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Wortbildung im Deutschen

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4 Zur Funktionalität der FugenelementeFugenelement – Überblick über den aktuellen Forschungsstand

FugenelementeFugenelement verfügen nach Damaris Nübling und Renata Szczepaniak (2009: 201) über eine eigene „Fugengrammatik“, die sowohl die Distribution der Fugenelemente sowie ihre funktionalen Spezifika umfasst. Neuere Forschungsarbeiten knüpfen die Distribution und Funktionalität der Fugenelemente vor allem an die den Erstgliedern des KompositumsZusammensetzung (siehe auch Kompositum)Kompositum inhärenten Eigenschaften. Durch das Verfahren der Reihenbildung können strukturelle Eigenschaften, die den Stämmen der KompositionsstammformenKompositionsstammform eigen sind, beschrieben werden; anschließend ist es möglich, Konditionierungsprinzipien zur Distribution der produktiven Fugenelemente aufzustellen und so Rückschlüsse auf die Funktionalität der Fugenelemente zu ziehen. Im folgenden Abschnitt wird der aktuelle Kenntnisstand zu den Konditionierungsfaktoren zur Distribution der Fugenelemente des DeutschenDeutsch mit besonderer Berücksichtigung des Fugen-s im Überblick dargestellt.

4.1 FugenelementeFugenelement als Kasus- und Numerusmarker

Der Fall der FugenelementeFugenelement ist „ein Paradebeispiel dafür, dass man manchmal ohne historisches Wissen, ohne Kenntnis früherer Sprachstufen, nicht auskommt und zu hoffnungslosen Fehldeutungen verleitet wird“ (cf. Wegener 2005: 175; Nübling/Szczepaniak 2010). Ulrike Demske (2001) beschreibt in ihrer diachronen Untersuchung zur Nominalphrase des DeutschenDeutsch drei Stadien in der Herausbildung des Wortbildungsmusters der Genitivkomposita. Im Ahd. sind syntaktische Konstruktionen aus Nominalphrasen mit vorangestelltem Genitivattribut sehr produktiv. Im Laufe der Sprachgeschichte werden einige dieser Bildungen lexikalisiert, wobei die syntaktische Struktur dieser komplexen Phrasen dennoch transparent bleibt. Im Frnhd. erfolgt schließlich die Reanalyse der syntaktischen als morphologische Struktur, was die Herausbildung eines neuen Wortbildungstypus, der Spezialfall der Genitivkomposita, zur Folge hat. Zu den Auswirkungen dieses Reanalyseprozesses und des daraus resultierenden Sprachwandels gehört die Herausbildung unparadigmatischer Fugenelemente.

Im Fall der Genitivkomposita werden die Flexionssuffixe des Erstglieds als FugenelementFugenelement reanalysiert (Demske 2001: 183f.); es erfolgt eine „Entsyntaktisierung“ des Verhältnisses zwischen Erst- und Zweitglied (cf. Fuhrhop 2000: 204). Peter Gallmann (1999: 184) bezeichnet die reanalysierten Fugenelemente in seiner Untersuchung als „Nicht-Kasus-Suffixe“, da sie hinsichtlich des Kasus „gänzlich unterspezifiziert“ sind, auch wenn einzelne Belege (Amt-s-diener) und ihre Paraphrase (Diener des/ eines Amts) auf den ersten Blick und ohne Berücksichtigung der diachronen Reanalyse der Fugenelemente eine genitivische Interpretation plausibel erscheinen lassen. Doch bei zahlreichen semantisch transparenten KompositaKompositum ist die Genitivlesart irreführend, wie das Beispiel Liebling-s-getränk (*Getränk des Lieblings) zeigt, oder die genitivische Interpretation durch fehlende Numeruskongruenz ist fragwürdig und unplausibel: Bischof-s-konferenz, Anwalt-s-kammer (cf. Nübling/Szczepaniak 2009: 201; Nübling/Szczepaniak 2011: 54). Aus der formalen Äquivalenz ist daher kein funktionale zu schlussfolgern.

4.2 Phonetisch-phonologische Funktionsweisen der FugenelementeFugenelement

Alle FugenelementeFugenelement außer -s- und -n- sind silbisch; sie bilden ausnahmslos Schwa-Silben und damit unbetonte Silben (cf. Fuhrhop 1998: 188). Da -n- grundsätzlich nur an Stämme tritt, die auf Schwa auslauten (cf. ebd., Wegener 2005: 179), ist das Fugen-s das einzige Fugenelement, das das Aufeinandertreffen zweier betonter Silben nicht verhindert (cf. Fuhrhop 1998: 188).

Silbische FugenelementeFugenelement verbessern die Prosodie eines KompositumsZusammensetzung (siehe auch Kompositum)Kompositum, indem sie Trochäen erzeugen (’Frau-en-schuh, ’Herz-ens-wunsch); sie dienen damit vor allem der „rhythmischen Optimierung des Erstglieds“ (cf. Nübling/Szczepaniak 2009: 203; Wegener 2005: 178), da der Trochäus dem prosodischen Muster der Substantive des DeutschenDeutsch entspricht (cf. Nübling/Szczepaniak 2008: 17). Unsilbische Fugenelemente hingegen erhalten bereits bestehende Trochäen (’Blume-n-vase) (cf. Nübling/Szczepaniak 2009: 203). Die Konkurrenz unter den Fugenelementen (einschließlich Nullfuge und subtraktiver Fuge) wird somit durch die optimale prosodische Struktur eines Kompositums entschieden (cf. Wegener 2005: 179).

Als einziges produktives unparadigmatisches FugenelementFugenelement nimmt das Fugen-s hinsichtlich der phonologischen Optimierung eines KompositumsZusammensetzung (siehe auch Kompositum)Kompositum eine Sonderstellung ein. Damaris Nübling/Renata Szczepaniak (2009: 207) beschreiben einen Zusammenhang zwischen der Setzung des Fugen-s und der phonologischen Qualität des Erstglieds: „Je stärker das Erstglied das phonologische Wortideal eines einfüßigen Trochäus mit Reduktionssilbe (Typ Wasser) verletzt, desto eher steht das Fugenelement -s-“ (ebd.). Anders als die übrigen Fugenelemente orientiert sich das Fugen-s nicht an den „trochäischen Outputstrukturen“ des Erstglieds (cf. Nübling/Szczepaniak 2011: 62; Nübling/Szczepaniak 2008), entspricht aber dennoch in seiner Wirkung den „Reparaturstrategien der Sprecher“ (cf. Wegener 2005: 184). Als unsilbisches Fugenelement verstärkt das Fugen-s den rechten äußeren Silbenrand eines Stammes und verschlechtert die SilbenstrukturSilbenstruktur (cf. Wegener 2005: 179f.; Nübling/Szczepaniak 2010: 218). Folgt es Nasalen oder Liquiden, wird der rechte Silbenrand des Erstglieds durch das Fugen-s komplexer (Zwang-s-jacke); „konterkariert“ es außerdem den abnehmenden Sonoritätsverlauf der Silbenkoda, wie es nach Plosiven der Fall ist, erhält das Fugen-s sogar einen extrasilbischen Status (Blut-s-tropfen, Ort-s-termin) (cf. Nübling/Szczepaniak 2008: 17; Nübling/Szczepaniak 2009: 215). Indem es die Silbenkoda des Erstglieds durch phonologische Komplexität exponiert und, bedingt durch die phonologische Umgebung, eventuell Extrasilbizität hervorruft, kommt dem Fugen-s eine gliedernde und grenzmarkierende Funktion zu.

4.3 Morphologisch-funktionale Aspekte des Fugen-s

Neben dem phonetisch-phonologischen Aspekt lässt sich die Funktionalität des Fugen-s auf der morphologischen Ebene verorten und unter folgenden Punkten zusammenfassen:

 Öffnung morphologisch geschlossener Stämme:

Mark Aronoff und Nanna Fuhrhop (2002) stellen die Fähigkeit des Fugen-s heraus, morphologisch geschlossene Stämme wieder zu öffnen. Aus diesem Grund sind sie nach den Derivationssuffixen -ung, -heit und -keit regelmäßig verteilt, da diese weitere Suffigierung verhindern: *erfahrunglich, *Schönheitchen (cf. Kürschner 2005: 114). Ein Suffix ist dann schließend, wenn „keine weitere DerivationDerivation an einer bereits suffigierten Basis möglich ist, obwohl Suffixe existieren, die weitere Derivation erwartbar machen“ (cf. Kürschner 2005: 114).

 Das Fugen-s als Indiz morphologischer Komplexität:

Untersuchungen (cf. insbesondere Kürschner 2003) belegen, dass die Frequenz des Fugen-s in direktem Zusammenhang zur morphologischen Komplexität des Erstglieds steht:


(3a)Werk-ø-zeug vs. Handwerk-s-zeugMarkt-ø-bude vs. Jahrmarkt-s-budeHof-ø-mauer vs. Friedhof-s-mauer
(3b)Kauf-ø-preis vs. Verkauf-s-preisFahrt-ø-zeit vs. Abfahrt-s-zeit

Die Hauptfuge in den dreigliedrigen KompositaKompositum in (3a) wirkt strukturierend (cf. Kürschner 2005: 112, Fuhrhop 1998: 192) und dient als „Dekodierungshilfe“, da es eine bestimmte Lesart [(AB)+C] fördert und eine falsche Dekodierung in [A+(BC)] verhindert (cf. Nübling/Szczepaniak 2009: 204; Gallmann 1998: 187; Wegener 2005: 184). In diesem Sinne ist das Fugen-s „in komplexer Position funktionalisiert und tritt als Gliederungsmarker“ auf (cf. Kürschner 2005: 113), zumal es durch die ihm inhärente niedrige Sonorität die Silbenkoda exponiert (cf. Abschnitt 3.2).

 Das Fugen-s nach derivationsmorphologisch komplexen Erstgliedern:

Das Deutsche zeigt eine deutliche Präferenz des Fugen-s nach derivationsmorphologisch komplexen (präfigierten wie auch suffigierten) Erstgliedern (cf. 3b). Damaris Nübling/Renata Szczepaniak (2008: 18) weisen nach, dass synchron eine starke Tendenz des DeutschenDeutsch besteht, ein derivationell komplexes Erstglied mit unbetontem PräfixPräfix zu verfugen. Sie folgern daraus, dass es nicht die morphologische Komplexität ist, die die Verfugung mit -s- begünstigt, sondern die phonologische Komplexität (cf. Nübling/Szczepaniak 2010: 215).

Anhand eines Korpus von sechzig Zweifelsfällen weisen Damaris Nübling/Renata Szczepaniak (2011) zudem nach, dass die meisten Schwankungsfälle zwischen Null- und s-Fuge von jenen KompositaKompositum generiert werden, deren Erstglied entweder über ein betontes Präfix verfügt (Einkauf-?s-führer, Mitglied-?s-staat) oder das selbst ein KompositumZusammensetzung (siehe auch Kompositum) ist (Lehramt-?s-kandidat, Denkmal-?s-pflege). Aufgrund ihrer phonologischen Wortqualität dürften diese Erstglieder jedoch eine nur schwache Produktivität der s-Fuge hervorrufen (cf. ebd.; Nübling/Szczepaniak 2010: 215f.).

 

 Das Fugen-s als Morphologisierungsmarker:

FugenelementeFugenelement, so Nanna Fuhrhop (2000: 212), zeigen die Morphologisierung von KompositaKompositum an, da durch sie deutlich wird, dass der „Stamm einer morphologischen Operation unterzogen wird, bevor er kompositionsfähig ist“. Fugenelemente treten zudem im Übergang von einer syntaktischen zu einer morphologischen KompositionKomposition auf und generieren zum Teil sprachliche Zweifelsfälle: richtung-?s-weisend, verfassung-?s-gebend, zukunft-?s-weisend (cf. ebd.; Nübling/Szczepaniak 2008: 10). Das Fugen-s tritt laut Nanna Fuhrhop (2000: 211f.) in diesen Fällen bei zunehmender Lexikalisierung auf und zeigt jeweils an, ob das KompositumZusammensetzung (siehe auch Kompositum) „mehr oder weniger ‚morphologisch‘ ist“.

5 Korpusanalyse: Zur Datengrundlage und Methodik

Anthony Rowley (1997: 109) beschreibt in seiner Untersuchung zum nominalmorphologischen System der nordostbayerischen Dialekte, dass das Fugen-s zwar im gesamten UG belegt ist, es aber im nördlichen, mittleren und westlichen OstfränkischenOstfränkisch besonders frequent zu sein scheint. Neben der Überprüfung der diatopischen Verteilung als Untersuchungsschwerpunkt stehen, ausgehend von den im Vorangegangen dargestellten Forschungsergebnissen und der relevanten Theoriebildung zu einer standardsprachlichen Systematik der FugenelementeFugenelement, zudem folgende Fragen im Zentrum der korpusbasierten Untersuchung zum Fugen-s im ofr. Sprachraum:

 Hat das Fugen-s als einziges aus dem Inventar der produktiven FugenelementeFugenelement, das auch unparadigmatisch auftreten kann, im OstfränkischenOstfränkisch ein vom StandarddeutschenStandarddeutsch abweichendes Distributionsmuster ausgebildet?

 Erzeugt es KompositionsstammformenKompositionsstammform, die entweder im Standard nicht vorhanden oder aber markiert oder lexikalisiert sind?

 Sind daraus spezifische funktionale Aspekte abzuleiten?

Da FugenelementeFugenelement am häufigsten in N+N-KompositaKompositum auftreten (und dies auch sprachübergreifend, cf. Kürschner 2003, 2010), wurde der Untersuchungsbereich auf zwei- oder mehrgliedrige N+N-Komposita eingegrenzt. Zudem entsprechen N+N-Komposita dem WortbildungsmusterWortbildungsmuster, das nahezu unbegrenzt Konkreta und AbstraktaAbstraktum bezeichnen kann, weshalb dieser Wortbildungstypus auch in den Materialien des OstfränkischenOstfränkisch Wörterbuchs besonders frequent ist.

Das Datenmaterial, aus dem das der Untersuchung zugrundeliegende Korpus aufgebaut wurde, entstammt den Archiven des Fränkischen Wörterbuchs, einem Projekt der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Das Arbeitsgebiet des Fränkischen Wörterbuchs umfasst die nördlichen Regierungsbezirke Bayerns, Ober-, Mittel- und Unterfranken. Die Binnengliederung des ofr. Sprachraums erfolgt in drei größere Teilgebiete: das Unterostfränkische, das Oberostfränkische und den Nürnberger Raum (cf. Klepsch 2007: 212). An den Rändern des UG ergeben sich Überschneidungen zu den Arbeitsgebieten des Südhessischen, des Bayerischen sowie des Thüringischen Wörterbuchs (cf. Klepsch/Wagner 2008: 9), sodass im Rahmen der Untersuchung des ofr. Kerngebiets aufgrund dieser arbeitstechnischen Eingrenzung des UGs auch Informationen über das Hessische, Nordbairische und Thüringische an den Rändern geboten werden.

Hinsichtlich der eingangs genannten Fragestellung wurden die zwischen 1960 und 2001 verschickten Fragebögen des Archivs des Fränkischen Wörterbuchs gesichtet und zum Teil in vorkategorisierter Form übernommen, zum Teil in eine eigene Datenbank transkribiert. Da die aktuelle Forschung zur Distribution und zur Funktionalität der FugenelementeFugenelement des DeutschenDeutsch, insbesondere des Fugen-s, ergeben hat, dass die s-Fuge primär auch von der morphologischen Komplexität des Erstglieds abhängig ist, wurde das Kriterium der morphologischen Komplexität (SimpliziaSimplizia vs. (derivations-)morphologisch komplexe Erstglieder) als ein Untersuchungsschwerpunkt für den Aufbau des Korpus gewählt; nicht berücksichtigt wurden suffigierte Feminina auf -ung, -heit, -keit, -schaft u.a., da diese in der Standardsprache regelmäßig mit -s- verfugt werden und Abweichungen im Dialekt nicht erwartbar sind.

Um die Distribution der verschiedenen KompositionsstammformenKompositionsstammform im ostfränkischen Sprachraum darzustellen, wurde das Untersuchungsmaterial in einer Datenbank aufbereitet und in Form von Sprachkarten ausgewertet. Sprachkarten werden mit dem Ziel gezeichnet, ausgewählte sprachliche Merkmale grafisch darzustellen und zu dokumentieren. Das Material, das zum Erstellen der Sprachkarte genutzt wird, muss hinsichtlich der Ähnlichkeit bzw. der Unähnlichkeit seiner Merkmale klassifiziert und die Merkmale im Verhältnis ihrer Bedeutung für die Aussagekraft der Karte gewichtet werden. Die Schwierigkeit bei der Erstellung einer Sprachkarte besteht somit darin, ein ausgewogenes Verhältnis „zwischen Dokumentation und Interpretation“ (cf. Rädle 2005: 645) des Belegmaterials zu bewahren, wobei auch die Erfahrung des Bearbeiters und dessen Übersicht über die Materialbasis eine Rolle spielen. Das Problem der Typisierung, d.h. der Gewichtung der sprachlichen Merkmale, die für die Fragestellung der Korpusanalyse relevant sind, stellte sich auch beim Erstellen der vorliegenden Karten, weshalb die jeweiligen Überlegungen im Einzelfall erläutert werden.

In der Datenbank wurde das Dialektmaterial nach den relevanten sprachlichen Merkmalen klassifiziert und einzeln standardsprachlich lemmatisiert; auch im Text werden die einzelnen Belege standardsprachlich angeführt, da phonologische Varianten im Kontext der Fragestellung nicht unmittelbar relevant sind.

6 Untersuchungsergebnisse

Im Folgenden werden die Untersuchungsergebnisse und Sprachkarten hinsichtlich folgender Untersuchungsschwerpunkte vorgestellt: Verfugungsvarianten nach simplizischem Erstglied, Verfugung nach kontrahiertem vs. nicht-kontrahiertem Erstglied sowie Verfugung nach derivationsmorphologisch komplexem Erstglied.

6.1 Das Fugen-s nach SimpliziaSimplizia

Durch die Vorbetrachtungen über die standardsprachliche Distribution und Funktionalität der FugenelementeFugenelement wurde deutlich, dass Stämme, die dem phonologischen Wortideal eines Trochäus entsprechen, weniger zur Verfugung neigen. Simplizische Stämme bilden vor allem dann eine KompositionsstammformKompositionsstammform mit dem Fugen-s aus, wenn das Fugenelement eine grenzmarkierende Funktion übernimmt, indem es die Silbenkoda (eventuell auch durch Extrasilbizität) exponiert. Diese Funktion ist nach Plosiven besonders deutlich, weshalb ein Fugen-s in dieser phonologischen Umgebung wahrscheinlicher ist als nach Liquid oder Nasal. Im Rahmen einer korpusbasierten Untersuchung weist Heide Wegener (2005: 182) nach, dass nur fünf Prozent aller auf Liquid oder Nasal auslautenden SimpliziaSimplizia ein Fugen-s annehmen. Im UG, dies zeigen die Karten 1 bis 3, werden jedoch auch auf Liquid auslautende Simplizia in bestimmten Gebieten regelmäßig mit -s- verfugt.

Karte 1

Verfugungsvarianten zu Erstglied April

Karte 1 entspricht im Wesentlichen einer Wortkarte des Handwörterbuchs von Bayerisch-Franken, da diese ebenfalls die Frage 25 des Fragebogen 4 (1961, Mundartlich für jemanden in den April schicken) zum Gegenstand hat. Anders als auf der Karte des Handwörterbuchs wurden auf der vorliegenden Karte jedoch nicht die erhobenen KompositaKompositum als einzelne Lexeme verzeichnet, sondern sie wurden hinsichtlich der KompositionsstammformKompositionsstammform des Erstglieds April unterschieden und kartiert.1 Von den insgesamt 975 Belegen bilden 788 Belege die Kompositionsstammform mit der Nullfuge (April-ø); 95 Belege werden mit -s- verfugt (April-s). Eine weitere Kompositionsstammform wird nach dem Muster April-e (50 Belege) bzw. April-a (40 Belege) gebildet. Diese Formen sind mundartliche Varianten der Kompositionsstammform April-en.

April, mhd. aprille/abrille, ist von der schwachen Deklinationsklasse in die starke gewechselt: „[D]och lautet uns der gen. heute aprils, nicht mehr aprillen, welches nur einige zusammensetzungen wahren“ (cf. Grimm et al. 2001: Sp. 538). Jacob Grimm (1878: 605) interpretiert die schwache Genitivendung, die sich in einigen KompositaKompositum erhalten hat, als morphologisiert. Auch im Bayerischen Wörterbuch ist unter dem Lemma April nicht die starke, sondern die schwache Genitivbildung (des Aprilen) vermerkt (cf. Schmeller/Frommann 1973: 119, s.v. April).

Im UG ist die schwache Genitivendung als FugenelementFugenelement reanalysiert (cf. Rowley 1997: 108). Die diatopische Verteilung der KompositionsstammformenKompositionsstammform April-e/April-a geht mit dem Phänomen der Vokalisierung der mhd. Endung -(e)n einher (cf. Rowley 1997: 107): Die schwache Flexionsendung -(e)n der obliquen Kasus bzw. -(e)m werden bei vorangehendem mhd. Liquid, Dental, labialem Plosiv in einem sehr geschlossenen Areal vokalisch als Schwa-Laut [ɐ] und [ə] realisiert (cf. Gruener/Rudisch 2007: 122f.; Wolf 1998: 64).2KompositionsstammformOstfränkisch Die vorliegende Karte zeigt, dass April-e und April-a gleichermaßen im Würzburger Raum, im südlichen Aschaffenburger Raum sowie im westlichen Mittelfranken belegt sind. Die Grenze verläuft in diesem Fall östlicher, als die Karte des Sprachatlas von Mittelfranken zeigt, wo die Vokalisierung von -(e)n einem Areal entlang der Westgrenze Mittelfrankens entspricht (ebd.: 123). Die Formen April-a/April-e konkurrieren in diesem Gebiet außerdem mit der unverfugten Kompositionsstammform April-ø. 80,7 % der erhobenen KompositaKompositum werden mit der Nullfuge gebildet. Sie ist über fast das gesamte Untersuchungsgebiet verbreitet und wird als unmarkierter Normalfall (cf. Abschnitt 3) nicht gesondert auf Karte 1 wiedergegeben.

Die Raumbildung in Karte 1 macht deutlich, dass die Verteilung der verfugten KompositionsstammformenKompositionsstammform diatopisch bedingt ist. Im nördlichen Untersuchungsgebiet, insbesondere im Henneberger Raum, sowie im Aschaffenburger Raum ist die Kompositionsstammform April-s frequent. Die starke Flexionsendung -s-, die im Zuge der Herausbildung des Wortbildungsmusters der KompositionKomposition als FugenelementFugenelement reanalysiert wurde, ist in den lexikalisierten KompositaKompositum erhalten und konkurriert in diesen Teilen des UG mit der Nullfuge.

Auch Karte 2 zeigt, dass die VerfugungsvarianzVerfugungsvarianz im UG diatopisch bedingt ist. Sie fasst die Verteilung von KompositionsstammformenKompositionsstammform mit dem Stamm Vogel zusammen. Die Datenbank wurde mithilfe der Belege des Fragebogens 2 (Jahrgang 1960/ 61), Frage 11 (Mundartlich für die Eberesche) aufgebaut. Das simplizische Erstglied Vogel entspricht dem phonologischen Wortideal einer betonten Silbe mit Reduktionssilbe und lautet auf einen Liquid aus, sodass – ausgehend von den Erkenntnissen zur Distribution und zur Funktion des Fugen-s nach SimpliziaSimplizia – die Kompositionsstammbildung mit dem Fugen-s kaum erwartbar ist.

Im ostfränkischen Sprachraum sind unter den insgesamt 515 Belegen vier KompositionsstammformenKompositionsstammform für den Stamm Vogel vertreten: Neben der standardsprachlich unmarkierten Kompositionsstammform Vogel-ø (391 Belege; 75,9 %), finden sich 70 Belege (13,6 %) der Kompositionsstammform Vögel-ø sowie zwei Kompositionsstammformen, die mit dem Fugen-s gebildet werden. Die Form Vogel-s ist insgesamt siebenmal belegt (1,4 %), die unparadigmatische Variante Vögel-s ist mit 47 Belegen (9,1 %) vertreten.

 

Karte 2

Varianz der KompositionsstammformenKompositionsstammform zum Stamm Vogel

Die s-Fuge ist auf das unterostfränkische Gebiet sowie den Aschaffenburger Raum begrenzt. Das Flexionssuffix -s-, das im Zuge der Herausbildung der Genitivkomposita im Frnhd. (cf. 3.1) als FugenelementFugenelement reanalysiert wurde, ist im Dialekt – anders als in der Standardsprache – in Teilen des Untersuchungsgebiets als paradigmatisches Fugenelement (Vogel-s) noch erhalten. Die mit -s- verfugten KompositionsstammformenKompositionsstammform ohne Umlaut konzentrieren sich auf den Aschaffenburger Raum und vereinzelt mit nur zwei Belegen auf den Raum Würzburg.

Unter den mit s-verfugten KompositionsstammformenKompositionsstammform ist die Variante mit Umlaut (Vögel-s) die frequentere. Die unparadigmatische Kompositionsstammform Vögel-s ist vor allem im unterostfränkischen sowie im mainfränkischen Gebiet relativ dicht belegt. Der Umlaut ist bei umlautfähigen Stämmen eines der formalen Mittel zur Kompositionsstammformbildung: hǫis-blads (‚Häus-ø-platz‘), ghü-ghedn (‚Küh-ø-kette‘) (cf. Rowley 1997: 107), Säu-ø-stall.

Im größeren Teil des UG ist die Nullfuge frequent, wobei auch hier der Umlaut als formales Mittel zur Kompositionsstammformbildung zumindest an der Grenze zu Thüringen im Coburger Raum sowie im Obermain-Raum eintritt.

Auch Karte 3 zeigt deutlich, dass der Umlaut zur Bildung der Kompostionsstammform in Teilen des UG frequent ist. Für die Karte wurden alle Belege (außer unbekannt) zur Frage 34 des Fragebogen 104 (mundartlich für den Bauern, der Pferde besitzt) in die Datenbank aufgenommen, obwohl im Rahmen der Fragestellung eigentlich nur KompositaKompositum mit dem Erstglied Gaul relevant sind.3Deutsch Zusammensetzungen mit den Erstgliedern Pferd oder Ross sind im UG nur mit Nullfuge belegt.4 Der Stamm Pferd (53 Belege) ist (mit wenigen Ausnahmen) ausschließlich im nordöstlichen Raum des Untersuchungsgebiets verbreitet, währen Ross (28 Belege) im nördlichen Nürnberger Raum, vereinzelt im Weißenburger Raum sowie um Ansbach belegt ist. Den größten Teil des Untersuchungsgebiets deckt der Stamm Gaul (132 Belege) ab.

Karte 3

KompositaKompositum für den „Bauern, der Pferde besitzt“

Im verwendeten Material des OstfränkischenOstfränkisch Wörterbuchs sind vier verschiedene KompositionsstammformenKompositionsstammform des Stammes Gaul belegt. Im Ansbacher, im Nürnberger sowie im Gunzenhäuser Raum sind die Kompositionsstammformen Gaul-ø (17 Belege; 12,9 %) und Gäul-ø (27 Belege; 20,5 %) ähnlich stark verteilt. Die Kompositionsstammformen Gaul-s und Gäul-s hingegen sind auf ein ziemlich geschlossenes Areal begrenzt, das allerdings ein Großteil des Untersuchungsbereichs einnimmt. Im Würzburger Übergangsstreifen, im südwestlichen Würzburger Raum sowie im Erlanger Gebiet überwiegt die Kompositionsstammform Gaul-s (insgesamt 17 Belege; 12,9 %). Die Kompositionsstammform Gäul-s ist mit 71 Belegen und einem relativen Anteil von 53,8 % insbesondere im Würzburger Raum, aber auch im Henneberger Raum, in der Region Grabfeld sowie im Aschaffenburger Raum frequent.5KompositumKompositionsstammform