Es schien in der Tat, als wolle Gott das Haus der Erzherzogin Maria erhöhen; denn nach vielen Weiterungen, die die Launenhaftigkeit des greisen Königs von Spanien, Philipps II., verursachte, kam endlich die Verlobung zwischen seinem Sohne Philipp, dem Thronfolger, und ihrer Tochter, der kleinen blonden Margareta, zustande. Maria, die das Reisen außerordentlich liebte, geleitete sie selbst nach Madrid und hatte große Mühe, das kindische Wesen der Tochter vor den so anders gearteten Spaniern zu verbergen. Als die erste spanische Gesandtschaft die Reisenden unterwegs antraf und der Prinzessin ein auf Elfenbein gemaltes Miniaturbild ihres Bräutigams überreichte, hielt sie den Ausbruch ihrer Lustigkeit unter dem strengen Blick der Mutter notdürftig zurück; sowie sie aber allein waren, warf sie sich auf einen Stuhl und rief unmäßig lachend: »So also sieht der Lipperli aus! Und dies soll mein Mann sein! Er gleicht einer Quarkrübe! Ich werde ihm ein Lätzlein mitbringen, denn er kann gewiss noch nicht sauber essen.«
Dass sie selbst noch in die Kinderstube gehöre, sagte Maria strafend, beweise ihr Benehmen. Dann betrachtete sie das Bildchen, stellte einige Familienähnlichkeit fest und meinte, es sei überhaupt fraglich, ob der Prinz selbst dazu gesessen habe; denn der alte König habe seine Kinder nicht mehr konterfeien lassen, seit ihm mehrere bald nach dem Abmalen gestorben seien.
Ob denn etwa die Maler in Spanien als Zauberer verbrannt würden? fragte die Kleine neugierig. Es gehe eben seltsam zu in Spanien, sagte Maria, der alte König habe zuletzt voll Bosheit und Narrheit gesteckt, es komme ihr wohl, dass er noch gerade gestorben sei. Die spanischen Verwandten seien alle ein wenig verstockt und verdreht, man heiße das die spanische Krankheit, und sie könne es sich gut vorstellen, wenn sie die widerwärtigen Spanier sähe, in deren Gesellschaft es einem eng ums Herz werde. Zwischen dieser gelben, langnasigen, ranzigen Nation und den Juden sei kaum ein Unterschied.
Vielleicht bekomme sie diese Krankheit auch, wenn sie erst in Spanien sei, sagte Margareta, so wolle sie sich bis dahin noch recht lustig machen. Damit war auch Maria einverstanden. Die vielen Geschenke, die den hohen Reisenden unterwegs von Fürsten und Städten überreicht wurden, die Kostbarkeiten und Heiligtümer, die die Erzherzogin einkaufte, wurden abends beim Glückstopf verspielt in der Art, dass für die daheim zurückgelassenen Kinder mit gesetzt wurde. In Mailand gefiel der Kleinen nächst den vielen Kirchen und Klöstern ein Flohtheater am besten, und sie lag der Mutter mit dringenden Bitten an, es ihr zu kaufen. Indessen schlug es ihr Maria ab, weil die leidigen Spanier, wenn sie dahinterkämen, es ihr übel auslegen könnten, obwohl sie selbst gewiss mehr Flöhe, Läuse und Wanzen hätten als ein Bauernkind auf dem Miste.
Großen Trost fand Maria in der Begleitung des Hans Ulrich von Eggenberg, der, aus einer lutherischen, durch Geldgeschäfte reich gewordenen Familie stammend, sich, seit er erwachsen war, zur katholischen Kirche gehalten hatte, kürzlich vom Kaiser in den Freiherrnstand erhoben und bei der Erzherzogin und ihrer ganzen Familie sehr beliebt war. Seine offenen blauen Augen und sein gemütliches Wesen versinnbildlichten ihr unter den Fremden die deutsche Heimat. Wenn sie eine Weile mit ihm geschwatzt habe, sagte sie zu ihm, sei ihr zumut, als sei sie daheim im Walde spaziert und habe Eichen und Buchen rauschen hören, und hätte sie nicht von Zeit zu Zeit eine solche Erquickung, möchte sie es nicht so lange zwischen den stinkenden spanischen Zwiebelfeldern aushalten. Auch die kleine Margareta sagte, sie würde lieber nach Madrid reisen, wenn Eggenberg noch kein Weib hätte und König von Spanien wäre; worauf Eggenberg erwiderte, er würde ihr dann gewiss auch so viele Flöhe fangen, dass die Hofdamen sich ihren Bedarf aus Aranjuez müssten kommen lassen.
Gleichzeitig fand eine andere habsburgische Vermählung statt, durch welche Ferdinands Aussichten einen unerwarteten Niederschlag erlitten; sein Oheim Albrecht nämlich heiratete die Prinzessin Isabella von Spanien, die einzige, wegen ihres Verstandes und ihrer Tüchtigkeit berühmte Tochter Philipps II., die seit so vielen Jahren mit ihrem Vetter Rudolf, dem Kaiser, verlobt gewesen war, dass man sich gewöhnt hatte, dies als einen dauernden Zustand zu betrachten. Die Geschwister kicherten und warfen listige Blicke auf Ferdinand, Leopold streckte ihm hinter dem Rücken der Mutter die Zunge aus. Da er seine Wut an dem jüngeren Bruder nicht selbst auslassen konnte, der eine breite Brust und starke Muskeln bekommen hatte, machte Ferdinand die Mutter aufmerksam, die dann auch mit der Strafe nicht zögerte. Einen solchen Rüpel könne sie den Passauern nicht als Bischof anbieten, fuhr sie Leopold an; sie müsse so von ihrer eigenen Familie genug darüber hören, dass sie alle geistlichen Würden für ihren unmündigen Buben wolle. »Ich speie Euch auf den Passauer Bischofshut!« sagte Leopold trotzig, worauf er mit einem Gebetbuche eingesperrt wurde, keinen anderen Besuch als den des Beichtvaters empfangen durfte und durch mehrtägiges Fasten auf die seinem Stande geziemende Sanftmut heruntergebracht wurde.
Merklichere Aufregung und Veränderung rief die Nachricht von der Verlobung am Hofe zu Prag hervor. Rudolf nämlich hatte sich nie entschließen können, die spanische Braut zu heiraten, aus Scheu vor jeder Fessel sowohl, wie weil ihr fester und gebietender Charakter ihm ein unbestimmtes Gefühl von allerlei zu nehmenden Rücksichten einflößte, dann auch, weil er das gewohnte Zusammenleben mit einer Frau aus geringerem Stande, die ihm mehrere Kinder geboren hatte und die jede seiner Launen und Begierden gehen ließ, durchaus nicht hätte aufgeben mögen. Andererseits war ihm das Bewusstsein wert, die Prinzessin jeden Augenblick heimführen zu können, und es schien ihm nicht anders, als hätte sie eine frevelhafte Treulosigkeit begangen, sein Bruder aber sich ein Stück von seinem Besitztum angeeignet. Der Schmerz wurde dadurch verbittert, dass Rudolf durch seinen Kammerdiener Matkowsky einige Einzelheiten der vom Minister Rumpf geführten diplomatischen Verhandlungen erfuhr, die der Vermählung vorangegangen waren. Rumpf, von welchem man wusste, dass er das ganze Vertrauen des Kaisers besaß und das Treiben am Hofe durch und durch kannte, hatte dem spanischen Gesandten mitgeteilt, von einer Heirat mit dem Kaiser müsse die Prinzessin gänzlich absehen, er könne keinen Entschluss fassen, lasse alles gehen, wie es wolle, kümmere sich nur um sein leibliches Wohlergehen und etliche Liebhabereien und sei überhaupt zum Regieren unfähiger als ein abgerichteter Pudel.
Rudolfs Erstaunen über diese Beleidigung seiner Majestät ging in einen Zorn über, den er anfänglich nur im Blute des Schuldigen kühlen zu können glaubte, indessen beschwor ihn Matkowsky selbst, von einem Hochverratsprozess abzusehen, der die verkleinernde Äußerung des Ministers weiterverbreiten würde. Demnach begnügte sich Rudolf damit, den Nichtsahnenden mit allen Zeichen der Ungnade zu entlassen, sodass er sich vor Untergang der scheinenden Sonne aus Prag zu entfernen habe. Diese nachdrückliche Justiz, die sich niemand zu erklären wusste, verbreitete Schrecken und unbestimmte Erwartung; aber es folgte zunächst nichts als eine große Stille. Da für den gestürzten Minister, durch dessen Hand alle Geschäfte gegangen waren, nicht sogleich ein Ersatz zur Stelle war, blieb alles liegen; der Kaiser erteilte weder Audienzen noch unterzeichnete er Erlasse und Handschreiben, und man hätte glauben können, er sei gestorben, wenn sich nicht hie und da sein blasses Gesicht an einem Fenster des Schlosses gezeigt hätte. Der Böhme Matkowsky war der einzige, den er jederzeit gern um sich hatte, und ihm erzählte er unter Tränen, wie er seit seinen Jünglingsjahren die Prinzessin Isabella geliebt habe, wie aber ihr Vater, Philipp II., sich geweigert hätte, ihm das Herzogtum Mailand als Mitgift zu geben, worauf er als Kaiser und Mehrer des Reichs hätte bestehen müssen.
Matkowskys williges Zuhören und herzliche Rührung taten ihm wohl, sodass er seinerseits dessen Berichte gern annahm, der, als Böhmischer Bruder ein gewissenhafter Bekenner der evangelischen Religion, beteuerte, seine Glaubensgenossen blickten auf den Kaiser wie auf ihren Heiland und trügen seine Ungnade ergeben, während er für die Katholiken nur ein Mittel wäre, dessen sie sich bedienten, um zu herrschen, und dessen sie sich zu entledigen versuchen würden, wenn er ihnen nicht in allem zu Willen wäre.
Eines Abends begab sich der Kaiser in ein gewisses Turmstübchen, wo seine Goldmacher und Künstler arbeiteten, unter denen er sich mit Vorliebe aufzuhalten pflegte. Er saß mit halbgeschlossenen Augen in einem Lehnstuhl, während die Männer unter sich fortplauderten, weil sie wussten, dass ihm das angenehm war. Der Glasschneider Lehmann und sein Schüler Georg Schwanhard waren damit beschäftigt, eine Ansicht der Stadt Nürnberg in einen Pokal zu schneiden, obwohl die feine Arbeit beim Kerzenlichte für ihre Augen anstrengend sein mochte, einer knetete und mischte Wachs an einer Flamme, und ein anderer sortierte einen Haufen Edelsteine. Eine Tochter des Kaisers, ein üppiges blondes Mädchen, saß auf einem Schemel neben dem Ofen des Goldmachers und starrte verträumt in die Pfanne, wo sein blankes Gemenge brodelte. Durch ein offenes Fenster strömten die Düfte des Sommers und der unendliche Gesang einer in den dicken Gebüschen des Burggrabens verborgenen Nachtigall. Meister Vianen, der dem Fenster zunächst saß, erzählte halblaut, dass er sich lange bemüht habe, eine künstliche Nachtigall herzustellen, dass das Vöglein aus Silber und Schmelz ihm auch nett gelungen sei, dass aber die Flöte, die er hineingesetzt habe, dem süßschmetternden Ton des wirklichen Tieres nicht gleichgekommen sei, was ihm jetzt besonders auffalle, da er es höre. »Du wärest der Herrgott«, sagte Kaspar Lehmann, »wenn du eine lebendige Stimme machen könntest, die aus einem lebendigen Herzen kommt.« Gerade jetzt wurde der wohllautende Gesang durch ein schrilles Glockenzeichen unterbrochen, das den Kaiser zusammenfahren machte; Matkowsky erklärte, es komme aus dem Kapuzinerkloster, das unterhalb des Schlosses neu errichtet worden sei. Zu viele Maulwurfshügel schadeten dem Felde, sagte Lehmann leise lachend; aber wenn die Kapuziner auch Bettler und Müßiggänger wären, so gingen sie doch wenigstens nicht mit Gift und Dolch um wie die Jesuiten.
So ungefährlich wären die Kapuziner auch nicht, sagte Matkowsky, er habe von seinem Vater gräuliche Geschichten darüber erzählen hören. Zu der Zeit, als in Znaim ein Kapuzinerkloster gegründet worden sei, habe es sich begeben, dass der Sohn eines evangelischen Ratsherrn, der diese Gründung bekämpft gehabt habe, von einer sonderbaren Krankheit befallen worden sei, gegen die kein Arzt etwas habe ausrichten können. Allmählich sei es allen aufgefallen, dass der Kranke immer zu der Zeit von den Krämpfen heimgesucht worden sei, wenn der Chorgesang im neuen Kapuzinerkloster begonnen habe, das dem Hause des Ratsherrn benachbart gewesen sei. Dieser, ein beherzter Mann, habe sich denn einmal zur Nachtzeit in das Kloster geschlichen und sei ungesehen durch den dunklen Kreuzgang bis an das Chor der Kirche gekommen. Da wären die Mönche beim trüben Licht eines Lämpchens unter dem Altar um ein Wachsbild gehockt und hätten mit hohler Stimme Beschwörungen gesungen, und bei gewissen Stellen hätten sich alle erhoben und mit langen Nadeln in die Figur hineingestochen. Nach und nach hätten sich die Augen des Ratsherrn an die Dunkelheit gewöhnt, und da hätte er erkannt, dass das wächserne Bild ihn selbst darstelle, worauf ihn anfänglich das Entsetzen so gelähmt hätte, dass er sich nicht von der Stelle hätte bewegen können, obwohl ihm von der Anstrengung der Schweiß in Bächen über die Stirne geronnen sei. Endlich habe ihn ein Stoßgebet freigemacht, sodass er sich habe retten können, aber im Laufen habe er die höllischen Kapuziner hinter sich her klappern hören, und zu Hause angekommen, sei er in Krämpfe verfallen und stracks gestorben, nachdem er noch habe erzählen können, was ihm begegnet sei.
Während des Gesprächs, das die Erzählung angeregt hatte, stand der Kaiser plötzlich auf und streckte mit angstvoller Gebärde den Arm nach dem Fenster aus, worauf Matkowsky zu ihm eilte und ihn dicht an das Fenster zog in der Meinung, Rudolf fühle sich engbrüstig und bedürfe frischer Luft. Der Kaiser jedoch wandte sich voll Schrecken fort und befahl Matkowsky, er solle ihn in den sogenannten Kaisersaal hinunterführen, der im unteren Geschoss lag und wo seine Sammlung von Kunstgegenständen und Kuriositäten aufgestellt war. Die Tochter, für die der prächtige Saal, der sich ihr nur selten auftat, etwas besonders Anziehendes hatte, sprang auf und wollte, sich an den Kaiser drängend, mitgenommen werden; aber er stieß sie von sich und befahl ihr, heimzugehen und sich zu Bette zu legen. »Warum ist sie hier?« fragte er böse. »Ich habe gesagt, dass ich das Hurenvolk nicht um mich sehen will.« Unten im Saale wühlte er, während Matkowsky mit einer Fackel leuchtete, unter einem Haufen von Korallen, Erzstücken, Wurzeln und anderen Seltsamkeiten. Er suche die Meernuss, sagte er, die der Doria ihm kürzlich zugeschickt habe und die den, der sie bei sich trage, gegen Zauberei beschütze. Matkowsky, der ängstliche Blicke auf die Schatten warf, die von ihren Gestalten auf die weiße Wand fielen, murmelte indessen Gebete und flehte den Kaiser an, einzustimmen, denn das sei das wirksamste Mittel.
Endlich gelang es ihm, den Erschöpften zu Bette zu bringen; aber am folgenden Abend begann die Unruhe von Neuem und so heftig, dass er selbst nach einem seiner Leibärzte verlangte. Doktor Altmanstetter verordnete dem Kaiser ohne Besinnen einen starken Schlaftrunk, denn Schlaf sei das einzige, was ihm fehle. Rudolf sah ihn erschreckt an und sagte: Trinken? Er könne ja nicht trinken, da ihm der Bauch nach vorne und die Brust nach hinten stehe. Ob er es nicht bemerkt habe? Die Kapuziner hätten ihn so verdreht. »Die Sache wollen wir unverweilt ins reine bringen!« sagte Doktor Altmanstetter lachend, nahm den Kaiser um den Leib, drehte und rollte ihn mehrmals hin und her und stellte ihn dann fest auf die Beine, indem er triumphierend ausrief: »Nun fehlt kein Haarbreit mehr an der rechtmäßigen Figuration!« Dann ließ er eine Kanne Bier kommen und trank dem Kaiser zu, der ihm Bescheid gab, lustig und gesprächig wurde und nach kurzer Zeit in tiefen Schlaf fiel. Aber derselbe währte nicht lange, und am folgenden Abend zeigten sich ähnliche Erscheinungen. Zuweilen wurde der Kaiser zornig, weil ohne sein Vorwissen Klöster gegründet würden, wollte wissen, wer daran schuld sei, und drohte mit Strafen, damit man erführe, dass er der Herr sei. Dann wieder zog er Matkowsky in einen Winkel und fragte ihn aus, ob die Kapuziner wohl um Geld jemanden totbeten würden oder ob sie seinem Bruder Albrecht die Manneskraft abzaubern könnten, wenn es ihnen befohlen würde.
Die Nachricht von der seltsamen Krankheit des Kaisers verbreitete sich bald und gab in der Familie zu sorglichen Betrachtungen Anlass. Schon längst hatte man dort gewünscht, dass der kinderlose Monarch einen Nachfolger ernenne und womöglich nach dem Brauch bei Lebzeiten zum römischen König wählen lasse, damit bei seinem allfälligen Tode nicht die Evangelischen, die, wie man wusste, dem habsburgischen Hause abhold waren, die Zwischenzeit für ihre Absichten ausnützen könnten. Sie hatten indessen doch nicht darauf zu dringen gewagt, weil bekannt war, dass der Kaiser Einmischungen seiner Brüder nicht liebte, besonders aber durch Anspielungen auf die Möglichkeit seines Sterbens gereizt wurde. Jetzt jedoch wurden alle der Meinung, dass längeres Zuwarten hochgefährlich sei, und namentlich der zunächst Betroffene, Matthias, erklärte nachdrücklich, etwas unternehmen zu wollen. In seiner Jugend war Matthias ein fröhlicher Herr gewesen und hatte seines älteren vorsichtigen Bruders Missfallen erregt, weil er ein wenig fahrlässig in den Tag hineinlebte, nur bedacht, zu Gelde zu kommen, um sein planloses Dasein zu bestreiten. Die Anläufe, die er hie und da nahm, um seine Würde geltend zu machen, verliefen stets im Sande und nahmen sich hernach wie Grillen aus, die der Beachtung nicht wert waren; im ganzen war er es zufrieden, dem kaiserlichen Bruder aus dem Wege zu gehen. Seit er aber Statthalter von Österreich geworden war und Khlesl, der Bischof von Wien, sich seiner bemächtigt hatte, fing er an die Rolle des künftigen Kaisers zu spielen, wie sie Khlesl, der aus einem lutherischen Wiener Bäckerssohn beinahe die einflussreichste Person in Österreich geworden war, ihm einblies. »Gehen Sie nach Prag«, sagte ihm Khlesl, »und verlangen Sie vom Kaiser Audienz. Sie dürfen sich nicht abschrecken lassen, wenn er Sie abweist, am Ende muss er den Bruder doch vorlassen. Treten Sie dann ehrerbietig auf, aber fest, im Bewusstsein des Rechtes. Der Kaiser ist ein Schwächling und hat ein böses Gewissen, ein redlicher Fürst muss leicht mit ihm umspringen können.« Auch mit Verhaltungsmaßregeln für den Verkehr mit dem evangelischen böhmischen Adel versah ihn Khlesl. »Die Ketzer werden Ihnen alle zufallen, denn sie sind nun einmal der Meinung, Sie glichen Ihrem Herrn Vater, dem hochseligen Kaiser Maximilian, und wären heimlich den Protestanten hold. Benützen Sie das getrost; denn warum sollten Sie aus dem Irrtum oder der Dummheit rebellischer Untertanen nicht Vorteil ziehen? Nur einen schriftlichen Vertrag dürfen Sie nicht unterzeichnen und überhaupt in keiner Weise sich förmlich binden, sonst aber sollen Sie gegen jedermann leutselig, kaiserlich, willfährig sein. Kommt es nachher anders, so ist der Khlesl da, der alles auf sich nimmt. Ich mache mir nichts aus ihrem Toben; aber ich will nicht sterben, bevor ich nicht die habsburgischen Lande allesamt unter dasselbe katholische Hütlein gebracht habe.«
Am liebsten wäre Khlesl selbst nach Prag gegangen, um alles einzuleiten; aber er wusste, dass er in dem hussitischen Lande unbeliebt war und dass er seiner Sache schaden könnte, wenn er zu früh in den Vordergrund trat. So machte sich denn Matthias allein auf und setzte sich mit der spanischen Partei und dem Beichtvater des Kaisers in Verbindung. Dieser, ein betriebsamer Mann, der die Seelen seiner Zöglinge so gut kannte, wie etwa ein Koch die Eigenheit, Tüchtigkeit und Verwendbarkeit seiner Schüsseln und Pfannen unterscheidet, ging auf die Absichten des Matthias umso verständnisvoller ein, als er ein Spanier war und Spanien eben nicht in gutem Vernehmen mit Rudolf stand. Bei nächster Gelegenheit stellte er dem Kaiser seine Pflicht vor, seinen Bruder Matthias wie einen Sohn zu lieben, was er doch als sein Nachfolger auch dem Herkommen gemäß sei. Als er das innere Widerstreben des Kaisers spürte, machte er eine geschickte Wendung, sprach missbilligend von dem Neid und der Herrschbegierde des Matthias und entlockte ihm dadurch am Ende das Zugeständnis, dass er seinem Bruder den Tod wünsche. Kaum hatte der Kaiser die Worte ausgesprochen, als sein Äußeres sich zu verändern begann; seine Augen wankten einige Augenblicke unstet hin und her und hefteten sich dann starr auf den Geistlichen, bis sie sich plötzlich nach oben verdrehten, seine Arme und Beine durchfuhr ein Zucken. Zuerst dachte der Beichtvater, dies sei ein Anfall von Wut oder eine Machination, um das eben Gesagte als in der Besinnungslosigkeit von sich gegeben erscheinen zu lassen oder um weiteren Fragen zu entgehen; aber die abscheulich verzerrten Züge und hin und her zuckenden Gliedmaßen schienen doch nicht willkürlich hervorgerufen werden zu können, und so rief er denn Arzt und Dienerschaft und versuchte inzwischen mit Beten gegen das Teufelswerk anzukämpfen, was da im Spiele zu sein schien.
Nach Verlauf einiger Wochen erreichte zwar Matthias eine Audienz; aber nicht ohne dass er sich zuvor verpflichtet hatte, ein von den Räten aufgesetztes und von seinem kaiserlichen Bruder gebilligtes Gespräch einzuhalten, welches nur die allgemeinen Fragen des beiderseitigen Wohlergehens und der gegenseitigen Geneigtheit beziehungsweise Devotion berührte. Dagegen versicherten die Räte, welche beträchtliche Summen von Matthias empfangen hatten, um die Zusammenkunft zuwege zu bringen, sie würden die Angelegenheit, deren hohe Wichtigkeit offenkundig sei, in dienstwillige Überlegung ziehen, und zweifelten nicht, dass der Kaiser sich willig finden lassen würde, das Notwendige zu verfügen; der Erzherzog werde mit seinem fürstlichen Verstande begreifen, dass eine so weitaussehende Sache nicht von heute auf morgen könne entschieden werden, sondern fürsorglich und achtsam von allen Seiten müsse erwogen werden.