Wie betest du?

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Aus der Reihe: Ignatianische Impulse #68
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Ich schau einfach auf das Kreuz

Wenn ich bete, sitze ich da und schaue einfach auf das Kreuz. Ich suche mir in einer Kirche immer einen Platz mit Blick auf das Kreuz als Sammelpunkt inmitten der Welt. Es ist mein Verständnisschlüssel für meine Erfahrungen in meiner Arbeit mit Flüchtlingen, die mich in die Konfliktgebiete unserer Welt, nach Syrien, in den Kongo, Afghanistan und Kolumbien führt. Wo Hass und Krieg herrschen, da leiden die Unschuldigen. Das Kreuz steht für die Sünde der Welt, die in Form von Gewalt, Hass und Ungerechtigkeit Wirklichkeit ist. Der Gekreuzigte wird zum Fokus dieser Sünde und dem von ihr verursachten Leid. Er steht für all die Menschen, denen ich immer begegne, deren Leben vom Krieg zerstört wurde, die auf der Flucht sind, die alles und vor allem Menschen verloren haben, die ihnen lieb waren.

So sitze ich oft da, schaue auf das Kreuz und lasse die Gedanken und Sorgen der Arbeit zur Ruhe kommen. Täglich bin ich mit den Problemen des Jesuitenflüchtlingsdienstes konfrontiert, der in unsicheren und sich wandelnden Situationen mit begrenzten Mitteln auf die große Not von Flüchtlingen zu antworten versucht. Das äußere politische Geschehen, das man nicht kontrollieren kann, lässt einen ohnmächtig zurück. Die menschlichen Unzulänglichkeiten, mit denen man in einer Leitungsposition zu tun hat, sind wie ein Kreuz, das man zusammen mit den eigenen Schwächen zu tragen hat.

Wenn ich so dasitze und auf das Kreuz schaue, kommen mir oft sehr gute Gedanken und Lösungen für Probleme. Ich gehe dann in den Alltag mit größerem inneren Frieden und Versöhnung. Im Blick auf den Gekreuzigten sehe ich den Auferstandenen. Diese Hoffnung aus dem Glauben an den Gekreuzigten und Auferstandenen ist die Quelle, um in einer aussichtslosen Situation von Kriegen die Hoffnung nicht zu verlieren, sondern weiterzumachen, das zu tun, was in Flüchtlingen die Hoffnung nährt.

In meinem Beten unterscheide ich in der gegenwärtigen Arbeit drei Phasen. Ich bin sehr viel auf Reisen, besuche die Projekte des JRS und begegne Flüchtlingen und unseren Teams. Da bleibt manchmal nicht einmal Zeit zur täglichen Messe. Es fehlt an der Zeit zur Meditation und zum Schauen auf das Kreuz. Aber dies geschieht in der direkten Begegnung mit den Leidtragenden unserer Zeit. Die Dynamik von Internet und E-Mails bestimmt meinen Alltag auf Reisen und füllt die normal für das Gebet reservierte Zeit am Morgen oder Abend.

Zurück in Rom folge ich in der Generalskurie einem fast klösterlichen Rhythmus von Meditation und Frühmesse und Arbeit im Büro. Dieser Tagesrhythmus einer größeren Gemeinschaft fängt mich auf und stabilisiert mich. Einmal im Jahr ziehe ich mich für zwei Wochen in einen Karmel in Burgund zurück, wo mich die Stille, das Gebet mit den Schwestern und den Gästen und die Freundschaft mit den Schwestern auffangen. Im Zentrum des Gebetes und der Meditation steht das Kreuz, auf das wir alle schauen. Das Gebet dieser Schwestern für die Flüchtlinge und Nöte unserer Zeit trägt die Arbeit des JRS mit. Gemeinsam schauen wir auf das Leid der Welt, beten und arbeiten für die Notleidenden und finden trotz sinnloser Gewalt inneren Frieden und Hoffnung.

Peter Balleis SJ, Rom, geb. 1957

Herr, du allein weißt …

Dass ich bete, ist mir wichtiger, als wann und wie oder wie lange. Aber ich brauche eine feste Zeit. Das ist der frühe Morgen. Und ein fester Ort ist gut für mich, wenn ich zuhause bin: mich ausrichten, bewusst anfangen. Ich bete zu Jesus: dem Herrn, dem Kyrios, dem Bruder, dem Freund. Seit fast 30 Jahren komme ich bei meiner Betrachtung oft nicht über dieses Vorbereitungsgebet hinaus, sehr oft spreche ich nur einen Teil davon: »Herr, du allein weißt, wie mein Leben gelingen kann … Hilf mir loszulassen, was mich daran hindert, dir zu begegnen … Hilf mir zuzulassen, was in mir Mensch werden will …«. Seit 1985, als ich in den Orden eintrat, bete ich so.

Du allein weißt … loslassen … zulassen … Mensch werden …: Mehr habe ich nicht zu beten und zu bitten. Ich verdanke das Gebet Stefan Hofer SJ. Mein Novizenmeister war ein weiser Mann, ein Menschenkenner, barmherzig. Meine Wertschätzung für ihn ist mir erst spät bewusst geworden. Ich vermisse ihn. Als ich nach 20 Ordensjahren neun Monate (!) lang mein Tertiat in den USA machte und mich oft verloren fühlte, konfrontiert mit all dem, was in diesen 20 Jahren gelungen, was schiefgegangen, was auf der Strecke geblieben war, womit ich zu meiner Bestürzung mit aller Wucht aufmerksam wurde, fand ich Trost in diesem Gebet. Es lässt mich Jesus direkt ansprechen und bitten. Auch um die eigene Menschwerdung, die wohl erst mit dem letzten Atemzug abgeschlossen ist. Ich muss ständig Texte lesen, bearbeiten, edieren, formatieren. Vielleicht ist deswegen mein Beten einfacher geworden und auch konkreter. Loslassen: die Bilder, die Begriffe, die Vorstellungen, meinen Alltag und was damit an Gutem wie an Schlechtem verbunden ist. Zulassen: was in mir zum Menschsein drängt, aber nicht beachtet, nicht gepflegt, nicht wahrgenommen wird.

Nicht fremd ist mir die Bitte an den Heiligen Geist aus einem Pfingstlied: »Bete du in uns, wo wir stumm bleiben …«. Das Verstummen – aus Wut, Aggression, Traurigkeit, Erschöpfung – ist auch eine Erfahrung. Sie verführte mich einmal dazu, monatelang überhaupt nicht mehr zu beten. Bei einem Freund habe ich es dann wieder gelernt. Wochenlang. Er hat einfach gesagt: Wir beten zusammen. Das war, im Nachhinein, spirituelle Starthilfe.

Einige Gebete sind mir besonders lieb. Das Einfachste: »Jesus Christus«. Beim Einatmen: Jesus, beim Ausatmen: Christus. Oder das »Anima Christi«, weil es das Lieblingsgebet von Ignatius war: »Leib Christi, rette mich – Cuerpo de Cristo, sálvame.« Oder die Psalmen mit ihren Stimmungen, die meine sein können. Oder der Rosenkranz, der für mich ein Leben-Jesu-Gebet ist. Den kann ich auch gehend beten. Wiederholungen sind mir wichtig. Sie beruhigen. Ich spreche gern zum Gekreuzigten. Dass er antwortet, laut zu mir spricht, wie bei Don Camillo, das war mein Kindheitstraum.

Je einfacher ich bete, desto ruhiger werde ich. Wenn ich abschweife, Tagträumen nachhänge, mich verzettle, imaginäre Streitgespräche führe, dann merke ich, dass ich nicht sauber begonnen habe. Ich kehre zum Vorbereitungsgebet zurück: »Herr, du allein weißt …«. Und ich bin wieder bei mir – und bei Jesus, meinem Freund.

Andreas Batlogg SJ, München, geb. 1962

Alltäglich beten

Beten ist etwas Unkompliziertes, eben etwas Alltägliches. Am liebsten setze ich mich gleich am Morgen auf mein Meditationskissen, da ist die Seele noch nicht zugemüllt. Ein Lieblingseinstieg ist es, die Engel aller Menschen, der mir nahen und der fernen, um mich zu versammeln und sie loszuschicken. Und das »Seele Christi, heilige mich …« hilft mir anzukommen.

Die Nacht legt ganz von selbst ihren schützenden Mantel ab und das Bombenattentat aus den gestrigen Nachrichten oder die Flüchtlinge oder eigenes Versagen taucht auf. Im Hintergrund pocht es: »Und wo bleibt nun dein Gott?« (Ps 42). Ich taste innerlich das Bedrängende ab wie mit einem Laserstrahl: Wo bleibt nun dein Gott? Irgendwo bleibe ich hängen. Ein erlösendes Wort taucht auf, ein Gedanke, vielleicht aus der Bibel: So ist es gut, so stimmt es. Ich merke es ganz einfach am Aufatmen: Gott sei Dank! Dann braucht es gar nichts anderes mehr, als dabei zu verweilen. Natürlich ist das nicht ein Funktionieren. Oft genug muss ich Verwirrung oder Schmerz einfach aushalten, wie das halt immer so ist. Umso mehr Dankbarkeit ist da, wenn wieder etwas durchsichtiger geworden ist.

Das heißt nun nicht, dass ich groß eine Vorstellung von Gott habe. Es ist eher wie den tragenden Boden zu spüren und die Freude darüber, es zu spüren. So fühlt sich halt für mich Gott an und sein Wirken, der Hl. Geist. Der auferstandene Herr ist eher da wie ein Mantel, der sich über die Welt breitet. Paulus nennt das wohl Leib Christi.

Beten ist für mich kein durchstrukturierter Vorgang. Ich horche einfach. Mal kommt dies: »Du hast mich erforscht und du kennst mich!« (Ps 139). Wie der Tag ist, so alltäglich ist das Beten. Und so verwebt es sich ganz von selbst immer mehr in den Tag hinein und wird zum »allezeit sollt ihr beten«.

Alois Berger SJ, München, geb. 1935

Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt

Die Geschichte meines Gebetslebens ist untrennbar verbunden mit meiner Kindheit und Jugend in einer Diktatur, die Freiheit nur als das Sich-Entscheiden für eine bestimmte politische Meinung verstand, die in der DDR zudem streng vorgegeben war. Somit ist es nicht verwunderlich, dass ich die katholische Gemeinde der Franziskaner in Halle/Saale als einen Raum der Freiheit und Geborgenheit in einem atheistischen, religiösen Glauben ablehnenden Umfeld erlebt habe. Besonders das aktive Mittun und Übernehmen von Verantwortung als Ministrant und Lektor in den vielen und vor allem auch feierlichen Gottesdiensten und die damit verbundene Gruppenzugehörigkeit waren wichtig, aber auch das Erleben von jugendlicher Gemeinschaft der freitäglichen Jugendmesse mit anschließendem Treffen zum Austausch. Prägend für mich war das Erleben sehr unterschiedlicher Franziskaner in der Pfarrei, die dort in Gemeinschaft lebten. Sie legten den Grund für ein Selbstverständnis in meiner heute sehr freiheitlichen Beziehung mit Gott. Im 1987 in Erfurt begonnenen Studium der Theologie bekam ich ein geistliches Lesebuch in die Hand, dessen Titel mich seitdem begleitet und mir immer wieder in den Sinn kommt. »Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt« (Johannes Bours).

 

Ich wähle, ich entscheide, ich bin frei! Das war in der Diktatur eine meiner tiefsten Sehnsüchte, die äußerlich nur sehr begrenzt erfahrbar, faktisch nur innerlich erfüllbar war. Dort aber habe ich eine Form der Freiheit erfahren, die ich als geschenkt erlebt habe und die sich von äußerer Bewegungs- und Wahlfreiheit unterscheidet, für die ich unendlich dankbar bin. Mein Beten war – und ist es auch heute – oft ein Zwiegespräch mit Jesus Christus, wo ich sehr oft das Gefühl hatte, er antwortet, schenkt mir fühlbaren inneren Frieden, den ich oft ohne erkennbare Ursache spüren durfte. Manchmal waren es nur wenige Augenblicke. Für mich war diese Form, Ihn zu spüren, eine Realität, die zu einem Schatz wurde, tief in meinem Inneren, und mich gestärkt hat, einem politischen System zu widerstehen, das ich von Herzen abgelehnt habe. Und wenn es nur die Kraft war, einem Vorgesetzten ins Gesicht zu sagen, katholisch und aktiv in der Kirche zu sein. Die Konsequenzen solcher Äußerungen waren nicht absehbar. Nun kann ich sagen, ich hatte einfach Glück, aber das genügt nicht.

Durch diese Beziehung mit Jesus Christus erlebe ich bis heute dieses Glück als Führung. Ich glaube, dass ich mich in bewusstem Wählen und Entscheiden von Ihm geführt und gehalten weiß. Heute bin ich Jesuit. Mich fasziniert der hl. Ignatius von Loyola mit seiner Art der Gottsuche und -erfahrung, seiner Art zu unterscheiden, was hilfreich für mein Leben ist und was mich vom guten Weg abbringt. Diese aktive Spiritualität, die mich in eine große Freiheit setzt, beflügelt mein Leben und gibt mir Kraft, so manches Schwierige im Leben zu meistern. Mein Beten sieht also oft so aus, dass ich im Zwiegespräch mit dem Herrn zu einer Entscheidung komme und mich, durch den Glauben, von Ihm geführt zu wissen, zu Lebensentscheidungen stehen kann, auch wenn es oft genug schwer ist.

Michael Beschorner SJ, Dresden, geb. 1963

Ihn suchen und finden

Ich kann nicht gut beten. Aber ich ahne oder weiß, dass ein Beten etwas zu tun haben soll mit meinem Leib, den ich überallhin mitnehme. Ich »weiß«, dass der heilige Gott in allen geschaffenen Dingen gegenwärtig ist, ich weiß auch, dass ich ihn auf Menschen hin »ausatmen« soll, begreife natürlich auch, dass ich ihn vorher »einatmen« muss. Täglich und stündlich teilt er sich mir ja mit: nicht nur in der Bibel (dem Wort Gottes) kann ich ihm begegnen, sondern in allen Menschen und Dingen. In jedem Augenblick ist er da – immer neu, immer anders, immer unauslotbar.

Wie bete ich? Natürlich bete ich die Psalmen, sehr gerne sogar. Natürlich freue ich mich auf die tägliche Eucharistie. Aber mein »Gott-finden« ist nicht darauf beschränkt, was mir die Kirche aus ihrem reichen Gebetsschatz an die Hand gibt. Ich versuche aus der beglückenden Wirklichkeit zu beten und zu leben, dass Gott »der immer Größere« ist. – Ich versuche es; können aber tue ich es noch längst nicht.

Manchmal kommt mir das anmaßend und eingebildet vor. Dann sage ich einfach zehnmal oder zwanzigmal »Heiliger Geist, bete du in mir«. Oder einfach: »Lass mich dich erfahren in allem, was heute ›ist‹«. Oder: »Jesus, sei mir Jesus«.

Manchmal ist mir aber auch das Wenige, das ich da stottere, schon zu viel. Dann erinnere ich mich an den stillen Kapellenraum in unserem Haus (ganz in der Nähe), setze mich dort still in eine Ecke und versuche nur zu hören. Er spricht ohne Worte. Aber ihn zu hören ist schwierig, weil ich, weil wir, meistens zu laut sind. Er spricht ja auch dann, wenn er nichts sagt. Daran glaube ich.

Bisweilen hilft es mir, mich an die großen Heiligen und ihre Liebe Gott gegenüber zu erinnern: an Petrus und Paulus, Franziskus, Ignatius, an Edith Stein oder an Friedrich Spee und seine wunderbaren Lieder. Dann genügt mir oft eine »gestotterte« Strophe.

Es gibt (geformte) Gebete, die ich wirklich hundertmal wiederholen kann, ohne sie sattzuhaben, ohne sie je sattzubekommen (z.B. vom Lied »Ich steh’ an deiner Krippen hier« die 1., 2. oder 4. Strophe). Man muss sie auswendig können: Hier schmecke ich etwas vom tiefsten Geheimnis der Liebe Gottes.

Ich kann nicht gut beten. Aber ich glaube, dass Er mir wirklich nahe ist und hilft, schon ehe ich ihn darum bitte. Wichtig, ja das Wichtigste, scheint mir zu sein, dass ich ihn suche. Ich möchte ihn suchen, um ihn zu finden. Ich glaube, ihn finden zu können, weil ich weiß, dass er schon da ist.

Josef Bill SJ, Köln, geb. 1927

Geschenkte Verlebendigung

1. Zuerst drängt sich das Bittgebet auf. Ich richte mich an Gott und bete – für Gesundheit, für den erfreulichen Verlauf der Woche, für den stärkenden Kontakt mit Mitmenschen und für gute Jahre. Diese Bitten selbst leben aus Vertrauen auf Gott, kräftigen mich und öffnen mich auf die Evangelien.

2. Das Neue Testament lässt den sorgenden Gott vor mir entstehen. Die Sorge um mich erschließt mir also den sorgenden Geber von Vertrauen und Kraft! Und je mehr ich bitte, desto stärker rückt Er, Gott, in den Blick; und Er weckt bei mir, der ich als Mensch, als offenes Wesen, immer möglichst alle Rahmen sprenge und möglichst alles einbeziehe, die Frage: Was aber ist für Ihn zu besorgen? Irgendetwas? Die Sorge um mich wird so zur Sorge für Ihn.

3. Was für Ihn selbst zu besorgen ist, verlebendigt sich immer stärker: Es ist die zu besorgende, zu erfüllende Pflicht, Ihn zu ehren, zu preisen und anzubeten. Und ich begreife immer wieder und tiefer, dass meine tiefste Bitte und die mir bleibende Sorge der Anbetung gelten sollen.

4. Sobald ich aber die Anbetung ernst nehme, erkenne ich: In dem Maße, wie ich mich auf Ihn hin anbetend ausrichte, antwortet wiederum der angebetete Gott auf seine wunderbare, liebende Weise! Auf jede Anbetung folgen Seine Aufmerksamkeit auf mich, Seine Antwort und Seine Hilfe.

5. Zum einen schenken mir Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist immer klarere Einsicht in mein Leben. Und ich muss mich immer tiefer dafür bedanken, dass ich von diesen Eltern gezeugt bin, dass ich letztlich aber von Ihm dieses Leben geschenkt erhielt und erhalte und dass ich auf dem steinigen, gewundenen Weg und über Stufungen eines bewegten Lebens auf Ihn zugehe.

6. Auch schenkt Er die Erkenntnis, dass ich Seine Hilfe Sekunde für Sekunde empfangen durfte und ständig diese Seine Aufmerksamkeit für mich entgegennehmen und genießen darf.

7. Ich erkenne in Demut, dass Er sich unablässig für mich einsetzt, mich gewissermaßen dadurch ehrt und würdigt.

Norbert Brieskorn SJ, München, geb. 1944

Wie ich bete? Je nach Situation

Es war früher anders als jetzt mit 85 Jahren. Als Kind lernte ich bei der Mutter beten – sicher war das von entscheidendem Einfluss für mein späteres Leben.

Im Krieg kam ich mit der »Kinderlandverschickung« von Duisburg-Hamborn nach Ellwangen. Um dem Militäreinsatz zu entgehen, kam ich im März 1945 auf eine Nazisonderschule in Süddeutschland. Von dort floh ich im April und geriet auf dem Rückweg nach Ellwangen in französische Gefangenschaft. Obwohl ich kein Soldat war, marschierte ich mit 400 gefangenen Soldaten in Richtung Frankreich. Als ich am 30. April morgens den Rosenkranz betete, gelang mir mittags die Flucht. Abends, als die Gefangenen weitergegangen waren, ging ich mit den Leuten, die mich versteckt gehalten hatten, in die Dorfkirche zur Eröffnung der Maiandacht, mit Empfindungen, die ich nur schwer vermitteln kann.

Nachdem ich im Herbst 1945 nach Hause zurückgekehrt war, erlebte ich, wie der Kaplan am Ende der Kindermesse rief: »Herz Jesu, du sollst ganz allein« – und alle fuhren laut fort – »in meinem Herzen König sein!« Das wurde mir ein liebgewordenes Gebet, Programm und Bitte zugleich für mein ganzes Leben.

Nach dem Noviziat (1947–1949) ging es zum Philosophiestudium nach Pullach. Dort empfahl mir unser Spiritual Pater Steger: »Beten Sie oft, ›Jesus, du hast mich lieb!‹, das bringt Sie weiter als das ganze kommende Theologiestudium.« Ich vergaß es zwar im Lauf der Jahre, bis ich in Köln Pater Schuh predigen hörte: »Mensch, du kannst leben, wie du willst. Gut oder nicht, beten oder nicht, in die Messe gehen oder nicht: Du bist immer von Gott geliebt!« Das erinnerte mich an den kurzen Gebetssatz von Pater Steger. Seitdem ist es mir ein vertrautes Gebet.

Zu Beginn des Betens oder der Betrachtung spreche ich gewöhnlich Jesu Gebet der Lobpreisung, des Vertrauens und der Anbetung: »Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde …« (Mt 11,25). Ich fahre fort, indem ich mir mit Paulus auf dem Areopag die Gegenwart Gottes bewusst mache: »In dir leben wir, bewegen wir uns und sind wir« (Apg 17,28), und schließlich noch mit Johannes: »Du hast in unserer Seele Wohnung genommen« (Joh 14,23).

Wenn ich mir Zeit nehmen kann, spreche ich öfter die einzelnen Bitten des Vaterunser, des Gebets ›Seele Christi, heilige mich‹ nach Art des Rosenkranzgebets, jede Bitte zehn Mal langsam wiederholend.

Auch sonst wechsle ich gerne ab: Je nach Anliegen zu Gott, dem Vater als sein Kind, zum menschgewordenen Gottessohn als sein ›Gefährte‹ in der ›Gesellschaft Jesu‹, zum Heiligen Geist als Quell der Gottes- und Nächstenliebe. Dabei wiederhole ich gerne beliebig oft die Kyrie-Rufe.

Ich lasse mich also anregen vom »Geist, der weht, wo er will« (Joh 3,8).

Erwin Bücken SJ, Berlin, geb. 1928

still.sein

Es war am Beginn der 1980er Jahre. Ich hatte gerade das Jesuitennoviziat beendet und in Innsbruck mit meinem Theologiestudium begonnen. Ich war in einer Krise. In mir war ein großes Durcheinander an Gedanken und Gefühlen, an Bedürfnissen, Wünschen und Ängsten. Manchmal wusste ich nicht mehr ein und aus, ich war verzweifelt.

Damals ging ich oft in die Jesuitenkirche. Dort geschah etwas Wichtiges für mein Leben und Beten. Von Kindheit an war ich es gewohnt zu beten. Ich hatte es von meinen Eltern gelernt, wir haben es in unserer Familie gemeinsam getan. So bat ich Gott auch in dieser für mich so schweren Zeit um Hilfe. Ich brachte ihm meine Anliegen vor, teilte ihm meine Gedanken mit und drückte meine Gefühle vor ihm aus. Als ich in meinem inneren Chaos so dasaß, meine Augen auf den goldenen Tabernakel in der dunklen Kirche gerichtet, wurde ich nach einiger Zeit gewahr, wie meine Gedanken und Gefühle allmählich leiser wurden und in den Hintergrund traten. In den Vordergrund traten Ruhe und Frieden und eine stille Freude. Ich wurde mir eines Daseins bewusst, das nicht ich hervorgebracht hatte, eines Seins, das nicht ich, aber in mir war. In solchen Momenten spürte ich kein Bedürfnis mehr, mit Gott zu sprechen. Da war nur noch der Wunsch, bei diesem inneren Empfinden der Gegenwart Gottes zu verweilen und sie wirken zu lassen. In diesen Augenblicken war alles da, es musste nichts mehr weg, und es fehlte nichts. Alles war so gut. Überrascht und erstaunt, aber erfüllt, verließ ich nach solchen Zeiten die Kirche.

Das Erleben in der Jesuitenkirche lockte und schickte mich auf den Weg, immer wieder die Stille zu suchen, sie auszuhalten, sie zu bewahren und sie zu mir sprechen zu lassen. Stille wurde mein Gebet.

Die Stille drängt sich nicht auf. Lärm, Geräusche, Stimmen – äußere wie innere – dringen ständig an unser Ohr. Der Stille aber muss man sich aktiv zuwenden, man muss auf sie lauschen, will man ihrer bewusst werden.

Bis heute versuche ich mich immer wieder der Stille zuzuwenden. In der Natur, in einem stillen Raum, im Atem. Manchmal entdecke ich gleich das Einladende und Anziehende von ihr. Manchmal nicht. Häufig gehen mir tausend Gedanken durch den Kopf, wichtige und unwichtige, interessante und belanglose. Mir kommt etwas in den Sinn, was ich vergessen habe zu erledigen. Oder ich überlege, was ich am Sonntag predigen könnte. Oder es taucht ein Mitbruder auf, mit dem ich einen Konflikt hatte. Und schon bin ich in einer inneren Auseinandersetzung mit ihm. Argumente gehen hin und her, ich werde ärgerlich, ja wütend.

Ich kenne es gut: Wenn es äußerlich still wird, wird es oft innerlich umso lauter. Und dann? Im Laufe der Zeit und unter Anleitung vieler Menschen habe ich gelernt, meine Aufmerksamkeit, die von Gedanken und Gefühlen abgezogen wird, bestimmt und geduldig – sanft – immer und immer wieder der Stille, die ja da ist und da bleibt, zuzuwenden. Ich versuche alles, was mir durch Kopf, Herz und Bauch geht, wahrzunehmen, zuzulassen und wieder loszulassen. Stille wird und ist so der Raum, in dem alles da sein darf, in dem ich da sein darf, wie ich bin. Die Stille nimmt sich allem in mir an, sie nimmt alles in sich auf.

 

Nicht, dass es immer so ist, nein. Aber ich mache die für mich beglückende Erfahrung, dass das konsequente Bleiben bei der Stille bzw. Zurückkehren zur Stille einen weiten Raum in mir öffnet und Friede und Befriedung einkehren lässt. Und so fängt die Stille allmählich an zu sprechen. Es sind keine Worte, die sie sagt. Sie spricht durch ihr Sein. Sie nährt, kräftigt, erfüllt. Sie lässt das tiefe Wissen aufsteigen, dass ich bin und dass Er ist. Dass wir sind. Eins. Das ist alles, und es ist wirklich alles. Es ist das Wesentliche. In der Stille wird das Ewige Wort laut, sagt Meister Eckhart – und hörbar. Ich bin für diese Erfahrung und diesen Weg unendlich dankbar.

Bernhard Bürgler SJ, Wien, geb. 1960

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