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Die Schatzinsel

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Die Schatzinsel
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Die Schatzinsel
Hörbuch
Wird gelesen Thomas Dehler
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Die Schatzinsel
Hörbuch
Wird gelesen Andreas Berg, Hans Meissner, Heinz Rabe, Karl Brugsch Heinrich, Klaus Jepsen, Paul Richter, Santiago Ziesmer
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Fünfter Teil

Mein Seeabenteuer

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Wie ich mein Seeabenteuer begann

Die Meuterer kehrten nicht wieder – nicht einmal ein Schuß kam mehr aus dem Walde. Sie hatten, wie es der Kapitän nannte, „ihre Tagesration bekommen“ und wir blieben Herren des Platzes und konnten nun in Ruhe uns um die Verwundeten kümmern und unser Mittagessen bereiten. Der Squire und ich kochten, der Gefahr trotzend, im Freien und selbst draußen konnten wir kaum zur Besinnung kommen vor Entsetzen über das laute Stöhnen der Patienten des Doktors, das bis zu uns drang.

Von den acht Mann, die im Kampfe gefallen waren, atmeten nur mehr drei – der eine Seeräuber, der an der Schießscharte angeschossen worden war, Hunter und Kapitän Smollett. Und von diesen waren die beiden ersten so gut wie tot. Der Meuterer starb unter dem Messer des Doktors und Hunter kam, trotz aller unserer Bemühungen, nicht mehr zum Bewußtsein. Er lag den ganzen Tag im Sterben und keuchte laut wie der alte Freibeuter daheim während seines Schlaganfalles. Das Brustbein war ihm durch den Schlag zertrümmert worden und sein Schädel beim Fall zerschmettert, und in der nächsten Nacht ging er ohne einen Laut von sich zu geben zu seinem Schöpfer heim.

Die Wunden des Kapitäns waren schwer, doch nicht lebensgefährlich. Kein lebenswichtiges Organ war ernstlich verletzt. Andersons Kugel – denn Job hatte ihn zuerst getroffen – hatte ihm das Schulterblatt zerbrochen und die Lunge leicht gestreift. Der zweite Schuß war in die Wadenmuskeln gedrungen. Er werde sich bestimmt erholen, sagte der Doktor, doch dürfe er wochenlang weder gehen noch den Arm bewegen und womöglich auch nicht sprechen.

Mein Schnitt durch die Knöchel war ein Flohbiß, den Dr. Livesay mit Pflaster flickte und mich noch obendrein dafür bei den Ohren nahm.

Nach dem Essen saßen der Squire und der Doktor eine Weile zur Beratung neben dem Lager des Kapitäns und als sie sich ausgesprochen hatten nahm der Doktor seinen Hut und seine Pistolen, umgürtete sich mit dem Entermesser, steckte die Karte in die Tasche, kletterte mit geschultertem Gewehr auf der Nordseite über die Umzäunung und machte sich vergnügt auf den Weg.

Gray und ich saßen zusammen am anderen Ende des Blockhauses, um während der Beratung unserer Vorgesetzten außer Hörweite zu sein. Gray nahm die Pfeife aus dem Munde und vergaß fast sie wieder hineinzustecken, so paff war er über das Beginnen des Doktors.

„Was, zum Henker, ist in ihn gefahren?“ sagte er, „ist Dr. Livesay verrückt geworden?“

„Kaum“, sagte ich. „Ich glaube, von der ganzen Mannschaft hat er am wenigsten Anlage dazu.“

„Nun, Kamerad,“ meinte Gray, „vielleicht ist er nicht verrückt, doch wenn er es nicht ist dann paß auf was ich dir sage, bin ich es.“

„Ich denke,“ erwiderte ich, „der Doktor hat seinen Plan. Wenn ich nicht sehr irre, ist er Ben Gunn besuchen gegangen.“

Wie sich später herausstellte, war es wirklich so. Doch inzwischen war es im Hause erstickend heiß und der kleine Fleck Sand innerhalb der Umzäunung glühte in der Mittagsonne. Mir ging ein anderer Gedanke durch den Kopf, der keineswegs so richtig war. Ich beneidete den Doktor, der im kühlen Waldesschatten spazieren ging, den angenehmen Duft der Nadelbäume und den Gesang der Vögel genoß, während ich gebraten dasaß und mit meinen Kleidern am heißen Harz hängen blieb, rings um mich so viel Blut und so viel Leichen, daß mich ein Ekel vor dem Hause packte, der fast so stark war wie Furcht.

Die ganze Zeit während ich das Blockhaus und dann das Eßgeschirr aufwusch, wurden Ekel und Neid immer stärker, bis ich endlich, als ich mich zufällig unbeobachtet bei einem Brotkorb fand, den ersten Schritt für meine Flucht vorbereitete und meine beiden Manteltaschen mit Zwieback füllte.

Ich war vielleicht ein Narr und sicherlich war ich im Begriff einen törichten, tollkühnen Schritt zu tun, doch war ich entschlossen alle in meiner Macht stehenden Vorsichtsmaßregeln dabei zu beobachten. Dieser Zwieback würde mich, wenn mir irgend etwas geschehen sollte, wenigstens bis zum Abend des nächsten Tages vor dem ärgsten Hunger schützen.

Ferner nahm ich ein paar Pistolen mit, und da ich bereits ein Pulverhorn und Kugeln hatte, fühlte ich mich mit Waffen wohlversehen.

Der Plan, mit dem ich mich trug, war an und für sich nicht schlecht. Ich wollte die schmale Landzunge, welche im Osten den Ankerplatz von der offenen See trennt, hinuntergehen, den weißen Felsen, den ich am letzten Abend bemerkt hatte, suchen und mich überzeugen, ob Ben Gunn dort sein Boot versteckt habe; was, wie ich noch immer glaube, wohl der Mühe wert war zu unternehmen. Doch da ich sicher war, daß man mir nicht gestatten würde die Umzäunung zu verlassen, wollte ich französischen Abschied nehmen und unbeobachtet hinausschlüpfen. Und das war eine so schlechte Handlungsweise, daß dadurch die ganze Sache zu einem Unrecht wurde. Doch ich war nur ein Bub’ und war fest entschlossen meinen Plan durchzuführen.

Der Zufall wollte es, daß ich eine wundervolle Gelegenheit fand. Der Squire und Gray waren eifrig damit beschäftigt dem Kapitän bei seinen Verbänden Hilfe zu leisten. Der Weg war frei und so machte ich einen Satz über die Umzäunung und mitten hinein in das dichteste Gehölz, und ehe meine Abwesenheit bemerkt wurde, war ich außer Hörweite.

Das war meine zweite Torheit und sie war viel schlimmer als die erste, denn ich ließ nur zwei gesunde Männer zur Bewachung des Hauses zurück; doch sollte sie späterhin, gleich der ersten, zur Rettung für uns alle werden.

Ich nahm meinen Weg geradeaus zur Ostküste der Insel, da ich entschlossen war die dem Meere zu gelegene Seite der Landzunge hinunterzugehen, um jede Möglichkeit zu vermeiden vom Ankerplatz aus beobachtet zu werden.

Es war schon spät am Nachmittag, doch noch immer warm und sonnig. Als ich mich weiter durch hohes Gebüsch hindurchwand, konnte ich in naher Entfernung nicht nur den unaufhörlichen Donner der Brandung, sondern auch ein gewisses Rauschen der Blätter und Aneinanderschlagen der Zweige hören, das mir anzeigte, daß die Brise stärker als sonst eingesetzt hatte. Bald spürte ich einen kalten Luftzug und nach einigen weiteren Schritten kam ich an den offenen Rand des Waldes und sah das Meer blau und sonnig weit vor mir liegen und die Brandung wallend und schäumend an die Küste anschlagen.

Ich habe um die Schatzinsel die See niemals ruhig gesehen. Wenn die Sonne noch so heiß brannte und kein Lüftchen sich rührte und die Oberfläche des Meeres glatt und blau dalag, schlugen doch diese breiten Wogen Tag und Nacht donnernd und donnernd an die Küste, und ich glaube kaum, daß es einen Platz auf der Insel gibt, wo dieses Getöse nicht ans Ohr dringt.

Ich ging mit großem Entzücken die Küste entlang, bis ich endlich, da ich nun annahm, weit genug nach Süden gekommen zu sein, unter der Deckung dichten Gebüsches vorsichtig den Sattel der Landzunge erklomm. Hinter mir war das Meer, vor mir der Ankerplatz.

Die Seebrise war im Abflauen und es schien als hätte sie sich durch ihre ungewöhnliche Heftigkeit schneller zu Ende geblasen und nun folgten ihr wechselnd leichte Winde aus Süden und Südost, die breite Nebelstreifen mit sich führten. Der Ankerplatz an der Leeseite der Skelettinsel lag noch immer in der bleiernen Stille, in der wir ihn zuerst betreten hatten. Die Hispaniola spiegelte sich in dieser ruhigen Wasserfläche von der Spitze, an der die Freibeuterflagge flatterte, bis zur Wasserlinie.

Daneben lag eines der Ruderboote, in dessen Achtersitz Silver saß – ihn konnte ich stets erkennen – , während ein paar seiner Leute sich über die Reeling beugten. Einer von ihnen, mit der roten Mütze, war derselbe Schurke, den ich ein paar Stunden vorher Hals über Kopf über die Palisade fliehen gesehen hatte. Sie schienen zu lachen und zu plaudern, obwohl ich auf diese Entfernung – über eine Meile – natürlich kein Wort ihres Gespräches vernehmen konnte.

Plötzlich erhob sich ein abscheuliches, unmenschliches Gekreisch, das mich zuerst wahnsinnig erschreckte, doch bald erinnerte ich mich wieder an die Stimme des „Kapitän Flint“ und glaubte sogar den Papagei in seinem leuchtenden Gefieder wahrzunehmen, wie er auf dem Handgelenk seines Herrn geduckt dasaß.

Bald darauf fuhr die Jolle gegen das Ufer; der Mann in der roten Mütze aber und sein Gefährte gingen hinunter in die Kabine.

Um diese Zeit war die Sonne hinter dem „Fernrohr“ untergegangen und da der Nebel sich rasch zusammenzog fing es an ernstlich dunkel zu werden und ich sah, daß ich keine Zeit verlieren dürfe, wenn ich das Boot noch an diesem Abend finden wollte.

Der weiße Felsen, der sich deutlich über dem Nebel abzeichnete, war immer noch ein ziemliches Stück entfernt und es dauerte eine gute Weile bis ich durch das Gestrüpp, oft auf allen Vieren kriechend, mich hinarbeitete. Die Nacht war fast niedergesunken, als ich endlich ankam. Genau unter dem Felsen war eine ganz schmale, mit Rasen ausgelegte Vertiefung, die durch die Böschung und dichtes Unterholz, das dort sehr üppig wuchs, verborgen war. In der Mitte der kleinen Schlucht stand wirklich ein Zelt aus Ziegenhäuten, wie es die Zigeuner in England mit sich herumführen.

Ich sprang in die kleine Schlucht hinunter, hob den Zeltvorhang und da stand Ben Gunns Boot – unzweifelhaft sozusagen „zu Hause gemacht“: ein rohes, schiefwandiges Fahrzeug aus unbehauenem Holz, dessen Innenseite mit Tierfellen, mit der Haarseite nach innen, belegt war. Das Ding war außerordentlich klein, sogar für mich, und ich vermochte mir kaum vorstellen, wie es einen erwachsenen Mann über Wasser halten konnte. Es hatte einen kleinen, ganz niedrigen Strecksitz im Bug und zum Antrieb ein kurzes Doppelruder. Ich hatte vorher nie ein Fischerboot gesehen wie es die alten Briten benützten, doch habe ich inzwischen welche kennen gelernt und kann keine bessere Vorstellung von Ben Gunns Boot geben, als indem ich es mit dem ältesten und primitivsten Fischerboot vergleiche, das jemals Menschenhände angefertigt haben. Doch besaß es zweifellos einen großen Vorteil vor jenen Booten aus der Vorzeit: es war überaus leicht und tragbar.

 

Da ich das Boot nun gefunden hatte hätte man denken sollen, daß ich mir vorläufig genug an Durchgängerei geleistet hatte. Doch inzwischen hatte ich einen Plan gefaßt und mich so heftig in ihn verliebt, daß ich ihn, glaube ich, sogar vor Kapitän Smolletts Augen durchgeführt hätte. Er bestand darin unter dem Schutze der Nacht die Hispaniola abzuschneiden und den Wellen und Winden preiszugeben, so daß sie irgendwo an Land treiben mußte. Ich war sicher, daß den Meuterern nach ihrem Mißerfolg am Morgen nichts mehr am Herzen lag als die Anker zu lichten und fortzusegeln und dachte, daß es eine schöne Sache wäre, das zu verhindern. Da ich nun sah wie sie ihre Wachen ohne Boot zurückließen, glaubte ich, daß man dies mit geringer Gefahr durchführen könnte.

Ich setzte mich nieder, um auf die Dunkelheit zu warten und ließ mir inzwischen eine tüchtige Zwiebackmahlzeit gutschmecken. Es war eine Nacht wie sie unter zehntausend für meine Zwecke nicht geeigneter sein konnte. Der Nebel bedeckte nun den ganzen Himmel. Als die letzten Strahlen des Tageslichtes dahinschwanden legte sich vollkommene Finsternis über die Schatzinsel. Und als ich schließlich das Fischerboot schulterte und damit aus der kleinen Schlucht, wo ich mein Abendbrot gegessen hatte, hinausstolperte, waren nur noch zwei Punkte auf dem ganzen Ankerplatz sichtbar.

Der eine war ein großes Feuer am Ufer, um das die besiegten Seeräuber zechend auf der morastigen Wiese herumlagen, der zweite ein bloßer Lichtschimmer in der Finsternis, der die Lage des Schiffes anzeigte. Es hatte sich während der Ebbe gedreht – so daß der Bug jetzt mir zugewendet war – und die einzigen Lichter an Bord waren die in der Kabine.

Die Ebbe dauerte schon einige Zeit und ich mußte eine lange Strecke durch den sumpfigen Sand waten, in den ich wiederholt bis über die Knöchel einsank, ehe ich an das zurückflutende Meer kam und endlich mit einigem Aufwand von Kraft und Geschicklichkeit mein Fischerboot mit dem Kiel nach abwärts auf die Wasserfläche setzen konnte.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Die Ebbe nimmt ihren Fortgang

Das Fischerboot war wirklich für eine Person meiner Größe und meines Gewichtes ein ganz sicheres Fahrzeug – und ich bekam genug Erfahrung, um dies zu wissen – und war ganz flott und geschickt, wenn man es auf dem Wasser sich selbst überließ.

Doch war es infolge seiner Schiefwandigkeit und Unförmigkeit überaus schwer zu lenken. Man konnte machen was man wollte, es drehte sich immer mehr leewärts als irgend etwas, und sich um und umzudrehen war die Kunst, die es am besten verstand. Selbst Ben Gunn gab zu, das es „sich etwas sonderbar benahm, bis man seine Art kannte“.

Sicherlich kannte ich ihre seine Art vorerst nicht. Es drehte sich nach jeder Richtung, nur nicht nach der, in welcher ich es haben wollte. Fast die ganze Zeit ging es nach der Breitseite zu und ich bin überzeugt, daß ich niemals das Schiff erreicht hätte, wenn nicht die Flut gekommen wäre. Zum Glück riß sie mich mit, ich konnte rudern wie ich wollte. Und die Hispaniola lag gerade auf dem Weg und konnte gar nicht verfehlt werden.

Zuerst tauchte sie vor mir auf wie ein dunkler Fleck, dunkler als die Dunkelheit ringsum, dann begannen ihre Spieren und der Schiffsrumpf Umrisse anzunehmen und im nächsten Augenblick (denn je weiter ich vorwärts kam, desto stärker wurde die Strömung) war ich neben ihrem Kabeltau und hatte es schon ergriffen. Das Kabeltau war straff wie eine Bogensehne gespannt – so stark zog sie an ihrem Anker. Rings um den Schiffsrumpf sprudelte und rauschte die anprallende Strömung in der pechschwarzen Nacht wie ein kleiner Bergfluß – ein Schnitt mit meinem Messer – und die Hispaniola würde mit der Flut forttreiben.

Das wäre soweit ganz gut gewesen, doch ich erinnerte mich gehört zu haben, daß ein straffes Ankertau, plötzlich durchschnitten, ein so gefährliches Ding sei wie ein scheues Pferd. Es war zehn gegen eins zu wetten, daß, wenn ich so tollkühn gewesen wäre, die Hispaniola von ihrem Anker wegzuschneiden, ich und das Fischerboot glatt aus dem Wasser hinausgestoßen worden wären.

Damit war es also nichts und wenn das Glück mich nicht wiederum besonders begünstigt hätte, hätte ich meinen Plan ganz aufgeben müssen. Doch die leichten Winde, die zuerst von Südost und Süden gekommen waren schlugen nach Einbruch der Dunkelheit in Südwest um. Mitten in meinem Sinnen kam ein Windstoß, packte die Hispaniola und zwang sie in die Strömung hinauf. Dabei fühlte ich zu meiner großen Freude wie sich das Ankertau lockerte und die Hand, mit welcher ich es festhielt, eine Sekunde lang ins Wasser tauchte.

Als ich das sah entschloß ich mich rasch, nahm ein Messer, das ich mit den Zähnen aufmachte und schnitt eine Faser nach der anderen durch bis das Fahrzeug nur mehr von zweien gehalten wurde. Dann wartete ich ruhig mit dem Abschneiden dieser letzten beiden, bis eine neue Brise die Spannung noch mehr gelockert haben würde.

Während dieser ganzen Zeit hörte ich aus der Kabine laute Stimmen, doch war ich, um die Wahrheit zu sagen, so ganz mit anderen Gedanken beschäftigt, daß ich kaum hingehört hatte. Jetzt aber begann ich, da ich nichts anderes zu tun hatte, besser aufzupassen.

Die eine Stimme erkannte ich als die des Bootsführers Israel Hands, des einstigen Kanoniers des Kapitän Flint. Die andere gehörte natürlich meinem Freund mit der roten Nachtmütze.

Die beiden waren offenbar arg betrunken und tranken auch jetzt weiter, denn während ich zuhörte, öffnete einer von ihnen mit einem Gröhlen das Heckfenster und warf einen Gegenstand hinaus, den ich sicherlich mit Recht für eine leere Flasche hielt. Doch waren sie nicht nur betrunken sondern auch in furchtbarer Wut. Die Flüche flogen wie Hagelkörner und von Zeit zu Zeit entstand ein so wüster Lärm, daß ich sicher war, die Sache würde mit Schlägen enden. Doch immer wieder legte sich der Streit, die Stimmen wurden ein wenig gedämpfter bis zum nächsten Höhepunkt, der wieder ohne Resultat abklang.

Ich konnte den Schein des großen Wachtfeuers am Ufer durch die Bäume an der Küste hell herüberleuchten sehen. Einer sang ein eintöniges, altes Seemannslied mit einem trillernden Refrain am Ende jedes Verses, doch gab es anscheinend überhaupt kein Ende als das der Geduld des Sängers. Ich hatte es auf unserer Reise wiederholt gehört und erinnerte mich zweier Verse daraus:

 
„Mit fünfundsiebzig die Reise begann,
Zurück kam nur ein einziger Mann.“
 

Ich fand, daß es ein zu schmerzlich passendes Lied für eine Gesellschaft war, die am selben Morgen so grausame Verluste erlitten hatte; doch waren freilich, wie ich sah, alle diese Freibeuter so gefühllos wie das Meer, auf dem sie segelten.

Endlich kam die Brise. Der Schooner neigte sich seitwärts und kam in der Dunkelheit näher. Ich fühlte wiederum das Ankertau schlaffer werden und schnitt mit einem guten, festen Schnitt die letzten Fasern durch.

Die Brise bewegte das Fischerboot nur wenig und ich wurde fast augenblicklich gegen den Bug der Hispaniola getrieben. Gleichzeitig begann sich der Schooner zu drehen und langsam gegen den Strom zu rollen.

Ich arbeitete wie ein Teufel, denn ich erwartete jeden Augenblick versenkt zu werden. Und da ich herausgefunden hatte, daß ich das Fischerboot nicht gerade wegbekommen konnte, ruderte ich es umgekehrt. Endlich war ich von meinem gefährlichen Nachbar befreit und eben als ich den letzten Stoß tat, bekam ich zufällig einen leichten Strick in die Hand, der hinten über Bord hing und packte ihn sofort.

Warum ich das tat, ist kaum zu erklären. Es geschah zuerst aus bloßem Instinkt. Doch als ich ihn erst gepackt hatte und sah, daß er fest hielt, bekam meine Neugier die Oberhand und ich beschloß einen Blick durch das Kabinenfenster zu werfen. Ich zog mich an dem Strick hinauf und als ich mich nahe genug glaubte, erhob ich mich, der unerhörten Gefahr nicht achtend, in halber Körperhöhe und konnte nun das Dach und einen Teil des Inneren der Kabine überblicken.

Um diese Zeit glitt der Schooner mit seinem winzigen Begleiter schon ziemlich rasch durch das Wasser und wir kamen in die Nähe des Lagerfeuers. Das Schiff sprach laut, wie die Seeleute sagen, es wälzte sich mit fortwährendem Geplätscher über die unendlichen Wellen und ehe ich durch das Fenster hineinblicken konnte war es mir unverständlich, wieso die Wachen nicht aufgeschreckt worden waren. Doch war der eine Blick, den ich von meinem wackligen Boot aus wagte, hinreichend, um alles zu verstehen, denn ich sah Hands und seinen Gefährten in tödlichem Ringen, einer die Hand an der Kehle des anderen, wütend ineinander verschlungen.

Ich fiel wieder auf meinen kleinen Sitz zurück und wirklich gerade noch zur rechten Zeit, denn ich war fast über Bord geflogen. Ich konnte im Augenblick nichts sehen als diese beiden wild geröteten Gesichter wie sie unter der rauchenden Lampe gegeneinander schwankten und schloß die Augen, um sie wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen.

Die endlose Ballade war schließlich doch zu einem Abschluß gekommen und die ganze übrige Gesellschaft beim Lagerfeuer sang den Schlußchor, den ich so oft gehört hatte:

 
„Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste,
Jo-ho-ho und ein Fläschchen Rum,
Schnaps stand stets auf der Höllenfahrtsliste
Jo-ho-ho und ein Fläschchen Rum.“
 

Während ich darüber nachsann, wie doch Schnaps in diesem Augenblick in der Kabine der Hispaniola zur Höllenfahrt vorbereitete, wurde ich durch einen plötzlichen Ruck des Fischerbootes überrascht. Gleichzeitig schwankte es und schien seinen Kurs zu ändern während seine Schnelligkeit befremdlich zunahm.

Ich öffnete sofort die Augen. Rund um mich schoben sich kleine Wellen, deren Kämme aufleuchteten. Die Hispaniola, in deren Kielwasser ich immer noch herumgewirbelt wurde, schien in ihrem Kurse zu schwanken und ich sah ihre Spiere durch die finstere Nacht hin und hergehen, und als ich näher zusah, sah ich, daß sie nach Süden zog.

Ich blickte zurück und das Herz schlug mir gegen die Rippen. Dort gerade hinter mir glühte der Schein des Lagerfeuers. Die Strömung hatte sich im rechten Winkel gedreht und hatte das große Schiff um das kleine auf den Wellen tanzende Fischerboot herumgefegt. Schneller und schneller, immer höher gingen die Wellen, immer lauter rollten sie es durch die Meerenge in die offene See.

Plötzlich drehte sich der Schooner vor mir mit einem heftigen Ruck um etwa zwanzig Grade und fast im selben Augenblick erschollen Schreie vom Bord des Schiffes. Ich hörte wie die Leiter der Lukenkappe von stampfenden Füßen erzitterte und wußte nun, daß die beiden Trunkenbolde endlich in ihrem Kampf innehielten und das Unheil zu begreifen begannen.

Ich legte mich flach auf den Boden des jämmerlichen, kleinen Schiffleins und empfahl meine Seele ihrem Schöpfer. Es schien sicher, daß wir, wenn wir aus der Meerenge hinauskämen, in die Gewalt der tobenden Wellen kommen müßten, wo alle meine Sorgen ihr rasches Ende finden würden. Und trotzdem ich vielleicht den Tod ertragen konnte, dem nahenden Geschick entgegenzuschauen war mir unerträglich.

Ich muß stundenlang so dagelegen sein, fortwährend von den Wellen auf und ab geworfen, manchmal vom sprühenden Seeschaum bespritzt und immerfort in Erwartung des Todes. Allmählich überwältigte mich die Müdigkeit. Betäubung und gelegentlich Erstarrung überfielen mich inmitten all dieser Schrecknisse, bis mich endlich der Schlaf in die Arme nahm. Und da lag ich nun in meinem von den Wogen herumgeworfenen Fischerboot und träumte von der Heimat und dem alten „Admiral Benbow“.