Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski

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Aus der Reihe: gelbe Buchreihe #179
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Drei Freunde

Drei Freunde

Auf dem Konzil zu Basel, das im Jahre 1431 eröffnet wurde, lernten sich drei junge Männer kennen, die zu den hervorragendsten Begabungen ihrer Zeit gehörten und deren ineinander verschlungene Lebensläufe wie in einem Sinnbilde die Geistesströmungen der Zeit darstellen.


Papst Pius II., geborene Enea Silvio Bartolomeo Piccolomini, (geb. 18.10.1405, corsignano [jetzt pienza], republik siena – gest. 14/15.08.1464, ancona, päpstlicher Staat), war vom 19. August 1458 bis zu seinem Tod Oberhaupt der katholischen Kirche und Herrscher des Kirchenstaates.

Einer von ihnen war ein Italiener, Enea Silvio Piccolomini aus Siena, zwei waren Deutsche: Nikolaus Krebs, aus Cues an der Mosel gebürtig, daher gewöhnlich Cusa oder Cusanus genannt, und Gregor von Heimburg, ein Franke aus adligem Geschlecht, das schon im 11. Jahrhundert blühte. Piccolomini hatte von den Talenten dieses jungen Juristen, der, wie es scheint, als Privatmann das Konzil besuchte, einen so starken Eindruck, dass er ihn beschäftigte, wozu er als Mitglied eines Ausschusses Gelegenheit hatte.


Nikolaus von Kues wurde im Jahr 1401 als Nikolaus Krebs (oder auch Cryfftz) in dem Ort Kues an der Mosel geboren und verstarb 1464.

Wenn der Italiener ihn einen der drei gelehrtesten Männer des Konzils nennt, möchte man annehmen, dass er mit dem anderen sich selbst, sicher ist, dass er mit dem dritten Nikolaus von Cusa meinte. Heimburg hatte neben den Rechten die Humaniora studiert, was damals noch eine Ausnahme war, ein stattlicher Wuchs empfahl ihn, man rühmte sein heiteres, offenes Gesicht, frühe Kahlheit ließ seine Stirn noch mächtiger erscheinen. Seine Lebensführung gab nie zu Tadel Anlass, jugendliche Ausschweifungen konnten ihm nicht vorgeworfen werden; Enea Silvio dagegen gab sich unbekümmert den Genüssen des Lebens hin und pochte mit einer gewissen liebenswürdigen Frivolität auf das Recht, die natürlichen Triebe auszuleben. Er verstellte sich nicht und tat das Unerlaubte mit Bildung und Geschmack. Aufgewachsen inmitten der neuen italienischen Richtung, die das Natürliche und Schöne feierte, die kaum ein höheres Ziel kannte, als die lateinische Sprache nach dem Muster der besten altrömischen Schriftsteller zu reinigen und sich anzueignen, die Kenntnis der antiken Welt zu vertiefen und anderen zu vermitteln, war er entzückt, in Basel zwei jungen Männern zu begegnen, die ihm an Bildung und Verstand gleich waren und die in der die Welt bewegenden Frage der kirchlichen Reform eines Sinnes mit ihm waren. Alle drei hingen der vom Konzil zu Konstanz überlieferten Ansicht an, dass der Papst der im Konzil vertretenen Christenheit unterworfen sei, einer Ansicht, die der damalige Papst, Eugen IV., hartnäckig bestritt.


Papst Eugen IV., geborene Gabriele Condulmer (* 1383, † 1447), war vom 3. März 1431 bis zu seinem Tod Oberhaupt der katholischen Kirche und Herrscher des Kirchenstaates. Condulmer war ein Venezianer und ein Neffe von Papst Gregor XII. 1431 wurde er zum Papst gewählt.

Von den drei Freunden war Nikolaus von Cusa die interessanteste Persönlichkeit und der bedeutendste Denker. Dieser merkwürdige Mann, in dem das Denken die stärkste Leidenschaft war, der er nicht widerstehen konnte, hat für Jahrhunderte vorausgedacht. Es gibt kaum einen Philosophen der folgenden Zeit, von dem sich nicht annehmen ließe, er habe von Nikolaus von Cusa Anregung empfangen. In der Schule der ‚Brüder vom gemeinsamen Leben’ erzogen, teilte er ihre freieren Auffassungen und stand er dem Papsttum zunächst kühl, teilweise ablehnend gegenüber. Er verurteilte die Alleinherrschaftsansprüche des Papstes im Verhältnis zum Klerus und zum Staat und die Seelenführung der Kirche, die sich mit Äußerlichkeiten begnügte. Er hätte nicht nur der Bekämpfer der alten Kirche, sondern der Vorkämpfer für einen neuen, freieren Glauben werden können. Seine Gedankengänge führten ihn zu der Einsicht, dass jeder Mensch Gott nur so weit erkennen könne, wie es seinen geistigen Kräften entspreche, und dass deshalb das Gottesbild eines rohen Volkes anders ausfallen müsse als das eines hochentwickelten. Er zog daraus nicht den Schluss, auf den Denker einer späteren Zeit verfielen, dass der Mensch sich Gott mache, dass Gott nur das in den Himmel geworfene Spiegelbild des Menschen sei; denn er ging von Gott als von der sichersten Tatsache aus; aber er folgerte daraus die Hoffnung, dass einst vielleicht alle Völker sich in einer gemeinsamen Religion vereinigen würden, wenn sie begriffen, dass sie alle nur eine mittelbare Kenntnis des Einen, Unerreichbaren hätten, dessen von ihren Vätern ahnungsvoll erschautes Bild sie anbeteten. In seinem Werk De pace seu concordantia fidei lässt er Gottvater, umgeben von Engeln und Seligen, die Herstellung der Glaubenseinheit beschließen und 17 Nationen im Himmel der Vernunft friedlich vereinigen. Würde ein Löwe Gott ein Antlitz geben, sagt er, so würde es wie das eines Löwen ausfallen, bei dem Adler wie das des Adlers. „Wie ein jeder eine Brille auf der Nase hat, also erscheint und ist ihm Gott“ drückte es später volkstümlich Sebastian Franck aus.

Indessen je enger Cusas Denken die Idee Gottes, die absolute Vernunft umkreiste, desto deutlicher wurde ihm die Ohnmacht des menschlichen Denkens in Bezug auf das Übersinnliche. Wohin geriet er, wenn er, wie die Idee es zu erfordern schien, auf jede Vermenschlichung des Göttlichen verzichten wollte? Wenn er sich nicht damit begnügen wollte, dass wir hier, wie Paulus es ausdrückt, in einem dunklen Wort sehen, dort erst von Angesicht zu Angesicht? – Wer ist nach seinem eigentlichen Wesen der, den keine Namen nennen, der mit nichts Irdischem vergleichbar ist? In unermüdlicher Gedankenarbeit blättert er von der Gottesidee alles Irdische ab, um endlich vor dem Abgrund des Nichts zu stehen. Er erlebte, dass, wer den Schleier vom Bilde Gottes reißen will, um ihn in seiner Majestät zu sehen, vom Feuer verzehrt oder in eisige Finsternis geworfen wird, wo der Sterbliche nicht atmen kann. Unter dem Grauen, das ihn befiel, wurde ihm klar, was die Kirche für die Menschheit getan hatte. Sie hatte über den furchtbaren Gottesabgrund, in dem das Endliche sich verzehrt wie ein Tropfen auf glühendem Eisen, die herrliche Vision der Gottesgeschichte gespannt, Symbole, die dem menschlichen Geist fasslich sind, und die eins werden konnten mit der Idee, die sie darstellten. Die Kirche steht schützend zwischen den Menschen und der schauervollen Einöde, zu der der über Gott denkende Verstand führt, sie lehrt den Glauben an Gott und hat ihre Lehre mit Wissenschaft und Kunst und mit unerschütterlichen Geboten befestigt. Cusa fand nicht wie ein späterer großer Deutscher in seinem Herzen einen Weg zu Gott, der unmittelbar an das Herz des alliebenden Vaters führt; den Abgrund zwischen Gott und der Kreatur zu überbrücken, wusste er kein anderes Mittel als engen Anschluss an die Kirche. Sich und die Menschheit glaubte er zu retten, indem er sich aus der Hölle des Denkens wie ein flüchtender Verbrecher an die Säulen der Kirche klammerte. Der Verstand, so sagte er, muss durch den Glauben besiegt werden, und das ist für den hochmütigen Menschen der schwerste Kampf; er muss wie ein Tor und Sklave werden, der auf die Freiheit des Verstandes verzichtet und sich gefangen gibt. „Glauben können ist der größte Sieg, er übertrifft alle geistige Kraft, denn er gehört in das Gebiet des Willens … Die vernünftige Seele kann glauben oder nicht glauben, je nachdem sie will oder nicht will … Wenn der Wille durch einen bestimmten Glauben auf die Vernunft drückt, dass nämlich Gott zu uns durch die Propheten, zuletzt durch seinen Sohn, der uns die Lehre von der Unsterblichkeit geoffenbart, geredet hat, so nimmt die Vernunft keinen Anstand, dem Worte Gottes zu glauben.“ Solche Betrachtungen lassen ahnen, mit welcher Anstrengung sich Cusa den Glauben an Gott, wie die Kirche ihn lehrt, erkämpft hat, und sie machen die Strenge begreiflich, mit der er diesen Glauben von den Menschen forderte. Er war für ihn nicht ein Feuer, das aus einem begnadeten Herzen bricht und das innere Auge erleuchtet, sondern ein Entschluss, den zu erfassen nur strafbarer Hochmut oder strafbare Trägheit hindert.

Es hat etwas Ergreifendes, den leidenschaftlichen Denker sich um die Innigkeit des Gläubigen mühen zu sehn. „Gepriesen seist du, mein Herr und Gott, dass du mich mit der Milch des Gleichnisses nährst und speisest“. „Du wolltest, o Gott, die kindliche Liebe zu dir auf jene menschliche Anschauung von dir gründen“. In solchen Anrufungen Gottes spürt man immer noch mehr den Denker als den kindlich Gläubigen, der er sein wollte; denn im schlichten Glauben, sagt er, sei eine größere Fruchtbarkeit als in dem durch reichliche Verstandesgründe vermittelten. Eine ungeheure Denkkraft und eine ungeheure Willenskraft in einem Menschen zusammenwirkend erstreben als höchstes Ziel kindlichen Glauben. Cusa sah zu klar, um nicht zu wissen, dass sein Glaubenwollen und Bekennen nicht der Glaube war, den zu haben er für richtig hielt; das war die geheime Tragik, die seine Seele verdüsterte. Er selbst hatte sich erlaubt zu denken und erlaubte es sich auch ferner, weil er denken musste, wie er atmete; aber er hatte sich davon überzeugt, dass die höchste Weisheit und die einzige Rettung vor Willkür, Auflösung und Untergang bei der Kirche sei, und zwar bei der monarchisch regierten Kirche.

 

Man muss annehmen, dass die inneren Erlebnisse Cusas, das an Abgründen sich hinwälzende Ringen seiner Gedanken, das sein Leben erfüllte, während des Konzils begann, dessen Verlauf den stolzen Erwartungen seiner Begründer nicht entsprach. Trotz der vorzüglichen Eigenschaften des das Konzil leitenden Kardinals Cesarini brachten es die versammelten Väter nicht zu einmütigen, starken Beschlüssen, wovon die Folge war, dass bei manchen der Konzilsgedanke ins Wanken kam, und dagegen die Ansicht sich festsetzte, dass die Herrschaft eines einzigen fruchtbarer für die Kirche sei als die Herrschaft vieler unverträglicher Prälaten. Nikolaus von Cusa war der erste von den Freunden, der zur Partei des Papstes überging. Der Glaube, die Grundlage des menschlichen Lebens, so schien es ihm nun, dürfte nicht der schwankenden Meinung einer vielköpfigen Versammlung preisgegeben werden. Gewissheit des Glaubens sei wichtigstes Erfordernis, und die gewähre die Überlieferung der Kirche durch die Autorität eines einzigen gehütet. Nur ein einzelner könne ganz eins sein mit dem System, das er vertrete. Die Freiheit, die er sich gewährt hatte, führte ihn zur unbedingten Unterwerfung unter das monarchische Papsttum. Immerhin vergaß Cusa nicht, wie verderbt die Kirche war; gerade weil sie den Menschen gleich Gott sein sollte, musste sie gereinigt, zu früherer Vorbildlichkeit zurückgeführt werden. Die notwendige Reform durchzuführen betrachtete er nun als seine Aufgabe, die er durch Predigt und durch Beispiel mit außerordentlicher Selbstverleugnung zu erfüllen suchte. Er war hart gegen sich, um es mit Recht gegen andere sein zu dürfen. Niemals äußerte sich bei ihm jene Frömmigkeit, die sich von einer liebenden Allmacht getragen fühlt; seine Überzeugung war unerschütterlich, aber ohne Freudigkeit, zuweilen war in seinem Auftreten etwas Verbissenes. Viel Erfolg hatten seine Bemühungen um Reform des Klerus nicht. Aus den Kreisen der Geistlichkeit selbst wagte es einer, ihm eine schriftliche Drohung vor die Tür zu legen; er dürfe ihnen nicht Laster und Ausschreitungen zum Vorwurf machen, die von den Häuptern straflos begangen würden.

Länger als Cusa blieb Piccolomini der Sache des Konzils treu, ja, als sechs Kurfürsten die deutsche Kirche für neutral im Kampf zwischen Papst und Konzil erklärten, trat er dagegen auf, während Gregor von Heimburg den Beschluss billigte.

Der gerade von den Deutschen so leidenschaftlich erstrebten gründlichen, umfassenden Reformation der Kirche wurde die Spitze abgebrochen durch Konkordate mit den einzelnen Nationen und Fürsten, namentlich durch die im Jahre 1438 zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl abgeschlossene sogenannte pragmatische Sanktion, welche seitdem als die Bürgschaft französischer Kirchenfreiheit galt. Obwohl Frankreich nun das Konzil verwarf, ging der Kampf noch mehrere Jahre weiter, und eine Reihe deutscher Fürsten, an der Spitze die geistlichen Kurfürsten, hielten an der Forderung eines unabhängigen Konzils fest.


Friedrich III. (* 1415, † 1493) entstammte der Familie der Habsburger. Durch die Neuberger Teilung von 1379 zwischen Albrecht III. und Leopold III. wurden die gesamten habsburgischen Länder getrennt. Friedrich gehörte der Hauptlinie der habsburgischen Leopoldiner in den innerösterreichischen Herzogtümern an.

Ein neuer Umschwung in den Beziehungen der Freunde fand statt, als Enea Silvio, der als Sekretär des Konzil-Papstes Felix nach Frankfurt kam, diesen Gegenpapst des römischen verließ, um in den Dienst Kaiser Friedrichs III. zu treten, von seinem neuen Herrn nach Rom geschickt für Papst Eugen gewonnen wurde und von nun an ebenso wie Nikolaus von Cusa, wenn auch aus ganz anderer Gesinnung, mit allen Kräften den Kaiser dahin zu beeinflussen suchte, dass er sich wieder in den Gehorsam des Papstes begebe. Der gebildete Humanist konnte, ohne sich Gewalt anzutun, sich in jede Richtung fügen, die für ihn selbst günstig war und im Allgemeinen aussichtsvoll schien. Einzig Gregor von Heimburg änderte seine antipäpstliche, reformatorische Gesinnung nicht, und da er eingesehen hatte, dass auf dem Weg der Neutralität nichts zu erreichen war, benutzte er den Augenblick, da mehrere angesehene deutsche Fürsten mit ungewöhnlicher Energie die Ansprüche des Reiches gegen den Papst zu erheben sich anschickten. Er veröffentlichte, allerdings nicht unter seinem Namen, die Admonitio de injustis usurpationibus paparum Romanorum, eine leidenschaftliche Anklage, in der Sätze von reformatorisch-ketzerischer Wucht überraschend aufblitzen; nicht nur, dass er den Primat des Papstes verwirft, er verwirft Zwang in Glaubenssachen als dem göttlichen Gesetz zuwider, er nimmt und verlangt Beweise aus der Heiligen Schrift.

Da, als der Streit dahin führte, dass der Papst die Erzbischöfe von Trier und Köln absetzte, die Fürsten die Absetzung nicht anerkannten, vielmehr die Berufung eines neuen Konzils forderten, gelang es der päpstlichen Partei, die Einmütigkeit ihrer Gegner durch ein Mittel zu sprengen, das in Deutschland selten versagte, durch Bestechung mit Geld. Zweitausend Goldgulden genügten, um den Kanzler des Erzbischofs von Mainz zu kaufen, 210.000 Dukaten wurden an den Kaiser gewendet. Nachdem dies Geschäft im Jahr 1447 abgeschlossen war, wurde dem sterbenden Papst Eugen im Namen von Kaiser und Reich die Obedienz erklärt, um die er während seiner ganzen Regierungszeit so mühsam gekämpft hatte. Sein Nachfolger, Nikolaus V., machte Nikolaus von Cusa zum Kardinal und verlieh Enea Silvio Piccolomini das Bistum Triest, diejenigen belohnend, die das meiste zur Unterwerfung des empörten Reiches getan hatten.


Gregor von Heimburg (* Anfang des 15. Jahrhunderts) war ein deutscher Jurist, Humanist und Staatsmann. Um 1430 erhielt er den Doktortitel beider Rechtswissenschaften an der Universität Padua.

Gregor von Heimburg hatte sich von keinem Sieger Dank und Lohn verdient, er blieb der schlichte Syndikus des Rates der Stadt Nürnberg, hatte aber als solcher bald neue Gelegenheit, seinen Rittersinn auf weithin sichtbarer Bühne zu betätigen. Bei den Bemühungen, ihren Grundbesitz zu erweitern, stieß die Stadt Nürnberg auf den Widerstand eines fürstlichen Nachbarn, des Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg, der einen bedeutenden Anteil an allen Reichsfragen nahm und sich nach Art vieler Deutschen der damaligen Zeit in den Krieg wie in ein Fest stürzte, wo man sich berauschte und austobte. Er sagte Nürnberg Fehde an, siegte in vielen Schlachten und wollte Frieden nur gegen Zahlung einer unverhältnismäßig großen Summe gewähren. Als der Streit vor das kaiserliche Hofgericht kam, berief er sich auf ein Gesetz der Goldenen Bulle, wonach Fürsten nur von ihresgleichen könnten vorgeladen werden. Die Entrüstung über diese Dreistigkeit befeuerte Heimburg zu einer schneidenden Rede. Hätte dies Gesetz Gültigkeit, sagte er, so wäre die Gerechtigkeit unter uns vernichtet, so wäre nichts mehr da, was man Römisches Reich nennen könnte. „Denn dieses einzige Gesetz ist es, das alle anderen Gesetze aufhebt, das Reich zerstört, die Völker unterdrückt, fast unzählige Tyrannen unserem Nacken aufbürdet. O blindes, unvernünftiges Deutschland, dass du dich weigerst einen Kaiser anzuerkennen und dich tausend Herren unterwirfst! Denn was ist es anders, wenn ein Fürst nicht vorgeladen werden darf, als dass jeder in seinem Land Kaiser ist? Über 600 Jahre waltet über uns das Kaisertum; wenn schon in engere Grenzen eingeschlossen, so haben wir länger die Herrschaft geführt als Griechen und Römer; vielleicht ist nun das Ende unseres Ruhmes da, wie Gott ja keine Macht auf Erden ewig währen lässt. Ich fürchte, ich fürchte, es kommen andere und nehmen uns Land und Leute hinweg, denn es ist bekannt, dass Ungerechtigkeit König- und Kaiserreiche zerstört, von Volk zu Volk übergehen macht. In unseren Händen ist das Reich geschwächt worden und vernichtet. Unsere Nation, zerrissen und zerschlagen, findet zu keiner Stunde Ruhe, überall ertönt Kriegslärm, nirgends ist Sicherheit, jedermann lebt vom Raub … Das ist die Folge unbilliger Gesetze. Das ist es, was die Ungerechtigkeit der Fürsten erzeugt, welche, indem jeder von ihnen als Kaiser sich benimmt, das Kaiserreich zugrunde gerichtet haben.“ Diese Rede, die noch heute, nach fast 500 Jahren, uns trotz der unvermeidlichen lateinischen Rhetorik bewegen kann, bewegte von den anwesenden Fürsten nur drei; den Markgrafen von Baden und die Bischöfe von Regensburg und Eichstätt. Der Kaiser setzte diesem wie jedem Ansturm seine monumentale Stumpfheit entgegen und befreite sich von der unangenehmen Sache durch Aufschub. Nürnberg blieb nichts übrig, als sich der fürstlichen Erpressung zu unterziehen.

* * *

Der Streit um das Bistum Brixen

Der Streit um das Bistum Brixen

Um diese Zeit bereiteten an sich unbedeutende Vorfälle an den Grenzen des Reiches, in Tirol, Ereignisse vor, die die drei Freunde vom Baseler Konzil noch einmal zu grundsätzlichem Kampf zusammen und gegeneinander führen sollten. Im Jahr 1450 starb der Bischof von Brixen, und ein anderer wurde vom Kapitel gewählt. Der Papst, obwohl er die Rechtmäßigkeit der Wahl anerkannte, setzte anstatt dessen den Kardinal Nikolaus von Cusa ein, den er aus bestimmten Gründen für geeigneter hielt, den Platz auszufüllen.


Sigismund von Tirol Si(e)gmund oder Sigismund genannt der Münzreiche, auch Herzog Siegmund von Tirol (* 26. Oktober 1427 in Innsbruck; † 4. März 1496.

Mit eben diesen Gründen hing es wohl zusammen, dass Siegmund, der Herzog von Tirol, die päpstliche Wahl bestritt, indem er sich auf das im Jahr 1439 auf dem Reichstag zu Mainz abgeschlossene Konkordat berief, wonach die Kapitel das Recht hatten, den Bischof zu wählen. Den Hintergrund der Entzweiung bildeten folgende Umstände: um ein zentralisiertes Landesfürstentum zu begründen, wollte der Herzog von Tirol die beiden Bistümer Trient und Brixen, selbständige Staaten in seinem Staat, nach Möglichkeit in den seinigen hineinziehen. Er pflegte zu sagen, für sein Land und für die Bistümer könne Sicherheit nur erlangt werden, wenn die Verwaltung der bischöflichen Temporalien, also der weltlichen Rechte, so eng mit der Verwaltung seines Landes verknüpft wäre, dass dieselbe einheitlich geführt werden könne, nicht durch die Regierung der Bischöfe getrennt würde. Die geistlichen Angelegenheiten möchten immerhin von den Bischöfen verwaltet werden. Im Hinblick auf das Bistum von Trient hatte das Baseler Konzil das Bestreben des Herzogs unterstützt, ohnedies hatten die Bischöfe, die häufig durch die Stadt Trient bedrängt worden waren, die landesfürstliche Oberhoheit des Herzogs bereits weitgehend anerkannt. Um nun zu verhindern, dass der Herzog das Bistum Brixen in derselben Weise an sich ziehe, wünschte der Papst eine verlässliche und unbeugsame Persönlichkeit an der Spitze desselben zu sehen und erlas dazu Nikolaus von Cusa. Zunächst ließen Herzog und Bischof sich die Vermittlung des Erzbischofs von Salzburg gefallen, die festsetzte, dass der Herzog den päpstlichen Bischof anerkennen, und der Bischof versprechen solle, sich gegen den Herzog so zu verhalten wie seine Vorgänger. Schon nach zwei Jahren trübte ein unscheinbarer Vorfall die empfindlichen Beziehungen zwischen den beiden Fürsten. Das hoch über Bruneck gelegene Frauenkloster Sonnenberg befand sich schon lange mit dem Bischof von Brixen im Streit wegen der Gerichtsbarkeit über einige Täler. Als nun die Äbtissin Verena von Stuben mit einem Teil ihrer Untertanen Händel bekam, suchten diese Schutz bei dem Bischof, der auch für sie eintrat und zugleich die oberste vogteiliche und richterliche Gewalt über das Kloster in Anspruch nahm.


Äbtissin Verena von Stuben geboren um 1410, gestorben nach 1472

Nein, sagte Verena von Stuben, diese Gewalt stehe dem Herzog zu und wandte sich hilfesuchend an Siegmund; es versteht sich, dass dieser nicht zögerte, den Schirm zu übernehmen. Dass der Streit sich zuspitzte, war die Folge von Cusas reformatorischem Eifer, mit dem er das überall so heillos gelockerte Klosterleben zur ursprünglichen Strenge zurückführen wollte. Er bedachte nicht, dass im Lauf der Jahrhunderte die Lebensführung überhaupt sich geändert hatte und dass von dieser Entwicklung auch die Klöster berührt werden mussten, in die ja meist Angehörige adliger Häuser eintraten. Die Äbtissin Verena, eine unerschrockene Frau, gab zu, dass das Kloster in geistlichen Dingen dem Bischof unterstehe, versprach auch, sich mit den Nonnen der Reformierung zu unterziehen; aber die Freiheit zu reisen und auch mit Männern über die Angelegenheiten des Klosters sich zu besprechen mochte sie nicht aufgeben und hielt es auch für unmöglich, eine Umwandlung des Lebens, wie Cusa sie verlangte, mit einem Schlag durchzuführen.

 

So suchte sie die Sache hinzuziehen und stützte sich dabei auf ihren Schirmherrn, den Herzog. Auch bei anderen erregte die Strenge des Bischofs Widerwillen; zum Beispiel verbot er den Tanz auf Kirchweihtagen, und dass die Männer in Wehr und Waffen dabei erschienen, wie es üblich war. Dadurch brachte er nicht nur das Volk gegen sich auf, sondern auch gewisse Edle, die das Recht hatten, die Kirchweihtage einzuberufen und zu überwachen. Nachdem der Streit zwischen Bischof und Äbtissin sich durch drei Jahre ergebnislos hingezogen hatte, tat der Bischof die stolze Jetzabel, wie er sie nannte, in den Bann. Auf der Schwelle der Kirche, in der der Bann ausgesprochen war, schleuderten die Geistlichen nach alter Weise die ausgelöschten Kerzen gegen das Kloster hin zum Zeichen der ewigen Verdammnis, in die Gott hingegeben habe Datan und Abiram, die das Erdreich lebendig verschlang. Der Herzog hatte während dieser Begebenheit die Äbtissin abwechselnd unterstützt und preisgegeben, je nachdem das Verhältnis zum Bischof es angemessen erscheinen ließ; denn den offenen Bruch wollten beide womöglich vermeiden.

Wie aber beider Absichten und Auffassungen nun einmal waren, ließ sich derselbe auf die Dauer nicht vermeiden. Der Herzog wollte die weltliche Gewalt im Fürstentum Brixen an sich bringen, der Bischof wollte nicht nur darauf nicht eingehen, sondern war sogar der Meinung, der Herzog, der sich als sein Oberherr gebärdete, sei eigentlich sein Vasall, den seine, Cusas, Vorgänger zum Vogt, das heißt zum Beschirmer des Bistums angenommen hätten. Kaum hatte er die Regierung angetreten, so begann er in den Archiven nach Urkunden zu stöbern, die sein Recht erweisen sollten. Es glückte ihm, wie er behauptete, den urkundlichen Nachweis liefern zu können, dass den Bischöfen von Brixen alle königlichen Rechte, die sogenannten Regalien, von verschiedenen Kaisern verliehen seien, wozu das Recht auf alle Erze und Salze gehörte, die in ihrem Gebiet entdeckt wären oder noch entdeckt werden würden. Von Kaiser Friedrich III. ließ er sich ein Privileg Friedrichs II. bestätigen, das ihm den Besitz aller Silbergruben, Metall- und Salzgänge im Bistum Brixen verbürgte. Da er außerdem Matrei und Steinach, die von einem seiner Vorgänger verpfändet waren, wieder einlösen wollte und Anspruch auf allerlei Rechte und mehrere Schlösser erhob, die dem Bistum früher einmal entzogen worden waren, so würde, wenn es nach ihm gegangen wäre, der Herzog fast ganz Tirol mitsamt seinen Bergschätzen verloren haben. Der Herzog konnte darauf entgegnen, dass die Ausbeutung der Bergwerke immer von den Landesherren von Tirol sei ausgeübt worden, dass Cusas Vorgänger nie etwas dagegen eingewendet, ihn überhaupt als Landesfürsten anerkannt hätten, dass die Bischöfe von Brixen und Trient beide tirolische Landstände wären und damit eine bestimmte Stellung im Land unter dem Landesfürsten einnähmen, seinem Gebiet in bestimmter Weise eingeordnet wären.

Die alten Urkunden, die der Bischof aus dem Staub ausgegraben hatte, waren längst von verwandelten, gegenwärtigen Verhältnissen überwachsen und entwertet und mussten im Anhauch des Tageslichtes zu Asche zerfallen.

Aber kam es denn überhaupt auf Urkunden an? Sie bildeten doch nur, und das wussten wohl beide, die Unterlage für einen Kampf zweier Mächte. Die Räte des Herzogs begründeten seine Stellung folgendermaßen: Das Vogteirecht habe den Herren von Tirol die Oberherrlichkeit über alle zu der Vogtei gehörigen Schlösser, Länder und Güter gegeben, damit Land und Leute, geistliche wie weltliche, im einmütigen Gehorsam des Landesfürsten blieben und für einen Mann stehen möchten. Kraft der Vogtei habe der Landesfürst alle Personen und Untertanen, seien es Prälaten, Grafen, Ritter und Knechte, in seinem Schutz gehabt, wie sie hinwiederum alle im Genuss der Freiheiten des Landes wären. Die Einwohner des Landes, Prälaten, Grafen, Ritter, Knechte, Bürger und Bauern, würden nicht so friedlich nebeneinandersitzen, die Straßen würden nicht so friedlich gehalten werden, wenn ein Prälat oder sonst jemand, der Regalien und Herrschaftsrechte hätte, neben dem obersten Landesfürsten herrschen wollte. Einem jeden Fürsten stehe es zu, im Kreise seiner landesfürstlichen Herrschaft die Obrigkeit also zu handhaben, dass der Gehorsam ungespalten und das Fürstentum unzertrennt bleibe. Es waren die Gründe, die damals und später alle Fürsten anführten, um die in ihrem Gebiet liegenden selbständigen Herrschaften sich einzuverleiben und unterzuordnen; es waren aber auch die Gründe, die mit innerer Notwendigkeit zur Bildung größerer, geschlossener Territorien hindrängten.

Nikolaus von Cusa, dessen großer Geist dem Geist der Menschen auf neuen Bahnen voranging, unternahm es, den Zerfall des alten Reichs aufzuhalten, in dem Staat und Kirche ineinander verflochten waren, ihm Kraft und Glanz wiederzugeben. An zwei Punkten setzte er seine Kraft ein: Reformierung der herabgekommenen Geistlichkeit, damit der Klerus wieder zu Ansehen und Glaube im Volk komme, und Zurückwerfen der weltlichen Regierungen und ihrer Begier nach den weltlichen Besitzungen und Rechten der geistlichen Fürsten. Sicherlich wusste er, dass die weltlichen Regierungen, fürstliche und städtische, bereits tief in die geistliche Festung eingedrungen waren; vielleicht gerade darum stand er mit einer so düsteren Entschlossenheit, einer so tragischen Starrheit auf seinem verlorenen Posten.

Noch rückte er mit seinen angesammelten Urkunden nicht vor, aber er lehnte das listige Ansinnen des Herzogs ab, sein Kanzler zu werden, das dieser mit viel Erfolg bei den Bischöfen von Trient in Anwendung gebracht hatte, und trug sich mit dem Plan abzudanken und das Bistum einem bayrischen Prinzen zuzuwenden, in der Meinung, dass ein mächtiger Prinz aus dem Hause, das dem österreichischen von jeher feind war, dem Herzog wirksameren Widerstand entgegensetzen könne als er. Wie die Gegner sich so, zum Schlage ausholend, gegenüberstanden, kam es soweit, dass der Bischof den Herzog beschuldigte, ihm nach dem Leben getrachtet zu haben, und sich wie ein Verfolgter auf die Felsenburg Andraz zurückzog. Da ein mörderischer Angriff auf einen Bischof als todeswürdiges Verbrechen galt, war die Anklage bedenklich, und der Herzog wies sie entrüstet zurück. War sie ganz aus der Luft gegriffen? War sie die Folge einer durch die gegenseitigen Ränke erzeugten Nervosität oder ein Mittel im Kampfe?

Aufs äußerste gespannt war die Lage, als zwei für sie bedeutungsvolle Ereignisse eintraten, einmal dass im Jahre 1458 Enea Silvio Piccolomini zum Papst gewählt wurde, der als Freund und Bewunderer des Cusaners besonders nachdrücklich mit ihm zusammenwirken würde. Weicher und geschmeidiger als der unbeugsame Freund, gab er diesem bisweilen auch wider die eigene Ansicht nach, wie es ihm denn lieber gewesen wäre, wenn der Zwist zwischen dem Bischof und dem Herzog von Tirol sich gütlich hätte beilegen lassen. Er hatte nämlich als Papst seinen ganzen Ehrgeiz darauf gestellt, die Fürsten des Abendlandes zu einem Kreuzzug gegen die Türken zu vereinen, an dessen Spitze er selbst sich stellen wollte, obwohl er nicht mehr jung und gar nicht gesund war. Zu diesem Zweck berief er eine Fürstenversammlung nach Mantua, auf welcher Herzog Siegmund persönlich erschien, außerdem aber in Bezug auf seinen anhängigen Streitfall durch Gregor von Heimburg vertreten war. Dies war das zweite Ereignis des Jahres 1458, dass Siegmund die Bekanntschaft des furchtlosen Syndikus von Nürnberg machte und in ihm den Mann entdeckte, der juristische Kenntnisse, Klugheit, Redegabe und Hass der päpstlichen Allgewalt für ihn einsetzen konnte. Wie mochte Pius II., so nannte sich der neue Papst, zumute sein, als er den einstigen Freund und Mitstreiter gegen sich in die Schranken treten sah! Der Verlauf des Konvents brachte ihm die trübe Einsicht, dass die Zeit vorüber war, wo päpstlicher Einfluss die Fürsten für ein Unternehmen gewinnen konnte, das ihnen keinen persönlichen Vorteil versprach. Gregor von Heimburg bekämpfte den Türkenkrieg, gerade weil es der Papst war, der ihn führen wollte.