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Rom hat das Image der Barmherzigkeit verloren
Gedanken zum neuesten Dekret über die Mitarbeit der Laien

Wenige Wochen vor seinem Übertritt in den Ruhestand hat Reinhold Stecher im Herbst 1997 einen vertraulichen Brief an Persönlichkeiten seines Vertrauens in Österreich und Deutschland geschickt – darunter einige, aber nicht alle österreichischen Bischöfe. In diesem setzte er sich kritisch mit der zuvor von Rom veröffentlichten „Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester“ auseinander und fand scharfe Worte über den Umgang Roms mit Priestern, die geheiratet haben. Der Brief wurde von einem der Empfänger den Medien zugespielt und löste ein Erdbeben aus …

Da ich mir einmal vorgenommen habe, kirchenkritisch notwendige Dinge nicht als „mutiger Pensionist“, sondern im Amt zu sagen, komme ich nicht daran vorbei, zu diesem Dekret einige Gedanken zu äußern, bevor ich den Stab weitergebe. Nicht so sehr zu den Details. … Es gibt nun einmal den mit der Vollmacht zur Eucharistie ausgestatteten Priester und diese Vollmacht kann sich niemand nehmen oder von unten her bestätigen lassen. … Kritisch könnte man zu den Details nur sagen, man sollte auch im Unterschied von Priester und Laien nicht alles in einen Topf werfen. Es ist ein Unterschied, ob man z. B. die eucharistische Vollmacht verteidigt oder die Vollmacht im Gottesdienst zu predigen. Wenn es – wie heute häufig – zwar noch gelingt, von irgendwoher einen alten Priester für die Eucharistie „einzufliegen“, dann ist schwer einzusehen, dass man einem theologisch voll ausgebildeten und menschlich-spirituell geeigneten Gemeindemitglied verbieten muss, in der Eucharistiefeier eine Predigt zu halten. Ich bin durchaus dafür, dass zur Verkündigung jemand kirchlich bevollmächtigt sein muss. Aber die Verkündigung in der Eucharistiefeier zu streichen, weil man für eine Ansprache unbedingt geweiht sein muss, ist eine andere Sache. Niemand in den Gemeinden versteht ein derartiges Verbot, wenn die Alternative das Nichts ist.

Und hiermit stehe ich bei meinem eigentlichen Bedenken gegen dieses wiederum nur restringierende Dekret, das den Laien, den Kommunionhelfer usw. höchstens als widerwillig zugelassenen Notnagel für ein paar Funktionen sieht, wenn’s halt gar nicht anders geht. Mein Bedenken liegt in dem „Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen“ der pastoralen Situation bei uns und in vielen, ja den meisten anderen Ländern der Erde – und in dem „Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen“ der theologischen Bedeutung der Eucharistie für die christliche Gemeinde und die Kirche.

Um das Dilemma dieses Dekrets etwas plastischer darzulegen: Im Land Tirol erhob sich vor einiger Zeit das Problem, dass bei der Betreuung der vielen Zuckerkranken in den Wohnungen und Altersheimen nur Diplomschwestern berechtigt waren, die entsprechenden rettenden Spritzen zu verabreichen. Von diesen ausgebildeten Diplomschwestern gibt es natürlich viel zu wenig. Die Standesgruppe der Diplomschwestern hat natürlich aus verschiedenen Gründen dieses Standesrecht verteidigt, aber mit dem Blick auf die Volksgesundheit wurde dann doch entschieden, dass entsprechend ausgebildete Altershelfer/innen und Betreuer/innen diese Spritzen geben dürfen. – Die Kinder der Welt sind wahrhaftig klüger als die Kinder des Lichts. Bei uns geht es auch um das Heil, allerdings um das Heil mit einer Dimension in die Ewigkeit. Und bei uns ist es auch so, dass Diplomhelfer (Priester) viel zu wenige sind und angesichts unserer klerikalen Alterspyramiden immer weniger werden. Und es ist weiterhin klar, dass bei der Forderung eines glaubhaft gelebten Zölibates diese Zahl immer klein sein wird. Für den redlich gelebten Zölibat ist nun einmal verlangt, dass der Betreffende den sexuellen und partnerschaftlichen Verzicht in einer gesunden, nicht verdrängenden Weise umformt in spirituelle, pastorale, soziale, geistige, dienende und kreative Entfaltung. Das ist und bleibt aber die Sache derer, „die es fassen können“. Und selbst in den Worten Jesu liegt keine Spur einer Andeutung, dass diese elitäre Zahl den pastoralen und theologischen Notwendigkeiten einer lebendigen Kirche entsprechen muss. In unserer Zeit und ihrem Klima ist es noch einmal schwieriger, dem zu entsprechen, wie z. B. in den Zeiten der Verfolgung durch den Nazismus, in die meine Berufung gefallen ist.


Ängste in der Kirche

Das genannte Dekret über die Laien begnügt sich also mit der Verteidigung der „Diplomschwestern und Diplompfleger“, will sagen der klerikalen Vollmachten, Würden und Standesrechte. Die Volksgesundheit, d. h. das Heil der Gemeinden, bleibt völlig aus dem Spiel. Für diese Gemeinden hat man eigentlich stillschweigend schon längst einen Heilsweg ohne Sakramente entworfen – was wiederum jeden auch nur in einer seriösen scholastischen Theologie Gebildeten den Kopf schütteln lässt. Die Heilsnotwendigkeit der Sakramente der Eucharistie und Buße bzw. der Krankensalbung wurde dort sehr eindrucksvoll definiert.


Himmlische Nostalgie zum Kirchenkonflikt: „Petrus, kannst du dich noch erinnern, damals in Antiochien …?“

(vlg. Gal 2,11)

Aber hier stoßen wir wiederum auf das Dilemma, wenn man die Bedingungen für das eucharistische Amt in keiner Weise vom Heil der Gemeinden her definiert, sondern nur von individuellen Zulassungsbedingungen, die zum Teil eben rein menschlichen Rechtes sind, aber eben ohne jeden Blick auf den allgemeinen Heilswillen Gottes und die wesentlich eucharistische Struktur der Gemeinde durchgezogen werden. Dem Festhalten an diesem Amtsbegriff, der ebenso nicht aus der Offenbarung erwiesen werden kann, wird alles geopfert. Vor einiger Zeit hat mir ein wegen seiner konservativen Gesinnung bekannter Bischof lächelnd gesagt: „Ach, bei uns hat jeder Priester drei Pfarreien – das geht ganz ausgezeichnet …“ Der betreffende hohe Würdenträger hat allerdings in seinem Leben nicht einmal eine Pfarre geleitet, geschweige denn mehrere. Wenn er es getan hätte, wäre er mit einer derart kühnen Analyse wahrscheinlich etwas vorsichtiger. Ich habe in Frankreich Priester, müde und resignierende Priester kennengelernt, die sieben bis zehn Pfarreien herumrasend „betreuen“. Auch wenn solche Priester hervorragend theologisch gebildet sind, haben sie keine Chance, je in höheren Etagen mitreden zu können. Der Stand der kleinen Frontpfarrer wird von der bischöflichen Würde ebenso ferngehalten wie von jeder Mitsprache in diesem Bereich. So werden die Erfahrungen und Frustrationen nur von wenigen Bischöfen wahrgenommen und nach oben getragen. Nach unten begnügt man sich bestenfalls mit verständnisvollen Seufzern und einer bewegten Klage über fehlende christliche Familien, die eben zölibatäre Berufe in genügender Anzahl zu fabrizieren hätten. Und weiter oben begnügt man sich mit der Zementierung vorhandener Ordnungen wie im vorliegenden Dekret. Die Not dahinter ist kein Thema.

Ich sage diese Dinge nicht, weil ich gegen den Zölibat bin oder weil ich mir etwa einbilde, mit dem Stand der „viri probati“ gäbe es keine Schwierigkeiten. Die gibt es überall, wo Menschen sind. Es ist überhaupt eine unbewusste oder bewusste Fälschung, die hier vorgebrachte Frage als einen Disput über die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen darzustellen. Die steht nicht in Frage. Das Bestürzende liegt darin, dass die derzeitige Kirchenleitung einfach ein theologisches und pastorales Defizit aufweist, so peinlich das zu sagen ist. Das Amt in der Kirche ist von seinem biblischen Verständnis her ein dem Heile dienendes Amt und kein sakraler Selbstzweck, dem es völlig gleichgültig sein kann, ob Millionen und Abermillionen von Christen überhaupt je die Möglichkeit haben, heilsstiftende Sakramente zu empfangen und die Mitte ihrer Gemeinschaft, die biblisch und dogmatisch die Eucharistie ist, in einer menschlich erlebbaren Weise zu pflegen. Es heißt eben immer noch: „Propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis“ [für uns Menschen und für unser Heil kam er vom Himmel herab] und nicht „propter nostram auctoritatem et propter stricte conservandas structuras ecclesiasticas descendit de coelis …“ [für unsere Autorität und für strikt zu bewahrende kirchliche Strukturen].

Die Tendenz, menschliche Ordnungen und Traditionen höher zu werten als den göttlichen Auftrag, ist das eigentlich Erschütternde an manchen Entscheidungen unserer Kirche am Ende dieses Jahrtausends. Es scheint z. B. niemanden in den höchsten Gremien zu beunruhigen, wenn buchstäblich Hunderte von Millionen Katholiken gar nicht mehr zu den moralisch heilsnotwendigen Sakramenten der Vergebung kommen können (und weil sie nicht kommen können, nach einer Generation auch gar nicht mehr kommen wollen). Die Krankensalbung hätte heute eine Chance – übrigens auch in der Umwelt einer stärker ganzheitlich-menschlichen Medizin. Aber der sich im Sakrament zu den Kranken neigende Christus kann auf Grund der zölibatär-restriktiven Vollmachterteilung eben zu Millionen gar nicht kommen. Dass die großzügig verfügte regionale Pfarr-Zusammenlege-Praxis eine liebevoll begleitende sakramentale Krankenpastoral unmöglich macht, stört die kirchliche Zentralgewalt in keiner Weise. Und dabei ginge es wirklich um das Heil, das ewige Heil.

Am bedenklichsten ist für mich nach wie vor in dieser Frage die Missachtung göttlicher Weisungen im Umgang mit Priestern, die geheiratet haben. Aus eigener Anschauung weiß ich, dass Gesuche, die der Bischof mit dringenden, pastoral und menschlich begründeten Bitten einreicht, zehn Jahre und mehr gar nicht angeschaut werden. Auch das neueste Dekret ändert diese Praxis nur marginal. Es handelt sich – wohlgemerkt – nur um Bitten der Versöhnung mit Gott und der Kirche, um die Möglichkeit, eine christliche Ehe zu führen, und manchmal auch um die Möglichkeit, nichtpriesterliche Dienste auszuüben. Auch hier gibt es nur das unbarmherzige Nein. Und nun wiederum: Was hat der Herr gesagt? Hat er nicht die Pflicht zur Verzeihung und zur Versöhnung durch alle Lehren und Gleichnisse, Taten und bis zu den Gebeten am Kreuz zur höchsten ethischen Pflicht gemacht? Hat er nicht dieses Gesetz des Verzeihenmüssens mit der härtesten Sanktion belegt? Hat er nicht gesagt: „Wer nicht verzeiht, dem wird nicht verziehen“? Hat er nicht dem Petrus persönlich eingeschärft, dass er nicht siebenmal, sondern siebenmal siebzigmal am Tage verzeihen sollte? Diese Stelle scheint in römischen Dekreten nie auf, nur Matthäus 16,18. Alle die, die da so ihre Liebe zum Papst betonen und sich als die Papsttreuen belobigen lassen – müssten sie angesichts der Worte des Weltenrichters nicht erschrecken, wenn ein Papst mit Tausenden von abgelegten Gesuchen und Bitten um Versöhnung stirbt? Was tun wir an einem Sterbebett, wenn wir wissen, dass der Betreffende Versöhnung verweigert? Versuchen wir nicht, ihn zur Milde zu bringen, weil es auch um sein ewiges Heil geht? Und was hielten wir von einem Priester, der zu einem Beichtenden sagen würde: „Bei deiner Art von Sünde – komm in zehn Jahren wieder, vielleicht bin ich dann geneigt, dir die Versöhnung zu gewähren“? Ist nicht theologisch evident, dass die Verweigerung von Verzeihung und Versöhnung die viel größere Sünde ist, als die Verletzung des Zölibats? Die zweite betrifft ein menschliches Gebot und ist eine Sünde der Schwachheit, die erste ein göttliches und ist eine Sünde der Härte. Oder glaubt man vielleicht, juridische Handhabungen in der Kirche unterstünden nicht den Geboten Jesu? Nimmt man etwa an, dass in der Ordnung des Weltenrichters Schreibtischtäter besser fahren als Detailsünder?

 

Auch hier zeigt sich diese immer wieder auftauchende Tendenz, die Weisung Jesu kirchlichen Verwaltungspraktiken und menschlicher Autoritätsausübung unterzuordnen.

In diesen Vorgangsweisen liegt auch die eigentliche Einbuße der päpstlichen Autorität. Denn diese für die Kirche so notwendige Autorität leitet ihr Gewicht nur von der Übereinstimmung mit Christus her, wie es ja auch im innersten Wesen der Unfehlbarkeit zum Ausdruck kommt. Aber die Geschichte lehrt, dass auch die Praxis des höchsten Amtes von der Sache Jesu abirren kann. Diese heute gängigen Praktiken gegenüber Einzelsündern widersprechen dem Geiste Jesu genauso wie einst die Bannstrahlen und Interdikte gegen ganze Länder und Städte. Und ich weiß, dass viele Priester und Laien, die ihr Christsein ernst nehmen, unter diesen Widersprüchen leiden und sich nach einem Papst sehnen, der in dieser Zeit vor allem die Güte verkörpert. So wie das derzeit ist, hat Rom das Image der Barmherzigkeit verloren und sich das der repräsentativen und harten Herrschaft zugelegt. Mit diesem Image wird die Kirche im 3. Jahrtausend keinen Stich machen – da ändern pompöse Millenniumsfeiern mit vielen schönen Worten gar nichts. Es geht um Akzentverschiebungen in einigen entscheidenden Punkten der pastoralen Praxis, sowohl was den Umgang mit dem allgemeinen Heilsauftrag Jesu als auch den Umgang mit dem Sünder betrifft.


Die Kirche wird ihre Rolle als „Wächterin des Glaubens“ nicht in der Art eines nervösen Wachpostens spielen, der auf jedes sich ungewohnt bewegende Blatt im Gebüsch eines vielfältig sprießenden Glaubenslebens mit der Maschinenpistole der Häretisierung und Ausgrenzung schießt.

Und es darf um der Kirche willen nicht so sein, dass man von höchster Stelle wohl um jeden Splitter an der Basis bemüht und besorgt ist, aber den Balken im eigenen Auge nicht sieht.

Auch wenn ich diese in die pharisäische Auseinandersetzung der Schrift hineinreichenden Defizite unserer heutigen Kirche beim Namen nenne, nehme ich von meiner Hoffnung auf das Walten des Geistes und die Zukunft der Sache Jesu nichts zurück. Aber die Sensibilisierung für die wahren Intentionen muss in unserer Kirche deutlicher werden. Das Abirren von solchen Grundsätzen hatte in der Vergangenheit schwerwiegende Folgen.

Dr. Reinhold Stecher, Diözesanbischof von Innsbruck am 33. Sonntag nach Pfingsten, dem Sonntag des Weltgerichts

Machtspiele in der Kirche

Während der Amtszeit von Reinhold Stecher als Bischof von Innsbruck gab es in Österreich heftige Auseinandersetzungen und Diskussionen um etliche Bischofsernennungen – wie sich im Nachhinein herausstellte, mehr als zu Recht. Als Bischof musste Reinhold Stecher oft und oft dazu Stellung nehmen – persönlich arbeitete er das Thema zeichnerisch ab.


Nuntius sucht für Wien einen Kardinalskandidaten


Die apostolische Fabrik

Produktionsmaschine für neue Bischöfe, die gewissenhaft

in gleichförmiger Spiritualität ausgebildet werden.


Nuntius, Bischöfe ausbrütend

Eine Zeitungsmeldung, wonach sich Papst Johannes Paul II. öffentlich beklagte, dass vor Kardinalsernennungen die Interventionen und Vorsprachen ins Unerträgliche stiegen, inspirierte Reinhold Stecher zu dieser Zeichnung:


Zur „Tour de Rome“, der Schlussetappe,

erlaubt sich keiner eine Schlappe.

Die Siegeschancen sind sehr schmal –

der Erste nur wird Kardinal.

Eine sportliche Betrachtung der kirchlichen Personalpolitik

Die Form, den Bischof zu ernennen,

gleicht häufig einem Slalomrennen.

Die Kandidaten treten an –

die Tore steckt der Vatikan.

Im Starthaus stehn – so ist das heute –

normalerweise Ordensleute,

auch Diplomaten und Beamte

aus irgendeinem römischen Amte

sowie bewährte Professoren,

vielfach geprüft und auserkoren.

Die Pfarrer stehn am Rande bloß.

Ihr Trainingsrückstand ist zu groß.

Sie kennen nur – und das in Menge –

die pastoralen Tiefschneehänge.

Weshalb sie erst trainieren müssten

für glattere Karrierepisten.


Kirche und Sexualität

Dazu nur zwei kleine Zitate aus Vorträgen von Reinhold Stecher – und drei Zeichnungen, deren Botschaft an Klarheit nichts vermissen lässt.

Es gibt natürlich verständlichen Widerstand gegen eine Sexualmoral, in der man mit schweren Sünden nur so um sich warf und wirft, ohne dafür Grundlagen in der Heiligen Schrift präsentieren zu können.

Es ist bedenklich, wenn tausend Jahre lang alle Fragen von Sexualität, Ehe, Partnerschaft nur von unverheirateten Männern reflektiert und gelehrt werden. Da ist die Einseitigkeit vorprogrammiert. Ich kann auch kein Buch übers Klettern schreiben, wenn ich nie in der Wand war.


Vatikanische Pillendreher


Die Pillenbrigade


Der Vatikan stolpert über die Pillenfrage

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