Deutsche Geschichte

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Her­zog Bern­hard zur Lip­pe, ein treu­er An­hän­ger Hein­richs des Lö­wen, wur­de aus ei­nem ge­fürch­te­ten Kriegs­mann, der vor Berau­bung von Klös­tern nicht zu­rück­ge­schreckt war, ein Kreuz­zugs­pre­di­ger und schließ­lich ein Bi­schof. Als Va­ter von fünf Söh­nen und sechs Töch­tern trat er in ein Klos­ter ein nach Über­win­dung des Wi­der­stan­des sei­ner Frau, die ver­mut­lich we­ni­ger ge­sün­digt und mehr ge­lit­ten hat­te als er. Der re­li­gi­öse Schwung war so stark, dass, wenn die Klös­ter ent­ar­te­ten, was im­mer ge­sch­ah, sich neue Or­den bil­de­ten, die sie re­for­mier­ten und mit re­li­gi­ösem Le­ben er­füll­ten. Im zwölf­ten Jahr­hun­dert grün­de­ten Ad­li­ge die vie­len Zis­ter­zi­enser­k­lös­ter, die so Gro­ßes zur Kul­ti­vie­rung des Nor­dens und Os­tens ge­leis­tet ha­ben. Graf Brü­ning von Glei­chen trat in das Klos­ter Vol­ke­ro­de ein, das sei­ne Mut­ter nörd­lich von Mühl­hau­sen in Thü­rin­gen ge­grün­det hat­te, Graf Sieg­fried von Bo­me­ne­burg grün­de­te Klos­ter Ame­lungs­born, ein Ed­ler von Wol­mund­stein, der einen Freund im Tur­nier ver­wun­det hat­te, Klos­ter Wald­sas­sen, Rit­ter Lu­dolf von Wen­den das Klos­ter Rid­dags­hau­sen bei Braun­schweig, Graf Wil­brand von Hal­ler­mund in ei­ner Ein­öde zwi­schen dem Stein­hu­der Meer und der We­ser Klos­ter Loc­cum. Er­klärt auch der wirt­schaft­li­che Nut­zen, den die Zis­ter­zi­enser­k­lös­ter brach­ten, ihre ra­sche Auf­nah­me, so war doch fast in je­dem ein­zel­nen Fall ein re­li­gi­öses Ge­fühl der An­trieb der Stif­tung, Reue über ver­gos­se­nes Blut, Ein­sicht in die Flüch­tig­keit ir­di­scher Gü­ter oder auch nur die Mei­nung, dass ein wir­kungs­vol­ler Akt der Fröm­mig­keit zur Vollen­dung ei­nes christ­li­chen Ed­len ge­hö­re.

Die enge Ver­bin­dung des krie­ge­ri­schen Adels mit der Kir­che wird erst recht ver­ständ­lich, wenn man be­denkt, dass die früh­mit­tel­al­ter­li­che Kir­che einen heid­nischen Cha­rak­ter hat­te. Sie hat­te ihn nicht nur, weil ihre Glie­der zum großen Teil erst kürz­lich be­kehr­te Hei­den wa­ren, nicht nur, weil zahl­rei­che Ele­men­te des Hei­den­glau­bens in die Kir­che auf­ge­nom­men und über­ge­gan­gen wa­ren. Chris­tus kam in eine er­starr­te Welt, die er das Ster­ben lehr­te. Er ist der Gott des To­des, dar­um wa­ren sei­nem Ant­litz von An­fang an Züge tiefs­ter Trau­er ein­ge­gra­ben. Vi­el­leicht er­leb­te in ihm die Mensch­heit zum ers­ten Male be­wusst den Tod. Das jun­ge Ger­ma­nen­volk war noch nicht er­starrt, sein Da­sein voll­zog sich jen­seits von Gut und Böse, zwi­schen sei­nen strö­men­den Kräf­ten des Has­ses und der Lie­be, des Fre­vels und der Reue konn­te die Selbst­sucht nicht zu hem­men­der Schran­ke ge­rin­nen. Der spä­te­re Mensch sieht mit Stau­nen, wie in der mit­tel­al­ter­li­chen Welt ent­setz­li­cher Blut­durst und zar­te Him­mels­sehn­sucht, Hoch­mut und De­mut sich kreu­zen, wie schwers­te Ver­bre­chen durch ein ge­lin­des Pries­ter­wort ge­sühnt wer­den, wie hohe Kir­chen­fürs­ten ihre ir­di­schen Lei­den­schaf­ten aus­to­ben, ohne sich da­durch be­schwert zu füh­len. Blut­ro­te Sün­de wusch eine Trä­ne ab. Die­se jun­ge Welt, in der der Tod nicht schmerz­te, weil sie so voll Le­ben war, dass der Tod nur ein Über­strö­men in neu­es Le­ben be­deu­te­te, er­leb­te das Chris­ten­tum an­ders als die an­ti­ke Welt, die ver­ges­sen hat­te, dass nichts auf­er­ste­hen kann, was nicht zu­vor ge­stor­ben ist. Dement­spre­chend muss­te die Kir­che sich wan­deln.

Das Gu­drun­lied er­zählt, wie nach der blu­ti­gen Schlacht auf dem Wül­pen­san­de die über­le­ben­den Hel­den die To­ten zu be­stat­ten be­schlie­ßen, nicht nur die Freun­de, son­dern auch die Fein­de, da­mit sie nicht den Ra­ben und Wöl­fen zur Spei­se wer­den. Da­mit ih­res tap­fe­ren En­des ewig ge­dacht wer­de, stif­ten sie ein Klos­ter mit ei­nem Ho­spi­tal, zu des­sen Guns­ten die Ver­wand­ten der Ge­fal­le­nen Ga­ben bei­steu­ern. Auch der Ar­men wird ge­dacht: ih­nen soll der Er­lös aus den Pfer­den, Rüs­tun­gen und Ge­wän­dern der Ge­fal­le­nen zu­gu­te kom­men. Eine An­zahl von Pfaf­fen, die dem Klos­ter zu­ge­wie­sen wur­de, soll be­tend und sin­gend die See­len der Er­schla­ge­nen Gott emp­feh­len. Vor der Schlacht hat­ten sie, weil es ih­nen an Schif­fen fehl­te, ei­ner Pil­ger­schar, die auf der In­sel ge­lan­det war, ihre Schif­fe weg­ge­nom­men; die­sem Fre­vel schrie­ben sie den un­glück­li­chen Aus­gang des Tref­fens zu, und da­mit sie beim nächs­ten Ge­fecht bes­se­res Glück hät­ten, be­eil­ten sie sich nun, den Scha­den zu er­set­zen. Dann se­gel­ten sie heim, das Herz er­füllt von Ra­che­ge­dan­ken, un­ge­dul­dig ge­spannt auf neu­es Blut­ver­gie­ßen. So war das Chris­ten­tum der Ed­len: zu­wei­len wur­de ein hä­re­nes Ge­wand über den strah­len­den Har­nisch ge­zo­gen, dann, nach­dem es wie­der im Ge­päck ver­sorgt war, schlug das wil­de heid­nische Herz, ganz eins mit sich, dem nächs­ten Tur­nier, der nächs­ten Feh­de, neu­en Ta­ten und Un­ta­ten ent­ge­gen. Die Kir­che war mit die­sen Söh­nen zu­frie­den, und es ist an­zu­neh­men, dass Gott es auch war.

Die Ottonen

Die Fa­mi­lie der Ar­nul­fin­ger, die rasch in leuch­ten­den Stu­fen zu ih­rem Gip­fel auf­ge­stie­gen war, ver­fiel so­fort nach dem Tode des größ­ten, wenn sie auch noch lan­ge nicht er­losch, als hät­te das weit­hin we­cken­de Licht, das von ihm aus­ging, vom Ho­ri­zon­te sich nicht lö­sen mö­gen und in ei­nem lan­gen Aben­d­ro­te dem Un­ter­gan­ge nach­ge­glüht. Trotz der Tei­lung un­ter die Söh­ne Lud­wigs des From­men er­hielt sich noch das Be­wusst­sein des Zu­sam­men­han­ges der west- und ost­frän­ki­schen Reichs­hälf­ten durch die Dy­nas­tie, wie sie denn auch un­ter Karl dem Di­cken noch ein­mal ver­ei­nigt wur­den. Im­mer­hin, ob­wohl das häu­fi­ge Vor­kom­men ger­ma­ni­scher Na­men im 9. Jahr­hun­dert der west­frän­ki­schen Hälf­te noch ein ger­ma­ni­sches Ge­prä­ge gab, be­wei­sen die Eide, die bei Ge­le­gen­heit der Ver­trä­ge von Ver­dun und Mer­sen über die Tren­nung ge­leis­tet wur­den, dass im west­frän­ki­schen Rei­che Fran­zö­sisch, im ost­frän­ki­schen Deutsch ge­spro­chen wur­de.

Die end­gül­ti­ge Tren­nung der deut­sch­re­den­den Stäm­me vom West­fran­ken­reich wur­de of­fen­bar, als im Jah­re 911 der letz­te ost­frän­ki­sche Kö­nig, Lud­wig das Kind, starb. Die Deut­schen dach­ten nicht dar­an, sich nun wie­der dem west­frän­ki­schen Ka­ro­lin­ger an­zu­schlie­ßen, son­dern ein Teil wähl­te Kon­rad zum Kö­nig, der als Her­zog von Fran­ken und An­ver­wand­ter der ka­ro­lin­gi­schen Fa­mi­lie der ge­eig­ne­te Nach­fol­ger zu sein schi­en. Wäh­rend sei­ner kur­z­en Re­gie­rung be­müh­te sich Kon­rad ver­geb­lich um den An­schluss al­ler Stäm­me; au­ßer in Fran­ken und Schwa­ben wur­de er nir­gends an­er­kannt. Sei­ne edle Ge­sin­nung be­wies er da­durch, dass er ster­bend sei­nem Bru­der Eber­hard emp­fahl, auf die Nach­fol­ge zu ver­zich­ten und die Kro­ne sei­nem bis­he­ri­gen Geg­ner, dem Sach­sen­her­zog Hein­rich, an­zu­bie­ten.

Als mit dem Tode Karls des Gro­ßen der Mit­tel­punkt er­schlaff­te, in dem die Reichs­glie­der zu­sam­men­ge­fasst wa­ren, wur­de das Grund­we­sen der Ger­ma­nen wie­der wirk­sam, de­nen we­ni­ger der Trieb nach Ein­heit im Blu­te liegt als der Drang des ein­zel­nen oder der Grup­pe nach Selbst­stän­dig­keit und Un­ab­hän­gig­keit. Der ro­ma­ni­sche Staat be­tont die Ver­tre­tung des Gan­zen, schafft einen Be­am­ten­ap­pa­rat, der vom Mit­tel­punkt aus­ge­hend die Glie­der von oben nach un­ten er­fasst und be­wegt, wo­durch für die­sen die Mög­lich­keit ent­steht, sich der be­herrsch­ten Tei­le zu be­die­nen, sie mit großer Kraft nach au­ßen zu ver­wen­den, sie aus­zu­beu­ten. Der ger­ma­ni­sche Staat geht von den ein­fa­chen un­te­ren Glie­dern, der Fa­mi­lie, der Sip­pe, der Ge­mein­de aus und be­geg­net all­mäh­lich der von oben­her be­herr­schen­den Ver­tre­tung des Gan­zen. Die Ent­fal­tungs­mög­lich­keit und Frei­heit des In­di­vi­du­ums ist dem Ger­ma­nen un­end­lich wich­tig, und er op­fert da­von nur so viel wie nö­tig ist, da­mit ein Gan­zes über­haupt sich bil­den kann, wäh­rend nach ro­ma­ni­scher Auf­fas­sung der Staat im Be­sitz der All­ge­walt ist und dem ein­zel­nen an Be­fug­nis­sen mög­lichst we­nig über­lässt. Die Vor­tei­le des zen­tra­li­sier­ten Staa­tes sind Straff­heit, Ord­nung, Mög­lich­keit der Machtent­fal­tung nach au­ßen, die des ge­glie­der­ten Staa­tes Man­nig­fal­tig­keit, Reich­tum an ei­gen­ar­ti­gen In­di­vi­dua­li­tä­ten, Fül­le der Na­tur, des schöp­fe­ri­schen Le­bens. Im Hin­blick auf den Be­am­ten­ap­pa­rat kann man den zen­tra­li­sier­ten Staat auch den me­cha­ni­schen nen­nen, wor­auf der häu­fig ge­brauch­te Aus­druck Staats­ma­schi­ne­rie oder Staats­ma­schi­ne hin­weist, wäh­rend der or­ga­ni­sche von in­nen her­aus wächst und sich ver­zweigt. Zu Karls des Gro­ßen Zeit konn­te al­ler­dings von ei­ner Staats­ma­schi­ne im mo­der­nen Sin­ne nicht die Rede sein, so­wohl aus tech­ni­schen wie aus Grün­den der Auf­fas­sung: er ließ den un­ter­wor­fe­nen Stäm­men ihr ei­ge­nes Recht, das er nur stel­len­wei­se aus­bil­de­te, und ver­mied Ein­grif­fe in ihr kul­tu­rel­les Le­ben. Der auf die Sach­sen aus­ge­üb­te Zwang soll­te nur dau­ern, bis die Chris­tia­ni­sie­rung ei­ni­ger­ma­ßen ge­si­chert war. Im­mer­hin zen­tra­li­sier­te er bis zu ei­nem ziem­lich ho­hen Gra­de, in­dem er das gan­ze Reich in Gaue ein­teil­te, Gra­fen als Vor­ste­her der­sel­ben ein­setz­te und die­se durch Kö­nigs­bo­ten be­auf­sich­ti­gen ließ. Als Ge­gen­wir­kung ge­gen die­se dem ger­ma­ni­schen Geist wi­der­stre­ben­de Bin­dung an das Gan­ze bil­de­te sich nach Karls Tode in den ein­zel­nen Tei­len des ost­frän­ki­schen Rei­ches das Stam­mes­her­zog­tum wie­der aus, und zwar mit be­son­de­rer Kraft in den bei­den Län­dern, die auch in an­de­rer Hin­sicht ein­an­der ähn­lich wa­ren, in Sach­sen und Bay­ern. Bei­de Län­der be­durf­ten nach dem Ver­fall der Ka­ro­lin­ger vor­zugs­wei­se ein­hei­mi­scher Füh­rer, weil sie mehr als die an­de­ren den Ein­fäl­len feind­li­cher Völ­ker aus­ge­setzt wa­ren, Sach­sen der Nor­man­nen und Sla­wen, Bay­ern der Ava­ren und Magya­ren. Der Her­zog von Sach­sen, Brun, fiel im Jah­re 880 in der Nord­see ge­gen die Nor­man­nen, Luit­pold, Graf in Bay­ern, im Jah­re 907 ge­gen die Un­garn. Das große ge­mein­sa­me Er­leb­nis von Ge­fahr, Op­fer und Sieg knüpf­te das Volk fest an die­se Fa­mi­li­en. Wie nun die Ger­ma­nen dazu nei­gen, nir­gends ein ab­so­lu­tes Recht auf­kom­men zu las­sen und an­de­rer­seits nicht ab­so­lu­te Recht­lo­sig­keit zu dul­den, so be­stan­den die Frei­en und Ed­len auf dem Recht, den Kö­nig oder Her­zog zu wäh­len, lie­ßen aber in­so­fern den Grund­satz der Erb­lich­keit gel­ten, als sie die Ver­wand­ten der herr­schen­den Dy­nas­tie be­rück­sich­tig­ten, so­lan­ge sol­che vor­han­den wa­ren. So gab in Sach­sen Ver­wandt­schaft mit dem un­ver­ges­se­nen Wi­du­kind ein Recht auf die Füh­rer­schaft, und es ist an­zu­neh­men, dass die Fa­mi­lie der Bru­no­nen oder Lu­dol­fin­ger in ver­wandt­schaft­li­chem Zu­sam­men­hang mit dem al­ten Hel­den ge­stan­den hat. Lu­dolf, von Lud­wig dem Deut­schen zum Gra­fen er­ho­ben, in Kor­vey, Qued­lin­burg, an den Quel­len der Lip­pe be­gü­tert, ver­mähl­te sei­ne Toch­ter Li­ut­gard mit ei­nem Soh­ne Lud­wigs und stell­te da­durch auch eine Ver­wandt­schaft mit den Ka­ro­lin­gern her. Nach­dem Lu­dolfs Sohn Brun im Kamp­fe ge­gen die Nor­man­nen ge­fal­len war, folg­te ihm sein Bru­der Otto, von dem die Über­lie­fe­rung be­rich­tet, dass ihm die Kö­nigs­kro­ne an­ge­bo­ten sei, dass er aber als zu alt dar­auf ver­zich­tet und sei­ne Wäh­ler be­wo­gen habe, sie dem Her­zog der Fran­ken zu über­tra­gen. Sein Sohn Hein­rich mach­te sei­nen Na­men be­rühmt durch glück­li­che Be­kämp­fung der Sla­wen, konn­te aber der Un­garn, die sie her­bei­rie­fen, nicht so­fort Herr wer­den.

 

Schö­ne Ge­stalt, schö­nes Ant­litz, kö­nig­li­che Hal­tung, Fes­tig­keit, Ge­las­sen­heit und ver­mut­lich die küh­le Kind­lich­keit, der gut­mü­ti­ge Hu­mor und die Spiel­freu­de, die dem nie­der­säch­si­schen Men­schen ei­gen sind, mach­ten Hein­rich zum Lieb­ling des Vol­kes und der Sage. Man ver­übel­te es ihm nicht, dass er Ha­t­he­burg, die der ers­te Ge­gen­stand sei­ner Lie­be war, als sie ihm gleich­gül­tig ge­wor­den war, in das Klos­ter zu­rück­schick­te, aus dem er sie ge­holt hat­te, die Gü­ter aber, die sie ihm zu­ge­bracht hat­te, be­hielt. Sei­ne Ehe mit der jun­gen Mat­hil­de, die durch ih­ren Va­ter von Wi­du­kind ab­stamm­te, be­frie­dig­te die An­häng­lich­keit der Sach­sen und mach­te ihn zum Va­ter aus­ge­zeich­ne­ter Söh­ne und Töch­ter. Die Fra­ge der Reichs­ein­heit lös­te er da­durch, dass er die ein­zel­nen Stäm­me in Güte zu ge­win­nen wuss­te; Her­zog Ar­nulf von Bay­ern ver­band er sich in per­sön­li­cher Un­ter­re­dung und in­dem er ihm al­ler­lei Son­der­rech­te, haupt­säch­lich auf kirch­li­chem Ge­bie­te, zu­ge­stand. Es kam Hein­rich al­ler­dings zu­gu­te, dass er von vorn­her­ein im Bun­de mit den Fran­ken war. Auf eine ei­gent­li­che Un­ter­ord­nung der Her­zog­tü­mer un­ter die Kö­nigs­ge­walt ver­zich­te­te er, die wei­te­re Aus­bil­dung der Ver­fas­sung sei­nem Nach­fol­ger über­las­send. Es ge­hört zu dem An­zie­hen­den sei­nes We­sens, dass er sich im Au­gen­blick be­schei­den konn­te, um für die Zu­kunft das Un­mög­li­che mög­lich zu ma­chen. So hielt er es mit den Un­garn, de­nen er jah­re­lang Tri­but zahl­te, um in­zwi­schen ein Heer und pas­sen­de Ver­tei­di­gungs­an­stal­ten aus­zu­bil­den und den Feind mit Si­cher­heit be­sie­gen zu kön­nen. So be­gnüg­te er sich da­mit, einen lo­sen Staa­ten­bund zu schaf­fen und we­nigs­tens das Aus­ein­an­der­fal­len des Rei­ches zu ver­hin­dern, so ver­fuhr er in Be­zug auf Rom und das Im­pe­ri­um. Als er in Fritz­lar zum Kö­nig der Sach­sen und Fran­ken ge­krönt wur­de, und der Erz­bi­schof von Mainz ihn sal­ben und krö­nen woll­te, lehn­te er das ab als sol­cher Ehre nicht wür­dig. Ob er am Ende des Le­bens dar­an dach­te, sich die Kai­ser­kro­ne in Rom zu ho­len, ist un­ge­wiss. Ste­tig, schlicht, frei von Prah­le­rei und Ei­tel­keit, si­cher in der ei­ge­nen Kraft ru­hend, ging er in das lie­be­vol­le Ge­dächt­nis nicht nur der Sach­sen, son­dern des gan­zen deut­schen Vol­kes ein.

Dem vor­be­rei­ten­den, grund­le­gen­den Fürs­ten folg­te sein großer Sohn Otto, der von An­fang an mehr Kö­nigs­be­wusst­sein und hö­he­re Zie­le hat­te. Hein­rich blieb im­mer in ers­ter Li­nie Her­zog der Sach­sen, wenn er auch als ein pflicht­treu­er Mann die Auf­ga­ben, die das Schick­sal ihm zu­wies, er­füll­te; Otto fühl­te sich als Nach­fol­ger Karls des Gro­ßen. Wo sein Va­ter als Ers­ter un­ter Glei­chen auf­trat, war er Herr­scher, ohne dass ihm doch das schö­ne Gleich­ge­wicht der See­le, das je­nen aus­zeich­ne­te, ge­fehlt hät­te. Von al­len Sei­ten be­feh­det, von Ver­rat um­ge­ben, konn­te er wohl hef­tig zür­nen und stra­fen; aber er blieb im Her­zen ge­las­sen und frei. Wenn er auf ein­sa­men We­gen un­ter den Ei­chen sei­ner Wäl­der sich mit der Vo­gel­jagd be­lus­tig­te, sang er selbst­ver­ges­sen lieb­li­che Lie­der vor sich hin. Groß­mü­tig, gar nicht miss­trau­isch konn­te er den­sel­ben Fein­den, die ihn im­mer wie­der ver­rie­ten, im­mer wie­der ver­zei­hen.

Ob­gleich zur­zeit Ot­tos die Zahl der frei­en Leu­te noch be­trächt­lich war, so hat­ten sich in­fol­ge der Le­hens­ver­fas­sung doch die Va­sal­len schon zu sehr zwi­schen Kö­nig und Volk ge­scho­ben, als dass er sich dar­auf hät­te stüt­zen kön­nen. Um ein Ge­gen­ge­wicht ge­gen das Un­ab­hän­gig­keitss­tre­ben der Stäm­me zu schaf­fen, be­dien­te er sich sei­ner Ver­wand­ten und der Bi­schö­fe. Da er in der Ver­wandt­schaft sei­ne ärgs­ten Fein­de hat­te, er­wies sich die erst­ge­nann­te Waf­fe als zwei­schnei­dig. Sehr wert­voll war ihm sein jüngs­ter Bru­der Brun, ein aus­ge­zeich­ne­ter Cha­rak­ter, sich selbst streng be­herr­schend und ge­recht ge­gen an­de­re, den er zum Erz­bi­schof von Köln und Her­zog von Loth­rin­gen mach­te. Bruns zu­gleich wis­sen­schaft­li­che und staats­män­ni­sche Be­ga­bung mach­ten ihn für die­se Dop­pel­stel­lung ge­eig­net. Hein­rich da­ge­gen woll­te selbst Kö­nig wer­den und mach­te sich zum Mit­tel­punkt al­ler Feind­se­lig­kei­ten ge­gen sei­nen Bru­der. Schweig­sam, ver­schlos­sen, rän­ke­süch­tig, da­bei maß­los hef­tig und rach­süch­tig er­scheint sein Cha­rak­ter durch­aus nicht an­zie­hend, aber eine Per­sön­lich­keit muss er doch ge­we­sen sein; weil er sei­nem blon­den Va­ter glich, be­vor­zug­te ihn die Mut­ter, über­haupt mach­te ihn sei­ne Schön­heit bei den Frau­en be­liebt. Nach­dem er sich end­gül­tig un­ter­wor­fen hat­te, er­hielt er das Her­zog­tum Bay­ern und er­wies sich seit­dem als zu­ver­läs­si­ge Stüt­ze des Kö­nigs. Durch sei­ne Hei­rat mit Ju­dith, der Toch­ter des ver­stor­be­nen Her­zogs Ar­nulf, nahm er an dem An­se­hen der ein­hei­mi­schen Dy­nas­tie teil. Sei­nen Schwie­ger­sohn Kon­rad mach­te Otto zum Her­zog von Loth­rin­gen, sei­nen Sohn Lu­dolf zum Her­zog von Schwa­ben, nach­dem er ihn mit der Toch­ter des letz­ten Schwa­ben­her­zogs Her­mann ver­hei­ra­tet hat­te; bei­de fie­len von ihm ab. In den Stäm­men war ein so star­ker Wi­der­stand ge­gen die kö­nig­li­che Ober­herr­schaft, dass die Stam­mes­häup­ter wie durch eine Na­tur­kraft da­von er­grif­fen wur­den; die Zeit­ge­nos­sen we­nigs­tens ha­ben den un­glück­li­chen Lu­dolf, be­vor er Her­zog wur­de, der Un­treue und Wi­der­setz­lich­keit nicht fä­hig ge­hal­ten, und Kon­rad hat durch den Ei­fer, mit dem er, um sein Ver­ge­hen gutz­u­ma­chen, sich am Kamp­fe ge­gen die Un­garn be­tei­lig­te, be­wie­sen, dass er nicht un­edel dach­te.

Eine ganz an­de­re Grund­la­ge be­stimm­te die Stel­lung der Bi­schö­fe. Als Glie­der der Kir­che ver­tra­ten sie von vorn­her­ein die Idee der Reichs­ein­heit, die in Rom ih­ren Mit­tel­punkt hat­te. Sie wa­ren be­reit, sich der Ho­heit des Kö­nigs, nicht aber den Her­zö­gen un­ter­zu­ord­nen. Der Erz­bi­schof von Mainz be­son­ders, des­sen Di­öze­se sich durch das gan­ze Reich er­streck­te, fühl­te sich dem Rei­che ver­bun­den. Alle Erz­bi­schö­fe er­hiel­ten die Erin­ne­rung an das Ka­ro­lin­ger­reich, wo Papst und Kai­ser ge­mein­sam, Karl der Gro­ße fast al­lein, Kir­che und Reich re­giert hat­ten, und Otto pfleg­te die­se Über­lie­fe­rung. Wäh­rend Hein­rich, sein Va­ter, die Kai­ser­krö­nung ab­ge­lehnt hat­te, ließ er sich in Aa­chen, nach­dem er von den Her­zo­gen und Gro­ßen in ei­nem mit dem Müns­ter ver­bun­de­nen Säu­len­gan­ge auf den Thron ge­ho­ben wor­den war, im In­ne­ren der Kir­che von den Erz­bi­schö­fen von Mainz und Köln nach der al­ten Ord­nung mit dem Schwert um­gür­ten und dem Man­tel be­klei­den, sal­ben und krö­nen. Von den Her­zo­gen, die bei der nach­her statt­fin­den­den Ta­fel die her­kömm­li­chen Äm­ter als Mund­schenk, Truch­seß, Mar­schall und Käm­me­rer aus­üb­ten, fie­len drei bald nach­her von ihm ab. Von den Bi­schö­fen wur­de nur ei­ner spä­ter sein Geg­ner, der Erz­bi­schof Fried­rich von Mainz, der die von Otto an­ge­bahn­te Ver­bin­dung des geist­li­chen Amts mit welt­li­chen Ge­schäf­ten miss­bil­lig­te.

Die Her­an­zie­hung der Bi­schö­fe zu den Reichs­ge­schäf­ten be­wirk­te Otto da­durch, dass er ih­nen Graf­schafts­rech­te ver­lieh und durch Er­tei­lung von Im­mu­ni­tä­ten Bi­schö­fe und Äbte von den kö­nig­li­chen Ge­rich­ten un­ab­hän­gig mach­te. Er lei­te­te die­se fol­gen­rei­che Um­wand­lung der Ver­fas­sung be­hut­sam ein, sei­ne Söh­ne setz­ten sie un­be­denk­li­cher fort. Bald ka­men gan­ze Graf­schaf­ten an die Bi­schö­fe, die da­durch zu welt­li­chen Fürs­ten wur­den. Der Ge­winn für den Kö­nig war un­über­seh­bar: er konn­te nun auf die An­häng­lich­keit ei­ner An­zahl großer Her­ren rech­nen, die ihn nicht nur durch ih­ren Rat und Ein­fluss, son­dern auch durch das Auf­ge­bot ih­rer Mann­schaft un­ter­stütz­ten. Al­ler­dings wur­de die kirch­li­che Tä­tig­keit der Bi­schö­fe durch den neu­en Auf­ga­ben­kreis, der ih­nen er­wuchs, we­sent­lich ein­ge­schränkt. Pre­digt und Ar­men­pfle­ge, ur­sprüng­lich eine hei­li­ge Pf­licht ih­res Am­tes, muss­ten den Pfar­rern über­las­sen wer­den, die Bi­schö­fe, die die Kö­ni­ge auf ih­ren Rei­sen und Heer­zü­gen be­glei­te­ten, wa­ren nicht sel­ten jah­re­lang von ih­ren Di­öze­sen ab­we­send. In­des­sen die­se dem ho­hen Adel ent­stam­men­den Män­ner wa­ren mit der Ver­welt­li­chung mehr als ein­ver­stan­den. Nur aus­nahms­wei­se war ei­ner von der Wich­tig­keit der geist­li­chen Sei­te sei­nes Am­tes so durch­drun­gen, dass er die Ver­flech­tung in welt­li­che Ge­schäf­te als un­ge­hö­rig und be­läs­ti­gend emp­fand.

Otto I. hat­te wie Karl der Gro­ße die Gabe nie er­mü­den­der Tä­tig­keit. Er be­durf­te nicht viel Schlafs, und da er im Schla­fe sprach, mein­te man, dass er selbst schla­fend wa­che. Die Nie­der­wer­fung der Auf­stän­de in den Her­zog­tü­mern, die Be­kämp­fung der Sla­wen und Un­garn nah­men die ers­ten Jahr­zehn­te sei­ner Re­gie­rung in An­spruch, dann konn­te er end­lich den Blick auf Ita­li­en rich­ten. Ge­gen den Papst, der den Ka­ro­lin­ger Ar­nulf krön­te, hat­te sich der rö­mi­sche Stadt­a­del er­ho­ben; jetzt tra­ten Um­stän­de ein, die an die­je­ni­gen er­in­nern, wel­che einst Pi­pin und Karl mit Rom ver­knüpf­ten.

Von zwei Sei­ten wur­de die Grün­dung ei­nes ita­lie­ni­schen Kö­nig­rei­ches er­strebt: von den lan­go­bar­di­schen Teil­fürs­ten, die sich un­ter den letz­ten Ka­ro­lin­gern un­ab­hän­gig ge­macht hat­ten, und von dem rö­mi­schen Stadt­a­del, den Or­si­ni, Fran­gi­pa­ni, den Cres­zen­ti­ern. Stolz auf ihre Ab­kunft, stolz auf ihre schick­sals­vol­le Stadt, er­ho­ben sie den An­spruch auf Herr­schaft, und das Mit­tel, durch das sie ihn zu ver­wirk­li­chen hoff­ten, war das Papst­tum. Da sie es nicht ver­nich­ten konn­ten, dach­ten sie es zu be­nüt­zen und setz­ten Päps­te ein, die Werk­zeu­ge ih­res Wil­lens wa­ren. Da­mals war es Ok­ta­vi­an, der noch ju­gend­li­che Sohn des be­rühm­ten Al­be­rich, der groß­ar­ti­ge rö­misch-na­tio­na­le Plä­ne kühn ver­tre­ten hat­te. Für die­se Rö­mer war der Papst nicht der Nach­fol­ger und Stell­ver­tre­ter Chris­ti, son­dern der Herr Roms und da­mit der Herr Ita­li­ens. Man möch­te sich aus­ma­len, wel­che Fol­gen es ge­habt hät­te, wenn sie die rö­mi­sche Kir­che sä­ku­la­ri­siert und von dem welt­lich ge­wor­de­nen Kir­chen­staat aus Ita­li­en er­obert und ge­ei­nigt hät­ten. Al­lein die Wirk­lich­keit wi­der­sprach die­sem Plan durch­aus, mach­te ihn zu ei­nem Aben­teu­er. Der Papst­ge­dan­ke als Ge­dan­ke des christ­li­chen Wel­trei­ches war viel zu mäch­tig, als dass ir­gend­ein an­de­rer ihn hät­te über­win­den kön­nen, ge­schwei­ge denn der Ge­dan­ke Ita­li­ens als ei­nes selbst­stän­di­gen, na­tio­na­len Lan­des. Mehr tat­säch­li­che Macht und Ein­fluss als die rö­mi­schen Adels­fa­mi­li­en hat­te Kö­nig Be­ren­gar; um sich ge­gen ihn hal­ten zu kön­nen, muss­te Jo­hann XII., so nann­te sich Ok­ta­vi­an, eine kriegs­ge­wal­ti­ge Hil­fe su­chen und wähl­te dazu den Kö­nig des ost­frän­ki­schen Rei­ches. Für Otto war die­ser Ruf des Paps­tes der Wink sei­nes Got­tes, der ihm die rech­te Stun­de an­zeig­te. Er konn­te ein­grei­fen, er konn­te, in­dem er die von Be­ren­gar ver­folg­te Bur­gun­de­rin Adel­heid, die Wit­we ei­nes Prä­ten­den­ten auf die ita­lie­ni­sche Kö­nigs­kro­ne, hei­ra­te­te, sei­nen An­sprü­chen auf Ita­li­en einen neu­en hin­zu­fü­gen. Den we­sent­li­chen An­spruch gab ihm, dass er sich als Nach­fol­ger Karls des Gro­ßen be­trach­te­te. Weit ent­fernt, dass die Sach­sen ih­ren ehe­ma­li­gen Feind und Be­sie­ger ge­hasst hät­ten, er war ihr Vor­bild ge­wor­den, der Quell ih­rer Macht und ih­rer Rech­te, und nicht nur den Sach­sen, son­dern eben­so den Frie­sen, den Loth­rin­gern, den Bay­ern. Alle woll­ten von Karl ab­stam­men, ihre Rech­te, ihr Da­sein von ihm ab­lei­ten.

 

Im Jah­re 962 emp­fing Otto in Rom die Kai­ser­kro­ne. Es ist Über­lie­fe­rung, dass ein jun­ger Ge­folgs­mann Ot­tos, Graf Arn­fried von Lö­wen, wäh­rend er in St. Pe­ter be­te­te, das Schwert über sei­nem Haup­te ge­hal­ten habe, um ihn vor Über­fäl­len zu schüt­zen. So war er von Hass und Feind­schaft um­ge­ben. Der rö­mi­sche Papst, der ihn ge­ru­fen hat­te, be­reu­te es bald, als er be­griff, dass der säch­si­sche Be­schüt­zer sein Herr wer­de. Nur mit Ge­walt konn­te der Kö­nig sei­ne Aner­ken­nung durch­set­zen. Es war nicht so, dass in Ita­li­en eine grund­sätz­li­che Ab­nei­gung ge­gen die Deut­schen be­stan­den hät­te, denn ein Na­tio­nal­be­wusst­sein hat­te sich noch nicht bil­den kön­nen, viel­mehr be­geg­ne­ten sie zu­wei­len freu­di­ger Er­war­tung, weil im­mer ir­gend­ein Übel ge­gen­wär­tig war, das man bei der Ver­än­de­rung los­zu­wer­den hoff­te; aber bei län­ge­rer An­we­sen­heit der über­wie­gend ro­hen Krie­ger, bei der Schwie­rig­keit, sich zu ver­stän­di­gen, kam es leicht zu Streit und Hand­greif­lich­kei­ten und er­wach­te in den ge­bil­de­te­ren, aber kriegs­mä­ßig schwä­che­ren Ita­li­e­nern ein emp­find­li­ches Über­le­gen­heits­ge­fühl.

Mit wel­chen Ge­füh­len der Kö­nig in Rom weil­te, da­von ist uns nichts be­rich­tet. Be­wun­der­te er die reich­ge­schmück­ten Ba­si­li­ken von St. Pe­ter und St. Paul, stand er stau­nend vor den un­ge­heu­ren Rui­nen des Al­ter­tums, in de­nen und über die sich die Adels­bur­gen mit ih­ren Tür­men und Zin­nen er­ho­ben? Das Gleich­ge­wicht sei­ner See­le wur­de nicht da­durch er­schüt­tert, er wird ge­dacht ha­ben, wie spä­ter Bi­schof Thiet­mar von Mer­se­burg, dass sein Sach­sen ein blu­men­rei­cher Pa­ra­dies­gar­ten und dass der Reich­tum an Män­nern und Waf­fen mehr wert sei als Roms Mar­mor­bil­der, dass er stark und glück­lich nur da­heim sein kön­ne, wo die Ei­chen sei­ner Wäl­der ihn um­rausch­ten und wo die Grä­ber sei­ner ho­hen Ah­nen ihn mit ei­ner ge­seg­ne­ten Ver­gan­gen­heit ver­ban­den. Ob­wohl er die ge­lehr­ten Män­ner, de­nen er in Ita­li­en be­geg­ne­te, zu schät­zen wuss­te und an sich zu fes­seln such­te, so flö­ßten ihm doch die all­ge­mei­nen Ver­hält­nis­se kei­ne Ach­tung ein: so­wohl die Be­völ­ke­rung von Rom wie die Lan­go­bar­den, der Papst, die Sa­ra­ze­nen und Grie­chen, alle un­ter­war­fen sich ihm, so­wie er mit Hee­res­macht er­schi­en, um von ihm ab­zu­fal­len, so­wie er den Rücken wand­te. Al­les er­leb­te er, was sich Jahr­hun­der­te hin­durch wie­der­ho­len soll­te, ju­beln­den Empfang, ver­rä­te­rischen Über­fall, be­lei­di­gen­den Hohn, Kampf und Sieg und wie­der Ab­fall, und schließ­lich die Seu­che, die die Zucht im Hee­re auf­lös­te.

Die Päps­te, die vom rö­mi­schen Adel ab­hin­gen und zum rö­mi­schen Adel ge­hör­ten, wa­ren kei­ne zu fürch­ten­den Geg­ner, denn sie ent­schlu­gen sich der ein­zi­gen Macht, die sie dem Kö­nig hät­te eben­bür­tig ma­chen kön­nen, der sie haupt­säch­lich ihre ein­zig­ar­ti­ge Stel­lung ver­dank­ten, näm­lich die christ­lich-sitt­li­che Idee, de­ren Ver­tre­ter sie ge­we­sen wa­ren und sein soll­ten. Jo­hann XII. gab kei­nen von den Genüs­sen auf, mit de­nen die jun­gen Ad­li­gen sich zu un­ter­hal­ten pfleg­ten, er wür­fel­te, jag­te, lieb­te und hand­hab­te nicht ein­mal die üb­li­chen christ­li­chen Fröm­mig­keits­for­meln, son­dern schwur bei den al­ten Göt­tern. Wenn er sich da­bei wohl so we­nig dach­te wie ein Mensch von heu­te, der »lie­ber Gott« sagt, so war ihm doch si­cher­lich der Name des Chris­ten­got­tes ein eben­so lee­res Wort. In­mit­ten die­ses zer­ris­se­nen Lan­des, die­ser sich kreu­zen­den Lei­den­schaf­ten und Rän­ke, be­griff Otto als die Auf­ga­be des Herr­schers, Ord­nung zu schaf­fen. Er brach­te den lan­go­bar­di­schen Kö­nig und sei­ne Frau als Ge­fan­ge­ne nach Deutsch­land, eben­so Papst Be­ne­dikt V., den sich die Rö­mer ei­gen­mäch­tig ge­setzt hat­ten. Denn er be­stä­tig­te zwar den Päps­ten die Schen­kun­gen Pi­pins und Karls des Gro­ßen, be­dang sich aber aus, dass kei­ne Papst­wahl ohne sei­ne Zu­stim­mung Gül­tig­keit ha­ben soll­te.

Otto I. hat­te das Schick­sal ge­nia­ler Herr­scher, dass er sein Reich un­zu­läng­li­chen Nach­fol­gern über­las­sen muss­te. Sein Sohn und sein En­kel wa­ren Blü­ten am vä­ter­li­chen Bau­me, nicht Stäm­me, die mit ei­ge­ner Wur­zel aus der Erde wuch­sen. Otto II. war sym­pa­thisch durch sein feu­ri­ges Tem­pe­ra­ment und die Geis­tes­ge­gen­wart und Ver­we­gen­heit, mit der er nach der furcht­ba­ren Nie­der­la­ge, die die Sa­ra­ze­nen ihm zu­ge­fügt hat­ten, ent­floh und sich ret­te­te. Un­ter Ita­li­en ver­stand man da­mals die Halb­in­sel ohne Ve­ne­dig, das tat­säch­lich un­ab­hän­gig war, aber dem Na­men nach zum by­zan­ti­ni­schen Reich ge­hör­te; und ohne den Sü­den, Apu­li­en, Kala­bri­en und Si­zi­li­en, der teils grie­chisch war, teils von den Sa­ra­ze­nen er­obert. Es konn­te nicht an­ders sein, als dass die Kai­ser auch das süd­li­che Ge­biet an sich zu brin­gen such­ten, wo­durch die Be­zie­hun­gen zu By­zanz noch pein­li­cher wur­den als sie oh­ne­hin wa­ren. Wie die Rö­mer be­trach­te­ten auch die Grie­chen die Ger­ma­nen als Bar­ba­ren und wieg­ten sich im Vor­zug der äl­te­ren Kul­tur umso lie­ber, als sie die mi­li­tä­ri­sche Über­macht des ost­frän­ki­schen Rei­ches an­er­ken­nen muss­ten. Nur nach lan­gen schwie­ri­gen Ver­hand­lun­gen und in­fol­ge be­son­de­rer Um­stän­de er­lang­te Otto I. für sei­nen Sohn die Hand ei­ner grie­chi­schen Prin­zes­sin. Theo­pha­no scheint dem Ruf fei­ne­rer Bil­dung der Grie­chen ent­spro­chen zu ha­ben; das mach­te sich auch durch den Ein­fluss gel­tend, den sie auf ih­ren Sohn aus­üb­te, der schon von Na­tur mehr ein Sohn der Mut­ter als Erbe der Vä­ter war. Karl der Gro­ße und Otto der Gro­ße ver­ga­ßen nie, dass ihre ger­ma­ni­schen Völ­ker ih­nen die Mit­tel ga­ben, Ita­li­en zu be­herr­schen, der eine war Fran­ke, der an­de­re Sach­se, und das woll­ten sie sein. Otto III. woll­te den Schwer­punkt des Rei­ches nach Rom ver­le­gen. Es schi­en ein rich­ti­ger, ein großer Ge­dan­ke zu sein: wenn Rom das Haupt der Welt ist, wenn Rom die Cäsa­ren­kro­ne ver­gibt, muss der Kai­ser in Rom re­si­die­ren, müs­sen in Rom die Zü­gel ge­hal­ten wer­den, die die Welt len­ken, darf das deut­sche Reich nur eins ne­ben den an­de­ren Rei­chen sein, de­ren Haupt Rom ist. Tat­säch­lich war das neue Rö­mi­sche Wel­treich kein Kreis, son­dern eine El­lip­se mit den zwei Brenn­punk­ten Rom und Aa­chen; der uni­ver­sa­le Ge­dan­ke muss­te schei­tern, wenn man ihn durch eine Uni­ver­sal­mon­ar­chie mit ei­nem ein­zi­gen Mit­tel­punk­te ver­wirk­li­chen woll­te. Zum Zei­chen sei­nes cä­sa­ro­pa­pis­ti­schen Ge­dan­kens setz­te Otto III. Ver­wand­te und Freun­de auf den päpst­li­chen Stuhl, sei­nen Vet­ter Brun, den ers­ten deut­schen Papst, und sei­nen be­wun­der­ten Leh­rer, Ger­bert von Au­ril­lac.