Stalingrad - Die stillen Helden

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TEIL 1
Aufstellung der Sanitätseinheiten im Vorfeld des Angriffs

An und für sich war die 6. Armee unter Generaloberst Paulus6 mit Sanitätstruppen zunächst gut ausgestattet. Es gab nicht nur die Kriegslazarett-Abteilung 541 mit vier Lazaretten, sondern auch sechs Armee-Feldlazarette (1 bis 6/542), in denen auch etwa 120 Rotkreuzschwestern tätig waren, zwei Armee-Sanitätskompanien (1 und 2/542), vier Krankenkraftwagenzüge 542, den Armee-Sanitätspark 540 sowie die Luftwaffen-Sanitätsbereitschaft 4/XIII unter Stabsarzt Dr. Oskar Larbig7. Fast alle diese Einheiten waren Ende Juni 1942 zum Zeitpunkt des Angriffsbefehls und auch noch im November 1942 im großen Donbogen in genügender Entfernung vom Kampfgeschehen in der Stadt gut ausgestattet und voll einsatzfähig.

Die Armeekorps besaßen keine eigenen Sanitätseinheiten. Diese waren Bestandteile der einzelnen Divisionen (mit Ausnahme der 9. Flak-Division). In der Regel besaß jede Division zwei Sanitäts-Kompanien – je eine bespannt, d. h. mit Zugpferden –, viele auch ein Feldlazarett. Darüber hinaus gab es noch kleinere Sanitätseinheiten: Den zahlreichen Truppenärzten, die bei Bataillonen, Regimentern und Divisionsstäben eingesetzt waren, standen mehrere Sanitätssoldaten zur Verfügung, mit denen sie Truppenverbandplätze einrichten und dort eine erste Wundversorgung und Krankenbehandlung durchführen konnten. Es soll hier auch noch ausdrücklich erwähnt werden, daß in vielen dieser Sanitätseinheiten russisches und ukrainisches Hilfspersonal tätig war, darunter nicht nur ungelernte Kräfte, sondern auch Krankenschwestern sowie sogar Ärztinnen und Ärzte.

Dr. Erwin Paal8 schildert die Zusammensetzung einer Sanitäts-Kompanie am Beispiel der San.Kp. 1/16: „Hier wurde in drei Tagen im Verband der 16. Infanteriedivision die Sanitäts-Kompanie 1/16 (bespannt) aufgestellt. Zu ihr gehörten acht Sanitäts-Offiziere (zwei Chirurgen, ein Internist, ein HNO-Arzt, vier Allgemeinmediziner, ein Zahnarzt, ein Feldapotheker), ein Zahlmeister sowie 160 Unteroffiziere und Mannschaften. 17 bespannte Fahrzeuge, 46 Reit- und Wagenpferde, ein PKW und ein LKW standen für den Transport des gesamten Sanitäts-Gerätes, Operations- und Verwundetenzelte zur Verfügung. Eine Radfahrstaffel und eine Hundestaffel ergänzten die Kompanie. Die Führungsstaffel bestand aus dem Kompaniechef und allen Ärzten.

Der 1. Zug der San.-Kompanie hatte als Krankenträgerzug die Aufgabe, Verwundete zu suchen, zu bergen, Notverbände anzulegen und für den Rücktransport zu sorgen. Der 2. Zug, der Hauptverbandplatz-Zug, richtete auf Befehl des beim Divisionsstab befindlichen Divisionsarztes (IVb) oder auch selbständig bei Bedarf einen H.V.P.-Platz ein. Hier war der wichtigste Platz für eine allgemeine Wundversorgung und der erste Ort, an dem eine vollständige, fachärztliche Hilfe geleistet wurde. Hauptaufgaben waren nach der entscheidenden Sichtung der Verwundeten, alle lebenserhaltenden Eingriffe durchzuführen und die weitere Transportfähigkeit herzustellen. Die durchschnittliche Operationszeit betrug bei einem Schwerverwundeten eine halbe bis eine Stunde. Bei nicht so großen Kampfhandlungen wurden auch Bauch-, Kopf- und Lungenschüsse erfolgreich operiert.

Der 3. Zug, der Ergänzungs-Zug, diente als Ergänzung für die anderen Züge; er war auch mit dem notwendigen Ergänzungsmaterial ausgestattet. Später kam im Rußlandfeldzug als 4. Zug der Entlausungszug hinzu.“9

Ein Feldlazarett, das entweder bespannt oder motorisiert sein konnte, zählte 50 bis 60 Angehörige.

Armeearzt war Generalstabsarzt Dr. Otto Renoldi10, der im Oktober 1942 von seinem Quartier in der Nähe von Kalatsch aus die Sanitätseinsätze im gesamten Bereich der 6. Armee leitete.

Die Versorgung der Verwundeten und Kranken in der Nähe der Front, an der während der Kämpfe um die Stadt Zehntausende fielen, oblag den jeweiligen Sanitätseinrichtungen der 22 im Kessel eingesetzten deutschen Divisionen. Dem Armeearzt waren fachlich die Beratenden Ärzte zur Seite gestellt. Einer von ihnen war Friedrich Gross11: „Ich kam als Beratender Chirurg der 6. Armee erst am 13.11.1942 nach Stalingrad zur Ablösung des Beratenden Prof. Kuntzen12.

Diese Armee hatte zwei Beratende; der andere, Fick13, war wegen Typhus daheim. Im einzigen Kriegslazarett der 6. Armee östlich des Don in der Sowchose Woroschilow, wohin strahlenförmig alle Verwundeten der 30-km-Front, über 300 täglich, kamen und baldmöglichst nach Westen weitergeleitet wurden, arbeiteten 12 bis 14 Stunden täglich fünf Chirurgengruppen. In der Abteilung fand ich nur noch den an Ruhr schwer erkrankten Neurologen Flügel14 und den Armeehygieniker, einen Bayern, vor. Als ich fragte, wer denn der neue Armeearzt sei, hieß es: Renoldi. Mir unbekannt, wurde mir gesagt, er sei als Polizeiarzt in Nürnberg vor dem Krieg übernommen worden und habe den Spitznamen ‚Facharzt für Zentralheizung‘, weil er dafür in den Kasernenneubauten des 3. Reiches zuständig gewesen sei. Der Bayer wurde noch deutlicher: ‚Herr Kollege, do sehen’s an Zwicker und dahinter kummt nix!‘ Bei der Vorstellung war ich aber getröstet, als ich in seinem Adjutanten den Stabsarzt Dr. Seggel15 erkannte, der zu meiner Zeit in der inneren Klinik bei Prof. Morawitz als Assistent war und mit dem ich dort die Blutbank – damals Frischspender – aufgezogen hatte.“ Ein weiterer Adjutant von Dr. Renoldi war Oberstabsarzt Dr. Singer-Wolthaus16.


Dr. Friedrich Gross, Beratender Chirurg der 6.Armee


Generalstabsarzt Dr. Otto Renoldi, Armeearzt 6


Generalarzt Dr. Siegfried Müller, Korpsarzt des VIII. A.K.

Fachlich unter dem Armeearzt standen die Korpsärzte. Oberstarzt Dr. Kayser war Korpsarzt des IV. A.K., Korpsarzt des VIII. A.K. war Oberstarzt Dr. Müller17. Dr. Spiegelberg war Korpsarzt des XI. A.K. Generalarzt Dr. Hanspach18, Korpsarzt des XIV. Panzerkorps, fiel am 27. August 1942. Sein Nachfolger, Generalarzt Dr. Smend19, wurde am 18. Dezember 1942 krank aus dem Kessel ausgeflogen. Korpsarzt des LI. A.K. war Generalarzt Dr. Karl Arndt.

Die vorgeschobenen Verbandplätze

Beim raschen Vormarsch, besonders bei den Panzertruppen, erwiesen sich die Sanitäts-Kompanien und Feldlazarette jedoch als zu langsam und waren nicht unmittelbar dort, wo Verwundete anfielen. Verschiedene Ärzte machten sich daher Gedanken, wie diesem Missstand abgeholfen werden konnte. Das Ergebnis dieser Überlegungen, das mehrere Ärzte für sich reklamierten, war ein vorgeschobener Hauptverbandplatz.

Dr. Kohler: „Die Entstehung des vorgeschobenen Hauptverbandplatzes in unserer Division ist mir dabei besonders berichtenswert, weil dies richtungsweisend für die anderen Divisionen wurde. Ich sagte mir: Wenn die Spitze der Vorausabteilung Feindberührung bekäme und Verwundete anfielen, machte deren Versorgung große Schwierigkeiten. Selbst, wenn im Idealfall der ernstlich Verwundete vorne sofort von einem Sanka (Krankenkraftwagen) aufgenommen würde, dann brauchte er – bei der für den Sanka erreichbaren Geschwindigkeit – Stunden, um an dem marschierenden I.R. 92 vorbeizufahren, und träfe dann auf eine im Marsch befindliche Sanitätskompanie. Man würde dann den Verwundeten an das noch weiter hinten marschierende Feldlazarett verweisen. Damit wäre aber die erste, wichtigste Zeit für die chirurgische Versorgung des Verwundeten verstrichen und bei ernsteren Verletzungen sein Schicksal sehr fraglich, seine Überlebenschancen sehr gering.


Dr. Ottmar Kohler, der berühmte „Arzt von Stalingrad“

Ich schlug deshalb dem Kommandeur der Vorausabteilung vor, es müßte schon im Verband der Vorausabteilung eine einsatzfähige Chirurgengruppe mit einem Teil der Sanitätskompanie mitmarschieren. Bei an der Spitze der Vorausabteilung entstehenden Kampfhandlungen könnte diese kleine Sanitätsformation vorne in kürzester Zeit einen Hauptverbandplatz eröffnen und die schwerer Verwundeten sofort operativ versorgen. Das Schicksal der Schwerverwundeten hing weitgehend von der frühzeitigen chirurgischen Versorgung ab. Das galt sowohl für die schweren Extremitätenverletzungen mit Verletzung großer Gefäße und starker Blutung – eine Abschnürbinde sollte nicht länger als zwei Stunden liegen –, das galt aber ganz besonders für die Verletzung der großen Körperhöhlen: Thorax, Bauch, Schädel.

Der Kommandeur der Vorausabteilung war von der Notwendigkeit einer solchen einsatzfähigen Chirurgengruppe bei der Vorausabteilung, die ich damals als ‚vorgeschobenen Hauptverbandplatz’ bezeichnete, bald überzeugt. Bei der nächsten Kommandeurbesprechung trug er diesen Plan dem General vor. Der Divisionsarzt widersprach heftig und verwies auf die bestehenden militärärztlichen Vorschriften.

Bei den nun folgenden längeren Auseinandersetzungen beharrte der Kommandeur der Vorausabteilung auf diesem Plan und machte schließlich die Übernahme der Führung der Vorausabteilung davon abhängig, daß ihm dieser vorgeschobene Hauptverbandplatz als Gruppe zugeteilt würde. Darauf befahl der General, zu der Vorausabteilung eine einsatzfähige Chirurgengruppe zu stellen, da er sich selber schon bald von deren zukünftiger Notwendigkeit im Balkanfeldzug überzeugt hatte.

 

Das war die Geburtsstunde des ‚vorgeschobenen Hauptverbandplatzes‘. Er wurde zunächst bei der 60. I.D. (mot.) als erster Division eingeführt. Da er sich beim Balkanfeldzug bewährt hatte, wurde er auch in Rußland beibehalten. Ich bekam also den Auftrag, eine solche Gruppe für die vordere chirurgische Versorgung zusammenzustellen. Dazu wählte ich einen Zug der Sanitätskompanie mit Mannschaften, Fahrzeugen und einem ganzen Satz Sanitätsmaterial, als Ärzte einen Chirurgen und einen Internisten – zusammen mit etwa 70 Mann – und einen Krankenkraftwagenzug. Diese Aufstellung wurde mir vom Chef der Sanitätskompanie nicht gerade erleichtert. Einmal, weil der Plan so ungewöhnlich neu war; aber auch dann, weil alles, was ich für den vorgeschobenen Hauptverbandplatz forderte, auf Kosten des späteren ordentlichen Hauptverbandplatzes ging. Aber es wurde dann trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten gut. Ich hatte nicht daran gezweifelt, daß ich als Chirurg diesem vorgeschobenen Hauptverbandplatz zugeteilt und mir auch die Leitung übertragen würde. Aber die Entscheidung fiel anders aus: Als Chirurg und Leiter des vorgeschobenen H.V.P. wurde ein Chirurg des Feldlazarettes eingeteilt.

Auch in Rußland bewährte sich dieser vorgeschobene H.V.P. erneut ausgezeichnet. Auch dort spielte das Transportproblem eine große Rolle. Die Entfernungen waren groß, die Wege bei Regen nur schwer passierbar, und zwischen Vorausabteilung und folgenden Truppen bestanden oft große Lücken.

Sobald die Vorausabteilung Feindberührung bekam, wurde ich mit allen Einheitsführern zum Kommandeur bestellt. Nachdem alle Chefs20 ihren Einsatz bekommen hatten, wurde ich gefragt, wo ich meinen Hauptverbandplatz aufmachen wollte. Noch in Gegenwart der Chefs benannte ich einen Ort in der Nähe des Befehlsstandes des Kommandeurs mit der Angabe, der H.V.P. wäre in zwei Stunden einsatzbereit. Auf diese Weise wußten alle Einheiten, wo er zu finden war. Sofort wurde mit den Vorbereitungen begonnen, und die Zufahrtswege wurden ausgeschildert. Als zweiten Arzt hatte ich in Dr. Zemitsch21 einen ausgezeichneten Internisten dabei. Die anrollenden Verwundeten wurden sortiert. Alle Schwerverwundeten wurden ausgesondert und erhielten vom Internisten eine Behandlung zur Schockbekämpfung mit Infusion, Kreislaufmitteln und eventuell einer Bluttransfusion. Dann kamen sie auf den Operationstisch und wurden in Lokalanästhesie oder Vollnarkose operiert. Die Erfolge waren ausgezeichnet. Da die Brust- und Bauchschüsse schon innerhalb weniger Stunden zur endgültigen Versorgung auf den Operationstisch kamen, konnte ich noch im nichtinfizierten Gewebe operieren und eine Infektion verhüten.

Das stand freilich im Gegensatz zu allen militärärztlichen Vorschriften jener Zeit. Diese Vorschriften besagten, daß Bauch-, Thorax- und Schädelverwundungen nicht auf dem Hauptverbandplatz, sondern erst im Feldlazarett versorgt werden dürften. Man war der Auffassung, ein operierter großer Höhlenschuß dürfte nach der operativen Versorgung nicht vor Ablauf von drei Wochen transportiert werden. Ein längerer Transport vor der operativen Versorgung wäre dagegen wesentlich weniger schädlich.

Ich war dagegen der Ansicht, daß das Schicksal dieser Verwundeten durch den Zeitpunkt der frühen Versorgung entschieden würde. Nach der geltenden Vorschrift sollte der H.V.P. nicht näher als 25 km hinter der Front liegen, das Feldlazarett aber 250 km dahinter. In Rußland war das Feldlazarett oft noch weiter entfernt. Wenn die Verwundeten mit Schädel- oder Bauchschüssen im Feldlazarett ankamen, dann hatten sie fast alle eine Hirn- oder Bauchfellentzündung. Dann half auch die beste Operation meist nicht mehr! In jener Zeit kannten wir ja noch kein Penicillin.

Wenn ich bei einem Verwundeten mit Bauchschuß nach kurzer Vorbereitung und Schockbekämpfung den Bauch öffnete, dann war häufig der Darm an mehreren Stellen durchschlagen und der Bauchraum – das Bauchfell – überschwemmt mit Darminhalt. Durch sofortiges Vorlagern der verletzten Darmschlingen, Abklemmen der blutenden Gefäße und Spülung des Bauchraumes mit warmer physiologischer Kochsalzlösung gelang es in den meisten Fällen, die tödliche Bauchfell-Entzündung zu vermeiden. In Ruhe konnte ich dann die Darmwunden verschließen oder zu sehr zerfetzte Darmschlingen resezieren. Dasselbe galt in ähnlicher Weise für die Schädel- und Brustschüsse.

Eine wesentliche Voraussetzung für diese rasche Versorgung der Schwerverwundeten weit vorne war die Art des Krieges. Wir führten einen Bewegungskrieg nach vorne. Wenn nach einem harten Einsatz die Vorausabteilung weiter vorstieß, dann ließ ich die versorgten Bauch-, Thorax- und Schädelschüsse in einigen Bauernhäusern mit Sanitätern und Krankenkraftwagen mit der Maßgabe zurück, sie zu versorgen und zu betreuen, sie an die aufrückende Sanitätskompanie zu übergeben und selbst wieder aufzuschließen. Aber ich ließ auch schon frisch operierte Bauchschüsse nach drei oder vier Tagen – wenn es sein mußte – abtransportieren, ohne daß dies den Verwundeten durch den frühen Transport geschadet hätte.

Auch wurden – im Gegensatz zu den Vorschriften – alle leichteren Verletzungen der Extremitäten, wenn Knochen und Blutgefäße nicht verletzt waren, sofort nach hinten weitertransportiert. Diesen Verwundeten konnte man vor der endgültigen Versorgung ohne Gefahr einen längeren Transport zumuten; dafür benötigte ich den Krankenkraftwagenzug. Da die Versorgung der Schwerverletzten meine ganze Zeit beanspruchte, hatte ich mit meinem zahlenmäßig begrenzten Personal für die Versorgung der Leichtverwundeten nicht die erforderliche Zeit.

Als ich im Dezember 1942 wegen eines Todesfalles in der Familie von Stalingrad beurlaubt wurde, besuchte ich auf dem Wege nach Tazinskaja die Kriegslazarette22 und ‚meine‘ Verwundeten. Ich fand sie alle in gutem Zustand. Nach freundlicher Aufnahme im Kriegslazarett nahmen mich gewöhnlich nach einiger Zeit der Chef und der Chirurg beiseite. Sie bestätigten mir den ungewöhnlich guten Zustand der auf unserem vorgeschobenen H.V.P versorgten Verwundeten mit großen Höhlenschüssen und fragten dann, nach welcher besonderen Methode ich operiert hätte. Ich konnte ihnen immer nur sagen, diese guten Erfolge beruhten nicht auf einer besonderen Operationsmethode, sondern auf dem frühen Zeitpunkt der Operation.“23

Mobile Operationswagen bei der Panzertruppe

Bei der 16. Panzer-Division wurden für die vorgeschobenen Hauptverbandplätze, bestehend aus vier Operationsgruppen, Operationswagen erfunden, um mit dem schnellen Tempo der Panzer mitzuhalten; auch für diese gab es mehrere Ärzte, die sich darum Gedanken gemacht hatten. Dr. Erwin Paal: „Bei dem erstmaligen Einsatz der Kompanie als Hauptverbandplatz im Frankreichfeldzug im Mai 1940 hatte sich gezeigt, daß die Einrichtung des HVP lange Zeit in Anspruch nahm und eine große Zahl von Arbeitskräften band, andererseits die Strapazen des Marsches die Kraft der Männer schon vor Beginn der eigentlichen Aufgaben erheblich verbrauchten. Daher wurde nach meinem Vorschlag und meinen Plänen von den Männern der Sanitäts-Kompanie in zwei Tagen ein fahrbarer Feld-Operationswagen geschaffen, der eine ständige, sofortige Einsatzbereitschaft gewährleistete und hervorragende Dienste leistete. Das Op-Fahrzeug wurde mit seiner Einrichtung am Großkampftag des 23. Mai 1940 eingesetzt und bewährte sich vollauf bei diesem Einsatz. Bei einer Besichtigung des H.V.P. fand der Feld-Operationswagen die volle Anerkennung des Sanitäts-Inspekteurs, Generaloberstabsarzt Prof. Waldmann. Generalarzt Prof. Sauerbruch24 befürwortete ebenfalls nach einer Besichtigung den planmäßigen Bau solcher Fahrzeuge. Daher wurden nach dem Frankreichfeldzug für die Panzerdivisionen weitere Op-Wagen von der Firma Miesen in Bad Godesberg hergerichtet. Somit verfügte jede Sanitätskompanie der 16. P.D. über zwei Feldoperationswagen, die im Einsatz auf die einzelnen Kampfgruppen verteilt waren. Nun hieß es, die Operations-Teams auf ihre Aufgaben einzustimmen.


Op-Wagen der 1. San.Kp. der 14. P.D.

Die Leistungsfähigkeit der Op-Wagen beruhte vor allem auf der sofortigen Einsatzbereitschaft, die besonders im Bewegungskrieg erforderlich war, sowie auf der Möglichkeit, das Op-Fahrzeug möglichst nah an die Truppenverbandplätze heranzubringen, um auf diese Weise den Zeitraum bis zur ärztlichen Versorgung des Verwundeten zu verkürzen, andererseits für die Krankenkraftwagen den Rücktransport vom Truppenverbandplatz zum Hauptverbandplatz zu verkürzen und durch den hierdurch möglichen häufigeren Einsatz der Krankenkraftwagen die Überführung der Verwundeten zur Stätte der ersten chirurgischen Behandlung zu beschleunigen.“


Im Op-Wagen der 1. San.Kp. 160

Im Op-Wagen der 1. San.Kp. der 14. P.D.

Dazu Dr. Erwin Brennecke25: „Unsere Division begann zunächst als einfache Infanteriedivision; danach wurde sie in Münster zur 16. Panzerdivision umgerüstet. Wir bei der 2. Sanitätskompanie bildeten die mobile Chirurgengruppe. Chef der Kompanie war zunächst Oberfeldarzt Dr. Poeck. Auf seine Initiative hin erhielten wir als erste Einheit der Wehrmacht einen sogenannten Operationswagen. Es handelte sich um ein ausgedientes Polizei-Mannschaftsfahrzeug, das wir liebevoll ‚grüne Minna‘ tauften. Nachfolger Dr. Poecks wurde Dr. Schattenberg26. Im Rahmen der Umrüstung wurde ein schon eleganterer größerer und schönerer zweiter Wagen angeschafft, ein Opel-LKW, der bei der Firma Miesen in Bonn entsprechend hergerichtet wurde. Diesen Wagen bekam unser 1. Chirurg Dr. Weber27; ich behielt die ‚Minna‘, die primitiv, aber wirksam meine Mannen und mich bis fast zum letzten Tage in Stalingrad begleiten sollte.

Im Wagen standen mir drei Sanitäter zur Seite; einer, der die Äthernarkosen machte, und zwei Assistenten. Dazu kam der Fahrer, ein ausgebildeter Sanitäter von der Universitätsklinik Münster. Der Wagen war mit dem Nötigsten ausgerüstet, das man zum Operieren und Verbinden brauchte; Op-Lampe und Aggregat waren vorhanden. Diese Operationswagen machten uns sehr beweglich, so daß wir bei den Kämpfen immer mit der Truppe unterwegs und ganz vorne dabei und hinter den Panzern her sein konnten – für uns eine segensreiche Tätigkeit, für die Landser ein psychologisches, kräftigendes Korsett. Sie wußten immer, wo sich unsere Wagen befanden. Die Verwundeten konnten sofort gebracht, operiert und nach der Versorgung von Sanitätswagen ins Lazarett abtransportiert werden. Die Wunden wurden gesäubert, ausgeschnitten, mit einem ‚Brennapparat‘ offen gelassen und gestichelt, damit sie keine Infektionen bekamen. Zum Hauptverbandplatz hatten wir dabei keine Verbindung.“28

Somit waren beide Sanitäts-Kompanien der 16. Panzer-Division mit mobilen Op-Wagen ausgestattet. Dr. Werner Gerlach29, Divisionsarzt der 16. P.D.: „Die vier Op-Gruppen boten den Vorteil, daß wir mit diesen gegebenenfalls überschlagend immer in den Einsatz gehen konnten. Die Op-Gruppe blieb gemeinsam mit einigen Krankenkraftwagen – abgekürzt Krkw – in ständiger Fühlung mit den Panzern und der eingesetzten Kampfgruppe und beobachtete, wo diese in Stellung gingen. Sie setzte sich soweit ab, daß sie vor feindlichem Beschuß einigermaßen sicher war und richtete sofort den vorgeschobenen Hauptverbandplatz – HVP – ein, schilderte den Weg zu ihm deutlich aus, so daß sogar auch Panzer für kurze Zeit das Kampffeld verlassen konnten, um rasch ihre Verwundeten auszuladen; oder die Sanitäts-Mannschafts-Transportwagen gaben ihre Verwundeten ab, die sie auf dem Kampffeld gesammelt oder aus den Panzern übernommen hatten. Der praktische wie auch der große moralische Wert, daß eine sofortige chirurgische Versorgung immer zur Stelle und in unmittelbarer Nähe war, war außerordentlich wichtig für die kämpfende Truppe und wurde auch sehr dankbar anerkannt.

 

Dr. Erich Weber, letzter Chef der 2. San.Kp. der 16. P.D., im Op-Wagen

Die Op-Gruppe bestand aus einem Vollchirurgen mit ein bis zwei Assistenzärzten und dem entsprechend im Op-Dienst ausgebildeten Sanitätspersonal, einem Operationsomnibus, der mit allem Erforderlichen eingerichtet war – Op-Tisch, Op-Lampe, Op-Bestecke, Wasser und Sterilisationsanlage –, einem PKW und einem LKW für zusätzliches Sanitätsgerät und für das große Verwundetenzelt. Mit Beginn des Einsatzes wurde die hintere Tür des Omnibusses geöffnet und daran gleich das große Zelt angeschlossen, so daß die operierten Verwundeten direkt in das Zelt getragen werden konnten. Sie lagen nun meistens nicht sehr lange in dieser provisorischen Unterkunft, weil gleichzeitig der Divisionsarzt, je nach Anfall von Verwundeten, zehn bis 15 Krankenkraftwagen dahin beorderte, die sie in die nächsten Armee-Feldlazarette abtransportierten.

Dr. Winkler im Op-Wagen

Wenn sich der Kampf weiter nach vorwärts bewegte und die eingesetzte Op-Gruppe wegen ihrer Arbeit nicht folgen konnte, wurde überschlagend die nächste Op-Gruppe eingesetzt, und sollten beide im Verlauf des weiteren Vormarsches mit den Verwundeten beschäftigt sein, so wurde die dritte Op-Gruppe herangeholt. Damit war jederzeit eine glänzende Versorgung unserer Verwundeten gewährleistet, und zwar nicht weit vom Kampfgeschehen, sondern in seiner unmittelbaren Nähe, dabei sich immer den augenblicklichen Verhältnissen anpassend. Diese Sanitätstaktik hatte sich im Verlauf des bisherigen Vormarsches sehr bewährt, vor allem bei den schnellen Verbänden.“30

Dr. Weber im Op-Wagen