Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Untergang des Römischen Reiches Deutscher Nation – bei Jürgen Ruszkowski

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Aus der Reihe: gelbe Buchreihe #180
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Kampf gegen das Haus Österreich

Kampf gegen das Haus Österreich

Von einem dritten Buch muss ich noch sprechen, in dem sich eine Tendenz der Zeit ausspricht. Im Jahr 1640, also während des Dreißigjährigen Krieges, erschien es unter dem Titel Dissertatio de ratione status in Impero Romano-Germanico, und als Verfasser nannte sich Hipolythus a Lapide.


Bogislaw Philipp von Chemnitz Bogislaw Philipp Chemnitz, ab 1648 von Chemnitz, (* 9. Mai 1605 in Stettin; † 19. Mai 1678 auf Hof Hallsta.

Unter diesem Namen verbarg sich Bogislav Philipp von Chemnitz, der auf protestantischer Seite Kriegsdienste getan hatte und dann schwedischer Kanzler in Pommern wurde. Er war der Enkel eines berühmten Theologen. Man vermutet, dass die Schrift in Zusammenhang mit einer anderen stehe, die im Jahr 1635 herausgekommen war und ihren Zweck im Titel unverhohlen aussprach: Quaestio odiosa sed notabilis de Remotione Austriacae Domus abs Imperiali dignitate – Peinliche, aber wichtige Untersuchung über die Entfernung des Hauses Osterreich von der Kaiserwürde. Das nämlich, die Niederwerfung des Hauses Österreich, ist der Kern der Abhandlung des Chemnitz, und der Verdacht liegt nahe, dass Schweden ihn angeregt hatte, um sein Schwert durch die Feder zu unterstützen.

Chemnitz behandelt seinen Gegenstand systematisch und gründlich: der Gegner soll nicht nur als hassenswert, er soll als schuldig und strafwürdig hingestellt werden. Die Lehrer der Staatswissenschaft gingen damals von der Theorie des Aristoteles aus, es gäbe drei Formen des Staates: Monarchie, Aristokratie und Demokratie, je nachdem die Staatsgewalt im Besitz eines einzigen, mehrerer oder des ganzen Volkes sei. Allerdings konnte Chemnitz nicht übersehen, dass diese Einteilung auf verschiedene Länder, zum Beispiel auf das Römische Reich, auf Holland, auf die Eidgenossenschaft, sich nicht anwenden ließ; aber er erklärt diese gemischten Formen für unzweckmäßig. Staaten gemischter Form, sagt er, beständen nicht lange oder wären dauernden Unruhen ausgesetzt, denn jeder Teil strebe nach der alleinigen Macht, was Kampf und Zwietracht zur Folge habe. Richtig charakterisierte er damit die eifersüchtigen Machtkämpfe zwischen dem Kaiser und den Ständen oder in Holland zwischen dem Statthalter und den Staaten. Wäre das nicht, meint er, würde die gemischte Regierungsform sogar die allerbeste sein; aber der Mensch sei nun einmal so, dass jeder sich anstelle, als sei es ihm nur um das Gleichgewicht zu tun, während er sich selbst erheben und die andern unterdrücken wolle. Aus diesem Grund nannte er Staaten, in denen die Regierungsgewalt geteilt war, verdorbene Staaten, schaltete sie gewissermaßen aus und erklärte das Römische Reich deutscher Nation für eine Aristokratie. Das gab ihm die Möglichkeit, alle Zustände, Ereignisse und Handlungen im Reich, die den Charakter des Monarchischen hatten, für Übergriffe und widerrechtliche Anmaßungen des Hauses Österreich zu erklären. Wenn gewisse Staatsrechtslehrer, besonders katholische, das Reich als Monarchie angesehen wissen wollten, stellte er ihre Beweisführung als Faselei von Dummköpfen hin, oder er erklärte die Tatsachen, die für sie sprachen, als Überbleibsel alter Zeiten oder für eine Folge hochtönender zeremonieller Wendungen, deren sich die Kanzleien zu bedienen pflegten, die aber nur Schein wären, nichts Wesentliches bedeuteten. Wie konnte denn, fragt er, das Reich, das eine Aristokratie sei, den Schein der Monarchie annehmen? Daran sei die Einführung des Römischen Rechtes schuld. Die Juristen, die aus der unreinen Pfütze, der Mistjauche des Römischen Rechtes geschöpft hätten, wendeten den Unrat auf das Römische Reich deutscher Nation an, um es zur Monarchie zu erheben. Mit Recht lehnte Chemnitz die absolute Monarchie für das Reich ab; aber dass es ebenso wenig eine Aristokratie im aristotelischen Sinn war, diese Einsicht hatte er wohl, er schob sie aber beiseite.

Nach der theoretischen Feststellung konnte er zur Anklage übergehen. Die Habsburger, meinte er, seien diejenige Dynastie, die von Anfang an danach gestrebt hätte, das Amt, das sie im Auftrag der Stände führte, in eine erbliche Macht zu verwandeln, die Schlangenbrut, die zu einer Zeit, als andere Dynasten schon herrschten und mächtig waren, als geringes Geschlecht aus dem Dunkel des Schwarzwaldes hervorgebrochen sei. Sie habe sich dabei der List sowie der Gewalt bedient. Zum Beispiel habe sie die Türkenkriege benutzt, um den Ständen Geld zu entlocken, das sie dann für eigennützige Zwecke gebraucht hätte, ja sie hätte die Türken selbst zum Angriff gereizt, um sich dieses Vorwandes bedienen zu können. Ein anderer Kunstgriff sei die Gründung des Reichshofgerichts gewesen, wodurch sie sich der Gerichtsbarkeit im Reich habe bemächtigen wollen. Als Vorbilder für den Kaiser stellte Chemnitz den Dogen von Venedig und den König von Polen hin und führte eine Stelle aus der Rede eines polnischen Magnaten beim Tode des Königs Sigismund von Polen, eines energischen, herrschsüchtigen Fürsten, an, dass die unter monarchischer Herrschaft gepfiffenen Trauerlieder der Sklaverei sich zu der Regierungsform eines freien Staates nicht schickten und daraus gänzlich zu verbannen seien. Der König von Polen sei nichts als gleichsam der Mund des Königreiches, der Mund aber dürfe sich nicht bewegen und kein Wort sprechen, als was aus dem Herzen des ganzen Körpers, nämlich der polnischen Magnaten, hervorgegangen sei. Diese Art der Machtverteilung, findet Chemnitz, sei dieselbe wie im Römischen Reich deutscher Nation. Es klingt wie Hohn, wenn er sagt, soviel Macht wie der polnische König habe, möge man dem deutschen Kaiser wohl gönnen.

Es versteht sich nach Chemnitz von selbst, dass die Reichsstände, welche im Vollbesitz der Regierungsgewalt sind, den Kaiser absetzen können. Die Absetzung des Hauses Habsburg, das ist es, was er mit seinem Buch bezweckt. Es ist mitten im Krieg geschrieben, ein Kampfmittel, und geht auf die Vernichtung des Gegners aus. Zu erörtern bleibt, ob die Entthronung ebenso ausführbar, wie sie nach Chemnitz rechtlich erlaubt und durch die Umstände geboten ist.


Karl V.

Die Habsburgischen Tyrannen, besonders Karl V. und Ferdinand II., haben es so weit gebracht, dass ihr Geschlecht ohne Anwendung von Gewalt nicht gestürzt werden kann. Deshalb ist es vor allen Dingen nötig, dass die Fürsten fest zusammenhalten. Chemnitz sieht ein, dass die Kaiser aus dem Haus Österreich auch nicht den Schein der Macht, geschweige denn die Macht, über die sie wirklich verfügten, hätten erlangen können, wenn nicht die Kurfürsten sie immer wieder gewählt, und wenn nicht alle Fürsten durch ihre gegenseitigen Zwistigkeiten, vor allem aber durch die Kirchenspaltung, sich selbst geschwächt und den Kaisern Gelegenheit zu Übergriffen gegeben hätten. Deshalb müsse zu allererst Einigkeit unter sämtlichen Fürsten hergestellt werden. Dass man um Religion zu kämpfen vorgebe und teilweise auch glaube, sei wiederum eine List des Hauses Habsburg, das dadurch mächtige katholische Staaten auf seine Seite gezogen habe. In Wahrheit handle es sich nicht um Religion, sondern darum, ob die Reichsstände, die Fürsten, Leibeigene des Kaisers werden sollten oder ob sie ihre edle Hoheit und Freiheit wiedererlangen könnten. Wenn sie nur den Vorwand, als kämpften sie um die Religion, fallen ließen, könnten sie das umso eher, als die Kronen von Frankreich und Schweden bereit wären, sie mit ihren Waffen zu unterstützen. Vereint mit dem alten unauslöschlichen Hass Frankreichs und dem neuen Schwedens könnten die Fürsten das Haus Habsburg mit den Wurzeln ausgraben.

Allerdings entsteht die Frage, wer dann Kaiser werden soll? Der Grund, weshalb die Kurfürsten immer wieder Habsburger wählten, war eben das, was man fürchtete: die Macht dieses Hauses. Da die Kaiser ihre Domänen und das Reichsgut längst verschenkt hatten, verfügten sie als solche über kaum nennenswerte Einkünfte; nur ein mächtiger Reichsstand, meinte man deshalb, könne die Last der Kaiserkrone tragen. Chemnitz weiß einen Vorschlag zu machen, wie es künftig möglich werden solle, bei der Kaiserwahl einzig auf die guten Eigenschaften des zu Erwählenden zu sehen: man entreiße den überwältigten Habsburgern ihre Erblande und versehe daraus den jeweiligen Kaiser mit den Mitteln, seinen Stand zu erhalten. Sollte dies Ziel erreicht werden, musste das Haus Habsburg in der Tat mit den Wurzeln ausgerottet werden.

Wie in allem, was er anführte, hatte Chemnitz ein wenig Recht und viel Unrecht auch in der Frage, ob der Krieg, der geführt wurde, ein Religionskrieg sei oder nicht. In einem Krieg, der, als das Buch erschien, bereits 22 Jahre gedauert hatte, war die gegenseitige Feindschaft tief eingefleischt: jeder hatte ein triefendes Schwert in der Hand und sah durch Blut. Man erkannte nicht mehr klar, um was es ging, man hasste und tötete blindlings den Gegner; aber im ganzen waren sich doch alle, mochte auch die alte Frömmigkeit geschwunden sein, ihres Bekenntnisses bewusst. Immerhin waren die Parteien nicht streng nach dem Glauben geschieden, und wenn es auch hauptsächlich Protestanten waren, die die Gesinnung des Chemnitz teilten, so waren doch auch Katholiken Feinde des Hauses Habsburg oder sahen wenigstens seine Macht mit Sorge und Eifersucht. Im Allgemeinen herrschte nach dem Krieg im ganzen Reich außerhalb der österreichischen Erblande eine ablehnende Stimmung gegen den Kaiser, wenn sie auch nicht zu dem erbitterten Hass gesteigert war, den die Dissertatio des Hipolythus a Lapide zu verbreiten suchte.

 

* * *

Brandenburg

Brandenburg

Ganz in der Atmosphäre des Buches von Chemnitz, hatte er es nun gelesen oder nicht, lebte der junge Graf Georg Friedrich von Waldeck.


Georg Friedrich von Waldeck (* 31. Januar 1620 im Residenzschloss Arolsen; † 19. November 1692 ebenda) war ein deutscher Generalfeldmarschall und holländischer Generalkapitän. Er erhielt 1682 als erstes Familienmitglied des Hauses Waldeck den Fürstentitel.

Seinem Tatendrang genügte sein Ländchen nicht, es wurde ihm eng und dumpf zumute, wenn er sich dort aufhalten und mit den Nöten seines durch den Krieg ausgesogenen, verarmten Gebietes herumschlagen musste. Er hatte in Holland Kriegsdienst getan; das war die hohe Schule für diejenigen jungen Fürsten und Adligen, die einst selbst Armeen anzuführen hofften. Als der junge Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der im Jahr 1640 die Regierung angetreten hatte, ihn in seinen Dienst zu ziehen wünschte, griff er zu. Wie so manches Mal staatsmännisch begabte Männer ihre Kraft im Namen eines Teilhabers ausüben, der den Titel und die Macht hat, und den sie mit ihrem Genie beseelen, ahnte er in Brandenburg die Möglichkeit, Taten zu tun, wie sie ihm vorschwebten. Man kann es merkwürdig finden, dass er Hoffnungen auf einen Staat setzte, der sich im Dreißigjährigen Krieg besonders unkräftig gezeigt hatte und durch Preußen Vasall Polens war, der Pommern mit dem Seehafen Stettin an Schweden hatte abtreten müssen und dessen Bewohner arm und roh waren.


Stettin

Die Umstände waren es, die Brandenburg darauf hinwiesen, protestantische Vormacht zu werden. Pfalz und Sachsen, die die Führung der Protestanten vor dem großen Krieg gehabt hatten, waren zurückgegangen, Pfalz war ein notdürftig zusammengeflicktes Ländchen geworden, das nur eben seine Selbständigkeit behauptete, Sachsen hatte durch seine zum Kaiser hinneigende unentschlossene Politik an Ansehen eingebüßt; so wurden die Blicke der Protestanten auf Hannover und Brandenburg gelenkt. Der junge Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg, ließ sofort merken, dass er die Absicht hatte, die Macht seines Landes zu erhöhen. Der kaiserliche Gesandte Lisola, ein scharfsichtiger Beobachter, sagte von ihm, er sei nicht bedeutenden Geistes, habe aber den Wunsch, als ein großmütiger Fürst dazustehen; auf einen so gearteten Herrn konnte Waldeck Wirkung ausüben zu können hoffen. Sie waren gleichaltrig, es gelang Waldeck bald, des Kurfürsten Gunst, ja seine Neigung zu gewinnen.

Die Anfänge von Friedrich Wilhelms Politik waren ein vollständiger Fehlschlag. Zwei Aufgaben waren es, die er sich gestellt hatte: das rheinische Fürstentum Jülich-Berg und das schlesische Fürstentum Jägerndorf sich anzueignen, auf die er Ansprüche zu haben glaubte. In das Herzogtum Cleve hatten sich beim Aussterben des Cleveschen Hauses der Kurfürst von Brandenburg und der Herzog von Neuburg geteilt, so dass der erstere Cleve, Mark und Ravensberg, der andere Jülich-Berg erhielt; jeder von beiden behielt sich aber im Stillen vor, das Ganze sich anzueignen, wenn sich Gelegenheit böte. Jägerndorf, wozu noch einige andere schlesische Landesteile kamen, war im Besitz des Kaisers, der den brandenburgischen Anspruch nicht anerkannte und nicht im Sinn hatte, auf die ihm besonders wertvolle Provinz zu verzichten; aber die Brandenburger rückten unermüdlich damit auf, wie es die Fürsten zu tun pflegten, um einen einmal erhobenen Anspruch nicht erlöschen zu lassen. So sehr erfüllten diese Pläne namentlich des Kurfürsten Herz, dass er es unternahm, nicht lange nachdem unter unsäglichen Mühen der Westfälische Friede zustande gekommen war, Jülich-Berg mit Waffengewalt dem Herzog von Neuburg zu entreißen. Dieser mit unzureichenden Mitteln und im unglücklichsten Augenblick gewagte Friedensbruch hatte zur Folge, dass Friedrich Wilhelm einen beschämenden Rückzug antreten musste und in den Ruf unbezähmbarer Ländergier geriet.

In Waldecks Augen war die kurfürstliche Politik altfränkisch, unfruchtbar, einseitig; er hatte höhere, umfassendere Ziele. Im Grunde kam es ihm auf Vernichtung des Hauses Habsburg und Erhöhung des Hauses Hohenzollern an. Des Reichsgrafen Gedanken waren auf das Wohl und Wehe des Reiches, die des Kurfürsten nur auf sein eigenes Territorium gerichtet. Wie Chemnitz sah Waldeck im Haus Habsburg den allgemeinen Feind. Die Leidenschaften des großen Krieges brannten noch in ihm, er war überzeugt, dass der Kaiser, wenn er könnte, die Protestanten ganz unterdrücken würde. Grade wie es bei Chemnitz ausgeführt wurde, sah er die Rettung in der Verbindung aller Reichsstände, der protestantischen und der katholischen, gegen das verderbliche Haus Österreich. Die Kombination des großen Krieges, dass die anti-österreichische Partei Schutz bei Frankreich, namentlich aber bei Schweden suchte, war ihm selbstverständlich. Eine möglichst starke Allianz im Reich zustande zu bringen, deren Spitze gegen den Kaiser gerichtet wäre, wenn das auch nicht ausgesprochen werden durfte, das war sein nächstes Bestreben; das Haupt der Allianz sollte der Kurfürst von Brandenburg sein. Der Kurfürst, das war er selbst. Er fühlte die Kraft in sich, Führer im Reich zu werden, an die Stelle des tyrannischen Hauses Österreich zu treten, vielleicht tyrannischer als dieses. Ein jeder, hatte Chemnitz geschrieben, behauptete für das Gleichgewicht der Kräfte zu arbeiten, während er danach trachtete, sich selbst zu erheben und die anderen zu unterdrücken. Das würde sich Waldeck kaum eingestanden haben; in Brandenburg sah er einen entwicklungsfähigen Staat, einen nach Großem strebenden Fürsten, hier konnten gewandte, nervige Hände mit Erfolg das Steuer ergreifen. Es gab freilich viel Arbeit, kleinliche, mühsame Arbeit, bevor das Ziel erreicht werden konnte. Zuerst musste er des Kurfürsten Seele gewinnen und seine bisherigen Räte entweder auf seine Seite bringen oder stürzen, dann die Fürsten und Räte der anderen Staaten zum Abschluss der Allianz bewegen, wobei er darauf achten musste, dass sie die Absicht des Kurfürsten auf eine beherrschende Stellung nicht merkten. Alles das getraute Waldeck sich zu erreichen. Wirklich gelang es ihm, diejenigen Räte, auf die Friedrich Wilhelm bisher gehört hatte, zu überstimmen. Sie waren gut protestantisch; aber sie standen auf dem Boden der alten Reichsverfassung. Ein Staat wie Brandenburg, meinten sie, könne nur in Verbindung mit anderen, mächtigeren sich erhalten, entweder im Bund mit dem Ausland oder mit dem Kaiser, das letztere sei das natürliche, empfehlenswerte. Die einstige Kraft und Herrlichkeit des Reiches komme nicht wieder; aber man könne doch die jetzige Verfassung erhalten. Danach müsse man streben, dass Kaiser und Kurfürsten miteinander das alte Gebäude im Stand hielten. Waldeck hoffte im Gegenteil, der Kaiser werde, obwohl ihm das durch den Westfälischen Frieden und durch die letzte Wahlkapitulation verboten war, Spanien gegen Frankreich unterstützen; denn der Krieg zwischen diesen beiden Mächten dauerte noch fort; das würde Brandenburg einen Vorwand liefern, seinerseits in den Krieg einzutreten, und er fasste bereits ins Auge, dass die Spanischen Niederlande an Frankreich abgetreten würden, wogegen Frankreich das vielbegehrte Jülich-Berg an Brandenburg zu bringen hätte. Das war eine Lockspeise für den Kurfürsten. Über eine solche Politik der Hinterhältigkeit und Zügellosigkeit waren die kurfürstlichen Räte entsetzt; Waldeck ließ sie zetern und die Hände ringen, wenn nur das Ziel erreicht würde. Aber die Verhandlungen mit den Fürsten wegen der Allianz machten nur langsame Fortschritte, wenig wurde erreicht, weil der Argwohn gegen Brandenburgs Ehrgeiz allgemein und schwer zu beschwichtigen war; doch ließ sich Waldeck keine Mühe verdrießen. Da traten Ereignisse ein, die nicht vorauszusehen gewesen waren und die seiner nach Westen gerichteten Politik eine andere Richtung gaben.

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Dominium maris Baltici

Dominium maris Baltici

Ein Weltkrieg wie der dreißigjährige hinterlässt Kriegsmüdigkeit, aber auch Kriegsbereitschaft; denn von den Konflikten, die ihn herbeiführten, werden nur einige, und auch die nicht zur Befriedigung aller gelöst werden. Nicht nur die Besiegten hatten Opfer bringen müssen, auch die Sieger, die ja verschiedene und zum Teil entgegengesetzte Interessen hatten, mussten in manchen Punkten nachgeben und sich auf spätere Gelegenheiten vertrösten lassen. Es gab nach dem Krieg nicht nur eine ausgesogene, erschöpfte Bevölkerung, sondern auch Armeen, die ihre Landesherren nicht entlassen wollten und konnten, und in denen noch die Lust an ihrem Geschäft und die Begierde nach dem Gewinn brannte, den es mit sich bringen konnte. Die Gewinner im Dreißigjährigen Krieg waren Frankreich und Schweden. Frankreich war vorläufig gesättigt, Schweden war trotz seines Ländergewinns am Krieg verarmt.


Gustav Adolf

Schon Gustav Adolf hätte den Krieg ohne französisches Geld nicht führen können; nach seinem Tod hatte die Krone ihre Domänen an die adligen Herren verschenken müssen, die von jeher in Schweden mächtig waren und es vollends im Kriege wurden. Bedrohlich erhob sich die Frage, wie die zurückkehrenden Soldaten ernährt werden sollten.

Mit Gustav Adolf war die schwedisch-protestantische Linie des Hauses Wasa im Mannesstamm ausgestorben. Nachdem seine Tochter Christine abgedankt hatte, bestieg Karl Gustav von Zweibrücken als nächster Verwandter den Thron.


Karl Gustav von der Pfalz-Zweibrücken später als Karl X. Gustav König von Schweden. Geboren am 8.11.1622 in Nyköping, verstorben am 13. Februar 1660.

Während manchmal kleine Reichsfürsten ihre Soldaten, die sie nicht entlassen wollten, aber nicht bezahlen konnten, irgendeiner kriegführenden Macht überließen, erwog Karl Gustav den Ausweg, mit seinem erprobten Heer einen Eroberungskrieg zu beginnen. Der Krieg konnte die Soldaten ernähren, konnte seinem Land die breitere Grundlage schaffen, die ihm fehlte, und befriedigte zugleich die angeborenen Neigungen und Talente des jungen Königs. Karl X. Gustav war unförmlich dick und schwer; aber unternehmend, abenteuerlustig und ein ausgezeichneter Feldherr, reich an Einfällen und jeder Lage gewachsen. Übrigens war er verschlossen, ob außer seinen kriegerischen Interessen etwas in ihm vorging, und was es war, erfuhr man nicht.

Seit Jahrhunderten kämpften Dänemark, Schweden und die deutsche Hanse um das, was man damals das Dominium maris Baltici nannte, die Beherrschung der Ostsee, das heißt um das Recht, mit den angrenzenden Ländern Handel zu treiben und die damit verbundenen Zölle zu erheben; in der neueren Zeit war die Hanse aufgelöst und aus dem Wettbewerb ausgeschaltet.


Wenn Karl X. Gustav sich auf Polen warf, so verfolgte er damit die Politik, die sein großer Vorgänger Gustav Adolf ihm gewiesen hatte. Das agrarische Polen war zwar nicht gewerbetreibend und keine Handelsmacht; aber es besaß einen hervorragenden Handelsplatz in der Stadt Danzig, die Gustav Adolf nicht hatte überwinden können, und in der Provinz Litauen einen Küstenstrich, der ausgenützt werden konnte. Außerdem gab es noch andere, besondere Verhältnisse, die Polen und Schweden zu Feinden machten.

Zu Ende des 16. Jahrhunderts war ein schwedischer Prinz, der die Anwartschaft auf den schwedischen Thron hatte, König von Polen geworden. Da er zum Katholizismus übergetreten war und dem neuen Glauben mit Leidenschaft anhing, so dass er ihn nicht nur in Polen, sondern auch in Schweden verbreiten wollte, wurde er in Schweden nicht zur Regierung zugelassen; vielmehr kam es dort zu strengen Gesetzen gegen das katholische Bekenntnis. Unter Ausschließung des katholischen Wasa, der in Polen regierte, kam die protestantische Linie mit Karl IX. auf den schwedischen Thron, dem im Jahr 1611 sein Sohn Gustav Adolf folgte. Der polnische Vetter, König Sigismund, behauptete sein Recht. Er war ein energischer, ehrgeiziger Fürst, der nach dem Aussterben des Hauses Rurik sein Auge auch auf Russland warf. In dem Krieg zwischen Polen und Schweden, den die polnischen Ansprüche auf Schweden herbeiführten, gelangte zwar Gustav Adolf nicht zum entscheidenden Sieg, doch kam es zu einem Waffenstillstand, der Estland und Livland in seinem Besitz ließ. Russland, wo inzwischen das Haus Romanow den Thron bestiegen hatte, war vom Meer abgedrängt. Der Umstand, dass der Kaiser Polen unterstützt und durch Wallensteins imperialistische Politik sich am Meer festgesetzt hatte, bewog Gustav Adolf in den großen festländischen Krieg sich einzumischen; er wollte verhindern, dass das Meer, welches er als das seinige betrachtete, in die Gewalt einer anderen, noch dazu katholischen Macht geriet.

 

Jetzt eben, in der Mitte des 17. Jahrhunderts, hatten die Moskowiter, wie man die Russen damals nannte, unter dem Zaren Alexei Michailowitsch Polen angegriffen.


Zar Alexei Michailowitsch von Russland, „der Sanftmütigste“ ( russisch Алексей Михайлович Тишайший; * 19. März 1629 in Moskau; † 29. Januar 1676.

Sollten sie den Schweden zuvorkommen? Sollte Schweden nicht vielmehr die bedrängte Lage Polens ausnützen? Ein leiser Geruch von Verwesung ging von Polen aus und lockte die Geier. König Johann Casimir von Polen war der letzte Spross der katholisch-polnischen Wasa, ein schwächlicher, zum Regiment untauglicher Herr, unter dem die Adelsrepublik sich unaufhaltsam auflöste. Es war töricht von einem so hilflosen Herrscher, die Nachfolge Karl Gustavs in Schweden nicht anzuerkennen und ihm dadurch einen Vorwand zum Angriff zu geben; es fehlte zwar auch sonst nicht an Streitpunkten zwischen Polen und Schweden, die sich hätten benützen lassen.


Johann II. Kasimir als König von Polen, Titularkönig von Schweden, Großfürst von Litauen (1609 – 1672)

Schrecken und Unruhe verursachte Karl Gustavs Schilderhebung in ganz Europa. Ohnehin war der Krieg zwischen Frankreich und Spanien noch im Gang, und ein Zusammenstoß zwischen England und Holland drohte. Diese Kriege aber waren wenigstens auf zwei Gegner beschränkt; der im Osten, fürchtete man, würde um sich greifen. Große Aufregung entstand namentlich am Berliner Hof. Als Karl Gustav um Bundesgenossen warb, stimmte der kühne Graf Waldeck sogleich dafür, die Gelegenheit zu ergreifen, bei der viel zu gewinnen sei: ein Krieg an der Seite Schwedens gegen das katholische Polen fügte sich durchaus in die Ziele, die er sich für Brandenburg gesetzt hatte.

Friedrich Wilhelm, dem die Entscheidung zufiel und der die Verantwortung tragen musste, rang mit Begier und Furcht. Siegte Schweden, so konnte er die Unabhängigkeit des Herzogtums Preußen erlangen, das er von Polen zu Lehen trug, ein höchst willkommener Machtzuwachs; war er aber sicher, dass es siegen werde? Die Schweden malten den Zustand Polens so aus, als liege es bereits in den letzten Zügen; aber der preußische Gesandte in Polen war nicht derselben Meinung und warnte. Die Räte waren mit einem so gewagten und treulosen Schritt, wie die Waffenerhebung gegen Polen sein würde, nicht einverstanden, namentlich die Kurfürstin, die Oranierin Luise Henriette, beharrte dabei, dass Friedrich Wilhelm als redlicher Mann dem König von Polen, dem er den Vasalleneid geschworen habe, treu bleiben müsse.


Luise (auch Louise) Henriette von Oranien-Nassau (* in Den Haag; † in Cölln, in zeitgenössischen Dokumenten werden die Daten mit 26. November und 8. Juni noch im Julianischen Kalender angegeben) war Kurfürstin von Brandenburg und die erste Ehefrau des Großen Kurfürsten.

Aber grade das, dass er Vasall des Königs von Polen war, drückte den Kurfürsten, und er hätte sich gern von diesem Verhältnis frei gemacht. Nachdem seine Begehrlichkeit einmal angeregt war, vermochte er auf einen so kostbaren Preis nicht mehr zu verzichten; nur hätte er ihn gern eingestrichen, ohne etwas aufs Spiel zu setzen. Am liebsten hätte er es mit beiden Gegnern gehalten, um sich zuletzt auf die Seite des Gewinners zu schlagen, und soweit es möglich war, führte er das auch durch. Er unterhandelte gleichzeitig mit Schweden und Polen, teils mit beider Vorwissen, teils heimlich und so geschickt, dass der angegriffene Teil es nicht merkte, wenn seine Truppen schon gegen ihn unterwegs waren. Als er von Karl Gustav verlangte, dass die Kriegserklärung gegen Polen nicht eher erlassen werden dürfe, bis er mit seinen Völkern über die Weichsel gegangen wäre, damit er sich unter dem Schutz des friedlichen Verhältnisses mit Polen und unter dem Vorwand des von den großpolnischen Ständen erbetenen Schutzes in den Besitz der begehrten Landschaften setzen könne, fand der König, dass das doch zu weit gehe.

Vom preußischen Hinterpommern aus brach Karl Gustav in Polen ein, während die Russen vom Osten her Litauen überfielen. Der polnische Adel unterwarf sich dem Schwedenkönig kampflos, Johann Casimir floh von Warschau nach Krakau, der alten Krönungsstadt, und von da nach Schlesien; es war ein vollständiger Zusammenbruch, dem, wie man annehmen konnte, die Auflösung Polens folgen würde. Die Küste dachte Schweden für sich zu behalten, kleine Stücke an Brandenburg, vielleicht auch an Russland und Siebenbürgen zu geben. Indessen der Zusammenbruch war zu stürmisch gewesen, um einen dauerhaften Zustand zu gewährleisten. Das streng katholische Land empörte sich gegen den protestantischen Herrscher, und der Adel, wie haltlos und treulos er sich auch benommen hatte, begriff bald, was für einen unvorteilhaften Tausch er gemacht hatte. Das so schnell gewonnene Polen leistete der Besetzung Widerstand und musste nun erst mit Waffengewalt überwunden werden. Man staunte, was für ein gewaltiges Heer das Land aufbrachte, das sich soeben jämmerlich unterworfen hatte: etwa 100.000 Mann standen in Waffen, eine für die damalige Zeit ungeheure Zahl. Sie waren der vereinigten schwedisch-brandenburgischen Armee ungefähr fünffach überlegen, aber an Ordnung, Ausrüstung, Kriegserfahrung ihr nicht entfernt gleich; die brandenburgischen Führer waren zumeist Veteranen des Dreißigjährigen Krieges. Die Polen waren durch Tataren verstärkt, auf beiden Seiten fochten fast nur Reiter; bei den Polen wurden Fußvolk und Artillerie überhaupt ganz vernachlässigt. Die große Schlacht bei Warschau, die sich über drei Tage erstreckte und durch originelle Manövrierung des siegreichen schwedisch-brandenburgischen Heeres merkwürdig war, vermehrte den Ruhm Karl Gustavs und begründete das militärische Ansehen Friedrich Wilhelms; den Krieg beenden konnte sie nicht.

Aus dem halbbarbarischen Polen brachen, wenn es eben unterworfen war, neue kampfbereite Menschenmassen hervor und stellten die errungenen Vorteile wieder in Frage. Der moskowitische Zar machte sich lästig, indem er mit vielen Truppen in Livland eindrang, das tatsächlich, wenn auch nicht förmlich, den Schweden gehörte. So viel nahm sich der Großfürst heraus, dass er dem Kurfürsten von Brandenburg zumutete, ihn als Lehnsherrn anzuerkennen, weil das Herzogtum Preußen eine Dependenz von Litauen sei. Dazu kam, dass sich nun auch der Kaiser entschloss, dem glaubensverwandten Polen zu Hilfe zu kommen: die Aussicht, Schweden in die Nachbarschaft seiner Erblande vordringen zu sehen, erschreckte ihn. Karl Gustav wurde dieses unabsehbaren Kampfes müde, bei dem seine Heldentaten so wenig greifbare Früchte trugen. Ein Angriff des stets eifersüchtigen Dänemarks gab ihm den Anlass, das Festland mit seinen Truppen zu verlassen und sich mit dem gewohnten Schwung auf den treulosen Nachbarn zu stürzen.

Friedrich Wilhelm war nun in misslicher Lage, da er, nachdem Karl Gustav abgezogen war, den polnischen Krieg allein auf dem Hals hatte. Andrerseits bot sich eine neue, viel aussichtsreichere Kombination: wenn er sich mit Polen versöhnte und mit dem Kaiser verbündete, konnte er nicht nur die Unabhängigkeit Preußens erringen, sondern auch Schweden das im Dreißigjährigen Krieg abgetretene Pommern wieder abjagen. Es kam ihm zugute, dass er eine politique volpinesque, wie der holländische Ratspensionär Jan de Witt es nannte, eine Fuchspolitik getrieben und dauernd nach allen Seiten verhandelt hatte, woran er nun anknüpfen konnte. Im Bund mit Polen und dem Kaiser und im Begriff Pommern zu erobern, stand er immer noch in freundschaftlichen Beziehungen zu dem verratenen Bundesgenossen Karl Gustav. Viel zu sehr ineinander verschlungen waren aber die abendländischen Verhältnisse, als dass ein einzelner, noch dazu eine so verhältnismäßig kleine Macht wie der Kurfürst von Brandenburg, umwälzende Absichten so ohne weiteres hätte verwirklichen können. Nicht nur dass der Kaiser, sein eigener Bundesgenosse, keine Lust hatte, dem ehrgeizigen Reichsfürsten zu beträchtlicher Vergrößerung zu helfen und sich folglich für den pommerschen Krieg nur lau einsetzte, Frankreich, das im Jahr 1659 den langen Krieg mit Spanien endlich siegreich beendigt hatte, warf sein Machtwort zugunsten Schwedens in die Waagschale: Es gehörte zur französischen Politik, Schweden in seinen Ansprüchen an das Reich zu unterstützen und ihm seinen im Westfälischen Frieden erworbenen Besitz im Reich zu erhalten. So kam es, dass im Frieden von Oliva, der im Jahr 1660, kurz nach dem vorzeitigen Tod des nordischen Alexander, wie man Karl Gustav zu nennen pflegte, die nordischen Wirren beendete, die alten Verhältnisse im Wesentlichen wiederhergestellt wurden. Polen war gerettet, einzig auf die Oberhoheit über das Herzogtum Preußen musste es verzichten. Friedrich Wilhelm hatte durch sein Schaukeln zwischen den Parteien, das durch kräftige militärische Anstrengungen unterstützt wurde, nicht nur sich von Polen unabhängig gemacht, sondern auch sein Ansehen als kluger Politiker und bedeutender Feldherr sehr vermehrt. Russland musste sich mit einer kleinen Gebietserweiterung begnügen, den Zugang zum Meer, den es erstrebt hatte, erreichte es nicht.