Vegane Ernährung

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Flexiganer

Nicht jeder, der sich als Veganer bezeichnet, setzt eine vegane Ernährung auch konsequent um. Laut einer Umfrage von YouGov leben von den rund 900 000 Veganern in Deutschland etwas weniger als drei Viertel strikt vegan (YOUGOV 2014). Ungefähr ein Viertel ernährt sich nur in Teilen vegan und gehört daher [17] zu den sogenannten moderaten Veganern oder Teilzeit-Veganern. In der Deutschen Vegan-Studie werden moderate Veganer (Teilzeit-Veganer) als Personen bezeichnet, die weniger als 5 % ihrer täglich aufgenommenen Energie aus Lebensmitteln tierischer Herkunft beziehen (WALDMANN et al. 2003). Es gibt keine klare Abgrenzung, ab wann sich ein Konsument Flexiganer nennen darf oder kann. Vegane Teilzeitmodelle reichen von 100 % tierfrei zu Hause, während außer Haus tierische Produkte verzehrt werden bis hin zu wochenoder monatsweise konsequent vegan. Fakt ist, dass Flexiganer weniger tierische Produkte konsumieren als der Durchschnittsbürger. Je nach Motivation und individueller Alltagsrealität, werden die Ausnahmen sowohl quantitativ als auch qualitativ sehr flexibel gehandhabt. Unter den Flexiganern können Lifestyle-Gruppierungen mit unterschiedlichen Leitgedanken auftreten, die sowohl ihre persönlichen Lebensstile als auch gesellschaftliche und/oder politische Orientierungen mit der Ernährungsphilosophie des Veganismus kombinieren und individuell interpretieren.

Lifestyle-Veganer (Hedonisten und Selbstoptimierer): Im Gegensatz zum konsequenten, traditionellen Veganer entwickelt sich zunehmend eine neue Generation von Veganern, denen hedonistische Werte und die eigene Gesundheit weitaus wichtiger sind als weltanschauliche Motive. Der gesundheitlich motivierte Lifestyle-Veganer lebt den veganen Lebensstil weniger konsequent. Vielmehr bilden sich unterschiedliche Formen von Teilzeit-Veganern heraus, die ihre Ernährung flexibel gestalten. Dieser Veganer-Typus präsentiert sich selbstbewusst und will nicht durch Moral und theoretische Argumente wirken, sondern durch die Darstellung der eigenen Selbstoptimierung. Er stellt Schönheit, körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie das eigene Wohlbefinden als Lifestyle in den Mittelpunkt seines Lebens. Er praktiziert den Veganismus nach den Prinzipien von Spaß und Genuss und möchte, auch oft in einer Gruppe mit Gleichgesinnten, auf kulinarische Köstlichkeiten und gesellschaftliche Ereignisse nicht verzichten (vgl. YOUGOV 2014; EYMANN 2014).

LOHAS: Als LOHAs (Lifestyle of Health And Sustainability) werden Personen bezeichnet, die einen Lebensstil pflegen, der von Gesundheitsbewusstsein und -vorsorge sowie der Ausrichtung an Prinzipien der Nachhaltigkeit geprägt ist. LOHAS verstehen Essen als ein gestaltendes Moment der Gesellschaft – als ein politisches Instrument, mit dem jeder Konsument durch sein Einkaufsverhalten entscheidet, welchen Lebensmittelhersteller, welchen Landwirt oder welchen Lebensmittelanbieter er unterstützen will. Dabei geht es neben dem sensorischen Erleben um Werte, Anerkennung, Verantwortung und Ökologie (vgl. PAUL und ANDERSONS 2001, HORX 2010, VOIGT 2008).

[18] Freeganer: Freeganer verzichten in erster Linie auf Produkte, die aus dem kommerziellen Handel stammen. Ihr Motiv für diese Haltung ist oft eine antikapitalistische, anarchistische Überzeugung und die Kritik an der westlichen Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Sie greifen auf weggeworfene oder abgelaufene Waren und Supermarktabfälle zurück (sogenanntes «Containern») sowie auf geschenkte, selbst angebaute, gefundene oder gesammelte Lebensmittel. Freeganer wollen so auf Lebensmittelverschwendung und eine ungerechte Ressourcenverteilung aufmerksam machen und einen Beitrag zur Reduktion von Lebensmittelüberproduktion und -abfall leisten (COYNE 2011; MORÉ 2011). Der Begriff «Freeganer» wird unterschiedlich definiert, bezeichnet jedoch ursprünglich ethisch motivierte Veganer, die keine tierischen Produkte kaufen, jedoch tierische Produkte «aus dem Abfall» (z. B. aus einem Supermarkt-Container) konsumieren.

«Clean Eater» (= reiner Esser): Clean Eating ist ein Ernährungskonzept, welches zwischen erlaubten und verbotenen Lebensmitteln unterscheidet. Erlaubt sind reine Lebensmittel, d. h. «natürliche», «unverarbeitete» und «vollwertige» Lebensmittel; – verboten sind dagegen jene mit einem hohen Verarbeitungsgrad wie z. B. Weißmehlprodukte, Zucker, Fast Food, Süßigkeiten sowie koffeinhaltige Getränke und Alkohol. Außerdem sollen Lebensmittel mit künstlichen Konservierungsstoffen, Farb- und Aromastoffen sowie künstlichen Süßstoffen vermieden werden (RENO 2011). Clean Eater verzichten auf Fertiggerichte und Produkte mit mehr als fünf Zutaten, da diese meist nicht «clean» sind und den Körper daher mit «unnatürlichen» bzw. «chemischen» Substanzen belasten, (vgl. KÜHNE 2014; RENO 2011). Diese Ernährungsform entspricht in den meisten Punkten der klassischen Vollwert-Ernährung. Während die traditionelle vegane Ernährung mit frischen, regionalen, saisonalen, ökologisch und klimaneutral erzeugten Lebensmitteln von vielen Clean Eatern als die Ernährung der Wahl umgesetzt wird, wird der neue vegane Trend mit seinen zahlreichen, oft stark verarbeiteten Milch- und Fleischersatzprodukten den Ansprüchen des Clean Eatings nicht gerecht (KÜHNE 2014).

1.2 Schritte zur veganen Ernährung

Die Entwicklung hin zu einer veganen Lebensweise mit ihren vielfältigen Ausprägungen ist ein sehr individueller Weg. Meist beginnt die Umstellung mit einer kritischen Betrachtung der bisherigen Essgewohnheiten. Sie werden als [19] Folge einer intensiven Selbstreflexion und eines Bewusstwerdungsprozesses infrage gestellt und in einem anschließenden Umsetzungsprozess modifiziert (BEARDSWORTH und KEIL 1991 a; RUBY 2012). Hierbei spielen zum einen intrinsische Faktoren wie individuelle Moralvorstellungen, die eigene Gesundheit, Geschmack oder Abneigung gegenüber Fleisch, aber auch extrinsische Faktoren wie Freunde, Peer Groups, die Familie oder soziale Medien eine wichtige Rolle (GUERIN 2014).

Der Weg zum Veganismus wird durch die Biografie und die Erlebnisse des Einzelnen wesentlich mitbestimmt. Dabei können die bewusst wahrgenommenen positiven und negativen Erfahrungen stimulierend bzw. inhibierend auf die Ernährungsumstellung wirken (LARSSON et al. 2003). MC DONALD (2000) sieht die Verhaltensveränderung als Resultat eines Lern- und Erfahrungsprozesses, der auch mit der Frage nach der eigenen Identität und dem Kohärenzgefühl einhergeht (vgl. Kap. 4). Der Lernprozess wird dabei von verschiedenen Eindrücken und Erfahrungen beeinflusst, die katalytische Wirkung haben können. Berichte über Massentierhaltung können z. B. das Bewusstsein für die mitunter brutale Behandlung von Nutztieren sensibilisieren und entweder Verdrängungsreaktionen oder den Wunsch nach mehr Information und möglichen Gegenmaßnahmen auslösen (MC DONALD 2000).

Die vegane Ernährungsumstellung kann schrittweise oder abrupt erfolgen (vgl. Abb. 1-2). Meist handelt es dabei jedoch um einen schrittweisen Prozess mit einer sukzessiven Veränderung der Ernährungsgewohnheiten; meist ausgehend von einem moderaten Fleischkonsum über den vollständigen Verzicht auf Fleisch (Vegetarismus), dem teilweisen Verzicht auf tierische Produkte (Teilzeit-Veganismus) bis hin zur Entscheidung, gänzlich auf tierische Produkte zu verzichten (Veganismus). Anfänglich wird der Fleischkonsum über einen Zeitraum von 6 Monaten bis 3 Jahren reduziert und später je nach Konsequenz teilweise oder ganz vom Speiseplan gestrichen. In dieser Umstellungsphase wird das Fleisch oft durch einen erhöhten Konsum von Milchprodukten bzw. Fleischersatzprodukten kompensiert. Danach folgt das Weglassen von Fisch und letztendlich aller Produkte tierischen Ursprungs (vgl. BECVAR und RADOJICIC 2008; MACNAIR 2001). Eine abrupte Umstellung erfolgt in der Regel in zwei Schritten und wird häufig durch ein bestimmtes einschneidendes Erleben, wie z. B. die Konfrontation mit dem Leid von Tieren in der Massentierhaltung, ausgelöst (JABS, DEVINE und SOBAL 1998; BEARDSWORTH und KEIL 1991b). Auch die Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung, bei der die vegane Ernährung als sinnvolle Therapiealternative und/oder Ergänzung angesehen wird, kann zu einem plötzlichen Lebenswandel führen (RUBY 2012; CAMPBELL [20] und CAMPBELL 2011). Vornehmlich ethisch motivierte Personen verzichten zunächst auf Fleisch (Vegetarismus) und treffen schon bald danach die Entscheidung, vollständig auf tierische Produkte zu verzichten.


Abb. 1-2: Wege zur veganen Ernährung.

Bewusstwerdungsprozess und Verhaltensänderung

Wichtigste Voraussetzung für eine stabile Verhaltensveränderung ist die Information und Motivation.

In den Veränderungsstadien der Bewusstwerdung und Handlungsvorbereitung suchen die Klienten zunächst kognitive Strategien der Wissens- und Informationsvermittlung. Hier ist die Ernährungsberatung gefordert, professionelle Anleitung zu nutritiven, wissenschaftlich fundierten Maßnahmen zu liefern, um möglichen Mangelerscheinungen einer veganen Ernährung vorzubeugen.

Um eine verstetigte Veränderung mit neuen neuronalen Verhaltensmustern zu bewirken, reicht eine verbal geäußerte Bereitschaft nicht aus. Jede einzelne Erfahrung, ob gut oder schlecht, ist in den Synapsen des menschlichen Gehirns als neuronales Erregungsmuster abgespeichert. Je häufiger diese abgerufen werden, desto stabiler sind [21] sie («our brain becomes who we are»). Veränderungsprozesse benötigen «neue Spuren» im menschlichen Gehirn. Studien bestätigen, dass Nervenzellen bei «angemessener Stimulation» neue Gensequenzen abschreiben bzw. nicht benutzte stilllegen. Dies geschieht bis ins hohe Alter und bildet die Basis für ein lebenslanges Veränderungspotenzial. Untersuchungen haben gezeigt, dass Sicherheit und Vertrauen (sichere Bindung) bei gleichzeitiger Motivation (emotionaler Beteiligung) einen optimalen Mix an Neurotransmittern evoziert, welcher über bildgebende Verfahren nachweisbare, strukturelle Umbauprozesse im Gehirn hervorruft (HÜTHER 2006).

 

In den Veränderungsstadien der Handlung und Aufrechterhaltung suchen die Betroffenen vermehrt nach «behavioralen Strategien» als «Motoren» des Veränderungsprozesses. Der salutogene Ansatz nach Antonovsky stellt Veränderungsprozesse, wie die Veränderung der Lebensstil- und Essgewohnheiten, in einen übergreifenden, positiven biografischen Zusammenhang und verfolgt das Ziel der Bewusstseinsbildung und Mobilisierung eigener Ressourcen zur aktiven Bewältigung der momentanen Lebenssituation. Dabei spielt die vertrauensvolle Orientierung im Leben (Kohärenz), die sich aus der Verstehbarkeit (ich weiß, wieso ich etwas tue), der Handhabbarkeit (ich weiß, was ich tun muss) und der Sinnhaftigkeit (z. B. ich nehme nicht ab, weil der Arzt es mir angeordnet hat, sondern weil ich für meine Enkel fit sein möchte …) eine wichtige Rolle.

1.3 Warum vegan?
Individuelle und gesellschaftliche Aspekte einer pflanzlichen Ernährung

Die drei häufigsten Motive, sich vegan zu ernähren, sind ethische bzw. tierethische Überlegungen (Stichwort: Massentierhaltung), ökologische Überlegungen (Stichwort: Klimawandel) und die eigene Gesundheit (KERSCHKE-RISCH 2015). Das Spektrum der Motive unterscheidet sich bei den Veganern nicht wesentlich von jenem der Vegetarier, jedoch variiert die Interpretation und Konsequenz bei der Umsetzung. Für die meisten Veganer ist der Vegetarismus ein erster Schritt, um das Tierleid etc. zu mindern, aber als finale Ernährungsform nicht konsequent genug. Auch lässt sich beobachten, dass sich der primäre Beweggrund im Laufe einer individuellen fleischlosen Karriere verändern kann bzw. unterschiedlich gewichtet wird. So können z. B. Personen, die sich aufgrund ethischer Bedenken für den Veganismus entschieden haben, zu einem [22] späteren Zeitpunkt feststellen, dass für sie gesundheitliche Gründe für die Fortführung der veganen Ernährung immer bedeutender geworden sind (HOFFMANN et al. 2013). PRIBIS, PENCAK und GRAJALES (2010) konstatierten, dass die Motive zwischen Generationen oft unterschiedlich bewertet werden. Ihre Studienergebnisse zeigen, dass junge Menschen sich eher mit ethischen Motiven identifizierten, während ältere Menschen vornehmlich gesundheitliche Beweggründe für ihre Ernährungsumstellung nannten. Zudem spielten umweltbezogene Aspekte für jüngere Menschen eine wichtigere Rolle als für Ältere (PRIBIS, PENCAK und GRAJALES 2010).

Ethische Aspekte

Ethische bzw. tierethische Aspekte stellen für viele Veganer das Hauptmotiv für eine konsequent vegane Lebensweise dar und sind vor allem von der Empathie gegenüber Tieren und der Ablehnung des Tötens geprägt (vgl. WOSCHNAK 2012). Dabei steht das Verhältnis zwischen Mensch und Tier im Mittelpunkt der Betrachtung. Seit den 1970er-Jahren wird eine angeregte tierethische Debatte geführt (vgl. RIETHER und WEISS 2012; GRUBE 2006) und werden moralische Fragen formuliert und diskutiert wie etwa «Wie ist die Legitimität der Nutzung von Tieren für menschliche Interessen?», «Dürfen Tiere getötet werden?», «Wiegen viele Tötungsakte (z. B. Fische und Kücken) schwerer als ein einziger (z. B. Rind)?» etc. (vgl. RIETHER und WEISS 2012; BECVAR und RADOJICIC 2008; KAPLAN 2011). Für viele Veganer sind Berichte über Massentierhaltung ausschlaggebend für eine vegane Ernährung. Medien, Tierschutzorganisationen oder gemeinnützige Vereine leisten durch Informationen über nicht artgerechte Tierhaltung, Mastverfahren, Tiertransporte und Tiertötungen einen großen Beitrag zum steigenden Bewusstsein in der breiten Bevölkerung (BECVAR und RADOJICIC 2008). Nicht zuletzt sprechen sich viele Veganer mit der Entscheidung für eine tierfreie Kost gegen kapitalistische Systeme und industrielle Nahrungsmittelproduktion aus und wollen Unternehmen, die für die Massenproduktion tierischer Lebensmittel verantwortlich sind, nicht unterstützen (vgl. GUERIN 2014).

[23]

Karnismus

Die amerikanische Sozialpsychologin Melanie Joy prägte den Begriff «Karnismus», der das Gegenteil von Vegetarismus und Veganismus verkörpert. Fleischkonsum als natürlich und notwendig anzusehen, ist für den Karnismus charakteristisch. Durch diese Überzeugung gelingt es Fleisch essenden Menschen, ihren Fleischverzehr zu legitimieren und sich von der empfundenen Empathie für die betroffenen Tiere zu distanzieren (JOY 2010).

Gesundheitliche Aspekte

CAMPBELL und CAMPBELL (2011) kritisieren die Entwicklung der Ernährungsgewohnheiten in der industrialisierten Welt und konstatieren, dass der verstärkte Verzehr tierischer Lebensmittel die Morbidität und Mortalität ernährungsbedingter Krankheiten in der Bevölkerung erhöht. Sie stützen sich dabei auf die Ergebnisse einer von ihnen als «China-Study» bezeichneten Studie (in ihrem gleichnamigen Buch). Diese Studie wurde in den 1980er-Jahren durchgeführt und korrelierte den Lebensmittelverbrauch (basierend auf Agrarstatistiken) in vielen Regionen Chinas mit den Krankheitsraten in diesen Regionen. Die Ergebnisse zeigen, dass in Regionen, in denen weniger tierische und mehr pflanzliche Lebensmittel verzehrt wurden, viele chronische Krankheiten wie Herz-Kreislaufkrankheiten oder Krebs weniger häufig auftreten.

Im Zusammenhang mit der Gesundheit sind auch Hygiene-Aspekte zu nennen: Fleisch und andere tierische Lebensmittel sind häufige Quellen für Lebensmittelvergiftungen. Auch Lebensmittelskandale, «food borne diseases» (z. B. BSE) oder der Einsatz von Masthilfen, Antibiotika und Hormonen in der Intensivtierhaltung sind für einige Verbraucher Grund genug, sich ausschließlich pflanzlich zu ernähren (DYETT et al. 2013; RADNITZ et al. 2015).

Religion und Spiritualität

Das religiöse Motiv einer veganen Ernährung kann, ähnlich wie das ethische, an das Leid der Tiere gebunden sein. Als Ausdruck von Mitgefühl, Liebe und Gnade gegenüber der gesamten Schöpfung – also auch gegenüber den Tieren – wird auf den Verzehr von Fleisch verzichtet. Es treten aber auch andere Aspekte, wie das eigene Seelenheil, hinzu, welches man durch Abtöten von Begierden und eine asketische Lebensweise (z. B. Fleischverzicht) zu finden versucht (SZÜCS et al. 2012; GUERRAIN 2014; NATH 2010).

Vegane Ernährung als Ersatzreligion?

[24] Nicht selten beschreiben Veganer den Übergang von der omnivoren zur veganen Ernährung als eine Art Erwachen (GUERIN 2014). Der Veganismus wird dabei als sinn- und strukturgebendes Element erfahren; als Teil einer philosophischen, ideologischen und spirituellen Weltanschauung. Malcolm Hamilton beschreibt den Veganismus daher als quasireligiöses Phänomen. Viele Aspekte des Veganismus zeigen seiner Meinung nach Parallelen zu Religionen wie etwa hinsichtlich Verboten, Vermeidungsverhalten, Einhaltung von Disziplin oder Ehrfurcht vor dem Leben (HAMILTON 2000; HAMILTON 2006). Helmut Kaplan kritisiert in seinem Buch Vegan soll keine Religion sein, dass es den religiös motivierten Veganern nicht unbedingt um die Tiere geht, sondern vielmehr um das persönliche psychische Gleichgewicht und die Bekehrung anderer, eine vegane Glaubenshaltung anzunehmen. Nach Kaplan sehen viele Veganer ihren Lebensstil als Inbegriff ihrer eigenen Existenz an. Er ist der Ansicht, dass «Religions-Veganer» durch ihr extremes Verhalten das größte Hindernis für eine unvoreingenommene Auseinandersetzung der allgemeinen Bevölkerung mit dem Veganismus darstellen (vgl. KAPLAN 2013).

Ökologie

Ökologische Motive werden selten als primäre Gründe für die Hinwendung zu einem veganen Ernährungsstil genannt und sind oft eng mit ethisch bzw. moralischen Ansichten verknüpft (FOX und WARD 2008). Die Ernährungsumstellung hin zur veganen Ernährung wird von ökologisch motivierten Veganern als Beitrag zum Erhalt des Planeten gesehen, da eine vegane Kost, die auf Produkten ökologischer Herkunft beruht, im Vergleich zur omnivoren und (in geringerem Ausmaß) zur vegetarischen Ernährung mit der geringsten Umweltbelastung verbunden ist (BARONI et al. 2007).

Verteilungsgerechtigkeit

Die Welt wird mit Nahrungsknappheit und Welthunger konfrontiert. Fast 800 Millionen Menschen leiden weltweit unter Hunger, und bis zum Jahr 2050 wird ein Bevölkerungswachstum um weitere zwei bis drei Milliarden Menschen erwartet. Zeitgleich gibt es eigentlich mehr als genug Nahrung auf der Welt, um die gesamte Erdbevölkerung ausreichend zu ernähren. Je mehr tierische Produkte produziert werden, desto weniger Nahrung steht den Menschen zur Verfügung. Durch den Verzicht auf tierische Produkte könnte die gesamte derzeitige Weltbevölkerung angemessen ernährt werden, ohne dass eine Steigerung [25] der landwirtschaftlichen Produktion erforderlich ist (vgl. FAO 2015; WORLD WATCH INSTITUTE 2004).

Identität

Nach FOX und WARD (2008) ist Veganismus für die Praktizierenden ein zentraler Aspekt ihrer Identität, und die oft ideologisch geprägte Lebensmittelwahl ist eng mit der individuellen Persönlichkeit verknüpft (SNEIJDER und TE MOLDER 2009). Die Hinwendung zum Veganismus wird oft als eine sehr wichtige Entscheidung im Leben angesehen und kann als identitätsstiftendes Moment betrachtet werden (vgl. GRUBE 2006; LINDQUIST 2013). Mit der Wahl pflanzlicher Lebensmittel/Produkte bzw. dem Verzicht tierischer Lebensmittel/Produkte wird zum einen eine bestimmte Wertehaltung ausgedrückt, zum anderen definiert die Person damit, wer sie ist, sein möchte und wie sie vom Umfeld wahrgenommen werden will. Die vegane Ernährungsweise reproduziert und stabilisiert die persönlichen Werte und somit auch die eigene Identität. Hierbei spielen Eigenverantwortlichkeit und Selbstoptimierung eine wichtige Rolle. Sie kann so auch zum Symbol des Selbstmanagements werden und spiegelt wider, wie sehr die Person an sich arbeitet (LINDQUIST 2013).