DÄMONENJÄGER (Southern Watch)

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Aus der Reihe: Southern Watch #1
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»Fuck«, fluchte er erneut im Stillen. »Fuck, Scheiße, fuck!« Dieses Mal hatte keiner seiner Jungs etwas gesagt. Für dumme Hinterwäldler lernten sie wirklich verdammt schnell. »Hol dein Handy raus«, sagte er zu dem Ärmellosen und ließ es ihn über das Buch halten. Er las die Worte noch einmal laut vor, diesmal ohne Vertrauen in sein Gedächtnis und das trübe Licht. Es waren die gleichen Worte, exakt die gleichen, die es immer gewesen waren. Genau das, was er vorgelesen hatte. Er fluchte erneut. Und seine Jungs sagten immer noch nichts. Zumindest das funktionierte. Er blätterte auf die Seite davor, dann auf die Seite danach. Nichts Neues, nichts Unerwartetes. Die Worte waren prägnant, manche düster, manche einfach ärgerlich für ihn, da Hollywood schon so verdammt lange auf der Erde war. Eigentlich schon viel zu lange. »Verliere ich es auf meine alten Tage?«, flüsterte er laut.

»Nein«, sagte der Ärmellose.

»Ich brauche nicht die Beteiligung des Publikums, Dumpfbacke«, schnauzte ihn Hollywood an und der Ärmellose verstand den Wink. Braver Hund. Er ließ seine Finger auf seinem Mund und seinem Kinn ruhen und versuchte, darüber nachzudenken, aber ihm fiel nichts ein. Er war ein Problemlöser, ein Ausputzer, ein Produzent, verdammt noch mal! »In Ordnung, okay. Der Zeitpunkt war vielleicht falsch gewählt? Der Tag, vielleicht? Wie auch immer. Das ist ja nicht so zeitkritisch. Wir versuchen es morgen noch mal. Und am nächsten Tag, und am nächsten, ganz egal, wie viele Tage es auch immer dauern wird, um es richtig zu machen. Das war nur ein Probelauf.«

Er schaute zu seinen Jungs hinüber, die immer noch über den gefallenen Körpern des Bauern und seiner Frau standen. »Es gibt doch noch andere Leute in dieser Stadt, oder? In diesem County?«

Er blickte in die Ferne in Richtung Horizont, der von Hügeln dominiert wurde. Die Einheimischen nannten sie Berge, aber Hollywood war vor einiger Zeit in den High Sierras gewesen. Das hier waren nur Hügel. Keine Spur von Schnee. »Wir brauchen morgen Abend noch ein paar mehr. Vielleicht drei, nur um sicherzugehen. Und wir werden weitermachen, so lange weitermachen, bis ich es geknackt habe. Es sollte nicht lange dauern, vielleicht habe ich auch nur etwas falsch ausgesprochen. Ich werde es durchgehen und sicherstellen, dass ich es nächstes Mal richtig mache.« Er betrachtete die Leichen im Schlamm und deutete auf sie. »Ich weiß, ihr würdet sie wahrscheinlich frischer bevorzugen, aber … wisst ihr, nehmt euch einfach, was ihr gebrauchen könnt …«

Die vier, seine Jungs, seine Mitarbeiter, fielen über die Leichen her, zerrissen und zerfetzten das Fleisch. Diese Kerle hatten vielleicht menschlich ausgesehen, aber er wusste, dass sie es nicht waren, als er in die Stadt gekommen war. Er konnte sie riechen, selbst aus einer Meile Entfernung konnte er sie riechen. Es gab eine Art Verbindung zwischen Vertretern ihrer Art, die Fähigkeit, hinter die Fassade zu sehen, die Zeichen des Übergangs an den anderen zu erkennen. Er hatte sie erschnüffelt, ihre Spuren zurück zu ihrem Wohnwagen verfolgt und sie alle beim Meth-Kochen erwischt. Vermutlich vertrieben sie sich damit ihre Zeit. Hollywood zog zur Stimulation der kreativen Säfte Pot vor, aber hey, er missgönnte seinen Mitmenschen ihre Laster nicht. Er sah zu, wie sich die Jungs in den Bauern und seine Frau vorarbeiteten und runzelte die Stirn. Auch wenn es Menschenfleisch war, es schmeckte sicherlich nach Kuhscheiße.

***

Creampuff beobachtete, wie die Dämonen den Farmer und seine Frau verschlangen, es war ihr undeutlich bewusst, dass die beiden diejenigen gewesen waren, die sie früher gefüttert und versorgt hatten, und ihren Pferch saubergemacht hatten. Es war eine schmutzige Angelegenheit, was sie mit Creampuffs ehemaligem Besitzer machten, aber gleichzeitig sagte ihr eine innere Stimme, dass es ganz natürlich war, dass sich Dämonen von Menschenfleisch ernährten. Diese Stimme, die nun zu ihr sprach, war für sie außergewöhnlich, da Creampuff nur eine Kuh aus Jersey war, obwohl sie das nicht wusste. Sie hatte das den Farmer sagen gehört, aber es war ihr nicht wichtig genug gewesen, um sich daran zu erinnern. Jetzt war es allerdings doch ein bisschen wichtig, denn die neue Stimme sprach zu ihr, wollte wissen, was sie war, was sie tat und warum sie ihn gerufen hatte. Allerdings konnte die Stimme direkt auf ihr Gehirn zugreifen und fand deswegen die Dinge ziemlich schnell selbst heraus. Sicherlich schneller als die einfache Kuh aus Jersey, die von einem Farmer, dem gerade von vier Männern, die überhaupt keine Menschen waren, das Fleisch von den Knochen geschält wurde, den Namen Creampuff erhalten hatte. Aber auch das war in Ordnung, sagte die Stimme zu Creampuff. Die Stimme, die in ihrem Ohr, ihrem Körper, ihrem Herzen und sogar in ihrer Seele war, sofern sie so etwas überhaupt besaß. Die Stimme erzählte ihr diese ganzen Dinge, das alles und noch einiges mehr, bevor sie erkannte, dass sie mit einer Kuh sprach und beschloss, jetzt selbst das Steuer zu übernehmen. Aber für eine Weile war es ein sehr angenehmes Gespräch gewesen. Man sagte ihr viele, viele Dinge, darunter auch einen Namen, den Namen der Stimme in ihrem Kopf.

Ygrusibas.

Kapitel 2

Arch parkte seinen Polizeiwagen, einen bulligen Ford Explorer, auf dem das Logo des Sheriffs prangte, direkt hinter dem Bahnhof. Das große, alte Backsteingebäude war 1942 errichtet worden, es war flach und quadratisch und bestand aus jenem altersfleckigen Ziegelstein, der in diesem Teil Tennessees bei Gebäuden der Kommunalverwaltung so häufig anzutreffen war. Das Gebäude besaß eine Klimaanlage, die in den Achtzigerjahren eingebaut worden war und wahrscheinlich nie richtig funktioniert hatte. Arch brauchte für den Weg über das vom Regen durchnässte Grundstück nicht lange, dann zog er ohne große Anstrengung die schwere Plexiglastür zum Bahnhofsgebäude auf. Sie war gepanzert, ein Zugeständnis an die Tatsache, dass die modernen Strafverfolgungsbehörden mit Risiken zu tun hatten, die zu der Zeit, als das Gebäude errichtet worden war, niemandem große Sorgen bereitet hatten. Die Zeiten änderten sich selbst im ländlichen Calhoun County, Tennessee, und zwar auf eine Art und Weise, mit der sich die ersten Nutzer des Gebäudes bestimmt nicht hätten befassen wollen.

Arch passierte die zweite Tür und spürte beim Eintreten, wie ihn die aufgeheizte Luft des Bahnhofs umströmte. Sie war im Gebäude genauso feucht wie draußen, nur vielleicht ein oder zwei Grad kühler. Arch vermutete, dass das weniger an der wirkungslosen Klimaanlage lag, sondern eher daran, dass die Luft den ganzen Tag über im schattigen Gebäude eingesperrt war.

»Hey, Arch«, begrüßte ihn Erin, die hinter dem Empfangsschalter saß, bevor er durch die hüfthohe Holzklapptür marschierte, die den Wartebereich von den Büroräumen hinter der Theke trennte. »Du hast es mit einer Minute Vorsprung geschafft.«

»Ich weiß.« Arch ging um einen Schreibtisch herum auf die Stelle zu, an der die Stechuhr hing, ein altes, hässliches Ding, das wahrscheinlich zur gleichen Zeit wie das Gebäude gebaut worden war, und zog seine Karte aus dem Halter heraus, bevor er sie in den dafür vorgesehenen Schlitz stopfte. »Und hier stehe ich nun, voller Hoffnung auf eine reiche Ernte an Überstunden, mit denen ich meine zaghaft erblühende Familie unterstützen könnte.«

»Wohl eher, um deine Frau auf die Art und Weise zu verwöhnen, wie sie es von ihren Eltern her gewohnt ist.« Die Stimme klang warm, hatte aber auch den leicht ätzenden Unterton aus plumper Vertraulichkeit und Sarkasmus, den Arch vom Sheriff kannte. Er wandte sich um und erhaschte das ironische Lächeln des kahlköpfigen Mannes, der mit verschränkten Armen im Türrahmen seines Büros stand, während er seine Angestellten dabei beobachtete, wie sie sich gegenseitig neckten. »Ich hoffe, deine Patrouille entsprach dem, was wir inzwischen von unseren glorreichen Karrieren bei der Strafverfolgungsbehörde von Calhoun County gewohnt sind?«

»Ja, sie war richtig schön langweilig«, antwortete Arch und steckte seine Stechkarte wieder an den angestammten Platz zurück. »Wenn ich mehr Action in meinem Leben hätte haben wollen, hätte ich mir einen Job in Chattanooga oder Knoxville besorgt.«

»Da draußen in der großen, bösen Welt?«, fragte Erin lachend. Sie war hübsch, das sagten wirklich alle Kerle, außerdem war sie blond und hatte gerade erst die Highschool abgeschlossen. Und sie verbrachte genau so viel Zeit im Fitnesscenter wie in der Bar. Was schon beachtlich war. Sie arbeitete hauptsächlich in der Zentrale, obwohl Arch mitbekommen hatte, dass sie auch gern auf Patrouille gehen wollte. Allerdings war das wegen der Budgetkürzungen inzwischen schwieriger geworden.

»Von diesen Orten habe ich noch nie gehört«, meinte Sheriff Reeve und kratzte sich am Kinn.

»Das können Sie auch nicht«, sagte Arch, wobei er pflichtbewusst den Stichwortgeber spielte und gleichzeitig auf die ironische Bemerkung des Sheriffs einging. »Die befinden sich schließlich außerhalb von Calhoun County.«

»Da kommt doch gar nichts mehr«, antwortete Reeve mit unbewegter Miene. »Hast du das noch nicht bemerkt? Die Welt endet außerhalb unserer Bezirksgrenze. Dahinter bricht sie einfach ab und dann ist da nur noch das unendliche Nichts.«

»Wissen Sie, Boss«, meinte Erin, »Sie hieven diese Sache mit der flachen Erde auf ein ganz neues Niveau.«

»Ich fasse das mal als Kompliment auf«, antwortete Reeve mit einer gewissen Genugtuung. »Allerdings muss ich schon zugeben, dass ich ein bisschen eigensinnig bin.«

»Wohl eher ein sturer Esel?«, sagte Erin mit gedämpftem Lachen.

»Ich nenne es kompromisslos«, antwortete Reeve. »Klingt für mich angenehmer.«

»Ja, nun … ich nenne es einen langen Tag.« Arch rieb sich die Augen.

 

»Hattest du nicht gesagt, dass er langweilig gewesen ist?« Reeve ließ einen Hauch von Interesse durchblicken.

»Das war er auch«, antwortete Arch mit einem Grinsen. »Und genau das sind die anstrengendsten Tage von allen. Ich würde etwas Action nicht verachten.«

»Die wirst du in Midian nicht finden«, sagte Erin, »und vermutlich auch kaum in Calhoun. Das ist so und damit basta! Worauf kannst du denn hier schon hoffen? Auf einen alten Schwarzbrenner, der vor dir aus seiner Destillerie flüchtet? Auf einen Idioten, der sein Meth-Labor in die Luft jagt? Oder einen Drogenabhängigen, der nackt die Hauptstraße entlangspaziert?«

»Alles, um was ich bitte, ist ein wenig Aufregung«, antwortete Arch mit einem müden Lächeln. »Etwas, um die eintönigen Tage etwas aufzupeppen.«

»Sei lieber vorsichtig, was du dir wünschst«, meinte Reeve grinsend. Der Mann war ein Veteran in der Strafverfolgung mit dreißig Jahren Erfahrung, der wusste, wovon er sprach, und Arch war sich dessen bewusst. »Vielleicht wünschst du dir ja schon nach kurzer Zeit etwas anderes.«

»Wenn du etwas Aufregung willst«, sagte Erin, während sie ihre Schublade öffnete und nach ihrer Handtasche griff, »ich treffe mich mit Wade und Harlan unten im Fast Freddie’s auf ein paar Bier. Das würde deine Nacht in Schwung bringen.«

»Ich habe mir aufregendere Tage gewünscht«, antwortete Arch, wobei er Erin angrinste. »Meine Nächte werden von meiner besseren Hälfte bereits so weit in Schwung gehalten, wie ich es derzeit gerade noch verkrafte.«

»Hör sich einer diesen akademisch gebildeten Gentleman mit seinem feinen Understatement an«, sagte Reeve glucksend. »Das ist die beschissen zuckersüßeste Art und Weise, in der ich je einen Frischvermählten darüber reden gehört habe, wie oft er flachgelegt wird.«

Archs Lächeln gefror. So hätte er sich niemals ausgedrückt, aber er gewöhnte sich langsam daran, dass Reeve das tat. Der Mann meinte es nicht böse, das war einfach nur seine Art zu reden. Es gab eine Zeit, in der es Sheriff Nicholas Reeve mit minimalem Aufwand geschafft hätte, Arch das Lächeln aus dem Gesicht zu fegen. Sein Vorstellungsgespräch hatte aus einem ununterbrochenen Strom vulgärer Formulierungen bestanden, Ausdrücke, mit denen Arch so lange nichts zu tun gehabt hatte, bis er als Jugendlicher mit dem Footballspielen angefangen hatte. Danach war er zwar daran gewöhnt, aber er war trotzdem etwas verwundert, als er bei seinem Vorstellungsgespräch mit diesen Ausdrücken konfrontiert worden war. Obwohl ihn das eigentlich nicht hätte überraschen dürfen, denn schließlich leitete Reeve das Sheriffs Department fast genau so, wie sich ein Footballtrainer in der Umkleidekabine aufführte. Da war kaum Platz für Überempfindlichkeiten.

Er blickte zu Erin hinüber, die viel zu sehr damit beschäftigt war, ihre Schublade abzuschließen, um auch nur nach oben zu schauen. Was man in einem Großstadtpolizeirevier möglicherweise als chauvinistisches Arbeitsumfeld bezeichnen würde, war in Calhoun County nur die Norm. Arch vermutete, dass Reeve Erin vor ihrer Einstellung genau überprüft hatte, um sicherzugehen, dass sie nicht zu den Menschen gehörte, die sich von praktisch jedem lockeren Spruch angegriffen und beleidigt fühlten. Was glücklicherweise nicht der Fall war.

»Hast du eigentlich gar nichts dazu zu sagen?«, fragte Reeve lächelnd. »Oder willst du einfach nur weiter mit diesem selbstzufriedenen, breiten Grinsen dasitzen? Wobei ich dir das nicht mal übel nehme. Schließlich war ich auch mal frisch verheiratet, auch wenn ich mich kaum noch daran erinnern kann. Aber du könntest wenigstens versuchen, ein bisschen mit deinem Sexleben zu prahlen, um einem alten Mann einen Nervenkitzel zu verschaffen, indem du ihn indirekt daran teilhaben lässt.«

Reeve war nicht unbedingt alt, gerade einmal Mitte fünfzig, aber die Zeit, die er im Auto und hinter seinem Schreibtisch verbracht hatte, hatte ihre Spuren hinterlassen. Er war nicht ganz so massig wie einige der älteren Gesetzeshüter, die Arch getroffen hatte, aber er war ein wenig runder um die Taille, als es für Arch akzeptabel war. Trotzdem gelang es dem Sheriff, in seiner khakifarbenen Uniform und mit seinem großen, alten Revolver, den er am Gürtel trug, wie ein respektabler Gesetzeshüter auszusehen.

»Vielleicht sollten wir lieber Harris zu dem Thema fragen«, schlug Arch schließlich vor und nickte in Erins Richtung. »Sie hockt doch regelmäßig in der Bar herum und hat bestimmt aufregendere Geschichten als ich zu erzählen.«

»Wer, ich?«, fragte Erin und schaute überrascht hoch. »Nein, ich hab nichts Interessantes am Laufen, schon ewig nicht mehr. Sonst würde ich ja wohl kaum jeden Abend im Fast Freddie’s rumhängen.« Sie strahlte die beiden Männer mit einem Lächeln an, das ihre vollkommen gleichmäßigen Zähne präsentierte. »Außerdem ist doch bekannt, dass es in dieser Stadt kaum jemanden gibt, für den sich der ganze Aufwand lohnt. Und die hab ich schon alle durch.« Sie deutete auf den Ring an Archs Finger. »Da wir gerade davon sprechen, du solltest jetzt besser gehen. Du weißt doch, wenn du auch nur fünf Minuten zu spät dran bist, dann ruft deine Frau hier in der Zentrale an und erkundigt sich, wo du bleibst.«

»Da hat sie recht«, stimmte Reeve zu, aber die Art und Weise, wie er es sagte, klang eher wie »dhassirecht«, als sein schleppender Südstaatenakzent durchbrach. »Dann noch ’ne gute Nacht.«

»Ich komm mit dir mit«, sagte Erin, als Arch auf dem Weg zu seinem Dienstwagen den Empfangstresen umrundete. Die Dienststelle hatte den neuen Explorer noch vor den Budgetkürzungen geliefert bekommen. Es war das einzige Neufahrzeug, das in den letzten fünf Jahren angeschafft worden war, und Arch vermutete, dass es Reeve mehr als nur ein kleines bisschen wehgetan hatte, den Wagen ausgerechnet dem dienstjüngsten Streifenpolizisten zu überlassen. Allerdings hatte er es dann aus Gründen getan, mit denen sich Arch nicht allzu sehr beschäftigen wollte.

»Bist du sicher, dass du nicht doch zu Fast Freddie’s mitkommen willst?«, fragte Harris erneut, als sie sich trennten und Arch sich auf den Weg zu seinem Explorer machte und sie zu ihrem Kleinwagen hinüberlief. Da Erin nicht auf Patrouille ging, sondern in der Zentrale arbeitete, fuhr sie mit ihrem eigenen Auto. »Vielleicht rufst du ja Alison an und lädst sie zu einer nächtlichen Sause durch die Stadt ein?«

»Du weißt doch, wir haben’s nicht so mit dem Trinken«, antwortete Arch und strich mit der Hand über seine kurz geschnittenen Haare. Es war schon fast ein Bürstenhaarschnitt, zum einen, weil es bequem war, zum anderen, weil er so offiziell aussah. Die meisten Leute erkannten schon bei seinem Anblick, dass er ein Gesetzeshüter war, auch wenn er sich nicht im Dienst befand – und das lag nicht nur daran, dass ihn das gesamte County ohnehin bereits kannte. Er arbeitete allerdings auch hart an diesem Image, um die Leute von der plumpen Vertraulichkeit abzuhalten, in die jeder verfiel, weil er früher einmal eine lokale Legende auf dem Football-Feld gewesen war.

»Ich bezweifle, dass meine bessere Hälfte nach einem anstrengenden, langen Tag bei Rogerson’s in der Stimmung sein wird, noch auszugehen.« Rogerson’s war der Lebensmittelmarkt, in dem sie als Assistentin der Geschäftsleitung arbeitete. Und es hasste. Jeden Tag beklagte sie sich bei Arch ausgiebig über ihren Job. Doch das Geschäft war schließlich ein Familienunternehmen und bestimmte Dinge wurden da einfach erwartet.

»Okay«, sagte Erin, ließ sich in ihren Autositz gleiten und winkte ihm ein letztes Mal zu. »Wenn du deine Meinung noch ändern solltest, weißt du ja, wo du uns findest.«

»Das werde ich nicht«, antwortete Arch knapp, »aber trotzdem danke.« Er stieg ein und ließ die Tür ins Schloss fallen, dann drehte er den Zündschlüssel und lauschte dem Grollen des Motors. Der Explorer war ein echter Hingucker und definitiv besser als alles, was er sich von seinem Gehalt hätte leisten können. Er legte den Rückwärtsgang ein und glitt aus seiner Parkbucht, bevor Erin auch nur die Chance hatte, ihr Auto zu starten. Das war auch besser so; denn so wild, wie das Mädchen in der Bar bestimmt war – und er hatte entsprechende Geschichten von seinen Kollegen gehört –, so lahmarschig war sie als Fahrerin.

Arch steuerte den Wagen vom Parkplatz herunter, wobei er sich an die dort geltende Geschwindigkeitsbegrenzung hielt, was sonst fast niemand tat, und bog nach rechts auf den Old Jackson Highway, County Road 57, ab. Der Highway war die Hauptstraße Midians, die mitten hindurchführte, und vom Revier aus waren es gerade mal fünf Minuten Fahrtzeit bis zu seiner Wohnung. Er atmete tief durch, während er darauf wartete, dass ein Sattelschlepper vorbeifuhr. Arch rieb sich die Augen und strich sich mit der Hand übers Gesicht, als der große Sattelschlepper auf der regennassen Straße an ihm vorbeidonnerte. Der Neuwagengeruch des Explorers umschmeichelte kräftig seine Nase, während er eine kurze Sekunde lang überlegte, das Blaulicht einzuschalten und den Lastwagen zu verfolgen. Der Truck war mindestens sieben Meilen pro Stunde zu schnell, und Arch hatte schon Strafzettel für weniger ausgestellt. Aber er hatte Feierabend, Alison erwartete ihn, und er hatte bereits den ganzen Tag über Tickets verteilt. Genau das war es nämlich, was er machte, Strafzettel schreiben und Leute wegen defekter Rücklichter anzuzeigen.

»Soll das wirklich alles sein?«, fragte er in die Leere des Wagens hinein, während sich das monotone Klicken des Blinkers gemächlich in seinen Schädel bohrte. Der gleiche langweilige Tag, immer und immer wieder, jeden Tag dasselbe, von jetzt an bis zur Rente in vielleicht dreißig oder vierzig Jahren.

Als er keine Antwort erhielt, fuhr er los und ließ Erins Scheinwerfer hinter sich, die nach rechts in Richtung Fast Freddie’s abbogen. Er hingegen fuhr nach links, nach Hause, während die unbeantwortete Frage immer noch in der Luft hing.

***

Hendricks hatte auf dem Marktplatz von Midian einen Mann getroffen, der alles andere als ein Mensch war.

Er hatte den Kerl, der ein John-Deere-Basecap trug, nach dem Weg zu einem billigen Hotel gefragt. Hendricks plante, sich eine Unterkunft für die Nacht zu suchen, bevor er am nächsten Tag die Stadt erkunden wollte. Doch ziemlich schnell wurde klar – zumindest für sein geübtes Auge –, dass er einem Dämon gegenüberstand. Er hatte zwar etwas üben müssen, doch inzwischen konnte er eine ganze Reihe von ihnen an bestimmten Anzeichen erkennen, und als er das leichte Aufflackern in den Augen des Mannes bemerkte, war er sich sicher. Noch übler war allerdings, dass auch der Dämon zu wissen schien, dass er entdeckt worden war, denn anstatt Hendricks mit ein paar freundlichen Wegbeschreibungen zum nächsten Hotel weiterzuhelfen, zeigte ihm der Mann seine Zähne. Und zwar die echten, die Dämonenbeißer, die sich unter der Fassade aus menschlichem Fleisch und Haut versteckten, die der Dämon so trug, wie Hendricks seinen Duster.

»Okay … Scheiße«, murmelte Hendricks, während er einen Schritt zurücktrat. Die Augen des Dämons glühten inzwischen förmlich, und seine Wut darüber, dass er entdeckt worden war, wuchs rasend schnell. Grünes Basecap, glühend rote Augen, zur Hölle, auf was sonst sollte man schon an einem Dienstagabend in Midian, Tennessee, stoßen? Hendricks wartete nicht darauf, dass der Mann, der kein Mensch war, auf ihn losging; er erkannte die Zeichen als das, was sie waren – der Dämon, der direkt aus der Unterwelt gekommen zu sein schien, stand kurz davor, sich ihn als Mahlzeit einzuverleiben. Das war nicht das, was sich Hendricks für seinen Dienstagabend in Midian vorgestellt hatte, zum Teufel, nein, definitiv nicht. Und wie jeder anständige Dämonenjäger hatte er eine entsprechende Antwort darauf parat.

Er ließ seinen Seesack von der Schulter fallen, zog das Schwert, das er unter seinem Viehtreiber-Mantel versteckt hatte, und machte sich auf die buchstäbliche Hölle gefasst, die ihm bevorstand.

***

Arch musste blinzeln, als er den Platz vor dem Bezirksgericht passierte. Es war ein schmuckloser Marktplatz, wie man ihn in jeder Kleinstadt findet, mit Geschäften, die zu dieser späten Stunde geschlossen waren. Die ganze Stadt klappte gegen acht Uhr die Bürgersteige hoch, so sagte man zumindest, einzige Ausnahme war der Wal-Mart unten an der Interstate, der rund um die Uhr geöffnet hatte. Nach acht Uhr wurde es in der Innenstadt ruhig, und so blieb es bis zum nächsten Morgen. Selbst die Kinder spielten nicht auf dem Platz, weil dort nichts los war. Letztes Jahr war es in dem Eisenwarengeschäft, einem baufälligen alten Gebäude, bei dem die Schaufensterscheibe fehlte, zu Vandalismus gekommen, verursacht wahrscheinlich durch einen gelangweilten Highschool-Schüler. So etwas war ein Riesending in Midian. Aber meistens war der Marktplatz nachts ruhig.

 

Deswegen überraschte es Arch auch ziemlich, als er beim Vorbeifahren den Mann mit dem schwarzen Cowboyhut und dem langen, schwarzen Viehtreibermantel entdeckte, den er an der Interstate überholt hatte. Der Mann fuchtelte mit einem Schwert vor einem der einheimischen Jungs herum, der unten in der Papierfabrik arbeitete. Arch konnte sich nicht auf Anhieb an den Namen des Burschen erinnern, aber er kannte ihn, ein Kerl, der vor einigen Jahren aus Athens oder Sweetwater oder aus der Nähe von Knoxville in die Stadt gekommen war. Er trug dasselbe John-Deere-Basecap, das er die meiste Zeit aufhatte, und er sah so aus, als würde er dem Cowboy mit flammenden Blicken sagen, dass der abhauen sollte.

Arch zögerte keine Sekunde, sondern schleuderte mit dem Explorer direkt vor dem Marktplatz in eine schräge Parkbucht. Blitzschnell stieg er aus dem Auto aus und zog dabei seine Glock 22.

»Hände über den Kopf«, rief er dem Cowboy zu, während er über den Bürgersteig zur Mitte des Platzes rannte, der von einem X von Fußwegen durchschnitten wurde, die sich bei einer Statue von General Stonewall Jackson trafen. »Lassen Sie das Schwert fallen!«

»Das wäre im Moment eine wirklich schlechte Idee«, antwortete der Cowboy. Er erstarrte aber trotzdem, wobei er das Schwert jetzt hoch über seinem Kopf erhoben hielt, nicht mehr schlagbereit, so, wie er es noch eine Minute zuvor getan hatte. »Das ist ein Chu’ala …«, als der Mann das unverständliche Wort aussprach, starrte Arch den Cowboy mit zusammengekniffenen Augen an, und das, was dann folgte, war noch größerer Schwachsinn, »… und er steht kurz davor, in einen Blutrausch zu verfallen.«

»Lassen Sie das Schwert fallen, Sir«, sagte Arch erneut im Befehlston.

»Ich werde das Schwert gerne hinlegen«, antwortete der Cowboy, »und zwar in etwa zehn Sekunden.«

»JETZT!« Arch verlieh seinem Befehl noch mehr Nachdruck. Falls der Cowboy auch nur eine einzige Bewegung in Richtung des Mannes mit dem John-Deere-Basecap machen sollte, dessen Name Arch beim besten Willen nicht einfiel, dann würde er einen kurzen Abstecher zum Calhoun County Hospital machen, und vielleicht von dort aus einen Flug nach Chattanooga ergattern, um sich einige Kugeln entfernen zu lassen.

»Okay«, antwortete der Cowboy mit angespannter Stimme. »Ich lege das Schwert jetzt ab, und zwar ganz langsam. Nur damit Sie mein Verhalten nicht für etwas … Unpassendes halten.« Er begann, sich langsam nach vorn zu beugen, senkte das Schwert und seinen Körper, als würde er ganz allmählich eine Kniebeuge machen wollen.

»Das geht auch etwas schneller«, sagte Arch verärgert. Er hatte zwar nach Action gesucht, aber es wäre ihm lieber, wenn die sich auf die Dienstzeit beschränken würde. Sheriff Reeve würde genervt sein, wenn er dafür Überstunden bezahlen müsste. Vor allem, wenn sich die Sache noch länger hinzog.

»Nein«, antwortete der Cowboy und bewegte sich mit einer Geschwindigkeit von knapp einem Zentimeter pro Sekunde, »das kann ich wirklich nicht.«

Archs Blick wurde von dem Papierfabrik-Typen angezogen. Dessen Augen sahen komisch aus, sie glühten, als ob jemand mit einer Taschenlampe in sie hineinleuchten würde. Arch wandte kurz den Kopf, um zu sehen, ob sich hinter ihm eine Lichtquelle oder eine Reflexion befand, die dieses Glühen verursachte.

»Geht es Ihnen gut?«, fragte Arch den Kerl. Er hatte ihn schon einmal getroffen, und zwar, als der Bursche als Sicherheitsmann bei einem Firmenpicknick der Papierfabrik unten am Fluss gearbeitet hatte, wo er die Trinker in Schach hielt. Arch hatte sich mit dem Typen und einer Gruppe von anderen Kerlen über College-Football und über die Chancen der Mannschaft der University of Tennessee in diesem Jahr unterhalten. Die nicht gerade großartig waren.

Der Mann mit dem John-Deere-Basecap antwortete nicht, zumindest nicht mit Worten. Er stieß ein tiefes Knurren aus, ein Geräusch, das nicht annähernd menschlich klang, eher wie ein Hund, der mit einer Katze gekreuzt und dessen Schwanz in einer Schraubzwinge eingeklemmt worden war. Und er schüttelte so heftig den Kopf, dass er sich eigentlich irgendetwas hätte brechen müssen. Doch nichts zerbrach, jedenfalls nicht physisch, stattdessen schien sich das Gesicht des Mannes zu verändern, schien sich aufzulösen, als ob das Fleisch herumschwappen und in Richtung seines Mundes fließen würde, so wie das Wasser aus einer Kloschüssel abfloss. Das Fleisch wurde durch Schatten ersetzt, durch Dunkelheit, durch das Exoskelett eines Käfers, das aus den Schatten der schwärzesten Nacht bestand. Arch blinzelte erst einmal, dann ein zweites Mal. Er klatschte sich mit der Hand ins Gesicht, rieb sich erst das eine Augenlid, dann das andere, ohne dabei beide Augen gleichzeitig zu schließen. Er musste halluzinieren. Nicht wegen einer bewusstseinsverändernden Substanz, denn Arch hatte damit noch nie etwas zu tun haben wollen, aber hey, irgendetwas in der Richtung musste das doch sein, was er da vor sich sah.

»Sie sollten vielleicht lieber einen Schritt zurücktreten«, empfahl der Cowboy, und Arch wollte ihm eine entsprechende Antwort geben, aber ihm fiel nichts Passendes ein. Der Papierfabrik-Typ hatte sich in ein Ding aus Schatten verwandelt, in ein Monster mit glutroten Augen, die aussahen wie das Guckloch in dem alten Ofen, der während Archs Kindheit im Haus seiner Eltern gestanden hatte.

»Was zur…?«, war alles, was Arch noch murmeln konnte, bevor das Ding mit dem John-Deere-Basecap auf den Cowboy losging, schneller als alles, was jemals gekreucht oder gefleucht war. Der Cowboy schien jedoch auf den Angriff gewartet zu haben und wich etwas zurück, dann, als das Monster mit dem John-Deere-Basecap an ihm vorbeiflog, führte er einen plumpen Schlag mit seinem Schwert aus. Ein quietschendes Geräusch war zu hören und etwas, das sich wie ein Klicken anhörte, während sich das Ding für einen weiteren Angriff umdrehte und sich dabei aufrichtete.

Arch überlegte kurz, auf den Cowboy zu schießen, so wie er es angedroht hatte, aber ehrlich gesagt war die Situation so total verfahren, dass das nicht die richtige Reaktion zu sein schien. Offensichtlich war irgendetwas mit dem Papierfabrik-Typen passiert. Er musste auf PCP oder etwas in der Richtung sein. Es gab einfach keine andere Erklärung dafür.

Als ihn das Ding zum zweiten Mal angriff, wich der Cowboy erneut fast taumelnd aus und versuchte, den Papierfabrik-Typen mit seinem Schwert – einem hübschen Einhänder – aufzuhalten, doch obwohl er das Ding damit traf, attackierte es ihn immer wieder und drängte den Cowboy weiter zurück. Der Abstand zwischen den beiden war so groß, dass Arch freies Schussfeld hatte, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, etwas zu treffen, das er eigentlich nicht treffen wollte. Und er musste nicht einmal einen Warnruf abgeben. Denn der Kerl mit dem John-Deere-Basecap hatte sich auf den Cowboy gestürzt, nachdem ein uniformierter Polizist aufgetaucht war, und wenn Arch sich nicht irrte, würden Pfefferspray und ein Taser nicht im Geringsten ausreichen, um die Situation zu klären. Im Moment verteidigte sich der Cowboy gegen den Kerl mit dem John-Deere-Basecap – und war am Verlieren, obwohl er ein Schwert hatte.

Arch feuerte die Glock dreimal ab. Traf den Papierfabrik-Typen zweimal in den Kopf und verpasste ihm als Nachschlag noch eine Kugel in den Körper. Die Kaliber-.40-Pistole bockte in seinen Händen, jedes Mal, wenn er abdrückte, schlug der Plastikgriff gegen seine Handfläche. Die Treffer waren gut; Arch war ein erfahrener Schütze, der mit seiner Waffe weit mehr Zeit auf dem Schießstand verbracht hatte, als es vorgeschrieben war. Er sah, wie jeder einzelne Schuss traf, aber sie schienen nicht viel zu bewirken, da sie das Ding mit dem John-Deere-Basecap kaum ins Wanken brachten. Anstatt umzufallen, wie es der Kerl hätte tun sollen, schien er die Kugeln abzuschütteln, als wären sie nichts, worum man sich ernsthaft Sorgen machen müsste, und stürmte einfach durch sie hindurch wieder auf den Cowboy los.