Eine Alte Dame Ging Hering

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Ein Prosit der Gemütlichkeit

Ich habe keine Ahnung von Schiffen – nach meiner Kenntnis hätte das matt schimmernde babyblaue Metall Platin oder Titan sein können oder von mir aus auch das Zeug, mit dem sie Badewannen beschichten. Hier hatte also jemand die seine von außen beschichten lassen.

Nach dem Weg über die breite Lochgitter-Gangway traten wir jedenfalls auf honigfarbene Mahagoniplanken, die so auf Hochglanz poliert waren, dass man sich unwillkürlich nach den Filzpantoffeln umsah, gegen die man seine Straßentreter tauschen könnte. Die Kabinenaufbauten hätten auch eine schöne Villa über dem Genfer See abgegeben. An den beiden Masten hingen, zusammengerefft bis auf ein dekoratives in der Mitte, nicht mal halb so groß wie die Leinwand des Porzer Autokinos, lachsfarbene Segel aus einem Stoff, der aussah, als könnten wir uns nicht mal ein Hemd daraus leisten.

Obwohl wir ein neues Hemd gut hätten vertragen können. Im Schnellwaschgang hatten wir beide mit Meerwasser und Françoises Shampoo unsere weißen – na ja, fast weißen – Penner’s Radio-T-Shirts mit dem tanzenden Berberpärchen und unsere bleichen Jeans präsentabel gemacht, die Haare gewaschen, die Fingernägel gesäubert, mit Olivenöl unsere Gitarren poliert und unsere Stiefel geputzt, und wenn Manitas de Plata vom Band aus den großzügig verteilten Lautsprechern weiter unser Magenknurren übertönte, konnte man uns glatt für halbwegs zivilisiert und Bérats Gästen zugehörig halten.

Als erstes fielen einem natürlich die für St.Tropez obligaten dünnen blonden Mädels mit den vorwitzigen Brustspitzen, den blendend weißen Zähnen und den goldenen Kettchen um goldbraun gebratene Fußgelenke auf – irgendwo hier an der Küste musste es eine florierende Klitsche geben, wo sie im Akkord vom Fließband purzelten, am Ende vielleicht von lederhäutigen alten Hutzelmännern mit maisgelben Kippen im Mundwinkel und am Hinterkopf festgewachsenen staubigen Baskenmützen hin- und her gedreht und abgetastet, ob sie auch der Norm entsprachen. Was, wenn nicht, fragte ich mich – wurden sie einfach in einen großen Drahtcontainer geschmissen und am nächsten Morgen wieder in die erste Maschine gefüttert? Kamen sie in eine Ausschuss-Sendung und landeten in Algier auf einer Versteigerung? In Düsseldorfer Frisiersalons? In der Parfümerie-Abteilung des Kaufhof? Oder in den neuen Cafés an den Kölner Ringen, wo ein Scheiß-Kaffee mittlerweile zwei Mark und eine halbe Flasche Bier soviel wie zwei Kaffee kostete – was deren Kundschaft überhaupt nichts ausmachte, weil ein Gutteil dieser Mädels ja noch diesen einträglichen Nebenjob hatte?

Dann gab’s da heute noch auffällig viele Jungs in engen Badehosen bis über die Oberschenkel, mit spitzen Hinterteilen und haarlosen Brustkörben, auf denen goldene Kruzifixe, Seesterne oder Anker baumelten, über und über eingeölt bis in die gelockten schwarzen Haarspitzen, alle schlank und höchstens Einssechzig, keiner viel über Zwanzig, alle mit einem schiefen kleinen Waisenjungenlächeln – aus einer italienischen Nachbarfabrik?

***

»’allooo, meinö Freundö!«, kam Bérat strahlend und mit ausgebreiteten Armen auf uns zu, »Fühlt eusch wie zu ’ause! Schön, dass ihr komm’ konntete!« Er umarmte uns beide gleichzeitig, wobei mir nicht entging, dass er Veedelnoh kurz ein Knie zwischen die Schenkel schob. An seinem entfernt nach Russisch Leder duftenden Hinterkopf vorbei guckte ’noh mich an und verdrehte die Augen.

»Bittö, legt doch eure Instrumente ab und bedient eusch erst einmal am Büffet«, führte er uns an sechs bis achtzehn Kabinenfenstern vorbei zu drei Tischen, mit denen ein normaler rheinischer Pfarrsaal schon halb voll gewesen wäre. Mir lief die Spucke im Maul zusammen: Eine Kollektion exotischer Früchte, von denen ich nicht mal die Hälfte beim Namen kannte, Kristallschalen voll schwarzglänzendem Kaviar in silbernen Wannen mit Eiswürfeln, Pyramiden von Wachteln, Shrimps so ausladend wie Kuhhörner, sechzehn Sorten gegrillter Fisch, achtundzwanzig verschiedene Salatkreationen, sämtliche Brotsorten Europas; auf Warmhalteplatten brutzelnde Kalbsmedaillons und Rehrückensteaks, ein Gebirge von Käselaiben, eine Armada von Schinkensorten, ein Arsenal an Dips und Dressings, Cremes und Saucen, Pfeffermühlen in allen Farben der Provençe, und auf dem mittleren Tisch ein Thunfisch so groß wie ein Zwillingskinderwagen, aus den Schnittwunden an seiner Seite dampfend und resigniert mit blinden Augen Manitas’ Sevillanas lauschend.

Bérat schnippte mit den Fingern, und ein Bürschchen in Weiß drückte uns Champagnerkelche in die Finger. Mit einem entzückenden Klingeling stießen wir an. »Maintenant bedient eusch erst einmal und lasst es eusch gutgehn! Nach’ er isch möschtö eusch sseigen mein bateau und ein paar Gästen vorstellen – c’est bon

Klar fanden wir das c’est bon und bestätigten es ihm. ’noh nahm sich einen Teller und das Buffet in Angriff.

»Franzmänner«, knurrte er, »keine Reibekuchen, keine Currywurst, kein Kartoffelsalat.«

»Un’ kein Bier«, ergänzte ich und packte ein paar Shrimps auf einen zweiten Teller. »An un’ für sich is et Blues.«

»Jenau. Gib mir auch mal so’n Tier. Hier – tausche gegen eine Scheibe Was-weiß-ich.« Das aufmerksame weiße Männchen griff in eine Kühltruhe hinter sich und präsentierte uns zwei Flaschen Tuborg, von denen dampfend das Eiswasser tropfte. »Au!« machte ’noh. »Sehr schön, aber lass mal – darauf kommen wir sicher später zurück.«

»Wenn’s gemütlich wird«, erklärte ich ihm, als es anfangen wollte zu weinen. Es lächelte verbindlich. Wie Sie wünschen – der Gast ist König. Aber hinten in seinen braunen Augen schimmerte aufkeimender Argwohn – was mochten diese beiden Typen wohl unter gemütlich verstehen?

***

Na, für den Anfang mal ein paar hundert Meter vor der Hafeneinfahrt von St.Tropez vollgefressen auf einer Luxusyacht neben einem Swimmingpool sitzen, groß genug für ein Wasserballspiel der Oberliga, auf Liegestühlen, die sich anfühlen wie Nasti Kinskis Nachthemden, zur Verdauung einen Cognac schlürfen, der mehr Sterne hat als General Steinhoff, genüsslich eine rauchen und sich Fischbrötchen begucken. Ach, woher ich das mit Nastis Nachthemden weiß? Keine Ahnung – aber so sollten sie sich anfühlen, fand ich.

Und Mokka gab es natürlich, aus goldenen Tässchen, wohl eine Spende von Disney nach dem Dreh von Schneewittchen, andauernd kam eine Tüte mit höchstwertig duftendem Kongo-Gras auf ihrer Runde vorbei, und einmal hielt mir einer ein goldenes Tablett unter die Nase, beladen mit einem Sortiment von bunten Pillchen und weißen Pülverchen – Nastis Papi hätte hier seine helle Freude gehabt.

»Wenn dat Blues is’, Büb, kann mir der Scheiß-Rock’n’Roll gestohlen bleiben«, meinte ’noh nach einem ausgiebigen melodiösen Rülpser. Sofort kam ein weißer Handschuh und füllte ihm seinen Schwenker wieder auf.

»Wenn du nie wieder Rock’n’Roll spielst, werd’ ich Harfenist im Gürzenich*, du Spinner. Du weißt so gut wie ich, dass so ein Leben uns nach ’nem Monat – spätestens – tierisch auf die Nüsse gehen würde. Wir würden uns aus lauter Langeweile ’nen Kasten lauwarmes Küppers* bestellen, einen ’67er Opel Blitz mieten und uns den Berg da drüben rauf und runter fahren lassen.«

»Na wenn schon, dann richtig: runter fahren und rauf schieben. Und ich würd’ mir noch extra einen Bullen mieten, der uns auf halber Strecke anhält und – nein, einen Zöllner. Mit Haschkötern.«

»Klar, und Emerson müsste auch dabei sein und wieder vor lauter Panik einen Drei-Gramm-Klumpen Shit runterschlucken und vier Tage glauben, er sei Sandie Shaw, und barfuß rumlaufen und Message Understood singen –«

»– und nachts nach sechs Flaschen Bier da drauf auf allen Vieren durchs Hoteltreppenhaus kriechen und das Zimmer von der Kellnerin suchen –«

»– die seit zwei Stunden auf seinem Zimmer liegt und ihn verflucht, weil er nicht auftaucht …«

»Stimmt«, kicherte er, »war schon besser als die Nacht, wo wir zwei Idioten mal wieder die Schnauze voll hatten von unserer Gastgeber-WG und morgens um fünf im Bus gelandet sind –«

»– in einer sternenklaren Nacht, mit einem herrlichen Blick über den wunderschönen Talkessel vom selig schlafenden Bern –«

»– bei elf Grad minus –«

»– und wir zwei Arschgeigen drängen uns in einem Schlafsack aneinander –«

»– und versuchen zwischen uns die letzte Flasche Bier aufzutauen –«

»– und wissen genau, hier haben wir ein klassisches Dilemma: Entweder taut das Scheißzeug nich’ auf –«

»– und wir haben nix mehr zu saufen –«

»– oder wir kriegen es getrunken, –«

»– und müssen noch mal zum Pissen raus –«

»– und am nächsten Morgen findet irgend so ’ne Schwyzer Mutti mit ihrem Pudel in seinem selbst gestrickten Jäckchen zwei erfrorene Gestalten –«

»– mit zwei langen, gebogenen Eiszapfen in der Hand!«

Wir gaben uns klatschend Fünf und stießen klirrend unsere Konjäckchen aneinander, »So was hätten wir damals gebraucht!«

»Allerdings. Prost, Alter – schon unseren Spaß gehabt, wa’?«

»Mehr als Schotter jedenfalls – prost, mein Lieber!« Er stand auf, holte sich seine Gitarre, klimperte ein kurzes Intro, und schon waren wir zweistimmig mittendrin in When I think of all the good time I have wasted havin’ good times* … und ließen Stan Getz, der inzwischen Manitas de Plata abgelöst hatte, keine Chance. Prost, Eric, alter Haudegen!

 

***

»Aah, les bons temps! Très bon, meinö Freundö – isch se’e, ihr amüsiert eusch gut? Bravo! Möschtet ihr vielleischt ein’ klein’ Rundgong machön avec moi

Klar, schließlich sind wir höfliche Rheinländer, also hieven wir unseren Hintern aus Nastis Nachthemden und machen vergnügt ein’ klein’ Rundgong, um den Pool herum, über eine messing- und mahagonistarrende Brücke, durch zwei, drei Salons, die auch gut ins Kölner Hotel Excelsior gepasst hätten, werfen neidische Blicke in ein gutes Dutzend Schlafkabinen, in denen Liz Taylors Requisiteur arbeitslos an den Nägeln gekaut hätte; bewundern zwei Badezimmer aus einem Sultanspalast, eine Edelstahlküche, die bei dem Wort Kombüse Rostflecken bekäme, eine Funkerkabine, größer und moderner als die meisten Studios, die wir von innen kannten. Unterwegs pinkle ich in eine mitternachtsblaue Kloschüssel und muss einen mit Schnitzereien verzierten Knopf aus Elfenbein drücken, um zu spülen, und eine Art Tigerzahn drehen, um mir die Hände zu waschen. Auch hier säuselt Stan Getz aus einem hinter Ebenholztäfelung versteckten Lautsprecher, und Astrud Gilberto haucht ihre portugiesischen weichen schjaschjas ins Mikro, dass jede Zeile klingt wie ein unzüchtiges Angebot.

Unser Gastgeber ist spürbar stolz auf sein Bötchen und erklärt wortreich, was wozu an welcher Stelle aus welchem Material aus welchem Land ist.

»Wie viel Richtige im Lotto muss man denn haben für so was?«, frage ich ihn dreist. Er lächelt feinsinnig-verschmitzt und nutzt die Gelegenheit, mich am Ellbogen zu fassen.

»Ach, wissen Sie, mon ami, es ist immer besser, die banque zu ’alten als selbst zu spielön.«

»Und wie kommt man an die Bank? Als junger Monsieur Gérard zum Beispiel, mit einem druckfrischen Abitur in der Tasche?« Da muss er dann doch eine Augenbraue heben.

»Mir scheint, mein Freund, Sie ’aben von Oscar Wilde ge’ört?«

»Es gibt keine indiskreten Fragen. Nur indiskrete Antworten«, protze ich mit meiner Halbbildung. Die Augenbraue kommt wieder runter. Der zarte Griff wandert vom Ellbogen hoch auf meine Schulter. Ein kurzes, beifälliges Drücken.

»Et voilá, exactement. Manschmal man muss sisch vielleischt ein wenisch besser kennenlernen, um die Balance zwischen Diskretion und Indiskretion – eh – zu austarieren?«

»Und woher stammt Ihr vorzügliches Deutsch?«, macht mein Partner Schönwetter.

»Oh, Sie schmeischeln mir, junger Freund,« aber zum Dank kriegst auch du eine kleine Nackenmassage, »man kommt ’erum mit die Jahrö – auch in Deutschland man spielt Lotto, n’est-ce pas

»Tu doch nicht so geheimnisvoll, Gerry – die Jungs könnten doch jeden hier fragen und würden alles erfahren, ehe meine Zigarre kalt ist«, mischte sich eine tiefe Stimme aus einem der Sessel im gelben Salon ein. Ein Bass mit rollenden Rrrs und harten Hs, passend zu dem grün schimmernden Seidenkaftan seines offenkundig orientalischen Besitzers. »Er hatte schon als Achtzehnjähriger ein großes – well, ein besonders großes – Talent: Backgammon«, wandte er sich an uns. »und allein ich habe 1947 schon zwei Tanker an ihn verloren, ehe ich mich auf seine Strategie einstellen konnte, geschweige denn eine eigene finden, haha. Und das einem Araber!« Er deutete eine kurze, spöttische Verbeugung an, »Abdul Fahd Khadamal, sehr erfreut, Gentlemen.«

»Dabei ’attest du so viele Tanker, dass du das nischt einmal bemerkt ’ättest, wenn es nischt am nächsten Tag in der Zeitung gestandön ’ätte. Und dass deine – eh – Zigarre niemals kalt wird, weiß doch auch jeder.« Das kollernde arabische Lachen ließ keinen Zweifel, dass hier nicht nur von Zigarren die Rede war.

»Oh, Gerry, hab’ ich dir den Auftritt verdorben? Das tut mir leid, mon cher.« Er patschte sich mit einer fleischigen Hand voller Goldschmuck auf den Schenkel. »Komm her, auf meinen Schoß, ich möchte mich entschuldigen!« Sein breites Grinsen sagte alles andere als ’Entschuldigung’. Bérat ging zu einer Bar aus einem hellen, rotgemaserten Holz und drückte einen Knopf. Eine Sekunde später erschien ein Paar weißer Handschuhe und machte einen Diener.

»Champagner!« Die Handschuhe verschwanden hinter der Bar und machten sich nützlich. »Ah!«, rief ihr Herrchen, offensichtlich entzückt und erleichtert über die Ablenkung, »meine Kölner Freundö!« Verdutzt guckten ’noh und ich uns erst an, dann um.

Die drei Stufen hinab kam ein Pärchen, dessen Köpfe Meister Eder ein bisschen verunglückt waren – der Ältere hatte so gut wie gar kein Kinn, der Jüngere das eines Nussknackers. Weswegen ich ihn auch gleich erkannte – Kläusjen Merck, mit seinen gerade mal achtzehn Jährchen eben von der A-Jugend in die erste Mannschaft des FC Köln geholt, mit großem EXPRESS-Trara, weil er der Neffe des Präsidenten Anton Merck war; aber seinen Aufstieg hatte er nicht nur seinem Onkel, sondern vor allem seinem tatsächlichen Talent als Stürmer zu verdanken; einer, den man sowohl auf den rechten als auch auf den linken Flügel stellen konnte, was man ja so oft auch nicht hat. Seine Flanken und Ecken sorgten jetzt schon für feuchte Augen auf der Tribüne wie in der Südkurve.

Er trug Bermudas und ein Sweatshirt wie aus Seide, im dunklen, fast braunen Rot seines Vereins, mit dem knallgelben Streifen an der Seite, aber erstaunlicherweise ohne irgendwelche Aufdrucke. Trotz seines Kantenkinns hatte er ein verweichlichtes Mündchen und unstete blaue Augen, aber sein Händedruck war kurz, trocken und sympathisch. Wogegen der andere, der mir als FC-Jugendtrainer Rudi Betziger vorgestellt wurde, gleich versuchte, mir die Knochen zu zerquetschen, damit ich nur ja nicht auf die Idee käme, ein fliehendes Kinn könnte Mangel an männlichem Durchsetzungsvermögen bedeuten. Aber versuchen Sie mal einem Typen, der fünfzehn Jahre lang Autofelgen verprügelt, mit den dicksten Schlagzeugknüppeln, die bei metro-music zu kriegen sind, mit einem Händedruck zu imponieren. Besonders, wenn Sie ein fliehendes Kinn haben. Nach immerhin vierzehn Sekunden gab er auf und steckte die Hand betont unauffällig in die Tasche einer Khakihose mit Tarnmuster. Darüber trug er ein wild gemustertes Hawaiihemd, um den Hals hingen ihm ein kleiner schwarzer Feldstecher, eine dunkelblaue Sonnenbrille und eine Kodak Instamatic. Ich warf unauffällig einen Blick über seine Schulter, aber da hing keine Elefantenbüchse, nicht mal ein Safarihut. Hatte er wohl mitsamt Massai-Träger draußen auf dem Rücksitz seines Jeeps gelassen.

»Ich kenne euch, ihr spielt bei Penner’s Radio«, freute sich Kläusjen, während die weißen Handschuhe mit Schampus umher wuselten und die Erwachsenen umständlich dicke Zigarren in Brand setzten. »Ich hab’ euer Abschiedskonzert im Stollwerck geseh’n.«

»Penner’s Radio?«, schrie Betziger, »Is’ das denn für’n Name?«

»Se Lochts gab’s schon«, versetzte ’noh trocken, »Nackte Füsse auch. Da blieb nicht mehr viel.«

»Komm«, meinte ich, »Vati’s auch nich’ schlecht. Oder Wal aus Satin.«

»Oder Ming Tant?«

»Wallenstein«, mischte Kläusjen sich ein, »Hölderlin. Novalis. Grobschnitt!« Kläusjen war schon okay – für’n Fußballspieler …?

12


Martha

Das von leisen, glockigen Untertönen begleitete Ticken der alten Uhr mit den vier goldenen Rokoko-Tänzerinnen unter der Glaskuppel teilte den Nachmittag in schläfrige kleine Walzer-Rhythmen. Irgendwo draußen in den Gärten hielt ein automatischer Rasensprenger träge gezischte Breaks dagegen – ein Schlagzeuger mit Jazzbesen auf irgendeiner die Welt verlangsamenden Droge. Die Frau hatte ihren Kopf auf den mächtigen Brustkorb ihres Mannes gelegt, ihre blassvioletten Fingernägel kraulten in den grauen Locken herum, ziellos, absichtslos. Seit dreiundzwanzig Jahren verheiratet, dachte sie, und immer noch Sex – ehelichen Sex – zweimal die Woche. An den anderen wollte sie jetzt gar nicht denken, an den hastigen, fast gewalttätigen, der zwar oft beeindruckend explosiver und physisch befriedigender war, aber dafür anderes nicht bieten konnte – den vertrauten Platz, das sanft-gemütliche Ausklingen, den Rokoko-Walzer …

»Ich hab’ gehört, Betziger ist mit Kläusjen in Südfrankreich – zum Sondertraining?«, murmelte sie in den grauen Pelz hinein. Ihr Mann nahm einen Zug von seiner Robusto, in ihrem linken Ohr ein Rasseln und Fauchen, als hätte jemand die Tür eines Hochofens geöffnet.

»Dä Jung macht sisch«, brummte ein Geist in dem Hochofen und ließ offen, welcher jetzt der Junge war. Ja, dachte sie und kicherte in sich hinein, der Junge macht sich ganz schön, mein Lieber, und ein leichtes Vibrieren ging durch ihre Lenden. Letzten Monat hat er sich einmal so gut gemacht, dass ich fast einen Kreislaufkollaps gekriegt hätte. Aber da sieht man mal wieder, dass nichts vollkommen ist im Leben – hinterher hat der’s dann immer recht eilig, unangenehm eilig – schlechtes Gewissen als Liebhaber, Angst vor Entdeckung, schlechtes Gewissen als Leistungssportler … Als der er natürlich auch nicht raucht – kein Duft von diesen edlen Zigarren, die ich am Anfang meiner Ehe so gehasst habe und die jetzt für mich zum Beischlaf gehören wie ein Vorspiel. Und die geheimnislose träge Unterhaltung danach. Auch die Zeichen eines Vertrauens, das sie mit diesen Jüngelchen nie erreichen würde – gar nicht wollte.

»Meinst du das Kläusjen?« Wieder eine Wolke des kubanischen Duftes, der sich so angenehm vermischte mit den Düften, die sie eben gemeinsam erzeugt hatten, und die sie so angenehm in dieser lasziven Stimmung hielten, wie der Nachhall eines schönen Konzerts auf einem Mondscheinspaziergang nach Hause, wenn alle anderen im Taxi weg sind und niemand mehr dazwischen quatscht.

»Beide, Liebschen, beide.« Da kam doch jetzt noch was … »Wobei et im Moment dat Wischtigste is, datt dä Betziger sisch macht. Un dat sieht janz jut aus. Un dann hammer den Holländer im Sack. Dem Kläusjen zeischt der Rudi dabei nur en bissjen von der jroßen Welt.« Und hoffentlich am Sack, mein Guter, auf den freu’ ich mich schon, mit seinem knackigen Hintern und den langen blonden Locken. Was seine Frau wohl von Dreiern hält …?

»Das heißt, du hast gute Nachrichten von ihm.«

»Könnten schleschter sein.« Ah, er wollte seinen Triumph noch auskosten, noch nicht mit ihr teilen. Das hieß aber auch, dass es derzeit keine akuten Probleme gab – von denen würde er ihr jetzt sonst erzählen. Ach, ich hab’s schon gut, dachte sie und streckte sich genüsslich, damit hätte ich nicht gerechnet, als er mir damals den Antrag gemacht hat – ein Vierzigjähriger, der eine siebzehn Jahre Jüngere umwirbt wie ein Pennäler, na ja, nicht ganz, ein ziemlich reicher Pennäler, mit all den täglichen Rosenmeeren, Perlenketten zum Abendessen und Wochenenden an Seebadeorten mit Spielbanken. Sie kicherte wieder in sich hinein. Keine schlechte Überraschung nach diesen beschissenen drei Jahren hinter dem Hauptbahnhof, wo in ihrem Apartment, gleichzeitig ihr Arbeitsplatz, ein großes goldenes Tuch an die Wand gegenüber dem französischen Bett gepinnt war, auf das sie eigenhändig ihr damaliges Lebensmotto gestickt hatte: Geboren werden, das ist das Schwierige – danach geht’s doch bequem bergab. Sie lachte und richtete sich auf; sie war sehr glücklich, dass man sich als junger Mensch so täuschen konnte. Sie nahm ihrem Mann den Stumpen aus dem Mund und küsste ihn.

»Wat denn – noch mal?«

»Ganz ruhig, Lieber, es reicht, glaub’ ich, wenn du mir ein bisschen hilfst … « Sie drehte sich um und griff in ihr Nachtschränkchen.

»Un dat auf meine alten Tage«, brummte er, grinste aber halb freundlich, halb lüstern und umfasste derb eine ihrer Hinterbacken. In ihrem Kopf vermischte sich der Rokoko mit einem alten Jaques Brel-Song, gesungen von Scott Walker: Quick, give us your lips, give us your thighs / Give us your sad and devouring eyes / Cascading tears for every hot beat / Tonight we’ll sleep with the girls from the streets*

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