Der Dreißigjährige Krieg

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Nach Ver­lauf die­ser Zeit such­te Ramée den Her­zog auf und sag­te mit sei­nem teuf­li­schen Lä­cheln, wenn der Her­zog nach Prag zu­rück wol­le, bie­te er ihm ein Ge­leit von zu­ver­läs­si­gen Leu­ten an, die ihn auf ver­bor­ge­nen We­gen aus Passau füh­ren soll­ten, da­mit er das La­ger ver­mei­de. Er für sei­nen Teil glau­be wohl, dass der Her­zog es ehr­lich ge­meint habe, die wil­de Sol­da­tes­ka kön­ne sich aber leicht ein­bil­den, er habe ih­nen eine Fal­le auf­ge­stellt, und ih­ren Zorn an sei­ner Per­son aus­las­sen, zu­mal er kein Ka­tho­lik sei.

Trotz sei­nes Miss­trau­ens und heim­li­chen Är­gers ent­schloss sich der Her­zog, das Aner­bie­ten des Ramée an­zu­neh­men, und mach­te sich bei ein­bre­chen­der Däm­me­rung nach Prag auf. Die Pis­to­le im Gür­tel, folg­te er zu Pferd zwei Be­waff­ne­ten, die ihn über Hü­gel und durch Wäl­der an ei­nem ver­eis­ten, kra­chen­den Fluss ent­lang ver­wach­se­ne Pfa­de führ­ten, nicht we­nig froh, als er an der Gren­ze des Bis­tums wohl­be­hal­ten auf der ge­mei­nen Heer­stra­ße an­lang­te. In Prag war­te­ten sei­ner neue Ent­täu­schun­gen und Wi­der­wär­tig­kei­ten, in­dem der Kai­ser sich nicht se­hen ließ und die böh­mi­schen Stän­de ihn, den Her­zog, mit Vor­wür­fen an­fie­len und ihr Geld von ihm zu­rück­for­der­ten, das sie auf sein Wort her­ge­ge­ben hät­ten, das aber nicht auf den ih­nen vor­schwe­ben­den Zweck ver­wandt sei.

1 auf­ge­wie­gelt <<<

13.

Jo­han­nes Kep­ler be­wohn­te auf der Klei­nen Sei­te, nicht weit vom Schlos­se, ein Haus, in des­sen dunklen Räu­men sei­ne Frau sich hei­misch zu füh­len nie­mals ge­lernt hat­te: ihr fehl­te die fri­sche, hei­te­re Luft der Stei­er­mark, aus der sie stamm­te, der harm­lo­se Froh­sinn ih­rer Lands­leu­te, die Fa­mi­lie und das sorg­lo­se Wirt­schaf­ten, an das sie in ih­rem El­tern­hau­se ge­wöhnt ge­we­sen war. Da ihr Mann das Ge­halt, auf das er An­spruch hat­te, fast nie­mals er­hielt, fehl­te es im­mer an Geld, und es kam vor, dass sie die Wä­sche und die Ge­wän­der, die sie für sich und die Kin­der brauch­te, nicht an­schaf­fen konn­te. In den ers­ten Jah­ren hat­te sie ih­ren Mann ge­drängt, beim Kai­ser auf der rich­ti­gen Aus­zah­lung des Ge­hal­tes zu be­ste­hen, ob­wohl sie sah, dass ihm das schwer wur­de, und merk­te, dass es nicht nütz­te; spä­ter je­doch tat sie es nicht mehr, hör­te über­haupt auf, ir­gen­det­was än­dern zu wol­len, son­dern wur­de un­tä­tig und starr­te oft stun­den­lang in schwer­mü­ti­gen Ge­dan­ken vor sich nie­der. Ihr einst lieb­li­ches Ge­sicht fing an ab­ge­zehrt und ält­lich aus­zu­se­hen, und ihre schö­nen Au­gen hat­ten oft einen ver­stör­ten Aus­druck und wi­chen dem Blick an­de­rer scheu aus. Ge­gen die Mit­te des Fe­bru­ar er­krank­te ein Kind, ein zier­li­ches brau­nes Mäd­chen mit ge­heim­nis­vol­len Au­gen und wun­der­li­chen, fan­tas­ti­schen Ein­fäl­len, das Kep­ler be­son­ders lieb­te. Es war Nach­mit­tag und däm­mer­te schon im Wohn­zim­mer, als die Frau, die im Schat­ten saß, plötz­lich auf­schrie, weil es stark an die Haus­tür ge­klopft habe; die Gerüch­te von dem Her­an­na­hen der Pas­sau­er Trup­pen mach­ten sie reiz­bar und ängst­lich. Kep­ler, der das kran­ke Kind im Arme hat­te, trat an das Fens­ter und blick­te auf die Gas­se; drun­ten sei al­les still, sag­te er be­ru­hi­gend zu sei­ner Frau, sie müs­se sich ge­täuscht ha­ben. In­des­sen war es der Leib­arzt des Kai­sers, Dok­tor Altman­s­tet­ter, der als ein Freund des Hau­ses sich nach dem Be­fin­den der Kran­ken um­se­hen woll­te und gleich dar­auf in das Wohn­zim­mer trat. Wie es auf der Burg ste­he? frag­te Kep­ler; ob sich der Kai­ser be­quemt habe, die Pas­sau­er auf­zu­hal­ten?

Es sehe böse oben aus, sag­te Altman­s­tet­ter. Der Kai­ser habe zu­letzt wohl oder übel nach­ge­ben und Be­fehl aus­ge­hen las­sen müs­sen, dass die Pas­sau­er aus Böh­men gin­gen; aber sie rück­ten gleich­wohl an, da sie den Be­fehl für er­zwun­gen hiel­ten und des Kai­sers ei­gent­li­che Mei­nung bes­ser kenn­ten. Selbst der Lob­ko­witz habe den Kai­ser ge­warnt, nur der Mar­ti­nitz und der Sla­wa­ta hät­ten ihm bei­ge­stan­den und blie­sen in das Kriegs­horn; der spa­ni­sche Ge­sand­te sol­le so ent­rüs­tet über den Bi­schof von Passau, näm­lich den Erz­her­zog Leo­pold, sein, dass er ge­sagt habe, da er nicht ru­hig sit­zen kön­ne, sol­le man ihn lau­fen oder hän­gen las­sen.

Die Frau jam­mer­te, was aus ih­nen wer­den sol­le, wenn das Kriegs­volk in Prag ein­fie­le? Die Evan­ge­li­schen wür­de es ge­wiss nicht am Le­ben las­sen. Altman­s­tet­ter trös­te­te sie, es gel­te den Stän­den, sie soll­ten ge­zwun­gen wer­den, den Ma­je­stäts­brief wie­der her­aus­zu­ge­ben, und mit den Häup­tern, als Thurn, Bu­do­wa und Kins­ky, hät­te man auch viel­leicht et­was Blu­ti­ges vor. Kep­ler aber ge­hö­re dem kai­ser­li­chen Hof­staat an und habe nichts zu be­sor­gen. Sie soll­ten nur für die Nacht das Haus gut ver­schlie­ßen. Das fie­bern­de Kind, das still zu­ge­hört hat­te, hob jetzt den Kopf und sag­te, es fürch­te sich nicht vor den Sol­da­ten, denn wenn sie sie um­bräch­ten, kämen sie in den Him­mel, mit Aus­nah­me des Dok­tors, der kön­ne nicht mit hin­ein. Die­ser lach­te, setz­te sich zu dem Kin­de, das ihn schalk­haft an­lä­chel­te, und woll­te wis­sen, warum er nicht in den Him­mel kom­men kön­ne. Es ste­he ge­schrie­ben, sag­te es end­lich, die Pfor­te zum Him­mel sei eng, da wer­de der Dok­tor wohl nicht hin­durch­kom­men. Hier­über lach­te er laut und herz­lich, dass sein um­fang­rei­cher Leib schüt­ter­te, und noch wäh­rend er die Trep­pe hin­un­ter­ging, hör­te man sein Ge­läch­ter. Kep­ler herz­te sein Kind und trug es in sein Bett zu den Ge­schwis­tern, wor­auf er wie­der zu sei­ner Frau zu­rück­kehr­te. Er woll­te noch in die Dach­kam­mer ge­hen, um die Ster­ne zu be­ob­ach­ten, sag­te er, weil die Nacht so klar sei; sie sol­le un­ter­des­sen die Magd her­ein­ru­fen, da­mit ihr die Wei­le nicht lang wer­de. Ob er denn durch­aus hin­auf­ge­hen müs­se? sag­te sie schüch­tern. Er möge ihr nur zu­vor sa­gen, ob die Stel­le aus der Of­fen­ba­rung auf die Pas­sau­er zu deu­ten sei: ›Und die Zahl des rei­si­gen Zeu­ges war viel­tau­send­mal tau­send; und ich hö­re­te ihre Zahl. Und also sah ich die Ros­se im Ge­sicht, und die dar­auf sa­ßen, dass sie hat­ten feu­ri­ge und gel­be und schwe­fe­lich­te Pan­zer, und die Häup­ter der Ros­se wie die Häup­ter der Lö­wen, und aus ih­rem Mun­de ging Feu­er und Rauch und Schwe­fel.‹

Nicht doch, sag­te Kep­ler un­ge­dul­dig, das be­zie­he sich auf längst­ver­gan­ge­ne Zei­ten; aber Ros­se mit Lö­wen­köp­fen hät­te es nach sei­ner Mei­nung selbst da­mals nicht ge­ge­ben, das wer­de wohl ein Sym­bol oder ein Ge­f­lun­ker sein. Sie sol­le sich doch mit dem vie­len Bi­bel­le­sen die Ge­dan­ken nicht schwer ma­chen.

»Was soll­te ich wohl sonst tun?« sag­te sie trau­rig, in­dem sie ihn aus ih­ren dunklen Au­gen an­sah. Ein pein­li­ches Ge­fühl zog sein Herz zu­sam­men; sie sol­le jetzt ein we­nig mit der Magd plau­dern, sag­te er, er kom­me bald wie­der und blei­be dann bei ihr. Da­mit ging er schnell aus der Tür und stieg die schma­le Trep­pe zu dem Dach­stüb­chen hin­auf, wo er zu ar­bei­ten pfleg­te und wo ein Sche­mel an dem nied­ri­gen Fens­ter stand. Da das Haus hoch lag, konn­te er die Alte und die Neue Stadt jen­seit der Moldau über­bli­cken: wie eine ge­ängs­te­te, in die Hür­de zu­sam­men­ge­dräng­te Her­de schie­nen die Häu­ser sich eins am an­de­ren ver­ber­gen zu wol­len. Dicht über dem Ho­ri­zon­te, der Erde zu­ge­hö­rig, hing der ab­neh­men­de Mond, eine trü­be La­ter­ne am Sta­be ei­nes ar­men Hir­ten; aber hoch oben be­gan­nen die Ster­ne aus schwar­zen Schluch­ten an ihre Stel­le zu tre­ten. Wie Kep­ler den Blick hin­auf­rich­te­te und die ver­trau­ten Er­schei­nun­gen auf­such­te, fie­len die Sor­gen, die ihn noch eben be­drückt hat­ten, von ihm ab; er ging den­sel­ben Weg und trank die­sel­be Luft wie die Dä­mo­nen des Him­mels, ver­nahm nichts mehr als die la­by­rin­thi­sche Fuge ih­rer dia­man­te­nen Bahn. Ja, von al­len Sterb­li­chen war er es, der ihre un­be­rühr­ba­ren Spu­ren ge­fun­den, ihre ge­heim­nis­vol­len Ver­schlin­gun­gen ent­wirrt hat­te. Wie hät­te er das ver­mocht, wenn nicht von dem schaf­fen­den Geist eine Feu­er­flo­cke sei­ne See­le ent­zün­det hät­te, dass sie, göt­ter­haft be­flü­gelt, sich über die Erde auf­schwin­gen konn­te! Er hat­te den To­dess­prung in den Raum ge­wagt, und an­statt dass er an der Fes­te zer­schmet­ter­te, ris­sen ge­schmie­de­te Ket­ten und öff­ne­ten sich ver­schlos­se­ne Pfor­ten, durch die die Unend­lich­keit wie Früh­ling her­ein­quoll und ihn trug. Ihn, das dürf­ti­ge Tier der Erde, hat­te die Welt als ih­ren Bür­ger emp­fan­gen, da er sie durch­dacht und ent­deckt hat­te. Er stand auf, öff­ne­te das Fens­ter, durch das die kal­te Win­ter­luft ein­drang, und beug­te sich hin­aus; eine mäch­ti­ge Trun­ken­heit schi­en ihn in den mit Gött­lich­keit er­füll­ten Ab­grund hin­ab­zu­schleu­dern, dem er sich gleich fühl­te, er, auch bo­den­los und von gött­li­chen Ge­dan­ken über­flie­ßend. Wie er sich um Wel­ten schwang, durch­ström­ten ihn Wel­ten; an dem win­zi­gen Fens­ter ei­nes zer­brech­li­chen Hau­ses stand er und lenk­te sie an dem un­ent­rinn­ba­ren Ban­de sei­nes Geis­tes.

Aus die­sem Tau­mel schreck­te ihn plötz­lich ver­wor­re­ner Lärm, der, wie er glaub­te, aus der Rich­tung des Süd­to­res her­kam. Er horch­te einen Au­gen­blick hin­aus, schloss das Fens­ter und lief die Trep­pe so has­tig hin­un­ter, dass er stol­per­te. Als er in das Wohn­zim­mer trat, warf sich sei­ne Frau an sei­nen Hals; die Magd lief be­tend und jam­mernd hier­hin und dort­hin. »Siehst du«, sag­te die Frau, »es kommt doch so, wie es von den Rei­si­gen ge­schrie­ben steht: ›und von die­sen ward er­tö­tet das drit­te Teil der Men­schen‹.« Kep­ler sag­te be­ru­hi­gend, so groß sei die Ge­fahr nicht, die Stän­de hät­ten auch Trup­pen und wür­den die Stadt wohl ver­tei­di­gen. Sie könn­ten auch auf die Burg flüch­ten, dort wä­ren sie ganz si­cher, der Kai­ser wür­de ih­nen ein Ob­dach nicht ver­sa­gen. Vom Kai­ser, rief sie ent­setzt, gehe ja das Mor­den aus, er wer­de sie so we­nig spa­ren, wie Karl IX. sei­nen Ad­mi­ral Co­li­gny ge­schont hät­te. Lie­ber wol­le sie ihre Kin­der von den Sol­da­ten auf­ge­spießt se­hen, als sie dem al­ten Sa­tan auf der Burg aus­lie­fern. In­dem sie so sprach, öff­ne­te sich lei­se die Tür, und das klei­ne Mäd­chen trip­pel­te auf blo­ßen Fü­ßen im lan­gen Nacht­kit­tel her­ein und sag­te mit hel­ler Stim­me, die El­tern soll­ten da­blei­ben, da­mit sie mit­ein­an­der in den Him­mel gin­gen. »Ist Herr Altman­s­tet­ter nicht da?« frag­te es, in­dem es neu­gie­rig um sich blick­te; »ich möch­te ihn gern zur Höl­le fah­ren se­hen.« Kep­ler raff­te das klei­ne Mäd­chen an sich und wi­ckel­te es in ein Tuch; um die an­de­ren Kin­der nicht zu we­cken und da­durch die Un­ru­he zu ver­meh­ren, trug er es nicht in die Schlaf­kam­mer zu­rück.

 

In­des­sen war der Lärm nä­her­ge­kom­men, man hör­te Ge­schrei und das Kra­chen von Schüs­sen. Wäh­rend die Magd be­te­te, flüs­ter­te Kep­lers Frau, angst­voll in einen Win­kel stie­rend: »Ich höre das Blut durch die Gas­se rin­nen, ich höre es von den Dä­chern trop­fen, ich höre es über die Stie­ge hin­un­ter­flie­ßen«, und wie­der von vor­ne und wei­ter. Plötz­lich er­dröhn­ten Fuß­trit­te dicht un­ter den Fens­tern, und gleich dar­auf krach­te eine Tür, wie wenn mit Keu­len da­ge­gen ge­schla­gen wür­de. Es sei im Nach­bar­hau­se, sag­te Kep­ler, der, das Kind auf dem Arme, am Fens­ter stand, hat­te aber noch nicht aus­ge­spro­chen, als gel­len­des Ge­schrei er­tön­te, aus­ge­sto­ßen von auf der Stra­ße oder im Ne­ben­hau­se Über­fal­le­nen. Im glei­chen Au­gen­blick schrie auch die Magd auf, die bis da­hin laut ge­be­tet hat­te, und wie Kep­ler sich um­dreh­te, sah er sei­ne Frau mit den Ar­men in die Luft grei­fen und dann in ei­nem Kramp­fe be­wusst­los zu Bo­den stür­zen.

Wäh­rend Kep­ler sich um Frau und Kind be­müh­te, wälz­te sich die Schar der Söld­ner wei­ter, an­ge­führt vom Erz­her­zog Leo­pold und be­kämpft von den stän­di­schen Trup­pen, de­ren je­doch zu we­ni­ge wa­ren, um sie zu­rück­zu­wer­fen. Ei­ner klei­nen Ab­tei­lung ge­lang es, über die Moldau­brücke in die Alt­stadt zu drin­gen, dort aber wur­den sie bis auf we­ni­ge ge­tö­tet; denn die Bür­ger­schaft hat­te Zeit ge­habt, sich zu be­waff­nen, und wehr­te sich in­grim­mig. Nach­dem die Ein­dring­lin­ge über­wäl­tigt wa­ren, warf sich die ent­fes­sel­te Kampf­lust auf die in der Stadt be­find­li­chen Geg­ner, Klös­ter von Je­sui­ten und Ka­pu­zi­nern, die, von nie­man­dem ver­tei­digt, gräu­el­voll aus­ge­mor­det wur­den. In der Klein­sei­te quar­tier­ten sich die Pas­sau­er ein und wirt­schaf­te­ten ge­walt­tä­tig; aus Angst vor Mar­ter und Mord ver­lie­ßen vie­le Be­woh­ner ihre Häu­ser und irr­ten auf der Stra­ße um­her, bis die Sor­ge um ihre Hab­se­lig­kei­ten sie wie­der zu­rück­trieb.

Ei­nen wich­ti­gen Fang hat­ten die Söld­ner mit den Per­so­nen der Gra­fen Thurn, Wen­zel, Kins­ky und Fels von Co­lon­na ge­tan, die, zum Teil ver­wun­det, vom Erz­her­zo­ge ge­fan­gen­ge­hal­ten wur­den. Ramée re­de­te ihm zu, sie ohne wei­te­res zu tö­ten, er selbst er­bie­te sich zur Exe­ku­ti­on; Graf Sulz hin­ge­gen be­schwor den Un­schlüs­si­gen, sich nicht durch Mord zu be­fle­cken. So­lan­ge sie leb­ten, stif­te­ten sie Scha­den, sag­te Ramée, man brau­che nicht so viel Auf­he­ben von ein paar ket­ze­ri­schen Schuf­ten zu ma­chen. – Der Kai­ser kön­ne sie vor ein Ge­richt stel­len, sag­te Sulz, viel­leicht kön­ne man sich auch mit ih­nen ver­tra­gen, in­dem man ih­nen Geld oder hohe Äm­ter an­bie­te. »Es ist ge­nug«, sag­te er zu Leo­pold, »dass das Volk Euch mit­ten un­ter Ban­di­ten ge­se­hen hat, die rau­ben und mor­den, als ob dies ihr Ge­schäft sei. Ihr habt die Kir­che in Eu­rer Per­son bloß­ge­stellt. Hät­te ich ge­wusst, dass es da­hin kom­men könn­te!«

Das hät­te er frei­lich wis­sen kön­nen, sag­te Ramée höh­nisch. Ob er ge­dacht hät­te, sie soll­ten be­schei­den wie Bett­ler an­klop­fen und de­mü­tig um den Sieg fle­hen als um ein Al­mo­sen? Wo Sulz bis­her Krieg ge­führt hät­te, und ob die Söld­ner da einen Bet­tel­sack trü­gen an­statt Schwer­ter und Lan­zen?

In­zwi­schen war der Kai­ser ge­ho­be­ner Stim­mung und ließ nie­man­den von de­nen vor, die ihn an­fle­hen woll­ten, durch einen ent­schie­de­nen Be­fehl den Gräu­eln und Lei­den Un­schul­di­ger Ein­halt zu tun. An­statt des­sen un­ter­hielt er sich mit dem Ma­ler Bloe­mart, der aus Rom zu­rück­ge­kehrt war und ihm ein Bild des deut­schen Ma­lers Adam Els­hei­mer be­schrieb, das er ge­se­hen hat­te und das die Zer­stö­rung Tro­jas dar­stell­te. Kei­ner habe zu­vor ver­mocht, er­zähl­te er, auf ein Bild zu ma­len, was ohne Um­riss mit dem Raum selbst zu­sam­men­flös­se: stür­mi­sche Fins­ter­nis, glü­hen­de Nacht. Auf die­ser Ta­fel habe der wun­der­ba­re, in ge­dan­ken­vol­le Schwer­mut ver­sun­ke­ne Mann gleich­sam sich selbst zur Er­schei­nung ge­bracht: sei­nen er­lö­schen­den Geist be­wun­de­re man in der Flam­men­pracht der zu­sam­men­stür­zen­den Burg und dem Un­ter­gang des herr­li­chen Vol­kes. Be­gie­rig hör­te der Kai­ser zu und wünsch­te das Bild zu be­sit­zen, es kos­te, was es wol­le; wenn Els­hei­mer nach Prag kom­men und in sei­nen Dienst tre­ten möch­te, so sol­le es ihm an nichts feh­len, kürz­lich sei der alte Spran­ger ge­stor­ben, er kön­ne des­sen Wit­we hei­ra­ten und sich gleich in ein ge­pols­ter­tes Nest set­zen.

Am zwei­ten Abend nach dem Ein­fall der Pas­sau­er ge­lang es doch Han­ne­wald und dem Gra­fen Sulz, zum Kai­ser vor­zu­drin­gen, der mit Rhuts­ky beim Brett­spiel saß und die Her­ren zum Mit­spie­len ein­lud. Ach Gott, sag­te Graf Sulz, hät­te der Kai­ser den Jam­mer ge­se­hen, der un­ten in der Stadt herr­sche, möch­te es ihm das Spiel ver­lei­den. Er wäre eben auf dem Wege zur Burg ei­ner Frau be­geg­net, die hät­te den blut­über­ström­ten Leich­nam ei­nes klei­nen Kin­des auf dem Arm ge­tra­gen und sin­gend hin und her ge­wiegt; un­ter den Fens­tern der Burg stän­den Verzwei­fel­te und heul­ten zum Kai­ser hin­auf um Hil­fe; ob er es nicht höre? Es sei, als hät­te die Höl­le einen Spalt auf­ge­tan und ihre Gräu­el her­aus­ge­las­sen.

Die Leu­te hät­ten es nicht an­ders ha­ben wol­len, sag­te der Kai­ser gleich­gül­tig, die Stadt hät­te es mit den Re­bel­len ge­hal­ten, nun dür­fe man die Sol­da­ten in ih­rem Ge­schäft nicht stö­ren. Sie soll­ten sich kei­ne Mühe ge­ben, ihn zu er­wei­chen, er wol­le fest blei­ben.

Was denn aber wer­den sol­le? frag­te Sulz, die Hän­de rin­gend. Es sei dem Erz­her­zo­ge nicht ge­lun­gen, die Alt­stadt zu er­obern, auch auf der Klei­nen Sei­te fas­se sich die Bür­ger­schaft jetzt zum Wi­der­stand zu­sam­men. Matt­hi­as sei im An­rücken, die Stadt wer­de sich mit ihm ver­bün­den, dann sei der Kai­ser ver­lo­ren. Ramée den­ke nur an Raub und wie er sei­ne Beu­te vor der An­kunft des Matt­hi­as in Si­cher­heit brin­gen kön­ne. Hät­te man sich doch nie mit dem Wü­te­rich ein­ge­las­sen! Jetzt kam aber auch Leo­pold und fleh­te den Kai­ser an, sich nicht ab­wen­dig ma­chen zu las­sen. Wür­de der Kai­ser nur fest zu ihm hal­ten, so sei noch nichts ver­lo­ren. Er hät­te Ver­bin­dun­gen in der Alt­stadt und kön­ne Feu­er an­le­gen las­sen, wenn der Kai­ser ihn dazu er­mäch­ti­ge; es sei bes­ser, dass Prag in Flam­men auf­ge­he, als dass es dem Feind in die Hän­de fal­le und der Kai­ser zu­gleich. Wäh­rend die üb­ri­gen Leo­pold we­gen ei­nes sol­chen Vor­schlags ta­del­ten, trat der Kai­ser an das Fens­ter und stell­te sich vor, wie wohl es ihm täte, wenn er die treu­lo­se Stadt in Feu­ers­not zu sei­nen Fü­ßen sich win­den, den Rauch über die Ver­nich­tung sich hin­wäl­zen sähe. Er är­ger­te sich über sei­nen Nef­fen, der auf sei­nen Be­fehl zu der Brand­stif­tung war­te­te; auch er hat­te nicht Mut zu han­deln, son­dern woll­te die Verant­wor­tung für die Tat auf ihn wäl­zen, sol­cher Die­ner be­durf­te er nicht, son­dern klu­ger und ent­schlos­se­ner, die sei­nen Wil­len er­kann­ten und aus­führ­ten, be­vor er noch selbst es wuss­te. Da­zwi­schen kam die Furcht vor Matt­hi­as, der mit je­dem Au­gen­blick an der Spit­ze ei­nes Hee­res nä­her­kam. War es nicht bes­ser, wie Han­ne­wald riet, Leo­pold und sei­ne Ge­nos­sen zu ver­leug­nen und Frie­den mit den Stän­den und der Stadt zu ma­chen, so­dass Matt­hi­as vor ver­schlos­se­ne Tü­ren käme und wie­der ab­zie­hen müss­te?

Noch be­vor er sich für ir­gen­det­was ent­schie­den hat­te, war Ramée, in der Ein­sicht, dass er sich zwi­schen zwei Fein­den nicht wür­de hal­ten kön­nen, mit den Söld­nern ab­ge­zo­gen. Meh­re­re mit Sä­cken voll ge­raub­ter Schät­ze be­la­de­ne Wa­gen hat­te er un­ter Be­de­ckung vor­an­ge­schickt. Über die Kran­ken und Ver­wun­de­ten, die zu schwach wa­ren, um mit­zu­ge­hen, fie­len die er­bit­ter­ten Bür­ger her, bei de­nen sie im Quar­tier la­gen, und schlu­gen, würg­ten oder mar­ter­ten sie zu Tode.

Bald nach dem Ab­zu­ge der Pas­sau­er er­schi­en Matt­hi­as vor Prag, von der Be­völ­ke­rung, die sich von Ru­dolf ver­ra­ten fühl­te, freu­dig als Ret­ter be­grüßt. Ru­dolf blieb nichts üb­rig, als auf die böh­mi­sche Kro­ne zu ver­zich­ten; denn alle hul­dig­ten dem neu­en Herrn und schie­nen sich kaum sei­ner An­we­sen­heit zu er­in­nern. Er zog sich in das­je­ni­ge sei­ner Ge­mä­cher zu­rück, wo­hin am we­nigs­ten Geräusch von au­ßen drang, und ver­such­te sich an­zu­stel­len, als gin­gen die Er­eig­nis­se in der Stadt ihn nichts an. Doch er­fuhr er, dass zwei Deut­sche, die in sei­nem Auf­tra­ge Zau­be­rei ge­gen Matt­hi­as ge­trie­ben ha­ben soll­ten, ge­fan­gen und ge­fol­tert wur­den, und muss­te dies und an­de­res ohn­mäch­tig ge­sche­hen las­sen. Was ihn trös­te­te, war, sich aus­zu­den­ken, durch was für Ma­chi­na­tio­nen er Matt­hi­as den Tri­umph wie­der ent­rei­ßen kön­ne, und dazu konn­ten ihm jetzt nur noch die Pro­tes­tan­ten im Rei­che ver­hel­fen. Dass An­halt ihm nicht mehr trau­te, fühl­te er und hät­te auch den Ver­we­ge­nen nicht mehr se­hen mö­gen; aber es fehl­te nicht an an­de­ren Fürs­ten und Un­ter­händ­lern, die je­den Au­gen­blick be­reit wa­ren, mit dem Kai­ser an­zu­knüp­fen.

Von Leo­pold war nichts mehr zu er­war­ten, denn er war nach dem kläg­li­chen Mis­ser­folg sei­nes Un­ter­neh­mens so nie­der­ge­drückt und be­schämt, wur­de von je­der­mann mit so sicht­ba­rer Käl­te und Ver­ach­tung be­han­delt, dass er einst­wei­len nur dar­auf be­dacht war, sich zu­rück­zu­zie­hen und den Men­schen aus­zu­wei­chen. Auch sei­nen Hoff­nun­gen auf die Hei­rat mit der bay­ri­schen Prin­zes­sin muss­te er ent­sa­gen und sich mit dem so leicht­fer­tig ab­ge­wor­fe­nen Bi­schofs­klei­de wie­der be­gnü­gen.

Mag­da­le­na hat­te lan­ge an ih­rer Lie­be zu Leo­pold fest­ge­hal­ten, bis es dem weit­be­rühm­ten Pa­ter Lo­renz von Brin­di­si, den der alte Her­zog ei­gens dazu kom­men ließ, ge­lang, sie zum Ver­zicht zu be­we­gen, in­dem er ihr Leo­polds Pries­ter­stand, ihre Pf­licht ge­gen Gott, Va­ter und Bru­der und die Stra­fen im Jen­seits vor­stell­te, die er­trotz­ten ir­di­schen Freu­den fol­gen könn­ten. Es war umso bit­te­rer für sie, als Matt­hi­as sich in­zwi­schen mit sei­ner Nich­te Anna, der Toch­ter sei­nes Bru­ders Fer­di­nand von Ti­rol, ver­hei­ra­tet hat­te, und dass noch ein an­de­rer Be­wer­ber sieb ein­stel­len könn­te, wie ihr Va­ter trös­te­te, woll­te sie nicht glau­ben. Ei­nes Ta­ges be­gab es sich je­doch, dass Ma­xi­mi­li­an einen Ver­wand­ten als Gast zur Ta­fel lud, näm­lich den jun­gen Her­zog Wolf­gang Wil­helm von Pfalz-Neu­burg, auf wel­chen er Mag­da­le­na be­deu­tungs­voll als auf einen zu­kunfts­rei­chen Fürs­ten auf­merk­sam mach­te, der sich in Hin­sicht auf den Glau­ben mög­li­cher­wei­se ei­nes Bes­se­ren be­leh­ren las­sen wür­de, be­son­ders wenn sie, als eine ver­stän­di­ge und vor­sich­ti­ge Per­son, sich dies Gott wohl­ge­fäl­li­ge Werk an­ge­le­gen sein lie­ße. Ihrem Va­ter ver­hehl­te Mag­da­le­na nicht, dass sie den Vet­ter schön und lie­bens­wür­dig fin­de; aber au­ßer ei­ni­gen Scherz­wor­ten, die sie er­rö­ten mach­ten, und etwa ei­nem be­son­ders nach­drück­li­chen Hän­de­druck wa­ren ihm kei­ne An­nä­he­rungs­ver­su­che nach­zu­wei­sen. Im­mer­hin be­trach­te­te es Ma­xi­mi­li­an als einen Er­folg, dass Wolf­gang Wil­helm sich von ihm hat­te be­re­den las­sen, ei­ner Mes­se bei­zu­woh­nen, und die Ze­re­mo­nie mit au­gen­schein­li­chem Re­spekt be­ob­ach­tet hat­te.