DÄMONENJÄGER (Southern Watch)

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Aus der Reihe: Southern Watch #1
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Diesmal war der Cowboy jedoch vorbereitet, und bevor Arch erneut schießen konnte, stieß der Mann mit dem Schwert zu. Er nutzte das Zögern des Papierfabrik-Dings und stieß die Klinge dahin, wo die Kehle der Schattenkreatur hätte sein müssen. Arch hatte beschlossen, das Ding »Viech« zu nennen, nachdem er gesehen hatte, wozu es in der Lage war. Ein Viech, ein Monster, wie ein Hunde-Bastard, der alles angriff, was auf ihn losging. Dabei hatte der Cowboy das Ding überhaupt nicht angegriffen, was aber auch egal war, denn das Viech war definitiv kein Mensch. Nicht mehr, wenn es überhaupt jemals einer gewesen war.

Eigentlich hätte von der Stelle, an der der Cowboy das Monster getroffen hatte, ein gurgelndes Geräusch kommen müssen, doch stattdessen war eher ein gleichmäßiges Tropfen, das immer schneller wurde, und ein Klopfen oder Knacken, als ob etwas gegen irgendetwas anderes schlagen würde, zu hören. Die Dunkelheit wirbelte um das Ding herum, als hätte sich ein schwarzes Loch geöffnet und wäre gerade dabei, das Viech zu verschlingen. Orangefarbene Fetzen, die wie der Umriss einer Flamme aussahen, waberten durch die Dunkelheit, die das Ding umgab, und überschwemmten es in Zeitlupe. Ranken der dunklen Flamme verzehrten es züngelnd Stück für Stück, bis sich als Letztes die Füße auflösten, sodass nichts mehr auf dem Platz darauf hindeutete, dass das Papierfabrik-Viech mit dem John-Deere-Basecap, das Arch einmal bei einem Picknick getroffen und mit dem er über College-Football gesprochen hatte, jemals existiert hatte.

»Nun«, sagte der Cowboy und ließ sein Schwert klappernd zu Boden fallen, »war das gerade eben genug Action, um die Eintönigkeit des Kleinstadtlebens aufzulockern?«

Arch starrte ihn ein paar Sekunden einfach nur an, dann senkte er die Waffe und legte sie mit nach unten gerichtetem Lauf an seinen Oberschenkel, wobei er die Hände des Cowboys im Blick behielt. »Dieses … Ding. Hat es Sie angegriffen?«

»Er war drauf und dran«, stimmte der Cowboy zu, »gerade, als ich mein Schwert gezogen hatte. Er konnte einfach nicht anders, verstehen Sie? Die Chu’ala haben ein so hohes Aggressionspotenzial, das da kein Tier auf der Erde mithalten kann. In dem Moment, als er herausgefunden hatte, dass ich wusste, was er war, ging das Spiel los, und nichts außer seinem letzten Atemzug konnte ihn aufhalten. Für die Chu’ala gibt es keine Auszeiten, sie sind kaltblütige Killer.«

Arch versuchte, nicht verständnislos vor sich hinzustarren, aber dann warf er einen weiteren Blick auf die Stelle, an der sich das Papierfabrik-Ding buchstäblich in Luft aufgelöst hatte. So etwas passierte doch nicht einfach so, oder?

»Sie haben ihn als Chu’ala bezeichnet.« Es klang wie Koala, aber mit einem Choo wie in Choo-Choo vorne dran. »Was ist das?«

Der Cowboy blickte ihn schwach lächelnd an, seine Hände lagen auf den Knien, als wäre er außer Atem. »Ehrlich gesagt glaube ich, dass Sie das wahrscheinlich gar nicht wissen wollen. Ich meine, was haben Sie denn da gerade gesehen? So etwas sorgt in der Regel für ein abruptes Karriereende, vor allem, wenn man einen Bericht darüber schreibt. Die stecken Sie doch ins nächste Irrenhaus.«

Daran hatte Arch noch gar nicht gedacht. »Was war das?«, fragte er trotzdem verbissen nach, so, als müsste er es unbedingt erfahren. Was tatsächlich der Fall war, ohne dass er allerdings sagen konnte, warum. Denn das war genau die Art von durchgeknalltem Scheiß, von dem Arch nie erwartet hätte, dass er damit in Berührung kommen könnte. Und das, obwohl ihm einer seiner Lehrer an der Polizei-Akademie, ein Cop aus Atlanta, Geschichten über Ereignisse erzählt hatte, die es in Calhoun County einfach nicht geben konnte. Und vor allem keine Ereignisse, die noch viel verrückter als die in den Geschichten seines Lehrers waren. Ein Mann, der sich in ein Teufels-Insekt verwandelte und dann im Schatten und in der Dunkelheit verschwand, so als wäre er vollständig von ihr verschlungen worden? Das war absolut unmöglich.

»Das sagte ich Ihnen doch bereits«, antwortete der Cowboy mit einem lässigen, nicht ganz aufrichtigen Grinsen, »es war ein Chu’ala.«

»Wie ein Chihuahua?« Arch setzte seinen Erzähl-mir-keine-Scheiße-Gesichtsausdruck auf. Den er übrigens nicht auf der Akademie gelernt hatte. »Wirkte auf mich nicht gerade wie ein kleines, kläffendes Hündchen. Eigentlich sah es nicht einmal menschlich aus.«

Der Cowboy nickte widerwillig mit dem Kopf. »Nun, immerhin haben Sie das schon verstanden. Die meisten Leute erkennen das nicht auf Anhieb. Und Sie haben recht, es war kein Mensch.« Er warf einen schnellen Blick nach links, dann nach rechts, als würde er irgendwie erwarten, dass ihn ein weiteres dieser Viecher anspringen könnte.

»Darf ich mein Schwert wieder aufheben?« Arch schüttelte den Kopf. »Nein?« Die Enttäuschung des Cowboys hielt sich in Grenzen. »Nun«, fuhr er mit einem erschöpften, langen Seufzer fort, »in dem Fall … es ist ein Dämon. Ein Chu’ala ist ein Dämon vom alten Schlag, und als ich ihm mein Schwert in den Hals gebohrt habe …«, er deutete auf die Klinge, die im Gras lag und im Licht der Laterne glänzte, »… hat der Riss seine Essenz freigesetzt und ihn direkt in die Hölle zurückgeschickt, aus der er gekommen ist.« Der Cowboy sagte das alles ganz sachlich und nüchtern, so als würde er einem den Weg zu Rogerson’s erklären, das ein Stück weiter den Highway runter lag. Er wartete eine Sekunde und beobachtete Arch dabei, wie es in dessen Kopf ratterte.

»Ein Dämon?« Archs rationaler Verstand stieß sich erst einmal, dann noch mal und schließlich ein drittes Mal am Problem. Er hatte keinen Verdächtigen, keine Leiche, keine Beweise für einen Überfall, kein Opfer – oder einen Angreifer, so wie es normalerweise der Fall war. Alles, was er hatte, war ein Cowboy mit einem Schwert, der kurz vor Mitternacht durch das Stadtzentrum von Midian geschlendert war und mit einem Mann gekämpft hatte, den Arch zu kennen glaubte. Ein Mann, der sich erst in etwas Unglaubliches verwandelt hatte, nur um sich dann schlagartig in Schatten aufzulösen und zu verschwinden, vielleicht zurück in die Hölle, falls er tatsächlich von dort hergekommen war.

»Ja«, stimmte der Cowboy zu. »Klingt ziemlich beschissen, oder? Wie ich schon sagte, Sie sollten vielleicht einfach von hier verschwinden und so tun, als hätten Sie nichts gesehen. Das würde Ihnen das Leben wahrscheinlich erleichtern.« Der Tonfall des Cowboys war eine Mischung aus »ist-mir-scheißegal« und einem leichten Anflug von Besorgnis. »Ich weiß zumindest, dass es meines erheblich erleichtern würde, wenn Sie das täten.«

Während er seine Glock wieder ins Holster zurücksteckte, dachte Arch einen Moment lang über den Vorschlag nach. Er spielte ihn in Gedanken durch und versuchte, sich vorzustellen, wie er dem Sheriff den Vorfall in einem Bericht erklären könnte – ihm deutlich machen könnte, dass der Kerl nicht abgehauen und auch nicht verschwunden war, indem er sich irgendwo versteckt hatte, sondern, indem er sich einfach in Luft aufgelöst hatte. Er versuchte, sich auszumalen, wie er Reeve erklärte, dass er außer Dienst gewesen war und etwas Erstaunliches, absolut Verblüffendes und Unmögliches gesehen hatte. Er stellte sich vor, dass er einen Bericht darüber schreiben müsste – was im Prinzip bedeutete, dass er entweder wieder ins Revier zurückmüsste oder gegen die Vorschriften verstoßen würde. Und beides würde … nicht besonders gut ankommen.

Arch schaute sich auf dem Marktplatz um. Nirgendwo war ein Licht angegangen und niemand hatte sich wegen des Lärms aufgeregt. Seine Schüsse waren zwar laut gewesen, doch das war nichts Ungewöhnliches in einer ländlichen Gegend wie Calhoun County. Von Zeit zu Zeit machten Leute auf einem der Felder hinter dem Platz Schießübungen, und im Juli kam das Knallen von Feuerwerkskörpern auch nicht gerade selten vor. Keine Autos, keine Lichter, nichts. Eine weitere ruhige Nacht in Midian. Keine Menschenseele in der Nähe. Er richtete seinen Blick auf das Schwert, und der Cowboy entfernte sich etwas davon. Arch ging ein paar Schritte darauf zu, dann bückte er sich und hob das Schwert auf, um die kunstvolle Gravur aus verschlungenen Runen näher zu betrachten, die die Klinge besonders filigran aussehen ließ. »Sie denken bestimmt, ich sollte Sie einfach so gehen lassen, oder?«

»Nun ja, klar«, antwortete der Cowboy. »Hoffen denn nicht alle, die Sie erwischen, dass Sie sie einfach gehen lassen?«

»Allerdings tischen mir auch nicht alle Geschichten über Dämonen und die Hölle als Alibi für ihre Taten auf. Und kaum einer von ihnen ist ein Fremder, der gerade mal eine Stunde in der Stadt ist, bevor er mit einem Schwert herumfuchtelt und einen armseligen Bastard aus der örtlichen Papierfabrik tötet, indem er ihn wie bei einem David-Copperfield-Auftritt verschwinden lässt.«

Der Cowboy neigte leicht den Kopf. »Ich verstehe, warum Sie das möglicherweise beunruhigt. Ich musste mich auch erst daran gewöhnen, nachdem ich diese Dinge zum ersten Mal gesehen hatte. Darf ich etwas vorschlagen, um den Prozess zu erleichtern …?«

Der Cowboy war bei seinem Vorschlag ungewöhnlich zurückhaltend und machte Arch damit ein wenig neugierig darauf, was nach Ansicht des Mannes die ganze Angelegenheit auch nur im Geringsten leichter machen sollte. Die Vorstellung von Dämonen und Menschen, die im Nirvana verschwanden, passte so ganz und gar nicht in Archs Welt. »Und was wäre das?«, fragte Arch.

»Wir beide sollten ein Bier trinken gehen.«

***

Der Polizist hatte ihm sein Schwert nicht zurückgegeben, aber Hendricks war deswegen nicht besonders besorgt, zumindest noch nicht. Er war hinten in den Streifenwagen eingestiegen, und der Polizist hatte das Schwert neben sich auf den Beifahrersitz gelegt, nachdem er ihn nach weiteren Waffen durchsucht hatte. Das hatte für ein wenig Anspannung gesorgt, aber Hendricks war dem Cop zuvorgekommen. »Ich habe einen Colt M1911 in meinem Gürtel«, hatte er gesagt. »Mein Ausweis ist in meiner Gesäßtasche, zusammen mit der Erlaubnis, den Colt zu tragen.«

 

Der Polizist hatte die Waffe aus Hendricks’ Gürtel genommen. Der Kerl war groß, kräftig gebaut und muskulös, ein Schwarzer, der irgendwann in seiner akademischen Karriere ein Football-Spieler gewesen sein musste, zumindest hätte Hendricks darauf gewettet, wenn er denn noch gewettet hätte. Der Mann hatte nicht nur den Körperbau dafür, sondern auch die Kraft. Er war fast 1,90 m groß, und selbst mit seiner Ausbildung als Marine hätte Hendricks sich nicht mit dem Kerl anlegen wollen. Auf keinen Fall. Bei Dämonen war das leichter, weil man sie einfach töten konnte. Gegen Menschen zu kämpfen, war scheiße.

Nachdem der Polizist Hendricks den Colt und das Schwert abgenommen und ihn gebeten hatte, seinen Mantel auszuziehen, war Hendricks hinten in das Polizeiauto eingestiegen, einem neuen Ford Explorer, in dem man angenehm mitfahren konnte. Er war versucht zu fragen, ob der Cop in eine Bar oder zum Gefängnis wollte, doch sie brausten, ohne zu wenden, direkt am Büro des Sheriffs vorbei. Allerdings bemerkte Hendricks, wie ihn der Polizist dabei im Rückspiegel beobachtete, als ob er erwartete, dass sein Passagier bei der Aussicht auf einen Knastaufenthalt zusammenbrechen würde oder etwas in der Art. Der wäre zwar nicht gerade das Highlight von Hendricks’ Nacht, so viel war klar, aber der Besuch einer Gefängniszelle schlug immer noch um Längen die Alternative, nämlich, sich mitten auf dem Marktplatz von einem wütenden Chu’ala zuerst die Gedärme herausreißen und sich anschließend auffressen zu lassen.

Außerdem durfte er wenigstens seinen Cowboyhut behalten. Und das war doch schon mal was.

Vor ihnen lag ein funkelndes Neonband, und Hendricks erkannte die gleiche Einkaufsmeile, die er gesehen hatte, als er von der Interstate in die Stadt gekommen war. Der Wal-Mart befand sich dort und ein paar andere Geschäfte, wie ein Outlet für Feuerwerksartikel und eine Bar mit einer roten Neonreklame, auf der grell leuchtend der Name Fast Freddie’s stand. Das hörte sich nach einem ziemlich abgeranzten Ort an, aber Hendricks war da nicht allzu pingelig. Schließlich war er sowohl hungrig als auch fast ausgedörrt, weil er, seit er Stunden zuvor bei einem Cracker Barrel außerhalb von Nashville von einem Trucker aufgegabelt worden war, weder etwas gegessen noch getrunken hatte und nicht einmal pinkeln gewesen war. Der letzte Punkt war noch vernachlässigbar; die ersten beiden nahmen aber rasch an Bedeutung zu. Er war mächtig durstig und hungrig genug, um einen Kojoten zu häuten und als Erstes den Hintern zu verspeisen.

Das Fast Freddie’ s war ein Laden, der beschissen aussah und mit seinen hölzernen Dachrinnen und der holzverkleideten Fassade wie ein Original-Roadhouse in Texas wirken sollte. Doch der Zahn der Zeit hatte bereits heftig an dem Schuppen genagt, und er war so verwittert, dass selbst die rote Leuchtreklame verblasst war. Hendricks war sich sicher, dass die Bude tagsüber absolut erbärmlich aussah, wahrscheinlich so, als ob der Laden, der eine grundlegende Renovierung nötig hatte, bereits von seinen Besitzern abgeschrieben worden war.

Midian selbst war eine Kleinstadt, aber möglicherweise auch nur ein verschlafenes Nest oder vielleicht sogar noch weniger, nämlich ein Kuhkaff. Auf alle Fälle war der Ort verdammt klein; eine sogenannte Mikropolis, Hendricks hatte schon mal gehört, dass man solche Kleinstädte so nannte. Der Ort sah nur deshalb größer aus, weil er den Rest von Calhoun County versorgte und die Menschen aus den ländlichen Gebieten des Countys mit seiner überraschend üppigen Palette an Einkaufsmöglichkeiten anzog.

Als sie auf dem Parkplatz anhielten, blickte der große Polizist über seine Schulter zurück und sah Hendricks an. »Ihre Waffen bleiben im Auto. Ich höre mir Ihre Geschichte bei einem Bier an. Wenn mir das, was ich höre, nicht gefällt, ist Ihr nächster Stopp beim Büro des Sheriffs.«

»Kann ich auch noch eine Henkersmahlzeit bekommen?«, fragte Hendricks grinsend.

Der Polizist blieb unbewegt. »Wenn Sie wollen. Ich weiß zwar nicht, ob ich Fast Freddie’s vertrauen würde, wenn es um die Befriedigung meiner Ernährungsbedürfnisse geht, aber es ist schließlich Ihr Verdauungstrakt.«

Hendricks grinste weiter und fragte dann: »Bezahlen Sie?«

»Nein«, antwortete der Cop und stieg aus, wobei seine Schuhe auf dem nassen Asphalt quietschten.

Hendricks zuckte mit den Achseln. Es war ja nicht so, dass er kein Geld hatte. Er wartete darauf, dass der Polizist die Wagentür öffnete, und war froh darüber, dass er keine Handschellen trug. Als die Tür aufklappte, stieg er aus, ging langsam an dem Polizisten vorbei und übernahm kommentarlos die Führung. Es war schließlich nachvollziehbar, dass der Polizist seinen potenziellen Gefangenen im Auge behalten wollte.

Als sie Fast Freddie’s betraten, war das, als ob man mit einer Zeitmaschine zurück in den Wilden Westen reisen würde, allerdings in einen Wilden Westen, in dem es bereits Leuchtreklamen gegeben hatte. Nachdem er einen Moment darüber nachgedacht hatte, entschied Hendricks, dass die Bar eher wie der schlimmste Albtraum eines Rodeo-Champions aussah, denn das Innere des Ladens war eine schrille Kreuzung zwischen einer Honky-Tonk-Bar und einer Bullrider-Bar, oder doch mehr eine Karikatur von beiden. Die Bar war so eingerichtet, wie sich irgendein Trottel vorgestellt hatte, dass solche Bars aussehen sollten, und nicht so, wie sie tatsächlich aussahen. Doch das spielte so oder so keine Rolle, denn die Leute waren nur aus einem einzigen Grund in der Bar – um zu trinken – und damit waren sie auch alle schwer beschäftigt, als Hendricks mit dem Cop im Schlepptau hereinkam. Er vermutete, dass die Uniform des Polizisten wahrscheinlich einige Blicke auf sie ziehen würde, doch dann stellte er fest, dass in dieser Sorte Bar ohnehin alle Augen wie gebannt auf die Tür gerichtet waren, und immer, wenn jemand hereinkam, wurde er von der gesamten Stammkundschaft einer kurzen Musterung unterzogen. In den meisten Fällen war das nicht so toll. In einem Fall allerdings …

Ein verdammt gut aussehendes Mädchen mit einem weißen T-Shirt mit V-Ausschnitt sprang auf, Hendricks hätte darauf gewettet (und in diesem Fall hätte er es sogar gern getan), dass sie bereits ihren siebten oder achten Drink intus hatte, ihre Jeans waren eindeutig zu eng für irgendetwas anderes als eine Bar oder ein Rodeo, aber er wollte sich in diesem Fall nicht beklagen, nicht bei diesem Mädchen. Sie war blond und sah nicht nur flott, sondern richtig hübsch aus, was eine Verschwendung an dieses Etablissement war. Er versuchte, sich ein wenig größer zu machen, und für einen kurzen Augenblick bildete er sich ein, dass sie tatsächlich an die Tür kommen könnte, um mit ihm zu sprechen.

Dieses Bild wurde eine halbe Sekunde später zerstört, als sie direkt auf den Cop zuging. »Du bist ja doch gekommen«, sagte sie und umarmte den Mann kräftig. Hier war der Größenunterschied eindeutig und offensichtlich; der Polizist war ein verdammter Riese, und dieses Mädchen war durchschnittlich groß. Hendricks war wegen seiner Größe nie wirklich unsicher gewesen, immerhin war er knapp 1,80 m groß und hielt das immer für ganz annehmbar. Im Ausbildungslager der Marines auf Parris Island hatte er in derselben Baracke mit einem Mann gelegen, der sogar noch größer als der Cop an seiner Seite gewesen war. Trotzdem hatte er Mitleid mit dem Kerl gehabt, weil sich herausgestellt hatte, dass das, was man allgemein über große Männer sagte, nämlich, dass sie besonders gut bestückt wären, leider nicht auf diesen Kerl zutraf. Zur Enttäuschung eines Mädchens in seiner Ausbildungstruppe. Natürlich erzählte sie es allen. Armes Schwein.

»Ich bin, äh …« Der Polizist wirkte auf Hendricks so, als würde er sich ein wenig unbehaglich fühlen. Tatsächlich sogar mehr als nur ein wenig, denn der Mann sah aus, als hätte man ihn in kaltes Wasser getaucht und ihn gezwungen, ein besonders abscheuliches Verbrechen zu gestehen, und das alles zeigte er mit nur einem Gesichtsausdruck. »Ich bin nur auf einen Drink mit meinem Freund hier …« Der Cop schaute ihn an und warf ihm einen flehentlichen Hilf-mir-hier-raus-Kumpel-Blick zu.

»Lafayette Hendricks, Ma’am«, sagte er und lüftete seinen Cowboyhut für die blonde Frau. Sie sah ein wenig jünger aus als er, allerdings nicht viel, wahrscheinlich war sie zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig. Ihm schien, als würde in ihren blauen Augen vages Interesse aufglimmen, aber er hatte so etwas schon zu lange nicht mehr gesehen und war nicht geübt genug, um sagen zu können, ob sie nur höflich sein wollte oder ob da mehr war.

»Das ist Erin Harris«, sagte der Polizist und nickte in Richtung der Blondine. »Sie sitzt in der Einsatzzentrale des Reviers.«

»Wirst du bei einem Namen wie Lafayette gleich Französisch mit mir sprechen?«, fragte sie. Vielleicht bestand ja doch Interesse.

»Wohl kaum«, antwortete Hendricks im lockeren Tonfall. »Ich bin aus Wisconsin und kann kein bisschen Französisch, außer vielleicht noch merci und oui

»Ich glaube, genau genommen«, fing Erin an und unterbrach sich selbst mit einem Kicheranfall, der wahrscheinlich durch den Bourbon ausgelöst wurde, den er in ihrem Atem riechen konnte, »müsste das oui vor dem merci kommen.« Noch ein Kichern, und zwar ein niedliches. »Aber ich bin vielleicht etwas aus der Übung.«

Hendricks fragte sich, ob er erkennbar rot geworden war. Es war sehr gut möglich, dass sie diesen Flirt später bereuen würde, falls sie sich überhaupt daran erinnern sollte. »Ich fürchte, ich muss darauf vertrauen, dass Ihre Erfahrung mit dieser Sprache größer ist als meine, denn die ist nämlich ziemlich begrenzt.«

Sie kicherte erneut und fing sich wieder, als sich der Polizist räusperte. »Entschuldige, Erin«, sagte der Cop, »ich bin nur hier, um mit meinem Freund ein Bier zu trinken.«

Sie blinzelte mit ziemlich großen Augen, und Hendricks fand, dass sie dadurch noch hübscher aussah. »Du willst ein Bier trinken? Etwa ein echtes? Heilige Scheiße.« Sie schüttelte den Kopf, und es sah aus, als würde sie dabei fast das Gleichgewicht verlieren. »Nun denn, also gut«, sie nestelte am Kragen des Polizisten herum und versuchte dann, ihn wieder zu richten, wobei sie eine Seite hochgeklappt ließ. »Entschuldigung.«

»Schon gut, ich hab’s verstanden.« Der leichte Unmut des Polizisten war offensichtlich, als er an seinem Kragen herumfummelte und ihn zurechtrückte.

»Dann lasse ich euch Jungs einfach mal in Ruhe«, sagte sie, und Hendricks bemerkte, wie sie beim Sprechen leicht zu lallen begann. »Aber wenn ihr fertig seid, solltet ihr bei mir und den Jungs für eine weitere Runde vorbeikommen. Ich würde dir auf jeden Fall ein Bier ausgeben, Officer Stan.« Sie schlurfte aus eigener Kraft davon, noch nicht betrunken genug, um umzufallen, aber definitiv glücklicher, als sie es ohne den Alkohol, der durch ihre Adern strömte, gewesen wäre.

Als sie verschwunden war, führte der Polizist, den sie Officer Stan genannt hatte, Hendricks zu einem Ecktisch und hielt zwei Finger in Richtung des Barkeepers in die Höhe, der als Antwort kurz nickte. »Ich dachte, Sie trinken nicht?«, fragte Hendricks.

»Ich habe schon seit zwei Jahren kein Bier mehr getrunken«, antwortete der Cop.

»Aber Sie haben einen so guten Draht zum Barkeeper, dass Sie nur zwei Finger heben müssen und er weiß sofort, was er Ihnen bringen soll?«

Der Polizist zuckte mit den Achseln. »Für mich schmeckt jedes Bier gleich – schlecht. Ich vermute, er wird mir wohl das bringen, was er am meisten verkauft.«

»Wir könnten auch einen Whiskey trinken, wenn Ihnen das lieber ist«, schlug Hendricks vor. Er würde sich gerne Whiskey genehmigen, und zwar jede Menge davon. Vor allem, weil er morgen früh dank des Chu’ala auf alle Fälle Schmerzen haben würde. Warum nicht ein paar zusätzliche Schmerzen hinter den Augen hinzufügen, um die blauen Flecken zum Wettkampf herauszufordern, wer morgens am meisten wehtun würde?

»Nein, danke«, antwortete der Cop.

»Also, die hübsche Blondine, mit der Sie zusammenarbeiten, nannte Sie Officer Stan«, sagte Hendricks, um das Gespräch wieder anzukurbeln. Die junge Frau, die mit dem Cop gesprochen hatte, stand mit ein paar anderen Jungs in einer Ecke und sah zu ihm hinüber. Vielleicht bestand ja doch ein gewisses Interesse. Möglicherweise. »Haben Sie auch einen Vornamen, oder lautet der tatsächlich Stan und sie ist nur sehr förmlich?«

»Alle nennen mich Arch«, kam als Antwort. Verdammt, der Kerl, der ihm am Tisch gegenübersaß, war nicht nur groß wie ein Berg, sondern auch abweisend und fast humorlos.

 

»Wieso das?«

»Weil mir meine Mutter den Namen Archibald verpasst hat, und es ein alberner Name ist, der mir nicht gefällt.«

Hendricks beobachtete ihn und schenkte ihm dabei ein knappes Lächeln. »Ist schon in Ordnung, mich nennt auch niemand Lafayette.«

»Ja, ich habe gehört, wie Sie sich selbst … wie noch mal genannt haben? Lafayette …«

»Lafayette Jackson Hendricks, so hat meine Mama mich immer gerufen«, antwortete er, »wenn sie wegen irgendetwas wütend auf mich war – und das war ziemlich oft der Fall. Aber seit dem Tod meiner Mama hat mich keiner mehr Lafayette genannt, und niemand sagt Jack zu mir, weil ich immer ganz schnell klarmache, dass ich das nicht ausstehen kann, also höre ich mehr oder weniger auf Hendricks. Früher mal hieß es Staff Sergeant Hendricks, aber jetzt ist es nur noch der gute alte Hendricks.« Hendricks wollte gerade weiterreden, als eine der Kellnerinnen zwei Flaschen Budweiser auf den Tisch stellte. Er wurde blass, als er seinen ersten Schluck genommen hatte, und entdeckte dieselbe Reaktion bei seinem Gegenüber. »Bud ist auch nicht gerade mein Lieblingsbier.«

»Ach ja?« Der Polizist schaute ihn aufmerksam an. »Bemerken Sie einen großen Unterschied zwischen den verschiedenen Biersorten?«

»Nicht bei unseren einheimischen Marken«, antwortete Hendricks. »Bei mir zu Hause im westlichen Wisconsin, wo ich herkomme, gibt es ein Bier namens Leinenkugels, das alles um Längen schlägt, was man anderswo findet. Ich war mit den Marines überall. Die einzigen anderen Biere, die ich wirklich mochte, waren ein griechisches Bier, an dessen Namen ich mich nicht einmal mehr erinnere, und Guinness.«

Arch unterbrach ihn, während er Hendricks in aller Ruhe musterte. »Diese Unterhaltung über Kleinbrauereien ist wirklich klasse, aber wir sollten jetzt endlich mal zum Punkt kommen. Was ist da gerade passiert?«

Hendricks grinste erneut. Der heutige Abend würde für ihn richtig locker werden, und das hatte es schon seit Jahren nicht mehr gegeben. »Wie ich bereits sagte, sind Sie sicher, dass Sie so tief in das Thema eintauchen wollen? Es geht den Kaninchenbau nämlich ganz schön tief hinunter, Alice. Vielleicht wird es Ihnen ja leidtun, dass Sie jemals die Augen für diese Welt geöffnet haben, weil es verdammt schwer ist, nach dem Trip wieder hochzuklettern. Außerdem neigen die Dinge dazu, nicht mehr so zu sein, wie sie waren, nachdem Sie den ersten Schritt gemacht haben.«

Die Antwort erfolgte ohne das geringste Zögern. »Ja, ich will wissen, was da draußen passiert ist. Sie haben das Wort Dämon benutzt. Dämon, wie einer, der aus der Hölle kommt?«

»Keine Ahnung, ob er tatsächlich aus der Hölle kommt«, antwortete Hendricks, der einen weiteren Schluck von dem Bier nahm, das im wahrsten Sinne des Wortes Fusel war, und das er immer noch nicht besonders mochte. »Aber ich weiß, dass er ein Dämon war, wie die Kreaturen aus uralten Zeiten. Sie sehen aus wie Menschen, zumindest so lange, bis man weiß, wonach man suchen muss. Es gibt auch verschiedene Rassen und Arten, wie bei den Tieren, aber sie passen sich die überwiegende Zeit optisch dem Menschen an. Zumindest tun das die meisten von ihnen.«

Arch hatte aufmerksam zugehört, bemüht, die Informationen zu verdauen. »Na gut, wenn das also wirklich Dämonen sind, warum sind sie dann hier?«

Hendricks zuckte leicht mit den Achseln. »Wenn Sie die Frage generell meinen, im Sinne von: Warum sind wir alle hier? Was ist unser höherer Zweck?, dann soll ich verdammt sein, wenn ich das weiß. Wenn Sie aber fragen: Warum sind die Dämonen hier in dieser Stadt, genau in diesem Moment?, dann habe ich vielleicht eine Antwort für Sie, wobei ich mir nicht sicher bin, ob Sie Ihnen gefällt.«

»Legen Sie los.« Es war schwer zu sagen, ob ihn dieser Polizist, Arch, bei Laune halten wollte oder ihm ernsthaft zuhörte, aber auf jeden Fall war er aufmerksam, also fuhr Hendricks fort.

»So wie es mir erklärt wurde, gibt es bestimmte Orte auf der Erde, die zu jedem beliebigen Zeitpunkt aufflammen können, die, wenn man es so nennen will, zu Hotspots werden. Und die dann Dämonen anziehen wie das Licht einer elektrischen Fliegenfalle – nur ohne die Fliegenfalle, nehme ich an. Die Dämonen werden davon angezogen, von diesen Ausbrüchen an … ich weiß nicht, mystischer oder was auch immer für eine Aktivität, und sie versammeln sich in der Stadt oder an dem Ort, der diese Schwingungen auslöst. Na ja, und im Moment ist das hier in Calhoun County.«

»Ach was.« Arch hatte inzwischen seine Arme verschränkt, was neu war. Hendricks gefiel das nicht. »Woher wissen Sie von diesem mystischen Zeug?«

Hendricks zuckte mit den Achseln. »Jemand hat mir davon erzählt, und ich war anfangs genauso ungläubig wie Sie. Natürlich ist das etwa fünf Jahre und achtzehn Hotspots her, und deswegen habe ich seitdem ein wenig Vertrauen darin entwickelt, dass mich mein Mentor nicht verarscht hat. Aber als ich an Ihrer Stelle saß, hieß es bei mir auch nur: Ja, meinetwegen und Wie auch immer. Wahrscheinlich das Gleiche, was Sie jetzt denken. Ich dachte auch noch: Gequirlte Scheiße, aber Sie kommen mir nicht so vor, als wären Sie der Typ, der viel flucht, also haben Sie vielleicht eine anständige Art und Weise, um das auszudrücken.«

»Malarkey.«

Hendricks hob überrascht eine Augenbraue. »Wirklich? Das wäre es also?«

»Hat bisher ganz gut funktioniert.«

»Und gequirlte Scheiße klingt etwas zu …«

»Vulgär?«

»Das auch«, stimmte Hendricks zu. »Aber ich habe es trotzdem ernst gemeint.«

Arch rollte mit den Augen, und Hendricks vermutete, dass auch das nicht besonders charakteristisch für den Mann war. Doch die Hälfte seines Bieres war bereits verschwunden, was man ganz gut an dem Licht erkennen konnte, das durch die braune Flasche schien. »Man muss also fluchen wie ein Seemann, damit es richtig ernst rüberkommt, oder?«

»Ich muss gar nichts wie ein Seemann machen«, antwortete Hendricks mit finsterem Blick. »Ich war ein Marine.«

»Wie auch immer. Sie wissen, was ich damit meine.« Arch nahm stirnrunzelnd einen Schluck Bier, wobei es ein ziemlich kräftiger Schluck war, und so aussah, als würde er die Flasche in Kürze geschafft haben. »Ich bin fast fertig mit meinem Bier und ich glaube Ihnen immer noch nicht wirklich.«

»Verständlich«, antwortete Hendricks. »Doch Sie haben gerade beobachtet, wie sich ein Mann in etwas eindeutig Unmenschliches verwandelt hat und dann verschwunden ist, nachdem er in den Hals gestochen wurde. Was wäre Ihre logische, nicht-dämonische Erklärung dafür? Also für den Fall, dass Sie es erklären müssten. Extrapunkte gibt’s dafür, wenn Ihnen das gelingt, ohne dass Sie mich beschuldigen, Sie mit Halluzinogenen vollgepumpt zu haben, weil ich das nämlich definitiv nicht getan habe.«

Arch zog eine Augenbraue hoch. »Ein Typ, den ich kaum kenne, wurde, – wie soll ich sagen, von Schatten verschlungen, während ich dabei zugesehen habe –, nein, ich schließe Halluzinogene nicht aus. Möglicherweise haben Sie eine Art Gas in die Luft gesprüht, und ich bin immer noch auf einem Trip.« Er hielt die Flasche in die Höhe. »Was auch erklären würde, warum ich hier ein Bier mit Ihnen trinke, anstatt Sie ins Gefängnis zu schleifen. Könnte die einzige Erklärung sein, die in diesem Fall tatsächlich Sinn ergibt.«

»Er ist nicht verschwunden«, erklärte Hendricks gelassen, obwohl sich sein Mund trocken anfühlte. Er hatte wirklich keine Lust auf eine Nacht im Gefängnis. Oder zwei. Oder drei. Bis auf den Besitz des Schwertes war zwar alles andere schwer zu beweisen, aber das Schwert war ziemlich selten und er wollte nicht riskieren, es zu verlieren. Oder dass da draußen die Scheiße losging, während er im Bezirksgefängnis schmorte.

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