver, „sein Teil Glück hat er schon verspielt.“

Doch da mischte sich der Lange mit den gelben Augen ein.

„Laßt diese Reden, John Silver,“ sagte er, „diese Mannschaft hat Euch in offener Beratung den schwarzen Fleck zugedacht, wie es sich gehört. Dreht ihn um, wie es sich gehört, und schaut, was drauf geschrieben steht. Dann könnt Ihr reden.“

„Danke, Georg,“ erwiderte der Schiffskoch, „Ihr wart immer für glattes Geschäft und kennt die Regeln auswendig, wie ich mit Vergnügen sehe. Also was steht denn da? Ah! „Abgesetzt“ – nicht wahr? Sehr schön geschrieben, wie gedruckt! Ist es Eure Handschrift, Georg? Nun, Ihr seid ja ein förmlicher Führer der Mannschaft geworden. Wenn Ihr nächstens Kapitän werdet, werde ich mich nicht wundern. Möchtet Ihr nicht so gut sein und mir die Fackel herreichen? Die Pfeife zieht nicht.“

„Hört mal,“ sagte Georg, „Ihr braucht die Mannschaft nicht länger zu hänseln. Ihr seid ein lustiger Geselle, aber Eure Herrschaft ist jetzt vorbei und Ihr könnt nun von dem Faß da herunterkommen und mit abstimmen.“

„Ich glaubte, Ihr behauptet die Regeln zu kennen“, erwiderte Silver verächtlich. „Macht nichts, wenn Ihr sie nicht kennt, ich kenne sie und warte hier – und bin noch immer Euer Kapitän, versteht Ihr mich – bis Ihr Eure Klagen vorgebracht und ich erwidert habe. Und bis dahin ist Euer schwarzer Fleck keinen Pfennig wert. Nachher werden wir sehen.“

„Oh,“ erwiderte Georg, „damit nur kein Mißverständnis besteht: wir sind alle einig. Also: erstens habt Ihr diese ganze Sache festgefahren – das könnt Ihr wohl nicht leugnen. Zweitens habt Ihr den Feind ohne Grund aus dieser Falle herausgelassen. Warum wollten sie heraus? Ich weiß nicht, aber es ist ganz klar, daß sie wollten. Drittens erlaubt Ihr uns nicht, ihnen zu folgen. Oh, wir durchschauen Euch, John Silver, Ihr wollt mit denen gemeinsame Sache machen. Und dann ist viertens dieser Junge da.“

„Ist das alles?“ fragte Silver ruhig.

„Es ist gerade genug“, entgegnete grollend Georg. „Wir werden alle hängen und an der Sonne trocknen wegen deiner Stümperei.“

„Nun, ich werde alle diese vier Punkte, einen nach dem anderen, beantworten. Ich also habe diese ganze Sache festgefahren?

Nun, ihr wißt doch alle, was ich wollte, und ihr wißt auch, daß, wenn es zustande gekommen wäre, wir heute alle am Leben geblieben und kampftüchtig und gut angegessen an Bord der Hispaniola säßen mit dem Schatz, zum Donnerwetter! unten im Schiffsrumpf. Wer hat sich mir widersetzt? Wer hat mich zu etwas anderem gezwungen, wo ich doch euer selbstgewählter Kapitän war? Wer hat mir den schwarzen Fleck übergeben am Tag als wir landeten und diesen ganzen Tanz angefangen? Na, es ist ein schöner Tanz – darin bin ich mit euch einig – und es schaut verflucht so aus, als ob er sich zu einem ‚Schottischen‘ auswachsen wollte in der Schlinge am Exekutionsdock in London, wahrhaftig. Und wer ist schuld daran? Nun, Anderson, Hands und Ihr, Georg Merry. Und Ihr seid der letzte von dieser frechen Gesellschaft, der übriggeblieben ist, und Ihr habt die Teufelsunverschämtheit und wollt Euch als Kapitän über mich stellen? Ihr, der die meisten von uns am Gewissen hat! Aber, bei den Höllenmächten! Diese letzte Geschichte ist mir zu viel!“

Silver hielt ein, und ich konnte in den Gesichtern Georgs und seiner Genossen sehen, daß diese Worte nicht ohne Eindruck geblieben waren.

„Das war Nummer eins“, rief der Beschuldigte und wischte sich den Schweiß von der Stirne, denn er hatte mit solcher Heftigkeit gesprochen, daß das Haus zitterte. „Nun, ich gebe euch mein Wort darauf, ich hab’ es satt, mit euch zu reden. Ihr habt weder Verstand noch Gedächtnis, und was euren Eltern eingefallen ist, daß sie euch Seeleute werden ließen, das verstehe ich nicht. Seeleute?! Glücksritter?! Schneider seid ihr!“

 

„Sprecht weiter, John“, sagte Morgan. „Sprecht zu den anderen.“

„Ach, die anderen!“ erwiderte John. „Das ist wahrhaftig eine nette Gesellschaft! Ihr sagt, diese Fahrt ist verpatzt. Ja, Donnerwetter noch einmal, wenn Ihr nur verstehen würdet, wie arg verpatzt sie ist! Wir sind dem Galgen so nahe, daß mir der Hals steif wird, wenn ich an ihn denke. Ihr habt sie vielleicht schon gesehen, in Reihen aufgehängt, wenn die Vögel an ihnen picken und die Seeleute auf sie zeigen, wenn sie vorübergehen. ‚Wer ist das?‘ fragt einer. ‚Das? das ist John Silver, ich hab’ ihn gut gekannt‘, sagt ein anderer, und Ihr könnt die Ketten rasseln hören, während Ihr zum nächsten kommt. Soweit halten wir jetzt, und das haben wir denen zu verdanken, dem da und Hands und Anderson und den anderen Kerlen unter euch, die uns ins Verderben getrieben haben. Und wenn ihr wissen wollt, was mit Nummer vier ist, mit dem Jungen da? Ja, zum Teufel, ist er denn nicht unsere Geisel? Werden wir eine Geisel verschwenden? Nein, das werden wir nicht. Wer weiß, ob nicht gerade sie unsere letzte Rettung werden wird. Ich soll diesen Jungen töten? Nein, Kameraden, das werde ich nicht tun, so dumm bin ich nicht. Und über Punkt drei, ja da wäre eine Menge zu sagen. Ist es denn gar nichts, wenn ein richtiger, gelernter Doktor jeden Tag zu euch kommt, euch besuchen – Euch, John, mit Eurer Kopfwunde – und Euch, Georg Merry, den das Fieber noch vor sechs Stunden gebeutelt hat daß Eure Augen davon noch immer gelb sind wie eine Zitronenschale? Und wißt ihr vielleicht nicht, daß ein Hilfsschiff ausgerüstet wird, und es dürfte gar nicht mehr lange dauern, dann ist es da und wir werden schon sehen, wer froh sein wird, dann eine Geisel zu haben! Und was Nummer zwei anlangt, und warum ich mit denen einen Handel abschloß? Ja, seid denn Ihr nicht auf den Knien gekrochen gekommen, um mich dazuzubringen? So niedergeschlagen wart ihr – und ihr wäret auch Hungers gestorben, wenn ich es nicht gemacht hätte – aber das ist noch gar nichts, da schaut her – darum hab’ ich es gemacht!“

Und er warf ein Blatt Papier auf den Boden, das ich sofort erkannte – es war die Karte auf gelbem Papier, mit den drei roten Kreuzen, die ich in der Wachsleinwand am Boden des Koffers von Billy Bones gefunden hatte. Warum sie ihm der Doktor gegeben hatte, das allerdings ging über meinen Verstand.

Doch während mir das Auftauchen der Karte unverständlich war, schien es den Meuterern einfach unglaublich. Sie sprangen auf die Karte los wie Katzen auf eine Maus. Sie ging von Hand zu Hand, einer riß sie dem anderen weg und beim Anhören der Flüche, Ausrufe und des kindischen Gelächters, mit welchem sie ihr Studium begleiteten, hätte man glauben können, daß sie nicht nur das Gold schon in der Hand hätten sondern damit auch schon in Sicherheit auf hoher See seien.

„Ja,“ sagte einer, „das ist schon Flints Hand, ganz gewiß. J. F. und ein Strich darunter mit einem Haken dran, so hat er sich unterschrieben.“

„Sehr nett“, sagte Georg. „Aber wie sollen wir damit fortkommen – ohne Schiff?“

Silver sprang plötzlich auf, und indem er sich mit einer Hand an die Wand stützte, rief er: „Ich warne Euch, Georg! Noch ein Wort von diesem Gespött, und ich schlag’ Euch nieder! Wie? Ja, wie soll ich das wissen? Ihr hättet mir das sagen sollen, Ihr und die anderen, bevor Ihr mir meinen Schooner durch Eure Einmischung verloren habt, verfluchte Kerle! Aber natürlich, ihr wißt es nicht, ihr habt den Verstand einer Küchenschabe. Aber höflich könnt Ihr reden, Georg Merry, und höflich werdet Ihr sein von nun ab, da könnt Ihr Gift daraufnehmen!“

„So gehört es sich“, sagte der alte Morgan.

„Gehören? Das will ich meinen“, sagte der Schiffskoch. „Ihr habt das Schiff verloren, ich habe den Schatz gefunden, wer von uns beiden ist der bessere Mann? Aber hol’s der Teufel, ich trete zurück! Wählt zum Kapitän wen ihr wollt, ich hab’ genug davon.“

„Silver!“ riefen sie. „Der Bratrost soll leben, unser Bratrost muß Kapitän sein!“

„Aus diesem Loch bläst es?“ rief der Koch. „Georg, mein Freund, Ihr werdet auf die nächste Wahl warten müssen. Und seid froh, daß ich nicht rachsüchtig bin; das war nie meine Art. – Und was ist’s nun mit dem schwarzen Fleck, Kameraden? Er taugt nicht viel, was? Dick hat sein Glück verspielt und seine Bibel ruiniert und sonst ist nichts dabei herausgekommen.“

„Es wird doch genügen, wenn ich die Bibel küsse, nicht wahr?“ murmelte Dick, der sichtlich unter dem Fluche litt, den er da auf sich geladen hatte.

„Eine Bibel, aus der etwas herausgerissen worden ist?“ erwiderte Silver spöttisch. „Nein, die hat jetzt nicht mehr Kraft als irgendein Balladenbuch.“

„Soviel doch?“ rief Dick förmlich erfreut, „nun, damit ist sie ja doch was wert.“

„Da, Jim – da habt Ihr was Interessantes zum Anschauen“, sagte Silver, indem er mir das Papier zuschob.

Es war ein rundes Stück Papier, ungefähr in der Größe einer Krone. Auf der einen Seite war es leer, denn es war das letzte Blatt; auf der anderen Seite standen ein paar Verse aus der Offenbarung, und zwar Worte, die mich betroffen machten: „Draußen stehen Hunde und Mörder.“ Die bedruckte Seite war mit Holzasche geschwärzt, an der ich mir die Finger beschmutzte, und auf der leeren Seite war ebenfalls mit Holzasche das eine Wort „Abgesetzt“ geschrieben. Ich habe mir dieses Dokument als Kuriosität bis heute aufbewahrt, aber man sieht kein Zeichen einer Schrift mehr darauf, nur einen einzigen Ritzer, wie man ihn mit dem Daumennagel hervorbringen kann.

Damit waren die Ereignisse dieser Nacht zu Ende, und nachdem wir miteinander eine Runde getrunken hatten, legten wir uns schlafen. Äußerlich bekundete Silver seine Rachsucht nur so weit, daß er Georg als Wache aufstellte und ihn mit dem Tode bedrohte, wenn er sich unzuverlässig erweisen sollte.

Lange konnte ich kein Auge schließen, denn ich hatte, weiß Gott, genug Stoff zum Nachdenken. Ich dachte an den Mann, den ich an diesem Nachmittage getötet hatte, an meine höchst gefährliche Lage und vor allem an das merkwürdige Spiel, das ich Silver jetzt spielen sah: wie er mit einer Hand die Meuterer zusammenhielt und mit der anderen nach jedem möglichen und unmöglichen Mittel griff, um sein elendes Leben zu retten. Er selbst schlief friedlich und schnarchte laut. Trotz seiner Schlechtigkeit tat er mir leid, wenn ich an die dunklen Gefahren dachte, von denen er umgeben war und an den schmachvollen Galgentod, der ihn erwartete.