Slow Dancing In A Burning Room

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7

„Lass uns hier rein gehen“, blieb er dann plötzlich stehen und deutete auf ein paar Stufen die in eine Bar hinunter führten. „Since we have already embarked on a trip down my memory lane... Ich habe Loïc auch schon ewig nicht mehr gesehen.“ „Bist du sicher?“, fragte Linnea trotzdem vorsichtig, „dass du mich wirklich noch einem deiner Bekannten vorstellen möchtest?“ „Loïc hat mich mit vielen meiner Geliebten zusammengebracht“, zuckte Haydn nur wie beiläufig die Schultern und ließ Linnea den Vortritt. „Er wird über deine Anwesenheit nicht mal mit der Wimper zucken.“ Gut, das hatte sie nun auch nicht unbedingt hören wollen. „Außerdem siehst du heute Abend so hübsch aus, das müssen wir auskosten.“ Okay, das wollte sie dann vielleicht doch hören. „Okay“, ließ sie sich also die Treppe hinunter führen.

Durch eine niedrige Tür betraten sie einen verrauchten Raum der nur von Kerzen und gedimmten Lustern erleuchtet wurde. Es gab zahlreiche runde Tische mit kleinen Gestecken die jedoch meist leer waren. Am Kopfende des Raumes war man damit beschäftigt Instrumente auf einer Art Bühne aufzubauen und an der kleinen Bar kühlte man Champagnerflaschen ein. „Loïc!“, hatte Haydn den Besitzer entdeckt, der in ein Gespräch mit einem der wenigen, verstreuten Gäste vertieft war. „Loïc!“ Der Angesprochene sah herüber und machte sich sofort von seinem Gesprächspartner los. Er war mittelgroß und trug einen maßgeschneiderten Anzug mit weißem Hemd und Fliege. Linnea kam sich plötzlich gänzlich underdressed vor.

„Na, wenn das nicht eine Fata Morgana ist“, streckte er Haydn beide Hände hin und die beiden tauschten zwei Küsschen aus. „Was verschafft mir denn die Ehre?“ „Ich hatte wieder einmal das Bedürfnis nach richtig guter Musik.“ Loïc Baly, Barbesitzer, lachte und tätschelte ihm die Hände. „Da bist du hier natürlich genau richtig, mon cher. Die Musiker sind eben eingetroffen.“ Er ließ Haydns Hände los und wandte sich an Linnea, die ein bisschen mit dem Rauch zu kämpfen hatte, der wohl schon seit Jahren in der Luft hing, sich in alle Textilien gefressen hatte und ebenso zum Inventar gehörte wie die Mahagoni-Wandvertäfelung. „Bonsoir, mademoiselle“, lächelte er freundlich, jedoch etwas durchsichtig. „Bienvenue.“ Sie lächelte zurück. „Loïc, darf ich dir Léa vorstellen?“, legte Haydn da seinen Arm um sie und sofort änderte sich der Gesichtsausdruck des Parisers, als wäre ein Name zum Gesicht eine Art Signal. Wie schon bei Haydns Großmutter und Cousin. „Ah oui, mademoiselle Léa. Enchanté.“ Dabei küsste er ihre Hand und Linnea kam nicht umhin, ihn irgendwie drollig zu finden.

„Ju, bring doch bitte eine Flasche Champagner herüber!“, winkte er der jungen Dame an der Bar und führte Haydn und Linnea an einen Tisch an der Bühne. Erst beim Durchgehen fiel ihr auf, das die meisten Tische nicht leer, sondern reserviert waren. Loïc bot Linnea einen Stuhl und sie setzte sich dankend. Ju brachte den Champagner und sie wurde gar nicht gefragt, bevor man ihr ein Glas einschenkte. „Ich dachte schon, du wärst zu berühmt, um noch hierher zu kommen“, stellte Justine Crenn die Flasche ab und küsste Haydn dann ebenfalls, der wieder aufgestanden war. Doch sie küsste ihn dreimal. „Oder zu gut.“ „Mais non“, winkte er lächelnd ab und Linnea spürte sofort das Knistern zwischen ihnen. „Ich werde niemals zu berühmt sein, um gute Musik zu genießen.“ „Aber Haydn, du wirst heute Abend auch spielen“, widersprach Loïc sofort. „Wenn du schon hier bist, wirst auch für deine Brötchen singen müssen.“ „Ich will doch aber gar keine Brötchen“, wehrte Haydn sich allerdings weit weniger vehement, als Linnea es erwartet hätte. „Keine Widerrede!“, hob Loïc den Finger. „Ich werde den Musikern gleich Bescheid geben.“ Damit verschwand er hinter einem schweren Samtvorhang und Haydn zuckte die Schultern und nahm einen Schluck aus seinem Glas, bevor er sich wieder setzte.

Der Raum füllte sich danach sehr bald sehr schnell und es wurde lauter und der Rauch verdichtete sich weiter, sodass Linneas Augen leicht zu brennen begannen. Noch mehr, als Loïc Haydn eine seiner besten Zigarren anbot und die beiden gemeinsam an ihrem Tisch rauchten und sich in einer, ihr unverständlichen, Sprache unterhielten. Ihr Französisch war nie besonders gut gewesen, aber sie hatte sich Mühe gegeben es ein wenig aufzufrischen und war bislang ganz gut damit durchgekommen. Pariserisch war allerdings nicht auf ihrem Lernplan gestanden.

Für den Moment war sie aber auch ganz zufrieden damit, einfach nur ihren Wortlauten zuzuhören. Französisch war tatsächlich eine unglaublich erotische Sprache und die beiden Herren, mit ihren Zigarren und großen Gesten, wirkten fast wie aus einem alten Schwarzweißfilm. Sie wirkten sehr vertraut und trennten sich erst, als Loïc auf die Bühne ging, um die Musiker anzukündigen. Haydn beugte sich zu Linnea und flüsterte: „You’re in for a real treat, baby. Loïc engagiert nur Ausnahmemusiker um hier aufzutreten. – Der Sänger“, deutete er auf einen älteren Herrn, der neben Loïc getreten war und mit stürmischem Applaus begrüßt wurde, „hat mir beigebracht, meine Stimme richtig zu trainieren.“ Linnea nickte und applaudierte dem Schlagzeuger, der sich leicht verbeugte, bevor er sich hinter sein Instrument setzte. „Arnaud hat mir mein erstes Schlagzeug geschenkt“, nickten die beiden sich zu und Haydn lehnte sich wieder zurück.

Er hatte nicht zu viel versprochen. Auch wenn Linnea nicht unbedingt ein Fan der französischen Musik war und nur wenige – und ihrer Meinung nach somit genug – Chansons und Jazznummern kannte, so war einfach das ganze Umfeld einfach stimmig und sie lehnte sich zurück und verschränkte die Hände im Schoß, um einfach nur zuzuhören.

Der Sänger hatte einen gewaltigen Stimmumfang und die Gabe, genau zu wissen, wann er leiser und lauter werden musste, sodass es einem über den Rücken rieselte. Zwischen den Liedern unterhielt er die Gäste mit Anekdoten und kleinen Geschichten die Linnea leider zum größten Teil nicht verstand. Sie lachte dennoch aus Höflichkeit mit allen anderen. Die Band bestand aus Musikern, die laut Haydn alle aus verschiedenen Musikrichtungen zusammengewürfelt worden waren und sich somit perfekt ergänzten, da jeder gelernt hatte einen unabhängigen Rhythmus zu halten. Sie spielten Neues und Altes und das Publikum sang mit und schließlich schob man sogar ein paar Tische an die Wand, eine kleine Tanzfläche zu bilden. Haydn war einer der ersten, und er bot Linnea die Hand. Sie vergaß wie immer einzuwerfen, dass sie ja nicht tanzen konnte und legte ihren Kopf an seine Brust um sich führen zu lassen wie an Silvester vor einer scheinbar endlos langen Zeit. Falsch, sagte sie sich: Sie tanzte gerne. Wahnsinnig gerne. Mit ihm. Er wirbelte sie übers Parkett und sie lachte herzlich und fühlte sich gut. Richtig gut.

„Meine Damen und Herren“, schnippte Felix Dupont leicht im Takt und nahm das Mikrophon aus dem Ständer. „Wir haben heute Abend einen ganz speziellen Gast unter uns. Einen jungen Mann, der die Kunst der Musik hier auf dieser Bühne erlernt hat und seine Gabe und sein Talent nun sehr erfolgreich in die Welt hinaus trägt.“ „Oh je“, stützte Haydn seinen Kopf in die Hand und schenkte Linnea einen gespielt leidenden Blick. „Wir können seine Anwesenheit natürlich nicht einfach so unbeachtet lassen und ich bitte dich“, damit warf er endgültig seinen Blick auf den jungen Kanadier, „zu uns herauf zu kommen und ein paar Nummern mit uns zu spielen.“ Haydn hob den Kopf und verzog das Gesicht. Doch er war kein Mensch der sich bitten ließ, wenn es um eine seiner Leidenschaften ging und er erhob sich langsam und ging zur Bühne. „Mesdames et Messieurs“, reichte Felix ihm die Hand. „Begrüßen Sie sehr herzlich meinen lieben Freund: Haydn Junot.“ Der Beifall war herzlich und einige der Anwesenden schienen den Musiker plötzlich wieder zu erkennen und riefen seinen Namen. Haydn lächelte zurück und der Pianist verließ sein Instrument, um ihm Platz zu machen. Linnea fiel das Kinn in den Schoß, als er scheinbar ohne große Überlegung anfing darauf zu spielen. ‚Dieser kleine gemeine Lügner’, schüttelte sie den Kopf und beobachtete, wie flink seine Finger über die Tasten huschten. Sie hätte ihm nie glauben sollen, dass er nicht Klavier spielen konnte.

Er spielte und sang ein paar Lieder und Linnea hing an seinen Händen und seinen Lippen. In dem Moment erreichte er in ihrem Augen Gottstatus, wenn er ihn nicht sowieso schon längst innegehabt hatte. Seine Stimme war auf Französisch noch so viel weicher und doch rau und jazzig und er wirkte noch viel gelöster, als er es auf großen Bühnen tat. Und an diesem Abend war sie endlich die Frau an seiner Seite, auf die alle neidischen Augenpaare der weiblichen Gäste gerichtet waren und die so tun konnte, als wäre sie seine Muse, seine Partnerin. Eine Rolle in der sie sich viel zu gut gefiel und die sie von sich schütteln musste wie eine lästige Fliege, bevor sie sich daran selbst verletzte. Vielleicht, nur vielleicht, war sie heute Abend – und nur heute Abend – doch ein klein bisschen besonders.

Es war weit nach Mitternacht, als sie schließlich ins Hotel zurückkehrten. Cyrielle saß immer noch in einem der Ohrensessel im Foyer und löste Kreuzworträtsel. Als das Paar herein kam, sah sie auf und lächelte. „Guten Abend, ihr beiden.“ Linnea gähnte und Haydn lachte. „Bonsoir, Mamie.“ „Hattet ihr Spaß?“ „Haydn ist ein Lügner“, räusperte Linnea sich über ihre Schläfrigkeit hinweg und Cyrielle zog die Augenbrauen hoch. „So?“ Aber aus ihrer Stimme konnte Linnea herauslesen, dass sie nicht wirklich darüber verwundert war. „Wir haben Loïc besucht“, setzte Haydn sich seiner Großmutter gegenüber und zog Linnea auf seinen Schoß, die durch den Schock dieser Tat fast wieder munter wurde. „Ah ja“, nickte Cyrielle wissend. „Er hat dir nicht erzählt, dass er tatsächlich singen kann.“ Linnea nickte gähnend und Haydn zwickte ihr in die Nase.

 

„Möchtet ihr noch eine heiße Schokolade?“, legte Cyrielle das Rätsel nun endgültig weg und hievte sich aus dem Stuhl. Haydn warf einen Blick auf die junge Frau, die den Kopf an seine Schulter gelehnt hatte. „Ich denke, wir sollten ins Bett gehen“, lehnte er leise ab und Linnea lächelte schwach und brummte. Er hob sie ohne Schwierigkeiten hoch und trug sie ins Zimmer hinauf. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und schmiegte sich an seine Schulter.

„Danke für heute“, murmelte sie, als ihre Müdigkeit vom Tag sich mit der Müdigkeit vom Sex vermischte. Haydns Hand lag auf ihrer Wange und streichelte sie zärtlich und sie dämmerte langsam ins Traumland hinüber. „Gern geschehen.“ Sie bemühte sich zu lächeln, spürte aber, wie alle Sinne sie langsam verließen. Nicht, dass es ein ungutes Gefühl gewesen wäre, sie fühlte sich zufrieden und entspannt. „Weißt du, woran ich schon den ganzen Abend denken muss?“, flüsterte sie dann unter Aufbringung ihrer letzten Kräfte und suchte seinen Blick. „Nein“, strich er ihre eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie seufzte und ihre Stimme war leise aber fest. „I know I stand in line”, sang sie schwach, „until you think you have the time to spend an evening with me…” Ihre Augen fielen wieder zu. „And if we go someplace to dance I know that there’s a chance you won’t be leaving with me. And then I go and spoil it all by saying something stupid like I love you.“ Sie war sofort eingeschlafen, aber Haydns Hand verweilte noch einen Moment an ihrer Wange. „You never have to stand in line, Léa”, flüsterte er dann. „And it’s not stupid.”


8

„Oh me bloody Christ, this is good shite!”, presste Sebastian in seinem charmantesten Schottisch hervor und lehnte den Kopf zurück. „Absolut frisch“, nahm Haydn ihm den Joint aus der Hand und nahm einen tiefen Zug. „Aus Brasilien“, drehte er sich auf die andere Seite und reichte den Joint weiter. „Happy Birthday, Baby.“ „Mmmhmmm“, beugte Sebastian sich zu ihm und stieß den Rauch in Haydns Mund. „Can’t wait to taste the rest of the stuff.“ Dabei ließ er seine Hand in Haydns Jeans wandern. „It’s not down there“, lachte dieser und schob ihn von sich.

Es war eine dieser fabelhaften Partys die völlig von alleine liefen. Musik wechselte sich automatisch, es gab genügend Drinks und ein sündteures Buffet – nicht, dass irgendjemand tatsächlich am Essen interessiert war. Zumindest nicht bis spät in der Nacht, als jeder stoned genug war, um entweder einzuschlafen, herumzumachen oder ein plötzliches Bedürfnis nach kaltem Büffet zu verspüren. Gäste saßen auf der Couch, dem Bett, dem Boden; es war laut, aber niemand hörte es. Es gab kein direktes Licht, aber jeder sah was er sehen wollte. Koks wurde von einer zerkratzten Platte geschnupft, LSD war über den Boden verstreut, man brauchte nur darauf auszurutschen.

Sebastian hatte ein wenig seiner berühmten Überredungskunst anwenden müssen, um Haydn in Stimmung zu bringen – er mochte vielleicht hin und wieder über seine eigenen Füße stolpern, aber prinzipiell war er wirklich bemüht, clean zu bleiben - aber ein kleines Stückchen Zucker und es war wieder so als wären sie Teenager, ohne Verpflichtungen. Ohne Morgen.

„Okay, okay, okay, ich muss jetzt tanzen!“, sprang Haydn auf und stolperte über seinen Couchtisch. „Oh, oh, easy, honey“, kam Sebastian ihm nach. „You are in no state to dance!“ „The hell I am!“, richtete Haydn sich wieder auf und rieb sich das Knie. Dann durchquerte er den Raum in Richtung Schlafzimmer, wo ein Mädchen mit ihrer Freundin kicherte, mit der er schon den ganzen Abend über unkeuschen Augenkontakt gehabt hatte. „Okay, baby“, schmeichelte er um sie herum, um sie dadurch von ihrer Freundin zu trennen. „Wir können gerne weiterhin so tun, als könnten wir unsere Gedanken nicht lesen. Or we can dance like we’re making love. – Which”, legte er seine Hände an ihre Hüften und dirigierte sie zur Tanzfläche, „we will be doing later.”

Sebastians Blick brannte auf seinem Rücken und er zog das Mädchen noch enger an sich. Er war eifersüchtig und das gefiel ihm. Er legte sich eine kleine Tablette auf die Zunge, zog das namenlose Mädchen an sich und gab ihr einen Kuss der keine Fragen offen ließ. Sie tanzten noch eine Weile, aber der Stoff war viel zu gut und Haydn wusste, dass er sie ins Bett kriegen musste, bevor er seine volle Wirkung entfaltete.

„Oh, oh mein Gott“, sie klammerte sich an ihn und ließ ihn widerstandslos unter ihre Röcke. Sie lehnte an der Tür zu Lafayettes Zimmer und wusste nicht mehr wo ihr der Kopf stand. Es war alles Farben, Gefühle, aber egal wo seine Lippen oder Hände sie berührten sie spürte es nicht, es war, als wäre sie in einer Seifenblase, doch wann immer er diese Blase berührte war es, als würde es kleine elektrische Schläge durch ihren Körper jagen. Sie hatte keine Ahnung von Sex auf Acid.

Sie waren auf dem Teppich vor dem Bett, jede Sekunde war wie ein Minute, jede Minute wie eine Stunde, intensiver als alles Vorstellbare. Er wusste, dass Sebastian im Raum war, bevor er ihn spürte. Das machte Acid mit einem. Das Mädchen auf allen Vieren, trafen sich ihre Lippen in der Dunkelheit des Zimmers, ihre Haut funkte aneinander, jagte Schauer durch seinen Körper. Er packte das Mädchen an den Schultern und zog die enger an sich, Sebastians Mund über seinen Rücken gleitend.

„Oh my, that was… beyond fantastic“, fuhr sich die junge Frau durch die Haare und sank in die Kissen. „Thanks“, zündete Haydn sich eine Zigarette an und legte seinen Arm um sie. Sebastian hatte sich ebenso hinaus geschlichen wie herein und sie schien ihn entweder gar nicht wahrgenommen zu haben oder es war in ihrem Rausch an ihr vorüber gegangen. „Das hört man gern“, erntete Haydn also das ganze Lob für sich selbst. „Ich meine, du warst in meinem Kopf“, tippte sie sich an denselben. „Da oben. In meinem Kopf. Und überall sonst.“ „That happens“, stieß er den Rauch durch die Nase und streichelte ihre Schulter. „Ich hatte noch nie einen so intensiven Orgasmus…“ Er grinste. Aber sie hörte nicht auf zu plappern und auch wenn es eine Ansammlung an Komplimenten über seine Qualitäten im Bett waren, sah er nur eine Möglichkeit sie abzuschalten: Er beugte sich aus dem Bett und nahm das Buch und die kleine Papierrolle. Er zog auf und hielt ihr das Röllchen hin. „Wanna bet I can’t do that again?“


„Wusste ich, dass man auf dein Dach hinaus kann?“, kletterte Bobby hinter den anderen über die schmale Leiter durch eine Dachluke hinaus über die Dächer Torontos. „Oh, honey, there’re too many things you don’t know“, klammerte Ian sich hinter ihm an die Sprossen. Es war nicht nur das Koks das ihn leicht schwindlig machte. „Oh, Gott, ist das wirklich eine gute Idee? Es gibt keine Sicherheitsseile!“ Bobbys Freundin warf einen vorsichtigen Blick nach unten und wich zurück. „Oh God!“ „Oh you minnie!“, breitete Haydn die Arme aus und atmete tief ein. „Genieß die Aussicht.“ „Jesus, it’s like minus 20 degrees here“, balancierte Barclay bibbernd über die Ziegel. „But God, this is so great!“, blieb er stehen und setzte sich dann. „All die Lichter“, lehnte sich Layla an das etwa kniehohe Geländer, das um das Dach herumlief. „Tu es lapidé, chérie!“, nahm Lafayette ihre Hand, um sie wegzuziehen, bevor sie die Balance verlor. „Sind wir das nicht alle?“, zündete Sebastian sich einen Joint an. „Well yeah“, lachte Haydn. „It’s a pretty good turnout down there.” „One of your best partys, I should think, mouse“, nahm Ian Sebastian den Joint aus der Hand. „Anything for you, honey”, fuhr Haydn Sebastian durch die Haare. „Damit es erträglicher ist für dich, dass du jetzt auch schon dreißig bist.“ „Pass auf, oder es passiert ein äußerst unglücklicher Unfall, bei dem du unerklärlicherweise über das Geländer fällst und zu Tode kommst.“ „Wenn sie eine Blutprobe nehmen, ist es nicht mehr unerklärlich.“

Keiner wusste genau wie viel Zeit sie auf dem Dach verbracht hatten, bald spürte keiner mehr die Kälte oder irgendetwas anderes, was das betraf. Sie sangen und redeten Unsinn und irgendwann fanden sie ihren Weg zurück ins Treppenhaus, wo sie eine Zeit lang herumtanzten, bevor sie zu den anderen zurückkehrten, um ein bisschen zu jammern. Hätten sie einen Tape Recorder gehabt, hätte sie am nächsten Morgen feststellen müssen, dass keiner von ihnen wirklich in tune war oder denselben Song sang, aber im Moment störte sie das am allerwenigsten.


9

Agneta schleifte die letzte Kiste mit Weihnachtsdekoration herein und ließ sich erschöpft auf die Couch fallen. „Okay, das war’s. Ich bin jetzt schon so fertig, dass ich sage, wir verschieben das Dekorieren auf morgen.“ „Aber Mamma“, protestierte Linnea und brachte die Limonade herein. „Morgen muss ich den ganzen Tag arbeiten und dann sagst du wieder es ist zu spät. – Hier, trink erst mal was“, stellte sie das Tablett auf den Tisch. „Ich hol die Leiter aus dem Keller.“ „Ist ja gut, ist ja gut“, seufzte Agneta. „Himmel, du bist ja fast noch genau so wie mit vier.“ Linneas Lachen wanderte mit ihr in den Keller, aus dem sie mit der Stehleiter zurückkam. „Tja, ich wohne ja auch bei meiner Mutter.“ „Und ich finde das wunderbar“, zwickte Agneta ihr in die Wange und nahm ächzend die Deckel von den Kisten.

Innerhalb weniger Stunden hatten die beiden Frauen das Wohnzimmer in die Werkstatt des Weihnachtsmanns verwandelt. Da es das erste Mal seit Jahren war, dass Linnea auch im Dezember im Haus war, hatten sie beschlossen all den Kitsch zu verwenden, den sie in den Keller verbannt hatten als Linnea zum Teenager geworden war. Kleine Elfen, goldene Lichter, Räucherkerzen, Schneesterne… „Oh Gott, ich glaube ich bin froh, wenn Weihnachten vorbei ist“, kommentierte Linnea, als sie das fertige Werk betrachtete. „Denk daran, dass wir das alles dann wieder abräumen müssen“, stapelte Agneta die Kisten ineinander und machte Anstalten sie wieder in den Keller zu tragen. „Geh und mach uns eine schöne Kanne Gewürzwein, ja?“, wies sie Linnea noch an und diese nickte. „Mach ich. – Ich werd auch die Musik wechseln, wenn das okay ist.“ „Oh ja, ich bitte darum!“

Linnea stellte sich in die Küche und wiegte sich fröhlich trällernd im Rhythmus der Musik, während sie die Orangen für den Wein schnitt. Agneta war ihr gefolgt und lehnte nun etwas verwundert in der Tür. Das Mädchen liebte Musik, aber es war schon eine ganze Weile her, dass Agneta sie singen gehört hatte. „Linni, Kind“, trat sie neben ihre Tochter und legte ihr die Hand an die Stirn. „Geht es dir gut?“ „Mir geht es gut, Mamma“, lachte Linnea und tauchte die Orangenscheiben in den Wein, den sie in einem Topf aufgesetzt hatte. „Wieso fragst du?“ „Bist du sicher? Du wirkst irgendwie… verliebt…“ Gleich nachdem sie es gesagt hatte, wusste sie, wie dumm diese Aussage gewesen war. Aber Linnea lachte nur wieder und zuckte mit den Schultern. „Es ist herrlicher Winter und es ist warm hier… Und es geht mir einfach nur gut.“ „Was auch immer du sagst, mein Schatz“, gab Agneta ihr einen Kuss auf die Wange. „Es ist schön zu sehen, dass du dich nicht in deinem Zimmer verkriechst und dich selbst bemitleidest.“ „Ach Mamma“, schüttelte Linnea den Kopf. „Ich habe mit Albin meinen Frieden geschlossen. Ich denke in ein paar Monaten können wir vielleicht sogar Freunde sein.“ „Aber du weißt, dass er in ein paar Monaten auch jemand neuen gefunden haben könnte.“ „Dann hoffe ich, dass sie ihn vom Fleck weg heiratet und glücklich macht.“ „Seit wann bist du so erwachsen, Linni?“, lehnte Agneta sich an die Abwasch und musterte die junge Frau, die den Zucker in den Wein rührte. „Ich bin nicht erwachsen, Mamma“, zuckte diese jedoch nur die Schultern. „Aber ich kann auch nicht ewig etwas nachtrauern, von dem ich weiß, dass es nicht richtig gewesen wäre. Für mich und für ihn.“