Deutsche Geschichte

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Die Deutschen und das Christentum

Man möch­te gern wis­sen, was von Staat und Kir­che ge­sch­ah, um die Sach­sen zu be­keh­ren, wie die Be­keh­rung wirk­te, was für ein Chris­ten­tum es war, das ge­lehrt und das auf­ge­nom­men wur­de. Ein schö­ner Brief des An­gel­sach­sen Al­kuin an Kai­ser Karl gibt zu ver­ste­hen, dass die Be­keh­rer haupt­säch­lich for­dernd auf­tra­ten, in­dem sie den Zehn­ten zur Er­hal­tung der Kir­che auf­er­leg­ten, der, wie es scheint, mit Här­te ein­ge­trie­ben wur­de. Es sei bes­ser, mein­te Al­kuin, den Zehn­ten als den Glau­ben zu ver­lie­ren, es sei auch nicht er­wie­sen, ob die Apos­tel ge­wollt hät­ten, dass der Zehn­te ge­ge­ben wer­de. Wä­ren die Neu­ge­tauf­ten spä­ter reif im Glau­ben ge­wor­den, möge man ih­nen ein so schwe­res Ge­bot zu­mu­ten, zu­nächst sol­le man sie die Heils­wahr­hei­ten leh­ren und ih­nen mit Wer­ken der Barm­her­zig­keit nä­her­zu­kom­men su­chen. Ohne Zwei­fel hat­te Al­kuin ge­hört, wie die Sach­sen sich be­klag­ten, dass die Re­li­gi­on des Got­tes der Lie­be für sie nur Be­drückung be­deu­te; wuss­te er, dass für die Pre­digt nicht ge­nü­gend ge­sorgt war. An den Erz­bi­schof Arn von Salz­burg schrieb er, der Kai­ser habe den bes­ten Wil­len, aber er habe nicht ge­nug Leu­te, die von der Lie­be zur Ge­rech­tig­keit be­seelt wä­ren, es gäbe eben mehr Die­be als Pre­di­ger, und mehr Men­schen such­ten das Ihre als das Gött­li­che.

Über­all und zu al­len Zei­ten sind von den Men­schen, die ein Ge­setz aus­füh­ren sol­len, vie­le, ja die meis­ten vol­ler Män­gel und Schwä­chen, so­dass der Wil­le des Ge­setz­ge­bers sel­ten rein zur Gel­tung kommt. Das­sel­be un­güns­ti­ge Ver­hält­nis von Gu­ten, Min­der­gu­ten und Schlech­ten be­steht na­tür­lich in al­len Schich­ten des Vol­kes und be­stand bei den zu Be­keh­ren­den wie bei den Sie­gern. Der Art der Be­keh­rung ent­sprach die Ge­sin­nung, mit wel­cher die Tau­fe emp­fan­gen wur­de, wie die fol­gen­de An­ek­do­te er­zählt. Als ein­mal um Os­tern fünf­zig Hei­den zu­gleich sich zur Tau­fe mel­de­ten, wa­ren am Hofe des Kai­sers nicht so vie­le lei­ne­ne Ge­wän­der vor­rä­tig, mit de­nen man die Täuf­lin­ge zu be­schen­ken pfleg­te, und die feh­len­den wur­den schnell aus gro­bem Stoff zu­sam­men­ge­näht. Ent­rüs­tet sag­te der eine der Hei­den, als man ihm einen sol­chen Kit­tel reich­te: »Zwan­zig­mal schon habe ich mich hier ge­ba­det und im­mer habe ich gu­tes neu­es Ge­wand be­kom­men; die­ser Sack passt höchs­tens für einen Sau­hir­ten, nicht für einen Krie­ger. Wenn ich mich nicht mei­ner Nackt­heit schäm­te, könn­tet ihr das Kleid mit­samt dem Chri­sam be­hal­ten.«

Seit ih­ren An­fän­gen hat­te die Kir­che eine we­sent­li­che Ver­än­de­rung er­fah­ren: als der Glau­be des herr­schen­den Vol­kes ge­hör­te sie nicht mehr in ers­ter Li­nie den Ar­men und Skla­ven, son­dern den Gro­ßen. Bei al­len ger­ma­ni­schen Stäm­men wur­den die Kö­ni­ge und Her­zö­ge zu­erst Chris­ten, und ih­nen schloss sich der Adel an; was sie zum Über­tritt be­wog, war die Hoff­nung, dass der Chris­ten­gott ih­nen Sieg ver­lei­hen wer­de. In den ers­ten Jahr­hun­der­ten hat­te man die Ar­men be­schenkt, wenn man die Kir­che be­schenk­te; was der Kir­che ge­hör­te, ge­hör­te den Ar­men, die Tä­tig­keit der christ­li­chen Kir­chen­vor­ste­her be­stand haupt­säch­lich in der Ar­men­pfle­ge. All­mäh­lich, wie der Auf­ga­ben­kreis der Kir­che sich er­wei­ter­te, wur­de es üb­lich, dass die Bi­schö­fe ihr Ver­mö­gen in vier Tei­le teil­ten und da­von einen Teil für sich, einen für die Ka­no­ni­ker, einen für die In­stand­hal­tung und Ver­schö­ne­rung ih­rer Kir­che und einen für die Ar­men ver­wen­de­ten. Al­mo­sen wur­den noch im­mer reich­lich ver­teilt, und Al­mo­sen­ge­ben von der Kir­che drin­gend emp­foh­len; aber die Ar­men wur­den doch als un­ter­ge­ord­ne­te Leu­te und ge­wiss oft mit Ge­ring­schät­zung be­han­delt. Es wur­de er­zählt, Wi­du­kind habe als Ge­fan­ge­ner Karls, wäh­rend sie, ein je­der an ei­nem be­son­de­ren Tisch, speis­ten, ge­gen Karl be­merkt: »Euer Chris­tus sagt, in den Ar­men wer­de er selbst auf­ge­nom­men. Mit wel­cher Stirn re­det denn ihr uns zu, dass wir un­se­re Na­cken beu­gen sol­len vor dem, wel­chen ihr so ver­ächt­lich be­han­delt und dem ihr nicht die ge­rings­te Ehr­er­bie­tung be­weist?« Der Kai­ser, so heißt es wei­ter, er­schrak und er­rö­te­te; denn die Ar­men sa­ßen de­mü­tig am Bo­den.

Das Miss­ver­hält­nis zwi­schen Ide­al und Wirk­lich­keit, das im­mer be­steht, dräng­te sich si­cher ge­ra­de den Hei­den auf, die der neu­en Leh­re zwei­felnd ge­gen­über­stan­den. In­des­sen die Ar­men und Skla­ven wa­ren nur ein Teil des Vol­kes, und die Be­zie­hung zur Ar­mut ist nur ein Teil des Chris­ten­tums. Er­schüt­tert durch das un­ge­heu­re Er­leb­nis des mehr als drei­ßig­jäh­ri­gen Kamp­fes beug­ten sich die Be­sieg­ten, wie Wi­du­kind ge­tan hat­te, dem frem­den Gott, der sei­ne Über­macht an ih­nen be­wie­sen hat­te. Von ihm er­war­te­ten sie nun Sieg im Kamp­fe, Ge­dei­hen der Äcker, Glück und Ge­lin­gen in al­len An­ge­le­gen­hei­ten, be­reit, ihm da­für mit gren­zen­lo­ser Er­ge­ben­heit zu die­nen. Der alte Göt­ter­glau­be, ob er nun dem nor­di­schen ähn­lich war, wie er sich in der Edda dar­stellt, oder ob er bei den deut­schen Stäm­men sich an­ders ent­wi­ckelt hat­te, si­cher­lich hat­te er nicht mehr die quel­len­de Fri­sche ei­nes neu­en oder er­neu­er­ten Glau­bens. Man weiß aus den Kla­gen des Bo­ni­fa­ti­us, dass sich die Re­li­gio­si­tät der heid­nischen Deut­schen haupt­säch­lich in aber­gläu­bi­schen Bräu­chen und Be­schwö­run­gen äu­ßer­te, im Wäh­len glück­brin­gen­der Tage, im Los wer­fen, im Zwin­gen des Wet­ters oder mensch­li­chen Wil­lens; in sol­chen For­meln war der einst sinn­vol­le, le­ben­di­ge Glau­be er­starrt. An dem christ­lich ab­ge­wan­del­ten Aber­glau­ben fest­zu­hal­ten, ge­nüg­te dem re­li­gi­ösen Be­dürf­nis vie­ler. Wei­se Päps­te ord­ne­ten an, dass so viel wie mög­lich der christ­li­che Kult an heid­nische Fes­te, Ge­bräu­che, Ge­wohn­hei­ten an­ge­knüpft wer­de; so tra­ten denn Hei­li­ge an die Stel­le der Göt­ter, und die das Le­ben Chris­ti und der Hei­li­gen be­zeich­nen­den Fes­te an die Stel­le der heid­nischen, die den Son­nen­lauf, das Er­wa­chen und Hinster­ben der Na­tur be­glei­ten. Un­ter den Sach­sen und Frie­sen, den zu­letzt be­kehr­ten Stäm­men, wa­ren wohl vie­le Bau­ern, die, wenn sie sich auch an die neu­en Na­men ge­wöhn­ten, doch der Kir­che und den Pries­tern im Her­zen feind­lich blie­ben auf eine ver­bis­se­ne, schweig­sa­me, ge­fähr­li­che Art. Aber auch bei die­sen schwand die Erin­ne­rung an den al­ten Glau­ben, selbst wenn sich die al­ten Zau­ber­sprü­che im Ge­dächt­nis er­hiel­ten. Die, wel­che die Pfaf­fen hass­ten, fühl­ten sich trotz­dem als gute Chris­ten.

Ein gan­zes Volk kann sich nicht plötz­lich we­sent­lich ver­än­dern. Für die große Men­ge än­der­ten sich zu­nächst nur die Na­men und die For­meln. Ein­zel­ne re­li­gi­ös Be­gab­te er­fuh­ren durch die Berüh­rung mit dem Chris­ten­tum ein er­schüt­tern­des Er­leb­nis und eine Wand­lung, und von sol­chen ging all­mäh­lich um­bil­den­der Ein­fluss auf das Volk aus. Es war nicht so, dass das Chris­ten­tum sei­ne Be­ken­ner so­fort auf eine hohe mo­ra­li­sche Stu­fe ge­ho­ben hät­te; aber das un­er­gründ­li­che Bi­bel­wort riss Schluch­ten in ih­rer See­le auf, aus de­nen her­aus sie glü­hen­der leb­ten. Al­tei­li­ge Vor­stel­lun­gen ver­schmol­zen mit dem neu­en Got­tes­bil­de. Je­ho­va war dem al­ten nor­di­schen Him­mels­gott ver­wandt; wie die­ser durch­stürm­te er die Nacht auf weißem Blitz, Dich­ter­wor­te, Zau­ber­wor­te auf den über­schweng­li­chen Lip­pen. Sie be­grif­fen ihn als den Herrn, die furcht­ba­re Ma­je­stät, un­nah­bar in ewi­ge Glut gehüllt, als den Ur­ton, der die Welt durch­summt. Sein Weg war un­er­reich­bar hoch, sein Wil­le un­er­forsch­lich, un­wi­der­steh­lich. Und die­ser All­mäch­ti­ge wur­de des Men­schen Freund, schloss einen Bund mit ihm, und aus ei­nes mensch­li­chen Mäd­chens Schoß zeug­te er wun­der­bar sein Eben­bild, den Früh­lings- und Lie­bes­gott, des­sen Tod Dun­kel und un­end­li­che Trau­er über die Erde aus­brei­tet. Den Mit­tel­punkt des Kul­tes und des Glau­bens bil­de­te das Sa­kra­ment des Abend­mahls. Man fei­er­te dar­in ein hei­li­ges Ge­heim­nis, die Ver­mäh­lung von Gott und Na­tur, die Ent­zün­dung des ele­men­ta­ren Stof­fes durch die Flam­me Gott. Das Zau­ber­wort des Ma­giers am Al­ta­re press­te die durch das Wel­tall er­gos­se­ne in einen elek­tri­schen Punkt zu­sam­men und lei­te­te sie zu Se­gen oder Fluch auf die Lip­pe des sterb­li­chen Men­schen. Die we­nigs­ten hat­ten das Be­dürf­nis, das Wun­der zu ver­ste­hen, da sie es er­leb­ten. Die Hos­tie war ne­ben den Re­li­qui­en der Mit­tel­punkt der Wun­der­sucht, das schau­er­lichs­te Mit­tel der Zau­be­rei. Die Ver­eh­rung der ir­di­schen Über­res­te von Hei­li­gen, ein ed­ler Brauch, ver­misch­te sich bald mit teils heid­nischen, teils welt­li­chen Vor­stel­lun­gen, die von we­ni­gen Hoch­ste­hen­den be­nutzt, von den meis­ten ge­teilt wur­den. Jahr­hun­der­te hin­durch wa­ren Re­li­qui­en ein Zau­ber­mit­tel, das von den Be­sit­zen­den ge­sam­melt, er­jagt, wenn es nicht an­ders ging, ge­stoh­len wur­de. Als im 14. Jahr­hun­dert Bi­schof Ger­hard von Hil­des­heim ge­gen meh­re­re mäch­ti­ge Fürs­ten in die Schlacht ging, ver­sprach er erst der Mut­ter Got­tes ein gol­de­nes Dach auf ihre Kir­che für den Fall sei­nes Sie­ges, wäh­rend sie sonst mit ei­nem Stroh­dach sich be­gnü­gen müs­se, au­ßer­dem steck­te er Re­li­qui­en in sei­nen Är­mel. »Leve Ke­rel, tru­ret nich, hie heb­be ek du­send Mann in mi­ner Mau­en«, rief er sei­nen Leu­ten zu, um sie ge­gen die Über­zahl be­herzt zu ma­chen, und er­rang einen ge­wal­ti­gen Sieg. Wenn sich viel Ab­ge­schmack­tes und Ro­heit in die Auf­fas­sung des Gött­li­chen misch­te: was wäre eine Re­li­gi­on, die nicht auch Ma­gie wäre? Teil­ha­ben an der Got­tes­kraft, das ist es doch, was alle Gläu­bi­gen wol­len, die einen um der ro­he­s­ten, an­de­re um der sub­lims­ten Zwe­cke wil­len. Bei al­ler der­ben Sinn­lich­keit ver­senk­ten sich die Deut­schen mit Lei­den­schaft in das Über­sinn­li­che. Die er­ha­be­ne Ge­walt­sam­keit, mit der das Chris­ten­tum den ei­gent­li­chen Schau­platz der Men­schen­ge­schich­te von der Erde hin­weg in ein jen­sei­ti­ges Geis­ter­reich ver­legt, ge­ra­de die­se Um­wäl­zung, die der Epo­che, die man Mit­tel­al­ter nennt, die gran­dio­se Span­nung, die ge­heim­nis­vol­le Tie­fe ver­lieh, das Le­ben in ein Him­mel und Erde über­brücken­des Dra­ma ver­wan­delt, ent­sprach ei­ner Geis­tes­kraft, die dem Deut­schen be­son­ders ei­gen ist, der Fan­ta­sie. Der Sinn für das Un­sicht­ba­re, der viel­leicht mit der Be­ga­bung des deut­schen Men­schen für Mu­sik zu­sam­men­hängt, öff­net sein Ohr den Stim­men von drü­ben. Li­ud­ger, der ers­te Bi­schof von Müns­ter, der, weil er selbst Frie­se war, leich­ter Zu­gang zu sei­nem Vol­ke fand als die frü­he­ren Mis­sio­na­re, be­kam einen wert­vol­len Ge­hil­fen in dem san­ges­kun­di­gen Bern­laf. Ihn hat­te die Schön­heit der Psal­men für das Chris­ten­tum ge­won­nen, und da er über­all be­liebt war, weil er von den Ta­ten der Vor­fah­ren sin­gen und sa­gen konn­te, wehr­te man ihm auch nicht, als er für sei­nen Glau­ben warb. Die­se Ge­sän­ge über­zeug­ten un­mit­tel­bar, auf Zau­ber­art. Nicht nur der frie­si­sche Sän­ger, nicht nur Mön­che, son­dern auch Kö­ni­ge wuss­ten vie­le Psal­men aus­wen­dig und führ­ten eine Psal­men­samm­lung auf Rei­sen mit sich. Karl der Gro­ße lieb­te die Mu­sik und pfleg­te in der Kir­che mit ge­dämpf­ter Stim­me die Psal­men mit­zu­sin­gen. Kei­ne Kunst ist so wie die Mu­sik Ver­kün­de­rin des Über­sinn­li­chen, dop­pelt so, wenn sie sich mit der Wir­kung der Archi­tek­tur ver­bin­det. Die Fei­er­lich­keit des Got­tes­diens­tes in den Chö­ren der ka­ro­lin­gi­schen und ot­to­ni­schen Kir­chen mö­gen mehr als die Pre­digt die Her­zen dem drei­ei­ni­gen Got­te zu­ge­führt ha­ben.

 

In­des­sen, wenn auch die neue Re­li­gi­on haupt­säch­lich als Him­mels­zau­ber auf die See­le wirk­te, so herrsch­te sie doch auch als sitt­li­che Macht. »Du sollst hei­lig sein, denn ich bin hei­lig.« Von al­len Göt­tern, zu de­nen die Völ­ker be­ten, hat­te noch nie ei­ner so zu sei­nem Vol­ke ge­spro­chen. Der Sinn des deut­schen Men­schen für Ge­rech­tig­keit ver­band ihn mit dem Gott, der der Ge­rech­te hieß, das Kämp­fe­ri­sche sei­ner Ge­sin­nung mach­te, dass er sich wil­lig in die Geis­ter­schlacht zwi­schen Gut und Böse hin­ein­rei­ßen ließ. Die Welt­über­win­dung durch As­ke­se, die der Mönch im Klos­ter führ­te, war zu­gleich ein rit­ter­li­cher Ge­dan­ke und den Ger­ma­nen nicht durch­aus fremd. Al­ler­dings wa­ren sie im All­ge­mei­nen zü­gel­los im Trin­ken und in der Frau­en­lie­be; sie be­durf­ten des Rau­sches. Den er­wähl­ten Frau­en ga­ben sie sich mit ei­ner fast kind­li­chen Ge­walt­sam­keit hin, und es kam zu er­bit­ter­ten Kämp­fen mit der Kir­che, wenn sie ein Lie­bes­ver­hält­nis we­gen zu na­her Ver­wandt­schaft zu lö­sen un­ter­nahm. An­de­rer­seits wur­de in der ger­ma­ni­schen My­tho­lo­gie Jung­fräu­lich­keit als Quell über­mensch­li­cher Kraft be­grif­fen, und im Ver­hal­ten zum Tode, den zu fürch­ten für den Frei­ge­bo­re­nen als Schan­de galt, lag Selb­st­über­win­dung. Karl der Gro­ße ver­ab­scheu­te Trun­ken­heit. Dass blo­ßes Sich­ge­hen­las­sen nichts Gro­ßes er­zeugt, wuss­te auch der heid­nische Deut­sche, und ge­ra­de weil der Freie kei­nen Zwang dul­det, muss­te er sich selbst zwin­gen. Ohne die­sen Selbstzwang gibt es kei­ne Ehre. Um an dem Kamp­fe des schaf­fen­den Got­tes ge­gen den zer­stö­ren­den Teu­fel teil­zu­neh­men, ström­ten Män­ner und Frau­en den Klös­tern zu.

Im Sü­den Deutsch­lands hat­ten schon vor Bo­ni­fa­ti­us Klos­ter­grün­dun­gen statt­ge­fun­den, so­wohl in Fran­ken wie in Schwa­ben und Bay­ern. In Schwa­ben grün­de­ten iro­schot­ti­sche Mön­che Rei­chenau und Sankt Gal­len, im from­men Bay­ern be­tei­lig­ten sich die Bi­schö­fe, die ein­hei­mi­schen Her­zö­ge und ad­li­gen Pri­vat­per­so­nen. So etwa wie die ers­ten eu­ro­päi­schen An­sied­ler in den wil­den Wes­ten Ame­ri­kas ein­dran­gen, so zo­gen glau­bens­star­ke, aben­teu­er­lus­ti­ge Leu­te in klei­ne­ren und grö­ße­ren Grup­pen dem Sü­den und Os­ten zu, dran­gen in die al­ten rö­mi­schen Pro­vin­zen ein, wo längs der großen Stra­ßen noch Ro­ma­nen, ab­seits in den Flus­stä­lern Sla­wen wohn­ten. Auch ein­zel­ne freie Bau­ern sie­del­ten und ro­de­ten, der Name man­ches küh­nen Man­nes ist in den Na­men al­ter Ort­schaf­ten er­hal­ten; aber die Klös­ter hat­ten grö­ße­re Mit­tel zur Ver­fü­gung und er­ziel­ten dement­spre­chend grö­ße­re Er­geb­nis­se. Ge­wöhn­lich wur­de den Mön­chen ein Stück Kul­tur­land und ein Stück Öd­land ver­lie­hen, da­mit sie von den Er­träg­nis­sen des einen leb­ten, wäh­rend sie das an­de­re ur­bar mach­ten. Ver­las­se­ne Rui­nen aus der Rö­mer­zeit lie­fer­ten oft das Ma­te­ri­al für die klös­ter­li­chen Bau­ten; die Trüm­mer des al­ten Iu­va­vum er­mög­lich­ten, dass gleich das ers­te Salz­bur­ger Klos­ter aus Stein her­ge­stellt wer­den konn­te. Kam eine aus­wan­dern­de Ge­sell­schaft an der Stät­te an, die zur Er­rich­tung ei­nes Klos­ters oder der Fi­lia­le ei­nes Klos­ters ge­eig­net schi­en, so wur­de zum Zei­chen der Be­sitz­nah­me ein Kreuz auf­ge­stellt und dann eine Zel­le ge­baut, wo­von das häu­fi­ge Vor­kom­men des Wor­tes Zell im Orts­na­men Kun­de gibt. Sie wur­de un­ter den Schutz der hei­li­gen Mar­ga­re­te oder des hei­li­gen Ge­org, des Dra­chen­über­win­ders, ge­stellt, wenn man in be­nach­bar­ten Wäl­dern die wil­den Tie­re fürch­te­te; freund­li­che Auen weih­te man der Jung­frau Ma­ria. Die stren­ge Re­gel des Bo­ni­fa­ti­us, wo­nach die Mön­che alle Ar­beit selbst tun soll­ten, wur­de in Bay­ern nie durch­ge­führt; die schwe­re Ar­beit der Ko­lo­ni­sa­ti­on wur­de von hö­ri­gen Knech­ten ge­leis­tet.

Passau, St. Flo­ri­an, Krems­müns­ter, Chiem­see, Staf­fel­see, Wes­so­brunn, Te­gern­see, Be­ne­dikt­be­u­ren, die bei­den letz­te­ren von zwei ad­li­gen Brü­der­paa­ren ge­stif­tet, wur­den in Bay­ern zu be­deu­ten­den Kul­tur­mit­tel­punk­ten, in Fran­ken Lorsch und Prüm, im El­saß Wei­ßen­burg, in Sach­sen Kor­vey und die be­rühm­ten Non­nen­k­lös­ter Gan­ders­heim, Qued­lin­burg und Nord­hau­sen. Die Schen­kun­gen, mit de­nen die Klös­ter über­häuft wur­den, mach­ten sie schnell au­ßer­or­dent­lich reich.

In den Vor­rats­häu­sern und Stäl­len des Klos­ters Staf­fel­see be­fan­den sich im Jah­re 812: 1 Pferd, 26 Och­sen, 20 Kühe, 1 Stier, 51 Stück Klein­vieh, 5 Käl­ber, 87 Ham­mel, 14 Läm­mer, 17 Bö­cke, 58 Zie­gen, 12 Böck­chen, 40 Schwei­ne, 50 Frisch­lin­ge, 63 Gän­se, 50 jun­ge Hüh­ner, 17 Bie­nen­stö­cke, 20 Speck­schwar­ten, 40 Käse, 127 Fett- und Schmalz­töp­fe. Dazu ka­men noch Ho­nig, But­ter, Salz und Malz. In den Mäg­de­kam­mern span­nen und web­ten 24 Mäg­de und ver­fer­tig­ten aus Wol­le und Lei­nen Wä­sche und Klei­dungs­stücke. Das Land wur­de teils ver­pach­tet, teils vom Klos­ter selbst durch Hö­ri­ge be­wirt­schaf­tet, die teils mit dem Land zu­sam­men ge­schenkt wa­ren, teils sich mit oder ohne Land dem Klos­ter frei­wil­lig er­ga­ben. Trotz des da­ma­li­gen Über­flus­ses an Land und Leu­ten be­darf der Wett­ei­fer des Schen­kens, der im 9. und 10. Jahr­hun­dert das deut­sche Volk er­griff, der Er­klä­rung, und er er­klärt sich haupt­säch­lich durch die Ge­walt des Glau­bens. Moch­te im­mer­hin noch man­cher säch­si­sche Bau­er in ein­sa­men Hö­fen sich an sei­nen al­ten Ru­nen und Sprü­chen ge­nü­gen las­sen, der Adel und die be­gü­ter­ten Frei­en wa­ren gläu­bi­ge Chris­ten, über­zeugt, das Heil ih­rer See­le nur durch die Ver­mitt­lung des Paps­tes in Rom emp­fan­gen zu kön­nen.

Das Kloster

Wa­ren auch vie­le Wäl­der ge­lich­tet und vie­le Moo­re ent­wäs­sert, noch im­mer gab es ta­ge­rei­sen­weit Wild­nis in deut­schen Lan­den. Ta­ge­lang ging der jun­ge Bayer Sturm, als er einen Platz für das Klos­ter such­te, das Bo­ni­fa­ti­us grün­den woll­te, durch Wäl­der und flocht bei Nacht einen Zaun um sei­nen Esel, um ihn not­dürf­tig vor wil­den Tie­ren zu schüt­zen, und wenn es in den Zwei­gen ra­schel­te und knack­te, horch­te er ge­spannt, ob ein Mensch oder ein Wolf oder Luchs sich her­an­sch­li­che. An den Mün­dun­gen des Rheins, der We­ser und Elbe über­schwemm­te das Ge­wäs­ser oft weit­hin das Land, Sturm­flu­ten bran­de­ten über die noch nicht ein­ge­deich­ten An­sie­de­lun­gen und ris­sen sie in die Tie­fe. Im Herbst, im Win­ter und im Früh­ling, wenn die Wol­ken tief her­ab­hin­gen, der kal­te Wind heul­te und Schnee und Re­gen die Wege zu Mo­rast auf­weich­ten, moch­te dem Wan­de­rer, der zu Fuß oder zu Pfer­de ein ent­fern­tes Ziel zu er­rei­chen such­te, oft die Hand er­star­ren und das Herz er­be­ben. Nicht nur wil­de Tie­re, auch die wil­den Men­schen muss­te er fürch­ten, We­ge­la­ge­rer, Krie­ger, die zum Kamp­fe aus­zo­gen oder vom Kamp­fe zu­rück­kehr­ten und ih­ren Über­mut an je­dem Be­lie­bi­gen aus­tob­ten, Fein­de viel­leicht, die die Ge­le­gen­heit wahr­nah­men, einen al­ten Span aus­zu­tra­gen. Weit und breit kein Haus; die Dör­fer, durch die man etwa kam, be­stan­den aus dürf­ti­gen, stroh­ge­deck­ten Hüt­ten aus Lehm und Holz. Zu­wei­len kam man wohl an fes­ten, brei­ten Häu­sern frei­er Bau­ern oder an Guts­hö­fen vor­über, die Eschen und Ei­chen be­schirm­ten, an de­nen ein Quell vor­über­rie­sel­te, und die wohl­be­stell­te Äcker um­ga­ben. Städ­te gab es noch we­ni­ge au­ßer den al­ten Rö­mer­städ­ten am Rhein, Straß­burg, Ba­sel, Mainz, Köln, au­ßer Augs­burg am Lech und Re­gens­burg an der Do­nau, und auch dort öff­ne­ten sich dem Wan­de­rer zu Schutz und Her­ber­ge nur die Klös­ter, die es dort etwa gab.

In­mit­ten des wol­ken­ver­han­ge­nen, wäl­der­rau­schen­den, waf­fenk­lir­ren­den Lan­des gab es Be­zir­ke, die der Frie­de Got­tes er­füll­te. Moch­te drau­ßen Krieg ra­sen, un­ter der täg­li­chen Fron der Land­ar­bei­ter seuf­zen, Ge­walt und Un­recht tri­um­phie­ren, im Klos­ter glüh­te die Flam­me ewi­ger An­be­tung, beug­ten sich im­mer Knie vor dem Herrn, rie­fen im­mer in­brüns­ti­ge Lip­pen den höchs­ten Na­men an, leg­ten Gott­ge­weih­te das Ge­schick ih­rer welt­li­chen Brü­der an das Va­ter­herz im Ge­bet. Nach sie­ben­stün­di­gem Schlaf, eh noch der Tag zu däm­mern be­gann, er­ho­ben sich die Mön­che vom La­ger und be­tra­ten die Kir­che, um das Lob des All­mäch­ti­gen zu be­gin­nen. In fes­ten Rhyth­men be­glei­te­te die Mu­sik den Psalm der Stun­de des Ta­ges, alle Ge­füh­le des Her­zens er­gie­ßend: die Kla­ge über das Ver­geb­li­che der Lust der Welt, den düs­te­ren Schmerz der Un­zu­läng­lich­keit und Schuld, das Rüh­men und Dan­ken, den Ju­bel des Glau­bens, die Angst des Zwei­fels, das un­still­ba­re Heim­weh. Über die Wän­de der Kir­che brei­te­te sich in fei­er­li­chen Bil­dern die Ge­schich­te vom Bun­de Got­tes mit der Mensch­heit aus. Man sah lieb­lich und herr­lich zu­gleich die jung­fräu­li­che Mut­ter mit dem Kin­de, das, so klein es war, doch das Gött­li­che in sich fass­te, man sah den Herrn am Kreu­ze und sah ihn in sei­ner Ma­je­stät un­er­bitt­lich am Jüngs­ten Tage die Bö­sen von den Gu­ten son­dern. Wer den ge­weih­ten Raum be­trat, spür­te die Ge­gen­wart über­ir­di­scher Mäch­te. Die Kna­ben vor­neh­mer Ab­kunft, die hier von den El­tern Gott dar­ge­bracht wur­den, wuss­ten, dass sie be­stimmt wa­ren, Krie­ger des höchs­ten Kriegs­herrn zu wer­den, wenn sie auch kei­ne Rüs­tung tru­gen. Stolz, sprö­de, keck beug­ten sie sich doch der Zucht ih­rer Leh­rer und des Ab­tes, die nach der Re­gel streng und mil­de, brü­der­lich und kö­nig­lich sie re­gier­ten. Der Sehn­sucht des ger­ma­ni­schen Jüng­lings, ei­nem Füh­rer Ge­folg­schaft zu leis­ten, der im Kamp­fe vor­an­ging, konn­ten sie auch im Klos­ter Ge­nü­ge tun. Je nach ih­rer Be­ga­bung war ih­nen das Klos­ter Uni­ver­si­tät, Kunst­schu­le, Hand­wer­ker­schu­le, land­wirt­schaft­li­che Schu­le. Denn es war eine Welt im klei­nen, al­les, was ge­braucht wur­de, wur­de im Klos­ter an­ge­fer­tigt, das über den Ge­brauch hin­aus Er­zeug­te ging zum Ver­kauf hin­aus.

Im Klos­ter­gar­ten wur­den Ro­sen, Ver­be­nen, Nel­ken und an­de­re Blu­men des schö­nen An­blicks und des Duf­tes we­gen ge­zo­gen, da­ne­ben Ge­mü­se, Kü­chen­kräu­ter und Pflan­zen, de­nen Heil­kraft zu­ge­schrie­ben wur­de: Lat­tich, Lauch, Erb­sen, Pe­ter­si­lie, Min­ze, La­ven­del und Thy­mi­an. Die rei­chen Klös­ter hat­ten aus­wär­ti­ge Be­sit­zun­gen, oft von weit­her wur­den dem Mut­ter­klos­ter Er­trä­ge zu­ge­führt. Das Klos­ter Rei­chenau be­zog aus ei­ge­nen Gü­tern in Ita­li­en Wein und Öl. Hohe Gäs­te pfleg­ten Schen­kun­gen an Wild oder Fisch oder Wein zu ma­chen, und der für die Gabe fest­ge­setz­te Tag wur­de zum Fest­tag. Ek­ke­hard IV. hat den Be­such ge­schil­dert, den der lie­bens­wür­di­ge Kö­nig Kon­rad I. im Jah­re 911 in Sankt Gal­len mach­te. Wäh­rend er in Kon­stanz die Weih­nacht fei­er­te, er­zähl­te ihm der Bi­schof Sa­lo­mon, der in Sankt Gal­len er­zo­gen war, von der Pro­zes­si­on, die an ei­nem der fol­gen­den Tage dort statt­fin­de, wor­auf der Kö­nig aus­rief: »Wä­ren wir dort! Und warum, mein Herz, ge­hen wir nicht mor­gen früh hin?« Fröh­lich fuh­ren sie zu Schiff den Rhein hin­auf und wur­den in Sankt Gal­len mit Hym­nen emp­fan­gen. Von den drei Freu­den­ta­gen, die der Kö­nig dort zu­brach­te, blieb der Tag der Un­schul­di­gen Kind­lein, der ein Tag be­son­de­rer Frei­heit für die Klos­ter­schü­ler war, al­len die liebs­te Erin­ne­rung. Der Kö­nig, of­fen­bar ein Kin­der­freund, ließ den klei­nen Bur­schen Obst hin­schüt­ten und staun­te, als nicht ei­ner sich rühr­te, um da­nach zu grei­fen, dann wie­der nahm er sie auf den Schoß und leg­te ih­nen Gold­mün­zen in den Mund und lob­te la­chend den einen, der das Gold voll Ab­scheu aus­spie. Er speis­te mit den Mön­chen, be­rei­cher­te das be­schei­de­ne Mahl durch au­ßer­ge­wöhn­li­che Zuta­ten, ver­brei­te­te fröh­lich plau­dernd ge­müt­li­che Stim­mung und sag­te spä­ter zum Bi­schof von Kon­stanz, das we­nigs­tens war die Über­lie­fe­rung des Klos­ters, er sei noch nie bei ei­nem Gast­mahl so hei­ter ge­we­sen. Auch in die Ge­bets­ver­brü­de­rung ließ er sich auf­neh­men, eine Ein­rich­tung, zu­fol­ge wel­cher Lai­en nach er­folg­ter Zu­stim­mung der Mön­che eine ge­wis­se Zu­ge­hö­rig­keit zum Klos­ter sich er­wer­ben konn­ten, so­dass die Mön­che sie in ihr Ge­bet ein­schlos­sen, und sie das recht hat­ten, vor­über­ge­hend im Klos­ter zu ver­wei­len, wo­von Fürs­ten und Ad­li­ge wohl am Ende ih­res Le­bens Ge­brauch mach­ten, um in ge­hei­lig­ten Räu­men zu ster­ben.

 

In­des­sen, nicht da­durch al­lein soll­te das Klos­ter einen Ge­gen­satz zur Welt bil­den, dass es eine Stät­te des Frie­dens sei, wäh­rend drau­ßen Blut und Trä­nen ver­gos­sen wur­den: Lei­den und Ent­beh­rung soll­te der Grund­ton des mön­chi­schen Le­bens sein. Es soll­te ein frei­wil­lig über­nom­me­nes Lei­den sein zum Zei­chen der Nach­fol­ge Chris­ti; mit dem drei­fa­chen Ge­lüb­de der Ar­mut, der Keusch­heit und des Ge­hor­sams ver­zich­te­te des­halb der Mönch auf al­les, wor­aus der Mensch die Genüs­se zu schöp­fen pflegt, auf Be­sitz, auf Lie­be und Fa­mi­lie, auf den ei­ge­nen Wil­len. Im Klos­ter soll­te ein Grund­ge­dan­ke des Chris­ten­tums ver­wirk­licht wer­den: die Aus­schal­tung des Pri­vatei­gen­tums. Auch nicht ein Buch, nicht einen Grif­fel soll­te der Mönch zu ei­gen be­sit­zen, al­len soll­te al­les ge­mein­sam sein. Die meis­ten Kir­chen­vä­ter stimm­ten dar­in über­ein, dass der Ge­mein­be­sitz gut, von der Na­tur und von Gott ge­wollt sei, dass die Hab­sucht der Men­schen das Son­de­rei­gen­tum ein­ge­führt habe. Da­mit hing das Ge­bot der Ehe­lo­sig­keit zu­sam­men, denn in der Fa­mi­lie bil­det sich die Nei­gung aus, Ver­mö­gen zu er­wer­ben und den Kin­dern zu ver­er­ben, wo­durch es der Ge­mein­de ent­zo­gen wird. Dem ger­ma­ni­schen Bau­er, be­son­ders dem säch­si­schen, der gern al­lein auf sei­nem Hof saß, war die kirch­li­che Leh­re von der Gü­ter­ge­mein­schaft durch­aus ent­ge­gen­ge­setzt. Auch wur­de das stren­ge Ge­bot im Klos­ter oft durch­bro­chen, da es im­mer sol­che gab, die et­was Ei­ge­nes zu ver­heim­li­chen wuss­ten, wor­über es dann zu häss­li­chen Zan­ke­rei­en kam. Al­lein wenn auch Heu­che­lei und Schwä­che das Vor­le­ben des christ­li­chen Ge­dan­kens trü­ben und die Un­mög­lich­keit, ihn rein zu ver­wirk­li­chen, be­wei­sen moch­ten, er leuch­te­te doch von die­ser Stät­te in die von Hab­gier zer­ris­se­ne Welt, einen Ha­fen al­len de­nen öff­nend, die ihm die­nen woll­ten. Hier in die­sem ge­hei­lig­ten Be­zirk soll­te das Gold nur dem Schmuck des Al­tars die­nen, die wei­ßen Hän­de des Mönchs soll­ten sich nie um eine er­raff­te Mün­ze schlie­ßen, nur sich öff­nen, um sie dem Be­dürf­ti­gen aus­zu­tei­len. Das zur Er­hal­tung des Le­bens Not­wen­di­ge war da, gab es et­was dar­über hin­aus, wur­de es mit Dank ge­nos­sen, aber im All­ge­mei­nen soll­te die Leh­re der Kir­chen­vä­ter gel­ten: wer et­was Über­flüs­si­ges hat, ent­zieht es dem Ar­men. Die Be­ga­bung soll­te in­ner­halb der Ge­mein­schaft zwar an­er­kannt und ge­pflegt wer­den und sich ent­fal­ten, aber kei­nen Vor­zug der Ehre oder der Ein­künf­te zur Fol­ge ha­ben. Alle stan­den un­ter glei­chem Ge­setz, wohn­ten gleich, nähr­ten und klei­de­ten sich gleich, ein­zig die Per­sön­lich­keit, de­ren Wur­zel sich mensch­li­chem Ein­griff ent­zieht, gött­li­che Prä­gung, die kein ir­di­scher De­spot ver­wi­schen kann, mach­te sich durch grö­ße­res Lie­ben und Ge­liebt­wer­den gel­tend, trotz al­ler Be­stim­mun­gen, die auch die Freun­des­lie­be ge­gen­über der Nächs­ten­lie­be be­schrän­ken soll­ten. So­weit es mensch­li­che Lei­den­schaft und mensch­li­che Schwä­che zu­las­sen, wur­de hier christ­li­che Brü­der­lich­keit ver­wirk­licht.

Nicht im­mer er­tru­gen die jun­gen Män­ner die Ver­ge­wal­ti­gung, die ih­rer Na­tur durch das Mönch­tum an­ge­tan wur­de, gut­wil­lig. Oft wa­ren es sol­che, die schon als Kin­der durch Kränk­lich­keit, Zart­heit, Nei­gung zum be­schau­li­chen Le­ben, geis­ti­ge Be­ga­bung für die klös­ter­li­che Lauf­bahn vor­be­stimmt schie­nen; war das nicht der Fall, so muss­ten die ad­li­gen Kna­ben, de­ren Vä­ter und Brü­der das Schwert führ­ten, sich im Krie­ge aus­zeich­ne­ten, Aben­teu­er er­leb­ten, hart mit sich rin­gen, bis sie in­ne­ren Frie­den fan­den oder we­nigs­tens sich zu fü­gen lern­ten. Zwi­schen den Klos­ter­mau­ern ver­sieg­te man­che Trä­ne des Zorns, ver­hall­te man­cher Fluch der Verzweif­lung. Nur zu­fäl­lig ist uns das Schick­sal des jun­gen Gra­fen­soh­nes Wolo über­lie­fert, der, um von fer­ne die blau­en Ber­ge zu se­hen, dem Ver­bo­te trot­zend einen Turm be­stieg, stürz­te und das Ge­nick brach, im Ster­ben wohl das Ge­schick seg­nend, das ihn be­frei­te. Un­se­li­ger en­de­te der säch­si­sche Gra­fen­sohn Gott­schalk, der auf ei­nem Kon­zil in Mainz Ent­las­sung aus dem Klos­ter ver­lang­te, weil er des mön­chi­schen Le­bens über­drüs­sig ge­wor­den war. Das Kon­zil, dem er selbst sei­ne Sa­che vor­trug, war weit­her­zig ge­nug, sei­nem Ge­such ent­spre­chen zu wol­len, nicht so der Abt des Klos­ters Ful­da, dem er an­ge­hör­te, Hra­ba­nus Mau­rus. Der Mann, den die Mit- und Nach­welt we­gen sei­ner Kennt­nis­se und sei­ner Fröm­mig­keit be­wun­der­te, zeig­te sich Gott­schalk ge­gen­über bis zur Grau­sam­keit starr. Er focht das Ur­teil des Kon­zils an, in­dem er sich dar­auf be­rief, dass die Ge­lüb­de der El­tern, die Kin­der dem Klos­ter dar­bräch­ten, nicht ge­löst wer­den könn­ten. Um Gott­schalks Kla­ge über Frei­heits­be­rau­bung zu­rück­zu­wei­sen, sag­te er, man ver­lie­re sei­ne Frei­heit nicht, wenn man sich dem Diens­te Chris­ti wei­he, was Gott­schalk doch gar nicht ge­tan hat­te. Lud­wig der From­me gab, wie zu er­war­ten war, dem Abte nach, doch wur­de Gott­schalk ge­stat­tet, in ein an­de­res Klos­ter zu ge­hen, und er wähl­te Or­bais in der Di­öze­se Sois­sons. Mit der Hef­tig­keit ei­nes auf­ge­stau­ten Ta­ten­dran­ges ver­tief­te er sich in die Schrif­ten des hei­li­gen Au­gus­ti­nus und ent­deck­te die Leh­re von der Gna­den­wahl, die er kampf­lus­tig und trot­zig zu ver­brei­ten such­te als eine Wahr­heit, die die Kir­che der Chris­ten­heit vor­ent­hal­ten habe. Er über­zeug­te man­che, ge­wann nam­haf­te An­hän­ger; aber da sich zwei mäch­ti­ge Fein­de ge­gen ihn ver­bün­de­ten, sein al­ter Geg­ner, Hra­ba­nus Mau­rus, der in­zwi­schen Erz­bi­schof von Mainz ge­wor­den war, und der ge­walt­tä­ti­ge Hink­mar, Erz­bi­schof von Reims, bei­de star­ke Per­sön­lich­kei­ten, ge­lehrt und herrsch­süch­tig, un­ter­lag er. Durch Gei­ßel­hie­be zum Schwei­gen ge­bracht, ver­fiel er schließ­lich in Wahn­sinn. Dass die Leh­re von der Gna­den­wahl als ket­ze­risch ver­ur­teilt wur­de, ent­sprach dem klu­gen und mil­den Geist der ka­tho­li­schen Dog­ma­tik, die den Lai­en vor dem Gift all­zu tief boh­ren­der Ge­dan­ken be­wah­ren woll­te; den per­sön­li­chen Hass, der sich in der Art, wie man ihn be­han­del­te, er­weist, mag zu ei­nem Teil das stol­ze und recht­ha­be­ri­sche We­sen des Un­glück­li­chen, der um sei­ne Leh­re als um sei­ne Ra­che kämpf­te, ver­schul­det ha­ben.