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Die Schatzinsel

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Die Schatzinsel
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Hörbuch
Wird gelesen Thomas Dehler
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Die Schatzinsel
Hörbuch
Wird gelesen Andreas Berg, Hans Meissner, Heinz Rabe, Karl Brugsch Heinrich, Klaus Jepsen, Paul Richter, Santiago Ziesmer
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Zwanzigstes Kapitel

Silvers Sendung

Es standen wirklich gerade außerhalb der Umzäunung zwei Männer, deren einer ein weißes Tuch schwenkte; der andere, kein geringerer als Silver selbst, stand beschaulich daneben.

Es war noch sehr früh und der kälteste Morgen, den ich je erlebt habe, eine Kälte, die bis ins Mark drang. Der Himmel über uns war klar und wolkenlos und die Spitzen der Bäume erglänzten rosig in der Sonne. Doch dort wo Silver mit seinem Begleiter stand, war noch alles im Schatten und sie wateten knietief in einem weißen Dampf, der während der Nacht aus dem Morast hervorgekrochen war.

Die Kälte und der Dunst zusammen erzählten eine traurige Geschichte von der Insel. Es war klar, daß sie ein feuchter, fieberverpesteter, ungesunder Aufenthalt war.

„Bleibt drinnen Leute“, sagte der Kapitän. „Zehn zu eins, daß das nur ein Kniff ist.“

Dann rief er den Freibeuter an.

„Halt, wer da! Steht, oder wir feuern.“

„Weiße Fahne!“ rief Silver.

Der Kapitän stand im Torweg und hielt sich dabei sorgfältig gedeckt, für den Fall, das ein verräterischer Schuß beabsichtigt sein sollte. Er wendete sich zu uns und sagte:

„Wache des Doktors an die Gucklöcher. Dr. Livesay, bitte, Sie nehmen die Nordseite, Jim Osten, Gray Westen. Die Wache unten lädt die Gewehre. Rasch und sorgsam, Leute!“

Dann wendete er sich zu den Freibeutern.

„Und was wollt ihr mit eurer weißen Flagge?“ rief er.

Diesmal antwortete der andere Mann: „Kapitän Silver, Herr, will hereinkommen und einen Vertrag schließen“, schrie er.

„Kapitän Silver! Kenn ich nicht. Wer ist das?“ rief der Kapitän und wir konnten hören wie er im Selbstgespräch hinzufügte: „Kapitän! So etwas! Meiner Seel, hier wird man befördert!“ Der lange John antwortete selbst.

„Ich, Herr. Diese armen Jungen haben mich zum Kapitän gewählt, nachdem Sie desertiert sind“ – er betonte mit besonderem Nachdruck das Wort desertiert. „Wir sind gewillt uns zu unterwerfen, wenn wir zu einem Abschluß kommen können und keine Geschichten gemacht werden. Ich verlange nur Ihr Wort, Kapitän Smollett, mich wohlbehalten und sicher wieder aus dieser Umzäunung herauszulassen und eine Minute Zeit, um außer Schußweite zu kommen, ehe ein Gewehr abgefeuert wird.“

„Mein Junge,“ sagte Kapitän Smollett, „ich habe nicht den leisesten Wunsch mich mit Euch zu unterhalten. Wenn Ihr mit mir reden wollt könnt Ihr kommen und fertig. Verräterei kann da nur auf Eurer Seite sein; und Gott sei Euch gnädig.“

„Das genügt, Kapitän“, rief der lange John erfreut. „Ein Wort von Ihnen genügt, ich weiß, was ein Gentleman ist, das ist sicher.“

Wir konnten sehen wie der Mann, der die weiße Flagge trug, Silver zurückzuhalten versuchte, und das war weiter nicht verwunderlich nach der kavaliermäßigen Antwort des Kapitäns. Doch Silver lachte laut auf und klopfte ihm auf die Schulter, als ob der Gedanke an eine Gefahr rein lächerlich wäre, dann ging er zur Umzäunung vor, warf seine Krücke hinüber und brachte es mit großer Kraft und Geschicklichkeit zustande den Zaun zu übersteigen und sich glücklich an der anderen Seite herunterzulassen.

Ich muß gestehen, daß ich viel zu sehr beschäftigt war mit dem, was vorging, um als Schildwache zu etwas zu taugen. Tatsächlich verließ ich mein östliches Guckloch und schlich dem Kapitän nach, der sich nun auf der Schwelle niedersetzte, die Arme auf die Knie gestützt, den Kopf in der Hand, die Augen auf das Wasser gerichtet, das aus dem alten Eisenkessel in den Sand tropfte. Dabei pfiff er sich ein Liedchen: „Mädels und Burschen kommt heran…“

Silver wurde es furchtbar schwer den Abhang zu erklettern. Bei der Steilheit des Aufstieges, den dicken Baumstrünken und dem weichen Sand war er mitsamt seiner Krücke so hilflos wie ein Segler bei Windstille, doch er ließ nicht locker und arbeitete sich vorwärts bis er endlich beim Kapitän anlangte, den er liebenswürdig grüßte. Er hatte sich auf das schönste herausgeputzt: Ein enormer blauer Rock, ganz mit Metallknöpfen geschmückt, hing ihm bis zu den Knien und ein schöner verschnürter Hut saß auf seinem Hinterkopfe.

„Da seid Ihr ja“, sagte der Kapitän, den Kopf hebend. „Ihr solltet Euch lieber niedersetzen.“

„Ihr wollt mich nicht hereinlassen, Kapitän?“ klagte der lange John. „Es ist ein schrecklich kalter Morgen, Herr, um da draußen auf dem Sand zu sitzen.“

„Nun, Silver“, sagte der Kapitän, „wenn es Euch beliebt hätte ein anständiger Mensch zu sein, könntet Ihr jetzt in Eurer warmen Küche sitzen. Das habt Ihr Euch allein eingebrockt. Entweder Ihr seid mein Schiffskoch – und da wurdet Ihr nett behandelt – oder Ihr seid Kapitän Silver, ein gemeiner Meuterer und Seeräuber, dann könnt Ihr Euch aufhängen!“

„Gut, gut, Kapitän,“ erwiderte der Schiffskoch und setzte sich wie ihm der Kapitän geheißen hatte, auf den Sand, „Ihr werdet mir einfach dann zum Aufstehen die Hand geben müssen, das ist alles. Ein hübsches, nettes Plätzchen habt Ihr hier. Ah, da ist ja Jim! Schönsten guten Morgen, Jim! Herr Doktor, meine Hochachtung! Nun, da sind ja alle beisammen wie eine glückliche Familie sozusagen.“

„Wenn Ihr was zu sagen habt, dann sagt es lieber“, sagte der Kapitän.

„Freilich, freilich, Kapitän Smollett“, erwiderte Silver. „Pflicht ist Pflicht, natürlich. Schauen Sie, das war ein gutes Stückl von Ihnen heute Nacht, ich leugne nicht, daß es ein gutes Stückl war. Ein paar von euch müssen ganz tüchtig mit Hebestangen umzugehen verstehen. Ich leugne auch nicht, daß ein paar von meinen Leuten ganz erschrocken waren – vielleicht waren alle erschrocken, möglich, daß ich selbst erschrocken war, möglich, daß das der Grund ist, weshalb ich hier bin um zu verhandeln. Aber paßt auf Kapitän, ein zweites Mal passiert das nicht, zum Teufel! Wir werden eben Wachen ausstellen und ein bißchen den Rum einschränken. Vielleicht denkt Ihr, daß wir alle sternhagelvoll waren, aber ich sag’s Euch, ich war nüchtern. Ich war nur hundsmüde, und wenn ich nur eine Sekunde früher aufgewacht wäre, ich hätt’ Euch bestimmt mitten drin erwischt. Er war nicht tot, als ich zu ihm herüberkam, o nein.“

„Nun?“ sagte Kapitän Smollett, kühl wie ein Eiszapfen.

Alles, was Silver da sagte, mußte ihm rätselhaft sein, aber kein Mensch hätte das aus seinem Ton erraten. Aber ich fing an es zu wittern. Ben Gunns letzte Worte kamen mir in den Sinn. Ich begann zu ahnen, daß er den Freibeutern einen Besuch abgestattet hatte, als sie alle betrunken um ihr Feuer herumlagen und ich berechnete vergnügt, daß wir es nur mehr mit vierzehn Feinden zu tun hatten.

„Nun, die Sache ist die,“ sagte Silver, „wir wollen den Schatz, und wir müssen ihn kriegen! – das ist unsere Bedingung. Ihr wollt am Leben bleiben, nehme ich an, das ist Euch die Hauptsache. Ihr habt eine Karte, nicht wahr?“

„Wohl möglich“, erwiderte der Kapitän.

„Oh, natürlich habt Ihr eine, das weiß ich schon“, antwortete der lange John. „Ihr braucht nicht hochmütig zu sein, das ist gar nicht notwendig. Wir brauchen Eure Karte. Ich selber habe Euch nie etwas Böses tun wollen.“

„Mir werdet Ihr so etwas nicht erzählen, mein Junge“, unterbrach ihn der Kapitän. „Wir wissen ganz genau, was Ihr mit uns vorhattet, aber wir scheren uns nicht darum, denn seht Ihr, Ihr könnt es eben nicht ausführen.“

Und der Kapitän sah ihn ruhig an und füllte seine Pfeife.

„Wenn Abe Gray – “ fuhr Silver auf.

„Stopp!“ schrie Kapitän Smollett. „Gray hat mir nichts gesagt und ich habe ihn nichts gefragt, und ich möchte am liebsten Euch und ihn und die ganze Insel glatt in die Luft sprengen! So, das ist meine Meinung über Euch.“

Dieser kleine Zornesausbruch schien Silver abzukühlen, er war schon gereizt gewesen, aber nun riß er sich wieder zusammen.

„Sehr begreiflich,“ sagte er, „ich möchte da nichts drein reden. Aber da ich sehe, daß Sie sich eine Pfeife anzünden, Kapitän, möchte ich so frei sein das auch zu tun.“

Und er stopfte sich eine Pfeife und zündete sie an. Die beiden Männer saßen eine gute Weile still rauchend da, dann schauten sie einander ins Gesicht, dann stopften sie Tabak nach und manchmal beugten sie sich vor um auszuspucken. Es war ein Theater, ihnen zuzuschauen. „Nun,“ bemerkte Silver abschließend, „also folgendes: Ihr gebt uns die Karte, damit wir zu dem Schatz kommen, und Ihr hört auf arme Matrosen niederzuschießen und ihnen im Schlaf die Köpfe einzuschlagen. Dafür bieten wir Euch zwei Vorschläge zur Wahl: Entweder Ihr kommt, wenn der Schatz eingeschifft ist, mit uns an Bord und dann werde ich Euch, das versichere ich eidlich und auf mein Ehrenwort, irgendwo sicher an Land setzen. Oder, wenn das nicht nach Eurem Geschmack ist, weil ein paar von meinen Leuten etwas unangenehm sind und mit Euch alte Händel auszutragen haben, dann könnt Ihr auch hier bleiben. Wir werden die Vorräte Mann für Mann mit Euch teilen und ich gebe mein Ehrenwort wie vorhin, das erste Schiff, das wir sichten, anzurufen und herzuschicken, damit sie Euch aufnehmen. Also Ihr werdet zugeben, das ist ein Vorschlag. Etwas Besseres könnt Ihr Euch ja gar nicht wünschen und ich hoffe“ – und er erhob seine Stimme – , „daß alle Leute hier im Blockhaus meine Vorschläge prüfen werden, denn was ich mit einem spreche, ist zu allen gesprochen.“

Kapitän Smollett erhob sich und klopfte seine Pfeife aus.

„Ist das alles?“ fragte er.

„Mein allerletztes Wort, zum Donner!“ antwortete John. „Wenn Ihr das ablehnt, so ist das das letzte, was Ihr von mir zu sehen kriegt, außer Gewehrkugeln.“

„Ausgezeichnet!“ sagte der Kapitän. „Und jetzt werde ich reden: Wenn ihr einer nach dem anderen unbewaffnet daherkommt, verpflichte ich mich euch alle in Eisen zu legen und euch vor ein ordentliches Gericht in England zu stellen. Wenn ihr nicht wollt, mein Name ist Alexander Smollett, ich habe die Fahne meines Königs gehißt und ich werde euch alle zum Galgen befördern. Ihr könnt den Schatz nicht finden. Ihr könnt das Schiff nicht segeln – nicht einer von euch taugt dazu. Ihr könnt uns nicht bekämpfen – Gray dort allein hat es mit fünf von euch aufgenommen. Euer Schiff liegt fest, Meister Silver. Ihr seid in keiner guten Haut. Davon werdet Ihr Euch überzeugen. Ich stehe hier und sage Euch das. Das sind die letzten guten Worte, die Ihr von mir zu hören kriegt, denn ich werde Euch, bei Gott, eine Kugel in den Rücken jagen bei unserer nächsten Begegnung. Marschier’, mein Junge. Packt Euch hier heraus, aber sehr rasch.“

 

Silver anzusehen war der Mühe wert. Die Augen traten ihm vor Wut aus den Höhlen. Er klopfte seine Pfeife aus. „Gebt mir die Hand zum Aufstehen“, rief er.

„Ich nicht“, erwiderte der Kapitän.

„Wer gibt mir die Hand zum Aufstehen?“ brüllte er.

Nicht einer von uns rührte sich. Die wüstesten Beschimpfungen ausstoßend kroch er auf dem Sand hin, bis er sich am Tor aufrichten und wieder auf seine Krücke stellen konnte. Dann spuckte er in den Brunnen.

„Da!“ schrie er, „das ist meine Meinung von Euch. Es wird keine Stunde dauern und Euer altes Blockhaus da werde ich anzünden wie eine Rumtonne. Lacht nur, zum Donner, lacht! Ehe eine Stunde vorbei ist, werdet Ihr im Jenseits lachen und die, die gleich sterben, können von Glück sagen!“

Und mit einem schrecklichen Fluch humpelte er fort, wälzte sich den Sand hinunter, kam nach vier oder fünf mißlungenen Versuchen mit Hilfe des Fahnenträgers glücklich über die Umzäunung und verschwand einen Augenblick später zwischen den Bäumen.

Einundzwanzigstes Kapitel

Der Angriff

Sobald Silver verschwunden war, wandte sich der Kapitän, der ihn genau beobachtet hatte, wieder in das Innere des Hauses und fand keinen einzigen von uns, außer Gray, auf seinem Posten. Das war das erstemal, daß wir ihn wütend sahen.

„Wachen!“ brüllte er, und als wir alle an unsere Plätze gestürzt waren, sagte er: „Gray, deinen Namen werde ich ins Logbuch eintragen. Du bist bei deiner Pflicht geblieben wie ein ordentlicher Seemann. Herr Trelawney, ich bin überrascht über Ihr Benehmen, Herr Doktor, ich glaubte, Ihr hättet des Königs Rock getragen! Wenn Ihr so bei Fontenoy gedient habt, Herr, so wäret Ihr besser in Eurer Koje geblieben.“

Die Leute des Doktors standen alle wieder an ihren Schießscharten, die anderen luden fleißig die übrigen Gewehre und alle hatten einen roten Kopf und ließen die Nase hängen.

Der Kapitän sah eine Weile schweigend zu, dann erst sprach er.

„Leute,“ sagte er, „ich habe Silver absichtlich ordentlich eingeheizt und noch ehe eine Stunde um ist, wird, wie er es verkündigte, die Sache losgehen. Sie sind in der Überzahl, das brauche ich euch nicht erst zu sagen. Aber wir kämpfen in Deckung und noch vor einer Minute hätte ich gesagt wir kämpfen diszipliniert. Ich zweifle nicht daran, daß wir sie hauen können, wenn ihr wollt.“

Dann machte er die Runde und schaute nach, wie er sich ausdrückte, ob alles klar zum Gefecht sei. An den beiden Schmalseiten des Hauses gegen Osten und Westen waren bloß zwei Schießscharten, im Süden beim Tor wieder zwei und nach Norden fünf. Wir sieben verfügten über rund zwanzig Gewehre. Das Brennholz lag in vier tafelförmigen Stößen aufgeschichtet, von denen je einer in der Mitte jeder Seite stand und auf denen Munition und vier geladene Gewehre, den Verteidigern zur Hand, vorbereitet waren. Auch die Entermesser lagen geordnet auf den Tischen.

„Löscht das Feuer“, befahl der Kapitän, „es ist nicht mehr kalt und wir brauchen keinen Rauch in den Augen.“

Herr Trelawney trug den eisernen Korb, der uns als Herd diente, eigenhändig hinaus und erstickte die Funken im Sande.

„Hawkins hat noch nicht gefrühstückt. Hawkins, bediene dich und nimm das Essen auf deinen Posten“, fuhr Kapitän Smollett fort. „Schnell, mein Junge, wir werden unsere Kräfte brauchen. Hunter! Serviert für jeden ein Glas Branntwein.“ Während das geschah machte der Kapitän im stillen seinen Verteidigungsplan fertig.

„Doktor, Ihr nehmt die Tür“, befahl er. „Trachtet Euch nicht zu exponieren, bleibt drinnen und feuert durch die Tür. Hunter nimmt dort die Ostseite. Joyce, Ihr steht nach Westen, mein Junge. Herr Trelawney, Ihr seid der beste Schütze, Ihr und Gray nehmt die lange Nordfront mit den fünf Schießscharten, dort ist es am gefährlichsten. Wenn sie von dort kämen und durch unsere eigenen Tore hereinfeuern könnten, dann würde die Sache brenzlig ausschauen. Hawkins, weder du noch ich zählen als Schützen mit. Wir wollen dabeistehen und laden und zugreifen, wo’s nottut.“

Der Kapitän hatte recht, die Kälte war vergangen. Sowie die Sonne sich über den uns umgebenden Baumgürtel erhob, strahlte sie mit voller Kraft auf die Lichtung und vertrieb die Dünste sofort. Bald kochte der Sand und das Harz in den Balken des Blockhauses fing zu sieden an. Jacken und Röcke flogen zur Seite, die Hemdkragen wurden zurückgeschlagen, die Ärmel bis zur Schulter aufgestreift und wir standen jeder auf seinem Posten in einem Fieber von Hitze und Unruhe.

Eine Stunde verging.

„Zum Henker mit ihnen,“ rief der Kapitän, „es fängt an so langweilig zu werden wie eine Windstille. Gray, pfeif um Wind.“

Gerade in diesem Augenblick zeigten sich die ersten Anzeichen des Angriffes.

„Bitte, Herr,“ fragte Joyce, „darf ich feuern, wenn ich einen sehe?“

„Ich hab’s Euch doch gesagt“, rief der Kapitän.

„Danke schön“, erwiderte Joyce, immer mit derselben ruhigen Höflichkeit.

Eine Zeitlang war alles still, doch die Bemerkung hatte unser aller Wachsamkeit geweckt und wir spitzten Augen und Ohren – die Musketiere legten die Hand ans Gewehr, der Kapitän stand mit festgeschlossenem Mund und gerunzelter Stirne in der Mitte des Blockhauses.

So vergingen ein paar Sekunden. Plötzlich riß Joyce seine Flinte in die Höhe und feuerte einen Schuß ab. Kaum war der Knall verklungen, da wurde er schon von außerhalb der Umzäunung her durch eine zerstreute Salve erwidert. Ein Schuß nach dem anderen fiel, hintereinander kamen sie wie ein Rudel Wildgänse. Mehrere Kugeln streiften das Blockhaus, doch keine drang in das Innere. Als der Rauch sich verzogen hatte, schaute die Umzäunung und der Wald ringsum so friedlich drein wie vorher. Nicht ein Blättchen regte sich, nicht einmal das Glitzern eines Gewehrlaufes verriet die Anwesenheit unserer Feinde.

„Habt Ihr Euern Mann getroffen?“ fragte der Kapitän. „Nein, Herr,“ erwiderte Joyce, „ich glaube nicht.“

„Das nächstbeste ist immer die Wahrheit zu sagen,“ murmelte der Kapitän, „lade sein Gewehr, Hawkins. Wieviele waren auf Eurer Seite, Doktor?“

„Ich weiß es genau,“ sagte Dr. Livesay, „auf dieser Seite wurden drei Schüsse abgefeuert. Ich habe drei Blitze gesehen, zwei nahe beisammen, einen weiter westlich.“

„Drei!“ wiederholte der Kapitän. „Und wieviel bei Euch, Herr Trelawney?“

Doch das war nicht so leicht zu beantworten. Von Norden waren viele gekommen – sieben nach der Berechnung des Gutsherrn, acht oder neun nach Grays Schätzung. Aus Osten und Westen war nur ein einziger Schuß abgefeuert worden. Es war daher klar, daß sich der Angriff aus Norden entwickeln würde und daß man von den drei anderen Richtungen aus nur durch Scheinangriffe in Atem erhalten werden sollte. Dennoch änderte Kapitän Smollett nichts an seinen Anordnungen. Er nahm als sicher an, daß, wenn die Meuterer in den Besitz irgendeiner unbeschützten Schießscharte kämen, sie uns wie die Ratten in unserer eigenen Festung niedermachen würden.

Es blieb uns auch nicht mehr viel Zeit zum Nachdenken über eine neue Taktik. Plötzlich sprang mit lautem Kampfgeschrei eine kleine Schar von Seeräubern aus dem Wald an die nördliche Front und rannte geradewegs auf die Umzäunung los. Gleichzeitig wurde das Feuer aus dem Wald wieder eröffnet und eine Büchsenkugel pfiff durch das Tor und zerschmetterte das Gewehr des Doktors.

Die Meuterer wimmelten wie die Affen über den Zaun. Der Squire und Gray feuerten immer wieder. Drei Mann fielen, einer innerhalb des eingezäunten Raumes, die beiden anderen draußen. Doch von denen war einer offenbar mehr erschreckt als verletzt worden, denn er sprang mit einem Satz wieder auf die Füße und verschwand im Dickicht.

Zwei hatten in den Sand gebissen, einer war geflohen, doch vier hatten innerhalb unserer Verteidigungslinie festen Fuß gefaßt und indessen hielten unter dem Schutz des Waldes sieben oder acht Leute, von denen jeder sichtlich mit mehreren Gewehren versehen war, ein hitziges, obwohl nutzloses Feuer auf das Blockhaus aufrecht.

Die vier, die herübergekommen waren, rannten unter lauten Rufen direkt auf das Gebäude zu und die Leute draußen von den Bäumen her ermutigten sie mit Zurufen. Mehrere Schüsse aus dem Blockhause wurden abgefeuert, doch zielten die Schützen so hastig, daß kein einziger traf. In einem Augenblick hatten die Seeräuber den Erdwall erstürmt und waren über uns.

Der Kopf Job Andersons, des Bootsführers, tauchte an der mittleren Schießscharte auf.

„Drauf und dran, alle miteinander!“ brüllte er mit Donnerstimme.

Im selben Augenblick packte ein zweiter Seeräuber Hunters Gewehr bei der Mündung, entriß es ihm, schob es durch die Schießscharte und schlug mit einem betäubenden Kolbenschlag den armen Kerl nieder, daß er bewußtlos zu Boden fiel. Inzwischen war ein dritter unangefochten rund um das Haus gelaufen, erschien plötzlich im Tor und griff mit seinem Entermesser den Doktor an.

Unsere Lage hatte sich vollkommen gewendet. Vor einem Augenblick noch hatten wir geschützt aus einen bloßgestellten Feind gefeuert; nun waren wir ungedeckt und konnten keinen Schlag zurückgeben.

Das Blockhaus stand voll Rauch, dem allein wir unsere verhältnismäßige Sicherheit verdankten. Schreie und Verwirrung, Blitz und Knall von Pistolenschüssen und ein lautes Stöhnen klang in meinen Ohren.

„Heraus Jungen, heraus! und kämpft draußen im Freien! Entermesser!“ schrie der Kapitän.

Ich ergriff ein Entermesser aus dem Haufen und irgendein anderer, der gleichzeitig ein zweites packte, schnitt mich in die Knöchel, was ich kaum fühlte. Ich schoß aus dem Tor hinaus in das helle Sonnenlicht. Jemand war knapp hinter mir, ich weiß nicht wer. Gerade vor mir verfolgte der Doktor seinen Angreifer und gerade als ich hinschaute schlug er auf ihn los, daß dieser hinfiel, mit einem großen Schlitz quer über das Gesicht, und langausgestreckt auf dem Rücken liegen blieb.

„Rund um das Haus, Jungens, rund ums Haus!“ schrie der Kapitän, aber selbst in diesem Getümmel und Durcheinander bemerkte ich eine Veränderung in seiner Stimme.

Mechanisch gehorchte ich, wandte mich nach Osten und lief mit erhobenem Entermesser um die Ecke des Hauses. Im nächsten Augenblick stand ich Job Anderson gegenüber. Er brüllte laut und hob seinen Hirschfänger hoch über den Kopf, daß er im Sonnenlicht glänzte. Ich hatte keine Zeit mich zu fürchten, denn als er zum Hiebe ausholte, sprang ich mit einem Satz zur Seite und rollte, da mein Fuß im weichen Sand abrutschte, kopfüber den Abhang herunter.

Schon als ich aus der Tür gestürzt war, wimmelten die übrigen Meuterer bereits die Palisade hinauf, um uns zu erledigen. Ein Mann in einer roten Nachtmütze war sogar schon auf die Spitze hinaufgekommen und mit einem Fuß drüben. Nun, so schnell war ich hinuntergesaust, daß, als ich wieder auf den Füßen stand, sich alles noch in derselben Bewegung befand, der Kerl mit der roten Nachtmütze immer noch halb drüben und der Kopf eines zweiten gerade über der Spitze der Umzäunung. Und doch hatte sich in dieser winzigen Spanne Zeit der Kampf entschieden und der Sieg war unser.

Gray, der mir auf dem Fuße gefolgt war, schlug den dicken Bootsführer nieder ehe er Zeit hatte zu einem neuen Schlage auszuholen. Ein zweiter wurde gerade als er ins Haus feuern wollte von einer Schießscharte aus niedergeschossen und lag nun im Todeskampfe, die noch rauchende Pistole in der Hand. Einen dritten hatte der Doktor mit einem Schlage erledigt, das hatte ich selbst gesehen. Von den vieren, welche die Palisaden erklettert hatten, war nur einer unverwundet, und der hatte sein Entermesser im Kampf verloren und trachtete in Todesangst rasch zu entkommen.

„Feuert – feuert aus dem Hause!“ schrie der Doktor. „Und ihr Jungen, zurück in Deckung.“ Doch seine Worte wurden nicht beachtet, kein Schuß fiel und der letzte Eindringling entfloh und verschwand mit den übrigen im Walde.

In drei Sekunden blieb von den Angreifern nichts zurück, als die fünf Gefallenen, vier innerhalb und einer außerhalb der Palisaden. Der Doktor, Gray und ich liefen hastig in die Deckung. Die Überlebenden würden rasch wieder bei ihren Gewehren sein und das Feuer konnte jeden Augenblick wieder einsetzen. Der Rauch war inzwischen etwas abgezogen und wir sahen mit einem Blick, welchen Preis uns der Sieg gekostet hatte. Hunter lag bewußtlos neben einer Schießscharte, Joyce neben der seinigen mit einem Schuß durch den Kopf, auf immer verstummt. Und gerade in der Mitte stützte der Squire den Kapitän und einer war so blaß wie der andere.

 

„Der Kapitän ist verwundet“, sagte Herr Trelawney.

„Sind sie davongerannt?“ fragte Herr Smollett.

„Die, die konnten, schon,“ erwiderte der Doktor, „aber fünf davon werden nie mehr rennen.“

„Fünf!“ rief der Kapitän, „na, das ist sehr gut. Fünf gegen drei, da bleiben wir jetzt vier zu neun. Das ist ein besseres Verhältnis als zu Anfang. Da waren wir sieben zu neunzehn, oder glaubten es wenigstens zu sein, und das ist gerade so schlimm.“

Die Meuterer waren bald nur mehr acht an der Zahl, denn der Matrose, den der Schuß Trelawneys an Bord des Schooners getroffen hatte, starb an diesem selben Abend an seiner Wunde, was natürlich den Gegnern erst später bekannt wurde.