Alles andere Geräusch war in dieser kautschukgepflasterten Stadt unterdrückt; die Zirkulationswege für Fußgänger waren hundert Yards entfernt, und der Untergrundverkehr lag zu tief, um sich anders als durch ein schwaches Vibrieren fühlbar zu machen. Diese Vibration zu beseitigen und den Lärm der gewöhnlichen Fahrzeuge abzuschwächen, das war während der letzten zwanzig Jahre das Streben der staatlichen Sachverständigen gewesen.
Und ehe er weiterging, vernahm er wieder über sich einen lang gezogenen, auffallend wohlklingenden und durchdringenden Laut, und als er sein Auge von dem Schimmer des ruhig dahinfließenden Stromes, der allein allen Wandlungen standgehalten hatte, erhob, sah er hoch über sich in den schweren, lichten Wolken einen langen, schlanken Gegenstand von sanftem Licht umgeben gen Norden schweben und auf ausgespannten Schwingen entschwinden. Dieser wohltönende Klang ging von einem der Luftschiffe der europäischen Linie aus, das seine Ankunft in der Hauptstadt Großbritanniens anzeigte.
»Bis unser Heiland wiederkehrt«, dachte er bei sich selbst, und das Elend überkam einen Moment sein Herz. Wie schwer war es doch, den Blick auf jenen fernen Horizont gerichtet zu halten, während diese Welt vor ihm lag, so bestrickend in ihrem Glanze und ihrer Kraft. O, noch vor einer Stunde hatte er sich mit Father Francis darüber unterhalten, dass ein Unterschied bestehe zwischen äußerer und innerer Größe, und dass ein imponierendes Äußeres nicht ein unbedeutendes Inneres ausschließe; und er war so fest überzeugt von diesem seinem Standpunkte, — und dennoch blieb ein Zweifel, bis er ihn endlich selbst zum Schweigen zwang, indem er in seinem Herzen zu dem armen Manne von Nazareth emporflehte, er möge sein Herz dem Herzen eines Kindes gleich bewahren.
Seine Züge nahmen den Ausdruck der Entschlossenheit an. Wie lange wohl Father Francis seinen Standpunkt würde aufrechterhalten können, dachte er bei sich und stieg die Treppe hinab. —
1 Stadtteil in der Innenstadt Londons <<<
2 Die englischen Katholiken legen den Weltgeistlichen den Titel: Father (Vater) bei. <<<
3 antimilitaristische Bewegung, benannt nach ihrem Begründer Gustave Hervé <<<
4 konservative Partei des britischen Parlaments <<<
5 Verzicht auf göttliche Attribute bei der Menschwerdung Jesus Christus <<<
6 Meerenge zwischen der östlichsten Stelle Asiens und dem westlichsten Punkt des amerikanischen Festlands <<<
7 Griechisch ›sein‹ und ›nicht‹ <<<
Oliver Brand, der neue Abgeordnete für Croydon, saß in seinem Studierzimmer und sah über seine Schreibmaschine hinweg aus dem Fenster. Sein Haus, gegen Norden gerichtet, war am äußersten Ende eines Ausläufers der Surreyhügel, die jetzt infolge der Tunnels und Durchbrüche kaum mehr zu erkennen waren; nur einen Kommunisten konnte die jetzige Aussicht noch begeistern. Unmittelbar unterhalb der breiten Fenster fiel das umgrenzte Gelände auf etwa hundert Fuß hin und in eine Mauer ausgehend steil ab, während jenseits derselben, soweit das Auge reichte, die Welt — der Mensch und seine Werke — Triumphe feierte. Zwei breite Schienenwege, einer Rennbahn gleichend, jeder mindestens eine Viertelmeile breit und zwanzig Fuß tiefer als das umliegende Gelände gelegt, liefen nach einem, eine Meile weiter entfernten Vereinigungspunkt, wo sie sich kreuzten. Der eine derselben, der linke, war die Hauptlinie nach Brighton, im Kursbuch mit großen Buchstaben bezeichnet, der rechte die Nebenlinie nach Tunbridge und Hastings. Jede dieser beiden Linien war in ihrer Mitte durch eine Zementmauer geteilt, auf deren einer Seite auf Stahlschienen die elektrische Trambahn hinführte; die andere Seite bildete den in drei Teile geteilten Automobilfahrweg. In dem Ersten fuhren, mit einer Schnelligkeit von hundertfünfzig englischen Meilen in der Stunde, die staatlichen Wagen, im zweiten Privatautomobil, denen nicht mehr als sechzig Meilen in der Stunde gestattet waren, im Dritten war der billige Staatswagenverkehr, mit dreißig Meilen, untergebracht, mit Stationen nach je fünf Meilen. Daran schloss sich der für Fußgänger, Radfahrer und gewöhnliche Fuhrwerke bestimmte Weg, auf welchem kein Fahrzeug die Schnelligkeit von zwölf Meilen in der Stunde überschreiten durfte. Jenseits dieser großen Stränge dehnte sich ein unabsehbares Meer von Dächern hin, aus dem hier und da niedere Türme als Kennzeichen der öffentlichen Gebäude hervortraten, und von Caterham zur Linken bis zu dem geradeaus liegenden Croydon erschien alles rein und klar in der rauchfreien Luft; fern gegen Westen und Norden hoben sich die niederen Vorstadthügel vom Aprilhimmel ab.
In Anbetracht der zahlreichen Bevölkerung hörte man erstaunlich wenig Geräusch; abgesehen von dem Kreischen der Stahlschienen bei dem jedesmaligen Vorbeisausen eines Zuges nach dem Norden oder Süden und dem zeitweiligen angenehmen Laut der dem Kreuzungspunkte zueilenden großen Motoren, konnte man in diesem Arbeitszimmer wenig mehr wahrnehmen, als vielleicht ein sanftes, leises, dem Bienensummen in einem Garten gleichendes Murmeln.
Oliver war ein Freund jeglicher Art menschlicher Tätigkeit, von allem, was danach aussah oder klang, und so horchte er jetzt aufmerksam und lächelte, in die klare Luft hinausstarrend, vor sich hin. Dann kehrte die gewöhnliche Entschlossenheit in seine Züge zurück, seine Finger berührten von Neuem die Tasten und fuhren in der Vorbereitung der Rede fort.
Er hatte es mit der Lage seines Hauses sehr günstig getroffen. Es stand in dem Mittelpunkt eines jener kolossalen Spinngewebe, die das Land bedeckten, und hätte seinen Zwecken nicht besser entsprechen können. Es befand sich nahe genug bei London, um außerordentlich billig zu sein, — denn alle wohlhabenden Leute hatten sich wenigstens hundert Meilen weit von dem geräuschvoll pulsierenden Herzen Englands niedergelassen — und doch hätte er es sich nicht ruhiger wünschen können. Nach der einen Seite hin war er zehn Minuten von Westminster, nach der anderen zwanzig Minuten von der See entfernt, und sein Wahlkreis lag wie eine Reliefkarte vor ihm ausgebreitet. Da außerdem die großen Londoner Endstationen nur zehn Minuten weit weg lagen, hatte er die Hauptlinien nach jeder größeren Stadt Englands bequem zur Hand. Für einen nicht gerade sehr bemittelten Politiker, der heute in Edinburgh und morgen in Marseille sprechen sollte, wohnte wohl kaum ein Mann in Europa so günstig wie er.
Er war von angenehmem Äußeren, ein beginnender Dreißiger, mit schwarzem, straffem Haar, glattrasiert, mager, männlich, sympathisch, hatte blaue Augen und weißen Teint. Heute nun schien er mit sich selbst und der Welt ganz besonders zufrieden zu sein. Seine Lippen bewegten sich ab und zu während der Arbeit, seine Augen wurden bald größer, bald kleiner vor Erregung, und mehr als einmal hielt er inne, starrte hinaus, lächelte und errötete.
Eine Türe öffnete sich; ein Mann mittleren Alters trat etwas ängstlich mit einem Stoß Papiere herein, legte diese, ohne ein Wort zu sagen, auf den Tisch und wandte sich wieder der Türe zu. Oliver machte ihm mit der Hand ein Zeichen, nachdem er noch die letzte Taste gedrückt hatte.
»Nun, Mr. Phillips?«, begann er.
»Es sind Nachrichten aus dem Osten eingegangen, Sir«, erwiderte der Sekretär.
Oliver warf einen Blick nach der Seite und legte seine Hand auf die Papiere.
»Irgendwelche vollständige Nachricht?«, fragte er.
»Nein, es gab wieder eine Unterbrechung; Mr. Felsenburghs Name wird genannt.«
Oliver schien es nicht gehört zu haben; er nahm die dünnen, bedruckten Blätter plötzlich auf und fing an, sie durchzusehen.
»Der Vierte von oben, Mr. Brand«, sagte der Sekretär.
Oliver machte eine ungeduldige Bewegung, und wie auf ein gegebenes Zeichen verließ der andere das Zimmer.
Der vierte Bogen von oben, grün mit rotem Druck, schien Olivers volle Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, denn zwei- oder dreimal las er ihn durch, während er regungslos in seinem Stuhl zurücklehnte. Dann seufzte er und ließ seinen Blick wieder durchs Fenster schweifen, als sich abermals die Türe öffnete, und eine junge Dame von stattlicher Erscheinung eintrat.
»Nun, mein Lieber?«, begann sie.
Oliver schüttelte den Kopf und biss die Lippen zusammen.
»Nichts Bestimmtes«, sagte er, »sogar weniger als sonst. Höre.«
Den grünen Bogen zur Hand nehmend, fing er an, laut zu lesen, während die junge Dame zu seiner Linken in einem Stuhl am Fenster Platz nahm. Sie war ein Geschöpf von ausnehmender Anmut, groß und schlank, mit ernsten, seelenvollen, grauen Augen, wohlgeformten Lippen und einer würdevollen Haltung in Kopf und Schultern. Sie hatte langsam das Zimmer durchschritten, als Oliver das Papier zur Hand nahm, und lehnte sich nun in ihrem braunen Kleide zurück, ein Bild vollendeter Vornehmheit und Grazie. Sie schien mit einem wohlüberlegten Ausdruck der Geduld zuzuhören, aber aus ihren Augen sprach ein reges Interesse.
»Irkutsk, — 14. April. — Gestern — wie — gewöhnlich — aber — mutmaßlicher — Abfall — von Sufi — Partei. — Truppen — weiter — zusammenziehen. — Felsenburgh — Ansprache — Buddhisten — Menge. — Vorigen Freitag — Anschlag — auf — Llama — durch — Anarchisten. — Felsenburgh — abgereist — nach — Moskau — wie — verabredet, — er — so, das ist alles«, schloss Oliver ärgerlich. »Wie gewöhnlich, eine Unterbrechung.«
»Ich verstehe nicht das mindeste«, sagte sie, »wer ist eigentlich Felsenburgh?«
»Mein liebes Kind, das fragt man sich allgemein. Man weiß nur, dass er im letzten Moment der amerikanischen Abordnung beigegeben wurde. Der ›Herald‹ brachte vorige Woche seine Lebensbeschreibung, die aber als nicht den Tatsachen entsprechend bezeichnet wurde. So viel ist gewiss, dass er noch sehr jung und bisher nie hervorgetreten ist.«
»Nun, jetzt ist er hervorgetreten.«
»Gewiss, es scheint, als wäre er der Macher der ganzen Sache. Von den anderen hört man nie ein Wort. Es ist ein Glück, dass er auf der richtigen Seite steht.«
»Und was ist deine Meinung?«
Oliver blickte wieder nachdenklich durch das Fenster. »Ich glaube, es ist ein Versteckspiel«, sagte er. »Das einzige Eigentümliche an der Sache ist nur, dass kaum jemand sie sich wirklich vorzustellen scheint. Sie übersteigt allem Vermuten nach jede Einbildungskraft. Daran ist nicht zu zweifeln, dass der Osten während der letzten fünf Jahre sich zu einem Einfall in Europa gerüstet hat. Nur durch Amerika wurde er davon zurückgehalten; es ist ein letzter Versuch, ihn wenigstens zu hemmen. Warum aber Felsenburgh sich vordrängt —« brach er ab. »Jedenfalls muss er ein guter Linguist sein. Dies ist wenigstens das fünfte Mal, dass er zu einer Menge spricht. Vielleicht ist er nur der amerikanische Dolmetscher. Gott! Ich möchte wissen, wer er ist.«
»Hat er noch einen anderen Namen?«
»Julian, glaube ich, eine Depesche sagte es.«
»Wie gelangte diese her?«
Oliver schüttelte den Kopf.
»Privatunternehmen«, sagte er. »Die europäischen Agenturen haben die Arbeit eingestellt. Jedes Telegrafenamt wird Tag und Nacht bewacht. Scharen von Flugschiffen kreuzen an jeder Grenze. Das Reich hat offenbar die Absicht, die Angelegenheit ohne uns zu ordnen.«
»Und wenn es schlimm geht?«
»Meine liebe Mabel, — wenn die Hölle losbricht —« er machte eine abwehrende Bewegung.
»Und was tut die Regierung?«
»Man arbeitet Tag und Nacht; ebenso das übrige Europa; es wäre fürchterlich, wenn es zum Kriege käme.«
»Und stehst du keinen Ausweg?«
»Ich sehe zwei Wege«, antwortete Oliver langsam. »Entweder sie fürchten sich vor Amerika und überlegen es sich, das Feuer zu schüren, oder Sie werden durch die Nächstenliebe dazu gebracht, ihre Hand zurückzuhalten; wenn man sie nur dazu bringen könnte, zu begreifen, dass im Zusammenarbeiten die einzige Hoffnung für die Welt liegt. Aber ihre verdammten Religionen —«
Die junge Frau seufzte und sah hinaus über das weite Dächermeer zu ihren Füßen.
Die Lage war in der Tat so ernst, als sie nur sein konnte. Jenes gewaltige Reich, bestehend aus einem Staatenbund unter der Leitung des Sohnes des Himmels — es war durch Verschmelzung der japanischen mit der chinesischen Dynastie und den Fall Russlands entstanden —, hatte seine Kräfte gefestigt und war sich seiner eigenen Macht während der letzten fünfunddreißig Jahre bewusst geworden, seitdem in der Tat es seine dürre gelbe Hand auf Australien und Indien gelegt hatte. Während die übrige Welt die Unvernunft des Kriegführens kennen gelernt, hatte jene, nachdem die russische Republik dem vereinten Angriff der gelben Rasse unterlegen war, an sich gerissen, was ihr erreichbar war. Es schien jetzt, als ob die Zivilisation des abgelaufenen Jahrhunderts nochmals in das Chaos zurückgeschwemmt werden sollte, aus dem sie entstanden. Nicht, als ob man sich Sorge machte wegen der gelben Rasse. Es waren deren Herrscher, welche, nach einer nahezu ewig dauernden Lethargie begonnen hatten, sich zu regen, und es war schwer, einzusehen, wodurch diese nunmehr wieder hätten zur Ruhe gebracht werden können. Es lag außerdem etwas Grimmerregendes in dem Gerücht, dass religiöser Fanatismus die Triebfeder der Bewegung sei, und dass der so lange geduldige Osten sich endlich daran mache, durch die modernen Ausgleichsmittel von Feuer und Schwert diejenigen zu bekehren, die zum größten Teile jeden religiösen Glauben, außer den an die Menschheit, abgelegt hatten.
Für Oliver war die Sache einfach zum Verstandesverlieren. Wenn er aus seinem Fenster herniederblickte und, soweit der Horizont reichte, dieses London so friedlich vor sich liegen sah, wenn seine Gedanken über Europa hinflogen und überall dem vollkommenen Triumph des Menschenverstandes und seiner Werke über die ungenießbaren Ammenmärchen des Christentums begegneten, da schien es ihm unerträglich, dass es auch nur eine Möglichkeit geben sollte, all das wieder zurückzuwerfen in das unmoderne, ja barbarische Gestreite der Sekten und Dogmen, denn nichts anderes als dieses würde die Folge sein, wenn der Osten seine Hand auch noch auf Europa legte. Ja, selbst der Katholizismus würde wieder aufleben, sagte er sich, dieser eigentümliche Glaube, der stets neu aufgeflammt war, so oft die Verfolgung zum vernichtenden Schlage gegen ihn ausgeholt hatte; und nach Olivers Dafürhalten war von allen Glaubensformen der Katholizismus die groteskeste und erniedrigendste. Diese Aussicht beunruhigte ihn in seinem Innersten weit mehr als der Gedanke an die physische Katastrophe und das Blutvergießen, das über Europa hereinbrechen musste mit dem Heraufziehen des Ostens. Es gab nur eine Hoffnung, von religiöser Seite her, wie er Mabel dutzendmal auseinandergesetzt hatte, und sie bestand darin, dass es dem quietistischen Pantheismus, der im Verlaufe des letzten Jahrhunderts im Osten wie im Westen, unter Mohammedanern, Buddhisten, Hindus, unter den Anhängern des Konfuzius und anderer Religionen solche Riesenfortschritte gemacht hatte, gelingen würde, den religiösen Wahnsinn, von dem diese exoterischen Brüder des Ostens befallen waren, zu besiegen. Pantheismus war nach Olivers Begriffen das, was er selbst war; ihm war »Gott« die Summe des in steter Weiterentwicklung begriffenen, geschaffenen Lebens, und unpersönliche Einheit war das Wesen des Seins dieses »Gottes«. Ehrgeiz war ihm die große Häresie, welche die Menschen im Gegensatz zueinander brachte und den Fortschritt hinderte, denn nach seiner Meinung lag der Fortschritt in dem vollkommenen Aufgehen des Einzelnen in der Familie, der Familie im Gemeinwesen, im Staate, des Staates im Kontinent, und des Kontinents in der Welt. Die Welt endlich war selbst und zu jeder Zeit nicht mehr als der Ausdruck unpersönlichen Lebens. Es war in der Tat der katholische Gedanke unter Beiseitelassung des übernatürlichen, eine Zusammenfassung irdischer Schicksale, ein Aufgeben des Individualismus auf der einen Seite und des übernatürlichen auf der ändern. Es war ein Verrat, ein Appell von dem immanenten an den transzendenten Gott. Es gab keinen transzendenten Gott, Gott war, soweit er erkannt werden konnte — der Mensch.
Und doch waren diese beiden Ehegatten in gewissem Sinne — sie hatten den nunmehr vom Staate ausdrücklich als lösbar anerkannten Vertrag eingegangen — sehr weit entfernt von der dumpfen Trägheit, die man bei reinen Materialisten zu finden pflegt. Für sie pulsierte in der Welt ein einziges heißes, glühendes Leben, das, je nachdem, zu Blumen und Tieren und Menschen erblüht, ein Strom herrlicher Lebenskraft, der, einer tiefen Quelle entspringend, alles bewässert, was Bewegung und Gefühl in sich trägt. Diese Weltanschauung war umso bestechender, fand umso mehr Anklang, als sie den Sinnen derer verständlich war, die aus ihr geboren waren. Wohl hatte auch sie Geheimnisse aufzuweisen, aber es waren Geheimnisse, die eher anlockten als abschreckten, denn aus ihnen förderte jede neue Entdeckung, die der Mensch machen konnte, stets neue Herrlichkeiten zutage. Selbst unbeseelte, leblose Objekte, wie die Fossilien, der elektrische Strom, die fernen Sterne, all dies wurde vom Weltgeiste als Staub einfach beiseite geworfen, alles, was für Gottes Allgegenwart zeugte und seine Natur verkündete. Wie gründlich hatte z. B. nur die von dem Astronomen Klein vor zwanzig Jahren gemachte Ankündigung, dass das Bewohntsein gewisser Planeten eine feststehende Tatsache geworden sei, die Meinung der Menschheit von sich selbst geändert! Aber die einzige Bedingung des Fortschrittes und des Wiederaufbaues von Jerusalem war für den Planeten, den der Zufall zur Wohnstätte der Menschheit bestimmt hatte, nicht das Schwert, das Christus gebracht oder das Mohammed schwang, sondern der Friede, der ein Produkt der Vernunft, deren Grenzen er nicht überstieg, der Friede, der aus dem Bewusstsein hervorging, dass der Mensch alles sei und nur durch gegenseitiges Vertragen und Entgegenkommen imstande sei, sich weiter zu entwickeln. Für Oliver und sein Weib erschien das abgelaufene Jahrhundert wie eine Offenbarung; immer mehr waren die alten, abergläubischen Vorstellungen abgebröckelt, immer weiter war das neue Licht gedrungen; der Geist der Welt war aufgegangen, die Sonne war im Westen versunken und nun — mit Schrecken und Abscheu mussten sie von Neuem die Wolken sich zusammenziehen sehen, dort, von wo aller Aberglaube ausgegangen war.
Mabel stand plötzlich auf und kam zu ihrem Manne herüber.
»Mein Lieber«, sagte sie, »du musst nicht verzagt sein; es wird auch das vorübergehen, wie alles andere vorübergegangen ist. Es ist schon sehr viel gewonnen, dass sie auf Amerika überhaupt hören, und dieser Mr. Felsenburgh scheint mir auf der richtigen Seite zu stehen.«
Oliver ergriff ihre Hand und küsste sie.
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