Der Dreißigjährige Krieg

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18.

Nach Ru­dolfs Tode nah­men die Strei­tig­kei­ten in der habs­bur­gi­schen Fa­mi­lie ih­ren Fort­gang und dreh­ten sich jetzt be­son­ders um die Per­son Khlesls, den Matt­hi­as nach sei­ner Thron­be­stei­gung so­gleich zum Di­rek­tor des Ge­hei­men Ra­tes er­nannt hat­te. Dem rüs­ti­gen Man­ne woll­te fast der Mut sin­ken, als er sich in dem Wust um­sah, wo er Ord­nung schaf­fen soll­te: da war die nun ent­las­se­ne Die­ner­schaft des ver­stor­be­nen Kai­sers, die, seit Jah­ren nicht be­zahlt, aus bit­te­rem Elend her­aus um ihr Recht klag­te, da wa­ren die vie­len Per­so­nen, die sich wäh­rend der ver­gan­ge­nen Kämp­fe um Matt­hi­as ver­dient ge­macht hat­ten und ih­ren Lohn for­der­ten, und statt Gel­des wa­ren da die un­ter Ru­dolf zu Mil­lio­nen an­ge­schwol­le­nen Schul­den. Dazu lief der Waf­fen­still­stand mit der Tür­kei ab, und ein neu­er, fürch­ter­li­cher Krieg konn­te ent­ste­hen, wäh­rend im Rei­che die Uni­on und die Liga trotz­ten und nir­gend­wo auf red­li­chen Bei­stand zu rech­nen war. Der Reichs­tag lief kläg­lich aus­ein­an­der, denn die evan­ge­li­schen Stän­de woll­ten sich zu kei­ner Steu­er ver­ste­hen, be­vor nicht die Stadt Do­nau­wörth dem Her­zog von Bay­ern ab­ge­nom­men und wie­der­her­ge­stellt wür­de, die­ser aber woll­te den Raub nicht her­aus­ge­ben und konn­te von dem Kai­ser nicht dazu ge­zwun­gen wer­den.

Bald be­merk­ten die Ei­fe­rer un­ter den Ka­tho­li­schen voll Miss­ver­gnü­gen, dass der ehe­ma­li­ge Ver­til­ger der Ket­zer eine ver­söhn­li­che Hal­tung ge­gen die­sel­ben an­nahm, ja sie zu­wei­len ge­ra­de­zu zu be­güns­ti­gen schi­en. Auf dies­be­züg­li­che Vor­wür­fe ver­ant­wor­te­te sich Khlesl mit sol­chen Wor­ten: Wer et­was aus­rich­ten wol­le, müs­se die fac­ta gel­ten las­sen, und er ler­ne nun als ein fac­tum ken­nen, dass die Evan­ge­li­schen im Rei­che zu mäch­tig wä­ren, als dass sie gänz­lich könn­ten aus­ge­rot­tet oder un­ter­drückt wer­den. Also müs­se man sich mit ih­nen ein­zu­rich­ten su­chen. Die­je­ni­gen, die in Kir­chen und Klös­tern steck­ten und nur Hei­li­gen­bil­der um sich her­um sä­hen, könn­ten sich wohl ein­bil­den, der gan­ze Teig lie­ße sich in einen himm­li­schen Mo­del kne­ten; wer aber in der Welt zu tun hät­te, müs­se sich al­ler Art Pas­te­ten ge­fal­len las­sen, sonst käme zu­letzt gar nichts auf den Tisch. Man müs­se die Glau­bens­sa­chen von den po­li­ti­cis tren­nen, es herrsch­ten in der Welt nun ein­mal nicht die glei­chen Grund­sät­ze wie im Rei­che Got­tes. Der rech­te Glau­ben er­öff­ne dem Men­schen den Him­mel, auf Er­den kom­me es dar­auf an, dass ei­ner ein fes­ter und ge­hor­sa­mer Un­ter­tan sei, und es kom­me vor, dass die Ket­zer ihre Pf­licht gründ­li­cher tä­ten als recht­gläu­bi­ge Ka­tho­li­ken.

Die­ser Um­schwung in Khlesls Po­li­tik er­zürn­te vor al­lem den Erz­her­zog Fer­di­nand, den der Bi­schof frü­her in sei­nem re­for­ma­to­ri­schen Trei­ben un­ter­stützt hat­te und den er jetzt warn­te, er sol­le die Un­ter­ta­nen nicht zur Verzweif­lung und von Haus und Hof trei­ben, sonst ma­che er sein Land zur Ein­öde an­statt zu ei­nem Got­tes­staa­te. Das ei­gen­mäch­ti­ge Wal­ten des hoch­fah­ren­den Bi­schofs kam Fer­di­nand über­haupt wie ein Ein­griff in sei­ne Rech­te vor, da er sich schon als künf­ti­ger Herr­scher fühl­te; denn die oft aus­ge­spreng­ten Gerüch­te von der Schwan­ger­schaft der Kai­se­rin er­wie­sen sich stets als Täu­schung, und eben­so blieb Erz­her­zog Al­brechts Ehe kin­der­los. Erz­her­zog Ma­xi­mi­li­an, der Ti­rol re­gier­te und dem die Evan­ge­li­schen den Vor­zug ge­ge­ben hät­ten, leb­te in ei­nem an­ge­neh­men Ver­hält­nis mit ei­ner Frau von Ro­sen­berg und woll­te sei­ne ge­si­cher­te Be­hag­lich­keit nicht um un­ab­seh­ba­re Kämp­fe und Wi­der­wär­tig­kei­ten auf­ge­ben, son­dern ver­bün­de­te sich mit Fer­di­nand, um die­sem die Nach­fol­ge sei­nes Bru­ders zu ver­schaf­fen. Wäh­rend Ma­xi­mi­li­an sei­ne Ab­nei­gung ge­gen Khlesl we­der ver­ber­gen konn­te noch woll­te, be­hielt Fer­di­nand einen freund­li­chen Ver­kehr mit ihm bei, um sich bei sei­nem Oheim als ein lie­be­vol­ler und ge­treu­er Sohn ein­zu­nis­ten. Zu­nächst kam es ihm dar­auf an, sich in Be­sitz der ver­schie­de­nen habs­bur­gi­schen Kron­län­der zu brin­gen, und Matt­hi­as, der den Tag mit Brett- und Kar­ten­spiel bei sei­ner Frau ver­brach­te und sich un­gern durch Ge­schäf­te dar­in stö­ren ließ, ver­sprach denn auch, was er ha­ben woll­te. Auf Khlesls Vor­wür­fe ver­tei­dig­te sich Matt­hi­as, Khlesl hät­te lie­ber den Fer­di­nand nicht zu ihm las­sen sol­len, an­statt ihn jetzt zu schel­ten. Was er denn hät­te ma­chen sol­len?

Ob er denn nicht ein­mal nein sa­gen könn­te, sag­te Khlesl un­ge­dul­dig; das hät­te doch selbst der ver­stor­be­ne Kai­ser Ru­dolf ge­tan, als Matt­hi­as ihn um die Nach­fol­ge an­ge­spro­chen hät­te, ob­wohl er sonst faul und gleich­gül­tig ge­nug in den Ge­schäf­ten ge­we­sen sei.

»Eben das ist es«, sag­te Matt­hi­as. »Fer­di­nand macht es mit mir, wie ich es mit mei­nem Bru­der Ru­dolf ge­macht habe; das muss nun sei­nen Lauf neh­men.«

»O hei­li­ge Me­lan­cho­lie im Lehn­stuhl!« rief Khlesl, die Hän­de zu­sam­menschla­gend, aus, »das muss es frei­lich, wenn Sie eben­so wer­den, wie Ihr Bru­der Ru­dolf war. Kön­nen Sie sich denn nicht weh­ren? Kön­nen Sie nicht ver­gnügt und tä­tig sein, wie Ihr ver­stor­be­ner Herr Va­ter war?«

»Wenn du mir sagst, was ich tun soll, will ich es tun«, seufz­te Matt­hi­as. Fer­di­nand habe ihm ver­spro­chen, sich bei sei­nen Leb­zei­ten in nichts ein­zu­mi­schen, es sei nur eine Form­sa­che, wenn er ihm die Kro­nen von Ös­ter­reich und Böh­men ab­trä­te, man brau­che es nicht so wich­tig auf­zu­fas­sen.

Ja, sag­te Khlesl, mit dem Leim pfle­ge man stets die Ru­ten zu be­strei­chen, mit de­nen man Vö­gel fan­gen wol­le.

Der Fer­di­nand habe sich doch bis­her als ein from­mer, of­fen­her­zi­ger jun­ger Mann ge­zeigt, mein­te Matt­hi­as.

Ach Gott frei­lich, sag­te Khlesl, dem Fer­di­nand sit­ze die Mas­ke treff­lich, er habe sie mit auf die Welt ge­bracht.

Ein un­er­war­te­tes Hin­der­nis trat den bei­den Erz­her­zö­gen von be­freun­de­ter Sei­te ent­ge­gen, in­dem der Kö­nig von Spa­ni­en als ein Nach­kom­me Kö­nig Fer­di­n­ands I. An­sprü­che auf die Er­b­lan­de er­hob. Ver­ge­bens stell­ten sie dem spa­ni­schen Ge­sand­ten vor, wie un­vor­sich­tig es zur­zeit von der Fa­mi­lie sei, sich in of­fe­ner und heim­li­cher Feind­schaft viel­fach zu zer­spal­ten; er blieb un­er­schüt­ter­lich, wohl wis­send, die ar­men deut­schen Habs­bur­ger wür­den die geld­mäch­ti­ge spa­ni­sche Ver­wandt­schaft nicht aufs Spiel zu set­zen wa­gen. In der Tat be­quem­ten sich Ma­xi­mi­li­an und Fer­di­nand dazu, mit Spa­ni­en um den Preis sei­nes Ver­zichts zu han­deln, was sich, da auf der einen Sei­te mög­lichst viel ver­langt wur­de, auf der an­de­ren so we­nig wie mög­lich ge­zahlt wer­den woll­te, durch vie­le Mo­na­te hin­zog. In­zwi­schen be­gan­nen die Ver­hand­lun­gen mit Khlesl, der sich grund­sätz­lich zwar mit der Nach­fol­ge Fer­di­n­ands ein­ver­stan­den er­klär­te, aber be­haup­te­te, erst müs­se das Reich un­ter einen Hut ge­bracht wer­den, be­vor man einen neu­en Kai­ser dazu su­che. Be­ste­he denn über­haupt noch eine Reichs­ver­fas­sung, wenn kein Tri­bu­nal mehr da sei, des­sen Ent­scheid dün­gen sich alle un­ter­wür­fen, und also kein Recht mehr zu er­lan­gen sei? Wenn je­der Stand nach Be­lie­ben Bünd­nis­se schlös­se und ei­ner wi­der den an­de­ren prak­ti­zie­re und rüs­te? Auch wür­den nur we­nig Fürs­ten mit Fer­di­n­ands Wahl ein­ver­stan­den sein, be­vor ein Ver­gleich ge­schaf­fen sei, und einen sol­chen her­zu­stel­len, müs­se also der kai­ser­li­chen Re­gie­rung ers­tes Be­mü­hen sein.

Da­ge­gen ei­fer­te Ma­xi­mi­li­an, das wä­ren nur Vor­wän­de, durch die Khlesl die Sa­che hin­aus­schie­ben wol­le; den Ket­zern ent­ge­gen­zu­kom­men, hel­fe und än­dere nichts; man müs­se die­sen viel­mehr den Meis­ter zei­gen, wie es auch frü­her Khlesls Mei­nung ge­we­sen sei; nun aber gehe er auf gott­lo­se Rän­ke und Sch­li­che aus, um die Macht in der Hand zu be­hal­ten.

Noch in ei­nem an­de­ren Fal­le hat­te Fer­di­nand die Geg­ner­schaft Khlesls zu spü­ren. Es ge­hör­te zu sei­nem Er­b­lan­de die so­ge­nann­te kroa­ti­sche Mark, die zum Teil von ei­ner wun­der­lich ge­misch­ten Be­völ­ke­rung be­sie­delt war. Zu Flücht­lin­gen, die der tür­ki­schen Herr­schaft ent­sprun­gen wa­ren, ge­sell­te sich man­cher­lei wil­des Ge­sin­del von den Küs­ten und Ber­gen Istri­ens, und so ent­stand um die Stadt Zengg her­um ein See­räu­ber­volk, das man Us­ko­ken nann­te und das un­ter dem Schut­ze der Erz­her­zö­ge von Stei­er­mark ein aben­teu­ern­des, ge­fähr­li­ches We­sen trieb. Häu­fig ka­men nun die Us­ko­ken in Streit mit der be­nach­bar­ten Re­pu­blik Ve­ne­dig, die die Herr­schaft im Adria­ti­schen Mee­re aus­üb­te und be­an­spruch­te und der die Aben­teu­rer zwar nicht ernst­lich Trotz bie­ten, die sie aber durch Über­fall, Raub und Mord emp­find­lich schä­di­gen konn­ten. Da Fer­di­nand auf die Kla­gen Ve­ne­digs die Schul­di­gen nur dem Schei­ne nach be­straf­te, in Wirk­lich­keit aber be­schirm­te, kam es zum Krie­ge zwi­schen ihm und der Re­pu­blik, in den sich auch Matt­hi­as mit hin­ein­zie­hen ließ, sehr zum Är­ger Khlesls, der Fer­di­nand ver­geb­lich zum Nach­ge­ben hat­te be­stim­men wol­len. Sei­ner An­sicht nach war Fer­di­nand im Un­recht, da er mit See­räu­bern ge­mei­ne Sa­che ma­che; über­haupt aber, sag­te er, sei über­all so viel ent­zünd­li­cher Stoff auf Weg und Steg ver­steckt, dass je­des Feu­er, ir­gend­wo auf­ge­gan­gen, einen all­ge­mei­nen, nicht mehr zu lö­schen­den Brand er­re­gen kön­ne, und man müs­se des­halb den Frie­den zu er­hal­ten su­chen und kei­ne Fun­ken flie­gen las­sen.

Na­ment­lich dem Erz­her­zog Ma­xi­mi­li­an wur­de es im­mer un­leid­li­cher, sich über­all von der Macht und Pracht Khlesls über­trumpft und aus­ge­sto­chen zu fin­den. Da er selbst ein spar­sa­mer Haus­wirt war und doch nie­mals mit sei­nen Ein­künf­ten reich­te, wurm­te es ihn über alle Ma­ßen, wenn er die mit sechs Pfer­den be­spann­te Ka­ros­se des Bi­schofs da­her­fah­ren sah, oder den mit Zo­bel ge­füt­ter­ten Man­tel, den er im Win­ter trug, und die Kra­gen von feu­er­ro­ter und vio­let­ter Sei­de, auf de­nen die gel­be Far­be sei­nes Ge­sich­tes häss­lich her­vor­trat. Nicht nur wuss­te Khlesl ge­schickt sei­ne Ein­künf­te zu ver­meh­ren, son­dern er be­zog auch von vie­len Sei­ten, na­ment­lich von Spa­ni­en, rei­che Pen­sio­nen und half dem not­lei­den­den Kai­ser oft mit klei­nen Sum­men aus. So­gar sei­ne Die­ner konn­ten als Her­ren auf­tre­ten, denn ohne sie zu be­ste­chen, ge­lang­te nie­mand zu ihm. Schon seit Jah­ren sprach man da­von, dass der ehr­gei­zi­ge Bi­schof nach der Kar­di­nals­wür­de stre­be, und nun hieß es, der Papst kön­ne dem Wun­sche des um die Kir­che so hoch­ver­dien­ten Man­nes nicht län­ger wi­der­stre­ben. Voll In­grimm glaub­te Ma­xi­mi­li­an wahr­zu­neh­men, wie er den Kopf be­reits hö­her auf­wer­fe und sich in Klei­dern und Ge­bär­den pfau­en­haf­ter sprei­ze als sonst, und es schi­en ihm kei­ne Zeit mehr zu krum­men We­gen zu sein. Ent­schlos­sen leg­te er Matt­hi­as sei­ne und Fer­di­n­ands un­um­stöß­li­che For­de­run­gen vor: Fer­di­nand müs­se durch­aus so bald wie mög­lich in den Er­b­lan­den und im Rei­che zum Nach­fol­ger ge­wählt wer­den. Ein Kur­fürs­ten­tag müs­se aus­ge­schrie­ben und die Kur­fürs­ten zur Wahl ver­an­lasst wer­den; mach­ten die Evan­ge­li­schen Ein­wän­de oder er­schie­nen sie nicht, so müs­se die Wahl ohne sie vor­ge­nom­men wer­den. Da­mit dem un­ge­wöhn­li­chen Ver­fah­ren Nach­druck ge­ge­ben wer­den kön­ne, müs­se Matt­hi­as un­ver­züg­lich ein Heer rüs­ten, dann kön­ne es ihm nicht feh­len. Nach ei­ni­gem Sträu­ben und Weh­kla­gen gab Matt­hi­as nach, so­dass Ma­xi­mi­li­an schon den Sieg da­von­ge­tra­gen zu ha­ben glaub­te.

 

Plötz­lich je­doch nahm die Sa­che eine ganz an­de­re Wen­dung: Das Me­mo­ri­al, in wel­chem Ma­xi­mi­li­an sei­ne For­de­run­gen auf­ge­zählt und be­grün­det und wel­ches er der kai­ser­li­chen Kanz­lei ein­ge­reicht hat­te, war auf un­er­klär­li­che Wei­se in die Hän­de der Evan­ge­li­schen ge­ra­ten, die sich nun bei­zei­ten ge­gen die de­spe­ra­ten An­schlä­ge zur Wehr set­zen konn­ten. Es litt bei Ma­xi­mi­li­an kei­nen Zwei­fel, dass Khlesl der Ur­he­ber die­ses Ver­ra­tes sei, und er be­schloss die Nie­der­la­ge mit den äu­ßers­ten Mit­teln zu rä­chen. Sein Hass nahm zu, als eine päpst­li­che Ab­ord­nung dem Bi­schof die Er­nen­nung zur Kar­di­nals­wür­de über­brach­te, wo­durch der Bäckers­sohn zum Ran­ge der Erz­her­zö­ge er­ho­ben wur­de. Khlesl ver­fehl­te nicht, dies sei­ne Fein­de auf glimpf­li­che Art mer­ken zu las­sen, wenn er auch üb­ri­gens gern bei­läu­fig er­wähn­te, dass er kei­nen Wert auf äu­ßer­li­che Aus­zeich­nun­gen lege.

Von der Aus­füh­rung des schar­fen Pla­nes, den Ma­xi­mi­li­an aus­ge­heckt hat­te, konn­te nun kei­ne Rede mehr sein, im Ge­gen­teil galt es am Hofe von Dres­den die ver­trau­li­che Stim­mung wie­der her­zu­stel­len, des­sen reichs­treue Po­li­tik durch das arg­wöh­ni­sche Me­mo­ri­al ein we­nig er­schüt­tert war. Des­halb wur­de ein Be­such des Kai­sers Matt­hi­as und sei­nes Nef­fen Fer­di­nand in Dres­den ver­ein­bart, bei wel­cher Ge­le­gen­heit die Grund­la­gen künf­ti­gen Zu­sam­men­hal­tens be­spro­chen wer­den soll­ten.

Dies war aus vie­len Grün­den eine schwe­re An­ge­le­gen­heit für Matt­hi­as, den bald Gicht, bald Ma­gen­schwä­che und Ver­dau­ungs­be­schwer­den plag­ten und der un­zäh­li­ge Übel für sei­ne Ge­sund­heit aus dem müh­se­li­gen Rei­se­ge­schäft und dem am säch­si­schen Hofe üb­li­chen Voll­sau­fen her­vor­ge­hen sah. Fer­ner wur­de er durch Fer­di­nand drang­sa­liert, weil der die Rei­se ohne Khlesl ma­chen woll­te, den Matt­hi­as ge­ra­de bei die­sem An­lass, wo wich­ti­ge Din­ge ver­han­delt wer­den soll­ten, nicht von sich las­sen woll­te und der auch selbst gar nicht dar­auf ver­zich­tet hät­te. In sei­nem er­fin­de­ri­schen Kopf hat­te Khlesl sich aus­ge­dacht, wie die­ser Be­such zum Bes­ten sei­ner Po­li­tik aus­zunüt­zen sei. Es hat­te näm­lich Erz­her­zog Fer­di­nand sei­ne kränk­li­che bay­ri­sche Ge­mah­lin in­zwi­schen durch den Tod ver­lo­ren, und bei ei­ner neu­en Ver­bin­dung konn­te der Aus­gleich mit den Evan­ge­li­schen etwa mit be­rück­sich­tigt wer­den. Wenn Fer­di­nand die Wit­we des ver­stor­be­nen Kur­fürs­ten Chris­ti­an hei­ra­te­te und also die künf­ti­ge Kai­se­rin evan­ge­lisch wäre, so, dach­te Khlesl, könn­te dies als ein schö­nes Sym­bol des her­ge­stell­ten Ein­ver­ständ­nis­ses im neu­ge­ei­nig­ten Rei­che aus­ge­deu­tet wer­den und recht wohl auf die bei­der­sei­ti­ge Hal­tung Ein­fluss ge­win­nen. Frei­lich war es un­ge­wiss, ob der aus­schwei­fen­de Ge­dan­ke die päpst­li­che Bil­li­gung fin­den wür­de; aber viel­leicht kam ihm die An­mut der dä­ni­schen Fürs­tin, die be­reits eine feu­ri­ge, wenn auch ver­geb­li­che Lie­bes­nei­gung in dem Land­gra­fen von Hes­sen-Darm­stadt ent­zün­det hat­te, zu Hil­fe, was be­son­ders bei Fer­di­n­ands leicht ent­flamm­ba­rem Tem­pe­ra­ment nicht un­mög­lich war.

Nach­dem zu­vor Fer­di­n­ands Krö­nung zum Kö­nig von Böh­men voll­zo­gen war, wur­de die Rei­se an­ge­tre­ten, und zwar so, dass die letz­te Stre­cke bis Dres­den zu Schiff auf der Elbe ge­macht wur­de. An der Gren­ze be­will­komm­ne­te der Kur­fürst die Ös­ter­rei­cher in fest­li­cher Wei­se durch eine Was­ser­jagd, in­dem das Wild durch Trei­ber und Hun­de in den Fluss ge­hetzt und dort von den in ih­ren Schif­fen be­find­li­chen Gäs­ten er­legt wur­de.

Fer­di­nand ge­noss die dar­ge­bo­te­nen Lust­bar­kei­ten, die für den Kai­ser meis­ten­teils be­schwer­lich wa­ren, in vol­len Zü­gen. Er hat­te zwar von Khlesls Hei­rats­plan nichts wis­sen wol­len, freu­te sich aber doch auf die Be­kannt­schaft der schö­nen Wit­we und wur­de denn auch durch ihr frei­es An­lä­cheln und rät­sel­haf­tes Bli­cken so­fort be­zau­bert. Er fand, dass sie viel fei­ner und klü­ger zu re­den wuss­te als sei­ne Schwes­tern oder sei­ne ver­stor­be­ne Frau, und die an­schmie­gen­de Be­weg­lich­keit ih­res zier­li­chen Lei­bes war selbst durch den stei­fen Bro­kat ih­res Klei­des zu füh­len. Nach­dem er mit ihr ge­tanzt und den Druck ih­rer Hand so­wie die Zärt­lich­keit ih­rer Nähe über­haupt ge­fühlt hat­te, schlug das Feu­er ihm vollends über dem Kop­fe zu­sam­men, so­dass Erz­her­zog Ma­xi­mi­li­an ihn mit Bli­cken straf­te und Eg­gen­berg für nö­tig hielt, ihm vor dem Schla­fen­ge­hen ver­trau­lich zu­zu­re­den. Er sol­le um Got­tes wil­len die Zü­gel nicht so fah­ren las­sen, sag­te er, son­dern be­den­ken, wo­hin das blin­de Röß­lein ihn zu­letzt tra­gen wer­de. Was wer­de der Papst zu ei­ner so ver­we­ge­nen Hei­rat sa­gen, vom Erz­her­zog Ma­xi­mi­li­an zu schwei­gen, der ihm sei­ne vä­ter­li­che Zu­nei­gung ganz ent­zie­hen wer­de. Ob er der Kir­che und der Ver­wandt­schaft, der gan­zen ka­tho­li­schen Welt trot­zen wol­le? Die Kur­fürs­tin mei­ne es ge­wiss auch nicht red­lich mit ihm, denn sie sei fest lu­the­risch, wer­de nie da­von wei­chen. Die dä­ni­sche Fa­mi­lie sei schön von Ge­sicht, aber üp­pig und ver­buhlt; der Kur­fürs­tin kön­ne man ja nichts nach­sa­gen, aber sie wer­de auch nicht an­ders sein als ihr Bru­der, der Kö­nig von Dä­ne­mark; sol­che Frau­en hät­ten kei­ne Be­schaf­fen­heit zur Ehe, pass­ten be­son­ders nicht für das Erz­haus. Gott möge es dem Khlesl ver­zei­hen, dass er das Feu­er an­ge­legt und an­ge­facht habe, er habe si­cher­lich sein Ver­der­ben da­mit stif­ten wol­len, Fer­di­nand sol­le sein Heil be­den­ken und dem Kar­di­nal zum Tor­te die Flam­me im Ent­ste­hen zer­tre­ten.

Der kur­fürst­li­che Wirt war in bes­ter Lau­ne, un­er­müd­lich vor­trin­kend und laut schwö­rend, dass er beim Hau­se Ös­ter­reich le­ben und ster­ben wol­le. Hat­te er in sei­ner Haupt­stadt auch nicht viel Kunst­wer­ke und Ra­ri­tä­ten vor­zu­wei­sen, so ent­zück­te er doch na­ment­lich Fer­di­nand durch eine Sau­hatz, die mit­ten in der Stadt auf dem Mark­te ab­ge­hal­ten wur­de, wie auch eben­so durch die Mu­sik, die zur Ta­fel auf­spiel­te. Wäh­rend der Kur­fürst und sein Hof sich bei Ti­sche nicht son­der­lich um die Ka­pel­le be­küm­mer­ten, horch­ten die Gäs­te zu­wei­len er­staunt und freu­dig auf, und Fer­di­n­ands Freund, Fürst Eg­gen­berg, stand so­gar mehr­mals auf, brach­te dem Ka­pell­meis­ter ein Glas voll Wein, stieß mit ihm an und be­glück­wünsch­te ihn we­gen der Kunst, mit der er die Ka­pel­le lei­te­te. Als der Kur­fürst dies be­merk­te, er­zähl­te er la­chend, die­ser Ka­pell­meis­ter, na­mens Hein­rich Schütz, habe einen be­son­de­ren Wert für ihn, weil er ihn dem Land­gra­fen Mo­ritz von Hes­sen-Kas­sel ab­ge­jagt habe. Die­ser habe den Schütz als einen ta­lent­vol­len Kna­ben ent­deckt, ihn im Ge­sang un­ter­rich­ten las­sen und spä­ter an sei­nen Hof ge­zo­gen. Als er ge­hört habe, was für ein großes We­sen der Land­graf aus dem Schütz mach­te, habe er sich ihn ein­mal schi­cken las­sen und ihn dann ganz für sich be­hal­ten wol­len, was der Land­graf Mo­ritz sehr un­gern ver­nom­men habe. Da aber der Schütz auf kur­säch­si­schem Ge­biet ge­bo­ren sei und da der Land­graf ihm wohl auch nicht dau­ernd habe zu­wi­der sein mö­gen, sei der Han­del zu­stan­de ge­kom­men, was ihn be­son­ders freue, weil Land­graf Mo­ritz sich be­kannt­lich ein­bil­de, mehr zu wis­sen und zu kön­nen als an­de­re Leu­te und an sei­nem Hofe be­son­ders ge­lehrt und neu­mo­disch ein­ge­rich­tet zu sein. Er be­kom­me zu­letzt im­mer, was er wol­le, sag­te der Kur­fürst be­hag­lich, und zwar ohne sich zu rüh­ren. Mit Fech­ten und Schwit­zen kön­ne je­der et­was aus­rich­ten, aber mit Still­sit­zen den Sieg da­von­zu­tra­gen, sei die wah­re po­li­ti­sche Kunst, auf die sich nicht je­der ver­ste­he.

Als vor­nehms­te Er­göt­zung wur­de den Gäs­ten ei­nes Abends eine Kom­po­si­ti­on Schüt­zens, näm­lich ein mu­si­ka­li­sches Ge­spräch zwi­schen Apol­lo und den Mu­sen, vor­ge­führt. In ei­nem Saa­le des Schlos­ses war eine klei­ne Büh­ne her­ge­rich­tet, auf wel­cher die Sän­ger auf­tra­ten, Apol­lo mit ei­nem Lor­beer­kranz in den blon­den Lo­cken, in gold­ge­stick­tem Wams und pur­pur­nem Man­tel, die Mu­sen in alt­deut­schen Ge­wän­dern mit ge­puff­ten Är­meln. Den Hin­ter­grund bil­de­ten, auf eine Wand ge­malt, ein dun­kel­grü­ner Hain und ein wei­ßer Tem­pel auf son­nen­be­schie­ne­nem Hü­gel. Zufrie­den lä­chelnd, be­ob­ach­te­te Jo­hann Ge­org das Er­stau­nen und die Be­wun­de­rung sei­ner Gäs­te wäh­rend der Dar­stel­lung: Matt­hi­as und die Kai­se­rin wein­ten, Fer­di­nand wieg­te sei­nen wei­chen Kör­per hin und her, und sei­ne blau­en Au­gen fun­kel­ten in feuch­ter Won­ne, Fürst Eg­gen­berg schi­en je­den Ton wie einen aus Wol­ken tau­en­den am­bro­si­schen Trop­fen auf­zu­fan­gen und in­nig zu schlür­fen. Am Schlus­se des Spiels, das mit ei­ner Hul­di­gung für das Kai­ser­paar en­de­te, wur­de Schütz vor die Ma­je­stä­ten be­foh­len, um ihr Lob in Empfang zu neh­men. Fer­di­nand klopf­te ihm auf die Schul­ter und sag­te ge­müt­lich: »Er ver­steht sei­ne Sa­che. Ich gebe zehn von mei­nen groß­mäu­li­gen Stan­des­her­ren um ein sol­ches Ket­zer­le, wie Er ist.« Eg­gen­berg nö­tig­te den Ka­pell­meis­ter, sich zu ihm in eine Ecke zu set­zen, und frag­te ihn über sei­ne Kom­po­si­ti­on aus. Wo­her er das habe? Das sei et­was Neu­es und Ge­walt­sa­mes, aber Wun­der­vol­les. Die Mu­sik sei sonst eine über­ir­di­sche Er­schei­nung un­ter den Men­schen ge­we­sen, ve­sta­lisch ver­hüllt und un­nah­bar; nun aber sei es ihm so ge­we­sen, als hät­te sie ihre Brust gleich ei­nem Zau­ber­spie­gel ent­schlei­ert, und ein je­der hät­te sich selbst dar­in er­blickt, so wie Gott sich vor­be­hal­ten habe, sich zu er­ken­nen, so­dass es ihm fast ver­bo­ten und schau­rig vor­ge­kom­men sei. Da er nun das ge­nos­sen habe, glau­be er, es wer­de ihm kein Ton­stück von der al­ten Art mehr schme­cken.

Schütz er­klär­te, dass er der­ar­ti­ge Mu­sik in Ve­ne­dig ken­nen­ge­lernt habe, wo er jah­re­lang bei dem be­rühm­ten Meis­ter Ga­bri­e­li stu­diert habe, und dass er hof­fe, mit der Zeit noch grö­ße­re Vor­treff­lich­keit dar­in zu er­rei­chen. Die Mu­sik sei bis­her in der ba­by­lo­ni­schen Ge­fan­gen­schaft ge­we­sen, und er möch­te sie in ihre Hei­mat zu­rück­füh­ren. Das sei schwer zu er­klä­ren und schwer zu be­grei­fen. Er wol­le die alte Mu­sik nicht her­ab­set­zen, kei­nes­wegs, denn sie sei eine Of­fen­ba­rung Got­tes ge­we­sen; nun aber müs­se der Tö­ne­brun­nen aus der Men­schen Herz aus­flie­ßen und kün­den, was dar­in­nen sei.

»Mein Freund«, sag­te Eg­gen­berg, »Ihr seid nur ein be­schei­de­ner Ka­pell­meis­ter, und doch seid Ihr mehr als ir­gend­ei­ner von uns, wie mir scheint, den Göt­tern ähn­lich. Ihr lasst Licht wer­den und zau­bert tö­nen­de Ge­schöp­fe aus dem Ab­grund und ver­bin­det die chao­ti­schen Stim­men zu ei­ner ge­re­gel­ten, in Voll­kom­men­heit schwe­ben­den Har­mo­nie.«

 

Das fei­ne, von heim­li­cher Träu­me­rei um­dun­kel­te Ge­sicht Schüt­zens er­hell­te ein gü­ti­ges Lä­cheln. Sein Ge­schäft müs­se doch um vie­les leich­ter sein als das des Herr­gotts, sag­te er; denn des­sen Krea­tu­ren stän­den trotz sei­ner All­macht in lau­ter Ha­der und Dis­pu­tie­ren, die Dis­har­mo­ni­en lös­ten sich nie­mals auf, und es wür­de da­mit im­mer schlim­mer statt bes­ser.

»Ja, das sind Ge­heim­nis­se«, nick­te Eg­gen­berg ein we­nig zu­rück­hal­tend. »Wir Men­schen ma­chen so viel Lärm auf der Erde, dass wir die Har­mo­nie Got­tes nicht ver­neh­men kön­nen.«

Khlesl hat­te, auch ab­ge­se­hen von dem Miss­glücken sei­nes Hei­rats­pla­nes, man­che Bit­ter­keit zu schlu­cken. Er hat­te kraft sei­nes Kar­di­nals­ran­ges das Recht, bei Ti­sche zwi­schen den Erz­her­zö­gen zu sit­zen; da die­se aber mit Abrei­se droh­ten, wenn sie nicht über ihn ge­setzt wür­den, was wie­der­um Khlesl sich nicht ge­fal­len las­sen woll­te, schlug der be­dräng­te Hof­mar­schall vor, Khlesl möch­te an ei­ner an­de­ren Ta­fel sit­zen, wo er den un­be­strit­te­nen Ehren­platz ein­neh­men wür­de. Hier­auf ging Khlesl mit sau­rer Mie­ne ein, ob­wohl er wuss­te, dass es ihm zu De­spekt und Schimpf ge­rei­chen wür­de, und es ent­ging ihm auch nicht, mit wel­cher Scha­den­freu­de Ma­xi­mi­li­an ihn vom kai­ser­li­chen Ehren­ti­sche aus be­ob­ach­te­te.