Deutsche Geschichte

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An­de­ren wur­de der Zwang zur Läu­te­rung, wie dem jun­gen Rhä­tier Vik­tor in Sankt Gal­len, der sehr ge­lehrt, aber auch an­ma­ßend und wi­der­spens­tig war, von sei­nen Fein­den ge­blen­det wur­de, dann als Leh­rer an die Schu­le des Bi­schofs von Straß­burg kam und im Rufe der Hei­lig­keit starb. Für die­je­ni­gen, die an­ge­bo­re­ne star­ke Kräf­te des Geis­tes und Ge­mü­tes nicht vom Ir­di­schen auf das Himm­li­sche über­tra­gen konn­ten, wur­de das Klos­ter zum Ge­fäng­nis; und als Ge­fäng­nis diente es auch ab­sicht­lich. Das war sei­ne düs­te­re, sei­ne un­heim­li­che Sei­te. Die Kö­ni­ge be­nutz­ten die Klös­ter, um ge­fähr­li­che Geg­ner, etwa An­füh­rer über­wun­de­ner Völ­ker oder Stäm­me oder Prä­ten­den­ten aus der ei­ge­nen Fa­mi­lie, Brü­der, na­tür­li­che Söh­ne, Nef­fen, ver­schwin­den zu­las­sen. So en­de­ten Thas­si­lo, der letz­te bay­ri­sche Her­zog aus der Dy­nas­tie der Agi­lol­fin­ger, im Klos­ter Lorsch, Kö­nig Lo­thar, der Sohn Lud­wigs des From­men, im Klos­ter Prüm in der Ei­fel.

Übte das Klos­ter auf die Wi­der­stre­ben­den Ker­ker­druck aus, so konn­te es de­nen, die sich ein­ord­ne­ten, zum Pa­ra­die­se wer­den. Die re­gel­mä­ßi­ge Ein­tei­lung des Ta­ges und der Nacht, der Wech­sel zwi­schen Tä­tig­keit, be­schau­li­cher Be­trach­tung und Ge­spräch wirk­ten be­ru­hi­gend. Vor al­len Din­gen mil­der­te das trös­ten­de Wort des Freun­des auch herbs­tes Lei­den. Gab es nei­di­sche, ge­häs­si­ge, bös­ar­ti­ge Mön­che, so wa­ren doch auch sol­che da, die durch Güte Frie­den und durch Be­ga­bung Glanz über ihre Um­ge­bung aus­gos­sen. Dem Um­stän­de, dass Schwa­ben von je­her Dich­ter er­zeug­te, ist es zu ver­dan­ken, dass uns Kun­de denk­wür­di­ger Per­sön­lich­kei­ten über­lie­fert ist, die die Zier­de schwä­bi­scher Klös­ter wa­ren. In Sankt Gal­len leb­te Not­ker, der trotz sei­nes Zun­gen­feh­lers ein ver­ehr­ter Leh­rer war, der stren­ge Zucht mit zärt­li­cher Für­sor­ge und Ver­ständ­nis für je­den ein­zel­nen zu ver­ei­nen wuss­te. Der zar­te, ma­ge­re Mann, dem doch die Kraft nicht fehl­te, den Teu­fel zu über­win­den, der ihm zu­wei­len nach­stell­te, lieb­te die jun­gen Wil­den und hat­te Nach­sicht für die Über­schäu­men­den; in sei­nen Ar­men, un­ter sei­nen gü­ti­gen Wor­ten starb der trot­zi­ge Wolo, der ihn eben noch be­lei­digt hat­te, und sein Lieb­ling war der mut­wil­li­ge Sa­lo­mon, der spä­ter als Bi­schof von Kon­stanz der Präch­ti­ge und Glück­li­che ge­nannt wur­de. An künst­le­ri­scher Be­ga­bung war al­len Tu­ti­lo über­le­gen. Er dich­te­te, mal­te, mo­del­lier­te und kom­po­nier­te, be­son­ders be­wun­der­te man sein Sai­ten­spiel. Eine El­fen­bein­schnit­ze­rei von sei­ner Hand, die noch vor­han­den ist, stellt den hei­li­gen Gal­lus dar, wie er den Bä­ren be­lohnt, der ihm Holz zu­trägt. Er lieb­te die Na­tur und das Wan­dern, und sei­ner Künst­ler­schaft ver­dank­te er, dass er oft an aus­wär­ti­ge Klös­ter be­ru­fen wur­de, um Auf­trä­ge aus­zu­füh­ren. Von den schwä­bi­schen Ek­ke­har­den wa­ren meh­re­re dich­te­risch be­gabt. Ek­ke­hard I. war der Dich­ter des Wal­tha­ri­lie­des, dem die la­tei­ni­sche Spra­che lei­der den Stem­pel des Aka­de­mi­schen auf­ge­drückt hat, des­sen Se­quen­zen und Hym­nen den Got­tes­dienst zu ver­schö­nen be­stimmt wa­ren. Die über­lie­fer­ten An­fangs­wor­te: O mar­tyr ae­ter­ni pa­tris und A­do­re­mus glo­rio­sis­si­mum las­sen uns die fei­er­li­che Pracht die­ser Ge­sän­ge ah­nen. Ek­ke­hard IV., der die Ge­schich­te sei­nes Klos­ters wie einen bunt­be­bil­der­ten Tep­pich vor uns aus­ge­brei­tet hat, dür­fen wir als den ers­ten No­vel­len­dich­ter un­se­rer Li­te­ra­tur be­trach­ten, einen kun­di­gen Men­schen­dar­stel­ler, einen nach­denk­li­chen, lieb­rei­chen und hu­mor­vol­len Zuschau­er des Le­bens. Ek­ke­hard II. un­ter­schied der Beiname Pala­ti­nus, der Hö­fi­sche; er war aus­ge­zeich­net durch Schön­heit, vor­neh­me Hal­tung und die Über­le­gen­heit, die das Be­wusst­sein ge­fäl­li­ger Er­schei­nung, Klug­heit und küh­le Ge­müts­art ver­lei­hen. Er muss­te der Her­zo­gin Had­wig von Schwa­ben den Vir­gil er­klä­ren und es scheint, dass sie mehr Zu­nei­gung für ihn hat­te, als er er­wi­der­te. Er be­saß eine be­son­de­re Kunst­fer­tig­keit im Aus­ma­len von Hand­schrif­ten.

Leuch­ten des Klos­ters Rei­chenau und der da­ma­li­gen Welt wa­ren Wal­afried Stra­bo, von dem lieb­li­che ly­ri­sche Ge­dich­te er­hal­ten sind, und Her­man­nus Kon­trak­tus, der von Kind­heit an ge­lähm­te Sohn ei­nes Gra­fen von Ve­rin­gen. Ob­wohl er nicht ge­hen, nur müh­sam spre­chen und kaum die Hand zum Schrei­ben be­we­gen konn­te, sein Le­ben ge­krümmt im Stuh­le sit­zend zu­brach­te, wur­de er Abt des Klos­ters, war er be­rühmt als Mu­si­ker, Theo­lo­ge, His­to­ri­ker.

Als Ent­gelt da­für, dass im Klos­ter eine Grup­pe von Men­schen den ewi­gen Op­fer­rauch des Ge­be­tes zum Him­mel auf­stei­gen ließ und die Ge­bo­te des Herrn der Lie­be stell­ver­tre­tend für das gan­ze Volk auf sich nahm, wid­me­te man den Mön­chen au­ßer­or­dent­li­che Ver­eh­rung. Als ein­mal Kai­ser Kon­rad II. zu In­gel­heim Os­tern fei­er­te, lei­te­te Ek­ke­hard IV., da­mals Vor­ste­her der Schu­le zu Mainz, den Got­tes­dienst und hat­te schon die Hand zur Vor­füh­rung der Se­quenz er­ho­ben, als die Bi­schö­fe, die ne­ben dem Kai­ser sa­ßen, die­sen um Er­laub­nis ba­ten, ih­ren ehe­ma­li­gen Leh­rer bei dem, worin er selbst sie un­ter­wie­sen habe, zu un­ter­stüt­zen. Da der Kai­ser Ge­wäh­rung nick­te, voll­führ­ten sie mit Ek­ke­hard, der Trä­nen der Freu­de wein­te, die hei­li­ge Hand­lung. In­des­sen nicht nur dass die Ehr­furcht vor dem Leh­rer die Schü­ler bis in die höchs­ten Wür­den be­glei­te­te, das gan­ze Volk brach­te den Mön­chen Ver­eh­rung ent­ge­gen, und die Ver­eh­rung äu­ßer­te sich in Schen­kun­gen, die die Klös­ter reich mach­ten. Sie wur­den da­durch in­stand ge­setzt, Geld­ge­schäf­te zu trei­ben, und wenn das auch schäd­li­che Fol­gen hat­te, in­dem es die­je­ni­gen, wel­che der Welt ab­ge­sagt hat­ten, in sehr welt­li­che In­ter­es­sen ver­strick­te, so voll­zog doch das Klos­ter als eine Art Bank eine Funk­ti­on, die in dem re­ger sich ent­fal­ten­den kul­tu­rel­len Le­ben nicht feh­len durf­te.

Nie wie­der hat es eine Ein­rich­tung ge­ge­ben, die wie das Klos­ter der ka­ro­lin­gi­schen und ot­to­ni­schen Zeit so vie­len nütz­li­chen Zwe­cken und großen Ide­en diente. Von ih­nen, wenn auch nicht nur von ih­nen, ging die Kul­ti­vie­rung des Bo­dens aus, sie lich­te­ten Wäl­der, be­stell­ten Äcker, bau­ten Re­ben, ga­ben ein Vor­bild um­sich­ti­ger Wirt­schaft; sie be­schäf­tig­ten Hand­wer­ker und Künst­ler, pfleg­ten die Mu­sik, för­der­ten die Wis­sen­schaft, un­ter­rich­te­ten die Kin­der, wa­ren Schu­le, Aka­de­mie, Uni­ver­si­tät. Nach­dem die staat­li­che Ar­men­pfle­ge, die Karl der Gro­ße or­ga­ni­siert hat­te, in den Stür­men der Zeit un­ter­ge­gan­gen war, über­nah­men sie die Klös­ter. Täg­lich emp­fin­gen dort die Ar­men der Um­ge­gend Un­ter­stüt­zung an Nah­rung und Geld, Pil­ger wur­den auf­ge­nom­men und Kran­ke ver­pflegt, so wa­ren sie zu­gleich Ho­spi­ze und Ho­spi­tä­ler. Als Ver­sor­gungs­an­stal­ten nah­men sie die vie­len auf, die für den Kampf des Le­bens zu schwach wa­ren, die in­fol­ge ge­stör­ten Gleich­ge­wichts der Kräf­te, in­fol­ge ir­gend­wel­cher kör­per­li­cher oder geis­ti­ger Ge­bre­chen drau­ßen im rück­sichts­lo­sen Wett­kampf der Ar­beit und des Ehr­gei­zes schei­tern muss­ten, alle die un­schein­ba­ren, all­zu zar­ten Pflan­zen, die von acht­lo­sen Fü­ßen zer­tre­ten wer­den, aber un­ter ver­ständ­nis­vol­ler Pfle­ge er­blü­hen und Früch­te tra­gen kön­nen. Sie wa­ren Ge­fäng­nis­se, wo der Schuld­be­la­de­ne ver­hin­dert wur­de zu scha­den, wo er aber nicht aus der Ge­sell­schaft der Gu­ten und Ge­sun­den aus­ge­sto­ßen war, wo er Stra­fe er­litt, aber auch Zu­spruch, Läu­te­rung und Er­he­bung fin­den konn­te. Der edle Bi­schof Otto von Bam­berg sag­te ein­mal, als je­mand mein­te, es gebe schon zu viel Klös­ter, er sol­le nicht neue grün­den: die Welt sei für den Men­schen die Frem­de, dar­um müs­se es Her­ber­gen ge­ben, und sol­che Her­ber­gen sei­en die Klös­ter. Sie sei­en nicht für die­je­ni­gen da, die sich auf Er­den hei­misch fühl­ten, son­dern für die Frem­den. Den Fremd­lin­gen auf Er­den öff­ne­te sich die gast­li­che Pfor­te als ein Vor­hof der ewi­gen Ruhe.

Die al­ten Klös­ter mit ih­ren Kir­chen und Kreuz­gän­gen sind im Lauf der Jahr­hun­der­te ent­we­der ganz zer­stört oder um­ge­baut wor­den. Die Ab­tei Prüm in der Ei­fel, die Karl Mar­tells Schwes­ter Ber­tra­da zu An­fang des 8. Jahr­hun­derts stif­te­te, stammt in ih­rer jet­zi­gen Ge­stalt aus dem 18. Jahr­hun­dert, Ful­da ist vom Ba­rock be­herrscht, Sankt Gal­len vom Ro­ko­ko, eben­so fast alle bay­ri­schen und ös­ter­rei­chi­schen Klös­ter, im säch­si­schen Kor­vey, wo der Mönch Wi­du­kind die Ge­schich­ten sei­nes Vol­kes schrieb, muss man die ro­ma­ni­schen Über­bleib­sel des al­ten Baus auf­su­chen. Aber wenn man die In­sel Rei­chenau be­tritt, dann wird man in die Zeit der Erst­lin­ge des Glau­bens ent­rückt. Hier ist al­les fest um­grenzt, al­les schlicht ge­formt, al­les Sym­bol und Ge­heim­nis. Die Häu­ser sind klein, selbst die Kir­chen nied­rig, und den­noch, mit ih­ren di­cken Mau­ern, ih­ren fla­chen De­cken und kur­z­en Säu­len er­schei­nen sie ge­wal­tig und hau­chen über­ir­di­sche Schau­er aus. Die Göt­ter­ge­stalt Chris­ti, die wir von den halb­zer­stör­ten Wand­ge­mäl­den ab­le­sen, wie sie Kran­ke heilt und Tote er­weckt, steigt aus bo­den­lo­sen Ab­grün­den her­vor, Füh­rer durch Blut und Trä­nen in ein Reich jen­seits der Ster­ne. Er­drückend wäre die Hei­lig­keit die­ser Räu­me, wenn sie nicht Na­tur hold um­gä­be: um die Ge­mäu­er singt die Wel­le, flüs­tert das Schilf, blüht und rauscht die Lin­de. Der Gott, der hier an­ge­be­tet wird, liebt die Na­tur, sie ist sei­ne Toch­ter und at­met dicht an sei­nem Her­zen. An den Spa­lie­ren rei­fen Äp­fel und Bir­nen, Pfir­si­che und Trau­ben, nicht nur durch die Gü­ter, die Schif­fe ihr von weit­her zu­füh­ren, ist die­se Aue reich, son­dern durch das, was sie selbst her­vor­bringt. Hier sind alle Men­schen, die ho­hen und die nie­de­ren, die Her­ren und die Bett­ler, Kin­der der Erde, ein Volk von Bau­ern, ge­nüg­sam in sei­nen An­for­de­run­gen an das Ir­di­sche, maß­los in sei­nen Ah­nun­gen des Ewi­gen. Ihre Hei­mat ist eine In­sel, ums­aust von Stür­men, um­bran­det von Wel­len, aber hoch oben rol­len die Ster­ne aus der Hand des Herrn als ein Band, das die Erde und ihre klei­ne Hei­mat mit dem Him­mel ver­bin­det – A­do­re­mus Glo­rio­sis­si­mum.

 

Der Adel

Die Edda er­zählt, dass Heim­dall, ei­ner der Asen, als er einst am Stran­de des Mee­res sich er­ging, auf mensch­li­che Woh­nun­gen stieß, dort ein­kehr­te und in drei Näch­ten mit drei ver­schie­de­nen Frau­en Kin­der zeug­te. Der Sohn der ge­rings­ten wur­de ein Skla­ve, der Sohn der mit­tel­mä­ßig Be­gü­ter­ten wur­de ein Bau­er, der Sohn der vor­neh­men Frau ein Jarl oder Ada­ling. Der Skla­ve oder Thräl hat­te schwar­ze Haa­re, krum­men Rücken, gelb­li­che Haut, der Jarl, des­sen Mut­ter wei­ßer als rei­ner Schnee glänz­te, war blond­haa­rig, hat­te schö­ne Wan­gen und blit­zen­de Au­gen. Wenn auch lang­dau­ern­de schwe­re Ar­beit und gro­be Er­näh­rung den Rücken beu­gen und die Haut här­ten kann, so möch­te man doch aus die­ser Sage schlie­ßen, dass die Skla­ven der Ger­ma­nen An­ge­hö­ri­ge un­ter­wor­fe­ner Völ­ker wa­ren, als Frem­de nie­de­rer Art ge­ring­ge­schätzt. Alle ger­ma­ni­schen Stäm­me au­ßer den Frie­sen un­ter­schie­den einen Adel, Freie von ver­schie­de­ner Ab­stu­fung und Hö­ri­ge, die gleich­falls in ver­schie­de­ner Be­zie­hung zu ih­ren Her­ren stan­den. Der Adel war durch das dop­pel­te Wer­geld der Frei­en aus­ge­zeich­net, üb­ri­gens stan­den die Rech­te der Frei­zü­gig­keit, Schild­bür­tig­keit, das Feh­de­recht, das Recht ech­tes Ei­gen­tum zu be­sit­zen, das Recht nur von sei­nes­glei­chen ge­rich­tet zu wer­den, dem frei­en Man­ne eben­so wie dem Ad­li­gen zu. Der Ur­sprung des Adels ver­liert sich im Dun­kel der An­fän­ge; viel­leicht ent­stand er da­durch, dass ge­wis­se Fa­mi­li­en, die sich im Krie­ge, im öf­fent­li­chen Le­ben und etwa auch durch Schön­heit aus­zeich­ne­ten, mit den Göt­tern ver­knüpft ge­dacht wur­den. Es ist auf­fal­lend, wie die Ge­schichts­schrei­ber die Schön­heit der Per­so­nen, von de­nen sie er­zäh­len, aus­führ­lich be­schrei­ben; be­son­ders von den Kai­sern wird der hohe Wuchs, die edle Hal­tung, das blon­de Ge­lock, der feu­ri­ge Blick ge­rühmt, au­gen­schein­lich nicht nur als et­was dem Auge Wohl­ge­fäl­li­ges, son­dern auch als Wahr­zei­chen ed­ler Ge­burt. Von Otto IV., der sich durch geis­ti­ge Ga­ben nicht her­vor­tat, wur­de an­ge­nom­men, dass er die fürst­li­chen Wäh­ler durch sei­ne schö­ne große Ge­stalt be­sto­chen habe. Auch an den Mön­chen wur­de Schön­heit als et­was Preis­wür­di­ges her­vor­ge­ho­ben, und mit Stau­nen wur­de ver­merkt, wenn ge­ra­de im un­an­sehn­li­chen oder ent­stell­ten Kör­per ein ho­her Geist wohn­te, wie das bei Her­man­nus Kon­trak­tus, bei Wal­afried Stra­bo in so ho­hem Maße der Fall war. Noch jetzt fin­den sich in Nie­der­sach­sen hoch­ge­wach­se­ne Men­schen mit lich­tem blon­dem Haar und ei­gen­tüm­li­chem, Raum und Kör­per durch­boh­ren­dem See­manns­blick der blau­en Au­gen; viel­leicht sah so der säch­si­sche Adel in wohl­ge­lun­ge­nen Exem­pla­ren aus. Von Adal­hard, ei­nem Vet­ter Karls des Gro­ßen, der eine säch­si­sche Mut­ter hat­te, sag­ten sei­ne Schü­ler, dass sie vor dem furcht­ba­ren Flam­men­blick sei­ner Au­gen ge­zit­tert hät­ten. Un­ter den Fran­ken fiel die Ei­gen­art des Man­nes auf, der schweig­sam und gern al­lein, un­beug­sam fest in sei­nen Über­zeu­gun­gen war und Zu­ver­läs­sig­keit als höchs­te Tu­gend schätz­te. Der Stolz war bei den Sach­sen noch mehr aus­ge­prägt als bei den an­de­ren deut­schen Stäm­men: sie wa­ren stolz auf ihre Hei­mat, stolz auf ihre Ge­schich­te, stolz auf ihre Ab­kunft. Das Chris­ten­tum hat die­sen Stolz nicht aus­ge­trie­ben. Die we­gen ih­rer Fröm­mig­keit ei­ner Hei­li­gen gleich ge­ach­te­te Kö­ni­gin Mat­hil­de be­rief in das Stift zu Qued­lin­burg, das sie grün­de­te, nur Per­so­nen aus dem höchs­ten frei­en Stan­de, weil sie, wie die An­na­len be­rich­ten, dar­an fest­hielt, dass eine Wohl­ge­bo­re­ne sel­ten und nur aus schwe­ren Grün­den ent­ar­te. Alle äl­te­ren Klös­ter wur­den nur mit Ad­li­gen be­setzt, die Äbte und Äb­tis­sin­nen ge­hör­ten oft dem Reichs­fürs­ten­stan­de an. Man wuss­te wohl, dass Pe­trus, ein Fi­scher, ge­sagt hat­te: Bei Gott gilt kein An­se­hen der Per­son, und be­kannt wa­ren die Wor­te, die Pau­lus an die Gala­ter rich­te­te: »Denn die­je­ni­gen, die in Chris­tus ge­tauft sind, ha­ben Chris­tus an­ge­zo­gen. Da ist nicht Jude oder Grie­che, da ist nicht Skla­ve oder Frei­er, nicht Mann oder Frau, ihr seid alle ei­nes in Je­sus Chris­tus«, aber man dach­te nicht dar­an, die­se Ge­sin­nung zu ver­wirk­li­chen. Selbst Bi­schof Udal­rich von Augs­burg, der hei­lig­ge­spro­chen wur­de, ein schwä­bi­scher Graf von Dil­lin­gen, ließ sich auf Rei­sen, an­statt zu rei­ten, in ei­ner Sänf­te tra­gen, um nicht mit Leu­ten aus dem Vol­ke in Berüh­rung zu kom­men und durch ihr Ge­schwätz im Psal­men­sin­gen ge­stört zu wer­den. Be­vor er selbst Bi­schof wur­de, ver­schmäh­te er es, in den Dienst sei­nes Vor­gän­gers zu tre­ten, weil der­sel­be nicht vor­nehm ge­nug war. Vom Erz­bi­schof Te­gi­no von Mag­de­burg, der als ein Mus­ter al­ler Tu­gen­den, als got­tes­fürch­tig, lie­be­voll, wohl­tä­tig, mil­de, keusch ge­schil­dert wird, heißt es gleich­zei­tig, dass er gern sol­che um sich hat­te, die durch Adel der Ge­burt und Sit­te sich aus­zeich­ne­ten, wäh­rend er Nie­de­re zwar nicht ver­ach­te­te, aber sie doch von sei­nem Um­gan­ge fern­hielt. Man sieht dar­aus, dass man Adel der Ge­burt und Adel der Sit­ten als selbst­ver­ständ­lich zu­sam­men­fal­lend be­trach­te­te. Als je­mand die hei­li­ge Hil­de­gard von Bin­gen frag­te, wie sich die Be­vor­zu­gung des Adels in den Klös­tern mit den For­de­run­gen des Chris­ten­tums ver­tra­ge, sag­te sie: »Wer wür­de sein Vieh zu ei­ner Her­de und in ei­nem Stal­le ver­ei­ni­gen? Och­sen, Esel und Scha­fe?« Die Ver­mi­schung füh­re zum Hass, wenn Hoch­ge­bo­re­ne den Nied­rig­ge­bo­re­nen wei­chen müss­ten. Gott un­ter­schei­de das Volk auf Er­den, gleich­wie er im Him­mel En­gel, Erz­en­gel, Thro­ne, Herr­schaf­ten, Che­ru­bim und Se­ra­phim un­ter­schei­de. In spä­te­rer Zeit sag­te Eras­mus von Rot­ter­dam in Be­zug auf das Dom­ka­pi­tel von Straß­burg: »In dies Kol­leg hät­te Chris­tus ohne Dis­pens nicht auf­ge­nom­men wer­den kön­nen«, und ähn­lich ein jun­ger Ka­no­ni­ker um 1500: »Wenn heu­te der Herr auf Er­den wan­del­te, wür­de das Stift von St. Al­ban (in Mainz) ihn ab­wei­sen.« Es ist be­rech­net wor­den, dass von 900-1500 von 166 Erz­bi­schö­fen 134 edel­frei, 10 von Mi­nis­te­ri­al­a­del, 4 bür­ger­lich wa­ren. Hein­rich II. war nach Lud­wig dem From­men der ers­te Kai­ser, der ei­ni­ge Un­freie we­gen ih­rer Tüch­tig­keit zu Bi­schö­fen mach­te. Man muss zu­ge­ben, dass der Adel im frü­hen Mit­tel­al­ter die große Nach­fra­ge nach tüch­ti­gen Män­nern aus­gie­big be­frie­di­gen konn­te.

Es fiel den Zeit­ge­nos­sen auf, dass un­ter den be­nach­bar­ten Völ­kern eine so stren­ge Tren­nung un­ter den Stän­den wie in Deutsch­land nicht be­ob­ach­tet wur­de. Der Oheim Fried­rich Bar­ba­ros­sas, Bi­schof Otto von Frei­sing, er­zählt von den lom­bar­di­schen Städ­ten, ih­rer Frei­heits­lie­be, ih­ren Kon­suln, die »zur Un­ter­drückung des Hoch­muts«, wie er sagt, aus je­dem Stan­de ge­wählt wur­den. Sie hal­ten es nicht für un­wür­dig, sagt er, an Jüng­lin­ge nie­de­ren Stan­des und Ar­bei­ter ver­ächt­li­cher, auch me­cha­ni­scher Ge­wer­be, wel­che an­de­re Völ­ker von den ed­le­ren und freie­ren Stu­di­en wie eine Pest fern­hal­ten, den Gür­tel der Rit­ter­schaft oder den Grad der Wür­den zu ver­lei­hen. Nicht ohne Be­wun­de­rung fügt er hin­zu, dass die lom­bar­di­schen Städ­te an Reich­tum und Macht über an­de­re Städ­te des Erd­krei­ses her­vor­ra­gen. Die Klös­ter der klu­nia­zen­si­schen Rich­tung, die von Wes­ten her ein­drang, mach­ten kei­nen Un­ter­schied zwi­schen den Stän­den.

Der Stan­des­hoch­mut hat einen ver­ständ­li­chen Sinn, wenn die die­nen­de Schicht sich aus Kriegs­ge­fan­ge­nen zu­sam­men­setzt, aber schon mit dem 9. Jahr­hun­dert fin­gen die är­me­ren Frei­en an, in die Klas­se von Hö­ri­gen her­ab­zu­sin­ken, und die­ser Vor­gang nahm in den fol­gen­den Jahr­hun­der­ten zu. Es war ein Un­glück, für das an­fangs kaum ein ein­zel­ner ver­ant­wort­lich zu ma­chen war. Die Ur­sa­che lag haupt­säch­lich dar­in, dass sich vie­le klei­ne Bau­ern dem Kriegs­dienst, den die be­stän­di­gen Über­fäl­le durch feind­li­che Völ­ker er­for­der­ten, da­durch ent­zo­gen, dass sie ihr Gut geist­li­chen oder welt­li­chen Gro­ßen zu Le­hen auf­tru­gen und von die­sen ab­hän­gig wur­den. Auch ist es so, dass in Zei­ten der Na­tu­ral­wirt­schaft die Erde die Men­schen ent­we­der zu erb­li­chen Ei­gen­tü­mern oder zu Hö­ri­gen macht; sie ver­wach­sen so oder so mit dem Bo­den. Je­der große Grund­be­sit­zer trach­te­te da­nach, mög­lichst viel hö­ri­ge Leu­te zu be­kom­men, die den Bo­den be­bau­ten, und wenn er Stücke sei­nes Lan­des in Erb­pacht an Freie aus­tat, so er­leich­ter­te ihm die Ver­wal­tung und das Ge­richts­we­sen, sie in Ab­hän­gig­keit her­ab­zu­drücken. Nicht grund­sätz­lich, aber tat­säch­lich fie­len Ar­mut und Ab­hän­gig­keit meist zu­sam­men. Im 11. Jahr­hun­dert wur­den die be­deu­ten­de­ren Frei­en noch als zur Hul­di­gung des neu­er­wähl­ten Kö­nigs zu­ge­zo­gen er­wähnt; der freie, aber arme Bau­er nahm am Schick­sal des ar­men Hö­ri­gen teil. Die schwä­bi­schen Bau­ern, die zur­zeit Hein­richs IV. dem Ge­gen­kö­nig Ru­dolf, ih­rem Her­zog, zu­zo­gen, wur­den von den sie be­sie­gen­den Rit­tern ent­mannt, weil sie, ob­wohl freie Leu­te, als un­wür­di­ge Geg­ner an­ge­se­hen wur­den, nicht Fein­de, son­dern Knech­te, die ge­gen Her­ren die Waf­fen zu tra­gen wag­ten. Wie viel Gro­ßes auch der mit­tel­al­ter­li­che Adel in Deutsch­land ge­schaf­fen hat, sein Stan­des­hoch­mut, der zwi­schen Hoch­ge­bo­ren und Nied­rig­ge­bo­ren eine un­über­brück­ba­re Kluft schuf, wur­de Deutsch­land ver­derb­lich; er war die Ur­sa­che, dass sich im sel­ben Vol­ke zwei Völ­ker ge­gen­über­stan­den, die sich we­ni­ger ver­stan­den und mehr hass­ten als frem­de Völ­ker.

Von den Tu­gen­den, mit de­ren Be­sitz der Adel sei­nen Herr­schafts­an­spruch recht­fer­tig­te, war Tap­fer­keit die vor­nehms­te. Sie war die selbst­ver­ständ­li­che Ei­gen­schaft des Ed­len. Rauf­lust war da­bei; aber es ge­hör­te dazu vor al­len Din­gen die Kraft, Ge­fah­ren nicht zu scheu­en und dem Tode furcht­los zu be­geg­nen. Ein über­schäu­men­des Kraft­ge­fühl er­zeug­te die Lust am zi­schen­den Schwert, am sau­sen­den Speer, Rausch des Blut­ver­gie­ßens, das Be­wusst­sein der Ehre, die stol­ze Hal­tung vor dem Fein­de, in To­des­qua­len. Tap­fer­keit flö­ßte so viel Ach­tung ein, dass sie auch den Feind, ja selbst den Ver­rä­ter lieb ma­chen konn­te. Den sla­wi­schen Prin­zen Gott­schalk, der auf die Nach­richt, dass sein Va­ter von ei­nem Sach­sen er­mor­det war, das Klos­ter ver­ließ, in dem er er­zo­gen war, und un­ter den Sach­sen wü­te­te, schon­te Her­zog Bern­hard von Sach­sen, in des­sen Hän­de er schließ­lich fiel, weil er sei­ne Tap­fer­keit be­wun­der­te, und entließ ihn un­ge­kränkt nach Eng­land. Nie ver­ga­ßen auch die Mön­che, die Ge­schich­te schrie­ben, Waf­fen­kämp­fe mit sicht­li­chem An­teil zu schil­dern. Tap­fe­re Ta­ten si­cher­ten un­ver­gäng­li­ches Erin­nern; von dem Sach­sen He­ri­ger, der als Ge­fan­ge­ner die Dä­nen in ein Moor führ­te, wo sie mit ihm un­ter­gin­gen, wur­de lan­ge ge­sun­gen und ge­sagt. Ein grie­chi­scher Schrift­stel­ler er­zählt uns die fol­gen­de Ge­schich­te von ei­nem Deut­schen, der wäh­rend des von Bar­ba­ros­sa un­ter­nom­me­nen Kreuz­zu­ges in der Nähe von Iko­ni­um hin­ter sei­nen Lands­leu­ten zu­rück­ge­blie­ben war. Er war von rie­si­gem Wuchs und un­ge­heu­rer Kraft und zog sein er­schöpf­tes Ross am Zau­me hin­ter sich her. Auf ein­mal er­schie­nen etwa fünf­zig is­ma­e­li­ti­sche Rei­ter, bil­de­ten einen Kreis um ihn und be­schos­sen ihn von al­len Sei­ten. Er deck­te sich mit sei­nem Schild und ging ver­gnüg­lich wei­ter, un­be­küm­mert um die feind­li­chen Ge­schos­se, als wäre er ein Fels. Als aber ei­ner der Rei­ter nä­her her­an­kam und mit dem Sä­bel auf ihn ein­hau­te, wur­de er un­ge­dul­dig, nahm sein Schwert und schlug mit ei­nem Hieb die Vor­der­fü­ße des feind­li­chen Pfer­des ab, als wä­ren es Gras­hal­me, dann spal­te­te er mit ei­nem zwei­ten nicht nur den Kopf, son­dern den gan­zen Ober­kör­per des Geg­ners, so­dass der­sel­be in zwei Hälf­ten aus­ein­an­der­fiel, und dass der Schnitt noch tief in den Rücken des Pfer­des ein­drang. »Wie ein Löwe, der sich auf sei­ne Kraft ver­lässt, zog er ge­mäch­lich wei­ter, ohne sei­nen Schritt zu be­schleu­ni­gen, und traf abends im La­ger sei­ner Lands­leu­te ein.« Of­fen­bar ent­zück­te den Grie­chen, wie hoch­mü­tig er sonst auf die Bar­ba­ren her­ab­sah, die gran­dio­se Na­tur­er­schei­nung sol­cher Rie­sen­lei­ber, in de­nen das Herz fried­lich schlägt, wäh­rend die Faust ver­nich­ten­de Schlä­ge aus­teilt. Das Be­wusst­sein über­le­ge­ner Kraft er­mög­lich­te dem Na­men­lo­sen, auf kah­ler Ebe­ne mit­ten durch die Schlacht zu schlen­dern, als tra­be er durch die Däm­me­rung sei­nes rau­schen­den Ei­chen­wal­des. Ähn­lich war der Thur­gau­er, der die Wil­zen und Ava­ren wie Gras auf der Wie­se mäh­te und wie Vö­gel­chen auf sei­ne Lan­ze spieß­te. »Was soll ich mit die­sen Krö­ten?« sag­te er zu den Da­heim­ge­blie­be­nen, die ihn nach sei­nen Kriegs­er­leb­nis­sen aus­frag­ten, »sie­ben oder acht oder auch neun spieß­te ich auf mei­ne Lan­ze und trug sie hier­hin und dort­hin, weiß nicht, was sie dazu brumm­ten. Un­nüt­zer­wei­se ha­ben der Heer­kö­nig und wir uns ge­gen sol­che Wür­mer ab­ge­müht.« Die­se Män­ner er­in­nern an die Rie­sen der Sage, die in al­ler Gut­mü­tig­keit mit zer­mal­men­den Fü­ßen über die schwä­che­ren Ge­schöp­fe weg­schrei­ten.

 

Der Pfle­ge rit­ter­li­cher Tu­gen­den kam die Pfle­ge des Geis­tes nicht gleich. Im All­ge­mei­nen lern­te der Ad­li­ge nicht nur nichts, son­dern tat sich et­was dar­auf zu­gu­te, nichts ge­lernt zu ha­ben, um sich gründ­lich von den bü­cher­le­sen­den Kle­ri­kern zu un­ter­schei­den. Von Otto des Gro­ßen Schwie­ger­sohn, Kon­rad dem Ro­ten, er­wähnt der Ge­schichts­schrei­ber rüh­mend, er sei nicht nur ein un­wi­der­steh­li­cher Re­cke in der Schlacht, son­dern auch klug im Rat ge­we­sen, was bei tap­fe­ren Män­nern sel­ten sei. Schon Karl der Gro­ße ta­del­te die Ge­ring­schät­zung des Wis­sens und der geis­ti­gen Aus­bil­dung am Adel auf das ernst­lichs­te, und ähn­li­che Kla­gen wie­der­hol­ten sich häu­fig. Wenn der Adel In­ter­es­sen hat­te, die über Pfer­de, Waf­fen und Kampf hin­aus­gin­gen, so be­tra­fen sie die Land­wirt­schaft; denn Bau­ern wa­ren sie ja alle, ob sie nun Groß­grund­be­sit­zer oder Päch­ter oder Klein­bau­ern wa­ren. Von ei­nem loth­rin­gi­schen Gra­fen Immo wird er­zählt, wie er den Her­zog Gi­sel­bert von Loth­rin­gen da­durch är­ger­te, dass er ihm eine Schwei­ne­her­de ent­wen­de­te, in­dem er durch ein Fer­kel, das er vor sei­ner Burg her­um­füh­ren ließ, das her­zog­li­che Vieh von sei­nem Wege ab und in die Burg hin­ein­lock­te. Aus ei­nem Fens­ter sei­ner Burg be­ob­ach­te­te er scha­den­froh die An­kunft des feind­li­chen Schwei­ne­hir­ten und das Ge­lin­gen sei­nes Pla­nes. Doch wür­de es einen falschen Be­griff von dem Wor­te Geist ge­ben, wenn man die­se Bau­ern un­geis­tig nen­nen woll­te, weil sie nicht le­sen konn­ten und von Gram­ma­tik und Theo­lo­gie nichts wis­sen woll­ten. Ihr Kopf brauch­te des­halb nicht leer zu sein: sie hat­ten Er­fah­rung in al­len Ver­wi­cke­lun­gen des Le­bens, konn­ten sich Men­schen­kennt­nis er­wer­ben, muss­ten in Rechts­fäl­len ur­tei­len kön­nen, wa­ren in Feld und Wald und Wie­se zwi­schen den Tie­ren ih­res Ho­fes und den Tie­ren des Wal­des zu Hau­se; sie hör­ten die Pre­digt von den gött­li­chen Din­gen, von Gut und Böse, hör­ten die Lie­der von den Ta­ten der Vor­fah­ren, Him­mel und Erde ga­ben de­nen Stoff ge­nug zum Nach­den­ken, die nach­den­ken woll­ten. Otto I. lern­te in hö­he­rem Al­ter La­tein, und spre­chen konn­te er es nie; den­noch, wie viel grö­ßer war er als sein ge­lehr­ter En­kel, den man das Wun­der der Welt nann­te. Die Gro­ßen und Be­gab­ten be­dür­fen der Wis­sen­schaft nicht, viel­mehr, sie eig­nen sich da­von an, was sie brau­chen; aber für die Mit­tel­mä­ßi­gen, Un­be­gab­ten, Stumpf­sin­ni­gen ist Er­wei­te­rung des Ge­sichts­krei­ses durch Ler­nen not­wen­dig, und die­se, nicht die Be­gab­ten sind über­all in der Mehr­zahl. Die Ro­heit und Un­wis­sen­heit des Adels, die ihn nach­tei­lig un­ter­schie­den von Ita­li­e­nern, Fran­zo­sen und Eng­län­dern, wirk­ten mit dazu, dass die Kai­ser sich ihre Mit­ar­bei­ter und Rat­ge­ber haupt­säch­lich im Kle­rus su­chen muss­ten. Al­ler­dings, auch der Kle­rus war Adel; man kann ihn im frü­hen Mit­tel­al­ter als eine Aus­le­se der Be­gab­ten des Adels be­trach­ten.

Wenn der Ab­fall der großen Va­sal­len auch so häu­fi­ge Er­schei­nung war, dass man sa­gen kann, die Ge­schich­te der meis­ten Kö­ni­ge spiel­te sich am Ran­de ei­nes Ab­grun­des ab, so wäre es doch ge­wagt, dar­aus zu fol­gern, die Treue sei bei den Deut­schen we­gen ih­rer Sel­ten­heit so hoch ge­schätzt wor­den. Bei den Rei­chen und Mäch­ti­gen wird man im All­ge­mei­nen die­je­ni­gen Ei­gen­schaf­ten su­chen müs­sen, die im Kampf ums Da­sein Vor­teil schaf­fen, vor­wärts­brin­gen, nicht die ed­le­ren, die den Nut­zen der Ehre nach­stel­len. Nicht auf den Hö­hen, son­dern in den un­te­ren und mitt­le­ren Schich­ten sind die­je­ni­gen Tu­gen­den hei­misch, die den Bau der Ge­sell­schaft zu­sam­men­hal­ten. Die Treue und das Pf­licht­ge­fühl un­zäh­li­ger, de­ren Na­men nie­mand über­lie­fert, er­hält die Ord­nung, die auf der Gel­tung des Rech­tes und der Hei­lig­keit des ge­ge­be­nen Wor­tes be­ruht, wenn Macht­gier und Hab­gier ei­ni­ger Gro­ßer die Welt in ein Cha­os zu stür­zen dro­hen. Da, wo sich eine Macht ge­bil­det hat, die die Gren­ze pri­va­ter Sphä­ren über­schrei­tet, ver­lie­ren die pri­va­ten Tu­gen­den ihre Gel­tung; in der Po­li­tik setzt sich auch der red­li­che Mensch über die Ge­bo­te der Red­lich­keit hin­weg, und es müss­te ein sol­ches Sich­hin­weg­set­zen über das Recht zu gänz­li­cher Auf­lö­sung füh­ren, wenn nicht Ge­gen­wir­kun­gen vor­han­den wä­ren oder sich bil­de­ten. So braucht man denn aus dem Ver­hal­ten des ho­hen Adels ge­gen die Kö­ni­ge nicht auf Treu­lo­sig­keit des deut­schen Adels über­haupt zu schlie­ßen. Wohl wa­ren aus den Ge­folgs­leu­ten des Kö­nigs durch die Land­ver­lei­hung Fürs­ten und Ne­ben­buh­ler des Kö­nigs ge­wor­den; aber es fehl­te doch nie an ei­nem ech­ten Ge­fol­ge, das sich für sei­nen Her­ren in Stücke hau­en ließ. Be­denkt man, wie we­nig Mit­tel vor­han­den wa­ren, um das Recht zu stüt­zen, muss man es er­staun­lich fin­den, wie das Recht ge­ach­tet wur­de. Ein Volk, das fast durch­weg be­waff­net und in den Waf­fen ge­übt war, in dem je­der Freie dem an­de­ren Feh­de an­sa­gen konn­te, beug­te sich frei­wil­lig vor al­ten Per­ga­men­ten, auf de­nen alte Pri­vi­le­gi­en ver­zeich­net wa­ren, wag­te selbst ab­hän­gi­gen Bau­ern die Ab­ga­ben nicht über das Her­kömm­li­che zu stei­gern, wenn auch die wirt­schaft­li­chen Voraus­set­zun­gen an­de­re ge­wor­den wa­ren. Das Hei­lig­hal­ten des Rech­tes hängt zu­sam­men mit der Ehr­furcht vor den Göt­tern; die­se be­seel­te den Deut­schen, wenn er auch die christ­li­chen Ge­bo­te häu­fig ver­letz­te. Nicht nur, dass er die äu­ßer­li­chen For­men des re­li­gi­ösen Le­bens mit­mach­te, die Kir­che be­such­te, die Mes­se hör­te, die Knie vor dem Al­ler­hei­ligs­ten beug­te; Welt­li­che wie Geist­li­che fühl­ten sich ein­ge­bür­gert in dem wun­der­ba­ren Reich, das die Erde, den Stern der Mit­te, um­run­de­te, in dem das Sicht­ba­re und das Un­sicht­ba­re ein­ge­gos­sen war. Das Drü­ben, wo alle Trä­nen ver­sieg­ten, war nichts Fer­nes, nicht ein ent­le­ge­ner Ort, son­dern es war da, wo man stand, ein Meer des Glan­zes, das auf­blin­ken konn­te, wo im­mer ein Gläu­bi­ger den trü­gen­den Schein der Welt über­wand. Kam die Stun­de des To­des, so lösch­te die ster­ben­de Hand das letz­te Fünk­chen Welt aus, und der Tote tauch­te in den Gold­grund der Din­ge. Die Ver­bun­den­heit mit dem Jen­seits be­wog so vie­le Ad­li­ge, die dies­sei­ti­ge Welt, nach­dem sie ihre Freu­den er­probt hat­ten, plötz­lich mit ei­ner he­ro­i­schen Ge­bär­de von sich zu sto­ßen, zu­wei­len jung, vor der Hoch­zeit, trotz des Fle­hens der El­tern, zu­wei­len auf der Höhe des An­se­hens und der Er­fol­ge. Gero, der be­rühm­te Mark­graf Ot­tos des Gro­ßen, der einen Teil des sla­wi­schen Lan­des zwi­schen Elbe und Oder er­ober­te, von dem das Volks­lied sang, dass er drei­ßig sla­wi­sche Gro­ße er­mor­det habe, en­de­te sein Le­ben im Klos­ter. Der Tod sei­nes letz­ten Soh­nes, in dem er auf Er­den wei­ter­zu­le­ben ge­hofft hat­te, er­schüt­ter­te das Herz, das in zahl­lo­sen Schlach­ten nie un­ru­hi­ger ge­schla­gen hat­te. Schon sein Va­ter hat­te ge­plant, ein Non­nen­klos­ter in der Nähe ei­ner sei­ner Bur­gen zu stif­ten; das führ­te er nun aus, um die Zu­kunft der jun­gen Wit­we sei­nes Soh­nes zu si­chern, die er, wie es scheint, zärt­lich lieb­te. Sie hat 55 Jah­re lang der Ab­tei Gern­ro­de als Äb­tis­sin vor­ge­stan­den. Dann ging er, nicht zum ers­ten Male, nach Rom und leg­te das zur Be­keh­rung der Hei­den ge­führ­te Schwert zu Fü­ßen des Paps­tes nie­der; schon nach an­dert­halb Jah­ren starb er. Für den Kriegs­mann wie für den Geist­li­chen war der Über­gang von der Erde zum Him­mel we­ni­ger als ein Schritt, nur ein Schlie­ßen der Au­gen: die ir­di­schen Lich­ter er­lö­schen, über der See­le ge­hen die gött­li­chen Ge­heim­nis­se auf.