Das sei begreiflich, sagte Besold mitleidig, ließ sich die Einzelheiten erzählen und bemühte sich, einen Ausweg zu finden.
Kepler solle selbst die Verteidigungsschrift verfassen, riet er ihm, wobei er ihm gern behilflich sein wolle. Kepler solle sich aber nicht bei der Frage aufhalten, ob seine Mutter wirklich hexen könne, noch viel weniger damit, was von der Hexerei überhaupt zu halten oder wie sie zu bestrafen sei; dadurch würde er sich nur verdächtig machen und alle gegen sich aufbringen. Er solle einzig darzutun versuchen, dass es an Beweisen fehle, oder, wenn möglich, sonst einen Fehler in der Prozedur aufdecken. Freilich könne auch das fehlschlagen, Dummheit und Habgier seien unberechenbar; die Leute hätten das kleine Vermögen seiner Mutter wohl schon unter sich verteilt und vielleicht schon im Voraus verzehrt.
Vermutlich, sagte Kepler, werde ein Gutachten von der juristischen Fakultät in Tübingen eingeholt werden. Ob er in diesem Falle auf Besold rechnen könne?
Besold errötete und sagte schnell, ja gewiss, das könne er. Er dürfe sich allerdings nicht bloßstellen, er sei ohnehin anrüchig; aber er rate in solchen Fällen immer zur Milde, das könne sich Kepler wohl denken, und überhaupt sei die Fakultät in dieser Beziehung zurückhaltend. Sie hätte ja nichts davon, dass alte Weiber verbrannt würden, und bestände nicht aus tollen Lutherpfaffen. Wichtiger als alles sei, den Leuten angst zu machen. Ob Kepler ihnen nicht angst machen könnte? Er habe ja den Kaiser hinter sich; ob er nicht beiläufig mit dem Kaiser drohen könnte?
Er sei von dem neuen Kaiser noch nicht in seinem Amte bestätigt, sagte Kepler, das wisse man wohl. Augenblicklich sei er wieder einmal ein heimatloser und brotloser Geselle.
»Warum«, fragte Besold, »bist du nicht zur alten Kirche übergetreten? Dann wärst du ein mächtiger Mann, und keiner würde wagen, mit dir anzubinden.«
»Das meinst du nicht im Ernst«, sagte Kepler; »das täte ich nicht einmal, um meiner Mutter Leben zu retten, noch würde sie es wünschen.« Ob man überhaupt jemals ein mächtiger Mann werden könne, wenn man der Wissenschaft Diener sei? Die Livree, die man als solcher trage, habe in der Welt keine Geltung. Übrigens hätte er auch als Protestant gewisse Aussichten gehabt: König Jakob habe ihn nach England eingeladen, und auch nach Italien habe er einen Ruf gehabt, und das habe ihn mächtig angezogen, weil er gern die Bekanntschaft eines so großen Mannes wie Galilei gemacht hätte.
Warum er denn nicht hingegangen sei? fragte Besold erstaunt. Er, Besold, würde auch als Kaminkehrer nach Italien gehen, wenn man ihn so dort verwerten könne.
Es sei jetzt zwanzig Jahre her, sagte Kepler, dass sie Giordano Bruno in Rom verbrannt hätten. Nach seinem Dafürhalten sei ein Zeitraum von zwanzig Jahren zu kurz für die Menschen, um darin klüger zu werden. »Es scheint«, setzte er mit einem Seufzer hinzu, »dass die Gefahr des Feuertodes eine Krankheit meiner Familie ist.«
Besold lachte darüber herzlich. Was seine Mutter betreffe, sagte er, so sei sie, so viel er wisse, eine etwas einfältige und grobe Frau und sei gewiss auch durch eigene Schuld und Unbesonnenheit in einen solchen Sumpf geraten.
Ja, sagte Kepler, sie habe keinerlei Bildung genossen, wisse so wenig wie ein Viehhirte; aber sie habe einen hurtigen und ungeduldigen Geist, der zusammenfresse, was eben am Wege liege, auch übles und unverdauliches Zeug. Aber mit Gott wolle er kämpfen und die alte Frau retten, die seine Mutter sei.
Er solle nur den Mut nicht verlieren, sagte Besold, und sich ein Ansehn geben. Prahlen und auftrumpfen, je unsinniger, desto besser, seine hohen Bekanntschaften anführen und vom Kaiser reden, als ob er Geheimnisse mit ihm hätte. Er kenne die Zustände in Schwaben nicht und wie das Pfaffenregiment die Leute dumm und stolz mache; sie würden später noch viel darüber lachen, wenn es niemand hörte.
Obwohl sich der Prozess ein Jahr lang hinzog, wurde nichts Neues ans Licht gefördert, um die Schuld der Angeklagten zu erweisen, was aber die Richter nur desto mehr erbitterte, die sich schlechthin darauf stützten, dass die Beklagte nicht geweint habe, was in einer so kläglichen und gefährlichen Lage jede Frau getan haben würde, die nicht mit dem Teufel umginge. Endlich erkannte das Gutachten der Juristenfakultät von Tübingen, es lägen nicht hinreichende Gründe zur Anwendung der Folter vor, es solle der Angeklagten nur mit der Folter gedroht und sie, wenn daraufhin kein Geständnis erfolge, entlassen werden. Auf vieles Bitten wurde am Tage vor dem letzten Verhör Margarete Binder zu ihrer Mutter gelassen und begann jammervoll zu weinen, als ihr eine kleine, verschrumpfte, hustende Alte entgegengehumpelt kam. »Ach Mutter«, schluchzte sie, »ich kann Sie wie ein kleines Kind auf den Armen tragen!«
»Weine nicht«, sagte die Alte, »Knochen leben so gut wie Fleisch, und eh sie sie mir zerschlagen, will ich ihnen noch manche Nuss zu knacken aufgeben.«
»Ach Mutter, Mutter«, flehte die Pfarrerin, »erzürnen Sie die Richter nicht gegen sich! Schweigen Sie lieber ganz und gar!« Es werde ihr nichts zuleide geschehn, sie solle nur mit der Folter bedroht werden, sie möge nur standhaft bleiben und sich nicht etwa vom Schrecken ein Geständnis erpressen lassen. Andererseits müsse sie auch ihre Zunge im Zaume halten und sich nichts gegen die Richter entwischen lassen, womit man sie zu Falle bringen könnte.
Während der Henker, ein dicker, umständlicher Mann, dem Brauche gemäß der Angeklagten die Folterwerkzeuge zeigte und ihr ihre Anwendung erklärte, bewegte die Kepler fortwährend die Lippen; denn sie hatte sich vorgenommen, damit ihr kein unbesonnenes Wort entführe, den 59. Psalm zu beten, welchen sie auswendig wusste, und zwar hatte sie sich gedacht, dass, wenn sie ihn dreißigmal hintereinander bei sich sagen könnte, dies ein Zeichen sein sollte, dass die darin ihren Feinden angedrohten Strafen sich erfüllen würden. Also betete sie: »Errette mich, mein Gott, von meinen Feinden, errette mich von den Übeltätern und hilf mir von den Blutgierigen, sei der keinem gnädig, die so verwegene Übeltäter sind. Des Abends heulen sie wiederum wie die Hunde«, und so weiter, wobei sie von dem Henker wegsah, ohne ihm und seinen Erklärungen die geringste Beachtung zu schenken. Dies Verhalten machte ihn endlich böse, sodass er sie mit einer eisernen Schaufel auf die Schulter schlug und rief: »Was murmelst du, alte Hexe? Auf mich sollst du schauen, damit dir das Brot auch schmeckt, das du essen sollst.«
»Sage du deinen Spruch und lass mich meinen sagen«, entgegnete die Alte, womit sich der erstaunte Henker, wie die Sache lag, begnügen musste. So wie er waren auch die Richter nicht wenig verstimmt, dass das Opfer ihnen entging; allein sie trösteten sich damit, dass sie ein Auge auf die Hexe haben und ihr gelegentlich schon etwas aufmutzen würden und dass ihr dann der Teufel nicht davonhelfen sollte.
»Siehst du«, sagte sie zu ihrem Sohne, der sie an der Tür des Rathauses erwartete, indem sie ihn triumphierend und herausfordernd aus ihren kleinen versunkenen Augen anblitzte, »ich wusste wohl, dass ich mit den Bösewichten fertig werden würde, und es reut mich, dass ich euch zuliebe ihnen nicht die Wahrheit gesagt habe.« Insgeheim beriet sich Kepler mit seiner Schwester, wie sie die Mutter aus dem Orte entfernen könnten, wo sie, wie sie wohl einsahen, noch in beständiger Gefahr war; aber die gequälte kleine Frau musste sich bald zu Bett legen und stand nicht mehr davon auf, sondern starb im Frühling des folgenden Jahres, also über ihre Verfolger abermals triumphierend.
Nachdem das ligistische Heer unter Maximilian und Tilly sich mit dem kaiserlichen unter Buquoy vereinigt hatte, zogen sie gemeinsam vor Pilsen, unterwegs mehrere von den Böhmen besetzte Plätze erobernd. Dabei gab es viele Misshelligkeiten, denn der Herzog wollte sich nicht mit Plündern und Verwüsten aufhalten, wohingegen Buquoy sagte, das müsse man den Soldaten gestatten, wenn sie Lust zum Werke behalten sollten. Vollends brach der Hader vor Pilsen los, indem Buquoy belagern wollte, denn man könne unmöglich einen vom Feinde besetzten Ort im Rücken lassen, während der Herzog ohne Verzug auf Prag zu gehen wünschte, mit Mansfeld werde man dann schon fertig werden. Sich monatelang vor Pilsen zu legen, war nun freilich Buquoys Meinung auch nicht, aber es werde nicht schwerhalten, sagte er, Mansfeld dahin zu bringen, dass er freiwillig kapituliere. Mit Anhalt sei er ganz verfeindet, und mit Recht, denn der unterstütze ihn nicht und wollte doch den Herrn spielen, überhaupt sei es Mansfeld weder mit dem Evangelium noch mit den Evangelischen rechter Ernst, er sei aus edlem Blut und werde gern die Gelegenheit ergreifen, wieder auf Kaisers Seite und bei redlichen Kavalieren zu stehen. Der Herzog und Tilly waren mit einem dahinzielenden Versuch einverstanden, wollten sich aber nicht persönlich dabei einlassen, da Mansfeld ein Bastard und ein Schelm sei. Darüber lachte Buquoy. Warum sie so heikel wären? Es hätte doch schon mancher große Potentat einen Bastard in die Welt gesetzt. Das wären nicht die Schlechtesten, es komme nur auf das Blut an. Jungfrauen freilich, wie Tilly eine sei, täten gut, sich vor ihm zu hüten. Übrigens sei Mansfeld ein ritterlicher Soldat und tapfer, wie er sich seine Feinde wünsche.
Einen kürzlich gefangenen Mansfeldischen Offizier, namens Carpezow, der dem Grafen am nächsten stand, schickte Buquoy mit dem Auftrage nach Pilsen hinein, Mansfeld Vorschläge wegen einer Kapitulation zu machen und über seinen Eintritt in kaiserlichen Dienst zu verhandeln. Nach ein paar Tagen kam Carpezow zurück und berichtete, Mansfeld sei in schwieriger Lage, da er von keiner Seite Geld erhalte, die böhmischen Direktoren seien ihm eine Million Taler schuldig, dächten aber nicht ans Zahlen, infolgedessen würden die Soldaten unmutig und würden sich nicht lange mehr hinhalten lassen. Es sei ihm also unmöglich, zu kapitulieren, wenn er nicht zuvor Mittel erhalte, sein treues Heer zu befriedigen, er habe den Soldaten sein Wort verpfändet, und das wolle er halten. An anderen Bedingungen müsse er, wie sich von selbst verstehe, zuallererst der Acht enthoben werden, dann ein Regiment erhalten, und wenn er über alles genügende Sicherheit bekomme, werde er schon dem Kaiser seine Treue erweisen. Daneben richtete Carpezow aus, Mansfeld habe gehört, dass es im Lager knapp mit Mundvorräten zugehe, er schicke deshalb einen Transport von Esswaren heraus und bitte Buquoy, dieselben anzunehmen. Buquoy bedankte sich und sagte, er könne Mansfelds Höflichkeit nicht besser erwidern, als indem er Carpezow die Freiheit schenke.
Von diesen Verhandlungen ließen die Kaiserlichen absichtlich Gerüchte nach Prag dringen, in der Meinung, Mansfelds Stellung zu erschüttern und ihm den Übertritt notwendig zu machen. Aufs höchste erschrocken, schrieb Anhalt an Mansfeld, was denn daran sei. Er könne nicht glauben, dass ein deutscher Edelmann sich solchen Verrats gegen Vaterland und Glauben werde teilhaftig machen; worauf Mansfeld antwortete, er werde niemals aufhören, die spanisch-österreichische Tyrannei zu bekämpfen; wenn er sich mit dem kaiserlichen General in Verhandlungen eingelassen habe, sei es geschehen, um den Feind zu täuschen und aufzuhalten, wodurch er glaube, dem König von Böhmen einen sonderbaren Dienst geleistet zu haben.
Er fühlte sich getröstet und billige Mansfelds Verhalten, schrieb Anhalt zurück; aber um dem bösen Schein, der Verleumdung und allerhand Ärgernis zu entgehen, solle Mansfeld doch lieber die Verhandlungen gänzlich abbrechen. Gleichzeitig schickte er ein paar Gesandte nach Pilsen, die den geheimen Befehl hatten, Mansfeld zu beobachten, von dessen Treue Anhalt trotz seiner Beteuerungen keineswegs überzeugt war.
Zwischen Buquoy und Mansfeld gingen noch einige Briefe hin und her; da es jedoch bei Worten blieb, außerdem böses Wetter eintrat, die Vorräte ausgingen, die Soldaten erkrankten und starben, gab Buquoy dem Wunsch des Herzogs nach, und der Marsch wurde fortgesetzt. Bei Rakonitz traf man das böhmische Heer unter Anhalt, den die Ligisten durch eine Seitenbewegung nach Prag hin veranlassten, sein festes Lager aufzuheben und zum Schutze der Hauptstadt einen vor dem Strahower Tore sich hinziehenden Hügel, den sogenannten Weißen Berg, zu besetzen. Es war Allerseelentag, als der Herzog, Tilly und einige andere Offiziere unter einer breiten und dicken Eiche saßen, wo sie vor dem Regen Schutz gesucht hatten, und grobes Brot und Käse verzehrten; denn es war nichts anderes aufzutreiben gewesen. »Es ist mager«, sagte der Herzog, »aber die meisten Soldaten werden nicht einmal das bekommen.«
»Wenn ich einen sauren Apfel dazu hätte, um das Brot verdaulicher zu machen«, sagte Tilly, »so wünschte ich mir nichts Besseres.«
»Das sollte in dieser Jahreszeit nicht schwer sein«, meinte der Herzog und trug einem aufwartenden Junker auf, nach einem Apfelbaum zu fahnden. »Eure Gesundheit ist es wert«, sagte der Herzog lächelnd, »Ihr bringt mir ein paar Äpfel leicht wieder ein.«
Der Regen hatte nachgelassen und tröpfelte eintönig durch das verwaschene Laub der Eiche, ringsum war der Boden aufgeweicht, und die Wolken hingen grau und schwer wie Säcke herunter. Der Herzog sah sorgenvoll nach dem Himmel und sagte, wenn sie lange hier lägen, ginge sein kostbares Heer zugrunde. Er möchte den Feldzug rasch beenden, damit er wieder heim könne. Was Tillys Meinung sei? Ob das Heer imstande sei, den Feind zu schlagen?
Der Feind habe nach der Aussage der Kundschafter eine günstige Stellung inne, solle zahlreich und tüchtig sein und habe nicht wie sie durch die Witterung gelitten. Es sei aber auch bedenklich, hier die Winterquartiere zu nehmen, wo die Verpflegung so schwierig sei, deshalb stimme er dafür, eine Schlacht zu wagen; man müsse aber wohl zuvor Buquoys Meinung hören. »Viele Köche verderben den Brei«, murrte der Herzog, gab aber doch Auftrag, dass Buquoy gebeten werde, sich zu ihm zu begeben.
Buquoy hatte kürzlich eine Wunde erhalten, die zwar nicht gefährlich, aber schmerzhaft war und ihn am Gehen hinderte, weshalb er übellaunig und kriegerischen Unternehmungen abgeneigt war. Da er außerdem darauf bedacht war, dem Herzoge seine Unabhängigkeit und militärische Ebenbürtigkeit zu zeigen, kam er doppelt langsam heran und ließ sich von seinen Dienern ein Ruhebett aufschlagen, auf dem er sich niederließ. Der Herzog räusperte sich und sagte, es sei sein Wunsch, den Feldzug rasch zu beendigen; er sei dafür, geradeswegs auf Prag zu ziehen und den Feind zu schlagen. Dann bat er Tilly, diese Meinung bündig zu begründen, worauf Tilly noch einmal auseinandersetzte, was er dem Herzoge vorher gesagt hatte.
Buquoy hörte, ungeduldig seinen runden, lockigen Kopf wiegend, zu. Ein jeder wisse, sagte er, dass er nicht säumig sei, sondern schnelle Entschlüsse schnell durchzuführen liebe. Aber weil der Eber sich blindlings auf den Feind gestürzt habe, sei er mit dem Hauer im Baume steckengeblieben, und so habe ihn der Schneider gefangen. Er wolle nicht zu untätigem Warten raten, aber nach den Regeln der Kriegskunst dürften sie in ihrer Lage keine Schlacht anbieten.
Das werde schließlich doch auf untätiges Warten herauskommen, sagte Tilly langsam. Der Kurfürst oder seine Generale würden doch nicht so töricht sein, ihnen zuliebe die günstige Stellung aufzugeben.
»Noch törichter wären sie, wenn sie sich in ihrer günstigen Stellung schlagen ließen«, sagte Buquoy mit spöttischem Lachen und einem hochmütigen Blick auf Tillys schmächtige, mit altmodischer Farbenpracht ausstaffierte Gestalt und sein gelbes, trockenes Gesicht.
Inzwischen war die trübe Nacht eingebrochen, und da es Buquoy fröstelte, wurde aus Reisig und Holzkloben ein rasches Feuer entzündet, das die herankriechenden Nebel verscheuchte. In einiger Entfernung sah man Lichter hin und her huschen und vernahm man ein eintöniges Murmeln von vielen Stimmen; die Soldaten beerdigten ihre verstorbenen Kameraden, sagte Buquoy, und ein Priester hielte Gottesdienst an den Gräbern. »Es ist Allerseelentag«, sagte Tilly, nahm seinen Hut ab und betete.
Auch der Herzog und die übrigen Offiziere lüfteten die Hüte und beugten den Kopf einen Augenblick auf die gefalteten Hände; dann nahmen sie die Beratung wieder auf. Sie waren noch uneinig, als sich ein Trupp Soldaten näherte, an dessen Spitze ein Mönch, der Pater Dominikus, einherschritt, einen unkenntlichen Gegenstand in der Hand schwingend. Sowohl der Herzog wie sämtliche Offiziere erhoben sich, um den berühmten Pater zu begrüßen, der, nachdem er sie gesegnet hatte, verkündete, ein Soldat, ein begnadetes Gotteskind, habe im Gesträuche das wundertätige Muttergottesbild gefunden, das die Bilderstürmer ausgestoßen hätten und ohne welches die frommen Prager sich eine verwaiste Herde gedünkt hätten. Dies sei ohne Zweifel ein Zeichen von Gott, das Sieg verheiße, und der Herzog möchte doch nicht länger zögern; die kirchenschänderischen Ketzer seien ihm gleichsam schon überantwortet.
Der Herzog sagte, dass es sein Wunsch sei, zu schlagen, dass aber erfahrene Offiziere die günstige Position des Feindes dagegen anzögen, dass aber er und gewiss alle die Ansicht eines so heiligen Mannes, durch den Gott selber spreche, vernehmen möchten. Der Pater hielt nun eine schallende Ansprache und sagte: »Ach meine Söhne, glaubt mir, es kommt nicht sowohl auf die Stellung des Feindes an als auf den Willen Gottes. Dass aber Gott mit euch ist, wer zweifelt daran? Bürgte mir nicht der Segen des Heiligen Vaters dafür, den er mir für euch, meine geliebtesten Söhne, mitgegeben hat, bürgte mir nicht dies himmlische Bild dafür, das euch Gott vermittelst eines niedrigen Werkzeugs in die Hände gespielt hat, so sagte mir das Herz, dass die Stunde gekommen ist, wo die Söhne Luzifers gestürzt werden sollen. Ihr, meine Söhne, seid auserwählt zu dem Werke! Schon sehe ich die Glorie des Sieges über euren Heldenstirnen glänzen! Auf! Was besinnt ihr euch, wo es die Ehre Gottes und das Heil unseres armen Erlösers gilt? Ach, unschuldiges Lamm, sollst du noch länger in der Gefangenschaft schmachten? Ach, ach, sie schleppen es zur Schlachtbank, ich höre sein Winseln und Wehklagen! Auf, meine Söhne, das Blut, das in dieser Schlacht vergossen wird, fließt geradeswegs in den Himmel. Rettet das Lamm, das die Heiden ans Kreuz schlagen! Der Erlöser streckt seine blutenden Arme nach euch aus! Vorwärts, vorwärts, wer seinen Heiland liebhat!«
Als die Rede beendigt war, die der Pater mit schwungvollem Schütteln des Marienbildes begleitet hatte, ging der Herzog auf ihn zu, umarmte ihn, küsste ihn auf beide Wangen und küsste dann auch unter Kniebeugung die Füße der hölzernen Mutter Gottes. »Es muss uns gelingen«, sagte er, »ich bin ungeduldig, den Gräueln in diesem Lande ein Ende zu machen!« Verdugo und Tilly knieten nieder, den Segen des Paters zu erbitten, worauf sich auch Buquoy erhob und, wenn auch mit kühler Miene, sagte, da der Herzog zur Schlacht entschlossen sei, wolle er nicht zurückstehen. Der Herzog ging auf ihn zu und bat, indem er ihm die Hand bot, es in der Schlacht nicht empfinden zu lassen, dass der Kriegsrat sich diesmal gegen ihn entschieden habe. »Fürstliche Gnaden«, antwortete er, indem seine Augen aufblitzten, »ich kämpfe nicht, um recht zu behalten, sondern um zu siegen.«
Allerdings wetteiferte in der Schlacht an besinnungsloser Tapferkeit mit Buquoy nur der junge Herr Gottfried Pappenheim. Denselben hatte vor mehreren Jahren das freundschaftliche Zureden des neubekehrten Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Neuburg zur katholischen Kirche geführt, und er hatte geschworen, dass er bei dieser Gelegenheit der Kirche, die den reuigen Sünder verzeihend aufgenommen, seine Schuld zahlen wolle. Für jedes Jahr seines Lebens, das er im Irrtum der Ketzerei zugebracht, wolle er der Mutter Gottes anstatt einer Kerze eine Wunde darbringen; weshalb er denn stets dahin stürzte, wo das Gefecht besonders heiß zu toben schien, und fast vergaß, dass es sich bei dem Blutvergießen um etwas anderes handelte, als ihm die erforderliche Anzahl Ehrenwunden zu verschaffen. Er wurde denn auch für tot von der Walstatt1 aufgelesen und kam erst unter dem Messer des Barbiers zu sich, worauf sogleich ein Zählen vorgenommen wurde, was bei der großen Anzahl der erhaltenen großen und kleinen Verletzungen nicht leicht war. Jedenfalls war die Anzahl der Jahre, die er Protestant gewesen war, weit überschritten, und er pflegte seitdem seine Wunden Rosen zu nennen, mit denen er der Jungfrau Maria Füße bekränze, und diese zähle man nicht.
Als nach gewonnener Schlacht die Feldherren sich trafen, reichte der Herzog Buquoy die Hand und sagte, ihm danke er nächst Gott vor allem den herrlichen Sieg; er brauche seine Bravour und seinen Verstand dem Kaiser nicht zu rühmen, da dieselben längst bekannt seien, er tue es nur zu seiner eigenen Genugtuung und der Wahrheit zuliebe. Buquoys braunrotes Gesicht strahlte, und seine breite Brust hob sich unter schnellen, tiefen Atemzügen. Das sei nicht der Rede wert, sagte er; ein echter Ritter ziehe sein Schwert für des Kaisers Majestät und die heilige Kirche; sie seien die Erzengel Gottes auf Erden, und der Sieg könne ihnen nicht fehlen, wenn ihr Glaube fest und ihre Ehre unbefleckt sei. Er bückte den blonden Kopf und ließ den Schweiß in schnellen Tropfen auf den Boden rinnen. Das sei guter Samen, sagte er lachend, wie kein Bauer ihn aussäen könne; nun wolle er gehen und das Gemüt seiner Gefangenen ein wenig erleichtern; es seien ein paar brave Kavaliere darunter, die ritterlich gefochten hätten, sie sollten spüren, dass sie in eines Edelmanns Hände gefallen wären.
Nun wandte sich der Herzog an Tilly, der dem Auftritt ernst und schweigend beigewohnt hatte, und sagte, dem Buquoy müsse einmal Honig ums Maul gesalbt werden, Tilly solle sich deswegen nicht gekränkt fühlen, er, der Herzog, wisse wohl, was er an Tilly habe. Er habe seine Pflicht getan, sagte Tilly, sich verneigend, und sei glücklich, wenn er dadurch zum Wohle des Reichs und zum Heile der Kirche beigetragen habe.
Im Schlosse zu Prag saßen Friedrich und Elisabeth bei der Tafel, Friedrich in gedrückter Stimmung, die er nicht zeigen mochte, weil er fürchtete, seiner Frau dadurch zu missfallen. Er sprach lebhaft davon, dass es dem Herzog Maximilian hingehn möge, wenn er ihn hasse und bekämpfe, er sei von jeher päpstlich und ihm zuwider gewesen, aber seinem Vetter Wolfgang Wilhelm, dem Apostaten, dem könne nicht verziehen werden. Er müsse Jülich-Cleve verlieren, Brandenburg solle es allein haben, das werde er betreiben, sowie seine Angelegenheit mit dem Kaiser erledigt sei. Als die ersten beunruhigenden Nachrichten vom Kriegsschauplatze hereinkamen, sagte er mit ungewohnter Heftigkeit, es sei nicht nötig, ihn durch jeden kleinen Unfall zu erschrecken; jede Schlacht schwanke hin und her, der Sieg werde nie mit einem Male errungen. Es sei ja unmöglich, dass ein Unglück geschehe, Anhalt habe ihm gesagt, wenn jeder seine Pflicht tue, könne es nicht fehlen, und er habe auch selbst die Schlachtordnung besichtigt und vortrefflich gefunden. »Du vertraust dem Anhalt zu viel«, sagte Elisabeth, »mit schönen Augen und kecken Worten hat noch niemand eine Schlacht gewonnen.« Da die üblen Nachrichten sich mehrten, eilte Friedrich an die Mauer, um sich zu überzeugen, wie es stehe, und kam bald darauf in fassungsloser Erregung mit den ersten Flüchtenden zugleich zurück. Diese meldeten, das Heer sei in vollständiger Auflösung, und der Herzog von Bayern habe gesagt, er wolle im königlichen Schlosse zu Nacht speisen. Niemals, sagte Elisabeth, werde sie den Anblick dieses hochmütigen Teufels ertragen, sie wolle in die Stadt, und gab Befehl, in Eile ihren Schmuck und alle Habseligkeiten zu packen. Friedrich sagte, er müsse einen Waffenstillstand haben, es solle sofort darum an den Herzog geschickt werden, inzwischen könnten die Fliehenden sich sammeln und könne man Maßregeln ergreifen. In größter Hast fuhren sie in die Stadt und stiegen im Schlickschen Palaste ab, wohin Anhalt kam, um von dem Unglück Bericht zu erstatten. Schmutz und Regen hatten ihn übel zugerichtet, er grüßte den König und die Königin nur flüchtig und sagte, die ungarischen Truppen hätten sich schlecht, sehr schlecht gehalten, auch übrigens habe es gemangelt, da sei kein Eifer und keine Zucht, er wisse wohl, woran es liege, die böhmischen Herren hätten ihm entgegengearbeitet, sie wären alle den Galgen wert, er hätte umsonst Leben und Ehre aufs Spiel gesetzt.
Wenn der Herzog nur einen Waffenstillstand gewährte, sagte Friedrich, so könne man vielleicht frische Truppen zuziehen.
»Euer Liebden werden den Herzog nicht für einen solchen Narren halten«, sagte Anhalt ungeduldig. Er solle jetzt keine Zeit verlieren, sondern sich zur Flucht herrichten. In Prag sei er seines Lebens nicht sicher. Er für seinen Teil gebe es auf, er hätte seine Kraft ehrlich an dies Unternehmen gesetzt, sein Sohn sei gefangen oder tot, nachdem er tapferer als alle gekämpft hätte, er habe getan und geopfert, was möglich sei. Gegen die Treulosigkeit und den bösen Willen der Böhmen sei nichts auszurichten.
Inzwischen war Budowa gekommen und redete dem König zu, er solle sich selbst zu Pferde setzen und die Fliehenden ermutigen und ermuntern. Es sei durchaus nicht alles verloren, Prag sei kein Dorf, man könne sich noch lange hier verteidigen.
So schnell könne er sich nicht besinnen, jammerte Friedrich, es müsse durchaus ein Waffenstillstand erbeten werden, damit er sich besinnen könne, der Schreck sitze ihm noch in den Gliedern.
»Was Schrecken, Schrecken!« rief Budowa. »Sie sollten davor erschrecken, eine kostbare Krone fahrlässig auf die Gasse zu werfen.« Er habe genug von dieser Krone, sagte Friedrich, übrigens könne er sich in Brünn oder Breslau sammeln, nur in Prag wolle er nicht bleiben.
»Das ist nicht wie ein König gesprochen!« rief Budowa zornig aus. Anhalt machte indessen Friedrich Zeichen, dass er sich nicht solle überreden lassen, und flüsterte Elisabeth zu, wenn ihr das Leben ihres Gemahls lieb sei, solle sie ihn zur Flucht bewegen.
Indem er die Krone angenommen habe, sagte Budowa, habe er sich verpflichtet, bei seinem Volke auszuharren, wie dies für ihn kämpfe. Er könne doch seine treue Stadt Prag nicht ohne Haupt dem Feinde preisgeben, damit er seine Rache an ihr kühle!
Nein, sagte Anhalt halblaut, lieber solle er dableiben und sich ausliefern lassen, damit die Rache ihn treffe.
»So musste es kommen, so musste es kommen!« schrie Budowa außer sich vor Zorn. »Da haben sie die Zeit mit Saufen, Huren und Prassen zugebracht, und wenn der Wirt mit der Rechnung kommt, laufen sie davon und lassen ihren Dreck anstatt der Zahlung zurück.«
Ehe sie sich so von ihren Vasallen behandeln lasse, rief Elisabeth aufbrausend, wolle sie lieber in der Fremde betteln gehn. Sie sei schwanger und müsse ihr ruhiges Kindbett haben. Ob eine belagerte Stadt der Ort für einen Prinzen von Böhmen sei, zur Welt zu kommen? Der König müsse sie ohne zu zögern fortführen und in Sicherheit bringen.